Romane & Erzählungen
verliebt, verlobt, verlogen - Kapitel 2

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"die Geschichte geht weiter"
Veröffentlicht am 08. April 2015, 52 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Es macht einfach Spaß, Geschichten zu erfinden. Personen und Schauplätze zu entwickeln, welche in ihrer eigenen Welt existieren. Böse oder nett, hinterhältig oder berechnend, alles fügt sich irgendwie zusammen.
die Geschichte geht weiter

verliebt, verlobt, verlogen - Kapitel 2

Kapitel 2

Als die Wolken die Sonne endlich wieder freigaben, begann die Natur aufzuatmen. Das frische grün der Wiesen kehrte zurück und breitete sich in Windeseile um Roschfield aus. Beth Morris bekam tatkräftige Unterstützung in ihrem Geschäft. Ihre Schwester, mit dem Namen Abigal Graves zog bei ihr ein. Miss Graves hatte nie geheiratet. Ihre imposante Erscheinung verlieh ihr etwas edles und herrschaftliches. Außerdem besaß sie, im Gegensatz zu Mrs Morris, viel feinere Gesichtszüge, welche sie jünger erscheinen ließen. Den Damen aus

Livingston gefiel es, von Miss Graves bedient zu werden. Sie lobten ihr Geschick und ihre Umgänglichkeit. Auch Adam Jenkins, dem die Schönheit nicht verborgen blieb, plagte plötzlich kein einziges Zipperlein mehr. Wie ein Jungbrunnen sortierte er vor seinem Geschäft wieder und wieder die Auslagen und warf dabei verstohlene Blicke in Richtung des Stoffladens. So ging es Tag für Tag. Endlich war es wieder Donnerstag. Isabells Mutter bat ihre Tochter bei -Winston und Sohn- hineinzuschauen, um ein paar Stiefel zum Flicken abzugeben. Was nicht unbedingt auf Gegenliebe

stieß. Was, wenn sie Bradley dort begegnete? Vielleicht war er ja gerade außer Haus, um Besorgungen zu tätigen, versuchte sich Isabell einzureden. Ihr blieb nichts anderes übrig, als es selbst herauszufinden. Ein unbehagliches Gefühl stieg in ihr auf, als sie sich schließlich direkt vor dem Geschäft befand. Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter. Die Türglocke schellte unbarmherzig. Miss Lankfords Körper zuckte zusammen, so als wäre sie dem Teufel höchstpersönlich begegnet. Von Peinlichkeit gepackt, blickte sie sich um, aber niemand der Anwesenden schien etwas bemerkt zu haben. „Oh, Miss Lankford!“ Mit diesen Worten

eilte Mr Winston herbei. „Welche Ehre, so treten sie doch näher. Wie können wir ihnen behilflich sein?“ Bradley, welcher etwas abseits saß und mit einem Schuhmodell beschäftigt war, sprang sofort auf, als er jene gewissen Worte vernahm, stand stramm wie ein Soldat und schien etwas irritiert. Isabell warf ihm einen flüchtigen Blick entgegen, um nicht unhöflich zu wirken. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie glaubte, es würde jeden Moment aus ihrer Brust herausspringen. Zu allem Übel war ihr sogar entfallen, weshalb sie eigentlich hier war. „Miss Lankford, ist alles in Ordnung?“, fragte George Winston

besorgt. „Was?“, stammelte die Angesprochene. „Oh ja“, fuhr sie sichtlich irritiert fort. „Meine Mutter schickt mich, ich soll die Stiefel zu ihnen bringen. Sie möchten sie doch bitte flicken.“ Diese Worte kamen Isabell nur schwer über die Lippen, denn Bradley stand immer noch, ohne jegliche Regung, am selben Platz. Sein pausenloses Angestarre machte das Fräulein nervös. Zum Vorteile war es, dass George Winston sich genau zwischen das vermeintliche Pärchen stellte, um die Stiefel näher zu betrachten. „Na, da wollen wir mal sehen“, meinte er und drehte die Besagten prüfend in jede noch

so erdenkliche Richtung. „Da gibt es aber eine Menge Arbeit dran“, gab Mr Winston schließlich von sich. „Vielleicht möchte sich ihre werte Frau Mutter bei Gelegenheit ein paar neue Stiefel anfertigen lassen, die würden wahrscheinlich nur halb so viel kosten wie die Reparatur“, fügte er noch hinzu. Plötzlich wendete Mr Winston seinen Blick von Isabell ab. „Bradley, was stehst du da herum, komm her und schau dir die Stiefel von Miss Lankford an!“ Es mussten wohl zwei, drei Minuten gewesen sein, bis sich der Angesprochene endlich besann. Unbeholfen trat er heran. Isabells

