Fantasy & Horror
CHRONIKEN EINER GEGENWART, DIE NIE SEIN WÜRDE... - Die Chroniken Sun Citys - Begegnungen (Lone wolf and cub) I

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"CHRONIKEN EINER GEGENWART, DIE NIE SEIN WÜRDE... - Die Chroniken Sun Citys - Begegnungen (Lone wolf and cub) I "
Veröffentlicht am 09. Juni 2015, 70 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
© Umschlag Bildmaterial: Gunnar Assmy - Fotolia.com
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Über den Autor:

Eigentlich ist es so wie es ein Landsmann von mir treffend beschrieb: 'Mit den Riesen habe ich keine Probleme; nur die Windmühlen machen mir echt zu schaffen!'
CHRONIKEN EINER GEGENWART, DIE NIE SEIN WÜRDE... - Die Chroniken Sun Citys - Begegnungen (Lone wolf and cub) I

CHRONIKEN EINER GEGENWART, DIE NIE SEIN WÜRDE... - Die Chroniken Sun Citys - Begegnungen (Lone wolf and cub) I

BEGEGNUNGEN

CHRNIKEN EINER GEGENWART, DIE NIE SEIN WÜRDE... LONE WOLF & CUB


Im Fernsehen lief eine neue Folge von Pensacola – Flügel aus Stahl, und wie immer konnte ich den Auftritt von Lieutenant 'Ice' kaum erwarten. Wenn ich bei meiner Ausbildung auch jemanden wie diese Alexandra Jensen um mich gehabt hätte, wäre einiges anders gelaufen. Da konnte ihr Jet noch so viele Schwierigkeiten machen wie er wollte… ich wäre mit mehr Herzblut bei

der Airforce gewesen. Gerade als Lieutenant Colonel 'Raven' bei seinen Ausführungen war, öffnete ich mir eine Flasche Sunshine Wheat und nahm einen kräftigen Schluck. Irgendwie erinnerte mich James Brolin im Moment grauenhaft an meinen Daddy. Beide hatten diesen kritischen, bösartigen Blick… Ich schnappte mir meine Zigarette und meine Gedanken schweiften ab. Ja ja, mein Vater - Gott hab ihn selig. Schlussendlich hatte er doch Recht behalten. Ich erinnerte mich noch sehr gut daran - nachdem ich die Ausbildung geschmissen hatte - wie er mir

wutentbrannt ins Gesicht sagte, dass ich es im Leben nie zu Etwas bringen würde. Ich leerte die Flasche Weizenbier und sah mich dabei ein wenig sentimental um. Und wo war ich jetzt? In einer aufgemotzten Lagerhalle, begraben inmitten eines Berges alter Autoreifen, die bis unter dem Dach mit Diebesgut angehäuft war. Sie war aber auch mit einer der besten illegalen Fahrzeugwerkstätten diesseits des Missouri Rivers ausgestattet - das Ganze gut verborgen in einer längst vergessenen Ecke eines staatlichen Schrottplatzes von Los Angeles. Tja, nüchtern betrachtet, war mein

ganzes Leben nur eine Aneinanderreihung von Niederlagen gewesen. Spätestens nach meinem Rausschmiss aus der Army, war ich praktisch wie ein Amboss durch die hiesigen Sozialwerke gerasselt. Irgendwie war ich nie in der Lage gewesen, mich in irgendeinem Job lange genug zu behaupten. Selbst als Automechaniker - was ich wohl mehr als ein Dutzend Male versucht hatte - ging mir die hochnäsige Kundschaft früher oder später dermaßen auf den Senkel, dass ich sie irgendwann mit ihrer angeborenen Beschränktheit gegenüber ihren Fahrzeugen konfrontieren musste. Das endete meistens mit meiner

fristlosen Kündigung und zwei Mal sogar mit der Schließung der Garage. McKenzie tat mir diesbezüglich zwar immer noch leid - aber irgendjemand musste dieser hochnäsigen Zicke mit dem Namen eines überteuerten Motels mal sagen, dass ihr mit ihrem IQ ein Dreirad besser gestanden hätte als ein Sportwagen. Und wäre nicht mein Talent mit den Maschinen, und meine bedingungslose Liebe zu den vierrädrigen Streitkarossen des zwanzigsten Jahrhunderts gewesen, es hätte mit mir schon früh ein böses Ende genommen. So aber, gelang es mir nach einem verkackten Bankraub in Los Alamos doch

noch haarscharf die Kurve zu erwischen, mich aus dem Rampenlicht zu verabschieden, und in den Hintergrund abzutauchen. Und hier blieb ich schließlich auch. Denn hier gediehen meine Geschäfte eigentlich ziemlich gut… Ich lächelte zufrieden. Lässig vor der Glotze zu sitzen, das Bier in der einen, die Zigarette in der anderen Hand war doch nicht so schlecht. Aber die Euphorie hielt nicht lange an. Mit einem schweren Stoßseufzer stellte ich die leere Flasche weg. Denn wie mein Vater mir ebenfalls prophezeit hatte, lebte ich immer noch

alleine. Und wie… Wie recht hatte er doch mit seinem ‚beziehungsunfähiger Gefühlskrüppel‘ gehabt. Nicht mal ein Haustier hielt es bei mir aus. Roger, der Mischlingshund den ich vor einigen Jahren aufgelesen hatte, war mir eines Tages einfach weggelaufen. Den elenden Verräter entdeckte ich einen Monat später bei einer Großfamilie in der gegenüberliegenden Mall. Und bereits dann kannte er mich nicht mehr. Na ja, irgendwie schien er damals auch glücklicher… Auch musste ich eine Topfpflanze nur

