Kapitel 25 Das Gehöft
Am nächsten Morgen ließen sie die Wälder zum ersten Mal hinter sich. Vor ihnen erstreckte sich eine der, aus dicht beieinander gefügten Pflastersteinen bestehenden, Handelsstraßen, die sich vom Westmeer bis zur anderen Küste zogen und die meisten größeren Siedlungen und Häfen Cantons miteinander verbanden. Ein Ozean aus reifen Ähren wiegte sich abseits der Straßen im Wind, nur durchbrochen von einzelnen Farmhäusern und Zäunen, die
wie Inseln daraus hervorragten.
Das milde Klima, das weite Teile der Region prägte, erlaubte an manchen Orten zwei Ernten pro Jahr und je weiter man nach Süden käme, desto fruchtbarer wurde das Land. Was sie hier vor sich sahen, war die Kornkammer des gesamten Reichs, denn was in den anderen Teilen Cantons an Ernten wegfiel, wurde durch Getreide aus den Herzlanden wieder ausgeglichen. Es war auf mehr als eine Art wertvoll… Simon genoss die ersten wärmenden Sonnenstrahlen, während sie der Straße folgten. Obwohl der Sommer das Land wohl bald fest im Griff haben würde, war es unter den Schatten der Bäume
nachts doch noch empfindlich kühl geworden.
Einer seiner alten Pläne hatte einmal vorgesehen, die Herzlande zu besetzen und den Kaiser so einfach auszuhungern. Mit Magie wäre das gar nicht einmal ein so verwegener Plan und im Zweifelsfall hätte er nach wie vor damit drohen können, die gesamte Ernte eines Jahres zu vernichten. Was eine Hungersnot ohne Gleichen bedeutet hätte. Es war Wahnsinn gewesen, dachte er kopfschüttelnd. Mehr als das. Und auf seine Art schlimmer als alles, was Ordts Ältester getan haben mochte. Er hatte Tarkeen gestern verurteilt…. Nur mit welchem Recht eigentlich ? Götter, was
dachte er überhaupt?
Während sie weitergingen, stieg die Sonne langsam höher und tauchte das Land um sie herum in gleißendes Licht und bald ertappte Simon sich dabei, wie er in der Ferne nach einem Flecken Blau Ausschau hielt oder wenigstens nach dem Gluckern eines Bachlaufs lauschte. Ihre verbliebenen Vorräte, inklusive Wasser, waren für ihre letzte Mahlzeit draufgegangen. Ihnen würde kaum etwas anderes übrig bleiben, als sich Neue zu besorgen und ihnen blieb kaum etwas, das sie dafür eintauschen konnten. Das hieß, bis auf ihre Arbeitskraft. Götter, er war wirklich tief gesunken, dachte Simon, musste dabei aber unwillkürlich
lächeln. Im Augenblick war es ihm egal, wenn er dafür einen Krug kaltes Wasser und genug Essen für ein paar Tage bekam.
„Über was genau grinst Ihr so?“ , wollte Ordt wissen.
„Nichts. Vielleicht über mich selbst. Und darüber, dass wir uns für unsere nächste Mahlzeit wohl als Tagelöhner versuchen müssen.“
„Schon mal eine Sense in der Hand gehabt?“ , wollte Kiris wissen.
„Nicht mehr, seit mich mein alter Meister mich dazu verdonnert hat, den Garten hinter seinem Haus mit einer zu mähen. Keine Ahnung was mir das bringen sollte….“
„Klingt nach einem komischen Vogel.“, bemerkte Tiege.
Das sagt der richtige, dachte Simon bei sich.
„Er war der erste Zauberer, der mich ausgebildet hat. Und nun er ist tot “, gab er zurück und der Ton in seiner Stimme musste wohl mehr verraten haben, als er wollte, den der Fuchs erwiderte nichts mehr.
Gegen Mittag schließlich erreichten sie ein kleines Gehöft, das direkt an der Straße lag. Gelbe Lehmwände umschlossen einen kleinen Innenhof, in dem ein kleiner Gemüsegarten neben einem simplen, aus Ziegeln errichteten
Haus lag. Ein weiteres Gebäude direkt neben dem Wohnhaus bestand aus kaum mehr als einigen morschen Brettern, die durch mehrere Querstreben aufrecht gehalten wurden und wohl mal eine Scheune darstellen sollten. Nun jedoch war das Dach, genau wie die Fassade in sich zusammengefallen und wenn es noch Tiere gab, so hörte Simon sie nicht.
Tiege und Ordt sahen sich nach allen Seiten um, während sie den Innenhof betraten und auch Simon konnte nicht verhindern, dass ihm bei dem Gedanken mulmig wurde, an einem Ort mit nur einen Ausgang festzusitzen. Auch wenn es unwahrscheinlich war, das man sie hier erkannte, sie waren nach wie vor
alle Flüchtlinge.
Kiris ihrerseits übernahm jedoch die Führung und trat ohne Zögern auf das Wohnhaus zu. Hinter einem der Fenster im zweiten Geschoss des Baus meinte Simon kurz, eine Bewegung wahrgenommen zu haben, konnte aber nichts mehr entdecken, während er genauer hinsah.
