Das ehrliche Brot
oder
Oma Else auf dem Feld
Wir waren noch klein. Alles war wichtig, nur wir nicht. Wir Knirpse waren immer irgendwo unterwegs. Bei Oma Else gab es eine riesige Scheune. Dort konnte man noch die Relikte der Zeit betrachten, die aus den Tagen stammten, als die Großeltern noch Kleinbauern waren. Sie hatten Kühe im Stall und es soll sogar ein Pferd gegeben haben. Der Hof war nie sauber, weil die Hühner ihren Kot überall verstreuten und auch alles Grün aus pickten. Zwischen Stall und Scheune war ein Schweinekoben und ein großer Misthaufen mit Herzhäuschen davor.
Manchmal spannte Opa Sizzo die Ochsen vor den Wagen und zog Richtung „Lange
Viehtreibe“, wo in der Wolfsschlucht ein Acker lag.
Sehr oft wanderten wir mit Oma Else zu Fuß aufs Feld, manchmal zum Heu wenden, manchmal zum Unkraut jäten zwischen den Kartoffeln. Uns wurden Hilfsaufgaben zugeteilt, außerdem konnte man uns ja nicht Stunden mit der gleichen Arbeit beschäftigen. Das war ja Arbeit und das war für die Großen. Wir hatten schnell neue Ablenkungen an den Drainagegräben gefunden. Sie entwässerten die Wiesengrundstücke und führten permanent Wasser. Durch die Bodenbeschaffenheit war das Wasser dunkelgelb bis rötlich und in unserer Fantasie war das oft sogar Blut.
Das Land hinter den Häusern hieß „Folge“ - man sprach es als „Folsche“ aus und stieg in Richtung Wümbach leicht an.
Irgendwann rief Oma Else zum Imbiss. Wir saßen am Feldrain und platzierten uns rund um sie. Zuerst bekam jeder eine große Scheibe
Brot. Oma schnitt diese Freihand von einem runden Vierpfundbrot ab, welches vor unser Zeit auch noch wöchentlich selbst gebacken wurde. Dieses Brot schmeckte noch nach Sauerteig und hatte eine Kruste, die knusprig war.
Aus einem Einweckglas bekam jeder etwas Rotwurst auf die Hand oder die Stulle.
Die Finger rochen nach Ackerboden und dieser Urduft mischte sich mit dem Majorangeschmack der Wurst.
In meiner Erinnerung ist diese Welt noch in Ordnung gewesen.
28112014 jfw