Romane & Erzählungen
Save me - Teil 10

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"Save me - Teil 10"
Veröffentlicht am 12. März 2015, 38 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Bin Mitte 40, habe in Bonn Theologie studiert, arbeite aber jetzt was ganz anderes :-) Verheiratet ohne Kinder, habe aber trotzdem weniger Zeit zum Schreiben, als ich möchte. Trotzdem habe ich es geschafft, ein ganzes Buch zu schreiben, DIN A4 doppelseitig bedruckt immerhin 240 Seiten. Und jetzt habe ich den Schritt gewagt und es als reines E-Book auf Amazon veröffentlicht ( ...
Save me - Teil 10

Save me - Teil 10

Kapitel 10

Auf einmal herrschte eine totale Hektik im Lager, die auch wir im Gefängnis mitbekamen. Draußen liefen Leute umher wie die Schlümpfe, wenn Gargamel kommt und vereinzelt waren aus der Ferne sogar Schüsse zu hören! Was passierte da nur? Befehle wurden gebellt und es schien, dass Alvarez verzweifelt darum bemüht war, die Ordnung aufrecht zu erhalten. Wir Geiseln sammelten uns unruhig im Raum vor der Tür. In diesem Moment war mir dann auch alles egal, ich ergriff offen Jens' Hand. Auf meiner anderen Seite hing Abuelita an meinem Overall und jammerte ängstlich, ihr letztes Stündlein hätte nun wohl doch geschlagen. Mein Mann erbleichte und schaute

mich panisch an, da wurde auch schon die Tür aufgestoßen und eine der Wachen schrie uns an, wir sollten sofort auf den Exerzierplatz kommen. Immer mit vorgehaltenen Waffen bedroht wurden wir aus dem Haus getrieben, mussten uns in Zweierreihen auf dem Platz aufstellen. Die Leute hier waren total aufgelöst und es war deutlich erkennbar, dass sie eigentlich auf Flucht aus waren, aber irgendwas hielt sie davon ab. Ich fluchte laut, weil ich es nicht in Jens' Nähe geschafft hatte, man hatte mich neben das Großmütterchen gezerrt. So standen wir da in Reih und Glied, wobei wir vereinzelte Sprachfetzen aufschnappen konnten. Wie es schien, näherte sich eine größere Einheit Regierungs-Soldaten dem Dorf. Und sie hatten

es anscheinend schon weitgehend eingekesselt, deswegen die Angst in den Gesichtern! Diese Angst beherrschte bald auch jene von uns, die des Spanischen mächtig waren, denn Alvarez und seine Offiziere diskutierten ernsthaft darüber, uns als lebende Schutzschilde zu missbrauchen und zu opfern! Panisch hörten wir die hitzigen Diskussionen, auch, wie einige der Männer es überraschend offen wagten, dem Comandante zu widersprechen. Sie meinten, dass es in diesem Fall besser wäre, die Geiseln zu schützen und als Unterpfand zu übergeben, weil das einen besseren Eindruck machen würde. So standen wir da, hilflose Opfer in einer Situation, die zu eskalieren drohte. Verzweifelt umklammerte ich in meiner Hosentasche die

kleine Spraydose, die seit meiner Ankunft hier keiner gefunden hatte, aber was konnte die schon gegen all die Gewehre ausrichten?! Sogar von meinem Platz aus sah ich Jens' Kiefer mahlen und fürchtete schon, er würde etwas Dummes machen. Doch dazu kam es nicht, denn plötzlich ging das Dach eines der Häuser in Flammen auf, Schüsse fielen in nächster Nähe und auf einmal regierte das Chaos! Blendgranaten explodierten und nahmen allen die Sicht, die greise Abuelita krallte sich wimmernd in meine Hand. Beruhigend legte ich den Arm um ihre Schulter, seltsam, wie man sich zusammenreißen kann, wenn einen jemand braucht; so ähnlich muss es Eltern gehen, die ihre Kinder beschützen! Fast sofort lag eine dicke Staubwolke über dem