scharf ansehen und sie verwelkte innerhalb von Stunden. Scheinbar hielt es wirklich niemand länger bei mir aus. Selbst meine Mitarbeiter und Angestellte mieden mich so gut wie möglich und flohen an den Wochenenden aus der Werkstatt, sobald sich die Gelegenheit bot. Dabei hieß es immer, dass es für mich vielleicht normal sei, dass ich Personenkraftwagen als meine Familie und Bestimmung betrachtete; aber das galt keinesfalls für jeden anderen. Sollten sie sich doch mit ihren Bälgen und dahinsiechenden Senioren abgeben, wenn sie das glücklicher

machte. Ich lauschte kurz in die angenehme Ruhe der Halle, die mein Heim und meine Welt war. Heute war ich absolut alleine, und deswegen im Paradies. Nur entfernt war die angenehme Melodie des Straßenverkehrs zu vernehmen. Hie und da konnte man noch dazu einen Kompressor arbeiten hören und durchdrang das beruhigende Schnurren der Klimaanlage die ansonsten natürliche Stille. Vielleicht wenn nicht gerade eine F/A-18 durchs Bild donnerte, weil der Fernseher übermäßig laut aufgedreht war. Das war auch so eine Sache… Ich konnte Fernsehen oder Radio hören

wann und wie ich wollte, ohne dass jemand reklamieren würde oder ich auf jemanden Rücksicht nehmen musste. Das sollten mir mal die anderen Besserwisser nachmachen. Kurz wurde ich von der nun einsetzenden Werbung aus meinen Gedanken gerissen, starrte ich unverhohlen die kleine schnuckelige Blondine an, die irgendetwas anpries, aus dem ich nicht so recht schlau wurde. Eigentlich hatte ich wieder einmal Lust auf Sex. Geld war ja kein Problem… Ob Pauline sich wieder einen Abend ‚frei‘ nehmen würde? Ich rieb mir nachdenklich den

Nasenrücken. Aber nicht dass sie wieder zu viel trank und die ‚du hast was Besseres verdient, ich bin bloß eine billige Nutte‘ - Masche abzog. Für das, was ich letztes Mal mit ihr durch gemacht hatte, wäre mir Kuscheln mit Roger lieber gewesen und wäre mir auch noch einiges billiger gekommen. Aber wo trieb ich jetzt einen Hund auf, der bereit war sich mit mir abzugeben? Ich machte mich auf die Suche nach weiteren Sunshine Wheats. Wieso zum Teufel waren Frauen so kompliziert? Bei einem Wagen genügte nur schon das präzise hinhören um herauszufinden, was

diesem fehlte - während das Zuhören bei einer Frau bloß zu totaler Verwirrung führte. Manchmal war ich mir absolut sicher, dass die sich selber nicht bewusst waren, was für einen Schrott sie von sich gaben. Was konnte man eigentlich mit ihnen anfangen, außer Sex zu haben? Obwohl... Nicht dass ich nicht auch mal verliebt gewesen wäre. Und wie! Mich hatte es damals sogar ganz übel erwischt. Beim Gedanken daran musste ich schmunzeln. Wir waren so verdammt nahe daran gewesen zu heiraten… ein gemeinsames

Leben zu wagen. Ich hatte ihre schwarzen Locken noch sehr gut in Erinnerungen - und diese fiesen Fältchen, die sich jedes Mal um ihre Mundwinkeln bildeten, wenn sie die Lippen spitzte, bevor sie wieder zu einer ihrer Standpauken ansetzte. Das war wirklicher Sex gewesen. Ich schwelgte in Erinnerungen. Tja, dann schickte sie mich schließlich doch noch zum Teufel und wandte sich wieder ihrer großen Leidenschaft dem Militär zu. Ach, meine Marta Murrero, wie ich dich in meinen einsamsten Nächte vermisse… Mal sehen, wo ich Paulines Nummer

hatte. Wo hatte ich meine Agenda nochmal? Vielleicht musste ich mich noch mal mit meinem Nokia 5110 beschäftigen, dass ich mir aus der alten Welt besorgt hatte. Das Teil war absolutes HiTek und nur einige Monate alt - aber so kompliziert konnte es ja auch wieder nicht sein, wie es mir beim ersten Mal vorgekommen war. Irgendwie konnte ich mir kaum vorstellen, dass es jemals etwas schwierigeres zum Telefonieren geben würde. Aber praktisch schien es - und man konnte sogar seine Telefonnummern darin speichern. Mein Gehirn setzte einige Herzschläge lang aus und ein eiskalter Schauer lief

mir den Rücken hinab. Der Kühlschrank war leer! Ich musste ernsthaft an einem Sonntag raus? Enttäuscht sah ich mich suchend um, bis ich mir resigniert eingestehen musste, dass alleine zu leben auch seine Nachteile hatte... Während ich jetzt völlig aufgelöst die Kühlschranktür in der Hand hielt, kam mir auch wieder mein Herr Vater in den Sinn. Er hatte schon früh gewusst, dass aus mir schließlich ein gefühlskaltes, egoistisches Arschloch werden würde, dass nicht nur keine dauerhafte feste Bindung eingehen könnte, sondern auch

niemals erfahren würde, was Vaterfreuden wären - so zumindest seine unsterblichen Worte. Als wenn das etwas wäre, dass ich unbedingt erfahren möchte. Das letzte, das ich jetzt noch brauchen konnte, war ein solcher windelscheissender Quälgeist. Ich schätze, ich hätte ihn bereits nach der zweiten Nacht aus Versehen im Hof unten überfahren! Aber er hätte jetzt für mich Bier holen können… Ich knallte den Kühlschrank zu und zündete mir eine neue Marlboro an. Ich schätze, ich würde mich wohl so lange durch diese Monotonie eines

verpfuschten Lebens kämpfen - in dem ich als Gelegenheitsjobs Autos aufmotzte und Nummernschilde fälschte, sowie gestohlene Wagen ausschlachtete oder für den Weitertransport umspritze - bis der lange Arm des Gesetzes mal genug weit reichen sollte. Aber das war auch nicht weiter schlimm. Ich denke, ich würde auch danach meine Ruhe haben… denn das Leben im Gefängnis war eigentlich nichts Neues für mich. Vielleicht traf ich sogar alte Kumpel. Obwohl ich dennoch einiges vermissen würde. Verliebt blickte ich zu meinem silbernen Pontiac Grand Prix hinunter, der mir unzählige Stunden wahrer Freude