Gesichtsfarbe veränderte sich schlagartig in ein erfrischendes rot, als Bradleys unsicherer Blick sie traf. Eine Ohnmacht schien sich in Miss Lankfords Innersten anzukündigen, welche ihr die ganze Gesichtsfarbe wieder entzog. Offensichtlich ahnte Bradley, was gerade in seinem Gegenüber vor sich ging. Hastig riss er die Stiefel an sich und verschwand nach einer kurzen, angedeuteten Verneigung im Hinterzimmer. Sein Vater blickte ihm misstrauisch nach. An Isabell gerichtet, meinte er mit einem Augenzwinkern: „Wir werden sehen, was sich da noch machen lässt. Nächste Woche, wenn sie hier

vorbeikommen, können sie die Stiefel wieder mitnehmen.“ Bei der nachfolgenden Verabschiedung seinerseits glaubte das Fräulein ein trügerisches Lächeln in seinem Gesicht wahrzunehmen. „Meine Empfehlung an Mrs Lankford.“ Als Isabell ein paar Schritte gegangen war, schloss sie für einen Moment die Augen. Erst jetzt spürte sie, wie ihr Herz den normalen Rhythmus wiederfand. In ihren Gedanken sah sie immer noch Bradleys Gesicht. War er überhaupt erfreut darüber, ihr zu begegnen? So, wie er auftrat, kamen ihr doch gewisse Zweifel. Sollte es wirklich nur einseitige

Zuneigung sein? Freude über das Erscheinen ihrerseits hatte sie in Bradleys Gesicht jedenfalls nicht wahrnehmen können. Vielleicht war es aber auch ganz anders und er mochte sie genauso, wie sie ihn. Nächste Woche, wenn die Stiefel zur Abholung bereit stünden, würde er zumindest auf sie vorbereitet sein. Der restliche Vormittag, bei Rose Fielding gestaltete sich als äußerst schwierig. Miss Lankford konnte ihre Gedanken nicht ordnen und wirkte oft recht abwesend. Rose Fielding nahm einen strengen Gesichtsausdruck an. „Sie gefallen mir heute gar nicht, mein liebes Kind. Falls

sie etwas bedrückt, stehe ich ihnen gern zur Seite. Ist es wegen Alison? Wie schrecklich es doch sein muss, mitzuerleben, wie die eigenen Eltern verbrennen. Gott sei Dank war das Hausmädchen Herr ihrer Sinne und hielt das junge Ding davon ab, selbst ins Feuer zu gehen.“ Plötzlich durchbrach ein leichtes Klopfen an der Tür das Gespräch. Fanny trat ein. In ihrer Hand hielt sie ein kleines Fläschchen. „Ich sehe schon, es ist wieder einmal Zeit für meine Medizin“, stellte Mrs Fielding fest. „Ihnen fehlt doch nichts Ernstes?“, fragte Isabell

besorgt. „Aber nein, meine Liebe. Es ist nur ein leichter Husten, welcher mich jedes Mal um diese Jahreszeit einholt. Der Doktor hat mir ein gutes Mittel verschrieben, das sicher bald helfen wird.“ Miss Lankfords Blick wanderte über das fahle Gesicht Rose Fieldings. Sicher wurde sie ab und an von einer leichten, heimtückischen Erkältung heimgesucht, aber dieses Mal machte sie sich ernsthafte Sorgen. Um von ihrer angeschlagenen Gesundheit abzulenken, merkte Mrs Fielding an, dass Bridget Thompson ihren Besuch für den Vormittag angekündigt hätte. Gerade, als Isabell im Begriff war, den Heimweg

anzutreten, traf die Besagte ein. „Sie wollen uns doch nicht schon verlassen, verehrte Miss Lankford?“, kam es Mrs Thompson über die Lippen. „Leider kann ich nicht länger bleiben. Mein Vater wünscht, dass ich pünktlich zum Essen erscheine“, entgegnete die sich Verabschiedende. „Wie schade. So muss ich ihnen, bei ihrem nächsten Besuch von meinem Vorhaben erzählen. Zumindest werden wir uns bald öfter sehen, denn mein Gatte und meine Person werden demnächst eine Woche in Roschfield verweilen“, tat die Dame aus Livingston ziemlich geheimnisvoll. Ihr Plan, das verschlafene, kleine