Platz und ich hatte man keine Ahnung, wohin wir uns wenden sollten. Da tauchte plötzlich Jens aus dem Nebel auf und packte mich am Ellbogen. „Da rüber”, dirigierte er mich, zerrte mich dabei mit der Alten im Schlepptau in die Richtung unseres Verlieses. „Ich wette, sie wissen dass die Geiseln dort waren und vielleicht bleibt das Gebäude verschont!”, hörte ich ihn schreien. Wir kauerten uns in den Eingang und ich konnte Luft holen, aber nur kurz, denn plötzlich drückte mir Jens einen Kuss auf den Mund, sah mich dann aus nächster Nähe an. „Kommst du zurecht? Ich würde noch gern ein paar von den anderen her holen ...” Alles in mir schrie eigentlich 'NEIN', aber klar, so war mein Schatz nun mal gestrickt. In seinen Augen sah ich den gleichen Impuls glimmen, der ihn wohl auch damals zu mir ins Wasser hatte springen

lassen. Er sprach weiter. „Aber ich weiß nicht, kann ich dich allein-” Hektisch küsste ich ihn nun meinerseits. „Ich komm schon klar, tu, was du tun musst. Aber pass auf dich auf! Und … komm zu mir zurück!” Im Aufstehen griff er nach meiner Hand und legte sie an seine Stirn. „Natürlich komme ich zu dir zurück! Du bist mir das Wichtigste auf der Welt!” Dann war er im Chaos aus Staub, Schreien und Schüssen verschwunden. Ich fühlte mich grausam unnütz und hatte schreckliche Angst, doch ich wusste, ich durfte ihn nicht aufhalten. Die alte Frau neben mir war in eine regelrechte Katatonie verfallen und ich hätte sie nicht alleine lassen können, selbst

wenn ich gewollt hätte. Es blieb nur auszuharren und zu hoffen! Ganz nutzlos war ich dann doch nicht, denn Jens hatte offenbar Erfolg und einige unserer Schicksalsgenossen fanden den Weg zurück zu unserer Hütte. So hatte ich endlich eine Aufgabe, sie mit meiner Stimme vorsichtig durch das Chaos zu lenken und in die richtige Richtung zu dirigieren. Nach und nach fanden sich so die Asiaten und der Italiener, Suryan, bei mir und Abuelita ein. Ängstlich kauerten wir im Eingang, denn Kugeln pfiffen um uns herum und Granaten explodierten. Und die ganze Zeit betete ich, was ich nicht einmal in meinem damaligen Verlies getan hatte, darum, dass Jens heil zu mir zurück kehrte! Ich stand tausend Tode aus und merkte deswegen erst etwas verspätet, dass der Kampflärm allmählich

abflaute. Das Dorf schien eingekreist und längst nicht alle hatten es geschafft, zu fliehen, noch immer liefen Menschen auf dem Platz hin und her. Plötzlich sah ich meinen Mann, wie er auf uns zu rannte und wollte schon erleichtert aufatmen, da explodierte fast genau vor unserer Hütte eine der Granaten. Splitter flogen umher und eine Sandwolke nahm uns den Atem, natürlich konnte ich auch kaum etwas sehen. Das wenige, was ich dann sah, würde ich allerdings am liebsten bis an mein Lebensende vergessen! Denn ich sah Jens' hochgewachsene Gestalt, er hatte irgendwen im Schlepptau und ich fühlte den Schuss, der ihn vor meinen Augen traf, beinahe selber, mehr als dass ich ihn hörte.

