Romane & Erzählungen
Chili trifft Birne

0
"Sie hasst Romantik - er ist hoffnungslos romantisch. Hat ihre Liebe eine Chance?"
Veröffentlicht am 18. Juni 2015, 156 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
© Umschlag Bildmaterial: Patrizia Tilly - Fotolia.com
http://www.mystorys.de
Sie hasst Romantik - er ist hoffnungslos romantisch. Hat ihre Liebe eine Chance?

Chili trifft Birne

Chili trifft birne ~Anmerkung~

Diese Geschichte hat ursprünglich Athena im Alter von 14 Jahren geschrieben. Ich darf ihren Text aber verwenden und neu umschreiben, da sie diese Story in ein Fantasybuch umgeschrieben hat. Dankeschön, dass ich deine Geschichte neu schreiben darf!

Chili trifft birne

Chili trifft Birne Die Hauptpersonen Chayenne Sommer: Chayenne ist 25 Jahre alt. Vor 5 Jahren ist sie von Hallen nach Willental

gezogen, um in der Werbeagentur von Nathalie Sinclair anzufangen. Und sie hat nur ein Ziel: Eines Tages diese zu übernehmen. Was wird ihre Chefin dazu sagen? Benjamin Winter: Benjamin ist ebenfalls 25 Jahre alt und jobbt gerade als Taxifahrer, um sich sein Studium als Arzt zu

finanzieren. Nebenbei ist er auch der Suche nach einer Frau zum heiraten und er weiß auch genau welche das sein soll: Chayenne Sommer. Nur will sie niemals heiraten. Prolog 7.00 Uhr, Willental Innenstadt, 1 Tag

vor Treffen Chayenne, auch kurz Chay genannt, steht gerade auf. Beim Anblick ihres Spiegelbildes fällt sie fast in Ohnmacht. Gestern war sie zu lange auf der Party. Ihre Haare stehen wild ab. Chayenne versucht sie zu bändigen. Sie duscht, zieht sich an und frühstückt. In aller Ruhe schaut sie noch die Lage ihrer Travelcat-Aktien an, ehe das Taxi hupt, um sie zur Arbeit zu

fahren. 7.00 Uhr, Baumwald, Schloßgasse 133 Benjamin ist bereits seit einer halben Stunde auf. Jetzt joggt er eine Runde mit seinem Dobermann Astor, ehe er ihn zu seiner Mutter bringt. Danach geht er zum Bahnhof in

Baumwald und wartet auf den Zug nach Willental, wo er als Taxifahrer Geld für sein Studium als Arzt verdient. Chili trifft Birne „Sie Nichtsnutz! Für was habe ich ein Taxi bestellt? Zu Fuß wäre ich schneller gewesen.“ Chayenne sah verärgert auf die Uhr. Dabei spielte sie mit ihren Haaren, was sie immer tat, wenn sie

nervös oder wütend war. Sie hatte wunderschöne dunkelbraune, leicht gelockte Haare und haselnussbraune Augen. Außerdem war ihre Haut unabhängig von der Jahreszeit zumindest leicht gebräunt und jetzt im Sommer natürlich erst recht. Es war schon 8.07 Uhr, als das Taxi endlich Chays Arbeitsplatz erreichte. Schnell spurtete sie in den zwölften Stock (der Aufzug war ja mal wieder kaputt!), wo sich die Werbeagentur „Aristokrates“ befand, bei dem die junge Frau seit gut fünf Jahren arbeitete. Um diese Stelle anzunehmen, war sie extra von der fünfhundertsechzig Kilometer

entfernten Kleinstadt Hallen nach Willental (mit rund 700.000 Einwohnern) gezogen. Es war bereits siebzehn Minuten nach acht, als Chayenne die Werbeagentur betrat. Alle starrten sie an. Ihre Chefin, Nathalie Sinclair, sah sie streng an. So etwas mochte sie überhaupt nicht und sie hielt nur den Mund, weil Chayenne ihre beste Werbetexterin war. Frau Sinclair gab jedem Mitarbeiter einen Schokoriegel. „Surprise-Chocolate, etwas völlig Neues, mit Mandeln, Vanille und,“ genussvoll biss sie ein Stück ab, „Grüntee-Extrakten. Und wir sollen die TV-Werbung übernehmen. Ich

möchte, dass jeder von euch dazu Ideen aufschreibt. Danke, das war´s.“ Mit einem Handwink ging sie. Die Chefin der Werbeagentur war Ende Vierzig und hatte kurzes, hellbraunes Haar. Nathalie ging zudem regelmäßig zum Schönheitschirurgen, um sich die Lippen aufzuspritzen, ihr Fett absaugen oder sonst eine andere Korrektur vornehmen zu lassen. Sie konnte es sich ja leisten. Schließlich besaß sie die erfolgreichste Werbeagentur des Landes, die jedes Jahr beträchtliche Gewinne einfuhr. Vera Hausler klopfte Chayenne auf die Schulter. „Na, Chay. Wir alle wissen, dass du den Auftrag an Land ziehen

wirst.“ Chayenne lachte. „Oh ja. Du, Vera, heute wieder ins Tazzo? Neun Uhr?“ Die Freundin nickte. „Ich hole dich dann kurz vor neun Uhr ab.“ Sie war auch fünfundzwanzig Jahre alt, ebenfalls „normal“ schlank wie Chay, hatte rabenschwarzes Haar, das sie gürtellang trug und eine sehr helle Hautfarbe. Ihre Augen waren so schwarz wie die Nacht. Ein Typ wie Schneewittchen, dachte Chayenne. Sie hob ihre Hand als Zeichen dass sie damit einverstanden war. Dann setzte sie sich an den

Schreibtisch. Benjamin wippte mit dem Fuß im Takt des bekannten Songs mit. „Dauert das noch lange?“, fragte die alte Dame zornig. „Ich wäre gerne noch vor meinem fünfundachtzigsten Geburtstag zu Hause.“ „Na, dann haben wir ja noch fünfzig Jahre Zeit.“ Benjamin lachte. Das „Kompliment“ gefiel der Dame. „Sie Charmeur. Mein fünfundachtzigster Geburtstag ist schon in vier Tagen. Ich muss allerdings noch einkaufen,

kochen…“ Benjamin nickte, „Ich verstehe. Es tut mir so schrecklich leid, dass wir im Stau stehen.“ Doch die Frau schien nicht mehr so sauer zu sein und stellte sich als Adelheid Prinnler vor. „Benjamin Winter, aber alle nennen mich einfach Ben.“ sagte der Taxifahrer. „Verheiratet?“ fragte Frau Prinnler. Ben schüttelte den Kopf. „Ich war vierundsechzig Jahre lang mit meinem Mann verheiratet, ehe er vor drei Jahren starb. Ich habe drei entzückende Kinder und fünf Enkel und auch zwei Urenkel. Ich bin also bereits Urgroßmutter- und da meinten Sie ich wäre erst fünfunddreißig?“ scherzte die

alte Dame. Die beiden lachten. Ben wollte auch baldmöglichst heiraten und er wusste, dass sie ihm bald vor die Füße fallen würde. Noch ahnte er nicht, dass dies schon bald wortwörtlich passieren würde. Durch das Hupen des Autos hinter ihm wurde er aus seinen Träumen gerissen. Es ging weiter… Chayenne zog ihre Stiefel aus, legte die

Handtasche zur Seite und machte sich ein Spiegelei. Dann setzte sie sich mit ein paar Surprise-Schokoriegeln vor den Fernseher. Es lief gerade nichts Interessantes (nur Talkshows, Liebesfilme oder Fußball), also beschloss sie die Talkshow „Talk to me“ mit der bekannten und beliebten Moderatorin Erika Felsberger anzuschauen. Das heutige Thema lautete „Ja, ich will. Heute wird es richtig romantisch.“ Chay schniefte verächtlich. Heiraten und Romantik- so ein altmodischer Quatsch fand sie. Trotzdem schaute sie weiter zu. Eine junge Frau sollte überrascht

werden. Sie trug ein rosafarbenes Kleid und weiße Overknee-Stiefel. Ihre Haare hatte sie zu zwei Zöpfen a´ la Pippi Langstrumpf gebunden und als Ohrringe trug sie riesige babyrosa Kreolen. Sie hieß Angelina, war vierundzwanzig Jahre alt- und sie war die totale Romantikerin. Wenn sie lachte, gab sie freie Sicht auf ihre makellos weißen Zähne. „Wenigstens etwas Gutes an ihr.“ brummte Chayenne. Gerade kam Angelinas Freund hinein- mit Smoking und roten Rosen. Er hieß Ryan und war achtundzwanzig Jahre alt. Er fiel vor seiner Angebeteten auf die Knie und säuselte, wie froh er doch mit

seiner „Angie-Mausi“ wäre und dass er sie auf ewig lieben würde und so weiter und so fort. (Bla, bla, bla) Chay krallte entsetzt ihre langen Fingernägel in den Sessel und dachte: “Die wird doch jetzt nicht JA sagen, das kann die doch nicht machen.“ Doch „Angie-Mausi“ hauchte ein „Ja, ich will“ und fiel ihrem Freund um den Hals. Und dann trällerte dieser auch noch ein selbst komponiertes Liebeslied. (Hilfe, kann mal einer den Notarzt rufen? Ich glaube, der hat sich was getan. Warum würde er sonst so schreien? Das grenzt ja schon an Körperverletzung. Selbst die Stimme eines Pavianaffen ist da ja noch

angenehmer) Und was tat Angelina? Schmachtete ihren Freund an und hielt sich beide Hände aufs Herz anstatt zu sagen: „Äh, Entschuldigung, aber ich kenn´ Sie gar nicht“ und wegzulaufen, was Chayenne getan hätte. Sie konnte das auch nicht mehr länger ertragen und schaltete den Fernseher aus. „Endlich wieder zu Hause.“ Mit einem

erleichterten Seufzer ließ Ben die Tür ins Schloss fallen. Er bewohnte in Baumwald eine kleine Drei-Zimmer-Wohnung. „Wird Zeit, dass wir uns nach einer größeren Wohnung umsehen oder was meinst du Astor?“ Der vierundvierzig kg schwere Dobermann sah sein Herrchen an. Er war bereits neun Jahre alt und hatte fast sein gesamtes Leben im Tierheim verbracht, ehe ihn Ben vor zwei Jahren aus dem Tierheim geholt hatte. Seit dem waren die beiden die besten Freunde. Ben fütterte seinen Hund und machte sich dann selbst ein Käsebrot. Anschließend sah er auf die Uhr. Es war

jetzt kurz vor zwanzig Uhr. Benjamin entschloss sich doch noch kurz an die frische Luft zu gehen. Schließlich war es so ein schöner Juliabend. „Na, komm Astor.“ rief er. Es war 20.05 Uhr. Schon seit drei Stunden irrte Chayenne durch ihre Wohnung. Was sollte sie bloß anziehen? Überall lagen ihre Klamotten verstreut herum. Da klingelte es plötzlich. Sie sah erschrocken auf die Uhr. „Was jetzt schon, Vera?“ Ärgerlich öffnete sie die

Tür. Sie war noch im Bademantel und meckerte gleich los. „Mensch Vera, du wolltest doch erst um neun Uhr kommen“ Doch es war gar nicht Vera, sondern Hanna, Chayennes Nachbarin und beste Freundin. „Entschuldigung, dass ich störe. Aber ich muss dir dringend den neusten Klatsch über Mira und ihren Freund erzählen“ Chays Augen blitzten auf. „Hereinspaziert!“ So was konnte sie sich schließlich nicht entgehen lassen. Mira Ichel (sprich Ich-schel) war einmal Chayennes beste Freundin gewesen, bis zu dem Zeitpunkt, an dem Chay erkannt hatte, dass die beiden viel zu

unterschiedlich sind, um weiterhin die besten Freundinnen zu bleiben. Sie selbst machte gerne Sport, Volleyball, Basketball, Schwimmen- egal, Hauptsache Bewegung. Mira dagegen war ein Sportmuffel. Außerdem verschlang sie regelrecht Liebesromane. Ja, sie war richtig süchtig danach. Für Liebesfilme konnte sie sterben. Chayenne konnte es nie aushalten, wenn Mira mal wieder einen solchen Film ausgesucht hatte und danach die ganze Zeit über wie ein kleines Kind heulte. Es gab noch viele andere Sachen, in denen sie vollkommen unterschiedlich waren und so begann Chay sich mit anderen Leuten zu treffen, die ihre Interessen teilten. Schnell fand

sie neue Freundschaften, wollte Mira aber nicht als Freundin verlieren. Sie sollte nur nicht mehr ihre beste Freundin sein, mit der sie ihre gesamte Freizeit verbrachte. Daraufhin war Mira so sauer, dass sie den Kontakt komplett abgebrochen hatte. Hanna Zakdoken, ebenso eine frohe Natur wie Chayenne, trat ein, sah sich um und grinste. „Ich muss mich noch mal entschuldigen.“ Chayenne sah sie verwirrt an. „Warum?“ „Na, weil ich meine Bergsteigerausrüstung zu Hause vergessen habe. Ich glaube, ich sollte sie schnell holen.“ Dann zeigte sie auf die Haufen von Kleidung, die sich im ganzen