Örtchen zu neuem Leben zu erwecken, war noch nicht ganz ausgereift. Dennoch keimte in ihr eine Idee, welche sie vorhatte, in die Tat umzusetzen. Miss Lankford horchte auf. Eine ganze Woche? Das kam ihr rätselhaft vor. Ihr war allerdings auch bekannt, dass die Thompsons die Ruhe in Roschfield sehr schätzten. Sie liebten ausgiebige Spaziergänge über die saftigen Wiesen, welche in Bridget alte Erinnerungen wachriefen. Es konnte nur dieser Grund sein, weshalb sie anreisen wollten. Irgendwie freute sich Isabell auf den Aufenthalt der Thompsons. Sie kannten so herrliche Geschichten aus London, wo sie selbst ein kleines Haus in der besten

Gegend besaßen, das erzählten sie zumindest. Pünktlich, wenn auch völlig außer Atem, traf Miss Lankford schließlich zu Hause ein. Alle hatten sich bereits um den Tisch versammelt. Emma trug gerade das Mittagessen auf. Jane Lankford wartete, wie an jedem Donnerstag auf irgendwelche Neuigkeiten, die es zu berichten galt. Da es sich aber meistens um belanglose Dinge handelte, nahm sie die frohe Kunde, dass die Thompsons eine ganze Woche bei Mrs Fielding verbringen wollten, als Sensation entgegen. Etwas aufregendes musste dahinter stecken, da war sie sich ganz sicher.

Mr Lankford ging auf die Angelegenheit in keinster Weise ein. Er hielt nichts auf dieses Geschwätz. „Alles nur Weiberkram“, schimpfte er abwertend. Am Mittwoch beschloss Miss Lankford die Stiefel ihrer Mutter bei -Winston und Sohn- abzuholen, denn keinen Tag länger hätte sie dies hinaus zögern können. Das flaue Gefühl in der Magengegend verfolgte sie bereits eine ganze Woche lang und war nicht gewillt, eher Ruhe zu geben, bis sie endlich ihre Pflicht als erfüllt ansah. Die dunklen Wolken, welche sich am Himmel bildeten, trugen auch nicht

gerade dazu bei, dass sie sich in ihrer Haut besser fühlte. Je näher sie dem Geschäft kam, desto übler wurde ihr. Sie beschloss, noch ein, zwei Minuten vor der Eingangstür zu verharren, um ihre wirren Gedanken zu ordnen, was ihr irgendwie nicht gelingen wollte. Aber nun war sie einmal da und musste sich zusammenreißen, so gut es eben ging. Ihr blieb nichts weiter, als all ihren Mut zusammenzunehmen, den sie tief aus ihrem Innersten heraufbeschwor. So leise wie möglich, öffnete sie die Tür des Geschäftes. Die Glocke schellte aufs Neue, ohne jegliches Erbarmen und wieder zuckte Isabell zusammen. Zwei Damen aus Roschfield waren

gerade damit beschäftigt ihre neuen Schuhe anzuprobieren. Nachdem sie das erschrockene Gesicht von Miss Lankford wahrnahmen, hatten jene nichts besseres zu tun, als sich über den eigenartigen Anblick, der sich ihnen offenbarte, ausgiebig zu amüsieren. Mr Winston, der sich emsig um die Damen bemühte, wendete seinen Blick von ihnen ab, um das Fräulein zu begrüßen: „Ah, Miss Lankford, wie schön sie zu sehen. Bradley wird sich gleich um sie kümmern. Nur noch einen Augenblick. Ich werde ihn sofort rufen.“ Auf diese Worte war Isabell keineswegs vorbereitet. Ihr Gesicht nahm ungewollt eine leichenblasse Farbe an. Hatte sie

richtig gehört? Bradley sollte sich um sie kümmern? Vielleicht hätte sie doch lieber Emma vorbeischicken sollen, aber dafür war es jetzt zu spät. Wie in Trance vernahm sie die Stimme Mr Winstons: „Bradley, bring doch bitte die Stiefel von Miss Lankford vor!“ Aus dem Hinterzimmer vernahmen die Anwesenden ein dumpfes Geräusch. Etwas musste zu Boden gefallen sein. Die zwei Damen neigten sofort ihre Köpfe zu Boden und amüsierten sich aufs Köstlichste. Isabell dagegen, war in diesem Augenblick überhaupt nicht nach lachen zumute. Am Liebsten hätte sie sofort die Flucht ergriffen, aber dann wäre sie morgen in ganz Roschfield das

