Kapitel 22 Die Entscheidung der Kommissare
Nichts rührte sich in den zwei sich gegenüberstehenden Reihen. Auf der einen Seite, die Bevölkerung einer Stadt, die zu lange in Ketten gelegen hatte. Auf der anderen… das vielleicht größte Symbol ihrer Kerkermeister. Das würde in einem Blutbad enden, dachte Aaren. Und doch bewegte sich niemand. Der Kommissar trat langsam vor und breitete die Arme aus.
,,Was jetzt ?“ , fragte er laut. In der plötzlichen Stille klang seine Stimme erneut Lauter, als sie sollte. ,,Hm ?
Worauf wartet ihr noch? Ich bin hier, falls es euch entgangen ist.“
Diese Männer und Frauen waren seine Brüder und Schwestern gewesen. Er brauchte sich nur umsehen und entdeckte mehr als ein Dutzend bekannte Gesichter. Er kannte sie… ihre Geschichten, lautete sie am Ende doch für jeden Kommissar gleich.
,, Also… hier bin ich. Der Abtrünnige, der Aufrührerische… sucht euch etwas aus. Wenn ihr jemanden töten wollt bitte.“ Er machte einen Schritt weiter vor. Im nächsten Moment richteten sich auch schon dutzende von Pistolenläufen auf ihn. ,, Aber vielleicht solltet ihr darüber nachdenken, wem ihr eigentlich
dient. Ich war und bin einer von euch. Wir sollen ungetrübte Urteile fällen. Ist das ein klares Urteil? Ich glaube nicht. Wir sollten der Gerechtigkeit dienen und nichts anderem. Keinen Ministern, keinen Soldaten, keiner einzelnen Person… Und jetzt seht euch einmal um. All diese Leute, jeder einzelne ist hier weil er offenbar besser beurteilen kann, was richtig und falsch ist, als ihr alle zusammen. Wie kann das sein? Oder aber… gibt es die Möglichkeit, nur die geringste Chance, das ihr falsch liegt, das ihr die Leute schützt, die ihr bekämpfen solltet?“ Aaren machte einen weiteren Schritt vorwärts. ,, Wenn nicht, dann bitte. Tötet mich. Aber wenn dem
so ist, wenn meine Worte wahr sind… was dann ?“
Er stand jetzt direkt vor der nach wie vor regungslose Mauer aus Kommissaren, nur von den ausgestreckten Waffen auf Distanz gehalten. Ein Lauf war direkt auf seiner Augenhöhe. Sollten sie sich falsch entscheiden, würde er das Ergebnis nicht mehr mitbekommen. Und das wollte er auch nicht… Wenn das Elektorat in einem Feuerregen unterging, dann würde Jones Recht behalten. Nichts würde so schnell zur Ruhe kommen. Aber wenn sie ihnen halfen, wenn sie nur die Minister ausschalteten… Was wurde dann alles möglich?
Er warf einen Blick zurück zu der
wartenden Menge. Sonea und die anderen standen in der ersten Reihe, warteten, genau wie er…
Der erste Kommissar nahm die Waffe runter.
,, Das ist nicht, wofür ich mich gemeldet habe.“ , erklärte er lediglich und drehte sich langsam um. Ein weiterer tat es ihm gleich. Ein dritter, ein vierter… Langsam aber sicher löste sich die gesamte Phalanx aus Bewaffneten auf und trat bei Seite, so dass eine Gasse entstand. Aaren konnte den Platz und den Zugang des Ministeriums erkennen. Es war lange her, das er das letzte Mal hier gewesen
war, dachte er. Wie in Zeitlupe
beobachtete er, wie sich Kommissare wie Bürger über den Platz verteilten. Stellenweise lieferten sich ersterer kurze Feuergefechte mit den Ulanen. Die meisten Drohnen jedoch, die bei weitem die größere Gefahr darstellten, waren längst in sich zusammengebrochen. Entweder hatte die Explosion sie beschädigt oder das, was er im Netzwerkknoten angestellt hatte, hatte sehr viel weitreichendere Folgen gehabt. Auch die Maschinen wurden letztendlich Zentral kontrolliert. Aaren suchte nach Jack und den anderen und fand sie schließlich bereits auf halbem Weg die Stufen zum Ministeriumseingang hinauf.
,, Das ist es ?“ , fragte Mia unsicher,
während sie zur Tür hinauf sah.
Aaren nickt lediglich. Sie waren am Ziel… Noch immer hallten vereinzelte Schüsse über den Platz, als sie schließlich durch die Türen traten. Die Eingangshalle des Justiz-Ministerium war ein großer, schlicht gehaltener Saal, in dessen Mitte sich eine gut drei Meter hohe Justitia-Statue erhob. Dahinter zweigten mehrere Türen ab. Und eine davon, die offen stand, musste in den Versammlungssaal der Minister führen. Wenn sie noch hier waren. Sollten sie fliehen… er wusste nicht, was dann geschehen würde. Sie könnten Verstärkung von den übrigen Welten rufen… und den Aufstand hier
niederschlagen. Das durfte nicht geschehen.