Zimmer verteilten. Chay musste nun auch lachen. „Du könntest mir bei der Kleiderfrage behilflich sein. Ich weiß einfach nicht, was ich heute in die Disco anziehen soll.“ „Mit dem größten Vergnügen, Madame.“ Hanna machte einen Knicks. Ben joggte durch den Park, in dem um diese Zeit noch einige Menschen spazieren gingen. Astor lief ohne Leine neben ihm, bis der plötzlich Witterung aufnahm und wie von der Tarantel

gestochen lossauste. Ben hatte Probleme dem Dobermann nachzukommen. Als er ihn endlich fand, beschnupperte dieser gerade zwei andere Hunde. Benjamin freute sich. Mit einem Hund kam man viel leichter mit anderen Menschen ins Gespräch. Das hatte er neulich erst in einer Zeitschrift gelesen, die eine Umfrage gemacht hatte und er merkte es ja selbst täglich. So war es auch heute wieder. Die Frau kraulte Astor und meinte dann: „Ein wirklich toller Hund. Wie heißt er denn?“ „Astor. Und Ihre beiden Racker?“ „Fleur und El Cid. Es sind zwei Leonberger. Und ich bin übrigens Kassandra.“ Die Frau lächelte. „Und Sie heißen…?“ „Benjamin Winter,

aber nennen Sie mich doch Ben.“ Kassandra streckte die Hand aus. „Na, also dann. Hallo Ben.“ Die beiden lachten und gingen dann gemeinsam weiter spazieren. Die stolze Leonbergerbesitzerin plauderte die ganze Zeit und schwärmte von ihren Hunden. Dabei nannte sie sie immer wieder „Meine kleinen süßen Wuffelis.“ (Okay, alles klar. Es sind wirklich kleine Hunde. Sind ja nur so um die achtzig cm groß und wiegen nur etwa sechzig Kilogramm. Kein Problem.) Ben verabschiedete sich höflich und ging dann enttäuscht nach Hause. Dabei hatte er anfangs gedacht, dass das mit den beiden etwas hätte werden können. Es

hatte ihn ja auch gefreut, dass sie Hunde offensichtlich mochte. Aber dann hatte er erkannt, dass sie die beiden wie ihre Kinder behandelte. Nein, so eine Freundin wollte er ganz bestimmt nicht. Endlich hatte sich Chayenne für ein Outfit entschieden. Hanna nahm sich den Fächer von der Wand und genoss es, wie die kühle Luft gegen ihr klatschnasses Gesicht schlug. „Puh, ich bin echt fix und fertig. Schau Chay, es ist schon kurz vor neun.“ Chayenne drehte sich und

betrachtete sich begeistert im Spiegel.“ „Na Hanna, du hattest Recht. Gelb steht mir wirklich ganz ausgezeichnet.“ Hanna nickte und keuchte: „Ja, ja. Ich hab es dir doch gesagt. Das gelbe Shirt unterstreicht deine tolle Sommerbräune.“ Das stimmte wirklich. Ach, Hanna war einfach toll. Sie kannte schon immer die besten Styles und wusste was zu welchem Typ am besten passte. Chayenne hielt kurz inne und fasste an ihre Narbe. „Da wird doch keiner hinschauen. Ich meine…“ Hannah unterbrach ihre Freundin: „Chay, du siehst toll aus. Auf deine Narbe wird niemand schauen.“ Chayenne nickte. Kurze Zeit war sie es etwas unsicher gewesen. Die Narbe

verlief über ihre ganze Stirn. Warum sie sie hatte, davon wollte sie niemanden erzählen. ,Chayenne, denk nicht weiter daran.´ dachte sie. Schon war sie wieder die fröhliche Chay. „Komm doch mit ins Tazzo. Das wird total klasse.“ strahlte Chay. Plötzlich sah sie ihre Freundin verdutzt an. „Äh, schaffst du das denn in 5 Minuten dich umzuziehen?“ Hanna grinste. „Klar doch, oder heiße ich etwa Chayenne Sommer?“ Tatsächlich stand sie fünf Minuten später im Shirt mit U-Boot-Ausschnitt, Minirock und High Heels vor der Tür.

Ihr sonst feines und glattes, rötliches Haar hatte sie auch noch schnell durch ein Kreppeisen gezogen und ihre grünen Augen strahlten vor Aufregung und Vorfreude auf einen schönen Abend. Gerade kam auch Vera an. „Oh hallo Hanna, kommst du mit? Schön.“ Chayenne kam - sich drehend - auf die beiden Freundinnen zu. „So Mädels. Kann ´s losgehen?“ Dann stiefelten die drei nach draußen und setzten sich in Hannas

Auto. DER NÄCHSTE MORGEN - DAS ERSTE (wenn auch kurze) TRFFEN – Heute war Samstag. Ben war bereits seit sechs Uhr auf, löffelte seine Cornflakes und ging mit Astor nach draußen- dieses Mal führte er den Dobermann an der Leine. (Man weiß ja nie.) Und besser ging er heute einen anderen Weg als

sonst. Er hatte nämlich keine Lust noch einmal dieser Schreckschraube Kassandra zu begegnen, die ihre Hunde wie Menschenbabys behandelte. Danach brachte er Astor wie immer zu seiner Mutter und ging zum Bahnhof. „Ich muss mir echt mal demnächst ein Auto anschaffen.“ Doch dafür reichte im Moment Bens Geld nicht. Am Taxistand in Willental angekommen, stieg er ins Auto und wartete darauf, dass jemand einstieg. Doch an diesem Morgen sollte alles anders sein. Als ein Mann sich ins Taxi setzte und brüllte: „Zum Kaufhaus, aber hurtig, hurtig.“, sprang das Auto nicht an. Ben versuchte

es wieder und wieder. Schließlich stieg der Mann entnervt aus. „Eine Unverschämtheit ist das“ keifte er und sein Stock schwang über Bens Kopf hinweg. Dieser schaute nach dem Motor und konnte sich gerade noch rechtzeitig ducken. Da kam Chayenne. Samstags hatte die Werbeagentur geschlossen, und so nutzte sie den Tag, um ihren eh schon übervollen Kleiderschrank mit neuen Klamotten zu füttern. So schleppte sie nun vier riesige Taschen, die sie kaum tragen konnte. Gerade ging sie an Bens Taxi vorbei, als sie stolperte und samt den Taschen vor ihm und dem anderen

Mann einen bühnenreifen Sturz hinlegte. Sofort war Ben zur Stelle und half ihr auf. „Haben Sie sich etwas getan? Soll ich Sie zum Arzt fahren? Los, steigen Sie ein. Ich fahre Sie.“ Und noch ehe Chayenne etwas erwidern konnte, hatte er sie bereits ins Taxi gesetzt und stieg selbst ein. „Also, eigentlich möchte ich nur nach Hause.“ meinte sie ein wenig verwirrt. Ben nickte und wollte das Auto anmachen. Himmel noch mal. Es ging ja gar nicht. Jetzt erst fiel es ihm wieder ein. Wütend schlug er auf das Lenkrad ein. Er hätte sie doch so gerne heimgefahren. „Ist etwas nicht in Ordnung?“ fragte Chay. „Oh, äh, ja, das Auto. Es springt nicht an.“ „Macht ja

nichts. Ich nehme mir einfach ein anderes.“ Schon war die junge Werbetexterin aus dem Taxi gestiegen und humpelte einem anderen entgegen. Ihr linkes Bein tat doch ein wenig weh. Ben sah ihr enttäuscht nach. Er hätte sie gerne näher kennengelernt. Doch sah Chayenne das genau so? In der Nacht von Sonntag auf Montag träumte Chayenne erneut von den Geschehnissen am Samstag. (In der

Nacht davor war es genau so. Sie konnte kaum schlafen. )Sie hatte zwar nicht so genau hingeschaut, aber da war etwas an diesem Taxifahrer gewesen, das ihr an ihm gefallen hatte. Als sie schließlich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie sich etwas schwach. Der Traum hatte sie sehr irritiert und hinzukam, dass sie immer wieder aufgewacht war und über IHN nachgedacht hatte. Er hatte ebenso dunkles Haar wie sie, aber intensiv grüne Augen, was Chayenne sehr mochte. Immer wieder sah sie sein Gesicht vor ihren Augen. Aber halt nein, so ein Schwachsinn. Sie hatte ja kaum

zwei Sätze mit ihm gewechselt. So was Kitschiges wie Liebe auf den ersten Blick gab es doch nur in billigen Groschenromanen. An so einen Humbug glaubte Chay nicht. Es lag bestimmt am Essen. Ja, das musste es sein. Ihr Abendessen, eine Tiefkühl-Pizza, war bestimmt verdorben und jetzt bekam sie Wahnvorstellungen. Vielleicht sollte sie Schmerzensgeld beim Hersteller verlangen. So etwas war doch nicht normal und musste dringend ins Fernsehen. Das würde ein schöner Skandal geben. Chay sah schon die Schlagzeile: Tiefkühl-Pizza verursacht böse Halluzinationen. Kundin erhält

Millionenentschädigung. Chay beschloss Hanna anzurufen. „Zakdoken. Guten Morgen“, meldete sich die Freundin verschlafen und gähnte erst einmal. „Morgen Hanna. Du, mir ist da vielleicht gestern etwas passiert.“ teilte Chayenne mit. Sofort war Hanna wach. „Schieß los!“ „Also, ich war doch Samstag shoppen.“ „Ja, und weiter? Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen“, murrte Hanna ungeduldig. Chay nahm tief Luft und erzählte dann von den Ereignissen am Sonnabend. „Und dann träume ich auch noch die ganze Nacht von diesem Taxifahrer. Was meinst du dazu?“ „Das ist ja mal echt verrückt. Ich

dachte, auf so etwas stehst du gar nicht.“ Chayenne schnappte nach Luft. „Denkst du jetzt etwa…? Nein, da muss ich dich enttäuschen. Ich träume garantiert nicht von der Liebe meines Leben und Hochzeit ganz in Weiß und all dem ganzen anderen Quatsch.“ Hanna merkte, dass ihre Freundin sauer war und lenkte ein. „Es tut mir leid. War nicht so gemeint. Hm, also du willst ihn wahrscheinlich nur richtig kennen lernen, und ich werde dir da gerne behilflich sein.“ „Danke Hanna, du bist wirklich meine beste Freundin. Oh, ich muss mich jetzt anziehen. Also dann, tschüß.“ Chayenne legte den Hörer auf die Gabel und sprang aus dem Bett.

Heute ging es ihrem Bein schon wieder besser. Nachdem sie mit einem Stück Erdbeerkuchen ihren Hunger gestillt hatte, hupte bereits das Taxi. Chay begab sich nach draußen. Als sie den Taxifahrer sah erschrak sie erst einmal. Das war der Taxifahrer. „Guten Morgen. Ihr persönlicher Chauffeur. Gestatten Benjamin Winter“, stellte sich dieser vor. Chayenne nickte. „Benjamin? Das ist zu lang. Ich nenn´ Sie Ben. Das ist wesentlich kürzer. Ich heiße Chayenne. Wenn Ihnen das zu lang oder zu kompliziert ist, haben Sie auch die Erlaubnis mich Chay zu nennen.“ Danach

stieg sie ein. Ben war sprachlos. Sie war es und sie gefiel ihm – sehr gut. Temperamentvoll war sie. Das fand er sehr sympathisch. Die Fahrt bis zur Sonnenblumenstraße 100, in der sich die Werbeagentur befand, war für den jungen Studenten viel zu schnell vorbei. Chayenne war ein richtiges Plappermäulchen und nahm sich nicht einmal kurz Zeit um Luft zu nehmen. Aber Ben störte das nicht. Er fand es toll und hörte ihr gerne zu. Chay steigerte sich gerade in ihre Geschichte über Mira und deren Freund hinein und merkte gar nicht, wie ihre Stimme immer lauter wurde und sie immer

schneller sprach. „Moment einmal.“ unterbrach Ben sie schließlich. „Nehmen Sie überhaupt noch Luft?“ Chayenne reagierte wütend. „Was soll denn das jetzt heißen? Darf man sich hier denn nicht einmal aufregen? Sie tragen ja nicht gerade viel zur Unterhaltung bei.“ beschwerte sie sich. Ben bemerkte: „Verzeihen Sie vielmals, aber mit einer Chili kann ich nicht mithalten.“ „Mit einer WAS?“ brüllte Chay. „Na, mit einer Chili. Sie haben das Temperament einer Chili. Ganz schon feurig. Man kann sich leicht verbrennen und sollte Sie nur mit Vorsicht genießen.“ Chayennes Kinn klappte nach unten. „WIE BITTE? Ich habe mich wohl