Gesprächsthema Nummer eins gewesen. Dieser Peinlichkeit wollte sie auf jeden Fall entgehen, deshalb nahm sie erneut ihren ganzen Mut zusammen, um diese Sache durchzustehen. Plötzlich tauchte Bradley auf. Die Stiefel hatte er fest im Griff, aber sich offensichtlich nicht. Miss Lankford versuchte krampfhaft eine gewisse innere Stärke heraufzubeschwören, bis sich ihre Blicke auf eine unsichere Weise trafen. Dieser Zustand währte jedoch nicht lange, denn im nächsten Moment öffnete sich die Eingangstür des Geschäftes. Mrs Thompson polterte herein und sprach: „Ach hier stecken sie, Kindchen! Ich habe sie schon überall

gesucht.“ Die Lage für Isabell hätte nicht schlimmer sein können, denn Mrs Thompson, welcher es sonst nie die Sprache verschlug, zog es vor, die Anwesenden einer ausgiebigen Musterung zu unterziehen. „Ist denn etwas mit Mrs Fielding?“, warf Isabell ein, um diesem erbärmlichen Zustand ein Ende zu setzen. Die gute Bridget sprang sofort darauf an. „Aber nein“, versuchte sie die Dinge abzumildern. „Ich bin gekommen, um ihnen etwas zu verkünden, was wir allerdings nicht hier besprechen sollten. Wir erwarten sie heute Nachmittag bei Mrs Fielding zum Tee. Ich habe mir von

ihrem Vater bereits die Erlaubnis eingeholt, dass sie uns besuchen dürfen.“ Was für ein außerordentlicher Auftritt seitens Mrs Thompsons. Sie kam nicht drumherum den beiden Damen aus Roschfield einen erhabenen Blick zuzuwerfen, welche nun, wie vermutet, mit weit aufgerissenen Mündern sich nicht mehr von der Stelle rühren konnten. Das Wort Neuigkeit durchbohrte ihre Köpfe. Es dauerte auch nicht lange, da verließen sie eilig das Geschäft. Brigdet Thompson, sichtlich amüsiert, hatte ihr Ziel erreicht, nämlich für reichlich Gesprächsstoff in Roschfield zu sorgen. An Miss Lankford gerichtet, meinte sie:

„Jetzt muss ich aber schleunigst gehen. Mein Gatte wartet draußen schon voller Ungeduld auf mich.“ Mit einem letzten flüchtigen Blick auf Bradley gerichtet, ward sie schließlich verschwunden.. Kurz darauf setzte sich die Kutsche in Bewegung. Isabell nutzte die Gunst der Stunde, bezahlte eilig die Reparatur der Stiefel, wünschte noch einen schönen Tag und eilte blitzschnell nach draußen. George Winston blickte seinen Sohn mit ernster Miene entgegen. „Du hast Miss Lankford doch nicht etwa verärgert, oder?“ Bradley zuckte mit den Schultern und zog es vor das Hinterzimmer

aufzusuchen. „Verflucht!“, schimpfte Miss Lankford, denn sie ärgerte sich zutiefst über die Situation, welche sich gerade im Laden abgespielt hatte. Immerhin kannte sie Mrs Thompsons scharfes Auge für solche zweideutigen Angelegenheiten. Wahrscheinlich würde diese, bei ihrem nächsten Zusammentreffen, sie mit unangenehmen Fragen konfrontieren. Edward Jenkins war gerade damit beschäftigt Ware von seinem Karren herunterzuladen. Isabell fiel auf, dass er sich heute besonders zurecht gemacht hatte. Es dauerte auch nicht lange, da erfuhr sie den Grund für diese Wandlung.

Mr Jenkins meinte: „Sehen sie, Miss Lankford, welch herrlicher Anblick tut sich einem da auf, wenn man dieses anmutige Wesen dort erblickt.“ Die Rede war von keiner Geringeren, als Miss Abigel Graves. Adam Jenkins Augen bekamen plötzlich einen seltsamen Glanz, als die Besagte ihm ein zartes Lächeln zuwarf.

„Sie haben vollkommen recht. Ich habe selten eine Dame gesehen, welche so eine gerade Haltung aufweist und sich so geschmackvoll kleidet“, entgegnete Isabell. Mit ihrem Satz traf sie allerdings ins Leere, denn Mr Jenkins Ohren schienen sich gegen alle äußeren

Einflüsse verschlossen zu haben. Liebe scheint nicht blind zu machen, sondern taub, kam es Miss Lankford in den Sinn. Den schönen Anblick, den Miss Graves ausstrahlte, unterbrach plötzlich eine derbe Gestalt, die aus dem Inneren des Ladens heraustrat. Adam Jenkins durchfuhr ein heftiges Zucken. Seine Miene verfinsterte sich zusehends.