Die ehemalige Vorsteherin Stillforns klopfte derweil bereits gegen die weiß getünchte Tür des Hauses und wartete. Es dauerte eine Weile, bevor geöffnet wurde, aber während sie warteten, konnte Simon kurz mehrere Schläge hören, so als würde Metall auf Holz treffen. Dann endlich würde die Tür
aufgezogen und ein leicht untersetzter Mann mit angegrauten, dunklen Haaren trat ins Licht. Er trug eine dunkle Schürze, die die von der Sonne braun gebrannten Arme freiließ und die Füße steckten in hohen Stiefeln, die wohl schon bessere Tage gesehen hatten. Doch seine Augen sprachen dem Eindruck eines simplen Bauern, der einfach ein paar schlechte Jahre hinter sich hatte, Hohn. Der Blick des Mannes wanderte voller Sorge über die bunte Truppe vor ihm und blieb dann am bewaffneten Tiege hängen.
„Kellan, wer ist das?“
Hinter ihm tauchte derweil eine Frau auf, die ihnen genauso besorgt
entgegensah. Und im Gegensatz zu dem Mann hielt sie ein stumpfes Küchenmesser umklammert, als fürchte sie, die vier Besucher könnten versuchen, sich gewaltsam Zutritt zum Haus zu verschaffen. Die gespannte Atmosphäre hielt jedoch nur einen Moment, dann fragte der als Kellan angesprochene:
„Ich weiß es nicht Carol, aber… Ihr seid nicht von der Garde, oder?“
„Nein.“, antwortete Kiris beruhigend. „Ehrlich gesagt glaube ich, sind wir so weit davon entfernt wie möglich.“
Simon fragte sich bereits, was diese Leute zu verbergen hatten, das sie sich vor der Garde fürchteten. Sicher, die
Truppen von Kaiser Tiberius waren nicht grade höflich wenn man etwas besaß, das sie wollten, aber er brauchte sich nur umzusehen um zu wissen, dass es hier nicht viel von Wert geben konnte, von dem Korn auf den Feldern einmal abgesehen. Und das stand noch. Erst wenn es Geschnitten und getrocknet wäre, würde der Kaiser seinen Teil als Steuer einfordern.
„Helbert, Du kannst runter kommen.“
Die Frau, die nach wie vor im Eingang des Hauses stand hatte sich zu einer Treppe umgedreht, die sich im Schatten hinter den beiden alten Leuten abzeichnete. Auf ihren Ruf kam eine dritte Gestalt rasch die Stufen hinab und
nun wusste Simon, dass er sich eben nicht getäuscht hatte. Da war tatsächlich jemand im zweiten Stock gewesen…. Ein Junge von vielleicht sechzehn Jahren, der zögerlich hinab kam. Blieb die Frage, warum sie versucht hatten, ihn zu verstecken.
„Ihr müsst meine Vorsicht wohl entschuldigen.“, meinte die als Carol angesprochene Frau, während sie das Messer bei Seite legte und an die Seite ihres Mannes trat.
„Aber wir können leider nicht mehr vorsichtig genug sein, grade jetzt…. “
„Wenn ich fragen darf wieso?“, schaltete sich Simon ein.
Die beiden Gejarn verfolgten die
Szene nach wie vor schweigend und in Anbetracht der Umstände, war das vielleicht auch besser. Auch wenn Menschen und Clans in den Herzlanden dicht an dicht lebten waren sie nicht immer gute Nachbarn und brachten einander ein gesundes Maß an Misstrauen entgegen. Und grade war die Lage schon angespannt genug, auch wenn sich die erste Angst der beiden Leute gelegt hatte.
„Wir haben schon ein Kind an die Garde verloren.“, erklärte der Mann, Kellan.
„Vor drei Jahren haben sie ihn eingezogen. Ohne irgendein Widerwort zu dulden. Und ich glaube nicht, das er
noch zurück kommt….“ Er ließ den Satz unvollendet, aber Simon verstand durchaus, worauf er hinauswollte. Vermutlich war er tot, irgendwo auf einem namenlosen Schlachtfeld gefallen und vergessen worden.
„Und jetzt, wo der Kaiser einen neuen Feldzug plant….“
„Seit wann ?“ Normalerweise plante Tiberius eine solche Sache Monate im Voraus. Und er vor allen anderen hätte davon wissen müssen, es sei denn….