verhört.“ „Ich kann mich gerne wiederholen. Sie haben das Temperament einer Chili.“ Ben grinste. „Ach ja? Und Sie,… Sie haben das Temperament und den Habitus einer Birne. Sie sind fad, geschmacklos und nicht einmal schön anzusehen. Und außerdem heißt es der Chili oder die Chilischote.“ Sie erreichten gerade die Werbeagentur. Noch ehe Benjamin geparkt hatte, sprang Chayenne aus dem Wagen, warf ihm ein paar Geldscheine entgegen und murmelte: „Stimmt

so.“ Nathalie Sinclair betrat das Besprechungszimmer. Sie war an diesem Tag ungewöhnlich gut gelaunt, denn sie strahlte die ganze Zeit über wie ein Honigkuchenpferd. Das konnte man beim besten Willen nicht über Chay sagen. Sie kam schnaubend hinein und ließ sich mit unverständlichen Sprüchen auf ihrem Sitz nieder. Sogleich stöckelte Vera Hausler auf sie zu und sah sie fragend an. Chayenne winkte ab und begann

einige ihrer Locken um ihre Finger zu wickeln. „Frag nicht.“ „Tu ich ja auch nicht. Es tut mir wirklich leid, dass er schon eine Freundin hat.“ „Wer? Was? Ich verstehe gar nichts.“ Chay blickte geschockt zu ihrer Kollegin. Vera setzte sich. „Na, dieser Taxifahrer. Aber woher solltest du das denn auch wissen?“ „Moment mal. Wie kommst du denn darauf… und überhaupt woher weißt du überhaupt von ihm?“ Chayenne begriff es jedoch sogleich. „Hanna. Diese fiese Schlange. Sie sollte es doch niemanden sagen. Schöne Freundin.“ „He, ich bin doch auch deine Freundin!“ Wütend stand Vera wieder auf. Chayenne tat es sofort leid. „Ach, Vera, das war nicht so

gemeint. Mich hat nur der Taxifahrer wieder aufgeregt. Hat mal wieder so lange gebraucht.“ Sie wollte jetzt lieber nicht beichten, dass es der Taxifahrer war, um weiteren Fragen zu entgehen. Schließlich fragte die Chefin nach Vorschlägen für die Schokoladen-Werbung. Melody Gärtner, eine kleine, zierliche Frau Ende Dreißig, die nie gerne im Mittelpunkt stand, wollte unbedingt eine ganz einfache und schlichte mit dem Slogan „Lecker, diese Surprise Chocolate.“ Amber Roof dagegen, die sowohl äußerlich als auch vom Charakter her das genaue Gegenteil von Melody war, bestand auf eine

pompöse Werbung. „Ganz viele Menschen sind auf der Straße; alle essen die Schokolade und sind glücklich. Sie tanzen und…“ „Danke.“ Frau Sinclair unterbrach sie und fragte nach Sophies Meinung. „Na ja, ehrlich gesagt, ist es fast wie Amber. Ich habe mir folgendes gedacht: Alles ist schwarz-weiß; schlechtes Wetter. Die Menschen sind unglücklich. Und plötzlich taucht ein buntes und fröhliches Lebewesen auf und gibt ihnen Surprise- Chocolate. Nach und nach wird alles bunt und alle werden wieder glücklich.“ Nathalie nickte anerkennend. „Da könnte man etwas draus machen. Chayenne?“ Chay schreckte auf. „Entschuldigen Sie, haben

Sie mich etwas gefragt?“ „In der Tat, ich wollte wissen, wie Ihr Vorschlag lautet?“ „Me… mein Vorschlag?“, stotterte die Fünfundzwanzigjährige und merkte gar nicht, dass sie nun auch mit der anderen Hand nach ihren Haaren griff „Ich muss sie leider enttäuschen, aber leider ist mir noch nichts eingefallen. Sie erwarten doch sicher eine grandiose Werbung und keinen kinderbunten Firlefanz?! Entschuldigt, Amber und Sophie, aber eure Ideen sind der allerletzte Müll. Ich werde die perfekte Werbung finden. Aber gute Ideen brauchen eben Zeit. Und die bekomme ich doch auch. Denn Sie wissen ja, Sie brauchen mich, und nicht

ich Sie. Also, sind wir uns einig?“ „Äh, selbstverständlich. In Ordnung, die Besprechung ist hiermit beendet.“ Nach diesen Worten ging Frau Sinclair nach draußen. Es war so typisch für sie, dass sie Besprechungen mit ihren Angestellten und Meetings abrupt abbrach. Chayenne folgte ihrer Chefin und sie konnte fühlen, dass Amber und Sophie sie mit giftigen Augen verfolgten. Gott sei dank konnten Blicke nicht töten. „Mutter, ich bin da.“ Benjamin trat in

das Haus seiner Eltern ein, von dem er immer noch einen Schlüssel hatte. Da sprang ihm auch schon Astor begeistert entgegen. „Ja, mein Guter. Freust du dich, dass ich wieder da bin?“ Liebevoll kraulte er den Hals des Dobermanns und rief dann erneut nach seiner Mutter. Endlich reagierte sie. „Wir sind draußen.“ Ben ging auf die Terrasse. Dort fand er seine Eltern, seine Schwester Evelyn samt ihren Ehemann und Kindern vor. „Ben?“ Evelyn sprang auf. Sie wohnte in Griechenland, genauso genommen auf Kreta und kam nur selten zu Besuch. Eigentlich sollten sie erst am nächsten Tag eintreffen, aber Evelyn konnte es kaum erwarten, ihrer

Familie ihre beiden Töchter vorzustellen und so waren sie dann doch früher angereist. Die Geschwister umarmten sich. Danach sah Ben seine Schwester minutenlang an, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Wie schön wie geworden ist, dachte er. Und wie glücklich sie aussieht. Noch vor ein paar Jahren war das nicht der Fall. Evelyn war schon immer etwas kräftiger. Es hatte ihr aber nichts ausgemacht. Doch das änderte sich schlagartig, als sie erfuhr, dass sie einen Tumor in der Lunge hatte und ihr damaliger Freund verkündete, dass er sie für ihre beste Freundin, die wesentlich schlankere Zoé, verließ. Damals wusste Evelyn nicht mehr weiter und wollte

ihrem Leben ein Ende setzen. Doch dann lernte sie Christopher, ihren jetzigen Mann, kennen. „Ben?“ Evelyns Stimme durchbrach Bens Gedanken. „Ist alles in Ordnung?“ erkundigte sie sich besorgt. Erst jetzt merkte er, dass er Tränen in den Augen hatte. Er war nur so unendlich glücklich, dass sie den Tumor besiegen konnte und einen Mann hatte, der sie respektierte und sie auch nicht verändern wollte. Benjamin wisperte nur: “Ich freue mich so sehr, dich wieder zu sehen.“ Noch einmal drückte er seine drei Jahre ältere Schwester und begrüßte dann auch seine Eltern, Christopher und seine beiden kleinen Nichten, die Zwillinge Celina und

Yasmin. Sie waren am fünften Februar auf die Welt gekommen, also fast ein halbes Jahr alt. Frau Winter fragte ihren Sohn, ob er an diesem Tag irgendwas Spannendes erlebt hatte und Benjamin begann zu grinsen und erzählte dann schließlich, dass er wieder die schöne, junge Frau getroffen hatte, dass sie Chayenne hieß und bei „Aristokrates“ arbeitete und wie wundervoll sie sei. Evelyns Augen leuchteten plötzlich, sie setzte sich auf die Lehne von Bens Stuhl und legte einen Arm um seine Schultern. „Wie süß. Mein kleiner Bruder ist verliebt. Hm, wann werden wohl die Hochzeichtsglocken läuten? Da dam da dam…“ Sie schwang ihre Arme wie ein

Dirigent und grinste. Benjamin sah seine Schwester an. „Noch nicht, aber ich hoffe bald.“ Chayenne ließ die Tür mit einem lauten Knall zufliegen. „Was ist denn nur mit dir los?“ fluchte sie über sich selber, als sie wieder zuhause war. Die Begegnung mit dem Taxifahrer hatte die junge Frau vollkommen verwirrt; sie, die selbstbewusste Chayenne, die alles schaffte, was sie sich vornahm. „Reiß dich zusammen, Chay.“ Ermahnte sie

sich noch einmal. „Vergiss diesen Taxifahrer. Der ist es nicht wert, sich über ihn den Kopf zu zerbrechen. Du kannst doch jeden haben.“ Ja, das konnte sie wirklich. Mit ihrem Charme und ihrer unkomplizierten und offenen Art hatte sie schon so manches Herz erobert. Aber es war nie etwas richtig Ernstes. Wenn es zu viel wurde oder man versuchte ihre Freiheit einzuschränken machte sie einfach Schluss. „Und so wird es auch dieses Mal sein. Ha.“ Dann wurde es ihr bewusst, dass sie ihn ja erst zweimal kurz gesehen hatte. Und da machte sie sich jetzt schon solche Gedanken? War sie etwa doch verliebt? Chayenne schüttelte heftig den Kopf.

„Ich und verliebt? Nie im Leben. Schließlich will ich mal berühmt und erfolgreich werden. Da bleibt nun wirklich keine Zeit, um sich über einen Kerl aufzuregen.“ (Hm, ob sie sich da so sicher ist? Sonst ist Chayenne nie so. Ich glaube, da entwickelt sich was.) Chay nahm eine eiskalte Dusche, um wieder klar im Kopf zu werden. Dann machte sie sich ihr Abendessen: eine Gulaschsuppe und dazu Vollkornbrot. „Wird Zeit, dass ich mir mal etwas für diese Surprise-Chocolate ausdenke.“ Doch daraus wurde nichts. Das Telefon klingelte. „Guten Abend. Chayenne Sommer.“ meldete sie und kaute weiter

an ihrem Brot. „Huhu, Chay. Ich bin’s.“ Natürlich Hanna. Wer sonst. (Vielleicht bringt die Chayenne mal auf andere Gedanken?) Chayenne musste lachen. „Oh, hey Hanna. Freut mich deine Stimme zu hören. Was liegt denn an?“ „Hast du Lust heute noch mal ins Tazzo zu gehen? Wir könnten ja wieder Vera mitnehmen.“ Jetzt begann Chay zu strahlen. „Gute Idee. Das ist genau das, was ich jetzt brauche.“ „Prima. Ich hole euch in zehn Minuten ab. Bis

gleich.“ Die drei Freundinnen saßen gemütlich und jede mit einer Tasse Latte Machiato bewaffnet im Café Tazzo. Es war ein herrlicher Abend. Die Sterne strahlten um die Wette, so als ob es einen Preis für den am hellsten erleuchteten gäbe. Chayenne nippte an ihrem Getränk. Hanna sah ihre Freundin an. „Was hast du denn, Chay?“ Die legte eine Hand auf ihre glühende Stirn. „Ich weiß auch

nicht. Der Stress auf der Arbeit. Mir will einfach keine gute Idee bezüglich dieser Helen-Chocolate einfallen.“ „Du siehst auch gar nicht gut aus. Du solltest in der Firma kürzer treten. Wann hast du zuletzt Urlaub gemacht; ich meine so richtigen. Wegfahren, den ganzen Tag faul in der Sonne liegen,“ bemerkte Vera. Chayenne sah sie entsetzt an. „Ich liebe meine Arbeit. Ich gehe zu hundert Prozent in ihr auf. Ich brauche die Arbeit wie andere die Luft zum atmen.“ Hanna und Vera schauten sich an. Es bestand keinen Zweifel, der Urlaub für ihre Freundin war schon lange überfällig. Schließlich ergriff Hanna die Initiative. „Chayenne, Vera und ich

mögen dich wirklich sehr und wir möchten nur das Beste für dich. Deshalb sind wir überzeugt, dass du einen Urlaub mehr als verdient hast. Ich hätte auch schon ein Urlaubsziel. Wie wäre es mit einem Traumurlaub in der Karibik? Sonne, Strand und Palmen und mittendrin wir drei Mädels.“ „Halt!“, warf Vera ein, „Ägypten würde mich da schon eher reizen. Ich wollte schon immer ins Tal der König und das Grabmal des berühmten Tut-Ench-Amuns besichtigen. Wer ist dabei?“ Hanna lachte und meldete sich wie eine vorbildliche Schülerin. Nur Chayenne zögerte. „Also, ich weiß nicht. Wir können doch nicht einfach so Urlaub

nehmen. Der Surprise-Auftrag ist sehr wichtig für unsere Chefin. Vera nickte. „Ja, du hast recht. Aber lass das mal meine Sorge sein. Ich regel das schon. Also?“ Chayenne wiegte den Kopf hin und her. Die anderen beiden wussten, dass sie gewonnen hatte und jubilierten innerlich, als Chay endlich seufzte: „Na schön, wenn du es schaffst, dass wir beide frei bekommen, soll es mir recht sein.“ „Ich bin so müde.“ Benjamin gähnte

herzhaft. Heute war ein besonders anstrengender Arbeitstag gewesen. Im Moment hatte er Semesterferien. Diese Zeit nutzte er um seinen Geldbeutel als Taxifahrer aufzubessern. Es war der einzige Job, den er bekommen hatte. Der Dobermann Astor (bedeutet Falke) hüpfte fröhlich bellend um sein Herrchen herum. Dieser lachte: „Nein, nein, Astor. Es tut mir leid. Wir sind genug gerannt. Morgen wieder.“ Ben kraulte seinen Vierbeiner. Danach legte er sich gleich schlafen. Durch einen dumpfen Knall wurde er jedoch aus seinen Träumen gerissen. Astor kam ins Schlafzimmer gestürzt und kläffte das