„Na, da wollen wir uns wiedermal an die Arbeit machen“, sprach er missgestimmt und drehte sich in Richtung seiner Auslagen. „Was dieser Einfallspinsel nur den ganzen Tag vor seinem Laden zu schaffen hat“, schimpfte Mrs Morris kopfschüttelnd. Sie blickte ungläubig auf

ihre Schwester, welche schon seit einer vollen Stunde damit beschäftigt war, die Fensterscheiben des Geschäftes blitzblank zu putzen. „Wenn du so weiter machst, meine liebe Schwester, müssen wir bald den Glaser bestellen, dass er uns die durchgeputzten Fenster ersetzt.“ Als Beth Morris Isabell Lankford in der Ferne erblickte, rief sie nach ihr: „Miss, kommen sie doch bitte für einen Moment herüber!“ Es gab da wohl nur eine Sache, die Mrs Morris brennend interessierte. „Es wird mir nichts anders übrigbleiben, als der netten Aufforderung zu folgen“, sprach Miss Lankford und verabschiedete

sich von Mr Jenkins. Der winkte enttäuscht ab, denn nur ungern löste er seinen Blick von Abigel Graves. „Es geht mich ja nichts an, aber wissen sie schon, was das für Neuigkeiten sind, über die alle sprechen?“ Mrs Morris abwartender Blick verlangte nach einer Antwort. „Leider muss ich sagen, dass ich darüber nichts genaueres weiß. Erst heute Nachmittag treffe ich die Thompsons bei Rose Fielding zum Tee.“

Auf Beth Morris Gesicht zeichnete sich bittere Enttäuschung ab. Sie wirkte sogar ein wenig beleidigt, dann meinte sie: „Erst heute früh sagte ich zu meiner Schwester: Abigel, da liegt was in der

Luft, ich spüre es ganz deutlich.“ Mit andächtigem Blick sah Mrs Morris zum Himmel empor, so als suche sie die Antwort in den Wolken. Dann besann sie sich und sprach: „Und sie haben nicht die leiseste Ahnung, was es sein könnte?“ Ein abermaliges verneinen seitens Miss Lankfords musste sie notgedrungen hinnehmen. Isabells Vaters Freude darüber, dass sie am Nachmittag Rose Fielding einen Besuch abstatten wollte, hielt sich in Grenzen. „Nimm dir an deiner Cousine Amy ein Beispiel. Sie geht nicht ohne Begleitung außer Haus und in ganz

Roschfield hört man nie ein schlechtes Wort über sie oder den Rest der Familie. Gewisse Dinge gehören sich einfach nicht für junge Damen.“ 

Immer wieder hörte Isabell diese Worte. Ihr Vater hielt noch immer an den alten Tugenden fest und blieb jenen altmodischen Grundsätzen bis auf Gedeih und Verderb treu. Vincent Lankford konnte dennoch nicht verhindern, dass sich seine Tochter zu einer jungen Frau mit eigenem Willen heran entwickelte. Eine Heirat kam, laut seiner Meinung, noch nicht in Betracht. Er betonte stets und ständig, dass seine Tochter viel zu jung für so ein Vorhaben sei. Isabells Mutter vertrat in dieser Angelegenheit

eine ganz andere Meinung, die sie aber vor ihrem Gatten nur selten preisgab. Sie beugte sich seinen Ansichten, wie es eine gute Ehefrau eben tat. Am Nachmittag machte sich Isabell auf den Weg zu Mrs Fielding. Rechtzeitig zum Tee wollte sie da sein. Beth Morris stand hinter der Auslage im Schaufenster und verfolgte jeden ihrer Schritte, als sie am Geschäft vorbei eilte. Ihre Schwester Abigel ermahnte sie, doch ihre begonnene Arbeit weiterzuführen. Ein leichter Seufzer entfuhr Mrs Morris, als sie schweren Herzens ihren Beobachtungsposten aufgeben musste. Je näher Isabell dem Anwesen von Mrs Fielding kam, desto mehr wuchs ihr