Ich sah Jens fallen, schrie verzweifelt seinen Namen und wollte aufspringen, zu ihm laufen, als mich plötzlich mehrere Hände packten und zurück rissen. Es war nicht nur die Greisin, die an meinen Sachen hing, die wäre ich sicher noch los geworden, aber auch Suryan hielt mich umklammert wie eine Stahlzwinge. Beide redeten in ihrer jeweiligen Muttersprache auf mich ein, ich jammerte und beschimpfte sie auf deutsch, es war ein wahrhaft babylonisches Wirrwarr. „Lasst mich los, ihr versteht das nicht, ich muss zu ihm, er ist verletzt ...”, schrie ich. Sie meinten es ja nur gut, wollten mich beschützen, trotzdem wünschte ich sie in diesem Moment in die hintersten Winkel der Hölle! Allein, es half nichts, nachdem auch der Chinese

mithalf, hatten sie mich unter Kontrolle und in der anrollenden Staubwolke konnte man eh nichts mehr sehen. Und plötzlich herrschte für einen langen Moment eine unheimliche Stille – welche gleich darauf von bellenden Befehlen durchbrochen wurde. Das Militär war eingetroffen und es schien für einen Moment, als seien wir vom Regen in die Traufe geraten, denn ein kleines Kontingent baute sich vor unserem verlumpten Haufen auf und bedrohte uns schreiend mit ihren Waffen, unfähig anscheinend, Freund von Feind unterscheiden zu können! In diesen Augenblicken – hier spreche ich sicher auch für die anderen – war unsere Todesangst so groß wie nie. Sollten wir nach all dem bisher Überstandenen nun durch die Hände unserer

Retter sterben?! So kauerten wir vor den auf uns gerichteten Mündungsrohren, hielten die Hände hinter den Köpfen verschränkt und versuchten, möglichst harmlos auszusehen und den Männern klar zu machen, wer wir waren und dass wir nicht zur FARC gehörten. Und während all der Zeit hatte ich noch immer den Impuls, zu Jens zu rennen, der irgendwo auf dem Platz getroffen liegen musste. Endlich, eine gefühlte Ewigkeit später, trat ein weiterer Mann, eher ein dürres Männlein in Zivil, vor die Männer und wies sie an, die Waffen sinken zu lassen, weil es sich bei uns um die gesuchten Geiseln handle. Sie behielten uns noch einen Moment lang im Visier, senkten dann die MPs und wir richteten uns vorsichtig auf.

Im Hintergrund auf dem Platz konnte man sehen, dass bereits gewisse 'Aufräumarbeiten' begonnen hatten und dass vereinzelt auch schon Körper von grünen Planen bedeckt waren, darunter auch- „Oh mein Gott, Jens!!”, schrie ich entsetzt und der dürre Mann schaltete schnell, hieß einen der Soldaten, mich fest zu halten. Schon wieder hing ich hilflos in der Gewalt eines anderen, während der Typ im Anzug mich direkt ansprach. „Sind Sie Frau Dr. Kosim?”, fragte er auf deutsch mit deutlichem Akzent. „Ich komme von der deutschen Vertretung in-” „Ja ja”, fauchte ich, „aber jetzt lassen Sie mich zu meinem Mann, er ...” Ich konnte den Satz nicht beenden. Der Botschaftsangestellte wandte

sich um und folgte meinem Blick. Wir beide sahen das, was eigentlich eine deutliche Sprache sprach: Ein lebloser Körper von einer Plane bedeckt, unter der noch ein Rest blondes Haar hervorblitzte. „Ich muss zu ihm!”, rief ich und wollte vorwärts stürmen, doch mit eisernem Griff hielt der Soldat mich fest. „Ich muss ihn sehen!”, wehrte ich mich, stemmte mich dagegen, wollte mich befreien, während er knurrte: „Tut mir leid, das kann ich Ihnen nicht erlauben. Den Anblick sollten Sie sich ersparen.” „Nein!”, schrie ich und kämpfte gegen seinen Griff an. „Das kannst du schon mir überlassen, du-” Aber gegen diesen Typen hatte ich natürlich gar keine Chance und starrte

schluchzend auf den Platz. Von hinten legte mir nun der Botschaftsangehörige die Hand auf die Schulter. „Bitte, hören Sie auf uns, Frau Kosim, das hat keinen Zweck! Glauben Sie mir, bitte, ich kenne das, es ist meist ein furchtbarer Anblick! Das sollte wirklich nicht ihr letztes Bild von ihm sein!” Er redete so eindringlich, dass die Worte tatsächlich bis zu mir vordrangen und mich stoppten. Mein Blick saugte sich an der Gestalt dort am Boden fest, an den dunkelroten Flecken im Sand und plötzlich sah ich nichts mehr, merkte erst jetzt, dass mir die Tränen in Strömen über das Gesicht rannen. „I-ich ...”, krächzte ich und der Mann neben mir tätschelte mir unbeholfen den Rücken und murmelte „Na na