Fenster an. Sofort sprang Benjamin aus dem Bett. „Was war das?“ murmelte er noch etwas ruhebedürftig. Dann sah er hinaus. Es war eine sternklare Nacht. Da war doch niemand. Oder doch? Da er von Natur aus etwas ängstlich war, wich er einen Schritt zurück. Doch die Neugier war schließlich stärker. Also trat er entschlossen an das Fenster und blickte hinaus. Im Garten war niemand. Erleichtert atmete er wieder aus und sah seinen Hund an. „Astor, siehst du? Da ist nichts. Du brauchst dich also nicht zu fürchten.“ Doch der Dobermann sah immer noch mit gesträubtem Fell nach draußen und knurrte. „Jetzt sei aber ruhig!“ sagte Benjamin wütend. „Da ist

nichts und du brauchst auch keine Angst zu haben.“ Um dies zu unterstreichen, öffnete er das Fenster. „Siehst du?“ Grinsend wechselte sein Blick von Astor zum Garten. In diesem Moment ein Krächzen. Da war doch jemand, oder besser gesagt etwas. „Ahhhhhhhhhhh...“ Vor Schreck ging Ben rückwärts und stolperte über die alte Kiste von seiner Großmutter. Dieses Etwas flatterte ins Zimmer. Zitternd schaffte es Benjamin gerade noch an den Lichtschalter. Als er das „Ungeheuer“ sah, musste er lachen. „Eine Eule. Sie muss gegen die Fensterscheibe geflogen sein.“ Er entließ den nächtlichen Besucher wieder in die Freiheit und legte sich wieder ins Bett.

Einschlafen konnte er noch nicht. Viel zu sehr musste er über die Situation lachen. „Das sagen wir keinem“, bläute er dem Dobermann ein. Der nächste Morgen. Benjamin spurtete zur Bushaltestelle. Endlich in Willental angekommen, lief er sofort zu seiner Arbeitsstelle und wartete auf neue Kundschaft. Zur selben Zeit standen Chayenne und Vera vor ihrer Chefin und baten diese

um Urlaub. Frau Sinclair war alles andere begeistert. „Der Surprise-Auftrag ist wirklich wichtig. Wir müssen ihn bekommen. Habt ihr mich verstanden?“ Die beiden Angestellten nickten. „Das habe ich doch gewusst. Was hat sich Vera nur dabei gedacht nach Urlaub zu fragen? Halt. Ich wollte ja selbst Urlaub. Aber manchmal muss man seine eigenen Wünsche einfach unterordnen“ dachte Chayenne. Doch Vera ließ nicht locker. „Was, wenn wir Ihnen noch diese Woche eine 1A-Werbekampagne vorlegen, bei denen selbst die Sterne vor Neid verblassen würden?“ Nathalie wippte mit dem Fuß. „Gleich haben wir sie“, wisperte Vera zu Chay. Und tatsächlich

die Chefin schien kompromissbereit zu sein. „Also einverstanden. Eine unglaublich gute Kampagne bis spätestens Freitag. Dann dürft ihr meinetwegen übernächste Woche frei machen.“ „Oh ganz bestimmt.“ Vera klatschte in die Hände. „Nicht wahr, Chayenne?“ Chayenne war sprachlos. Sie hob und senkte nur ungläubig den Kopf. Eine ganze Woche Urlaub gestattet zu bekommen? Davon –so hatte sie bisher immer nur angenommen- konnte sie in diesem Unternehmen nur träumen. Nach der Arbeit setzte sie sich sofort an den Schreibtisch. Auf der Arbeit war ihr keine brauchbare Idee

eingefallen. Chayenne wirbelte den Stift zwischen ihren Fingern. Sie kaute nervös darauf herum. Sie stand auf und holte sich ein Glas Sprudel. Sie trank es gierig aus und plumpste anschließend wieder auf den Stuhl. „Na komm schon, Chay. Dir muss doch etwas einfallen,“ ermahnte sie sich selbst. Schließlich sagte sie laut: „Natürlich könnten Sie auch irgendeine Schokolade essen. Aber warum das Gewöhnliche, wenn man auch das Besondere genießen kann?“ Diese Idee verwarf sie gleich wieder. Chayenne ließ sich vor dem Fernseher nieder. Dort lief gerade der Film „Schneetraum“, der im

Winter spielte. Fasziniert starrte sie die Schneeflocken an, die leichtfüßig und elegant auf die Erde fielen. „Die Werbung wird im Oktober, November ausgestrahlt,“ grübelte sie. Und da fiel Chay die gute Idee ein. Am nächsten Tag präsentierte sie das Konzept und die Besitzerin der Werbeagentur nickte anerkennend. „Morgen in der Mittagspause buchen wir den Urlaub“, säuselte

Vera. 12:00 Uhr am darauf folgenden Tag. Mittagspause. Chayenne schlenderte gemütlich in die Küche der Werbeagentur, um sich einen Kaffee zu kochen und ihren Himbeerjoghurt aus dem Kühlschrank zu nehmen. Doch dazu kam es nicht mehr. Vera packte die Freundin am Arm. „Du hast doch wohl nicht vergessen, was wir heute vorhaben?“ Chayenne schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. Aber einen

Kaffee darf ich mir doch noch genehmigen?“ „Keine Zeit. Na, komm schon, Chay. Das Taxi ist schon da.“ Vera kramte ihren Geldbeutel hervor. „Du zahlst den Hinweg, ich den Rückweg. Das ist doch mehr als fair?“ Fröhlich zog sie ihre Arbeitskollegin hinter sich her. Vor dem Gebäude stand tatsächlich bereits das Taxi. Chayenne schnaufte. Mensch ist das heute wieder heiß, dachte sie. (Ja, es ist eine Affenhitze. Gleich wird es dir noch wärmer. Schau nur, wer der Taxifahrer ist.) Die beiden Freundinnen stiegen ein. Im Auto war es angenehm kühl. Chay ließ sich auf den Rücksitz plumpsen. „Gott sei Dank hat dieser Wagen hier

eine Klimaanlage.“ Benjamin konnte seinen Augen und Ohren nicht trauen. Es war Chayenne. Mensch, jetzt sag schon einen frechen Spruch, sagte er in Gedanken zu sich selbst. „Hallo Chili!“ meinte er schließlich. Chay sah erst verdutzt aus. Doch schnell verstand sie und konterte: „Hallo Birne!“ Vera allerdings sah verwirrt von einem zum anderen und stupste ihre Freundin an. Chay legte ihre Hand an den Mund und flüsterte: „Das ist der Taxifahrer. Aber sag nichts.“ „Ich doch nicht“, scherzte Vera. Doch sie konnte nicht ihren Mund halten und plärrte los: „Ach, dann sind Sie die Birne, von der sich meine Chayenne den Magen verdorben hat?

Jedenfalls konnte sie die letzten Nächte kaum schlafen. Sie sah nicht gerade gut aus.“ Chay atmete tief ein; dabei verschluckte sie sich und musste heftig husten. Doch Vera schaute sie wie ein Unschuldslamm an. „Was habe ich denn Falsches gesagt?“ Ben kicherte. Trotzdem wollte er nicht weiter auf die Sache eingehen. „Wo darf es denn hingehen?“ fragte er schließlich höflich. Chayenne konnte immer noch nicht antworten, also übernahm ihre Kollegin für sie. „Zum Happy Holiday Reisebüro, bitte. Und wenn ich das sagen darf. Ich liebe Birnen. Ich finde sie überhaupt nicht fade.“ Für diese Aussage bekam sie von ihrer Sitznachbarin einen Knuff in

die Rippen. Der werde ich überhaupt nichts mehr sagen, überlegte Chayenne während das Taxi sich Richtung Reisebüro bewegte. Plötzlich kam Benjamin ein Geistesblitz. Er musste erfahren, welche Reise die beiden Frauen buchen wollten. Er überlegte wie er geschickt vorgehen sollte, um das Reiseziel zu erfahren. „Sie wollen also verreisen. Im Sommer? Wohin denn? In die Arktis?“ Chayenne lachte auf. „Ja klar doch. Wir wollen die Eisbären beobachten. In freier Wildbahn.“ Vera konnte sich ein Grinsen nicht unterdrücken. „Unsere Chay. Immer so witzig. Also wir sind so verrückt und möchten –trotz super Wetter hier- nach

Ägypten. Genau genommen ins Tal der Könige. Eine Woche. Vielleicht sagt Ihnen Tut-Ech-Amun etwas?“ Ben nickte. „Selbstverständlich. Sein Grab wollte ich schon immer mal besuchen. Bisher bin ich immer nur nach Kreta gereist. Dort wohnt nämlich meine Schwester.“ „Das ist ja prima. Chay ist der wohl größte Griechenland-Fan. Das behauptet sie jedenfalls immer.“ „Das reicht,“ fauchte Chayenne. „Ich möchte bitte hier aussteigen.“ Vera sah ihre Freundin an. „Warte, das Reisebüro ist doch gleich da drüben.“ Gerade musste Benjamin bremsen, da die Ampel auf Rot geschaltet hatte. Diese Gelegenheit nutzte Chay um aus dem Auto zu

springen. „Vera zahlt,“ schnaubte sie nur und knallte die Tür mit voller Wucht zu. (Oh, oh, da ist jemand aber schlecht gelaunt. Und das bei so schönem Wetter.) Chayenne stapfte zu Fuß Richtung Reisebüro. Da die Ampel jedes Mal so lange auf Rot eingestellt war, schaffte sie es schneller als das Taxi. „Hallo Geelke. Heiß heute nicht wahr?“ Die Reiseverkehrskauffrau lächelte. „Hallo Chayenne. Möchtest du vielleicht ein kühles Glas Eistee?“ Chayenne Sommer nickte und setzte sich. Geelke stand auf und schüttete zwei Gläser eiskalten Zitronentee ein. „Bitteschön.“ „Danke.“ „Womit kann ich dir behilflich sein?“ „Ich würde gerne verreisen, in die

Kälte. Norwegen wäre toll. Wäre da übernächste Woche noch ein Platz bei einer Fluggesellschaft frei?“ fragte Chayenne und sah ihr Gegenüber bettelnd an. „Einen Moment.“ Geelke tippte etwas auf ihrer Tastatur ein. Währenddessen öffnete Chayenne ihren Pferdeschwanz und schüttelte ihr langes Haar durch. Ich sollte meine Haare etwas kürzer schneiden lassen, überlegte sie. „Chayenne, es tut mir sehr leid. Es sind keine Plätze nach Norwegen mehr frei.“ „Schweden? Dänemark?“ „Ich schaue nach.“ In diesem Moment stolperte Vera hinein. Geelke schaute freudig vom Bildschirm auf. Noch mehr Kundschaft, endlich, dachte sie. Zurzeit gab es kaum

etwas im Reisebüro zu tun. Andere Kunden waren nicht da. Die meisten buchen doch online, meinte sie in Gedanken. „Nein, leider sind hier auch keine Plätze mehr vorhanden. Wie wäre es mit Kroatien?“ Sie setzte ihre Brille ab und drehte einer ihrer violett gefärbten Locken um ihren Finger. Vera sah enttäuscht aus. „Wie, nach Ägypten ist alles belegt?“ Chayenne blickte ihre Arbeitskollegin wütend an. „Ich will da jedenfalls nicht hin. Also Kroatien… da war ich noch nie. Einverstanden.“ Die Reisebüroangestellte schaute von einer zur anderen. „Also, bei Kroatien gibt es für übernächsten Montag noch fünfzehn Plätze bei Namto Airlines und Ägypten

sehe ich noch dreißig bei Flying Kairo.“ Vera entschuldigte sich bei ihrer Freundin und warf ein, dass sie nicht mehr viel Zeit hätten und jetzt buchen sollten. „Die Mittagspause ist doch bald vorbei und wir müssen noch den Bus bekommen. Mit dem Taxi willst du ja sicher nicht mehr fahren.“ Chayenne bejahte und murmelte schließlich: „Hanna ist noch nicht da. Wir können aber nicht warten. Sollen wir gleich drei Plätze reservieren?“ „Nein. Ich meine es sind ja noch 28 freie Sitzplätze. Das kann sie dann später selbst erledigen.“ Sie suchten sich noch ein Hotel aus und buchten dann die Reise ins Land der Pharaonen zum