Interesse daran, zu erfahren, was nun der eigentliche Anlass für den Besuch der Thompsons war. Selbst die Schuhmacherei ließ sie an diesem Tag links liegen. Charles, der Diener öffnete dem Fräulein die Tür. Ohne auf ihn zu warten, hastete die Besucherin die Treppe hinauf. Die Neugier war doch stärker ausgeprägt, als es ihre gute Erziehung zuließ. „Oh, da sind sie ja, meine liebe Isabell. Wir haben sie schon sehnsüchtig erwartet“, meldete sich Bridget zu Wort, als sich die Tür öffnete. Mr Thompson sprang sofort von seinem Stuhl auf, um Isabell den selbigen, welcher sich in der Nähe des wärmenden

Kamins befand, anzubieten. Auch wenn draußen der Frühling schon längst Einzug gehalten hatte, herrschte in den Räumen des Anwesens immer noch eine gewisse Kälte vor, welche Dank des großen Waldstückes, das zum Anwesen gehörte, unerheblich erschien. Wie Miss Lankford doch diesen Anblick der lodernden Flammen liebte. Oftmals blickte sie, fernab von allen Welten, in das Feuer hinein, um dem Treiben zuzusehen, wie jene knisternden Gesellen verspielt auf und absprangen und niemals müde wurden. Dann versank sie ganz und gar in ihren Gedanken, so wie auch dieses Mal. Kein Geringerer, als Bradley beflügelte ihre Sinne. Um nicht gefunden

zu werden, verkrochen sie sich in den Hecken, hinter dem Haus. Isabell spürte seine Finger, wie sie versuchten nach ihr zu greifen. Sie lachte und verfing sich in den Zweigen der Büsche. Jetzt hatte er leichtes Spiel sie zu packen, um ihr einen Kuss auf die Lippen zu drücken. Doch dazu kam es nicht, denn eine eindringliche Stimme holte Isabell aus ihren Träumen in die Realität zurück. „Lassen sie uns doch bitte an ihren Gedanken teilhaben“, meinte Bridget Thompson amüsiert. „Sie sind ja gar nicht bei der Sache, meine liebe Miss Lankford. Haben sie vielleicht Fieber? Ihre Wangen sind so rot“, merkte nun auch Rose Fielding an.

Isabell spürte die Blicke, die fragend auf sie gerichtet waren. Nervös wendete sie sich den beiden Damen entgegen. „Ich fühle mich wohl, mir fehlt wirklich nichts“, versuchte sie die Situation zu entschärfen. Mrs Thompson schien dem Frieden keineswegs zu trauen. Unmissverständlich rückte sie ihren Stuhl ein wenig näher an ihr Opfer heran, so als wolle sie der Sache auf den Grund gehen. „Ich will nicht indiskret sein, aber dieser junge, gutaussehende Mann, sie wissen schon, der Sohn von Mr Winston, mit dem ich sie heute morgen sah, scheint

mir eine gute Partie zu sein. An ihrer Stelle wäre ich auf der Hut“, betonte sie eindringlich. Mrs Fielding, die es überhaupt nicht mochte, wenn Bridget Thompson von irgendwelchen Ehestiftungen anfing, wechselte schnell das Thema. „Du hast Miss Lankford noch gar nichts von deiner Neuigkeit erzählt“, meinte sie eilig. Die Angesprochene ließ es sich nicht zweimal sagen, von ihrem Vorhaben zu berichten: „Da wir uns entschieden haben, eine Woche hier in Roschfield zu verweilen, möchten wir....“ Mrs Thompsons Worte verstummten für einen kurzen Augenblick. Andächtig

richteten sich ihre Augen auf ihren Gatten, welcher nur kurz aus seiner Lektüre aufsah. 

„Also wir“, betonte sie noch einmal, „haben uns entschlossen im alten Gemeindesaal einen Tanzabend zu geben.“ Isabell stockte der Atem. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie Bridget Thompson entgegen, die sich gerade sehr wichtig vorkam. „Was meinen sie dazu, Miss Lankford?“ Da die Angesprochene kein einziges Wort über die Lippen brachte, übernahm Mrs Thompson abermals die weitere Konversation. „Du weißt, meine liebe Rose, dass ich Roschfield stets die Treue

hielt. Auch wenn ich jetzt in Livingston wohne, bleibt dieses verschlafene Fleckchen Erde immer meine Heimat. Die alten Zeiten sollen wieder aufleben.“ Das Bridget Thompsons Miene sich schlagartig verfinsterte, lag wohl an dem Umstand, dass Miss Lankford ihre Freude über das bevorstehende Ereignis nicht teilen konnte, was sie sehr persönlich nahm. „Die meisten Väter können ihre Töchter nur schweren Herzens ziehen lassen. Wenn einmal der Tag gekommen ist, an dem sie sich von ihnen trennen müssen, bricht für sie eine Welt zusammen. Manche versuchen es mit allen Mitteln, dass ihr eigen Fleisch und Blut niemals

