Kurzgeschichte
Vor dem Ziel

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"Er geht den Weg allein. Seine Freunde sind nicht da. Er geht den Weg für sie."
Veröffentlicht am 03. April 2015, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: TaraMerveille 2015
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Es ist gar nicht so einfach, Worte zu finden, mit denen ich mich beschreiben könnte. Also mache ich es ganz kurz: Ich habe die 43 überschritten, bin aber in meinem Herzen noch viel jünger (bilde ich mir wenigstens ein). Mein Geld verdiene ich als Erzieherin in einem evangelischen Kindergarten - jeden Tag eine Menge Storys. Ansonsten bin ich verheiratet, habe 3 Kinder und neben dem Schreiben noch andere Hobbys - fotografieren, lesen, reiten, ...
Er geht den Weg allein. Seine Freunde sind nicht da. Er geht den Weg für sie.

Vor dem Ziel

Kurzgeschichte zum Karfreitag

Er geht die Straße entlang.

Er ist allein und auch wieder nicht.

Um ihn herum stehen Menschen.

Sie reden.

Sie rufen.

Aber sie sprechen andere Worte, sie rufen andere Parolen als vor ein paar Tagen.

Und auch der Klang ihrer Worte ist nicht der gleiche.

Aber er hört nicht richtig hin, er konzentriert sich voll und ganz auf seinen Weg.

Es ist kein leichter Weg, den er hier geht.

Aber er weiß, dass es der letzte Weg ist, den er gehen wird.

Unter seinen Füßen spürt er die Steine der

Straße.

Sie sind hart.

Er muss diesen Weg gehen.

Er muss ihn hinter sich bringen.

Er wird sterben.

Das weiß er.

Er muss sterben.

Während er unterwegs ist, denkt er zurück an sein Leben.

Es war nicht immer einfach. Er gehörte nicht zu den Privilegierten.

Seine Eltern waren einfache Leute. Sie haben hart gearbeitet für ihn und seine Geschwister.

Gleich am Anfang seines Lebens mussten sie fliehen. Sein Leben war bedroht. Sie haben ihn in Sicherheit gebracht. So hat er

überlebt.

Er denkt zurück an die Zeit, als alles begann. Als er seine Freunde getroffen hat.

Sie haben viel miteinander erlebt. Sie haben viel miteinander gesprochen über Gott und die Welt.

Sie sind gemeinsam viele Wege gegangen und haben neue Leute kennengelernt.

Seine Freunde waren immer bei ihm. Sie haben gemeinsam gegessen, sie haben gemeinsam gefeiert.

Aber er wusste, dass sich die Zeiten ändern werden.

Er wusste, dass eine Zeit kommt, in der er allein zurückbleiben wird.

Verstohlen sieht er sich um.

Sind sie da? Sind sie gekommen?

Er kann niemanden seiner Freunde entdecken.

Sie haben Angst und er versteht sie.

Auch er hat Angst. Große Angst vor diesem letzten Weg, den er gehen muss.

Es ist heiß.

Er schwitzt.

Sein Körper schmerzt.

Die Last, die er trägt, ist schwer.

Zu schwer, für seinen geschundenen Körper.

Irgendwann kommt einer, der ihm die Last für eine Weile von den Schultern nimmt.

Das tut gut.

Mit dankbarem Blick sieht er den Mann an.

Ich werde immer für dich da sein, hat einer seiner Freunde zu ihm gesagt.

Und er hat es vielleicht sogar genauso

gemeint.

Doch am Ende war die Angst größer. Viel größer als das Vertrauen.

Bald erreicht er das Ziel.

Bald hat er es geschafft.

Bald ist er wieder zuhause.

Zuhause bei seinem Vater.

Er wird ihn in die Arme schließen, ihn an sich drücken und ein großes Fest feiern.

Mit allen, die in seinem Haus wohnen.

Mit allen, die kommen werden.

Er ist am Ziel angekommen.

Jemand nimmt ihm die Last von den Schultern.

Noch einmal schaut er sich die Menschen an, die gekommen sind.

Er ist ihnen nicht böse.

Er tut es für sie.

Dann legt er sich hin.

Gleich ist es soweit.

Er sieht noch einmal in den Himmel. Er nimmt das strahlende Blau in sich auf.

Er sieht in den Himmel, während Soldaten die Nägel durch seine Hände schlagen.

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Hörbuch

Über den Autor

TaraMerveille
Es ist gar nicht so einfach, Worte zu finden, mit denen ich mich beschreiben könnte.
Also mache ich es ganz kurz: Ich habe die 43 überschritten, bin aber in meinem Herzen noch viel jünger (bilde ich mir wenigstens ein). Mein Geld verdiene ich als Erzieherin in einem evangelischen Kindergarten - jeden Tag eine Menge Storys. Ansonsten bin ich verheiratet, habe 3 Kinder und neben dem Schreiben noch andere Hobbys - fotografieren, lesen, reiten, Musik machen ...
Meist schreibe ich an längeren Projekten für die Zielgruppe "Teenager", oft auch an verschiedenen gleichzeitig. Hin und wieder versuche ich mich auch an einer Kurzgeschichte. Seht selbst ...
Ich schreibe schon seit einigen Jahren und meine elektronische Schublade füllt sich so nach und nach. Meine Kinder und nur ganz wenige Freundinnen haben schon drin gelesen - nun bin ich gespannt, was andere dazu sagen.

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GertraudW 
Sehr, sehr gut geschrieben - danke für diese Zeilen
Liebe Ostergrüße an Dich
Gertraud
Vor langer Zeit - Antworten
TaraMerveille Dankeschön fürs Lesen. Liebe Ostergrüße zurück.
Vor langer Zeit - Antworten
Frettschen 
Gute Worte.
Richtig gut.
Vor langer Zeit - Antworten
TaraMerveille Dankeschön, freut mich, dass es dir gefallen hat.
Vor langer Zeit - Antworten
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