Last-Minute-Preis.Danach gingen sie zum Bus, der sie zwanzig Meter von der Werbeagentur absetzte. Was die beiden Freundinnen nicht ahnten. Benjamin betrat in diesem Moment das Reisebüro. Er hatte in der Nähe gewartet, bis sie in den Bus gestiegen waren. Wenn jemand ins Taxi stieg, brüllte er den Fahrgast nur an: „Mittagspause!“ Er wusste selbst, dass er unhöflich gewesen war, aber es musste sein. Geelke dachte, heute müsse ihr

Glückstag sein. Benjamin war genau ihr Typ. Also beeilte sie sich und reichte ihm sogleich ein Glas Eistee. Doch er winkte ab. „Ich will eine Reise nach Ägypten. Übernächste Woche,“ grummelte er. Mensch ist der mürrisch, dachte Geelke. „Wie gedenken Sie zu reisen? Per Flugzeug oder Esel?“ fauchte sie zurück. Ben merkte, dass sie sauer war und versuchte zu beschwichtigen. „Flugzeug wäre schon schön. Ich möchte einem Esel nicht die lange Reise zumuten,“ versuchte er zu scherzen. „Also es wäre sehr nett, wenn noch ein Plätzchen für mich frei wäre.“ „Also Herr …“ „Winter. Benjamin Winter.“ „Ah ja Herr Winter. Bei Flying Kairo

könnte ich sie noch am Montag in zwei Wochen unterbringen.“ „Vielen Dank Frau… Frau Grill,“ las er vom Namensschild ab. „Und könnten Sie mir vielleicht ein Hotel empfehlen?“ Geelke nickte: „Gerade haben mich zwei junge Frauen das selbe gefragt. Ganz klar, ich empfehle Ihnen das ,Nofretete‘.“ Benjamin grinste. Besser konnte es gar nicht laufen. „Das nehme ich.“Die Tür ging auf. Eine Frau mit knapp schulterlangen, rötlichen Haaren kam herein: Hanna. Geduldig stellte sie sich hinten an. Sie hatte gerade mit Chayenne gesprochen und erfahren, dass die beiden bereits gebucht hatten und noch genügend Plätze frei waren. Geelke

dachte nur: Was ist denn heute los? Sie bestätigte die Buchung und verabschiedete den Medizinstudenten, der überglücklich nach draußen schlenderte.„Guten Tag.“ Hanna lachte und ließ sich auf dem bequemen Sessel nieder. „Was kann ich für Sie tun?“ fragte Geelke Grill freundlich. „Ich würde gerne die Reise mit Flying Kairo buchen. Hotel Nofretete. Übernächsten Montag.“ „Das scheint ja jetzt jeder zu wollen.“ Dann tippte die Reiseverkehrskauffrau die gewünschte Reiseroute in den PC ein. Doch kann stockte sie. „Es tut mir leid. Gerade erst habe ich den letzten freien Platz reservieren lassen.“ Hanna schüttelte den

Kopf. „Das kann nicht sein. Meine Freundin Chayenne hat mir gesagt, dass noch 28 Plätze frei sind.“ „Ich hatte mich verlesen. Es waren nicht mehr dreißig, sondern nur noch drei. Zwei davon haben Chayenne und Frau Hausler. Der Mann eben hat den letzten bekommen.“ „Und bei einer anderen Fluggesellschaft?“ „Leider nicht. Alles ausgebucht. Wie wäre es mit Kroatien?“ Hanna stand auf. „Eine bodenlose Frechheit ist das!“ „Vielleicht Frankreich oder Island?“ Doch das hatte Hanna schon nicht mehr gehört. Sie stürmte aus dem Reisebüro und rief sofort Chayenne an, um ihr von der „guten“ Nachricht zu

erzählen Nach der Arbeit beschloss Chayenne mit Hanna shoppen zu gehen. Also klingelte sie bei der Freundin durch. Die sagte zu und stiefelte zur Garage, um ihr Auto zu holen. Chayenne rannte ihrer Freundin entgegen und umarmte sie. Sie blickte zum Wagen und meinte: „Ach Hanna. Nach dem Urlaub werde ich mir auch ein Auto kaufen. Man ist sonst so angewiesen. Und erst die Taxifahrer heutzutage.“ „Hm, aber du hast doch selbst gesagt, du wolltest keinen Wagen. Bei der Agentur kann man schlecht

parken und für sonstiges gibt´s ja Taxis, Busse und Bahnen. Deine Worte.“ „Das stimmt. Aber trotzdem. Das würde mich unabhängiger machen.“ Hanna nickte. Die beiden hockten sich ins Auto, einen dunkelblauen Honda Jazz. Ein knuffiger Wagen. So einen will ich auch, dachte Chayenne schmunzelnd. Sie kamen am Supermarkt „Sonnenkauf“ an. Wie immer war um diese Zeit dort die Hölle los. Hanna manövrierte geschickt das Auto in eine enge Parklücke. (Und das auch noch rückwärts. Respekt!). Chay holte ihre neue, schicke Tasche in herrlichem smaragdgrün. Außerdem zeigte sie ihren

neuen Geldbeutel aus schwarzem Kunstleder. „Zeitlos, nicht wahr?“ Sie klatschte begeistert in die Hände. Ihre Nachbarin lachte. Die beiden betraten den Supermarkt. Zur selben Zeit stand Benjamin in der Gemüse- und Obstabteilung und schaufelte jede Menge Kirschen in die Tüte. Chayenne kaufte Vollkorn- und Hanna Roggenbrot. „Ich hätte noch Lust auf Erdbeeren,“ sagte Hanna und machte sich auf den Weg dorthin. „Bring mir ein Schälchen mit. Ich gehe noch zur Käsetheke.“ „Also klar, Chay. Wir treffen uns dann…“ „Beim Fisch. Ich würde noch gerne Alaska-Seelachs

kaufen,“ unterbrach Chay. „Einverstanden. Beim Fisch.“ Nachdem sie alles zusammen hatten, marschierten sie zur Kasse 5. Ben stand an Kasse 11 an. Chayenne packte die Sachen in ihre Tasche und zahlte. Auch Benjamin war jetzt an der Reihe. Er war schon spät dran und musste sich beeilen. Schließlich musste er ja noch Astor bei seinen Eltern abholen. Also knallte er das Geld auf den Tresen und griff nach seinen Einkäufen: eine Tüte Kirschen, eine Flasche Orangensaft und Toastbrot. Sogleich begann er zum Ausgang zu flitzen und übersah dabei Chayenne. Ihre

Tasche flog im hohen Bogen auf den Boden. Auch Bens Sachen fielen herunter samt seinem Geldbeutel, den er immer in der Hand trug. „Das ist ja wohl die Höhe!“ keifte Chayenne los. „Was fällt Ihnen ein?“ Jetzt sah sie nach oben und erkannte, wer sie gerammt hatte. „SIE??? Das darf doch nicht wahr sein. Immer wenn Sie auftauchen, passiert ein Unglück.“ „Es … ttttut mir llleid,“ stotterte Ben und half ihr die Einkäufe in die Tasche zurückzulegen. Doch die Werbetexterin konnte und wollte sich nicht beruhigen. Sie schnappte sich ihren Geldbeutel, stopfte ihn in die Tasche und blaffte den Medizinstudenten an: „Es tut Ihnen leid? Bla bla bla. Sie sind ein

Volltrottel, ein Schwachkopf. Wie kann man aber auch so bescheuert sein? Ihre Augen sind wohl nur Deko, oder was?“ „Chay, beruhige dich doch. Er hat sich doch entschuldigt,“ mischte sich Hanna ein. Doch da erkannte sie den jungen Mann. „Sie?“ zickte sie nun auch. „Sie haben mir doch den letzten freien Platz weggeschnappt! Sie Idiot! Komm, Chay, wir gehen.“ Chayenne konnte das gar nicht richtig realisieren. Ben hatte also den letzten freien Platz im Flugplatz ergattert? Die Freundinnen fuhren nach Hause. Chay lagerte ihre Einkäufe ein. Es tat ihr leid, dass sie Ben so angeblafft hatte. Es war ja schließlich keine Absicht gewesen und warum auch

immer, war sie noch nicht einmal sauer, dass Hanna wegen ihm nicht mitfliegen konnte. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie eben so fies gewesen war und wollte es wieder gutmachen. Sie hasste ihren Jähzorn. Auch Benjamin musste das erst verdauen. Kurz überlegte er sogar, die Buchung zu stornieren. Aber er besann sich, dass er bereits den Job bei der Taxizentrale gekündigt hatte. Das sollte nicht umsonst gewesen sein. „Außerdem sind ja

Semesterferien,“ murmelte er. „Ich werde es auch so schaffen und wenn ich wieder da bin, suche ich mir ganz einfach einen neuen Job. Bei seinen Eltern angekommen, konnte er bereits wieder lachen. Chayenne, du hast mir ja ganz schön den Kopf verdreht, ging es durch seinen Kopf. Er klingelte. Evelyn öffnete die Tür und fiel ihrem Bruder um den Hals. „Na kleiner Bruder. Geht´s dir gut?“ Ben nickte und betrat das Haus, wobei Astor ihn bellend umrundete. „Ja, mein Guter. Du hast mir auch gefehlt.“ Er kraulte die Schnauze des Dobermanns, was dieser über alles liebte. „Ähm, also, ich hätte

eine Frage,“ gab er zögerlich von sich, als seine Mutter auftauchte. „Raus damit, Benjamin!“ erwiderte sie. „Also, könntest du… wärt ihr so gut und würdet übernächste Woche auf Astor aufpassen? Ich bin weg.“ Frau Winter sah ihren Sohn verwirrt an. „Wie weg?“ „Ich fliege nach Ägypten. Ich mache eine Woche Urlaub.“ „Und deine Arbeit?“ Ben lächelte zerknirscht. „Gekündigt!“ „Nein!“ donnerte seine Mutter, „Wieso? Doch nicht… nicht wegen diesem Mädchen?“ Evelyn konnte den Blick ihres Bruder nur zu gut deuten. „Oh doch, Mama. Du hast richtig geraten. Stimmt´s, Ben?“ „Äh, ja, der Kandidat hat 100 Punkte.“ Doch Frau Winter fand

es alles andere als lustig. „Deine Schwester kommt extra aus Griechenland her. Du siehst sie nur einmal im Jahr und jetzt willst du diesem Mädchen nachfliegen. Evelyn nahn die Hand ihrer Mutter. „Bitte reg dich nicht auf. Wir fliegen erst in 3 Wochen zurück. Da ist Ben ja noch da. Vielleicht kann er uns ja auch in Kreta besuchen.“ Benjamin strahlte und gab seiner Schwester einen Kuss. „Jawohl, das mache ich. Und jetzt lade ich dich zum Essen ein, Ev.“ „Gerne.“ Frau Winter äußerte sich. „Ihr könnt unseren Wagen haben.“ Ben umarmte seine Mutter. „Danke.“ Die Geschwister kehrten in die Pizzaria „La Mare“ ein und ließen sich Pizza und

Salat schmecken. Daraufhin ließ Ben den Kellner kommen und verlangte die Rechnung. Also er zahlen wollte, fiel ihm auf, dass er ziemlich viel Geld dabei hatte. „Moment, da stimmt was nicht.“ Aber es war doch sein Geldbeutel: schwarzes Kunstleder. Er schaute ihn sich genauer an. Innen steckte ein Ausweis. „Chayenne Felicitas Sommer? Oh nein.“ Da dämmerte es ihm. Der Zusammenstoß im Supermarkt! Ben klärte seine Schwester auf. Diese übernahm die Rechnung und forderte ihn auf, Chayenne sofort den Geldbeutel zu

bringen. Chayenne hatte heute keine Lust zu kochen, also bestellte sie Frühlingsrollen und Bami Goreng beim China-Lieferservice. Während sie wartete, schlüpfte sie in Flip Flops und blickte aus dem Fenster auf ihren großen Garten. Dort stand kein einziger Baum und es wuchs außer Unkraut und Gras nichts. Ich habe einfach keinen grünen Daumen, redete sie sich selbst

ein. Sie legte eine entspannte Gurkenmaske auf, denn das Essen würde erst in einer halben Stunde geliefert werden. Doch in diesem Moment schellte es. Chayenne wunderte sich, dass die Lieferung schon eingetroffen war. Ohne sich über ihr Aussehen Gedanken gemacht zu machen, öffnete sie die Tür. Es war nicht der Lieferservice. Es war Ben. Chay schrie vor Schreck auf und knallte die Tür zu. Dann rannte sie ins Badezimmer, um sich die Maske abzuwaschen. Was sie in der Eile nicht mitbekommen hatte, war, dass die Tür

wieder aufgeflogen war. Ganz vorsichtig lugte Ben hinein. Zaghaft rief er ihren Namen. Als sie nicht antwortete, schlich er sich ins Haus und setzte sich ins Wohnzimmer. Chayenne kam aus dem Badezimmer. (Na, die wird gleich einen Riesenschreck bekommen!) Sie sah Ben und holte gerade zum Angriff aus. Benjamin hob die Hände. „Bevor du losbrüllst, Chili. Ich habe hie etwas für dich.“ Geschwind zog er den Geldbeutel aus seiner Hosentasche. Die Fünfundzwanzigjährige krallte sich den Portmonee. „Woher hast du den?“ keifte sie sogleich. „Das ist meiner. Du hast ihn gestohlen. Dieb!“ „Nein, du hast meinen. Wir haben sie nach dem