in eine Situation gerät, in welcher sie einen geeigneten Ehemann finden könnten. Deshalb werden aus einigen alte Jungfern und ehe sie sich besinnen, will sie keiner mehr haben. Wenn ich noch an meine Jugend zurück denke“, geriet sie zusehends ins schwärmen, „da gab es noch viele Tanzabende in Roschfield. Dabei wurden immer die besten Ehen arrangiert und so manches gute Geschäft abgeschlossen. Oh, ich sehe sie schon vor mir, die jungen Herren aus Livingston, wie sie zahlreich angereist kommen und davon, kann ich ihnen sagen, gibt es eine stolze Anzahl und das Schönste daran, die Meisten sind weder verlobt noch

verheiratet.“ „Nun übertreibst du wohl ein wenig, meine Beste“, holte Rose Fielding Mrs Thompson auf den Boden der Tatsachen zurück. Aber jene wehrte sich gegen diesen Vorwurf aus Leibeskräften und dementierte aufs Heftigste: „Keineswegs liege ich mit dieser Behauptung falsch. In Livingston ist der Fortschritt nicht mehr aufzuhalten. Natürlich kennt sich in solchen Dingen mein Gatte besser aus, aber ich habe ja Augen im Kopf und diese können mir nichts vormachen.“ Mr Thompson, welcher sich immer noch diskret im Hintergrund aufhielt und in seinem Buch blätterte, blickte nach diesen einschlägigen Worten seiner

Gattin durch die Damenrunde und blieb an Isabell Lankfords starrem Gesichtsausdruck hängen, den jene nun versuchte in ein Lächeln umzuwandeln. Der stille Beobachter kniff angestrengt seine Lippen zusammen, um nicht in ein schallendes Gelächter zu verfallen. Seine Gattin wusste die Situation wohl zu deuten. „Jetzt sagen sie schon etwas, Miss Lankford. Die Freude springt ihnen ja förmlich aus dem Gesicht!“ Die Ertappte fing an zu stammeln: „Natürlich freue ich mich. Es kommt nur so überraschend, dass es mir für den ersten Moment die Sprache verschlagen hat.“                                                  

„Das ist uns nicht entgangen“, betonte

Mrs Thompson schroff. Was werden wohl die Leute in Roschfield dazu sagen? kam es Isabell in den Sinn. Jeder Einzelne liebte doch seine Macht der Gewohnheit und hatte auch nicht vor dies zu ändern. Ausgerechnet eine Tanzveranstaltung. Schwer vorzustellen, dass tatsächlich jemand auf die Idee kommen würde, das Tanzbein zu schwingen. Sie versuchte sich krampfhaft ihren Vater ins Gedächtnis zu rufen, wie er vor ihrem geistigen Auge ein Bein vor das andere setzte, um seine steife Haltung zu überwinden. „Gleich morgen, werden wir mit den Vorbereitungen beginnen“, verkündete

Bridget Thompson voller Enthusiasmus. „Es müssen Plakate angefertigt werden, welche die Dienerschaft bis nach Livingston bringen muss. Stattfinden könnte es am Samstag. Was meinen sie, meine Damen?“ Erwartungsvoll blickte sie in die Runde. Niemand schien dagegen irgendeinen Einwand zu haben. Warum auch? Hatte die Veranstalterin doch alles unter Kontrolle. Der Nachmittag verging, wie so oft, rasend schnell. Am Himmel hielten langsam die dunklen Abendwolken Einzug. Man verabredete sich für den nächsten Tag, um den Gemeindesaal einer Begutachtung zu unterziehen. Eilig lief Isabell durch die Straßen. Die

umliegenden Geschäfte hatten längst geschlossen. Die Dunkelheit schlich durch Roschfields Gassen und verfolgte sie, bis sie endlich ihr Elternhaus erreicht hatte. Vincent Lankford behandelte seine Tochter wie eine Fremde und würdigte sie keines Blickes, da sie wiedereinmal die Zeit vergessen hatte. Nur Alison schien noch auf ihrer Seite zu sein. Aufmunternd nickte sie ihr zu, als sie sich an den Tisch begab. Eine gewisse Spannung baute sich auf, in der kein einziges Wort fiel. Doch dann platzte es aus Mr Lankford heraus: „Willst du uns zum Gespött der Leute machen? Keine unverheiratete