Aaren wusste nicht mehr genau, wann er diesen Saal das letzte Mal betreten hatte damals jedoch war hier noch alles voller Menschen gewesen. Beamte, Kommissare, Boten, die ihrer Arbeit nachgingen. Jetzt jedoch, war davon nichts mehr zu sehen. Es herrschte lediglich gähnende Leere. Entweder waren bereits alle geflohen oder, was vielleicht sogar wahrscheinlicher war, der Ministerrat hatte auch seine eigenen Angestellten ausgeschlossen.
Aarens Schritte hallten von den Steinfliesen wieder, während er, die Waffe im Anschlag, in den Raum trat.
Die meisten Ulanen hatte es wohl bereits draußen erwischt, aber hier war es einfach… zu ruhig.
,, Sind sie gekommen , um es zu Ende zu bringen, ja ?“ , fragte eine Stimme. Eine einzelne Gestalt stolperte hinter der Statue hervor. Aaren erkannte Abundius. Der Mann wirkte mitgenommen und noch übermüdeter als sonst und über einem Auge prangte eine gewaltige Platzwunde. Hinter ihm tauchten nun weitere Personen auf, ein gutes Dutzend davon in den typischen Panzerungen der Ulanen-Garde. Und von ihnen flankiert folgte schließlich eine weitere Gestalt, die Aaren zu seinem Leidwesen sofort erkannte. Daniel Szymanski. Der
Finanzminister. Aber wo waren die anderen?
Mia richtete sofort das Gewehr auf die kleine Gruppe. Jack und Aaren taten es ihr gleich.
,, Ich an ihrer Stelle würde mir das gut überlegen.“ , meine der Finanzminister. Einer der Ulanen trat vor und hielt Abundius eine Waffe an die Schläfen. ,, Man sollte ihnen fast gratulieren, Aaren. Beinahe hätten sie Erfolg gehabt.“
,, Beinahe, Minister ? Ich weiß nicht, ob sie heute schon aus dem Fenster gesehen haben, aber da draußen stehend mehr als zehntausend Menschen. Wenn sie glauben ihre Handvoll Ulanen beschützt sie davor, fürchte ich, dann haben sie sich
verschätzt… Wir sollten die Hoffnung für die Menschheit sein, Minister. Nicht ihre Sklaventreiber. Dafür erhalten sie heute die Rechnung.“
,, Waren wir das nicht ?“ Szymanski breitete die Arme aus. ,, Wir sind schon der Weg für die Zukunft der Menschen. Sehen sie sich doch um.“
Aaren musste laut lachen, als er Verstand, worauf der Minister hinauswollte. ,, Diese Kreaturen ? Wirklich ?“ Er schüttelte den Kopf. ,, Das , was sie aus ihnen gemacht haben, ist das Ende jeder Zukunft. Es sind leere Hüllen, ohne Verständnis dafür, was Menschen antreibt, ohne Überzeugungen. Ich kann sie nicht einmal ernst nehmen.“
Skye auf Liurie war ein Gegner. Vämska war einer. Und wohl auch Abundius… Aber das hier ? ,, Es sind bestenfalls Sklaven.“
,,Glauben sie , was sie wollen. Ihr Kollaborateur jedenfalls hat versagt. Ich lebe noch. Und sie werden jetzt bei Seite treten und mich durch lassen. Ich warte nur noch auf ein Shuttle, das mich von hier wegbringt.“
,, Ich bezweifle, dass es kommt.“ , bemerkte Jack kühl, die Waffe nach wie vor auf den Minister gerichtet.
,, Was sie glauben oder nicht ist irrelevant, Sie machen jetzt Platz. Oder ihr Komplize hier stirbt.“
Wie um die Worte zu unterstreichen,
versetzte einer der Ulanen Abundius einen Stoß.
Der Mann lachte bitter, bevor er aufsah. ,, Aaren. Wenn sie ihn jetzt entkommen lassen, war alles umsonst. Und leider kenne ich sie schon zu gut. Das werde ich nicht zulassen…“ Mit diesen Worten drehte er sich zum Minister um, während gleichzeitig eine seiner Hände in der Tasche verschwand.
,,Was haben sie…“ , setzte Aaren an, als er auch schon sah, was Abundius nun hervorholte. Ein vielleicht faustgroßes, dunkles Päckchen, an dem eine einzelne rote Lampe über einem Schalter leuchtete.
,,Tut mir leid.“ , meinte er, bevor er den
Schalter umlegte.
,, Alle raus hier !“ Aaren achtete nicht mehr darauf, was sonst um ihn herum geschah. Er machte auf dem Fuß kehrt und riss die anderen dabei mit sich, weiter in Richtung Tür. Bevor sie jedoch den Ausgang erreichte, zündete bereits der Sprengsatz. Aaren warf einen letzten Blick zurück und sah grade noch, wie sowohl der Minister, als auch Abundius und die Ulanen in einer Feuerwolke verschwanden, die sich rasch in alle Richtungen ausbreitete. Auch die Statue wurde von der Explosion zermalmt und stürzte langsam zur Seite. Dann hatte die Druckwelle auch sie erreicht und Aaren spürte, wie er den Boden unter den
Füßen verlor, während das Gebäude über ihnen allmählich in sich zusammensackte. Die Leute draußen auf dem Platz hielten inne, als plötzlich Feuer aus den Fenstern des Ministeriumsgebäudes schlug, bevor die Fassade nachgab und einstürzte.