...” Dann reichte er mir etwas, damit ich mir das Gesicht abwischen konnte. Es war ein großes, sauberes, gebügelten Herrentaschentuch, wie auch Jens es immer bei sich getragen hatte … Das war zuviel. Ich hätte nie gedacht, dass sich ein Verlust auch so körperlich äußern könnte, aber in diesem Moment durchzuckte mich ein derart scharfer Schmerz, dass ich einfach lautlos zusammen klappte.

* * * Von den folgenden Tagen und Stunden weiß ich kaum etwas. Ich glaube, ich wurde in ein Krankenhaus gebracht und dort ganz schön unter Drogen, also offiziell Beruhigungsmittel, gesetzt, denn ich habe daran nur noch sehr verschwommene Erinnerungen.

Ob ich geträumt habe? Vielleicht, doch ich kann mich nicht daran erinnern, nur an den letzten Traum, da wachte ich anscheinend langsam aus meinem Delirium auf. In diesem lag ich wie damals, nachdem ich Rollen, wie ich ihn seinerzeit noch nannte, das erste Mal meine Geschichte erzählt hatte, auf seiner Brust. Natürlich, das war ja auch das erste Mal gewesen, dass ich mir meine Gefühle für ihn eingestanden hatte … Daher wohl der Ursprung des Traums. Ich konnte sogar wie damals seine Wimpern sehen, nur dass er anscheinend langsam ebenfalls aufwachte und murmelte „Katy, meine Süße ...” Idiotisch zufrieden schloss ich die Augen. Jens war da, ich konnte ihn praktisch fühlen, mich an

seine Brust kuscheln und ihn sogar riechen! Moment mal, fühlen UND riechen? Und wie hatte er mich gerade genannt? Jens hatte viele Namen für mich, Cat, Kitty oder Catherine, aber Katy nannte mich seit jeher nur einer … Stan! Endlich wachte ich richtig auf, tatsächlich, wir lagen gemeinsam auf dem schmalen Bett. Und wie sein Vater hatte er den Arm über mich gelegt, mit dem er mich nun, als ich weg zuckte, festhielt. „Bitte geh noch nicht”, murmelte er und ich entspannte mich ein wenig – aber nur für einen Moment, denn die Art, wie mir Stan gerade über den Rücken strich … „Stan!”, japste ich und wich von ihm zurück. „Was?!”, rief er erschrocken. Er stützte sich auf seine Ellbogen auf und sah mich fragend

an. In diesem Augenblick sah er seinem Vater erneut so ähnlich, dass ich schon wieder hätte heulen können. „Stan, machst du mich etwa grade an?!?”, fragte ich geradeaus. „Kaum, dass dein Vater fort ist, nutzt du meine Verwirrung und wirfst dich an mich ran?!!” Jetzt weiteten sich seine Augen und er robbte ein Stück von mir weg. „What the-? Ich meine, was redest du da?!” Hastig sprang ich vom Bett auf, doch in dem Moment, als meine Beine den Boden berührten, sackten sie auch schon wieder weg. Hätte Stan mich nicht aufgefangen, wäre ich lang hingeschlagen. Er hockte sich mit mir wieder auf die Matratze und ich landete auf seinem Schoß, von wo ich neben ihn rutschte und erschöpft zusammen

sank. „Alles in Ordnung?”, fragte er, wobei er wieder den Arm um meine Schulter legte - und ich explodierte. „Nein, natürlich ist nichts in Ordnung. Gar nichts ist in Ordnung!!” „Katy, Catherine, ganz ruhig, bitte! Ich wollte dich doch nicht anmachen!” „Ach ja? Und warum liegen wir hier in zusammen in einem Bett in einem Zimmer, das ganz und gar kein Klinikzimmer ist?” „Wir sind in einem Apartment der Zeitung. Ich dachte mir, Klinik ist blöd und … Naja, ein Hotelzimmer wäre zu steril ...” Ich nickte nur stumpf, schaffte es kaum, seine an sich fürsorgliche Geste zu honorieren.