junge Frau läuft abends allein durch die Straßen Roschfields.“ Isabells Mutter fiel vor Schreck der Löffel aus der Hand. Mit viel Lärm knallte er auf den Boden. Ihr Gatte Vincent wetterte unterdessen unbeirrt weiter: „Isabell, sprich, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen? Aber überlege nicht lange, denn meine Wut reicht schon ins Unermessliche. Ich hoffe, dass du dich mit einer guten Entschuldigung für dein spätes Eintreffen rechtfertigen kannst.“ Ohne darauf zu achten, was seine Frau im Hintergrund veranstaltete, wich Mr Lankfords Blick nicht von der Gestalt seiner Tochter ab, was jene völlig

verunsicherte. Hilfesuchend blickte sie auf ihre Mutter, die ihre Lippen fest zusammenkniff, so als wären sie versiegelt. „Die Thompsons haben vor, im Gemeindesaal einen Tanzabend zu geben“, sprach Isabell schließlich. Nun war es raus und sie fühlte plötzlich eine innere Erlösung. Jane Lankford horchte auf. Ein Anflug der Begeisterung übermannte sie, welchen sie aber lieber für sich behielt. Sie senkte ihren Blick auf ihren Teller und ein heimliches unbemerktes Grinsen zog über ihr Gesicht. Ihr Gatte dagegen reagierte auf die ausgesprochene Tatsache sehr verärgert. Er schlug mit

der Faust auf den Tisch. Das Geschirr bebte vor Angst und als er aufsprang, fiel polternd sein Stuhl nach hinten um. Wutentbrannt lief er auf und ab. Die drei noch am Tisch Verbliebenen verfolgten jeden seiner einzelnen Schritte mit angespannter Miene. „Ich wusste schon immer, dass dich diese Treffen bei Rose Fielding vergiften würden“, zischte der Hausherr. „Ein Fest! Ha, wer brauch schon ein Fest. Das unsere Kinder völlig in den Sud der Verdorbenheit geraten? Mrs Fielding selbst wäre wohl nie auf so eine absurde Idee gekommen. Nein, ich glaube, das ist einzig und allein das Werk dieser Bridget

Thompson.“ Es schien, als wäre Mr Lankford nicht mehr in der Lage sich zu beruhigen. Missmutig verließ er den Raum, um sich in sein Arbeitszimmer zurückzuziehen. Isabells Mutter blinzelte ihre Tochter erheitert von der Seite an. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte das Ereignis schon morgen stattfinden können. Die vergangenen Zeiten holten sie ein. „Dein Vater war nie ein großer Tänzer. Wahrscheinlich tat er es nur aus Anstand oder weil seine Eltern ihn dazu drängten. Aber eins kann ich mit Stolz behaupten, wenn er einmal tanzte, dann geschah es meistens mit meiner Wenigkeit.“ Ein tiefer Seufzer löste sich aus der

Brust Jane Lankfords. Die Begeisterung für die wieder erwachten Ereignisse, welche ihr Leben einst prägten, verflüchtigten sich in einem nichts aus bitterer Enttäuschung. Was für ein Irrsinn, damals zu glauben, dass die Zukunft etwas für sie beinhaltete, indem sie der Verblendung des schönen Scheins erlag. Dieser Zustand, jene Rückblende, die lediglich ein paar Sekunden anhielt, fühlte sich unbehaglich an, denn so hatte Isabell ihre Mutter noch nie gesehen. Doch plötzlich schien alles vergessen zu sein. Die zuvor von Trübsinn Geplagte sprang in die Höhe und begann damit, sich im Kreise zu drehen, fast so, als

wolle sie alle Tänze durchgehen, die ihr gerade einfielen.

„Ein neues Kleid wäre schön oder doch eins, was ich lange nicht getragen habe?“, fing Jane Lankford an, sich hochzuschaukeln. Sicherlich würde es Vincent nicht erlauben, dass sich seine Gattin extra wegen des Festes ein neues Kleid nähen ließe. Also musste sie notgedrungen mit einem schon vorhandenem vorlieb nehmen. „Morgen Nachmittag werden wir deine Cousine Amy aufsuchen, um ihr die freudige Mitteilung zu überbringen“, meinte Jane bestimmend. 


Auf die Anfrage hin, ob Alison nicht

ebenfalls dazu bereit wäre, die Lankfords zu begleiten, folgte ein entschiedenes: Nein, was auch nicht zurückgenommen wurde.

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