bereitet hatte. Manchmal war das Cruisen in dieser sexy Lady fast besser als Sex. Zumindest, so lange dieser nicht mit einer Kubanerin war… Dann verirrte sich mein Blick zur Autoabdeckung in meiner privaten Bastelecke der Garage, unter der mein neues Baby ruhte. Sehr wahrscheinlich hatten meine Augen wieder diesen ganz speziellen Glanz. Denn für einen besonderen Kunden mit viel zu viel Geld, aber noch mehr Feinden, war ich gerade daran, ein Rennauto straßentauglich zu machen… Oder dieses zumindest so weit zu tarnen, dass es zwar noch auffiel, aber nicht

gerade die Polizei magisch anzog. Zwar hatte ich dem TVR Cerbera Speed 12 GTS, der in einigen Rennen zur FIA-GT-Meisterschaft in der GT1-Klasse teilgenommen hatte eine unauffälligere, robustere Karosserie verpasst. Aber unter der Haube lauerte immer noch dieses faszinierendes Ungeheuer mit einem Speed Twelve-Motor von 7,7 l Hubraum, zwölf Zylinder und sagenhaften 1.000 PS. Ich hatte mich schon manchmal gefragt, wie das Feeling wohl war, dieses Ungetüm auf freier Wildbahn bändigen zu dürfen. Na ja, zumindest wusste ich eines mit Sicherheit… Entjungfern würde ich

es! Da ich als einer der Besten in meinem Fach galt und mir trotz allem eine ansehnliche Reputation aufgebaut hatte, stand mir das nur zu... Und mit der Entlohnung für den Wagenumbau konnte ich mir ziemlich sicher einen dieser sagenhaften „Bondi Blue“ iMacs leisten, die momentan in aller Munde waren. Scheinbar hatte die Realität endlich die Science Fiction eingeholt und Computer begannen massentauglich zu werden. Ein Speed Twelve-Motor… nur schon der Gedanke daran erzeugte bei mir eine Gänsehaut und auch eine gewisse

Ehrfurcht. Und wenn ich bei meiner Jungfernfahrt etwas vermasselte? Zumindest würde ich dann nicht wie mein Alter auf Hart Island vor New Yorks Bronx enden. Irgendwie behagte mir das Gefühl, in einem derart sportlichen Sarg mit 1.000 PS in die Hölle zu fahren. Noch während ich selig lächelte, musste ich wieder an das Sunshine Wheat denken. Und auch das Glücksgefühl war dahin. Ich warf dem Kühlschrank einen vernichtenden Blick zu. War ja zu erwarten gewesen, dass der heutige Tag nichts werden

würde. Dass war mir in dem Augenblick klar gewesen, in dem ich heute Morgen im Radio gehört hatte, das Akira Kurosawa vor ein par Tage gestorben war. Tja, seit ich erstmals erfahren hatte, dass auch Roy Rogers - das Idol meiner Jugend - ebenfalls tot war, wusste ich, dass ich von diesem Jahr nichts Besonderes zu erwarten hatte. Auch hatte es mich nicht all zu sehr überrascht, dass Frank Sinatra vor ein paar Monate gestorben war. Und das McLaren, dank all den umfangreichen Reglementänderungen, wie eine schmalere Spur, Rillenreifen und so fort, die Konkurrenz problemlos

überholen konnte untermauerte dieses Gefühl nur noch. Das würde eindeutig ein Scheißjahr werden. Ich machte mich schon Mal auf die Suche nach meiner Hose. Mit Sicherheit konnte es kaum schlimmer kommen. Doch dieses Mal täuschte ich mich... mehr als jemals in meinem bisherigen Leben. Ich kämpfte gerade mit meinen Cowboystiefel, als mich ein dumpfer Knall aus meinen Überlegungen riss. Kurz hielt ich verunsichert inne. Zwar lief der Fernseher noch. Aber das Geräusch war von anderswo gekommen.

Und es klang mehr nach einem Klopfen. Langsam richtete ich mich auf. Da war es wieder… Das kam von draußen - da hämmerte wer an meine Tür. Gerade als ich deswegen zielstrebig auf meinen Waffenschrank zuging, vernahm ich auch, dass jemand meinen Namen rief. Ich beschleunigte die Schritte. Bis mir bewusst wurde, dass es eine weibliche Stimme war. Eine verdammt bekannte Stimme. Augenblicklich drehte ich auf den Fersen herum und rannte zum Eingangstor. Für einen Moment lang hatte ich ein

unglaubliches Hochgefühl. Sex war mir sicher… würde ich sie wohl auch dazu bringen, Bier für mich holen zu gehen? Kurz hielt ich inne. Ich hätte mich für den Gedanken ohrfeigen können. So jemanden wie diese Lady führte man auf ein opulentes Nachtessen aus. Augenblicklich fühlte ich ein angenehmes Prickeln im Nacken, als mir hier und jetzt bewusst wurde, dass ich es mir im Moment sogar wirklich leisten konnte. Erstmals stand ich nicht als armseliger Loser vor ihr… Ihre Stimme klang einfach nur

wunderschön. “Claudé Ambrosio, hijo de una grandissima…“ Ich hatte die Alarmanlage in Rekordzeit ausgeschaltet und riss die Durchgangstür der Werkstattore fast aus den Angeln… und da stand sie wirklich. Marta Murrero! Einige Jahrzehnte älter, blasser und abgekämpfter als dass ich sie in Erinnerung hatte. Aber sie war immer noch eine wunderschöne Frau. Augenblicklich wusste ich absolut nicht, was ich tun oder sagen sollte, starrte die Frau in voller Kampfmontur und bis über beiden Ohren beladen, nur wie ein Vollidiot

an. Doch noch bevor ich ihr endlich etwas Schmeichelhaftes sagen konnte, stürmte sie an mir vorbei und ignorierte mich vollkommen - zumindest so lange, bis sie etwas von mir wollte. Irritiert blieb sie nach einigen Schritten am Anfang der Halle stehen und sah sich suchend um, schien schwer zu atmen. „Wo ist das Bad?“ Sie hetzte bereits weiter, als ich in die gesuchte Richtung wies und ich kam mir nun wirklich wie ein Vollidiot vor. Es war nicht einmal mehr so wichtig, dass ich ihr meine Freude über unser Wiedersehen nicht wirklich kundgetan hatte, eher drängte sich nun immer mehr

die Frage auf, weswegen sie überhaupt gekommen war. Scheinbar nicht wegen mir… Es dauerte einige Augenblicke, bis ich mich aus der momentanen Starre befreite und zur Türe herum fuhr. Während ich nun mein Refugium versiegelte und geflissentlich die Alarmanlage wieder hochfuhr, begannen mir die ersten Zweifel zu kommen. Denn die große Tasche an der sie sich wie eine Ertrinkende geklammert hatte, war mir verdammt vertraut vorgekommen - die Dinger kannte ich von der Mall. Und meistens gehörte vor allem ein Kinderwagen dazu… Es traf mich wie ein Schlag, und ich

brauchte einige Minuten, bis ich endgültig realisiert hatte, dass das wohl eine Babytragetasche gewesen war. Ernüchterung machte sich breit. Jep, seit Frank Sinatras Tod hatte ich wirklich nichts Gutes mehr vom Leben zu erwarten. Schließlich gelang es mir, mich zusammen zu reißen und ich machte mich nach einem schweren Seufzer und mit einem mulmigen Gefühl in Richtung meines Badezimmers auf. Wie konnte ich nur so naiv sein? Auch davor hatte mich doch mein Vater immer gewarnt - ich hatte es nur nie wahr haben wollen. Und das war ja so typisch für eine

Latina. Plötzlich war das Bier nicht mehr so wichtig… Mit mir hatte sie ja kein gemeinsames Kind haben wollen… aber ich war ihr dafür gut genug, dass sie bei mir mit einem Wildfang aufkreuzen konnte, damit ich ihr Unterschlupf gewährte. Den Sex konnte ich mir wohl auch abschminken. Fehlte jetzt nur noch, dass sie versuchte ihre Verwandtschaft herkommen zu lassen. Während ich langsam Kopfschmerzen zu bekommen glaubte, weigerte sich etwas in mir standhaft, das Wort ‚Hure‘ in ihrem Zusammenhang zu benutzen. Für

das hatte sie mir zu besorgt und abgekämpft gewirkt… Aber selbst dann konnte ich ihr nicht helfen. Denn in einem war ich mir sicher - das hier war kein Hospiz. Hier war sie in keinem Fall sicher. Es war ja bloß eine Frage der Zeit, bis das LAPD meinen Schuppen dicht machen würde, da es inzwischen immer mehr Ressourcen einsetzte, um mich zu finden. Da half Bestechung auch bald nicht weiter, geschweige denn das Aufmotzen der Karossen der großen Tiere der Stadtregierung. Ich hielt kurz inne. Machte ich mich jetzt ernsthaft Sorgen um diese

Frau? Das konnte es ja nicht sein… Erbost riss ich die Türe zu meinem Bad auf. Und mein Leben - so wie ich es bisher gekannt hatte - endete… Die Frau, die für mich immer der Inbegriff von Stärke und Entschlossenheit gewesen war, die ich stets wegen ihrer Standhaftigkeit beneidet hatte, lag in einer Blutlache bewusstlos am Boden. Sofort war ich bei ihr und half ihr auf. Sie roch nach Erschöpfung und Verzweiflung. Dabei vernahm ich zwar auch die verzerrten Quietschgeräusche auf dem

zum Wickeltisch umfunktionierten Wäscheschrank, schenkte ihnen aber im Moment keine Beachtung. Denn inzwischen war mir wortwörtlich das Herz in die Hose gerutscht. Leider hatte ich trotz allem genug Erfahrung - auf die ich augenblicklich gerne verzichtet hätte - um die Zeichen deuten zu können… Nicht nur fühlte sich Marta außerordentlich schwach an, konnte sie den Druck meiner Hände kaum erwidern, noch sich überhaupt selbstständig aufrichten, sondern sie atmete auch sehr flach. Da halfen die notdürftige Druckverbände auch nicht mehr viel, obwohl sie diese wie ein Korsett

zusammengeflochtet hatte. Das mutete irgendwie verzweifelt an. Im Moment entging mir zwar der Grund, weswegen sie das getan hatte, aber die darauf sichtbare Wundblutung war inzwischen so stark, dass ich mit Sicherheit sagen konnte, dass sie von mehreren Durchschüsse stammte. In diesem Zusammenhang hörte sich das pfeifende Geräusch das sie beim Atmen machte einfach nur schrecklich an. Doch noch bevor ich überhaupt richtig auf die Situation reagieren konnte, war sie wieder wach, kämpfte sich aus meiner Umarmung frei und wimmelte mich ab. „Mir geht es

gut…“ „Vergiss das! Du brauchst SOFORT einen Arzt! Du musst ins Spital!“ „Nein…“ Ich versuchte sie zu packen, musste sie hier raus bringen – aber vor allem wollte ich mich auf keine Diskussionen einlassen. Sehr wahrscheinlich war sie wegen den Schmerzen, oder welche Medikamente sie deswegen auch eingenommen hatte, nicht mehr zurechnungsfähig. Aber ich täuschte mich. So sicher ich wusste, dass ein Mensch in dieser Verfassung praktisch tot sein musste, so sehr überraschte sie mich mit der Heftigkeit ihres Widerstandes. Und

ihre Stimme hatte eine Klarheit, die angsteinflößend war. „Die können mir auch nicht mehr helfen… darüber hinaus würden sie sowieso die Regierung informieren!“ Ich konnte hinter mir hören, wie ihr Baby langsam unruhig wurde. „Komm schon Marmullo…“ es enttäuschte mich schon ziemlich, dass sie nicht darauf reagierte, dass ich mich nach all den Jahren noch an ihren Kosenamen erinnerte, „das ist verdammt ernst! Du begreifst es vielleicht nicht, aber wenn du nicht…“ „Nein!“ Die Kraft ihrer Ohrfeige überraschte mich und ließ mich betäubt zurück

torkeln. Während ich dabei ein schmerzhaftes Pfeifen im Ohr hatte, musste ich mich abstützen und warf erstmals einen Blick auf ihr Baby. Oder zumindest der Kreatur, die dort lag… „HimmelHerrgott Maria und Joseph. Was zum Teufel ist das?“ Marta holte tief Luft, als sie neben mich trat. Hierbei strahlte sie eine erschreckende Entschlossenheit aus, während ihre Stimme verbittert klang. „Das Claudé…“ sie lehnte ihren Kopf auf meine Schulter, wie sie es nur dann tat, wenn die Kacke bereits schon am dampfen war und ich wusste, dass sie wohl am Ende ihres Lateins war, „mein

Lieber, ist ein Moreau! Zwei Drittel Mensch, ein Drittel Tier - die Leistungsfähigkeit eines Menschen, gepaart mit den Instinkten, Sinne, sowie der Mentalität und Loyalität eines Tieres. Und um präziser zu sein, das bisher erfolgreichste Exemplar davon!“ Mit einer Sicherheit, die ich ihr in ihrem Zustand nie zugetraut hätte, löste sie sich von mir, liebkoste mich und ging zu der babyähnlichen Kreatur. Zärtlich nahm sie das Ding in den Arm. „Sollte Leon einmal die Geschlechtsreife erreichen, sind sich alle Wissenschaftler seines Projektes sicher, dass er fortpflanzungsfähig sein wird!“ Auch wenn es humanoid war und

Windeln trug, sich bewegte und kuschelte wie ein Menschenkind… dieses spezielle ‚Baby‘ hatte ein Fell, Gliedmaßen die sich nicht entscheiden konnten, ob sie einem Menschen oder einer Katzen gehörten und eine ausgeprägte Katzennase, sowie eindeutige Katzenaugen. Und… es schnurrte! Mein Gehirn lief im Moment im Leerlauf und mir hatte es die Sprache verschlagen. Marta kam auf mich zu. „Hast du jemals D.A.R.Y.L. gesehen?“ Ich nickte. „Nun, der einzige Unterschied ist der, dass hier nicht ein neuer Computer,

sondern einfach nur billiges Kanonenfutter gezüchtet wird. Leon ist praktisch die Spitze eines ultrageheimen Forschungsprojekts der Regierung, um effiziente, aber vor allem loyale Soldaten zu züchten. Mit Delfinen und Ratten ist es bereits schon versucht worden. Und mit Schweinen, Hunden und Bären klappt das inzwischen auch vorzüglich. Ebenso mit Raubkatzen…“ Sie reichte mir das hilflose, eingeschüchterte Geschöpf und wie betäubt nahm ich es ihr ab. „Aber Leon ist wirklich etwas Besonderes!“ Ich konnte nun erkennen, wie ungebändigte Wut in ihren Augen

flackerte und kuschelte deswegen das katzenartige Menschenbaby beruhigend – wohl mehr um mich selber zu beruhigen – an mich, war hierbei aber vom ersten Moment an von seinem einzigartigen, seidenen Fell fasziniert. „Nicht nur, dass er als einziger Moreau ausgetragen und geboren wurde und die Lebenserwartung eines Menschen hat; nein… er wurde auch ausschließlich aus einem einzigen Grund gezeugt: Nämlich um die Produktion dieser Chimären massentauglich zu machen!“ Ihr Blick war eine einzige Anklage. Und mir dämmerte, dass mehr als nur einige Personen mit ihrem Leben dafür bezahlt hatten, damit diese zwei Flüchtlinge so

weit gekommen waren… „Könnten sie sein Geheimnis entschlüsseln, ihn klonen und weiterentwickeln… dann wären keine riesigen Forschungskomplexe mehr notwendig, in denen in speziellen Anlagen die Embryonen der Moreaus bis zu ihrem ersten Lebensjahr in Bottichen großgezogen werden müssten. Theoretisch bräuchte es dann bloß eine Menschenfrau… und bereits träumt das Militär schon von Projekten geheimer, unfreiwilliger intrauteriner Inseminationen an größeren Bevölkerungsgruppen sozial benachteiligter Zivilisten…“ Irritiert musste ich währenddessen

erleben, wie sich das Geschöpf an mich kuschelte und es sich in meinen großen Händen gemütlich zu machen versuchte. „Keiner der am Projekt beteiligten Wissenschaftler brachte es schließlich übers Herz, ihn zu töten… und falls du dich ernsthaft fragst, ich gehörte zur Security der Anlage und fasste den Job die ausgebuchten Wissenschaftler Tod oder lebendig, aber vor allem das von ihnen entwendete Spezimen lebend zurückzubringen.“ Sie seufzte schwer, als sie einen Schritt zurück trat und sich dabei an der Wand abstützen musste. „Ich kann dir mit absoluter Sicherheit sagen, dass die Regierung der

Vereinigten Staaten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln - egal ob legal oder illegal - dafür sorgen wird, dass das Wissen über die Existenz dieses Moreaus oder überhaupt der Moreaus an sich, nie an die Öffentlichkeit gelangt. Obwohl auch die Russen und die Chinesen solche Chimären besitzen, und ich von einigen kriegerischen Zwischenfällen zwischen den verfeindeten Gruppen dieser Kreaturen gehört habe. Einer der Wissenschaftler sprach sogar davon, dass unbemerkt von der Öffentlichkeit ein wahrer Schattenkrieg zwischen den verfeindeten Moreaus tobt.“ Sie schluckte schwer und war den Tränen

nahe. „Genau deswegen sind inzwischen alle Wissenschaftler tot, die am Projekt beteiligt waren. Und mich oder dich, werden sie spurlos vom Angesicht dieses Planeten tilgen, damit ihr Geheimnis weiterhin gewahrt bleibt. Aber vor allem wollen sie unbedingt Leon zurück… denn das wäre DER Schlüssel für ihre Vormachtstellung über diese neuen Armeen von rückgratlosen Soldaten, die die Regierungen heranzüchten.“ Ich war augenblicklich von all dem derart überfordert und verwirrt, dass mir nichts Dämlicheres in den Sinn kam, als nur nach dem Grund seines Namens zu

fragen. Marta lächelte mich zärtlich an. „Nun, er kann wirklich wie ein echter Löwe knurren, wenn du ihn bedrohst… oder die, die er mag in Gefahr sind… auch wenn sie es schließlich nicht überlebt haben.“ Als sie nun kurz einknickte und sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Brust fasste, eilte ich zwar zu ihr, aber sie wies mich erneut ab. Dafür grinste sie mich wir irr an, als ich Anstalten machte, ihr Leon zurückgeben zu wollen. „Sie sind hinter mir her… und inzwischen dicht auf dem Fersen. Und sie haben mir auch sehr deutlich klar

gemacht, was sie wollen…“ Sie atmete tief durch und richtete sich dann mit einer gespenstigen Sicherheit auf, begann wie nebenbei die Babytasche des Kleinen zu packen. „Sie kontrollieren alles, die Medien, die Spitäler, ja selbst die ausländischen Botschaften. Die einzige Chance, die ich sehe, ist Mexiko. Er muss aus den Staaten raus! Er hat erst vor kurzem was gegessen und hat saubere Windeln an… hier hast du eine der modernsten Filteranlagen, damit du genug sauberes Trinkwasser für ihn gewinnen kannst. Des weiteren hast du in diesen drei Thermosflaschen bereits heißes Wasser, mit dem du sein Essen anrühren

kannst.“ Sie hielt mir zwei massive Dosen entgegen. „Das ist spezielles Nahrungskonzentrat mit viel Protein, wichtige Mineralstoffe wie Calcium, Phosphor, Magnesium, Zink und Eisen und ausreichend Taurin. Du kannst es ganz normal mit dem Wasser anrichten und er braucht alle drei Stunden seinen Schoppen. Der Rest sind Windeln, einige wenige Spielsachen und was ein Baby so alles braucht…“ Ein eiskalter Schauer jagte mir den Rücken runter, als mir langsam zu dämmern begann, auf was sie hinaus wollte… Ein letztes Mal hielt ihr Leon entgegen,

doch der Verräter war inzwischen seelenruhig in meinen Händen eingeschlafen. „Gewöhne dich lieber an ihn... es scheint echt, als würde er dich mögen. Hätte es echt nicht gedacht… aber ihr passt wohl gut zusammen. Augen in die man sich sofort verliebt, ein Lächeln, dass jedes Frauenherz schmelzen lässt und jeder der euch zu nahe kommt, bereut es früher oder später.“ Marta hielt kurz inne und kraulte das Baby unter dem Kinn, entlockte ihm ein extrem beruhigendes Schnurren. "Obwohl ich nichts bereue, absolut nichts von meinen Entscheidungen euch

gegenüber." Sie sah mich mit einer einschüchternden Entschlossenheit an. "Sie haben nicht das Recht, derart an Gottes Gaben herumzupfuschen!" Dann wechselte der Tonfall ihrer Stimme. „Mein Schicksal ist besiegelt… seines liegt hier und jetzt in deinen Händen. Töte ihn und erlöse ihn, dann hat der Alptraum ein Ende… oder verdammt nochmal… rette ihn! Sie kennen dich nicht und wissen absolut nichts von dir… das ist vielleicht genau die Chance die Leon braucht. Ich kann euch nicht mehr helfen. Aber ich werde versuchen dir einen komfortablen Vorsprung zu

verschaffen!“ Erwartungsvoll sah sie mich an. Eine halbe Ewigkeit verstrich, in der ich Leon in die Höhe hob und völlig verunsichert ansah. Er sah so harmlos und hilflos aus, schlief seelenruhig und wirkte als wenn er sich geborgen fühlte. Es wäre so einfach gewesen, ihm das Genick zu brechen, ihn vielleicht zu überfahren… Ich könnte ihn ersticken… Es war mir absolut klar, was ich zu tun hatte. Es war eigentlich ganz einfach. Und praktisch handelte es sich ja nur um ein Tier... Ich konnte seinen Herzschlag spüren, fühlte wie er atmete. Es war irgendwie

faszinierend, wie so etwas zerbrechliches in bloß einer Handfläche von mir Platz hatte. Wie konnte ich... sollte ich... Schlussendlich ließ ich resigniert den Kopf hängen. „I-ich kann nicht…“ Wissend nickte sie und marschierte dann entschlossen hinaus, zog mich mit sich. Ich fühlte mich hundeelend. „Wo hast du deinen Waffenschrank?“ Erstmals gelang es mir, etwas zu sagen, versuchte ich ihr klar zu machen, dass ich noch Verpflichtungen hatte, aus so etwas nicht vorbereitet war. Doch sie legte nur den Kopf schräg und verzog die Mundwinkel. „Claudé Ambrosio, du kannst mir nichts

vormachen... ich weiß genau, dass du für Notfälle stets so gepackt hast, dass du sofort für einen längeren Aufenthalt aufbrechen kannst, wenn du vor was fliehen musst oder willst. Und es hat dir nie was gemacht, Leute zurückzulassen, die glaubten, du würdest ihnen etwas bedeuten." Das tat weh... "Du magst vielleicht ein absolutes Arschloch sein… aber hier und jetzt macht dich das zur einzigen Chance für ihn!" Mit einer Zärtlichkeit, die ich schon seit Jahrzehnten vermisst hatte, umfasste sie mein Gesicht und zog es an sich heran. Ich würde ihren Blick nie vergessen, als

sie mir tief in die Augen sah und ich zu spät begriff, dass sie die Frau meines Lebens war. „Ich weiß, dass du ein Mann nicht vieler Worte bist, eher der schweigsamen Sorte. Aber dennoch, schwöre mir hier und jetzt, dass du ihn retten wirst und ihm der Vater sein wirst, den er vielleicht nie gehabt hätte!“ Mein Kopf explodierte förmlich, als ich begriff, wie sehr ich diese Frau liebte. Vielleicht wenn sie mir die Zeit gelassen hätte darüber nachzudenken, mir überhaut der Situation wirklich bewusst zu werden, hätte ich mich anders entschieden. Aber

so... „Ja, auf meine Seele und..." Die Worte fielen mir so unendlich schwer. "Unserer Liebe... schwöre ich es dir, meine Marta Murrero!“ Sie küsste mich leidenschaftlich. Ein Kuss für die Ewigkeit. Doch so sehr ich es auch genoss... ich spürte ihr Blut und das betäubende Gefühl von Abschied und Endgültigkeit. So hatte ich mir das absolut nicht vorgestellt. Dann löste sie sich von mir und kämpfte kurz mit dem Gleichgewicht, während ich mir instinktiv eine Zigarette schnappte und sie anmachen wollte. Doch sie reagierte schneller als erwartet,

als sie mir diese kurzerhand entriss, auf den Boden warf und sie zertrat. „Das wirst du nicht brauchen!“ Ebenso entriss sie mir das Päckchen mit den restlichen Zigaretten und mein Zippo. „Den auch nicht!“ Als sie jetzt das Sturmfeuerzeug in Händen hielt, sah sie mich kurz mit einem Blick an, der mir eine Gänsehaut verursachte. Dann sah sie nachdenklich zu den Gestellen mit den Schweißflaschen und den Treibstoffreserven der Garage. „Tenia una familia y un futuro!“ Murmelte sie dabei. Ich stand immer noch wie angegossen

dort. „Wie willst du hier rauskommen?“ Fragte mich Marta nun. Ich blickte zum Schlüsselbrett, an denen alle Fahrzeugschlüssel hingen und ging direkt zu dem Schlüssel meines geliebten Pontiac Grand Prix. Momentan handelte ich bloß reflexartig. Doch dann zögerte ich. Wenn ich schon daran war, mein ganzes Leben aus dem Fenster zu werfen… Wieso nicht? Entschlossen sah ich nun zum Wagen unter der Autoabdeckung. Noch benommen hielt ich den Speed 12 GTS auf

Kurs. Momentan hielt ich mich auf dem Highway an den Verkehr und versuchte so unauffällig wie nur möglich zu fahren. Zwar hielt ich dabei auch ständig Ausschau nach Streifenwagen, aber solange ich keine Dummheiten machte, hatte ich nichts zu befürchten. Denn ich war problemlos durch den Fluchttunnel zwischen den Autowracks und dem kurzen Kanalisationsstück aus dem Friedhof raus gekommen und hatte bisher eine ruhige und angenehme Fahrt hinter mir. Ich war mir ziemlich sicher, dass wir nicht verfolgt wurden. Obwohl ich immer noch nicht richtig

realisierte, was praktisch in der letzten Stunde passiert war. In was genau hatte ich mich dieses Mal hineinmanövrieren lassen? Ich blickte kurz zur festgezurrten Babytragetasche auf dem Beifahrersitz hinüber und schüttelte ungläubig den Kopf. Vielleicht half mir Musik ein wenig. Die Kreatur schien ja momentan zu schlafen. Und wenn sie dies mit dem Fahrlärm des Wagens machen konnte, würde sie ein wenig Musik wohl nicht stören. Und mir hatte Musik immer geholfen, einen klaren Kopf zu bekommen. Auch

jetzt? Das bezweifelte ich stark… Ohne viel zu überlegen, schaltete ich das Wagenradio ein. Und musste die Lautstärke ein wenig runterdrehen, als voller Begeisterung der Moderator gerade den momentanen Platz Eins der US Hitparade ankündigte. Während ich jetzt der Musik lauschte, empfand ich das vibrieren des Lenkrads als äußert angenehm und beruhigend. Jedes Mal wenn ich in einer solch herrlichen Maschine hockte und sie steuerte, konnte ich förmlich die Welt um mich vergessen… und auch alle Sorgen verdammt gut ignorieren. Es war, als wiege mich dieses mächtige

Geschöpf in eine derart trügerische Sicherheit, dass ich mir sicher war, dass ich jeder Situation gewachsen war… Das brauchte ich wohl im Augenblick auch. Denn am Rand meiner Wahrnehmung lauerten einige Gedanke und Überlegungen, die mir unheimlich Angst machten. Ich musste kurz an Marta denken. Doch ich verscheuchte diese Gedanken rasch. Mit solchen Dingen wollte ich mich im Moment nicht beschäftigen. Vor allem nicht, weil ich mir fest vorgenommen hatte, dass ich zuerst Anaheim erreichen wollte, bevor ich

mich mit der ganzen Sache wirklich stellte. Sehr wahrscheinlich hätte es mich sonst in den Wahnsinn getrieben und ich hätte sicherlich kalte Füße bekommen. Gerade als Steven Tyler „I don't wanna close my eyes. I don't wanna fall asleep. 'Cause I'd miss you, baby. And I don't want to miss a thing. 'Cause even when I dream of you. The sweetest dream would never do,“ sang, realisierte ich aber, das die Kreatur im Augenblick extreme ruhig war. Unsicher nahm ich nun den Fuß von Gaspedal und wurde das Röhren des Motors leiser. Doch ich konnte immer noch kein

Lebenszeichen von Leon wahrnehmen. Das war mir entschieden zu ruhig. Während mich jetzt ein mulmiges Gefühl beschlich, stellte ich den Blinker und fuhr auf die Straßenseite. Dieses nagende, unangenehme Gefühl hatte ich stets gehasst - vor allem, weil ich danach stets eine Standpauke meines Vaters auf sicher hatte. Im Moment raste mein Puls. Sollte ich bereits schon jetzt einen weiteren Menschen enttäuscht haben? Ich musste einmal kräftig durchatmen, bevor ich mich traute, zur Babytragetasche hinüber zu greifen und diese zu öffnen. Mit zitternder Hand zog ich die Decke

weg. Und atmete erleichtert auf. Obwohl… Leon lag kerngesund dort, war jedoch wach und starrte mich bloß unglaublich traurig an. Wieso irritierte mich das mehr als es sollte? Gerade als „I just wanna hold you close. I feel your heart so close to mine. And just stay here in this moment. For all the rest of time…” aus dem Radio erklang, erschraken wir beide heftig, als ein heftiger Schlag gegen die Heckscheibe erfolgte. Leon verkroch sich sofort winselnd unter den Decken, während ich

verunsichert herum fuhr. Aber ich konnte nur noch eine verblasende, schwache Vibration spüren. Selbst als ich hinausging und einmal um den den Rallye-Grün Metallic farbenen Wagen lief, fiel mir nichts Seltsames auf. Nichts war beschädigt, nichts lag irgendwie auffällig herum… Also fuhr ich wieder los. Doch mein Herz pochte weiterhin heftig, während ich aus den Zwischenfall schlau zu werden versuchte - denn irgendwie wusste ich, dass das kein normaler Schlag gewesen war. Das war was anderes, bekanntes gewesen… Aufgewühlt sah ich zu Leon hinüber, der sich zusammen gekuschelt hatte und wie

ein Häufchen Elend wirkte. Das war eine Druckwelle gewesen… Instinktiv schaltete ich auf den Polizeifunk um. Und die Hölle brach los… Man verstand überhaupt nichts, denn auf dem Äther herrschte das blanke Chaos. Erst nach und nach konnte ich heraushören, dass augenblicklich ein Großeinsatz aufgeboten wurde… der stätischen Feuerwehren. Dabei waren mehrere Stationen involviert. Sie verlangten zumindest drei große Löschfahrzeuge. Unzählige andere Leute meldeten sich fortlaufend zu Wort, hatte jedoch die Einsatzzentrale des LAPD überraschend

Mühe, betroffene Leute vor Ort zu erreichen. Diese Adresse… Aus den eintrudelnden Berichten konnte ich mich zusammenreimen, dass man bereits schon jetzt Tote zu beklagen hatte und dass momentan noch mindestens zwanzig weitere Personen vermisst wurden - wobei stets darauf hingewiesen wurde, dass es sich dabei um 'externe' Staatsangestellte handelte. Und der Tatort war … „Mon Dieu!“ Ich blickte in den Rückspiegel. Und mein Herz setzte für mehre Schläge aus. Gummi konnte verdammt gut

brennen... Die nachtschwarze Rauchsäule die jetzt gen Himmel stieg und immer grösser wurde, war einfach nur beeindruckend und einschüchternd. Wer sich wohl im Moment im Autofriedhof befand, war wohl noch nie so nah der Hölle gewesen… Ich musste leer schlucken, fühlte eine unendliche Leere in der Brust. Da verbrannte mehr als meine Vergangenheit… Im Rückspiegel erkannte ich auch, dass ich weinte. „Adieu meine kubanische Blume!“ murmelte ich nur, als ich Leon sanft streichelte, bis sein Schlaf ruhiger wurde

und er zu schnurren begann. Dann begann ich zu beschleunigen, um hier weg zu kommen. Als ich mich auf die Straße konzentrierte, folgte mir die Rauchsäule im Rückspiegel bis in den Abend hinein. Sie musste kilometerweit zu sehen sein. Und in die ganze Trauer mischte sich auch die Erkenntnis, dass mein bisher bedeutungsloses und verpfuschtes Leben plötzlich einen Sinn bekommen hatte.  

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Lobezno
Eigentlich ist es so wie es ein Landsmann von mir treffend beschrieb:

'Mit den Riesen habe ich keine Probleme; nur die Windmühlen machen mir echt zu schaffen!'

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RainbowLady Wirklich anfreunden konnte ich mich bisher mit der Geschichte nicht, dazu ist mir wohl der Hauptcharakter zu egozentrisch, Ich-bezogen und jammert zuviel, ohne beispielsweise die Gründe für seine soziale Zurückgezogenheit zu erkennen (seine Liebschaft hatte da mit dem 'Arschloch' schon ganz recht ^^), aber ich habe das Gefühl, du planst Charakterentwicklungen in eine positivere Richtung, allein schon, weil du ihm jetzt plötzlich Verantwortung aufdrückst und ihn zwingst, aktiv zu werden, statt weiterhin die passive, sich dauernd beklagende Rolle einzunehmen. Gefällt mir und ich bin gespannt, wie sich das entwickelt :) Der Plot an sich ist bis jetzt nichts so unglaubliches, nie zuvor dagewesenes, aber du hast einen angenehmen, flüssigen Schreibstil und schaffst es teilweise, Spannung aufzubauen, daher werde ich die Geschichte wohl erstmal gerne weiter verfolgen :)
Vor langer Zeit - Antworten
Lobezno Herzlichsten Dank für den Kommetar!
Und danke für den Zuspruch.
Mal sehen, sobald ich gesundheitlich wieder fit bin (habe im Moment ein Problem mit meinem rechten Auge) und zum Weiterschreiben komme, wie sehr deine Annahme stimmt.
Vor langer Zeit - Antworten
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