Zusammenprall vertauscht.“ „Das kann nicht sein. Ich habe meinen in meine Tasche gesteckt. Das weiß ich ganz genau. Wenn er da jetzt nicht drin ist….“ Ungläubig sah sie in ihre Tasche und holte den gleichen schwarzen Kunstledergeldbeutel heraus. „Oh, äh. D..das tut mir leid.“ Sofort wurde sie knallrot. Sie hatte ihn erneut angefaucht. So war das nun mal mit dem Jähzorn. Den hatte auch immer ihre Mutter gehabt. Erst etwas tun oder sagen, das jemanden verletzte und das einem später leid tat. „Wie kann ich das wieder gutmachen? Lust auf chinesisches Essen?“ Benjamin schüttelte den Kopf. „Gegessen habe ich schon. Wie wäre es

mit Kino? Morgen Abend?“ „Einverstanden!“ Chayenne stand vor ihrem Kleiderschrank. Sie wusste nicht, was sie zu der Verabredung mit Ben heute Abend anziehen sollte. Wir gehen ja nur ins Kino, dachte sie und schleuderte ein weiteres Shirt auf den Boden. Nach einer Stunde hatte sie endlich ein Outfit zusammengestellt. Es war genau dasselbe, das sie als erstes gefunden hatte: dunkelblaue Jeans, lilafarbenes Shirt, silberne Ballerina und eine silberne Handtasche dazu Creolen und

eine Y-Kette. Ihre Haare hatte sie mit einem Glätteisen flach wie eine Flunder gedrückt, sodass diese lang über ihre Schultern hingen. Sie schlüpfte gerade in ihre Schuhe, als sich Besuch anmeldete. Chay stolperte fast, so sehr hatte sie sich erschrocken. Es war Hanna. „Hallo Chay. Lust auf einen Mädelsabend?“ Sie sah heute nicht gerade gut aus. Sicher hatte sie sich mit ihrem Freund (wieder einmal) gestritten. Die junge Werbetexterin wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. „Komm doch erst einmal rein,“ bat sie ihre Freundin. „Du hast dich heute aber schick gemacht,“ bemerkte Hanna. Chay

winkte ab. „Nein, das ist doch nichts besonderes.“ „Willst du heute ausgehen?“ „Äh nein. Ich habe noch nichts vor.“ Hannas Miene hellte sich auf. „Prima. Dann hast du es jetzt.“ Chayenne blickte nervös zur Seite. Sie hatte sich gerade selbst in eine Zwickmühle gebracht. „Wozu hast du denn Lust?“ knirschte sie schließlich. „Es mag albern klingen; aber ich hätte Lust auf einen Spieleabend. Wir könnten ja noch Vera und Stella einladen,“ meinte ihre Nachbarin. „Hmm, ja, ja. Warum nicht? Aber macht man Spieleabende nicht immer samstags?“ Hanna sah ihre beste Freundin eindringlich an. „Chay?“ Doch die traute sich gar nicht den

Blickkontakt zu erwidern.“ „Chayenne! Ich merke doch, dass etwas nicht stimmt. Raus damit.“ „Also, ähm.“ (Mensch, Chayenne, sonst bist du doch auch nicht auf den Mund gefallen.) „Ich, ich wollte –eigentlich- mit jemanden, also mit Ben, ins Kino gehen. Wie gesagt EIGENTLICH.“ Erleichtert atmete die Fünfundzwanzigjährige auf. Das war ja schlimmer als die Beichte, dachte sie. Hanna schüttelte den Kopf. „Das ist jetzt nicht dein Ernst. Nicht dieser Spinner, wegen dem ich nicht nach Ägypten mitkann.“ „Bitte, Hanna. Er scheint echt nett zu sein. Ich wollte nur mit ihm ins Kin. Aber ich werde es absagen und mit dir einen Spieleabend machen.“ „Nein,

nein. Ist schon in Ordnung, Chay. Geh mit Ben ins Kino. Aber den Spieleabend holen wir am Samstag nach?“ Chayenne umarmte Hanna. Sie ist und bleibt meine beste Freundin, dachte sie. Pünktlich um 19:30 Uhr holte Ben Chayenne ab. Er hatte sich extra das Auto von seinem Vater ausgeliehen. Sie brauchten nur fünf Minuten bis zum Kino, da heute kaum Verkehr herrschte. (Es waren wohl alle im Sommerurlaub?) Benjamin parkte ein- leicht schräg wie Chay schmunzelnd registrierte. Nein,

einparken konnte er nicht gut; kein Vergleich zu Hannas Einparkkünsten. Er versuchte es vier Mal, dann gab er genervt auf. „Entschuldigung. Parken ist nicht meine Stärke.“ (Und das als Taxifahrer!) Ben hob beschwichtigend die Hände. „Ach, das macht doch nichts. Komm, lass uns die Karten holen,“ meinte Chayenne. Am Schalter drinnen war die Hölle los. Die wollen doch hoffentlich nicht alle „Nachtaktiv“ schauen, dachte Chayenne. Der Thriller handelte von einer Frau namens Jenna, die einen Mord am Meer beobachtet hatte und seitdem jede Nacht dorthin wanderte. Es war der Kinohit des

Sommers. Man musste ihn einfach gesehen haben. Aber an diesem Tag wurde nichts daraus. Der Film war komplett ausverkauft. „Na toll. Und jetzt?“ maulte Chay. „Wir schauen ganz einfach einen anderen,“ meinte Ben. Die beiden sahen zur Kinotafel. In den anderen Kinosälen liefen ein Dokumentarfilm, ein Zeichentrick, ein Liebesfilm sowie ein Familienfilm. Alles nichts nach Chayennes Geschmack. „Wie wäre es mit „Auf die Dogge gekommen?“ schlug Benjamin vor. Chay wiegte den Kopf hin und her. „Das ist doch dieser Film über eine Familie, die einen ausgewachsenen schwarzen Labrador will und stattdessen einen schwarzen

Doggenwelpen angedreht bekommt?“ Sie schniefte. Aber immerhin wäre er noch besser als die anderen Filme. „Also gut. Zwei Karten für Kino 5, bitte.“ Im Kinosaal waren von den 200 Plätzen nur etwa 20 belegt. Die beiden hockte sich in Reihe D. Plötzlich hörte Chayenne von hinten ein unverwechselbares Lachen. Nein, das konnte nicht sein. Ich habe Halluzinationen, dachte sie. Doch da war es wieder, dieses hohe, hyänenhafte Lachen. Ganz langsam drehte sich Chayenne um- und erschrak. „Athena?“ „Chay?“ Es war tatsächlich ihre kleine Schwester. Diese war gerade im Saal

erschienen (man kam von hinten hinein), zusammen mit drei Leuten, die Chay nicht kannte. Sie betrachtete Athena, als diese auf sie und Benjamin zutrippelte. Sie hatten sich zwar fünf Jahre lang nicht gesehen, aber Chay hatte sie gleich erkannt. Schließlich sahen sich die beiden Schwestern sehr ähnlich, nur dass Athena normalerweise glattes, mittelbraunes Haar hatte. Da sie dies langweilig fand, färbte sie es regelmäßig (und immer in der Farbe Vulkanrot!). So schimmerte es auch heute rötlich- nicht zu intensiv. Die Locken hingen schlaff herunter. Sie hatte ihre langen Haare wohl wieder auf Papilloten gedreht, doch da sie schweres Haar hatten, hielten die

Locken nicht lange. „Juhu, wie geht´s?“ rief Athena mit ihrer nicht gerade lerchenhaften Stimme. Chayenne war verdutzt. „Was… was machst du hier in Willental?“ „Ich bin hier auf Wohnungssuche. Im Moment hab´ ich noch Urlaub. Ab August werde ich bei der Blue Star GmbH mein 2. Ausbildungsjahr als Industriekauffrau beginnen. Die Marketing- sowie die Rechnungswesen-Abteilung sind hier. Das erste Jahr war ich noch in Blauen.“ Ben musste lachen. „Oh, das ist aber interessant. Ich wusste gar nicht, dass du noch eine kleine Schwester hast, Chayenne.“ „Sie hat auch noch eine

große, die Aurora. Unsere große Schwester hat einen Vornamen, Chayenne hat zwei und ich sogar drei: Athena Penelope Helena Sommer. Unsere Mutter war da gerade im Antikes-Griechenland-Fieber. Athena nach der Schutzgöttin. Penelope war die Frau von Odysseus, dem König von Ithaka und Helena war zu dieser Zeit die Schönste.“ Chayenne verdrehte genervt die Augen. „Halt mal die Klappe.“ „Ja, ja. Ich wusste gar nicht, dass du „Auf die Dogge gekommen“ schaust- und das freiwillig.“ Athena ließ wieder ihr Hyänenlachen los. „Tja, „Nachtaktiv“ war ja ausverkauft.“ Chay merkte, dass sie wieder auf 180 war. Jeden Moment konnte sie

explodieren, wenn ihre Schwester weiter so schnatterte. Du dumme Kuh, dachte sie nur. Athena schien nichts zu merken. Munter plapperte sie weiter. „Ich war´s letzte Woche schauen. War wirklich sehr spannend und der Mörder war wieder jemand ganz anderes, als ich vermutet hatte. Ich meine, sonst bin ich darin doch gut. Nur eine Wohnung hab´ ich noch nicht.“ „Das ist ja wohl nicht mein Problem,“ krächzte Chayenne wütend. „Na dann. Viel Spaß noch. Ich geh´ dann mal zurück zu meinem Platz. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder?!“ Athena marschierte die Stufen wieder hinauf und ließ in der obersten Reihe nieder. Ihre Schwester murmelte nur: „Vielleicht

sieht man sich wieder? Hoffentlich nicht!“ Ben sah sie fragend an, doch sie sie drehte sich weg und starrte auf die Leinwand. Nach dem Kinobesuch setzte Benjamin Chayenne zu Hause ab. Sie betrachtete ihr kleines vom Mondlicht beschienenes Häuschen. Es hatte sechs Zimmer auf zwei Etagen und war eigentlich zu groß für eine Person alleine. Aber die junge Frau hatte es gesehen und sich sofort in das alte Haus verliebt. Es war auch

besonders günstig gewesen, denn niemand hatte es haben wollen. Die Gegend lag ruhig am Stadtrand. Anscheinend wollten die anderen Leute lieber zentral leben. Chayenne hatte es im antiken Stil eingerichtet. Am gemütlichsten fand sie das Wohnzimmer mit dem offenen Kamin, der alten Standuhr, den dunklen Möbeln zu der zartcremefarbenen Tapete und dem herrlichen Parkett samt weißem Kuschelteppich. Chayenne ließ sich im Schaukelstuhl nieder. Schlafen konnte sie nicht. Sie musste wieder an die Begegnung mit ihrer Schwester denken. Als Chay Hallen

damals vor fünf Jahren verlassen hatte, war Athena gerade fünfzehn Jahre alt gewesen. Aurora war bereits einundzwanzig Jahre alt gewesen und mitten im Geologie-Studium. Chayenne war ihre Familie immer peinlich gewesen. Sie wollte nur noch weg und kam so nach Willental. „Vielleicht hätte ich nicht so gemein sein dürfen. Immerhin ist es meine Schwester.“ Das Probleme war nur, dass sie nicht wusste, wo Athena steckte. Sie grübelte die ganze Zeit nach, bis sie schließlich erschöpft

einschlief. Am nächsten Morgen erwachte sie mit Nackenschmerzen. Der Schaukelstuhl als Schlafplatz war nicht gerade ideal. Chayenne stand taumelnd auf, sprang unter die Dusche und zog sich eine grüne Bluse zum Jeansminirock an. Danach machte sie sich ein Quarkbrot mit Schnittlauch und Petersilie. Während sie frühstückte, dachte sie wieder an Athena. Ich muss sie finden, sagte sie zu sich selbst im Stillen. Gleich nach der Arbeit wollte sie sich auf den Weg machen. Es war Freitag und deshalb musste sie nur bis 12:00 Uhr

arbeiten. Sie zählte die Minuten, bis es endlich soweit war. Dann spurtete sie los. „Tschüss, ich muss heute pünktlich gehen.“ Sie wollte sich nicht alleine auf die Suche machen, also rief sie Benjamin an. Er hatte sie gestern ja schließlich gesehen. Dieser fuhr schon bald an, wieder mit dem Wagen seines Vaters. Chayenne sprang hinein. Sie atmete schwerfällig. „Jetzt beruhige dich erst einmal.“ Ben legte seine Hand auf ihre Schulter. Chay war es nicht unangenehm. Sie entspannte sich langsam. Das Auto setzte sich in Bewegung. Ben wollte Athenas Vorlieben wissen. Da musste