Mein Mann war tot, was nutzte mir da ein kuscheliges Bett?! Nie mehr würde ich eines mit ihm teilen!! Augenblicklich brach ich in Tränen aus und Stan nahm mich in den Arm und tröstete mich, so gut es ging. Dabei sagte er eigentlich nicht viel, hielt mich nur fest, bis meine konvulsivischen Schluchzer langsam verebbten. Dann sagte er „Besser jetzt?” Dazu zuckte ich nur unbestimmt die Achseln. „Also, um es ein für alle mal klar zu machen, das war echt nix vorhin. Aber die Wohnung hat nur dieses eine Bett und ich war auch müde ...” Ungläubig starrte ich ihn an. So hatte sich das

ganz und gar nicht angefühlt! Das schien auch mein Blick zu sagen und plötzlich seufzte Stan laut auf. „Jaaa”, machte er gedehnt, „ich … Ich gebe es ja zu, ich meine, dafür kann ich ja nix und ich weiß, es ist blöd, aber ich kann doch nichts dafür”, wiederholte er sich stammelnd. „Also, das stimmt schon, seit wir uns kennen … äh, ich kann es nicht leugnen, ich hab bestimmte romantische Gefühle für dich entwickelt … Und vorhin, sorry, es war, ähm,” er wand sich verlegen, „ein schönes Gefühl, dich im Arm zu halten und ich war selber noch nicht richtig wach ...” Also doch! Hatte mich mein Gefühl also nicht getrogen. Wollte das Schicksal mich eigentlich verarschen? Oder hielt es mich für so einfach gestrickt, dass ich jetzt einfach zum nächstbesten Ersatz über laufen würde?! Und doch konnte ich seinen Kummer trotz

meiner eigenen Trauer so gut verstehen! Hatte ich mich doch selber jahrelang nach meiner großen Liebe verzerrt, ohne jede Hoffnung. „Oh Stan, es tut mir … so leid, wirklich, weil ich es … sehr gut nachvollziehen kann. Und wer weiß, in einer anderen Welt, in einem anderen Leben …? Aber so … Ich mag dich als Stiefsohn und mehr noch, als Freund! Aber ansonsten, Stan, nein, da ist nichts und ich hoffe, du weißt, dass da nie etwas sein kann?!” Oh Gott, jetzt zitierte ich schon Jens' Lieder! Aber dieses drückte es nun mal am besten aus … „Ich weiß, Cat, das war mir schon immer klar. Du liebst meinen Vater so wie er dich und niemals würdest du dich einem anderen zuwenden. Das habe ich schon lange kapiert. Besser, ich nenn dich wieder Mütterlein, was? Und selbst wenn Dad tot wäre, für was hältst du mich denn, auch dann würde ich dich nie

belästigen!!” „Das ist gut- Moment mal, was hast du grade gesagt?” Mit einem schiefen Grinsen wiederholte er „Dass ich dich wieder Mütterlein nennen- „Nein, das andere, das mit …. deinem Dad ...” „Äh, dass ich dir hoch und heilig verspreche, dich nie anzubaggern, sondern lieber ein Freund für dich-” … ” Aufgeregt schnaufte ich. „Das von wegen 'sogar wenn Jens tot' wäre ...” Mehr wagte ich nicht anzudeuten und Stan sah mich noch immer verständnislos an. „Na ja, auch dann wäre ich nur dein Stiefsohn, das hab ich doch ges-” „Nein!”, schrie ich, fasste ihn am Kragen und schüttelte ihn fast schon verzweifelt, „Was soll

das hießen, 'selbst wenn'? Er ist vor meinen Augen gestorben!” „Katy, for heavens sake, nein, das ist er nicht! Beruhige dich, bitte!” „Er lebt? Jens lebt?!” „Ähm ja, er ist nicht tot”, bestätigte mir Stan, dabei schaute er etwas komisch. „Jetzt kapier ich endlich, was in den letzten Tagen mit dir los war ...” Mir wurde schwindelig. Der Schuss, die Plane, die Haare! „Aber ich hab doch gesehen … Jens wurde getroffen, das weiß ich noch, dann nicht mehr viel, nur, dass er dann da halb zugedeckt lag, all das Blut drum herum ...” Meine Stimme kippte über. Schon allein bei dem Gedanken daran wurde mir wieder schlecht und ich hatte das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen, doch Stan fasste meine

Arme und rüttelte mich. „He, ganz ruhig, das war nicht Dad! Das war einer von den Skandinaviern!” „Sven”, murmelte ich, denn das war der Einzige gewesen, der dem Klischee vom blonden Nordländer entsprochen hatte. Ich schäme mich noch heute dafür, dass die Trauer über den eigentlich netten Mitgefangenen so sehr von der Erleichterung überdeckt wurde, dass es eben nicht Jens gewesen sein sollte, der unter diesem grauenvollen Tuch lag. So richtig konnte ich es immer noch nicht begreifen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. „Also dann … Dann ist Jens nicht erschossen worden? Er ist nicht tot, er ist am Leben?! Geht es ihm gut? Liegt er im Krankenhaus?”,

bombardierte ich meinen Stiefsohn mit Fragen, doch der druckste plötzlich rum. „Langsam, langsam”, setzte er an. „He, irgendwas verschweigst du mir doch, was ist los?” „Ich verschweige dir nichts, du lässt mich nur nicht ausreden! Also, was du gesehen hast, war ein glatter Durchschuss durch seine linke Schulter, aber wie gesagt, nichts tödliches-” Ich kam nicht umhin, ihn schon wieder zu unterbrechen, vielleicht auch mein üblicher Trotz?!? „Also geht es ihm gut?” Jetzt redete er einfach unbeirrt weiter. „-was an ein Wunder grenzt, also, dass Dad nicht unter den Toten war, denn diese … 'Befreiungsaktion' ”, er spuckte das Wort förmlich aus, „hat verdammt viele Opfer gefordert, sogar unter denen, die sich eigentlich ergeben wollten, auch Frauen und Kinder ...” Hier musste er heftig schlucken und mir wurde bewusst, was er da

eigentlich gesagt hatte. „Oh Gott, Stan, das ist ja ...” Verdammt, vorher hatte mir noch 'wunderbar!' auf der Zunge gelegen, aber seine Worte schnürten mir die Kehle zu. „Wie furchtbar! Auch die Kinder, sagst du?” Stan nickte betrübt und es schüttelte mich. Wir hatten die Dorfkinder manchmal durchs Fenster beim Spielen gesehen; unschuldige Opfer in einem bescheuerten Kampf. Und die waren ebenfalls erschossen worden?! Aber zum Teil hatten wir es ja am eigenen Leib erfahren. Die Angreifer hatten auf alles geballert, was sich bewegte und offenbar wirklich keinen Unterschied zwischen Freund und Feind gemacht, sogar uns hilflose Geiseln hatten sie massiv bedroht. Von daher hatte ich keine Ahnung, wessen Kugel Jens eigentlich getroffen hatte.

Dann fiel mir etwas ein. „Wie geht es eigentlich Abuelita? Also der alten Frau, die bei uns war?” „Soweit ich weiß, gut. Um dich haben wir uns ziemliche Sorgen gemacht. Du hattest zwar einige Kratzer von einem Schrapnellgeschoss, das vor euch explodiert war, aber das erklärte nicht deinen Zustand. Du hattest Fieber und hast geschrien, nein, getobt, und sie mussten dich unter Sedativa stellen ...” „Kein Wunder, ich war ja auch felsenfest davon überzeugt, dass Jens tot ist! Und dieser Typ von der Botschaft hat mir auch nicht widersprochen, hat mich quasi noch darin bestärkt, statt mich lieber doch noch einen Blick unter die Plane werfen zu lassen.” Stan seufzte und fuhr sich durchs Haar. „Na ja, es war insgesamt ein ziemliches Chaos nach

dieser missglückten Befreiungsaktion und die Leute wurden in alle Himmelsrichtungen abtransportiert. Man nannte mir das Krankenhaus, in das sie Dad bringen wollten und ich konnte ihn noch kurz sprechen-” „Boah, Stanley, du machst mich wahnsinnig!”, schnauzte ich den jungen Mann an, begriff erst jetzt die Bedeutung all seiner Worte so richtig. „Du warst ... dort?!”Dafür, dass er Journalist war, rückte er echt quälend langsam mit seinen Informationen raus! Oder ich war im Moment schwer von Begriff. „Und … Du hast ihn – gesprochen?!” Zum Glück nahm er mir mein Aufbrausen nicht übel. „Sicher, was meinst du, wer dafür gesorgt hat, dass du nicht in irgend einem Provinzkrankenhaus landest?! Ich hab mich mit einer Akkreditierung der Zeitung an den Tross gehängt, der natürlich erst rein durfte, als … als es vorbei

war.” Sein Gesicht verzog sich und ich merkte, auch er versuchte das Grauen zu verarbeiten, welches er dort gesehen hatte. „Oh mein Gott, Katy, was waren das für Idioten? Wie konnte das alles nur so schief gehen – oder sollte es das?! Dabei”, er würgte fast, „hatten sie den Tipp sogar von mir. Dein Handy ...” Ich begriff. Das Handy, das ich auf Geheiß Pedrosos im Autositz versteckt und dann vergessen hatte, es hatte anscheinend noch lange genug funktioniert, um geortet werden zu können. Nur dass Stan sicher auch nicht damit gerechnet hatte, dass die Regierung den Einsatz zu solch einem Gemetzel ausarten lassen würde … Mein Stiefsohn, den ich wie einen echten Sohn

liebte, barg nun das Gesicht in seinen Händen und ich umarmte ihn tröstend. „Es ist nicht deine Schuld”, flüsterte ich ihm zu, „du hast das Richtige getan, die hätten uns sicher nicht gehen lassen. Wer falsch gehandelt hat, war die Regierung, der Präsident, das Militär oder einfach alle zusammen ...” Nun entspannte er sich etwas, stöhnte aber noch einmal auf. „Ich weiß das ja, irgendwie. Es ging ja auch um euch! Aber trotzdem, ich fürchte, dieses Schuldgefühl … wird mir immer erhalten bleiben ...” „Ich weiß”, sagte ich schlicht und wiegte ihn noch eine Weile. „Und ich wünsche dir so sehr, dass es schon fast weh tut, dass du irgendwann tatsächlich deine 'Katy' finden wirst. Die dir helfen wird, über alles hinweg zu kommen. Nur ich, ich kann es nicht sein, verstehst du?!” Stan senkte den Blick und seufzte leise. Dann sah er mich mit einem schiefen Lächeln an.

„Eigentlich ist es kein Wunder, oder? Dass ich mich zu dir hingezogen fühle, da bin ich wohl ganz wie mein Vater. Wir fühlen uns einfach zur tollsten Frau der Welt hingezogen … Aber keine Sorge, ich komme klar.” „Gut. Magst du mir jetzt erzählen, was es nun mit deinem Vater auf sich hat?” Da grinste er kurz das Kosimsche Lausbubenlachen, wurde aber dann ernst. „Dad wurde auf eine Trage gelegt und man fragte mich, ob ich bei ihm mitfahren wolle, bevor sie ihn in den Wagen schoben, aber er hat nach meiner Hand gegriffen und mir aufgetragen – nein”, schmunzelte er, „eigentlich hat er mir befohlen, bei dir zu bleiben und mich um dich zu kümmern, egal, was mit ihm passieren würde!” Bei diesen Worten lief mir ein Schauer über den Rücken und eine ungute Vorahnung beschlich

mich. „Tja”, erzählte Stan weiter, „ich bin dann in den letzten Tagen zwischen euren Krankenhäusern hin und her gependelt, bis mir deines grünes Licht gab, dich raus zu holen. Eben weil du körperlich eigentlich ok warst und man dachte, eine weniger klinische Umgebung wäre vielleicht heilsamer für, wie sagten sie, äh, 'deinen Kopf' ... Mit Trauma-Betreuung haben die es hier nicht so. Oh Katy, du Ärmste”, japste er plötzlich erschrocken, „wenn ich überlege, was du in den letzten Tagen wirklich durchgemacht haben musst!” Müde zuckte ich die Achseln, fühlte neben der Erleichterung gleichzeitig eine große Anspannung. Stans Andeutungen über Jens machten mich nervös. „Dad schien sehr erleichtert, dass du entlassen

warst, wie gesagt, wir hatten ja keine Ahnung … Er selber musste noch drin bleiben, die Schusswunde, auch wenn zum Glück Lunge und andere wichtige Teile unversehrt geblieben sind, bedurfte doch noch der Behandlung. Und dann ...” Jetzt stockte er wieder. Ratlos sah ich ihn an. Dieses Mal wusste ich, dass er etwas verschwieg. Unter meinem bohrenden Blick seufzte er und zog einen Zettel aus seiner hinteren Hosentasche. „I-ich weiß einfach nicht, wie ich es dir schonend beibringen soll”, gab er zu. „Deswegen … Hier; als ich zuletzt nach ihm sehen wollte, sagte man mir, er habe sich selbst entlassen. Aber bei mir oder woanders hat er sich nicht gemeldet. Und er … hat diese Botschaft hinterlassen. Es tut mir leid”,

murmelte er noch und reichte mir den Zettel. Mit zitternder Hand nahm ich das Teil, es war ein winziger abgerissener Abschnitt eines – seines? - Krankenblatts. Dort stand: - - Es tut mir leid, ich muss hier weg. Ich bin zu alt für diese Scheiße, aber trotzdem ... Das ist etwas, was ich einfach tun muss. Sag Cat, dass ich sie liebe, sie wird es verstehen. Jens - -

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Über den Autor

QueenMaud
Bin Mitte 40, habe in Bonn Theologie studiert, arbeite aber jetzt was ganz anderes :-) Verheiratet ohne Kinder, habe aber trotzdem weniger Zeit zum Schreiben, als ich möchte.

Trotzdem habe ich es geschafft, ein ganzes Buch zu schreiben, DIN A4 doppelseitig bedruckt immerhin 240 Seiten. Und jetzt habe ich den Schritt gewagt und es als reines E-Book auf Amazon veröffentlicht ( http://www.amazon.de/Verrat-und-Vertrauen-ebook/dp/B007OH3DXI/ref=sr_1_1?s=digital-text&ie=UTF8&qid=1332863393&sr=1-1 ), vielleicht interessiert es ja den einen oder anderen ... Eine Leseprobe von "Verrat und Vertrauen" findet ihr auch in meiner Bücherliste.

Ansonsten gebe ich zu, eher einen Hang zum Happy-Ending zu haben, aber auch nicht immer, wie die Leser meines "Klassentreffen" sicher bestätigen können :-)

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QueenMaud Und hier der nächste Teil:

http://www.mystorys.de/b126915-Romane-und-Erzaehlungen-Save-me--Teil-11.htm
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QueenMaud Hier der Übersicht halber der Link zum ersten Teil, von dort aus geht es jeweils per Link weiter:
http://www.mystorys.de/b124242-Romane-und-Erzaehlungen-Save-me--Teil-1.htm
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