Westpakete
Westpakete waren etwas Besonderes!
Sie sollen den „Zusammenbruch“ der DDR verzögert haben, behaupten Bildreporter.
Voraussetzung für solche Zuwendungen waren die Verbindungen in den Westen, in das gelobte Land.
Es konnten Verwandte sein oder auch Bekannte.
Die Hintergründe dieser Zusammengehörigkeit waren ebenso vielfältig, wie die Gründe, kein Westpaket bekommen zu dürfen.
Alles begann mit einer Grenzen durch
Deutschland und zwei Gesellschaftssystemen. Anfangs war es überwiegend echte Hilfe, später klang auch ein wenig Angeberei mit.
Oft hingen diese Pakete mit Fest - und Feiertagen zusammen. Ostern und Weihnachten, Geburtstage und andere Freudenanlässe gab es regelmäßig.
Nach der Wende stellte man fest, dass ein flächendeckendes Kontrollsystem bestand, welches Inhalt und Empfänger sondierte.
Manchmal fehlte im Paket etwas, aber es wurde nicht begründet warum. Keiner wusste wo die Waren hinwanderten.All das, was man selten oder gar nicht bekam, verursachte ein unterschwelliges
Bedürfnis, einen Traum vom „Luxus“.
Dabei war dieser „Luxus“ nur der Spiegel der Alltäglichkeit im Westen, bunt und duftend.
Omi bekam Westpakete. Omi hatte Geschwister und Verwandte im Westen.
Wenn es der Zufall wollte, durften wir mit Omi zur Post gehen und eine Kostbarkeit abholen.
Wenig später wurde das Teil in der Küche mit Andacht „geschlachtet“.
Es gab Bestandteile, die verwunderten uns Kinder. Milchpulver, deutsche Markenbutter und Linsen ließen die Frage zu, ob wir in einem armen Land wohnen würden. Kann sein, dass Linsen damals rar waren. Duftende Seife (Marke
„LUX“) entführte uns in eine fremde Welt, die sicher nur ganz reichen Leuten zugänglich war. Strümpfe und später Strumpfhosen fand ich schon als Knabe sexy und ein Accessoire für noble Damen, wie meine Tante.
Kakao und Schokolade waren unverzichtbarer Bestandteil dieser Wunderkartons. Daraus entstand ein süß-warmes Getränk gleichen Namens und die Schokolade wurde Riegel oder stückweise als Huldzuwendung von Groß an Klein gereicht. Wir raspelten die Stücke ganz vorsichtig mit einem Messer, um so scheinbar mehr zu erhalten. Waschmittel verströmte ebenfalls einen sonderbaren Duft und
Markennamen waren in aller Munde.
Zigaretten und Zigarren qualmten zwar genauso, wie im Osten, aber die Verpackung und die Werbung waren der Clou, welches den Konsum mit Andacht zelebrieren ließ. Opa bekam oft Zigarren Marke „Handelsgold“ und Vater manchmal Zigaretten,die aber auch dann und wann „Zweitwährung“ für Handwerker gewesen sind. Kaugummi oder – bonbons lagen in den Tiefen als Füllstoff und man konnte schön mit den USA Erzeugnissen angeben – das machte Freunde.Omi legte die Paradiescreme immer beiseite, weil dieses Pulver als Sonntagsdessert seinen Traditionsplatz
hatte.
Ach – und die Krönung war ja der Bohnenkaffe. Jede Familie hatte ihre Stammsorte, bei uns war es Jakobs Krönung, bei meiner Frau Dallmayer Prodomo.
Zum Fest lagen Spezialitäten obenauf, Pariser Schinken – eine Lachsschinken mit einer Bauchspeckschicht ummantelt oder Geheimratskäse mit ner dicken, roten Rinde. Alle diese Reliquien wurden in einer Kulthandlung zu feinsten Scheiben geschnitten und andächtig langsam genossen. Ich bekam die gesammelten Seiten mit den Mecki – Geschichten aus der „Hör zu“, die nicht immer die Grenze passierten. Mitte der
60er waren auf der anderen Seite Neuigkeiten der Bands abgedruckt und damit war ich endlich auch mal ein Star.
Heute, im Zeitalter der normierten X und XL Pakete, fehlt mir das Flair und der Duft dieser Westpakete und wenige können mich verstehen.
2012-01-19 jfw