Chayenne nicht lange überlegen. „Hunde und Pferde. Außerdem mag sie Handball.“ „Gut, dann suchen wir auf dem Hundeplatz, im Tierheim, auf dem Reiterhof und im Handball-Verein.“ Sie klapperten alles ab und fragten nach Athena, doch niemand schien sie zu kennen. „Wir hätten uns das denken können. Athena hat ja noch nicht mal eine Wohnung. Warum sollte sie ja bereits in Vereine eintreten? Es ist hoffnungslos.“ Chayenne kurbelte das Fenster herunter. „Fahr mich bitte heim.“ Dort angekommen bedankte sie sich und lud ihn noch auf eine Tasse Kaffe und

ein Stück Streuselkuchen ein. „Wir suchten morgen weiter. Irgendwo muss sie ja sein. Wir sollten vielleicht auch mal bei ihrer Firma nachfragen. Das ist uns bis jetzt noch nicht eingefallen,“ meinte Ben. Chays Augen begannen zu strahlen. Sie gab ihm schnell einen Kuss auf die Wange. „Mensch Ben. Du bist genial.“ Motiviert griff sie zum Telefonbuch, suchte sie Nummer der Blue Star GmbH und wählte. Kurze Zeit später war sie wieder niedergeschlagen. „Fehlanzeige. Sie hat noch die alte Adresse in Hallen angegeben. Verflucht. Weiß denn keiner wo sie ist?“ Benjamin wollte sie ablenken und fragte sie: „Chayenne. Wie wäre es, wenn wir

morgen im Park spazieren gehen. Dann kannst du gleich auch Astor kennenlernen?“ „Astor?“ „Meinen Hund.“ „Ach so. Ja, warum nicht?“ Leider schien es sie nicht aufzumuntern. Sie verabredeten sich für 10:00 Uhr am nächsten Morgen im Willentaler Park. Es lag nicht weit von Chays Haus. Sie konnte also zu Fuß dorthin gehen. Am Samstagmorgen joggte Chay zum Park. Sie wollten sich am Brunnen

treffen. Von Benjamin fehlte noch jede Spur. Doch schon wenig später traf er ein, mit einem großen Hund. Ein Dobermann, wie sie sofort erkannte. Schließlich hatte Athena sie immer damit genervt. Ihre Schwester kannte viele Hunderassen, selbst seltene und Chayenne musste schmunzeln, als sie darin dachte, wie Athena ihre Eltern immer um einen Hund gebeten hatten. Es war ihr egal welchen. Sie wollte nur irgendeinen. Und wie sehr sie sich für den Gordon-Setter-Mischling des Nachbarn eingesetzt hatte. Dieser hatte den armen Hund jahrelang an einer kurzen Kette gehalten und Athena hatte ihm jeden Tag Futter gebracht. Als der

Nachbar umzog und den Mischling zurückließ, hatte sie so lange gebettelt, bis ihre Eltern nachgaben und dem Hund zustimmten. Und wie glücklich sie mit ihm war. Mit viel Geduld hatte sie den ängstlichen Mix erzogen und ihn vorsichtig an Dinge herangeführt, die er in seinem bisherigen Leben nie kennenlernen durfte. Bens Stimme holte Chayenne aus ihren Tagträumen. „Guten Morgen.“ Chayenne erwiderte den Gruß. Sie fragte, ob sie Astor

streicheln durfte und kraulte ihn dann am Bauch. Anschließend spazierten die drei los. Ben holte einen Ball hervor. Astor sprang wie ein junger Hund um die beiden herum und stürmte begeistert dem Ball nach, als dieser geworfen wurde. Chayenne drehte sich etwas zur Seite. Sie dachte, sie hätte etwas im Gebüsch gesehen. „Halluzinationen,“ wisperte sie. Doch dann schaute sie erneut und dieses Mal konnte sie ihn ganz deutlich sehen. „Ein Wolf!“ jaulte sie und sprang erschrocken nach hinten. Doch halt, was hatte Athena immer gesagt? Bloß nicht wegrennen. Das galt bei Hunden. Bei Wölfen auch? Ben hatte ihn nun auch

gesehen und band Astor ganz schnell an die Leine. Da ertönte ein Pfiff und der Wolf lief weg. Wenig später kam er zurück. Doch dieses Mal freute Chayenne sich. Ja, sie war regelrecht außer sich vor Freude. Der Wolf war an der Leine, zusammen mit einem Hund- und geführt von Athena. Die erkannte ihre Schwester und wollte schnell verschwinden, doch Chayenne rief sie zurück und so trat sie langsam vor. „Hallo.“ „Athena, wie geht es dir?“ „Gut, danke.“ „Wo warst du? Ich habe dich überall gesucht. Wo schläfst du denn?“ wollte Chay

wissen. „Bei Zoe. Die lernt mit mir im Hotel. Leider ist es nur vorrübergehend. Wegen den Hunden.“ „Ach. Das sind zwei Hunde?“ Athena nickte lächelnd. „Ja, Jackpot ist ein Tschechoslowakischer Wolfshund. Ich habe ihn von jemanden übernommen, der die Rasse unterschätzt hat und vollkommen überfordert war und das ist Goldrush. Er ist ein Nova Scotia Duck Tolling Retriever.“ „Also, wenn du immer noch keine Wohnung hast- mit zwei Hunden dürfte es schwer sein, eine zu finden- kannst du bei mir einziehen. Mein Haus ist groß genug. Morgen in acht Tagen fliege ich zwar eine Woche

nach Ägypten… Wenn es dir nichts ausmacht?“ „Nein, nein. Ich freue mich so.“ Noch am selben Tag zog Athena bei Chay samt ihren Hunden ein und sie hatte sogar selbst ein Auto. Hanna und ihr Freund Miko waren die ersten die zum Spieleabend eintrafen. Sie brachten Nudelsalat, Kekse und ein paar Spiele mit. Danach kam Vera, die stolz ihr neues, blaues Kleid zeigte, das

sie sich am Vormittag gekauft hatte. Aber auch sie war nicht mit leeren Händen erschienen, sondern hatte Auflauf und Muffins mitgebracht. „Wann sollen wir das alles essen?“ gab Chayenne von sich. Sie und Athena hatten nachmittags Feldsalat, Reissalat, Schichtsalat sowie Pizzabrötchen und Spinatschnecken vorbeireitet. Als kleines Dessert sollte es Vanilleeis mit heißen Kirschen, Himbeeren und Preiselbeeren geben. Bevor jemand Chays Frage beantworten konnte stand Ben mit einem Kuchen auf der Matte. Auch Stella fuhr gerade an. Sie brachte Blumen

mit. Stella Fuchs, geborene Tulpe, konnte nur selten bei Treffen dabei sein. Sie war zwar eine gute Freundin von Chayenne, aber seit der Geburt ihrer beiden Söhne und ihrer Tochter hatte sie kaum noch Zeit. Sie war sehr groß, kräftig, hatte kurzes, glattes Haar, welches Vera wegen der Farbe gerne mit einem Weizenfeld verglich, und stechend graue Augen, die aufgeweckt hinter den Brillengläsern hervorlugten. Sie war bereits zweiunddreißig und hatte über fünfzehn Jahre bei der Werbeagentur gearbeitet.

Stella hatte immer ein Kind haben wollen, nach der Geburt aber wieder in den Beruf einsteigen. Vor einem Jahr hatte sie dann Drillinge bekommen und ihre Stelle aufgegeben. Ihr Mann leitete ein Hotel in Felsweißen nicht weit weg von Willental. Es wurde ein lustiger Abend. Die sieben ließen es sich schmecken. Die Uhr zeigte bereits 2:00 Uhr in der Nacht, als die Letzten (Vera und Ben) nach Hause gingen. Chayenne räumte noch alles auf, denn ihre Schwester war bereits vor drei Stunden auf der Couch eingeschlafen. Chay dachte über den

Abend nach. Es hatte wirklich Spaß gemacht und sie fand Ben immer netter. So nett, dass sie sich um 15:00 Uhr wieder mit ihm verabredet hatte. Beim Tabu-Spielen war er richtig großartig gewesen. Ohne auch nur ein verbotenes Wort zu nennen, hatte er die Begriffe zwar knapp, aber für jeden leicht verständlich erklärt. So war es kein Wunder, dass sein Team überlegen gewonnen hatte. Beim Mensch-ärgere-dich-nicht war er dann Letzter, nahm es dann aber mit Humor. Verlieren machte ihm nichts aus. Mit Ben als letzten Gedanken legte sie sich zu Bett. Ich werde jetzt erst einmal zehn Stunden schlafen, dachte sie. (Daraus, liebe

Chayenne, wird leider nichts!) Um 5:00 Uhr am Morgen wurde Chayenne durch ein dumpfes Knallen aufgeweckt. Ein Einbrecher, war ihr erster Gedanke. Sie kroch aus dem Bett und stolperte prompt über Goldrush der es sich daneben bequem gemacht hatte. „Verflucht, du blöder Hund!“ schimpfte sie. Doch sofort hielt sie inne, als sie weitere Geräusche aus der Küche hörte. Sie schnappte sich die große Taschenlampe von ihrem Nachtischschränkchen und schlich auf Zehenspitzen der Geräuschkulisse

entgegen. Dabei flüsterte sie zum Retriever: „Ihr seid mir zwei schöne Wachhunde.“ Chayenne holte aus. Im letzten Moment erkannte sie Athena, die gerade Cornflakes löffelte. „Was machst du?“ fragte Chay. „Ich esse.“ Athena grinste und stellte die Schüssel in die Spülmaschine. Dann verschwand sie im Bad. Kurze Zeit später hörte man die Dusche. Ihre große Schwester war baff. Doch sie war noch sehr müde , also legte sie sich nochmal schlafen. Athena zog sich bereits an, rief ihre Hund und führte sie Gassi. Danach kochte sie für Chay Kaffee und legte ein paar Brotscheiben kurze Zeit in den

Backofen. Sie deckte den Tisch und sah auf die Uhr. „Chayenne. Aufstehen. Frühstück!“ donnerte ihre Stimme. Chayenne schlug mit der Faust auf ihr Kissen ein. Gab die Kleine denn nie Ruhe? Sie stand auf und ließ sich am Tisch nieder. Der Kaffee machte sie etwas munter. Sie nahm eine Scheibe Brot und belegte sie mit Käse und Gurkenstückchen. „So ein Frühstück am Morgen ist doch das allerbeste, nicht wahr?“ Athena lachte. So viel gute Laune konnte Morgenmuffel Chay nicht ertragen. Sie sprang unter die Dusche und hoffte, dass ihre Schwester endlich aufhörte zu

nerven. Am Nachmittag wusste Chayenne wieder einmal nicht, wie sie sich zur Verabredung mit Ben ins Freibad kleiden sollte. Es war ein brühend heißer Tag. „In Jeans würde ich eingehen,“ murmelte sie, als gerade Athena eintrat. „Das stimmt. Warum ziehst du nicht dieses süße weiße Kleid an?“ „Äh, welches?“ „Das man an der Taille bindet und die kleine, weiße Blume vorne hat.“ Chay überlegte kurz. „Du hast recht. Aber Moment.“ Sie hielt inne. „Woher weißt du von diesem Kleid? Du warst doch

nicht etwa an meinem Schrank?“ Athena lächelte und sah sie mit ihren großen, braunen Augen an. „Doch, ich hab´ nur mal geschaut. Du hast so tolle Sachen. Wir konnten unsere Kleider tauschen. Das wäre so toll.“ „Das wäre überhaupt nicht toll,“ äffte die Werbetexterin. „Du, du hast doch gar keinen Geschmack, keinen Stil.“ Athenas Miene verdunkelte sich. Sie schien mit den Tränen zu kämpfen. Dabei trat sie vor den großen Spiegel. Was sie anhatte gefiel ihr: blaue Ballerina mit einer kleinen Schleife, eine Jeans die sie extra knapp unter dem Knie abgeschnitten und mit kleinen Perlen bestickt hatte, ein gelbes Shirt und riesige blaue Plastikcreolen. „Also

ich mag meinen Stil. Farbenfroh. Deine Sachen kannst du behalten. Ich will sie gar nicht.“ So giftig kannte Chay ihre Schwester gar nicht. Athena, die immer fröhliche Nervensäge, der nichts ihre gute Laune verderben konnte. Die Fünfundzwanzigjährige spürte den Drang, ihre kleine Schwester herauszufordern. „Da würdest du mit deinen Elefantenbeinen und deinem Walrossbauch eh´ nicht reinpassen.“ Autsch, das hatte gesessen. Chay hatte Athenas Achillesferse gefunden. Sie sah ihr Gegenüber triumphierend an. Die Auszubildende schüttelte nur den Kopf und rannte aus dem Zimmer. Sofort bereute Chayenne ihre Aktion. Dieser