„Seit ihm der neue Oberste dieses verfluchten Sangius-Orden dazu geraten hat. Offenbar ist es mal wieder Zeit die freien Königreiche etwas einzuschüchtern. Und wir dürfen dafür
sterben. Alles Dank diesem… keine Ahnung wie er hieß.“
„Sein Name ist Erik.“, erklärte Simon und fügte hastig hinzu : „Soweit ich weiß jedenfalls.“
„Jedenfalls lasse ich nicht zu, das sie uns noch ein Kind nehmen.“, stellte Kellan fest. „Wenn nicht, weil der Junge nie zurückkommen wird, dann schon alleine weil mein Hof langsam zugrunde geht. Ich meine seht Euch das an!“ Er deutete in Richtung der zusammengefallenen Scheune und hinaus auf ein kleines Seitentor, das auf die Felder hinausging. „Das Korn verrottet mir schneller, als ich es einbringen kann.“
„Ich glaube.“, ergriff Kiris wieder das Wort, „dann sind wir genau die Richtigen für euch.“
Es dauerte nicht lange, den Bauern davon zu überzeugen, ihnen für etwas Arbeit genug Vorräte zur Verfügung zu stellen, um es bis nach Vara zu schaffen. Geld besaß er vielleicht keines, dafür aber mehr als genug Lebensmittel, um ihnen einen Teil abzugeben. Und vermutlich, dachte Simon, war der Mann wohl heilfroh darüber, für so wenig, gleich vier helfende Hände zu bekommen. Wie sich herausstellte, gehörte Kellan fast das gesamte Land, das sie überblicken konnten, nur hatte es
ihm bis jetzt einfach an Leuten gemangelt, es auch vernünftig zu bewirtschaften. Für Arbeit war also gesorgt und Simon war bald dankbar für den braunen Schlapphut , den ihm der Mann angeboten hatte und der zumindest etwas Schutz vor der Sonne bot, die ihren höchsten Stand bereits vor einigen Stunden erreicht hatte.
Er und Tiege waren beide damit beschäftigt, die goldenen Ähren mit zwei Sensen, Reihe für Reihe abzutrennen, eine eintönige Arbeit und die zunehmende Hitze des Tages machte es nicht wirklich besser. Aber was tat man nicht alles für einen vollen Magen. Simon richtete sich einen Moment auf
und rückte den Hut zurecht, während der Gejarn ihn bereits ein Stück überholte und eine perfekte rechteckige Schneise durch das Korn pflügte. Irgendwie war es faszinierend, dem Mann dabei zuzusehen. Tiege schien das Ganze nicht wirklich ernst zu nehmen, sondern eher als Gelegenheit, seine Fertigkeiten zu üben. Er nutzte die Sense nicht wie Simon es erwartet hätte, sondern holte mit dem Werkzeug in hohen Bögen aus, so, als würde er das Gewicht kaum spüren. Und so, wie er es schon einmal gesehen hatte, wie ihm klar wurde. Auch wenn die Bewegungen hier langsam waren, erkannte er darin den seltsamen Kampfstil, den der Fuchs nutzte. Und
dem an anderer Stelle bereits eine Handvoll Prätorianer zum Opfer gefallen waren. So unpraktisch das wirkte, er war damit sogar schneller als sie alle, denn mit jedem Streich vielen auch Halme, sauber über dem Boden abgetrennt.
„Passt bloß auf, das ihr euch nicht verletzt.“, meinte Kiris, die ihnen mit Ordt folgte und die abgeschnittenen Ähren zu Garben zusammenband, die sie zum Trocknen aufstellen konnten.
„Irgendwie muss ich ja in Form bleiben.“, erklärte Tiege lediglich, bevor er sich erneut in die Arbeit stürzte. Simon schüttelte nur Kopf, tat es dem Fuchs aber gleich. Und irgendwie… gefiel es ihm, dachte er. Es war
ungewohnte Arbeit, aber, es war eine Aufgabe. Zumindest reichte das, um ihn von seinen ganz eigenen Problemen abzulenken.
Sie hatten sich verpflichtet, bis Sonnenuntergang zu arbeiten und langsam wurden die Schatten länger. Ein Blick zurück zum Hof zeigte ihm, das sie bereits ein gutes Stück davon entfernt waren. Hinter ihnen erstreckte sich eine große Fläche, auf der sich nun Getreidegarbe an Garbe reihte. Und vor ihnen endete das Feld an einem tiefen Entwässerungsgraben, in dem durch Lehm und Erde braun gefärbtes Wasser stand. Sie hatten es tatsächlich geschafft…
Simon stützte sich auf die Sense, während er den Blick noch einmal zurück zum Gehöft schweifen ließ, von dem sich nun eine einzelne Gestalt näherte. Es war Carol, wie er nach einer Weile erkannte.
Und Kellans Frau trug einen schweren Korb mit sich. Stämmig und etwas kurz geraten, hatte sie augenscheinlich ihre liebe Mühe mit dem Gewicht, bis Ordt ihr entgegenging und beim Tragen half. Einen Moment war da wieder kurz misstrauen, als sie den Wolf auf sich zutreten sah, dann jedoch nahm sie die Hilfe mit einem gleichmütigen Schulterzucken an. Allerdings war Simon sich ziemlich sicher, nie erfahren
zu wollen, wie weit dieser Gleichmut ging. Immerhin, sie war diejenige gewesen, die mit einem Messer bewaffnet an der Tür erschienen war, nicht ihr Mann….
Aber Götter, es sah so aus, als könnte dieser Tag tatsächlich besser enden wie so viele Andere in letzter Zeit.
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