verfluchte Jähzorn. Sie hatte es gar nicht sagen wollen. Es war ihr einfach so herausgerutscht. Sie suchte nach ihrer Schwester, die sie im Gästezimmer am Fenster fand. „Es tut mir leid. Das habe ich nicht so gemeint. Ich kann manchmal wirklich fies sein. Du bist wirklich nicht fett, Athena.“ Das stimmte. Athena war inzwischen schlank, trug Kleidergröße 36. Als Chayenne damals fortgegangen war, hatte Athena noch deutlich schwerer, wog 80 kg und wurde immer Walross genannt. Doch diese Zeiten waren nun eindeutig vorbei. Es kam keine Antwort. Die Werbetexterin trat näher. „Athena?“ Da

drehte sich ihre Schwester um. Sie lachte. Also wirklich, der konnte nichts ihre gute Laune verderben. „Dein Garten sieht ziemlich langweilig aus.“ Chay wollte losbläffen, besann sich jedoch gleich wieder. „Wenn du möchtest, kannst du dich während ich in Ägypten bin, darum kümmern!“ „Jippie.“ Athena sprang in die Höhe, umpackte ihre Schwester und stürmte hinaus. Chayennes Magen verkrampfte sich. Sie hatte das Gefühl, ihren letzten Satz schon bald zu bereuen. (Wie Recht sie doch

hat!) Chayenne schlüpfte in das weiße Kleid, das Athena ihr empfohlen hatte. Es stand ihr wirklich gut und sie konnte es zum Schwimmen schnell ablegen. Dazu trug sie grauen Sandalen, kämmte sich ihr Haar und machte sich einen Pferdeschwanz. Sie ging in Athenas Zimmer, um sich von ihr zu verabschieden. Diese saß auf dem runden Teppich, umringt von Gartenzeitschriften. „Also, ich treffe mich jetzt mit Ben. Tschüß.“ Chay trat

näher, da ihre Schwester keinerlei Reaktionen zeigte. „Athena?“ „Hm, was?“ „Ich geh´ jetzt. Möchtest du vielleicht mitkommen?“ Für diese Frage hätte sie sich ohrfeigen können. Wie war sie nur auf diese Idee gekommen? Doch Athena winkte ab. „Danke, nein. Ich such´ uns etwas Schönes für den Garten aus. Danach trainiere ich noch mit Goldrush.“ Chayenne ging nicht weiter darauf ein, sondern lief nach draußen zur Bushaltestelle. Natürlich war das Freibad bei solch einer Hitze rappelvoll. Chay zwängte sich durch die Menschenmenge, als sie endlich Benjamin

entdeckte. Sie wedelte mit den Armen, um auf sich aufmerksam zu machen. Doch er hatte sie schon erkannt und kam freudestrahlend näher. Gemeinsam gingen sie zur Kasse. Ben zahlte. Danach suchten sie sich einen Platz für ihre Badetücher. Anschließend stellten sie sich unter die Freibadduschen, um sich gleich darauf ins kühle Nass zu stürzen. Es war herrlich. Chay forderte ihren Begleiter zu einem Wettschwimmduell auf, das sie haushoch gewann. „Meine Gute, bist du schnell,“ keuchte er. Die Werbetexterin

musste grinsen. „So, und jetzt das 10-Meter-Brett.“ Geschwind zog sie sich am Beckenrand hoch. Lachend kletterte sie die Treppe der Sprungbretter hinauf. Ganz kurz blickte sie nach hinten, um sicherzustellen, dass der Medizinstudent ihr folgte. „3…. 2…. 1. Juhu.“ Mit diesen Worten nahm sie Anlauf und sprang ab. Als sie auftauchte, bemerkte sie dass Ben gerade wieder den Rückzug antreten wollte. „Komm schon. Trau dich!“ schrie sie. Platsch, da landete auch ihre Verabredung im Becken. „Wie wäre es mit Eis?“ fragte Benjamin schnaubend. „Na gut, wer erster da ist.“ Schon kraulte sie zum Beckenrand und stieg die Leiter

hoch. Ben gönnte sich ein Schoko-Birnen-Eis. Chayenne ließ sich ein Zitronensorbet schmecken. Sie warf den Eisbecher in den Mülleimer und rannte erneut auf das Schwimmbecken zu. „Halt!“ rief Benjamin. „Was ist denn?“ Chay drehte sich um. „Nach dem Essen sollte man noch etwas mit dem Schwimmen warten.“ „Du klingst wie meine Mutter. Aber na schön, warten wir noch ein bisschen.“ Sie ließ sich auf ihr Badetuch fallen. Als das Freibad schloss, wollte Chay schnell zur Bushaltestelle. „Chayenne,

warte!“ sagte Ben. „Ich muss. Mein Bus.“ Sie war wirklich in Eile. „Ich fahre dich heim.“ „Na, wenn das so ist.“ Benjamin setzte sie zu Hause ab. „Es war wirklich toll,“ meinte Chay und gab ihrem Gegenüber einen Kuss. (Endlich!) „Also, dann.“ Sie stieg aus und winkte noch zum Abschied. ÑÑÑÑÑÑÑ Chayenne schlug mit der flachen Hand

auf den Wecker, welcher augenblicklich verstummte. War es wirklich schon Montag? Noch recht müde trippelte sie in die Küche. Athena saß natürlich bereits angezogen am Frühstückstisch. „Guten Morgen, Chayenne,“ grüßte sie mit einer –für Chay- unausstehlich guten Laune. Die Werbetexterin reagierte nicht, sondern duschte erst einmal. Anschließend zog sie sich an: eine weiße Bluse zu einem Jeansrock und grauen High Heels. Sie sah auf die Uhr. „Mist, ich verpasse noch den Bus,“ fluchte sie. Ihre Schwester lachte. „Du fährst Bus? Seit wann? Ich dachte du, findest das unpraktisch, weil du da immer von den Fahrzeiten abhängig bist.“ „Wie du

vielleicht bemerkt hast, habe ich kein Auto. Außerdem will ich nicht mehr mit dem Taxi fahren. Frag nicht wieso!“ „Warum fährst du nicht mehr Taxi?“ Chayenne war wieder kurz davor, die Krallen auszufahren. „Ich hab dir doch gesagt, nicht fragen!“ Athena grinste. „Nein, du hast gesagt ,frag nicht wieso`. Ich habe , warum´ gefragt.“ Chay wollte ihr wieder alles Mögliche an den Kopf werfen, stattdessen griff sie nach einer Birne und biss ein Stück ab. Ihre Schwester reichte ihr eine Tasse Milchkaffee. „Chayenne. Ich habe eine super Idee. Du frühstückst jetzt erst einmal in Ruhe und ich fahre dich zur Arbeit. Ich wollte eh noch ins

Gartencenter, ein paar Blumen für den Garten aussuchen, und mich beim hiesigen Hundeverein anmelden. Hast du im Oktober Zeit? Es wäre mir sehr wichtig.“ „Das weiß ich doch noch nicht,“ keifte Chay und bestrich ihr Brot mit Frischkäse. „Kommst du einmal mit zum Agility-Training?“ wollte Athena wissen. „Nerv´ mich bloß nicht schon wieder mit deinen blöden Hundegeschichten!“ gab ihre große Schwester zurück. „Na dann, ich warte im Auto auf dich. Lass´ dir Zeit.“ Mit diesen Worten ging die junge Auszubildende zur Tür. Chayenne atmete durch. Die raubt mir noch den letzten Nerv, dachte sie. Doch dass ihre

Schwester ein Auto besaß, fand sie durchaus praktisch. Auf dem Weg zur Werbeagentur schmollte Chayenne mal wieder. Sie hatte heute keine Lust zu arbeiten. Ihre Schwester bemerkte die schlechte Stimmung und meinte: „Montags fühlst du dich wohl immer wie Robinson Crusoe.“ Chay verstand nicht. Athena antwortete lächelnd: „Na, der hat auch auf Freitag gewartet.“ Sie setzte ihre Schwester ab und fuhr sofort weiter. Wenigstens funktionierte der Fahrstuhl

wieder und so war Chayenne dieses Mal pünktlich. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, ohne den riesigen Blumenstrauß zu bemerken. Erst als Vera ihre Freundin darauf ansprach, registrierte sie die Pflanzen. Chayenne zog die Karte hervor und las laut vor: „ Danke, Chayenne, für den tollen Tag gestern. Benjamin.“ Vera zog die Luft ein. „Wie? Seid ihr jetzt zusammen?“ Chay schüttelte vehement den Kopf. „So ein Spinner. Es war alles so toll und jetzt schickt er mir Blumen. So ein Trottel.“ „Die muss er per Express geschickt haben,“ meinte ihre Kollegin. „Das ist mir doch egal. Ich will keinen Freund, der mir Blumen bringt. So ein

romantischer Kitschquatsch.“ „Romantischer was?“ „Kitschquatsch. Romantik ist Kitsch ist Quatsch, also Kitschquatsch.“ Chay war wieder einmal kurz davor, in die Luft zu gehen. Sie nahm die Blumen und beförderte sie in den Mülleimer. Da klingelte es. „Sommer,“ knurrte sie in den Hörer. Es war Klara, die Sekretärin. „Deine Schwester (?!), äh, Athena für dich. Sie will wissen, ob du lieber rote oder weiße Blumen für deinen Garten willst.“ „Gib sie mir.“ „Oh hallo, Chayenne. Ich bin´s, At…“ „Ich weiß, wer du bist. Warum rufst du auf der Arbeit an?“Athena war wieder einmal bestens gelaunt. „Ich stehe gerade im Gartencenter. Hier

gibt´s so tolle Blumen. Ich kann mich gar nicht entscheiden.“ Chayenne verdrehte genervt die Augen. „Athena, such´ dir irgendwelche Blumen aus. Ich lasse dir da ganz freie Hand. Nur ruf´ mich hier nie mehr an. Hast du das verstanden?“ „Äh, ja, klar. Also dann werde ich einfach beide Sorte nehmen.“ Athena lachte. Chayenne stimmte ihr zu und legte ohne Verabschiedung auf. Vera sah ihre Kollegin verdutzt an. „Alles in Ordnung?“ „Naja, montags fühle ich mich wie Robinson Crusoe. Wir beide warten auf

Freitag.“ ÑÑÑÑÑÑÑ Nach der Arbeit wurde Chayenne wieder von Athena abgeholt. Die erzählte sogleich: „Das Gartencenter ist ja riesig. Ich habe wunderschöne Blumen und sogar einen Magnolienbaum. Ich liebe Magnolien. Alles, was ich in den Katalogen gesehen habe, hatten sie leider nicht. Aber das hätte eh nicht alles ins Auto gepasst. Ich werde die restlichen Pflanzen einfach bestellen. Oh, und ich habe Rasensamen gekauft. In deinem Garten wuchert es nur so von Unkraut. Der braucht dringend eine neue Anlage.“

Chay hatte ihrem Geplappere gar nicht zugehört. Sie wusste nur, dass es um Blumen und ihren Garten ging. Deshalb nickte sie und murmelte nur: „Ja, wie bereits gesagt, ich lass´ dir da freie Hand.“ „Schön, schön. Ich zaubere dir ein Paradies. Hättest du Lust Mittwoch nach Rabenstadt ins Musical zu gehen? Ich hab´ zwei Freikarten.“ „Für welches Musical?“ „Blumenwiese.“ „Blumenwiese?“ Chayenne rümpfte die Nase. Doch Athenas Begeisterung kannte keine Grenzen. „Das ist so toll. Ich hab´ es schon viermal gesehen. Es lohnt sich eben, zu jedem nett zu sein. Ich kenne die weibliche Hauptrolle persönlich und nicht nur ich. Du auch.“ Chay verneinte

sofort: „Kann nicht sein.“ „Na doch, die Odette Gelbling.“ Athena bremste, da die Ampel gerade auf rot schaltete, und sah ihre Schwester forschend an. Diese konnte beim besten Willen nichts mit diesem Namen anfangen. „Wer soll das sein?“ „Sie war in meiner Klasse. Alle haben sie wegen ihren Ohren aufgezogen. Nur ich nicht. Ihr habt sie immer Ohrdette genannt.“ Jetzt dämmerte es Chay. „Ach ja, Ohrdette. Ich erinnere mich. Hat sie immer noch diese Riesenohren?“ „Das fällt jetzt gar nicht mehr so auf. Und jetzt ist sie ein Musicalstar.“ „Übertreib mal nicht. Ich wüsste nicht, dass Ohrdette singen kann.“ Chayenne lachte laut auf. Die

Ampel wechselte zu Grün und Athena wollte gerade Gas geben. Doch nach dieser Aussage bremste sie stark ab, sodass der Autofahrer hinter ihr wütend hupte. „Fahr´ los. Die Ampel ist grün,“ maulte die Werbetexterin. Ihre Schwester blieb wie immer total entspannt. „Sei nicht so fies. Sie heißt Odette und sie kann singen. Also, hast du am Mittwoch Zeit?“ „Das lasse ich mir nicht entgehen.“

0

Hörbuch

Über den Autor

Skippyle

Leser-Statistik
5

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Athena Hallo,
ich bin ja mal gespannt, was du aus dieser Geschichte machst. ;-)
Liebe Grüße
Athena
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
1
0
Senden

130837
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung