Fantasy & Horror
Der Herr der silbernen Stadt - Komplettfassung

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"Der Herr der silbernen Stadt - Komplettfassung"
Veröffentlicht am 23. Februar 2015, 3014 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

...Was gibts über mich zu wissen ? Ich schreibe gerne, deshalb bin ich auf der Seite angemeldet. Muss man mehr wissen ?Ich freu mich natürlich immer über konstruktive Kritik und Kommentare zu meinen Texten.Sonst noch was über mich.. Malt und Metalhead und Laborheini mit einem Faible für Philosophie, Pfeifen und Fantasyliteratur. Erwarte also bitte niemand zu viel von mir :-) Oh und mich gibts auch bei ...
Der Herr der silbernen Stadt - Komplettfassung

Der Herr der silbernen Stadt - Komplettfassung

Einleitung


Nach dem Ende der Archontenherrschaft und der Stilllegung der Lebensschmiede, steht Kellvian vor der Aufgabe, die vor Helike gestrandete Armee Cantons sicher zurück zu bringen. Bevor sie die Stadt jedoch auch nur verlassen können, erhalten sie Nachricht von einem Totgeglaubten. Und in der Heimat ziehen bereits dunkle Wolken auf. Andre de Immerson hat seine Pläne, sich das Kaiserreich mit Gewalt untertan zu machen, noch nicht aufgegeben. Und ohne eine Armee ist alles, was zwischen

ihm und der Krone steht eine kleine Gruppe heruntergekommener Abenteurer und eine Handvoll Zauberer. Bildquelle Michaela Schöllhorn / pixelio.de

Prolo


Andre de Immerson sah Zufrieden auf das Heerlager vor den Toren Silberstedts. Er saß auf einem gepolsterten Stuhl, der sich auf dem Balkon seines neuen Wohnsitzes befand. Nicht so luxuriös wie das alte Herrenhaus, aber den Ort wieder aufzubauen würde Monate in Anspruch nehmen. Noch immer stoben von dort Funken aus der Grube auf, die der Einsturz hinterlassen hatte. Es war ein herber Rückschlag gewesen, aber keiner, der ihm das Genick brach. Ganz im

Gegenteil… Einzelne Schneeflocken sanken vom grauen Himmel, während der Herr Silberstedts die Armee betrachtete, die sich vor seinen Stadttoren zum Aufbruch bereit machte. Mehr als zwanzigtausend Mann unter Waffen und noch einmal halb so viele Berittene. Hinzu kamen die neusten Konstruktionen aus den Waffenschmieden der Stadt. Das er sie nun zu Fuß durch die Berge bringen musste, war ein Ärgernis. Aber nicht viel mehr. Die kaiserliche Garde würde die Pässe unmöglich halten können, wenn Dagian seinen Teil eingehalten hatte. Canton war nicht auf einen Krieg in den

Herzlanden vorbereitet. Und schon gar nicht auf einen Angriff von innen, nachdem für mehrere Monate alles friedlich gewirkt hatte. Es hatte nicht einmal mehr einen Kaiser, wenn er Glück hatte. Andre lehnte sich auf seinem Sitz zurück. Das linke Bein hatte er dabei weit von sich gestreckt und der Fuß ruhte auf einem gepolsterten Hocker. Schienen und Bandagen hielten den gebrochenen Knochen zusammen. Rasch winkte er einen Diener herbei, der in einer Nische des Balkons stand. Das Haus am Rand Silberstedts, das er bezogen hatte, war beinahe so ausladend wie sein eigenes. Soweit er wusste, hatte

es einem der großen Silberhändler der Stadt gehört, der jedoch in dem Feuer umgekommen war, das die kaiserlichen Agenten ausgelöst hatten. Direkt an der äußeren Stadtmauer gelegen, erlaubte es ihm einen Blick über seine Ländereien zu werfen, ohne das Haus je verlassen zu müssen. Etwas, das im Augenblick dringend nötig war. Ein paar Wochen mindestens, meinten seine Ärzte. Sofern er sich keinen Magier suchte, der die Wunde behandelte. Aber er verfügte nicht über viele. Und er wusste nur zu gut, um welchen Preis Heilende Magie wirkte. Den Schmerz Knochen und Fleisch mit Gewalt wieder zusammenzufügen nahmen nur wenige in

Kauf. Und ein Magier war ja der Grund für die Sorgen, die er jetzt hatte. Der Grund, aus dem das Heer nun den Fußweg nehmen musste. Er hätte ihm schlicht niemals trauen dürfen, dachte Andre bei sich, während der Diener ihm auf die Füße half. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn, bis er das Gleichgewicht wiederfand und sich ein paar Strähnen grauer Haare aus dem Gesicht strich. Er würde sich noch früh genug dafür rächen können, dachte Andre. Vorsichtig raffte er den violett-schwarzen Mantel den er trug weiter um sich, um die Kälte abzuhalten. Hinter ihm öffnete sich eine Tür, die ins innere des Herrenhauses führte und eine

dritte Gestalt trat auf den Balkon hinaus. Die Holzplattform wurde von schweren Säulen und Querbalken gestützt und bot auch zwanzig oder mehr Personen ohne Probleme Platz. Andre drehte sich unter Schmerzen zu dem Neuankömmling herum, immer noch auf den Diener gestützt. Der Mann trug eine dunkelgraues Kürass und einen grauen Umhang, der mit weißem Pelz verbrämt war. Unter dem Arm trug er einen einfachen Helm. Die Beine wiederum steckten in einem paar gefütterter Wollhosen und mit Eisenbändern versehener Stiefeln. Die Züge im Gesicht des Fremden waren markant und eckig, fast, als hätte sie ein

schlechter Bildhauer aus Granit gemeißelt. Ein paar stechend blaue Augen, die halb von den rabenschwarzen Haaren verborgen wurden, leuchteten daraus hervor wie zwei Saphire. Im Gürtel trug der Mann zwei Pistolen zusammen mit einem schweren Kavalleriesäbel. Er verbeugte sich nicht, sondern deutete nur ein kurzes nicken an. Andre de Immerson hätte eine solche Dreistigkeit den wenigsten durchgehen lassen. Erland Reiksson jedoch, war niemand, der sich vor irgendjemanden beugte. Es hatte schon seinen Grund, warum er sich bereits in den Monaten und Wochen der Vorbereitungen den

Titel seines Feldmarschall verdient hatte. ,, Alles ist bereit.“ , erklärte Erland nüchtern. Er war sicher kein Mann großer Worte oder unsinniger Höflichkeit … wieder etwas, das Andre an anderen sauer Aufgestoßen wäre. Aber Erland war letztlich Militär durch und durch. ,, Gut. Dann schlage ich auch vor, dass ihr nicht länger wartet. Ihr werdet diese Männer für mich über die Berge bringen…“ Sein gegenüber nickte nur. ,, Habt ihr schon eine Route gewählt ?“ Darauf hatte Erland offenbar gewartet. Mit einem schwachen Grinsen zog er ein

Stück Pergament unter seinem Arm hervor und breitete es vor Andre aus. Es war eine Karte der Berge. ,, Wir werden einen Bogen nach Südwesten schlagen.“ , erklärte er. ,, Dort sind die Berge nicht so hoch, wir kommen schneller voran und können dann durch das Seengebiet und Hasparan direkt in die Herzlande vorrücken.“ ,, Ihr werdet dazu aber die Burg des Sangius-Ordens passieren müssen, oder ?“ ,,Die Zauberer werden uns nicht aufhalten. Sie wissen nicht, das wir kommen… Herr. Wir können vorbeimarschieren, während sie sich noch Fragen, was überhaupt vor sich

geht. Und wenn nicht… Wir haben genug Männer hinter uns, um es mit einer Handvoll Bücherwürmer aufzunehmen.“ ,, Ich vertraue euch in dieser Hinsicht.“ Andre ließ sich von seinem Diener einen Gehstock bringen und hinkte in Richtung Tür. Der Feldmarschall rollte das Pergament zusammen und folgte ihm, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Sie betraten ein großes Kaminzimmer, in dem in insgesamt drei Öfen gewaltige Eichenstämme verbrannten und für eine wohlige Wärme sorgten. Im Zentrum des Raumes führte eine Wendeltreppe hinab in die übrigen Räume. Schwere Bücherregale standen an den Wänden. Das Eis auf ihren Kleidern schmolz,

während Andre an das mittlere Feuer trat und sich die Hände wärmt. ,, Wenn es sonst nichts mehr gibt…“ , setzte Erland an. ,, Ihr könnt gehen. Setzt eure Männer in Bewegung. Und schickt mir Bericht über euren Fortschritt. Sobald ihr die Herzlande erreicht, werde ich euch folgen. Und vergesst nicht. Nutzt die Territorien aller Fürsten, die uns schon Unterstützung zugesagt haben.“ ,, Ich habe nicht vor, einen Vorteil zu ignorieren. Auch wenn ich darauf brenne, mich mit der Garde zu messen…“ ,, Wenn ihr eure richtig Aufgabe erfüllt, Erland, wird uns nicht ein einziger

Gardist im Weg stehen…“ Ein enttäuschter Ausdruck trat auf das Gesicht des Marschalls, dann machte er jedoch nur erneut seine angedeutete Verbeugung und verschwand die Treppe hinab. Der Diener folgte ihm in einigem Abstand. Andre seufzte. Der Mann dachte nicht nur rein taktisch. Sein verquerer Sinn für Ehre würde ihm besser nicht in die Quere kommen. Die meisten der Söldner, die er angeworben hatte, kannten so etwas nicht. Aber die meisten der Söldner hatten auch keine Ahnung, wie man eine ganze Streitmacht befehligte und eine ordentliche Schlacht schlug. Sie wurden zum marschieren bezahlt…

und zum sterben wenn nötig. Andre wollte grade seinem Feldmarschall ins untere Stockwerk folgen, als es im Raum plötzlich düsterer wurde. Er hätte nicht genau zu sagen gewusst, weshalb. Nur das das Licht der Feuer plötzlich weniger hell wirkte. Als hätte sich ein dünner Rauchschleier über alles gelegt. Brannte hier etwa etwas? Nach dem Luftschiff-Desaster war er, was offene Feuer anging misstrauisch geworden. Andre sah sich suchend um… und erstarrte. Er war nicht mehr alleine. Die seltsame Dunkelheit kondensierte direkt vor dem Kamin, an dem er eben noch gestanden hatte und nahm die Umrisse einer hochgewachsenen Person

an. Der Rauch fiel wie ein Schleier von ihr ab und gab einen schwarzen Mantel frei, unter dem das Gesicht des Fremden verborgen blieb. Andre stolperte zurück, als der Mann sich aufrichtete. ,, Wache…“ Nervös begann er am Knauf seines Gehstocks herumzufingern. In den Griff war eine kurze Messerklinge eingelassen, wenn er nur rechtzeitig heran käme… Der Fremde hob eine Hand und plötzlich wurde Andre der Stab aus der Hand gerissen und landete klappernd auf dem Boden. Plötzlich seiner Stütze beraubt, schwankte er auf dem gesunden Fuß. Er verfluchte sich selbst. Wenn er jetzt

viel, war alles vorbei…. Der Fremde hob erneut die Hand und der Gehstock hob sich vom Boden und landete zielsicher in seiner Hand. ,, Ruft eure Wachen, wenn euch danach ist.“ , meinte er entspannt. ,, Aber wenn ihr glaubt, das rettet euch…“ ,, Wärt ihr hier um mich zu töten, hättet ihr das längst.“ , erklärte der Herr Silberstedts nur und versuchte dabei, das zittern in seiner Stimme zu verbergen. Der Mann war ein Zauberer. Und ganz sicher kein Simpler. ,,Wer seid ihr ?“ Sein Gegenüber reichte ihm vorsichtig den Stab zurück und Andre war froh, wieder richtig stehen zu können. ,, Ich ziehe es vor, meinen Namen so wie

viele andere Dinge für mich zu behalten.“ Der fremde Magier trat an einen kleinen Tisch, der am gegenüberliegenden Ende der Halle stand und zog einen Stuhl davon zurück, bevor er sich setzte. ,, Wenn ihr jedoch unbedingt einen braucht, so tut es Ismaiel. Es kommt meinem wahren Namen so nah, wie ihr es mit euren Beschränkten Fertigkeiten vermögt.“ ,, Und was bei allen Göttern wollt ihr von mir ?“ Zwar konnte Andre das Gesicht seines Gegenübers nicht sehen, aber er hätte schwören können, dass dieser grade lächelte. ,, Wir haben einen… gemeinsamen

Feind. Jemanden, den wir beide gerne loswähren. Und ich glaube ich habe die Mittel, das zu bewerkstelligen.“ ,,Von wem sprecht ihr ?“ ,, Kellvian Belfare.“ ,,Kellvian ist Fischfutter.“ , erklärte Andre. Dagian hatte versprochen, sich um den jungen Kaiser zu kümmern. Aber er hatte natürlich keine Gewissheit… ,, Ich kann euch versichern, das er bedauerlicherweise äußerst munter ist. Ein Umstand den nicht nur ihr korrigieren wollt.“ Er nickte. Wenn Kellvian noch am Leben war, dann hatte der Hochgeneral versagt. Und wenn er seinem Gegenüber trauen konnte hieß das auch, das Dagian

vermutlich Tod war. Und die Armee Cantons nicht mehr unter seiner Kontrolle… Das konnte zu einem echten Problem werden, sollte Kellvian begreifen, was vor sich ging und die kaiserliche Garde ins Feld führen. Ohne einen Anführer wären sie schwach, aber mit einem lebenden Kaiser würde die Garde bis zum letzten Mann kämpfen. Er konnte schlicht nicht riskieren, sich zurückzulehnen, wenn Kellvian noch am Leben wäre. Aber… ,,Nichts ist ohne Gegenleistung.“ , meinte Andre. ,, Ihr bietet mir an, mein… Problem aus der Welt zu schaffen. Wie… und was wollt ihr

dafür?“ Wieder konnte er es nur spüren und nicht sehen, aber das Grinsen auf dem Gesicht seines Gegenübers wurde breiter. ,, Ich brauche vor allem meine Ruhe. Kellvian ist nicht nur euer Feind. Er hat mir ebenfalls bereits dazwischengefunkt.“ Der Magier rieb sich die Schulter, als wäre dort eine alte Verletzung. ,,Er und… die Bande von Kreaturen mit denen er sich umgibt. Sollten eure Pläne Erfolg haben, will ich nur eines, das ihr mir alle Magier des Reiches für meine eigene… Arbeit unterstellt. Es gibt Dinge, die ich herausfinden muss und die euren Verstand übersteigen. Bis dahin… gebt mir lediglich freie Hand mich um

unser gemeinsames Problem zu kümmern.“ ,, So…“ Andre musterte den Fremden nach wie vor misstrauisch. Er war alles andere als überzeugt. Und was der Mann forderte war… unakzeptabel im besten Fall. ,, Und wie wollt ihr das anstellen ?“ ,, Die Falle ist bereits gestellt. Wir müssen nur noch auf die richtige Gelegenheit warten, sie zuschnappen zu lassen. Oder ihr lehnt mein Angebot ab. Vielleicht informiere ich dann auch durch Zufall die Garden des Kaiserreichs über euer Vorhaben. Mir entgeht wenig müsst ihr wissen…“ ,, Ihr würdet diese Mauern nicht Lebend

verlassen .“ ,, Ach ? Und wer sollte mich aufhalten, ihr etwa? Also… Eure Entscheidung. Ich warte.“ Andre zögerte noch. Aber letztendlich nickte er nur. ,,Wenn Kellvian tot ist… und das Kaiserreich mir gehört, tut was ihr wollt, sofern ihr mir dabei nicht in die Quere kommt. Wagt es jedoch mich zu hintergehen…“ ,,Was hätte ich davon ?“ , wollte sein gegenüber wissen. ,, Wir bekommen am Ende beide, was wir wollen. Ihr eure Krone… ich eine Chance auf die ich schon sehr lange Warte.“ Andre konnte sich das nur zu gut

vorstellen. Mit den Magiern unter der Kontrolle eines Mannes… Was könnte dieser nicht bewerkstelligen? Das hieß, dachte er, wenn er welche übrig ließ. Auch Zauberer starben wenn man sie mit Kugeln durchsiebte. Und wenn es ausversehen einen Großteil von ihnen erwischte… Nun Versehen passierten.

Kapitel 1 Rege


Es regnete. Ein selten es Ereignis für Helike. Kellvian versuchte sich zu erinnern, ob es in den gut drei Monaten, die sie jetzt hier waren überhaupt einmal geregnet hatte. Das Land seufzte beinahe hörbar auf, als die ersten Wassertropfen auf den aufgeheizten Boden fielen und praktisch sofort wieder verdunsteten. Dunkle Sturmwolken zogen vom Meer her auf und formten das graue Wasser zu mannshohen Wellen, welche die Kaimauern des Hafens überspülten. Die Fluten rissen Asche und kleinere

Trümmer mit sich zurück in die Tiefe, wenn sie sich wieder aus dem Ruinenfeld zurück zogen und brachten das Deck der Windrufer leicht zum schwanken. Die meisten Menschen waren längst von der Straße verschwunden um sich vor dem ehraufziehenden Unwetter in Sicherheit zu bringen. Nur einige der Störrischsten sicherten noch ihre grade erst neu errichteten Häuser gegen Wind und Wasser. Das Feuer hatte viel zerstört, und viele der Ruinen würden wohl so bleiben. Nach den chaotischen Zuständen der letzten Tage und Wochen hatten mehr als nur ein paar Bewohner entschieden, das Helike nicht mehr sicher war und waren aufgebrochen, ihr

Glück woanders zu suchen. Unter den alten Archonten sicher ein Ding der Unmöglichkeit. Aber von den ehemaligen Herrschern der Stadt ruhten nun drei in der Gruft auf dem inneren Stadtring und die überlebenden zwei hatten scheinbar nicht vor, die entstandenen Lücken schnell zu schließen. Die innere Stadt Helikes erhob sich wie ein Berg im Zentrum der Stadt. Wälle, so hoch, das selbst ein Riese sich davor klein vorkam, Eine starke Windböe brachte das Schiff unter Kellvians Füßen in Schräglage und ließ einen Schauer eiskalter Tropfen auf ihn niedergehen. An den Stadtmauern

rissen sich einige bunte Fahnen los und tanzten wie Spielzeugdrachen über den Himmel. Der Wind peitschte Kellvian den Umhang um den Körper, als er sich auf den Weg unter Deck machte. Wasser rann die hölzernen Stufen hinab, die in den Bauch des Schiffs führten. Es hatte gedauert, die Windrufer wieder seetauglich zu machen, aber nach dem Verlust aller übrigen Schiffe, die sie einstmals hergebracht hatten, war es ihr einziger Weg zurück. Er schüttelte das Wasser aus seinem Mantel, während er dem flackernden Schein eines Feuers in die Kombüse des Schiffes. Ein einfacherer Raum, in dem neben einigen Stühlen und Tischen auch ein großer,

gusseiserner Herd stand, aus dem bereits Flammen schlugen. Als Kellvian eintrat, stellte er bereits fest, dass er nicht alleine war. Neben einigen von Edens Matrosen hatte sich auch eine Gestalt eigefunden, die am Herd stand und in einem Topf rührte, in dem irgendetwas vor sich hin blubberte. Der Mann zog den Löffel aus der Brühe und probierte, bevor er sich zu ihm umdrehte. ,,Kell. Ist es euch oben auch endlich zu Ungemütlich geworden, ja ?“ Ein paar braune Augen funkelten aus dem faltigen Gesicht. Weiße Haare standen ihm wirr vom Kopf ab und wurden von einem ebenfalls ausgebleichten Backenbart komplettiert,

der dem Mann das Aussehen gab, ständig unter Spannung zu stehen, wie sie bei einem Gewitter entstand. Ein blauer Mantel mit Goldknöpfen, der in etwa den Uniformen der kaiserlichen Garde nachempfunden war, viel ihm über die Schultern. Dazu trug er eine große Tasche, in der bei jeder Bewegung Metallklapperte. Chirurgische Messer, Pinzetten und wer wusste, was sonst noch alles. Wasser tropfte aus dem Stoff auf den Boden und sammelte sich in einer größer werdenden Pfütze zu seinen Füßen. Offenbar, dachte Kellvian, war er nicht der einzige, der sich während des Sturms an Deck gewagt hatte. Aber für Erik

Flemming war das nichts Ungewöhnliches. Soweit Kellvian wusste, hatte ein Teil der Crew den Mann anfangs schon für einen bösen Geist gehalten. Schon alleine wegen seiner Angewohnheit, zu den unmöglichsten Zeiten herumzuwandern. Einige hatten die Abergläubische Furcht vor dem Schiffsarzt wohl bis heute nicht abgelegt. ,, Wenn das so weiter regnet, säuft der Hafen ab.“ ,,Gleich nachdem er verbrannt wurde.“ Erik griff in ein Regal über dem Herd und zog ein paar Säcke und Schalen mit Gewürzen hervor, die er nacheinander in die Suppe kippte. ,, Man könnte ja

meinen, die Elemente hätten Sinn für Humor. “ Kellvian nickte und wollte den Arzt wieder seiner Arbeit überlassen. Bevor er jedoch dazu kam, sich an einen der Tische zu setzen, rief er ihm nach: ,, Übrigens, ihr habt nicht zufällig Eden irgendwo gesehen?“ ,,Heute noch nicht.“ Warum wollte Erik wissen, wo sich die Kapitänin befand ? Die Windrufer war zwar groß, aber immer noch nur ein Schiff. Niemand konnte sich hier lange verstecken, selbst, wenn er es wollte. ,, Ist etwas passiert?“ ,, Wenn ihr von dem Chaos der letzten Monate abseht, nicht. Aber ihr könntet den anderen dann auch Ausrichten, das

wir Essen können.“ ,,Verschont uns.“ , lachte er. Erik war zwar ein begnadeter heiler, aber sicher kein Koch. Trotzdem hatte er es sich aus irgendeinem Grund in den Kopf gesetzt und den Smutje so lange beschwatzt, bis dieser ihm aus Frust die Küche überlassen hatte. Zum Leidwesen für sie alle… Der Arzt schnaubte. ,, Ich bekomme das schon hin.“ , schmollte er. ,, Ein bisschen Übung wird ja wohl erlaubt sein.“ Erik war leicht dreimal so alt wie Kellvian, aber in diesem Moment wirkte er mehr wie ein kleines Kind, dem man ein neues Spielzeug wegnehmen wollte. ,, Warum besteht ihr eigentlich darauf ?“

,, Wenn ihr Wochen in staubigen Gewölben verbracht hättet, wäre euch auch nach Ablenkung. Und in dieser ganzen Stadt gibt es im Augenblick nichts für mich zu tun. Nicht einmal ein Matrose mit Schnupfen. Da rostete man ja ein. “ Kellvian schüttelte lediglich den Kopf. ,, Also gut. Ich hole die anderen.“ Der Arzt klatschte in die Hände. ,, Heute hab ich den Bogen raus, Kell, glaubt mir.“ Er schüttelte nur den Kopf, bevor er die Kombüse wieder verlies und sich auf den Weg weiter ins Schiffsinnere machte. Als Kellvian eines der Geschützdecks

passierte, wurde er langsamer. Die Luken für die Kanonen waren geschlossen worden und ließen nur einzelne Strahlen aus grauem Licht herein. Er musste aufpassen, um im Halbdunkel nicht ausversehen über eine der schweren Waffen zu stolpern. Insgesamt besaß die Windrufer über drei Decks wie dieses, jedes vollständig Bestückt mit Geschützen, was sie leicht zu einem der gefährlichsten Schiffe im ganzen Kaiserreich machte. Nur das sie nicht dem Kaiser unterstand. Oder… in gewisser weise zumindest Zeitweise, dachte Kellvian. Am Ende des Decks führte eine weitere Treppe hinab zu den Quartieren, die sich auf halbem Weg

zwischen dem Kielraum und den Zugängen zum Laderaum befanden. Bevor er den Abstieg jedoch erreichte, tauchten von dort zwei Gestalten auf, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die erste war ein vielleicht fünfzehnjähriger Junge. Fast schon ein junger Mann, aber eben auch noch weit vom Erwachsenenalter entfernt. Das erste, was einem auffiel, war die ungewöhnlich blasse Haut, die im Kontrast zu den dunklen Haaren und den türkisfarbenen Augen stand. Er trug einfache Hosen und ein schlichtes weißes Hemd. Auf seiner Brust ruhte, von einer angelaufenen Silberkette gehalten, ein Saphir von der Größe

seiner Handfläche. Der Stein funkelte im Licht, das aus der ausgestreckten Rechten des Jungen hervorbrach und alles in eine brillante Helligkeit tauchte. Der Lichtzauber war nach der Dunkelheit und dem trüben Tag fast schmerzhaft anzusehen. Offenbar wurde dem Jungen rasch klar, dass er Kellvian blendete, den sofort wurde das Strahlen etwas dunkler, als hätte jemand einen grauen Schleier über die Kugel aus Licht gelegt, die über seiner Hand Gestalt annahm. Ein schwaches Lächeln huschte über seine Züge, während er zurückwich, wie, um Kellvian Platz zu machen. Wie seine Ziehmutter, lief er barfuß über die

Planken. Diese stand im Kontrast zu dem verschüchterten, jungen Zauberer. Eden war eine Luchs-Gejarn. Weißes Fell bedeckten, zusammen mit schwarzen Haaren, ihr Gesicht und Kopf. Sie trug einen roten, mit Goldbrokat besetzten, Gehrock, der für Eden schon mehr ein Markenzeichen als bloße Kleidung geworden war. Kellvian wusste bis heute nicht, welches seltsame Schicksal sie eigentlich alle zusammengeschmiedet hatte. Nur, das er während ihrer bisherigen Reise sowohl vor dem jungen Magier, als auch vor der Kapitänin der Windrufer einen gesunden Respekt gewonnen hatte.

,, Was treibt euch den hier herunter ?“ , wollte Eden wissen und verschränkte die Arme vor der Brust. Ein schwaches Lächeln, das leicht spitz zulaufende Zähne erkennen ließ, trat auf das Gesicht der Gejarn. ,, Schlechte Nachrichten.“ ,, So schlimm können sie nicht sein.“ , meinte Eden. ,, Immerhin… mein Schiff ist nicht schon wieder am brennen.“ ,, Ich fürchte, das ist auch nur eine Frage der Zeit. Erik hat wieder gekocht.“ ,,Kellvian, ihr werdet mich besser verflucht gut bezahlen, wenn wir es nach Canton zurückschaffen.“ Eden lachte. ,,

Vor allem wenn dieser wahnsinnige Arzt seine Kochkünste weiter an uns erprobt.“ ,, Ihr seid seine Kapitänin. Vielleicht könntet ihr ihm gut zureden.“ ,, Erik und auf mich hören ? Das wäre ja wie meinen Großvater herumzukommandieren.“ Und außerdem, dachte Kellvian bei sich, mochte sie den Alten dafür vermutlich zu sehr. ,, Jedenfalls, soll ich allen bescheid geben.“ , erklärte er nur. ,, Der Kaiser Cantons wird von einem verdrehten Knochensäger als Bote herumgeschickt.“ Eden lachte wieder. ,, Ich habe langsam alles erlebt…“ Das stimmte wohl. Manchmal war es seltsam, wenn ihn jemand auf diese Art

daran erinnerte, was er eigentlich war. Der Herrscher Cantons, zumindest von Namen her. Ein Titel, der ihm erst vor einem halben Jahr, nach dem Tod seines Vaters, verliehen worden war. Und nach wie vor fühlte er sich alles andere als Wohl damit. Das Herzland Cantons lag vielleicht eine wochenlange Seereise entfernt von hier… für ihn schien das jedoch trotzdem noch zu nahe. Er hatte die Krone selbst gewählt, ermahnte er sich wieder. Das hieß aber nicht, dass er sich danach sehnte, sich weiter mit dem Adel herumzuschlagen, der in der Heimat auf ihn wartete. Aber er würde sich dem Stellen. Und er wäre ja nicht völlig alleine, oder? Der Gedanke

munterte ihn etwas auf. ,,Ich treffe euch nachher in der Messe ?“ , fragte Kellvian Eden nickte. ,, Uns bleibt ja wirklich keine Wahl. Ich bringe Cyrus mit. Und falls ihr noch Jiy sucht, ich habe sie eben unten bei den Quartieren gesehen.“ ,, Wo steckt der Wolf eigentlich ?“ ,,Schläft noch.“ , erklärte Eden, bevor sie sich mit Zachary auf den Weg über das Geschützdeck in Richtung Küche , machte. ,, Neben diesem Mann könnte noch ein Sprengsatz detonieren und er würde es nicht einmal merken.“ ,, Das kann ich mir vorstellen.“ , meinte Kellvian, als er sich verabschiedete und selber weiter im

Schiffsinneren verschwand. Die Mannschaftsquartiere waren eine Reihe in die Bordwand eingelassener Räume, die nur durch einen schmalen Gang voneinander getrennt wurden. Der meiste Platz auf dem begrenzten Deck ging für die Räume selber verloren, trotzdem wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, einen davon Geräumig zu nennen. Der Großteil der Crew zog es, sofern das Wetter es zuließ, ohnehin vor, an Deck oder im offenen Laderaum zu schlafen, wenn dieser nicht belegt war. Kellvian brauchte nicht lange nach Jiy zu suchen. Nur eine der Türen im Gang stand offen und er klopfte kurz an, bevor er eintrat. Der Raum war spärlich

eingerichtet, wie die übrigen Quartiere. Ein Bett in einer Nische, eine Truhe für Habseligkeiten und ein kleiner Schreibtisch, dessen Schubladenschlüssel sicher in seiner Tasche ruhte. Was vermutlich auch besser so war, wenn er Jiys Neugier bedachte. Nicht, das es etwas gab, das er ihr verheimlichen musste. Aber wenn sie die Ringe entdeckte, die sich dort verbargen würde das die Überraschung ruinieren. Er hatte sich geschworen, nur zu warten, bis sich alles etwas beruhigte. Nun, eine bessere Gelegenheit würde er wohl kaum erhalten. Sie stand an einem kleinen, verglasten Fenster in der Schiffswand und sah auf

die aufgewühlte See hinaus. Manche Der Wellen waren immer noch hoch genug, um gegen das Glas zu schlagen. Die Gejarn besaß einen grauen Pelz, der fast mit ihrer, in derselben Farbe gehaltenen, Kleidung zu verschmelzen schien. Lediglich einige weiß-schwarze Flecken darin zerstörten die Illusion. Aus irgendeinem Grund hatte sie die Arme vor der Brust verschränkt und ließ Ohren und Schweif hängen. Kellvian kannte Jiy jetzt lange genug um zu wissen, wenn sie sich über irgendetwas Gedanken machte, so wie jetzt. ,,Stimmt etwas nicht ?“ , fragte er leise um sie nicht zu erschrecken. Sie drehte sich zu ihm um, ein verhaltenes Lächeln

auf den Lippen. Kellvian sah sich zwei grünen Augen gegenüber, die ihn von Anfang an fasziniert und vor allem einmal zu Tode erschreckt hatten. Die Leopardin schien nicht sicher, wie sie anfangen sollte. ,, Ich mache mir wohl zu viele Sorgen über das, was Feryakin gesagt hat.“ ,,Du meinst außer Rätseln, die uns zu viel Zeit gekostet haben ?“ , versuchte er es abzutun. Dennoch, ganz konnte er über die Worte des Drachen nicht hinweg kommen. Er hatte gemeint, das Bruchstück des alten Volkes in ihm, wäre nicht der einzige Grund, wäre nur ein Teil der Dunkelheit in ihm. Und insgeheim fürchtete er, dass es der

Wahrheit entsprechen könnte. Kellvian hatte es gewusst, als er Dagian getötet hatte. Er hätte den verräterischen Hochgeneral entwaffnen und in Ketten legen lassen können, aber er hatte sich Bewusst für die Klinge entschieden. Und jetzt, wo er den Makel einer fremden Seele los war, würde sich erweisen müssen, wie sehr Feryakin Recht hatte. ,, Gegen kryptische Andeutungen hat mich Melchior schon abgehärtet. Aber leider nicht gegen Eriks Kochkunst. Das wäre wenigstens eine warnende Prophezeiung wert gewesen.“ , meinte er jedoch nur und fragte sich gleichzeitig, was aus dem alten Seher wohl geworden war ? Das letzte Mal hatte er ihn Ende

des letzten Winters gesehen und nun würde bereits bald der Sommer das Land beherrschen. Zumindest, soweit es Canton betraf.

Kapitel 2 Besuch


Cyrus war eine Erscheinung, die den meisten Menschen leicht Angst einflössen konnte. In die dunkle Uniform der schwarzen Garde gekleidet, wirkte er fast selbst wie ein Schatten. Freilich, wie ein fast zwei Meter großer Schatten, der sich mit einem gelben Auge umblickte. Die leere, linke Augenhöhle war hingegen unter einem schwarzen Tuch verborgen. Das schwarze Fell des Gejarn und die wölfischen Züge taten ihr übriges, die Abschreckende Wirkung des Mannes noch zu verstärken. Außer für diejenigen, die ihn

kannten. Erik versetzte dem Wolf einen leichten Stoß in die Seite, als dieser zögernd den Löffel zum Mund führte und sich dadurch fast verschluckte. ,, Nun, also ?“ , wollte der Arzt ungeduldig wissen. Er klopfte mit den Fingern einer Hand auf die Holzplatte des Tisches. Sie hatten sich mittlerweile alle in der Messe eingefunden, die sich an die Kombüse anschloss. Vermutlich war jeder hier darauf gefasst, das Cyrus gleich erklären würde, auf weitere Kostproben zu verzichten. Einige Matrosen drehten sich um und schienen bereits Wetten darauf abzuschließen, wie

viele sich heute das Mittagessen antun würden oder doch lieber auf den Abend warteten. Der Gejarn ließ den Löffel sinken und räusperte sich. ,, Das ist gut. Doch wirklich. Ich hatte die Hoffnung ja auch schon aufgegeben...“ ,, Jetzt erlaubst du dir einen Scherz.“ , erklärte Eden nur, die nach wie vor zögerte. ,, Nun, was habe ich gesagt ? Etwas Übung, mehr braucht es nicht. Das ist ein völlig neues Rezept.“ , erklärte Erik breit grinsend nur um danach zuzugeben : ,, Na ja, das waren alles neue Rezepte.“ ,, Und die hattet ihr wo genau her ?“ , wollte Cyrus wissen, der tatsächlich

noch einen Löffel nahm und damit auch die letzten Zweifel der anderen beseitigte. ,, Ich habe die Archive Wochenlang durchforstet. Ihr werdet es nicht glauben, aber dabei bin ich auch auf einige… man könnte es wohl Kochbücher des alten Volkes nennen.“ ,, Ihr habt einfach irgendetwas nachgekocht, das ihr in einem Texte des alten Volkes gefunden habt ?“ , fragte Kellvian ungläubig. Wenigstens erklärte das, wieso der Arzt so versessen darauf gewesen war, die Küche zu übernehmen. Besonders wohl war ihm beidem Gedanken nicht. ,, Und ihr seid euch sicher, das das wirklich alles… essbar

war ?“ Durch einige Bullaugen, die Licht in den Raum ließen konnte Kell auf das Meer hinaus sehen. Der Sturm ließ offenbar langsam nach, denn am Horizont tauchten zwischen den grauen Wolken bereits wieder blaue Streifen auf. ,, Nicht völlig. Aber ich musste ohnehin etwas improvisieren. Ein paar der genannten Pflanzen gibt es offenbar schon gar nicht mehr, oder zumindest habe ich nie davon gehört.“ ,, Ich würde euch ja daran erinnern, das mit dem alten Volk nicht zu Spaßen ist“ , meinte Eden. ,, Aber ich glaube, das wisst ihr genau so gut, wie ich.“ Er nickte. ,, Kellvian, habt ihr

eigentlich noch den Stein, den ihr aus den Katakomben mitgenommen habt ?“ Kell nickte. ,, Ich habe ein Auge darauf.“ Der völlig glatt geschliffene Bernstein ruhte für den Augenblick noch in seiner Tasche, eingeschlagen in ein simples Tuch, um ihn vor Beschädigung zu schützen. Das Juwel irgendwo an Bord zu verstecken erschein ihm sinnlos. Bei der Macht, die es abstrahlte, würde selbst ein ungeübter Magier-Novize es sofort finden. Und das sollte besser nicht geschehen. Noch weniger durfte es jemanden in die Hände fallen, der tatsächlich etwas damit anzufangen wüsste. Die einzig sichere Methode war, ständig darauf aufzupassen, bis er einen

sicheren Platz dafür fand. ,, Was machen wir eigentlich damit ?“ , wollte Jiy wissen. Die Gejarn hatte als nächstes den Mut, etwas von der Suppe zu probieren und brach damit endgültig das Zögern der anderen. ,,Gute Frage.“ , bemerkte Cyurs. ,, Ich schätze einmal, benutzen ist zu gefährlich ? Aber stellt euch einmal vor, was man damit alles anstellen könnte…“ ,, Ich würde das Ding lieber los sein.“ , gestand Kellvian. Er fühlte sich alles andere als Wohl damit. Auch wenn er seit der letzten Konfrontation mit dem Meister kaum noch auf seine Begabung zugreifen konnte… Der Stein schien die Luft um ihn herum ständig zum sirren zu

bringen und aufzuladen, als könnte jeden Moment ein Sturm losbrechen. In der fliegenden Stadt war das Juwel dank der dort überall vorherrschenden Magie niemanden aufgefallen. Aber hier draußen in Helike war es vermutlich die einzige Magiequelle weit und breit. ,, Am liebsten würde ich ihn einfach ins Meer werfen.“ ,, Wenn das so einfach wäre, hätten wir alle weniger Probleme, Kellvian. Aber glaubt mir, wenn ich euch sage, dass das nicht funktioniert. Das gleiche hat man am Ende des Kriegs der brennenden Himmel mit Falamirs Tränen versucht und doch trägt der gute Zac hier eine um den Hals. Magie findet immer einen Weg

zurück in die Hände eines Anwenders. Und wenn ihr darüber nachdenkt es zu zerstören… erinnert euch an das Portal in den Katakomben. Wenn wir das tun, sorgen wir besser dafür, das sich im Umkreis von mehreren Tagesmärschen kein Lebewesen mehr aufhält.“ ,, Trotzdem passen wir besser verflucht gut darauf auf.“ , meinte Cyrus, der sich die provisorische Augenklappe zurecht rückte. Dabei wurde etwas versengtes Narbengewebe sichtbar, das sich um das Auge und in einem kleinen Bogen bis zum Ohr zog. Das Ergebnis eines Anschlags auf die Windrufer, der ihm und auch Zachary fast das Leben gekostet hätte. Kellvian wusste

mittlerweile, das es Dagian Einher gewesen war, der die dafür verantwortlichen Zünder in die Pulverkammer des Schiffes geschafft hatte. Es war richtig gewesen, den Mann zu töten, dachte er. Es war das, oder für den Rest seines Lebens fürchten, das der General seinen Einfluss auf die Truppen ausübte uum ihm noch weitere Überraschungen zu bereiten.Und doch ließ ihn die Art, wie es geschehen war schaudern. Er hatte keine Chance gehabt. Und seine Worte bereiteten Kellvian weitaus mehr Sorgen, als das jede kryptische Prophezeiung vermocht hätte. Er hatte gemeint, Canton einen fähigeren Herrscher verschaffen zu wollen.

Kellvian wurde das Gefühl nicht los, das Dagian damit nicht sich selbst gemeint hatte. Die Armee, die der Hochgeneral ins Feld geführt hatte, lagerte, nach wie vor, vor den Toren Helikes. Ein Problem, um das Kell sich ebenfalls bei Zeiten kümmern musste. ,, Wenigstens können wir wohl davon ausgehen, das der Stein der einzige seiner Art ist.“ , meinte Erik, der sich nun ebenfalls über das Essen hermachte, als wäre er seit Tagen am Verhungern. Zwischen einzelnen Bissen hielt er inne und bemerkte offenbar die Fragenden Blicke der anderen. ,, Was ?“ , fragte er. ,, Woher seit ihr euch so sicher, dass es

nur einen davon gibt ?“ , fragte Jiy für sie alle gemeinsam. ,,Wenn noch andere die Äonen überdauert hätten, dann sind sie an einem Ort, der selbst unserem alten… Freund nicht zugänglich ist. Er hätte sich sonst kaum die Mühe gemacht, sich in die fliegende Stadt einzuschleichen und genug Chaos zu verursachen um das Juwel mitnehmen zu können.“ ,,Ismaiel , sein Name ist Ismaiel.“ , erklärte Kellvian. Nachdem ihn der undurchsichtige Zauberer, der sich selbst nur Meister genannt hatte, schließlich offenbart hatte, das er das letzte Lebende Mitglied des alten Volkes wahr, hatte er auch seinen Namen erfahren.

Der Gedanke an den kurzen Kampf in der Lebensschmiede war nach wie vor genug, um ihm Angst zu machen. Das alte Volk, die alte Rasse der Magier, war seit Jahrtausenden vom Erdboden verschwunden und ihr Erbe lebte nur noch in einigen wenigen fort. Zauberern wie Zachary oder den Männern und Frauen des Sanguis-Ordens. Das ein einzelner Erzmagier der alten Welt überlebt haben könnte, über all diese Zeit hinweg, schien unmöglich. Und doch hatte Kellvian die Wahrheit selbst gesehen. ,, Noch etwas seltsames.“ , erklärte Erik, als er den Teller gelehrt hatte und hörbar auf dem Tisch absetzte. ,, Wie

gesagt, ich habe die Archive Wochenlang durchforstet und bin nicht ein einziges mal auf diesen Namen gestoßen. Es gab jede Menge Versteckte Hinweise auf die Lebensschmiede, jetzt wo ich darüber nachdenke, aber keinen einzigen, auf ihren Schöpfer. Und das ist er doch?“ ,, Wenn man ihm glauben kann, ja.“ Wie könnte er ein Wort von dem Gespräch vergessen, das er mit diesem uralten Geschöpf geführt hatte. Uralt, Verzweifelt… und zerfressen von dem Gedanken, den Untergang seiner Art rückgängig zu machen. Der Meister war Skrupellos, das gewiss, aber… wäre das nicht jeder, der sich in der gleichen Situation wiederfände? Verstoßen vom

eigenen Volk… ,, Vielleicht gibt es deswegen keine Erwähnungen.“ , meinte er , mehr zu sich selbst. ,,Hmm ?“ Kellvian schüttelte den Kopf. ,, Er meinte, er sei vom alten Volk verstoßen worden, bevor er sein Werk vollenden konnte. Vielleicht haben sie deshalb seinen Namen aus den Aufzeichnungen gelöscht.“ ,, Aus allen Texten ?“ Zachary zog eine Augenbraue hoch. ,, Es waren Magier. Und Magier von einer Macht, wie wir sie seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen haben“ , erklärte Erik, der aufgestanden war um

sich einen Nachschlag zu holen. ,, Mehr als ein Spruch, der seinen Namen überall unkenntlich macht, wäre nicht nötig. Auch wenn es wohl eine ziemlich extreme Maßnahme ist, den Namen von jemanden derartig auszulöschen.“ Kellvian nickte. Und letztlich blieben ihnen ohnehin nur Spekulationen. Er war wirklich nicht wild darauf, den Zauberer je wieder zu sehen. Hoffentlich würde er jetzt, nachdem seine Pläne gescheitert waren, endlich Aufgeben. Wovon träumst du sonst noch? , fragte er sich im gleichen Moment. Der Meister hatte Jahrhunderte auf sein Ziel hingearbeitet. Ein einziger Rückschlag würde so jemanden kaum Schocken. Kell gab es

auf, sich um Dinge Gedanken zu machen, die er im Augenblick ohnehin nicht beeinflussen konnte. Wichtig war, dass er sich um das kümmerte, was auch in seiner Macht stand. Er wollte grade den ersten Bissen zu sich nehmen, als eine Gestalt am Eingang der Messe auftauchte. Sofort war ihm klar, dass er das Essen fürs erste vergessen konnte. Wys Carmine wartete geduldig in der Tür darauf, dass man ihn hereinbat. Nach wie vor kam Kellvian nicht umhin festzustellen, wie ähnlich der Gejarn seinem toten Bruder sah. Fast zu ähnlich. Der einzige weg für ihn, die beiden zu unterscheiden, hatte Anfangs in der Kleidung bestanden. Der Fuchs

jedoch unterschied sich in einer ganzen Reihe anderer Dinge deutlich von Zyle. Schon allein, dass der jüngere der Carmine-Brüder den Rang eines Archonten erreicht hatte, sprach Bände darüber. Er trug ein dunkles Hemd, unter dem ein leichter Kettenpanzer glitzerte und zwei Breitschwerter, die an einem Gürtel hingen. Einstmals hatten die Soldaten Cantons über die auf den ersten Blick primitive Kriegsführung von Laos gelacht. Aber nur Anfangs. Durchschlugen Bleikugeln die meisten anderen Materialien auch noch auf große Entfernung, die Panzerungen aus den Schmieden Helikes hielten den

Projektilen selbst noch aus nächster nähe stand. Es brauchte schon einen direkt aufgesetzten Schuss, um eine Bresche in den bearbeiteten Stahl zu schlagen. Und die Schwertmeister waren den Garden Cantons in jeder Hinsicht überlegen, sobald sie einmal in den Nahkampf gezwungen wurden. Und doch, auch nach drei Monaten hier war Kellvian sich nicht sicher, ob er ganz Verstand, woran diese Menschen und Gejarn überhaupt glaubten. Obwohl er mit dem Mann gesprochen hatte, der die Gesetze verfasst hatte. Laos. Oder zumindest dem Wesen, das sich als dessen Reinkarnation ausgegeben hatte. Ob dies der Wahrheit entsprach, würde er wohl nie erfahren,

den was von dem Mann geblieben war, ruhte nun unter einem Trümmerberg im Zentrum der inneren Stadt. Die Gesetze ihres großen Lehrers, nach dem auch das Land benannt war, Verboten den Bewohnern Helikes, Feuerwaffen zu nutzen und so wirkten viele ihrer Krieger mehr, als wären die alten Geschichten über Ritter und Legenden wieder zum Leben erwacht. Darüber hinaus hegten sie eine Abneigung gegen Magie und jeden, der sie beherrschte, die so weit ging, das jeder, der mit der Begabung zu Zauberei geboren wurde, Gefahr lief, getötet zu werden, sobald sich seine Gabe manifestierte. Ein Zustand, der

letztendlich zur Katastrophe geführt hatte, als eine Gruppe Hexer, die sich im Untergrund versteckt hatten, vor weniger als einem Monat versucht hatte, aus der Stadt zu fliehen. Das Ergebnis war das Ruinenfeld, das nun den Hafen Helikes bildete. ,, Ist etwas passiert ?“ , wollte Kellvian wissen, als er aufstand um den Archonten zu begrüßen. Selbst unter dem grau-braunen Fell erkennbare Ringe lagen unter Wys Augen. Es war klar, dass er in letzter Zeit nicht viel geschlafen hatte. Vermutlich ließ ihm der Wiederaufbau dafür kaum Zeit. ,,Nein… Ja…“ Er zögerte. ,, Jona möchte uns gerne alle sprechen. Ich weiß

nicht warum. Seit dem Angriff auf die Stadt ist jeder von uns damit beschäftigt, alles wieder in geregelte Bahnen zu lenken. Seitdem war keiner von uns mehr in den Ratskammern der Archonten. Verflucht das letzte Mal habe ich ihn…“ Wys stockte und kratzte sich am Kopf. ,, Welcher Tag ist heute?“ ,, Wir kommen schon.“ , entschied Kell kurzfristig. Der Archont war ganz offenbar mit den Nerven am Ende. Und er hatte zunehmend das Gefühl, das lag nicht nur an der Überarbeitung. Nein. Wys Carmine hatte mit noch etwas ganz anderem zu kämpfen. Im Chaos das auf die Flucht der Magier folgte, hatte er letztendlich seinen eigenen Bruder

getötet…

Kapitel 3 Das neue Fenster


Eden hielt sich die Rechte Hand, als sie den anderen durch die Straßen Helikes folgte. Dumpf pochend hatte sich ein kaum greifbarer Schmerz zwischen die Fingerknochen gesetzt, so dass sie Mühe hatte, die Finger richtig zu bewegen. Vielleicht eine noch unbemerkte Verletzung ? Die Gejarn hätte vor der Dummheit ihrer eigenen Gedanken fast den Kopf geschüttelt. Etwas, das inmitten der kleinen Gruppe bestehend aus ihr, Wys und den anderen äußerst komisch gewirkt hätte. Die Kämpfe

waren Wochen her. Vermutlich war es nichts. So plötzlich die Schmerzen gekommen waren, so schnell waren sie auch wieder weg und klangen zu nichts weiter als einem kaum wahrnehmbaren Ziehen in ihren Gelenken ab. Vielleicht war es ja auch nur das Wetter. Der Sturm war mittlerweile weitergezogen, abgesehen von einigen vereinzelten Schäfchenwolken am Himmel. Goldene Sonnenstrahlen brachen dazwischen hervor und spiegelten sich auf den noch regennassen Straßen, durch die das Wasser rann. Die Wärme trocknete die Pflastersteine von Häusern und Wegen zunehmend. Verflucht, dachte Eden, sie war noch

keine dreißig und wurde anscheinend schon Wetterfühlig. Das fehlte ihr grade noch. Cyrus war offenbar aufgefallen, das irgendetwas nicht stimmte. ,, Alles in Ordnung bei dir ?“ ,, Es geht schon wieder.“ , erklärte sie, während sie die Hand ein paar mal öffnete und wieder schloss. ,,Wahrscheinlich habe ich nur irgendwie falsch gelegen.“ Der Wolf grinste. ,, Wenn du das jetzt so nennen willst…“ ,, Cyrus, ich bin normalerweise die letzte, die etwas gegen einen Dreckigen Witz sagt. Ein einziger Matrose aus meiner Mannschaft kennt vermutlich mehr davon, als die Bevölkerung dieser

Stadt zusammengerechnet. Aber wenn der sich auf mich bezieht schon. Das gilt auch für dich.“ ,, Entschuldigung.“ Der Gejarn setzte eine Unschuldsmine auf, als könnte er kein Wässerchen trüben. Er ließ Ohren und Kopf hängen und gab einen leisen, winselnden laut von sich. Der Anblick brachte Eden dazu, laut aufzulachen. Rasch sah sie sich nach den anderen um, und stellte fest, das diese schon ein gutes Stück voraus gelaufen waren. Eden drückte dem Wolf einen Kuss auf die Lippen. ,,Könnte schlimmer sein.“ , erklärte sie grinsend und verwendete damit genau die Worte, mit denen Cyrus sonst immer

alles zu kommentieren schien. Sie liebte diesen Mann, gleichzeitig war er manchmal viel zu Sorglos für ihren Geschmack und viel zu selten ernst. Vielleicht der Hauptgrund, aus dem er sich so gut mit Erik verstand. Helike bestand aus zwei großen Teilen. Der äußeren Stadt, die sich in dutzende verschiedene Bezirke teilte, angefangen beim Hafen, bis hin zu den Händlervierteln, den Kasernen und dem Bezirk der Heiler. Eingeschlossen wurde alles von einer gewaltigen Steinmauer, die selbst dem Beschuss durch Kanonen eine ganze Weile standhalten konnte. Wehrtürme und kleine Posten zogen sich über den ganzen Wall, bis zu dem Punkt,

wo er auf das Meer traf. Der Meeresarm, an dem Helike lag, war auf breiter Front bebaut worden und ließ so den Hafen der Stadt entstehen. Auf einer Landzunge, die am Eingang der Bucht aufragte, bewachte ein einzelner Feuerturm die Hafeneinfahrt. Vermutlich war der Bau nicht nur Zierde, sondern wie alles hier, zweckmäßig. Bei einem Angriff konnte man das Gebäude opfern und in die Meerrinne fallen lassen, was den Hafen unpassierbar für größere Kriegsschiffe machen und die Stadt von der See her abschirmen würde. Hätte sie Helike in einem Wort beschreiben müssen, es wäre,, ordentlich“ gewesen. Kein Wunder,

begann die gezielte Strukturierung für manche schon in der Kindheit. Zyle hatte ihnen einmal von den hundert Prüfungen erzielt, denen sich jeder Einwohner der Stadt im Laufe seines Lebens stellen musste. Je mehr man absolvieren konnte, desto höher stieg derjenige auf und wurde, entsprechend seiner Fähigkeiten eingeteilt. Von einfachen Bauern, denen man nur kleine Parzellen anvertraute, bis hin zu Gelehrten, einfache Soldaten bis hin zu Generälen und Feldherren. Und nur wer alle einhundert Fehlerfrei durchlief konnte darauf hoffen, in den Rang eines Schwertmeisters erhoben zu werden. Dem persönlichen Waffenarm der Archonten. So wie Zyle, oder sein

Bruder Wys, die einst die Jüngsten ihrer Generation gewesen waren, die es jemals so weit gebracht hatten. Und es gab nie viele von ihnen, wie es aussah. Zumindest war Eden außer den beiden Brüdern nie einer begegnet. Innerhalb dieser Rangordnung nahmen die Archonten wiederum eine Sonderstellung ein. Fünf Individuen, die zumindest in der Theorie aus jeder Schicht und jedem Bezirk berufen werden konnten und die Regierung Helikes bildeten. Von der inneren Stadt aus regierten diese mit fast uneingeschränkter Macht. Die innere Stadt wiederum unterschied sich deutlich von den geschäftigen

Straßen der Unterstadt. Der Regierungssitz von Laos war von einer zweiten Mauer umgeben, die sich um die Flanke eines Bergs mitten im Stadtzentrum zog. Dutzende Gebäude, vollständig aus weißem Marmor errichtet, waren entlang mehrerer Prunkstraßen errichtet worden, die alle im Zentrum der inneren Stadt zusammenliefen, einem großen, von Säulen umgebenen Platz, direkt vor dem Ratshallen, einem, im Kontrast zur restlichen Zitadelle dunkel gehaltenen Bau. Manche der Gebäude waren direkt auf Ruinen errichtet worden, die einst das alte Volk bei seinem verschwinden hinterlassen hatte. Es hatte eine gewisse

Ironie, überlegte Eden, wenn man die Abneigung gegen Zauberer bedachte, die diese Leute hegten. Etwas, das sich vielleicht endlich Ändern würde, jetzt, wo ein Großteil des Archontenrates ersetzt werden musste. Der einzige Weg, von Helike herauf zur inneren Stadt, war eine große, befestigte Rampe, die hinauf zu einem Tor in den Mauern führte. Der Weg die Steigung herauf war mit Pflastersteinen ausgelegt und alle tausend Schritte ragte ein kleiner Wachturm in die Höhe, an denen die Wächter der inneren Stadt Stellung bezogen hatten. Die Paladine waren diejenigen Krieger Helikes, die bei der letzten der hundert Prüfungen versagt

hatten. Knapp am Rang eines Schwertmeisters gescheitert, bestand ihre einzige Aufgabe darin, als Leibgarde der Archonten zu dienen. Jeder der Männer trug eine gleichförmige Panzerung, die ihn wie eine lebende Metallfigur aussehen ließ und Helme mit geschlossenem Visier, die ihre Züge verbargen. Ihr Erkennungszeichen für die gewöhnlichen Soldaten, ein blutroter Umhang, lag jedem davon über den Schultern. Die Hitze, die nach dem kurzen Regen wieder unaufhaltsam in die Stadt zurückkehrte, hätte sie in ihrer vollen Kampfausrüstung eigentlich kochen müssen, aber keiner der Männer rührte sich auch nur ein Stück. Perfekte

Disziplin, die, zumindest aus Edens Sicht schon fast bedauernswert war. Abgerichtete Kampfhunde, mehr waren sie kaum. Als sich die kleine Gruppe dem Aufgang näherte, gab Wys den Paladinen ein Zeichen, damit diese auf ihren Posten blieben. Normalerweise würden sie jeden Aufhalten, der versuchte, ohne Einladung der Archonten die innere Stadt zu betreten. Wys jedoch war, als letzter Überlebender Archont und Schwertmeister der Stadt, im Augenblick in mehr als einer Hinsicht ihr Anführer. Auf einen Wink hin folgten Eden und die anderen ihm hinauf zu den offen stehenden Toren der inneren Stadt.

Säulenhallen, Gärten und die markanten weißen Gebäude ordneten sich entlang der Straßen zu genauen geometrischen Mustern, fast, als Spiegle ein einziger Komplex sich in vier Richtungen wieder. Die einzige Ausnahme bildeten die Ratskammern. Der dunkle Rundbau lag am Ende des Platzes, der sich im Zentrum der Anlage befand. Einstmals hatte auf einem Marmorsockel dort der Sarkophag von Los geruht. Von diesem waren jedoch nichts als Scherben geblieben, die den wiederauferstandenen Lehrer und den letzten der abtrünnigen Archonten unter sich begraben hatte. Jetzt jedoch lag einfach nur eine leere, mit hellen Kieseln ausgelegte, Fläche

vor ihnen. Offenbar hatte man die Leichen mittlerweile geborgen und Eden schien nicht die einzige, die darüber beunruhigt war. Chonar war in jedem Fall tot gewesen. Und Laos konnte den Einsturz nicht überlebt haben. Aber der Mann hatte sich aus einem guten Grund lieber geopfert, als den Archonten den Sieg zu gönnen. Aus Furcht, das die Wahrheit über seine Rückkehr herauskäme. Er war vielleicht wie Prophezeit in der Stunde der größten Not seines Volkes zurückgekommen. Aber nur als Werkzeug, ein Konstrukt, dem man eine Fremde Seele eingehaucht hatte. Wenn seine Leiche nicht völlig vernichtet worden war, würden

Zahnräder und Kristalle ihre ganz eigene Sprache erzählen. Sie folgten Wys vorsichtig durch die Türen der Ratshalle und durch einen kurzen Gang in die eigentliche Kammer der Archonten. Während die Feuer in Helike gewütet und die kaiserliche Garden die Stadt belagert hatten, war auch der Ratsturm nicht völlig unbeschädigt geblieben. Normalerweise zog sich eine Spirale aus Buntglasfenstern an der Außenfassade der Kammer hinauf, bis zur Spitze des Gebäudes. Jedes Fenster stellte einen Archonten oder Schwertmeister vergangener Zeiten dar, der sich durch irgendetwas hervorgehoben hatte. Die

ernst dreinsehenden Gestalten blickten von der Rückwand des Saals jedem entgegen, der ihn betrat. Eine Reihe Fenster, die während der Schlacht beschädigt worden war, war jedoch mit Tüchern verhängt, damit der Wind nicht durch die entstandenen Lücken im Glas pfiff. Im Vergleich zu der Hitze der Straßen war es angenehm kühl in dem steinernen Gemäuer. Auf einem kleinen Podium, direkt vor den Fenstern, standen fünf schwere Steinthrone. Die Sitze der Archonten, auch wenn drei davon nun schon länger leer standen. Nur einer davon war besetzt. Jona Vilaras hatte die Hände in der für ihn so typischen Geste auf dem

Schmerbauch zusammengefaltet. Ein unaufmerksamer Beobachter hätte den trägen Blick des ergrauten Löwen leicht für Desinteresse halten können. Falscher hätte man jedoch kaum liegen können, dachte Eden. Jona wurde nicht umsonst von den Einwohnern Helikes auch als Händlerkönig bezeichnet, war er doch der einzige unter den fünf Ursprünglichen Archonten, der nicht dem Militärischen Zweig entstammte, sondern sich sein Amt über Reichtum und Verhandlungsgeschick verschafft hatte. Um sich letzten Endes bitter für den Tod seiner Familie zu rächen, wie Cadus, der zweite der abtrünnigen Archonten, hatte ehrausfinden

müssen. Wys trat die Stufen zum Podest hinauf und nahm seinerseits auf einem der vier verbliebenen Sitze Platz. ,, Also, warum habt ihr uns herrufen lassen ?“ , wollte Kellvian wissen. Der träge Blick des Händlerkönigs füllte sich mit Leben und die ausdruckslose Mine mit einem schwachen Lächeln. ,, Ich glaube es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die wir besprechen sollten. Nachdem wir jetzt halbwegs die Kontrolle über die Stadt zurück haben, heißt das. Als erstes… ich habe mir ein paar Freiheiten bei der Wiedererrichtung der Ratskammern genommen.“ Wys sah den Mann nur fragend an. Und

auch Eden rätselte, was Jona sich ausgedacht haben könnte. Dem Mann war von gnadenloser Verschlagenheit bis aufrichtiger Freundlichkeit so ziemlich alles zuzutrauen. ,, Ja ich weiß, ich hätte das mit euch absprechen müssen. Dennoch glaube ich, das es euren Zuspruch finden wird.“ Der Gejarn deutete auf die verhängten Fenster. ,, Was habt ihr getan ?“ Wys schien die Antwort bereits zu erahnen, nur Eden blieb ratlos. ,,Seht nach. Ich hielt es einfach für angemessen. Aber… er war euer Bruder. Es liegt also nicht an mir, zu

entscheiden.“ Endlich ging auch Eden ein Licht auf. Das hatte der Alte jetzt nicht wirklich getan? Aber Jona hatte schon früher beweisen, das er von Tradition und den Anweisungen der Archonten wenig hielt, ja sich, sofern er damit davonkam, sogar direkt entgegengesetzt verhielt, wie als er selbst gegen Laos Anweisungen verstieß und ihnen bei der Schiffsreparatur geholfen hatte. Nur war sie unsicher, ob der Mann damit absichtlich taktlos war, aber die Anteilnahme in seiner Stimme hatte echt geklungen. Wys zog die Vorhänge mit zitternder Hand

beiseite. Zwischen den beschädigten Buntglasfenstern hatte man ein neues hinzugefügt. Es war so angelegt worden, das es genau über dem mittleren der fünf Steinsitze in der Kammer stand. Die Sonne brachte sämtliche Mosaikarbeiten in der Wand von außen zum leuchten und machte die Konturen der Gestalt auf der neuen Abbildung unverkennbar. Wer immer das Kunstwerk angefertigt hatte, er hatte die frappierende Ähnlichkeit der beiden Brüder in Glas gebannt. Die Glasstücke, die eine Darstellung von Zyle zeigten, waren noch nicht durch die Jahre dunkler geworden, so dass das neue Fenster aus

den Älteren hervorstach, wie Frische Farbe auf einer groben Holzwand. Und noch etwas unterschied das Bild gravierend von den anderen. Zyles Abbild sah nicht streng und düster auf die Kammer hinab, sondern der leichte Anflug eines Grinsens spielte über die kantigen Züge. ,, Und was sagt ihr ?“ , wollte Jona wissen. ,,Ich…“ Wys räusperte sich und auch auf seine Lippen trat ein blasses Lächeln. ,, Ich glaube das hätte ihm gefallen… nur…“ Der Archont schüttelte den Kopf, bevor er sich umdrehte und mit eiligen Schritten aus der Halle trat. ,, Ich muss nur kurz raus.“ , erklärte er mit belegter

Stimme. Die anderen konnten ihm nur einen Moment nachsehen. Offenbar hatte es jedem die Sprache verschlagen. Und auch Eden brachte keine Worte zustande. ,,Ich folge ihm.“ , meinte Jiy da jedoch in die Stille hinein. ,, In seinem Zustand stellt er noch irgendetwas dummes an. Ich glaube drei tote Archonten reichen euch…“ Jona schien nun ebenfalls seine Sprache wiederzufinden. ,, Tut das… Ich denke, wir haben noch einiges zu besprechen, Verzeiht.“ Kellvian nickte der Gejarn im vorbeigehen zu. Eden wusste, Jiy hatte Zyle, neben Kellvian, am längsten

gekannt und auch wenn die Gejarn sich von außen nichts anmerken ließ… Sein Tod hatte bei allen von ihnen eine Lücke hinterlassen.

Kapitel 4 Alte Zwist


Jiy fand Wys schließlich am Rand des großen Platzes sitzend. Der Archont hatte sich auf einer umgestürzten Säule niedergelassen und zeichnete mit den Füßen Zeichen in den Staub. Die Gestalt hatte wenig mit dem Mann gemein, der einmal darauf bestanden hatte, einen Teil der erkrankten Crew der Windrufer töten zu wollen… Ganz im Gegenteil, sie hatte nur einmal zuvor jemanden gesehen, der so verloren gewirkt hatte. Und das war Kellvian gewesen, als sie ihn in den Straßen Varas zurück gelassen hatte. Und auch wenn für sie am Ende

alles besser Ausgegangen war… die Gejarn vermied es trotzdem, darüber nachzudenken. Am Ende hatten sich ihre Gefühle für den jungen Kaiser über den Hass hinweg gesetzt. Und vermutlich, dachte sie, würde sie jeder ihres Volkes immer noch dafür für Verrückt halten. Sah man einmal von Fenisin ab. Sie hatte Kellvian gegenüber heute Mittag nicht ganz die Wahrheit gesagt. Ja Feryakins Worte hatten sie beschäftigt, aber das war eben nur genau das: Kryptische Andeutungen, die, wie sie nur zu gut wusste, alles und nichts bedeuten konnten. Aber Zyles Tod hatte die Gejarn genau so getroffen wie alle anderen. Oder mehr. Jiy fürchtete

insgeheim, zumindest eine Teilschuld daran zu tragen. Zyle hatte sie einige Wochen vor seinem Tod noch um Rat gefragt, wie viel Überwindung das den sonst Stolzen und Selbstsicheren Schwertmeister gekostet haben musste, darüber konnte sie nicht einmal spekulieren. Er hatte nach einem Ausweg aus der Zwickmühle zwischen Zauberern und Archonten gesucht und sie hatte keine Antwort gewusst… Wenigstens könnte sie ein Auge auf Wys haben. Auch wenn ihr längstes Gespräch mit dem Mann bisher aus Drohungen und einer geknickten Entschuldigung seinerseits bestanden hatte. ,,Ich komme schon klar.“ , erklärte der

Archont, bevor sie auch nur den Platz in seine Richtung überquert hatte. Den Blick hielt er nach wie vor zum Erdboden gesenkt, wo weitere Linien im Sand entstanden. Er musste ihre Schritte gehört haben… ,,Das glaube ich euch ja auch.“ Jiy blieb einige Schritte von ihm entfernt stehen. Wys schwieg lediglich einen Moment. ,, Wie könnt ihr mit mir reden ? Irgendeiner von euch ?“ , begann er schließlich. ,,Meine Hand führte das Schwert gegen meinen eigenen Bruder. Gegen euren Freund. Und doch seid zumindest ihr mir gefolgt. Wozu ?“ ,,Glaubt ihr den, ihr hattet eine Wahl ?“ , wollte Jiy wissen und trat ein Stück

näher. Sicher, es wäre einfach, in Wys den Schuldigen zu sehen, für den er sich hielt. Vielleicht wäre das sogar richtig. Aber er hatte ihnen auch geholfen. Ohnehin läge Helike jetzt gänzlich in Trümmern und sie wären alle Tod oder Gefangen. Vermutlich eher Tod, selbst wenn die Archonten sie an die kaiserliche Armee übergeben hätte. Dagian hätte niemals riskiert, sie am Leben zu lassen. ,,Ich hatte die Wahl mit ihm zu sterben. Das wäre besser gewesen.“ Der Archont richtete sich wieder ein Stück auf. ,,Nur leider, habe ich nicht länger die Möglichkeit, mich um zu entscheiden. Auf eine seltsame Art, habe ich über

Zyles Leben erkauft, was ich immer wollte. Die Gelegenheit in dieser Stadt etwas zu verändern. Und jetzt, schmeckt das alles nur noch schal.“ ,, Sein Tod wäre aber sinnlos, wenn ihr das nicht auch nutzt.“ Jiy blieb ein paar Schritte vor dem sitzenden Archonten stehen. Selbst so, waren sie grade einmal auf Augenhöhe. Langsam nickte Wys und hob den Kopf etwas. ,, Ich bin mir meiner Pflichten mehr als bewusst. Aber es ist nicht so, als das sie leichter geworden wären. Nachdem Zyles… Körper in dem ganten Durcheinander verschwunden war, hatte ich kurz Hoffnung, Jiy. Etwas, das jetzt mit der Gewissheit ersetzt ist, das mein

Bruder nicht einmal ein vernünftiges Begräbnis erhalten wird. Jona hat es sicher gut gemeint aber… es ist nicht so, das es mir weiterhilft.“ Er stand auf und deutete in Richtung der Ratsbauten. ,, Gehen wir zurück. Es gibt viel zu tun.“ Die Niedergeschlagenheit verschwand zwar nicht ganz aus dem Gesicht des Archonten, aber ein leichtes Funkeln der alten Energie, über die Wys verfügte, kam doch darunter zum Vorschein. ,,Wisst ihr,“ , begann er, als sie die Hallen wieder betraten. ,, Zyle und ich haben uns einmal geschworen, das es einer von uns so weit schafft, in den Ratskammern verewigt zu werden.

Vermutlich hat aber keiner von uns dabei darüber nachgedacht, das es… so geschehen könnte.“ Wys öffnete die Tür zum Saal der Archonten und trat vor der Gejarn hinein. Jona wartete, auf seinem Sitz zurück gelehnt und wieder seine typische Mine aufgesetzt, die man leicht für Desinteresse halten konnte. Seine Augen jedoch folgten sowohl Wys als auch Jiy, als diese dem Archonten folgte. Er sah erneut zu dem neuen Fenster hinauf, aber nur für einen Moment, dann trat er entschlossen hinauf auf die Tribüne. ,, Sieht aus, großer Bruder, als hättest du am Ende doch mehr erreicht

als ich.“ , murmelte er, bevor er seinen Platz wieder einnahm. ,, Also dann, Jona… ihr sagtet es gäbe noch andere Dinge, über die wir sprechen müssen.“ Der Händlerkönig zeigte zum ersten Mal so etwas wie Zögern, als er den anderen Archonten musterte. ,,Ja.“ , verkündete er schließlich und fand damit offenbar den Faden wieder. ,, Wir haben Chonars Leiche geborgen. Und auch das, was von Laos übrig geblieben ist.“ Jiy hielt den Atem an. Das war nicht gut, dachte sie. Wenn herauskam, das Laos nicht mehr als ein Replikat gewesen war… wie jeder einzelne Bürger Helikes, der sein Leben nach dem Wort dieses

Mannes ausgerichtet hatte, darauf reagieren würde, war mehr als Unsicher. ,, Ich denke, ihr wusstet schon, was wir finden würden, oder ?“ , fragte Jona, als er auch die plötzliche Unsicherheit der anderen bemerkte. ,, Allerdings habe ich auch vor, stillschweigen darüber zu halten. Und auch die Arbeiter wurden zum Schweigen verpflichtet.“ Jiy bezweifelte, dass das die ganze Wahrheit war. Sicher konnte man einem Mann ein Schweigegelübde abnehmen, aber Jona war niemand, der die Dinge dem Zufall überließ. Stahl, dachte die Gejarn, und hasste sich gleichzeitig dafür , war die einzige Versicherung, die immer funktionierte. ,, Daneben jedoch, wird

sich einiges ändern müssen.“ , fuhr der Archont fort. Wys hatte sich offenbar endgültig wieder gefangen und schien jetzt ganz in seinem Element. ,, Die Gesetzte müssen dringend überarbeitet werden.“ ,, Fangt mit dem Abschnitt an, wo ihr Leute, die nicht nach eurer Nase tanzen direkt umbringt.“ Eriks Stimme hallte laut genug durch den Saal, das sich einen Moment alle nach ihm umdrehten. Der Arzt hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah ernst zu den beiden Archonten herauf. ,, Tatsächlich, wollte ich genau dort beginnen.“ Jona grinste. ,, Nebenbei wollte ich noch ein paar andere Punkte

ansprechen. Wir.. schulden euch etwas, glaube ich.“ Kellvian trat vor und schüttelte entschieden den Kopf. ,, Selbst wenn ich eine Belohnung bräuchte… die Schäden an der Stadt werden euch genug kosten. Wenn ihr uns danken wollt, verwendet das Geld darauf.“ ,,Also… wenn ihr es nicht wollt…“ , setzte Eden an, erntete jedoch lediglich eine Reihe böser Blicke. Aber die Kapitänin konnte eben nicht aus ihrer Haut, dachte Jiy bei sich. ,, Was ?“ , fragte sie. ,, Nach allem was wir durchgemacht haben ist nicht mal etwas Zusatz für mich drinnen ? Bis ihr mich endlich einmal bezahlt, kann ich ja lange

warten, Kell.“ ,, Wir… besprechen das vielleicht später.“ Wys versuchte, die Aufmerksamkeit der kleinen Gruppe zurück zu gewinnen. ,, Es gibt auch noch eine ganze Armee kaiserlicher Gardisten, die vor der Stadt lagert. Ich verstehe, dass ihr Zeit braucht, aber die Leute werden nervös, wenn die Männer, die sie bis vor ein paar Wochen noch nur als Feinde kannten, direkt vor den Mauern stehen. Erst recht, wenn es sich dabei um bewaffnete Soldaten handelt.“ ,,Ich werde mit den Offizieren sprechen.“ , versprach Kellvian. ,, Vielleicht findet sich eine Möglichkeit, die Männer fürs erste zurück nach

Kalenchor zu senden. Aber es dauert, eine solche Streitmacht zum Aufbruch zu rüsten.“ Jona nickte. ,, Wichtig ist nur, das ich den Bürgern Helikes ausrichten kann, das die Armee sich bald zurück ziehen wird.“ ,, Vielleicht solltet ihr euch auch auf weiteren Ärger gefasst machen.“ , schlug Erik vor.,, Der Mann, der eure Minen angegriffen hat, hat sich als gefährlicher herausgestellt, als wir uns Anfangs vorstellen konnten.“ Jiy wusste, das der Arzt damit mehr als nur Recht hatte. Ein normaler Zauberer konnte schon große Zerstörungen anrichten, aber jetzt, wo sie wussten,

womit sie es wirklich zu tun hatten, schien nicht absehbar, was geschehen könnte. Bisher hatte der Meister sich zurückgehalten, damit niemand erkannte, was er war. Die Nachricht eines überlebenden Magiers des alten Volkes hätte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Jetzt jedoch müsste er darauf keine Rücksicht mehr nehmen. ,,Ich verstehe.“ Wys schloss einen Moment die Augen. Die Aussicht auf weitere Probleme kam sicher keinem der beiden Archonten gelegen. ,, Wir werden unser Land beschützen, da könnt ihr euch sicher sein. Und alles, was versucht, sich noch einmal in die Katakomben einzuschleichen wird erst an

uns vorbei müssen.“ Damit schien es fürs erste entschieden. Als sie die Ratskammern verließen, versuchte Kellvian bereits, sich zurechtzulegen, was er den Offizieren sagen würde. Letztendlich reichte es, wenn er ihnen den Befehl gab, nach Kalenchor zu gehen. Als Kaiser Cantons war ihm jeder einzelne dieser Männer zum Gehorsam verpflichtet. Das hieß aber nicht, dass er sie einfach im Regen stehen lassen wollte. Es war eine logistische Herausforderung, mehr als zehntausend Soldaten durch das Ödland zwischen Helike und der Grenzstadt des Kaiserreichs auf der anderen Seite der

Ebene zu bringen. Eine mindestens zwei wöchige Reise, auf der die Männer versorgt werden wollten. Ohne es wirklich zu wollen und im Laufen zog er sich etwas in das ruhige Zentrum seiner Gedanken zurück. Etwas, das sein alter Lehrer, der Großmeister des Sanguis Ordens Tyrus, ihm beigebracht hatte. Es erlaubte ihm, sich von allen Gedanken zu befreien, etwas, das erforderlich war, wenn er auf die Versteckte magische Begabung zurückgreifen wollte, die er besaß. Oder besser, besessen hatte. Jetzt war dort nichts als leere und ein schwach glimmender Funken, statt des lodernden Feuers, das ihn fast verzehrt hätte. Noch

war er nicht sicher, ob er darüber erleichtert sein sollte, oder nicht. Zachary schien jedoch zu bemerken was er tat. Der Junge hatte ein unglaubliches Gespür für Magie, das sein eigenes um ein vielfaches Übertraf. Vermutlich konnte der kleine Magier sogar den Lebensfunken einer bestimmten Ameise aufspüren, wenn man ihn darum bat. ,,Mit euch stimmt etwas nicht.“ , stellte er im Flüsterton fest, während die anderen an ihnen vorbei gingen. Sie hatten die Rampe, die hinab in die äußere Stadt führte erreicht. Kellvian wurde etwas langsamer, um die anderen vorbeizulassen. Bisher hatte er seine Probleme für sich behalten, aus dem

simplen Grund, das ihn bisher auch niemand darauf angesprochen hatte. ,,Nein.“ , erklärte er und streckte eine Handfläche aus. Mit dem Seelensplitter des alten Volkes war nicht nur seine Begabung fast erloschen, auch das Wissen über Zaubere, das ihm einstmals so intuitiv erschienen war, war erloschen. Er konzentrierte sich und ein paar glimmende Funken tanzten über seine Fingerspitzen. ,,Zum Feuermachen reicht es, wie ?“ , fragte Cyrus, als er die kleinen Flammen bemerkte. ,, Aber auch nicht für viel mehr.“ Kell ließ die Hand sinken. ,, Ich werde alles neu lernen müssen, schätze ich. Wo hast

du eigentlich gelernt ?“ , wollte er von Zachary wissen. ,, Das meiste habe ich mir selber beigebracht.“ Der Junge wirkte mit einem mal Stolz. ,, Ich glaube der erste Zauber, den ich gewirkt habe… Ich war vielleicht fünf. Habe die Küche in Brand gesteckt. Es hat meiner Mutter einen Heiden schrecken eingejagt und meinem Vater noch mehr.“ ,,Andre hat ihn nicht früh genug zum Orden schicken können. Zumindest hatte ich während meiner Zeit in Silberstedt… immer den Eindruck.“ Eden wurde leiser, während sie sprach und Kellvian verstand auch warum. Ihre Zeit der Versklavung mochte lange zurück liegen,

aber wenn es jemanden gab, der sich den ewigen Zorn dieser Frau zugezogen hatte, dann war das Andre de Immerson. ,, Ich sollte ihm ja fast dankbar dafür sein. Immerhin ich wäre ihm anders nie entkommen. Und Zac auch nicht.“ Sie stricht dem Jungen übers Haar, der es Geduldig, aber peinlich berührt, über sich ergehen ließ. Die Zuneigung, die die Kapitänin dem jüngsten Sohn des Hauses de Immerson entgegenbrachte, stand wie ein Spiegel zu dem stummen Hass, den sie auf den Herrn von Silberstedt hegte. Zachary war aber eben weit davon entfernt, noch ein Kind zu sein. Nicht nach allem, was sie durchgemacht hatten.

Kellvian verabschiedete sich von ihnen, als sie die Unterstadt erreichten. Er wollte sofort zum Heerlager vor den Toren der Stadt. Nach wie vor fehlte ihm eine Lösung, aber vielleicht hatte einer der Offiziere ja eine Idee.

Kapitel 5 Der Absturz


Syle wurde durch einen gewaltigen Ruck aus dem Schlaf gerissen. Einen Moment glaubte er, sich im freien Fall zu befinden. Dann jedoch wurde der plötzliche Sturz durch irgendetwas abgefangen und er schlug Schmerzhaft auf dem Boden auf. Das Bettzeug dämpfte den Aufprall nur unzureichend. Seine Schulter, dort wo Andre ich mit einem Messer verletzt hatte, riss wieder auf und er spürte, wie ihm warmes Blut den Arm hinab lief und im Fell versickerte. Er war sofort hellwach und sprang auf

die Füße. Einen Moment hatte er Schwierigkeiten, sich im Halbdunkel überhaupt zu Recht zu finden. Das Innere des Luftschiffs, das sie gestohlen hatten, war alles andere als geräumig und eigentlich nicht darauf ausgelegt, das es sich vier Leute darin bequem machten. Ihre Rucksäcke waren in einer Ecke aufgestapelt, zusammen mit den schweren Wintermänteln, in denen sie nach Silberstedt gereist waren. Der Bär trat an den Ausrüstungsstapel und nahm ein Gewehr an sich. Eine alte Gewohnheit. Sie schwebten gute tausend Fuß über den Grund, wer könnte ihnen hier oben Gefährlich werden? Aber die Disziplin der Garden lag ihm in den

Knochen. Einen Moment fragte er sich, ob die Muskete überhaupt geladen war. Silbriges Mondlicht schien durch eine Reihe Fenster herein und zeichnete die Konturen von drei weiteren Personen nach, die im hinteren Teil der Kammer schliefen. Quinn, der Ordensmagier, hatte sich in seine Robe zusammengerollt und schnarchte hörbar. Syle wusste nach wie vor nicht, ob er dem Mann ganz trauen konnte. Aber… er hatte sie in Silberstedt gerettet, trotz allem. Trotzdem konnte er wenig gegen die Stille Abneigung ausrichten, die er für den Magier empfand. Aber vielleicht, dachte er. Könnte er sie etwas besser

verbergen. Offenbar hatte ihr kurzer Absturz nicht ausgereicht, um ihn aus dem Schlaf zu reißen. Er murmelte nur leise etwas vor sich hin, das gefährlich nach: ,,Hätt ich sie doch umgebracht.“ Klang und drehte sich auf die Seite. Tamyra jedoch war aufgewacht. Die kaiserliche Botschafterin sprang auf die Füße, die roten Haare in einer Wolke vom Kopf abstehend. ,, Was ist passiert ?“ Sie sah sich um und bemerkte Syle, der grade zu Quinn trat und den Zauberer an den Schultern rüttelte. Quinn blinzelte ein paar Mal Verwirrt und gab ein leises brummen von

sich. ,,Ist ja nicht mal hell… Da rettet man euch und darf nicht mal ausschlafen.“ Er setzte sich auf und rieb sich die verschlafenen Augen. ,, Habt ihr das eben gemerkt ?“ , fragte Syle, während er an den beiden Vorbeitrat, auf die dritte schlafende Gestalt zu. Oder besser, dorthin, wo diese hätte liegen sollen. Das Bettzeug war unordentlich übereinander geworfen worden und von Lucien fehlte jede Spur. Der Agent war weg… Syle seufzte entnervt auf. Er konnte ja unmöglich weit sein. ,, Lucien ?“ Irgendetwas bewegte sich ganz am anderen Ende der Kabine. Dort, wo die

Steuerinstrumente für das Luftschiff lagen, mit denen keiner von ihnen umgehen konnte. Seit ihrer Flucht aus Immerson waren zwei Tage vergangen, in denen sie sich nur mit dem Wind hatten treiben lassen. Immer weiter Richtung Südwesten und damit auf die Rasch näher kommenden Berge zu… Berge… Ein weiterer Ruck lief durch die Kabine und brachte Syle fast aus dem Gleichgewicht. Er ruderte mit den Armen und stolperte in Richtung der Fenster. Das Blut gefror ihm in den Adern, als er in die Nacht spähte. Der Mond war grade im Begriff unterzugehen und brachten die, mit Eis überzogenen

Hänge, die knapp unter ihnen lagen, zum glitzern. Es war klar gewesen, das sie die Gipfel irgendwann erreichen mussten. Dennoch hatte er darauf gehofft, dass sie einfach darüber hinwegfliegen könnten. Das hier war alles andere als gut. Die Kabine zitterte zum wiederholten male, als sie über den Schnee auf einem der Berge schleifte. Das knirschende Geräusch, mit dem Steine und Eis beiseite geschoben wurden, ging ihm in die Knochen. Sie waren viel zu niedrig. Das war also für den Ruck verantwortlich gewesen, der ihn geweckt hatte. Entweder, das Luftschiff war während der Nacht ein gutes Stück Richtung Boden gesunken,

oder sie waren von Anfang an nicht hoch genug gewesen. So oder so, sie hatten ein Problem. Wie viele Schläge dieser Art hielt das Luftschiff noch aus ? Und wichtiger, was taten sie, wenn sie auf höhere Berge stießen, die sie nicht mehr knapp überfliegen konnten ? In diesem Moment richtete sich eine Gestalt an den Steuerinstrumenten auf. Lucien trug einen grauen Mantel, den er auch benutzte, um die auffälligen, blonden Haare zu verdecken. Eine Armbrust und mehrere Bolzen steckten in seinem Gürtel, während er fieberhaft an den diversen Schaltern herumhantierte. Offenbar war er während des letzten Aufpralls ebenfalls

gestürzt. ,,Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht.“ , rief er über die Schultern, während das Luftschiff freibrach und sich wieder vom Berghang löste. ,, Die gute, ich glaube ich habe herausgefunden, wie ich das Ding steuere…“ Das Luftschiff beschrieb einen leichten Schlenker zur Seite und wich somit dem nächsten Felsgipfel aus. Nur um fast gegen die übernächste Felsflanke zu krachen. ,, Die schlechte, das nützt uns wenig.“ ,,Warum habt ihr uns nicht geweckt ?“ , wollte Tamyra wissen, während Syle zu dem kaiserlichen Agenten trat, der nach wie vor zu verhindern versuchte, das sie

endgültig gegen einen Berg flogen. ,, Ich dachte ich hab es unter Kontrolle. Aber das tut doch jetzt auch nichts mehr zur Sache. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich das Schiff noch stabil halten kann. Der Wind drückt uns gegen die Felsen, egal was wir tun.“ ,, Und was bitte, schlagt ihr vor, sollen wir dann stattdessen machen ?“ , fragte Quinn, der endgültig den Schlaf abschüttelte und aufstand. Ein Blick aus dem Fenster genügte dem Zauberer offenbar. ,, Wir müssen hier raus.“ , entschied Syle kurzfristig. Und ihm viel nur eine Möglichkeit dazu ein. Das Luftschiff anzuhalten, war nicht möglich. Aber der

Grund war nicht so weit entfernt… ,, Darauf wäre ich nie gekommen. Aber falls ihr nicht zufällig fliegen könnt..“ ,, Wir springen.“ , gab der Gejarn nur trocken zurück. ,,Ihr seid völlig Verrückt.“ , schimpfte Quinn, als Syle die Luke öffnete, die nach draußen führte. Eiskalte Luft strömte ins innere der Kabine, als der Gejarn nach draußen spähte. Der Wind peitschte ihm um die Ohren, als er in die Tiefe spähte. Soeben passierten sie einen weiteren Berghang, auf dem Schnee glitzerte. Einzelne Felsen ragten aus der weißen Decke heraus. Syle konnte nur hoffen, das es dabei blieb. Wenn der

Untergrund nicht tief genug mit Schnee bedeckt war, würde es ihnen nicht besser ergehen, als Andre de Immerson. ,, Es ist nicht so hoch.“ , erklärte er nur. ,, Wir können es schaffen. Aber wenn ihr lieber an Bord bleiben wollt, hindert euch niemand daran, Quinn.“ Lucien trat zu ihnen und sah ebenfalls nach unten. ,, Dreißig, vierzig Schritte, vielleicht.“ , murmelte er. ,, Ich habe uns so tief gebracht, wie ich es gewagt habe.“ Syle verstand den Wink mit dem Zaunpfahl. Entweder, sie versuchten es jetzt, oder würden sehr bald an den nächsten Felsen zerschellen. So niedrig, wie das Luftschiff nun über dem Grund

schwebte, würden sie nicht mehr ausweichen können. ,, Will jemand als erster ?“ , fragte er unsicher. Notfalls würde er selber zuerst springen. Bevor es jedoch dazu kam, trat Lucien bereits an ihm vorbei. ,,Dafür schuldet ihr mir was.“ , erklärte er, sich mit einer Hand am Türrahmen festhaltend. Der Wind zerrte an seiner Kleidung und brachte ihn zum schlottern. ,, Ich hoffe wirklich, das ist tief genug…“ Mit diesen Worten ließ der kaiserliche Agent einfach los und lies sich nach unten Fallen. Syle sah nur, wie der Mann im Schnee aufschlug und halb darin verschwand. Lucien blieb regungslos

liegen, während das Luftschiff langsam abtrieb. ,,Lucien ?“ Syle wusste, das ihn der Agent kaum hören würde. Nicht aus der Höhe und gegen den Wind. Dann jedoch bewegte sich die graue Gestalt wieder und stemmte sich auf die Beine. Der Spion klopfte kurz Eis und Schneeflocken aus seiner Kleidung, bevor er zu ihnen herauf sah. Er rief irgendetwas, von dem Syle jedoch nur Bruchstücke verstand. ,,….Irgendwann noch...“ ,, Was ?“ ,, Ich sagte beeilt euch solange es noch sicher ist. Und das ich das in jedem Fall nochmal machen muss.“

Syle schüttelte den Kopf. Dieser Mann würde eines Tages hoffentlich einmal wirklich heilsam auf der Schnauze landen Lucien lachte schallend, während er ihnen vom Boden zuwinkte, sich zu beeilen. Ihnen blieb nur Zeit, bis das Luftschiff am Hang vorbei trieb. Dann müssten sie auf eine weitere Gelegenheit warten und ob sie die bekamen war fraglich. Syle holte tief Luft. Bis zu diesem Moment hatte er nicht gewusst, wie sie Höhenangst anfühlte. Jetzt schon. Es konnte unmöglich so tief sein, wie es wirkte, immerhin schien Lucien

putzmunter. ,,Also gut.“ Rasch band er sich seinen Rucksack und das Gewehr um die Schultern, damit er sie nicht im Schnee verlor. Dann löste er seine Hände zögerlich von der Kabinenwand. Im nächsten Moment verlor er auch schon den Halt und sah die Welt unter sich plötzlich rasend schnell näherkommen. Der Aufprall war jedoch weniger Schmerzhaft als der, der ihn geweckt hatte. Syle war ein gutes Stück schwerer als der kaiserliche Agent. Der Versuch, sich im Schnee abzurollen, scheiterte damit, dass er direkt knietief einsank und sich so lediglich mit einem Überschlag selber unter den gefrorenen

Massen begrub. Rasch versuchte er, wieder auf die Füße zu kommen, um den anderen nicht im Weg zu sein. Zwei Hände zogen ihn auf die Füße, während der Gejarn Schnee und Eis abschüttelte. ,, Alles in Ordnung bei euch ?“ , wollte Lucien wissen, als er ihn losließ. Der kaiserliche Agent grinste immer noch, während Quinn , gefolgt von Tamyra als nächste den Sprung wagten. Syle nickte. Er fror nur erbärmlich. Der Schnee hatte auch einen Weg unter seine Kleidung gefunden und schmolz dort langsam zu kleinen strömen aus eiskaltem Wasser. Aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Quinn und die Diplomatin rappelten sich ebenfalls

wieder auf, scheinbar unverletzt. ,, Das war mal was.“ , meinte Tamyra. ,, Das nächste mal, wenn mich jemand auf eine harmlose diplomatische Mission schickt, sage ich dankend ab.“ Sie zog ihren eigenen Rucksack, zusammen mit einer Degenklinge aus dem Schnee und warf sich rasch ihren alten Winterumhang über. ,, Weiß jemand, wo wir ungefähr sind ?“ , fragte Syle. Um sie herum gab es scheinbar nichts, als graue Felsgipfel mit endlosen Schneefeldern dazwischen. Der Wind war in Bodennähe zwar nicht mehr so stark, wie in der Luft, aber nach wie vor verwehte er den Schnee zu sich ständig verändernden Formen. Bevor ihm

jemand antworten konnte, wurden die Berge durch ein Krachen erschüttert, das selbst über den Sturm noch zu hören war. Das Luftschiff war von einer Böe erfasst und gegen eine Bergflanke geschmettert worden. Funken stoben auf, als der metallene Rahmen an den Felsen entlangschrammte und sprangen auf die dünne Ballonhülle über. Im nächsten Moment brannte die ledrige Außenhülle auch schon lichterloh. Syle hielt sich die Ohren zu, wusste er doch zu gut, was gleich folgen würde…. Der Donnerhall, als das Konstrukt von einem Feuerball zerrissen wurde, schien den Sturm kurz ins Gegenteil zu verkehren. Wurde der Schnee eben noch von Syle weggeweht,

so blies die Druckwelle ihm Staub und Eis jetzt direkt ins Gesicht und die entstehende Hitze schmolz den umliegenden Schnee augenblicklich an. Er konnte die schwindenden Eiskristalle knistern hören, während sich das Feuer als leuchtendes Nachbild bei ihm einbrannte. ,, Das… war knapp.“ , meinte Lucien, den es offenbar zum ersten mal etwas die Sprache verschlagen hatte. ,, Sehen wir zu, das wir von diesen Bergen runter kommen.“ , schlug Tamyra vor. Syle nickte. ,, Und hat jemand eine Ahnung, wie wir das anstellen ?“ Der Sturm beschränkte ihr Sichtfeld und

selbst wenn der Gejarn die Gegend hätte überblicken können… Sie waren irgendwo im Nirgendwo. Nur das flackernde Feuer, dort, wo das Luftschiff eben zerschellt war, stach aus dem sie umgebenden Schneetreiben. Die Flammen tauchten eine glatte Felswand in orange-rotes Licht, die zu einem markanten, abgerundeten Gipfel hinauf führte. ,, Ich glaube ich weiß, wo wir sind.“ , erklärte Quinn zu ihrer aller Überraschung. Der Magier deutete hinauf zu der erleuchteten Felsspitze. ,, Ich kann mich täuschen, aber wenn der Berg dort ist, wofür ich ihn halte… sind wir keine zehn Stunden Fußmarsch von der

Burg des Sanguis Ordens entfernt. Wer hätte gedacht, das ich auf so einem Umweg nach Hause komme…“

Kapitel 6 Heimkehr


Quinn war sich mittlerweile völlig sicher. Er kannte diese Gegend. Das er die vertrauten Gipfel jetzt von der anderen Seite sah, änderte daran wenig. Der Magier hätte die Form überall wiedererkannt. Wie alle Mitglieder des Ordens, hatte er einen nicht unerheblichen Teil seines Lebens in den Mauern der uralten Burg verbracht, die noch von Simon Belfare angelegt worden war. Auch wenn die Zeit schwerer Steinmauern und großer Befestigungsanlagen seit der Erfindung des Schwarzpulvers vorbei war, de

wenigsten Leute, die sich einmal auf den Weg zum Sitz der Magier Cantons gemacht hatten, würden ihn so schnell wieder vergessen. Noch jedoch, wusste er nicht, ob er sich darüber freuen konnte. Sie waren die ganze Nacht durchgelaufen. Etwas anderes blieb ihnen in der sturmumtosten Einöde hier oben auch nicht übrig. Stehenzubleiben bedeutete den Tod. Und gehen war die einzige Möglichkeit, sich warm zu halten. Im Dunkeln waren sie über die schneebedeckten Berghänge gestapft, bis sie einen halbwegs sicheren Abstieg gefunden hatten. Ein schmaler Felsgrat führte direkt an einer Geröllhalde vorbei, die sich hoch über

ihre Köpfe türmte. Die blanken Felswände hinab zu klettern war alles andere als einfach. Selbst, als die Sonne sich über den Rand der östlichen Berge erhob, machte das Licht ihren Abstieg kaum einfacher. Eis glitzerte auf in den Fugen der losen Steine und jeder Handgriff war eine Herausforderung. Käme der Schutt einmal ins Rutschen, würde er sie ohne Zweifel allesamt mit sich in die Tiefe reißen. Trotzdem konnte Quinn nichts gegen die seltsam gute Laune ausrichten, die von ihm besitz ergriffen hatte. Als sie tiefer stiegen tauchten aus dem Nebel in den Tälern bereits die ersten Umrisse auf, nach denen er seit Tagesanbruch

gesucht hatte. Er war daheim. Ein seltsamer Gedanke. Einer, den er früher so schnell wie möglich wieder in den hintersten Winkel seines Verstandes gedrängt hätte. Aber nicht mehr. Seit seinem Sturz von jemanden, der sich schon als nächsten Ordensoberen sah zu diesem Augenblick war kein Jahr vergangen. Und was hatte sich geändert? Er hätte es nicht zu sagen gewusst. Die Ordensburg war vollständig aus dunklem Granit errichtet. Teilweise waren die ursprünglichen Hallen und Mauern sogar direkt aus dem Fels des Berges gebrochen worden, wie er wusste. Der Ort war mit der Zeit gewachsen und in den über 250 Jahren seiner Existenz

stetig den neuen Gegebenheiten angepasst worden. Hatte es nach dem großen krieg, der die alte Dynastie hinweggefegt hatte, nur noch ein gutes Dutzend Zauberer auf beiden Seiten gegeben, so lebten jetzt teilweise hundert oder mehr Männer und Frauen mit magischer Begabung. Von Novizen und simplen Magiern, denen man es überlies, Zauber herzustellen, die im ganzen Kaiserreich verkauft wurden, bis hin zu den Großmagiern, den mächtigsten ihrer Zunft, von denen in jeder Generation vielleicht ein dutzend geboren wurden. Türkisfarbene Flaggen mit dem Zeichen des Ordens, einem goldenen Tropfen, wehten von den

Mauern und Türmen. Das Symbol für Blut. Das Vermächtnis des alten Volkes, das in ihnen weiterlebte. Manche mochten es für Hochnäsigkeit halten und es gab mehr als einen Magier, der sich Aufgrund seiner Begabung für etwas Besseres hielt… verdammt, er selbst tat das ja, dachte Quinn. Aber die wahre Bedeutung dieses Symbols hatte wenig mit Überheblichkeit zu tun. Es war eine Warnung. Das gleiche Symbol fand sich auch auf den türkisfarbenen Umhängen, die alle Magier, egal welchen Ranges, trugen. Ein Erkennungszeichen, das in ganz Canton respektiert und gefürchtet wurde. Jetzt beim Anblick des alten Gemäuers wünschte Quinn sich fast, er

hätte seinen eigenen Mantel nicht zurück gelassen, als er Tamyra und Syle gefolgt war. Die alten Wehanlagen erfüllten freilich schon lange keinen praktischen Zweck mehr, aber eindrucksvoll waren sie allemal. IM Licht der aufgehenden Sonne schimmerten die Glimmer und Quarzeinschlüsse im Stein wie glühende, rote Augen auf. Als wäre der ganze Ort lebendig. Und nachdem Generationen von Zauberern ihn mit Magie durchwirkt hatten traf das vielleicht sogar zu. Das Tal, in dem die Burg des Ordens lag, war nur über eine einzige Straße erreichbar, die sich zwischen den aufragenden Felsen hindurchschlängelte.

Ansonsten war der gesamte Ort von Bergen umschlossen, die einen zweiten, natürlichen Schutzwall bildeten. ,, Ihr habt uns zum Orden gebracht.“ , stellte Tamyra beim Anblick der Festung fest. Sie hatten den Abstieg zum Großteil bewältigt und der Vorsprung wurde wieder breiter, so dass sie nicht mehr fürchten mussten, von einem plötzlichen Steinschlag in die Tiefe gerissen zu werden. ,, Ich wusste, das ich die Gegend kenne.“ , erklärte Quinn nur. ,, Und der Sanguis-Orden ist näher als alles andere, oder ?“ ,, Wir gehen nicht wirklich da runter, oder ?“ Lucien sah beunruhigt zu den

dunklen Festungsbauten hinab. ,, Was dachtet ihr, was wir vorhaben ?“ , fragte Syle. ,, Wir müsse ohnehin jemanden über Andres Pläne informieren. Dagian oder die Garden müssen Nachricht erhalten, damit sie die Pässe sichern. Der Orden ist dafür so gut wie alles andere.“ ,, Oh nein, ohne mich…“ Der Agent machte Anstalten, kehrt zu machen. Tamyra stellte sich ihm in den Weg. Nicht, das das nötig gewesen wäre, dachte Quinn. Nur wieso bitte wollte Lucien nicht zum Orden ? ,, Und wo bitte wollt ihr hin ?“ , wollte die Diplomatin wissen. ,,Überall hin. Ich und der Orden haben

eine… Geschichte, könnte man sagen. Ich habe einmal verhindert, dass sie etwas sehr wertvolles bekommen. Das nehmen die mir bestimmt bis heute Übel.“ ,,Ich bezweifle ja, das sich bei dem ganzen Chaos in letzter Zeit noch irgendjemand für euch interessiert, Lucien.“ , meinte Syle und gab dem Agenten einen Schubs vorwärts. ,, Und wenn wir noch länger hier in der Kälte stehen, frieren meine Füße fest.“ Zögernd setzte sich Lucien wieder in Bewegung , zog dabei aber die Kapuze seines Mantels vorsorglich tief ins Gesicht. Ihr Abstieg führte in einer Spirale um den Berg herum, bis der

Hang schließlich an einer Straße mündete. Es musste wohl der Versorgungsweg der Burg sein, dachte Quinn bei sich. Das Pflaster war alt und von den Stiefeln tausender Novizen ausgetreten, die, aus dem ganzen Land zusammengesucht, herauf zur Burg kamen. Der Orden achtete penibel darauf, jeden, der mit der Gabe geboren wurde auch zu finden. Das hieß jedoch nicht, dass ihnen auch nicht wenige entgingen. Zwar hielt der Sanguis-Orden allgemein ein strenges Monopol auf Magie, aber immer wieder gab es auch Berichte über freie Zauberer, die ihre Dienste durch den Orden jedoch nur im Geheimen anbieten konnten. Hinzu kam,

dass ihnen oft die Ressourcen fehlten, die dem Orden zur Verfügung standen. Kristalline Zauber herzustellen , die auch von jenen genutzt werden konnten, die , wie alle Gejarn und die meisten Menschen, über kein eigenes magisches Potential verfügten, erforderte Geschick und hatte im Falle eines Fehlers Katastrophale Auswirkungen, bis hin zum Tod aller beteiligten. Die Straße, der sie folgten, führte unter einem niedrigen Überhang hindurch, der sich zu einem Tal hin öffnete. Quinn konnte die Zinnen der Ordensburg am anderen Ende sehen. Anders als auf den Berggipfeln schien hier das Frühjahr bereits einzusetzen. Grüne Grasbüschel

sprossen aus der ansonsten noch verödeten Erde und einige Bäume, die entlang des Weges eine Allee bildeten, trieben erste Blätter. Während die vier Gefährten sich auf dem Weg hinauf zur Festung machten, glaubte Quinn bereits, mehrere Gestalten auf den Mauern zu entdecken. Niedere Zauberer, die zum Wachdienst eingeteilt wurden und sich als Schutz gegen die noch kühle Morgenluft die Hände an brennenden Kohlebecken wärmten. Die Tore standen offen, als sie schließlich in Hörreichweite waren. Zwei Zauberer hielten daran Wache und wendeten sich den vier Fremden zu, die sich über den Pfad näherten. Quinn war sich sicher,

dass sie einen seltsamen Eindruck hinterlassen mussten. Syle in seiner mitgenommenen, blauen Gardeuniform , Lucien , der die Kapuze nach wie vor tief ins Gesicht gezogen hatte, aus Angst, erkannt zu werden und Tamyra, in einem zerrissenen Wollmantel und ausgeblichenem Rock. Quinn machte ja selber kaum einen besseren Eindruck, die abgenutzte, schwarze Robe, die er trug verlieh ihm eher den Eindruck eines Bettlers, als das eines Mannes, der sein gegenüber mit einem Gedanken zu Asche verbrennen konnte. Das die Gruppe vor Waffen starrte trug wohl ebenfalls kaum dazu bei, das die zwei Wächter sich entspannten. Im

Gegenteil. Gewehre, Schwerter, Luciens Armbrust… und er selber trug nach wie vor eine von Falamirs Tränen in der Tasche. Der schwarze, undurchsichtige Stein hatte sich letztendlich als nützlich erwiesen, aber… Götter , er verstand, wieso Kiara ihm das Juwel einfach so anvertraut hatte. Er hatte ihn nur einmal benutzt und doch hätte ihn die Macht beinahe überwältigt. Je eher er ihn los war, desto besser. ,,Willkommen.“ , hielt sie einer der beiden Magier an. ,,Verzeiht, aber was führt euch hierher ?“ ,, Man könnte sagen, wir haben uns in den Bergen verlaufen.“ , erklärte Syle. ,, Wir haben eine dringende Nachricht , die

schnellstmöglich General Dagian erreichen muss. Ich hoffe darauf, das der Orden und dabei behilflich ist.“ Mit diesen Worten zog er den Siegelring aus der Tasche, den Kellvian ihm gegeben hatte. Das Wappen des Kaiserreichs, ein Adler und ein Löwe, waren darin eingelassen und funkelten im Licht der Morgensonne golden und silbern. ,,Nachricht…“ Der zweite Magier musterte die abgerissene Gestalt des Bären. Offenbar war er sich unsicher, was er von vier Fremden, einen davon in Gardeuniform und mit dem Wappen des Kaiserreichs halten sollte. ,, Ich schätze, das besprecht ihr am besten mit Kiara.“

, entschied er schließlich. Der Wächter kam wohl zu der Überzeugung, das vier Leute, egal wie stark bewaffnet, kaum eine Bedrohung für eine ganze Burg voller Zauberer sein konnten und trat beiseite. Kiara… Quinn hielt auf der Torschwelle inne. Eigentlich war er nicht zu wild darauf, die Ordensobere wieder zu sehen. Er hatte sich einmal geschworen, sie bei ihrem nächsten treffen umzubringen. Jetzt jedoch war dieser Gedanke in weite ferne für ihn gerückt. Der Innenhof war für die Jahreszeit überraschend geschäftig. Mehrere Burschen arbeiteten in den Ställen, die sich direkt an die Tore anschlossen. Eigentlich verfügte

der Orden nicht über viele Pferde. Jetzt jedoch standen dort über ein dutzend Tiere, um die sich die Leute kümmerten. Die jüngeren Zauberer gingen ohnehin lieber zu Fuß und zogen meist in kleinen Gruppen los. Die älteren Zauberer, eine seltene Erscheinung, gingen die Dinge ruhiger an. In der ganzen Burg gab es vielleicht, Kiara eingeschlossen, vielleicht fünf oder sechs Magier, die das fünfzigste Lebensjahr überschritten hatten. Eine Seltenheit, kam die Begabung zur Magie doch immer mit einem Preis. Jeder Zauber stahl dem Anwender etwas von seiner Lebenskraft und ließ vor allen die Mächtigeren rapide Altern, wenn sie sich

verausgabten. Ein Effekt, der sich durch die Verwendung von Speicherkristallen zwar verringern, aber nie ganz vermeiden, lies. Normalerweise hatte die Burg jetzt, wo die Pässe vom Winter noch Schneebedeckt und nur stellenweise passierbar waren, nicht viele Besucher. Ein paar Magier, die sich zum Studium im Hof versammelt hatten, sahen neugierig zu den fremden hinüber. Quinn seinerseits jedoch sah hinauf zu den Fenstern einer der großen Hallen der Festung. Drei Rundbögen mit bunten Glasscheiben darin bildeten dort eine Einbuchtung in der Mauer. Nur der mittlerer war provisorisch mit Brettern

vernagelt worden. Die Stelle, an der er in die Tiefe gestürzt war. Nachdem er Kiara maßlos unterschätzt hatte. Er sah sich weite rum und entdeckte neben den Zauberern noch eine Gruppe, die hier eigentlich nichts verloren zu haben schien. Gut dreißig Gejarn-Wölfe hatten sich etwas Abseits im Schatten eines Mauerturms versammelt, saßen um ein Feuer oder unterhielten sich in der Clansprache, die Quinn nur unzureichend beherrschte. Den Ton verstand er trotzdem. Die Männer und Frauen aus den Herzlanden waren nervös. Und viele trugen Waffen. Kurzschwerter, Speere und einige auch Feuerwaffen. Das beantwortete zumindest Quinns Frage,

woher die Pferde kamen, auch wenn es einige Überzeugung brauchte, einen Gejarn zum reiten zu überreden. Und was hatten sie hier zu suchen? Dreißig Mann waren zu wenig für einen Stamm und zu viel für eine Reisegruppe. Einer der Wächter vom Tor bedeutete ihnen, kurz zu warten, bevor er sich von Syle den Siegelring aushändigen lies und in einer der zahlreichen Bauten verschwand, die sich an den Innenhof anschlossen. Vermutlich würde er Kiara den Ring überprüfen lassen und dann mit ihr zurückkehren. Die Siegelringe, die alle kaiserlichen Gesandten trugen, waren durch Magie praktisch Fälschungssicher und jeder, der trotzdem

töricht genug wäre, einen Nachzubauen würde wohl mit dem Tode bestraft. Immerhin machte es einem zum Sendboten Cantons und wies den Träger als jemanden aus, dessen Entscheidungen die volle Rückendeckung des Kaisers genossen. Quinn wusste nicht, wie lange sie warten mussten. Schließlich jedoch schwang die Seitentür eines Turms auf, der sich an den Hauptbau der Zitadelle anschloss und der Wächter kehrte, drei Gestalten im Schlepptau, zurück. ,, Ich hätte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, das wir uns noch einmal wiedersehen.“ , meinte Kiara Vanir, sobald sie Quinn

erblickte.

Kapitel 7 Ein Plan


Kiara hatte sich in dem halben Jahr seit ihrem letzten treffen scheinbar nicht viel verändert, wenn Quinn ihr er auftreten bedachte. Aber sie war sichtlich gealtert, dachte er bei sich. Die angegrauten Haare hatte sie im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden und mehrere neue Falten durchzogen das freundlich wirkende Gesicht. Er hatte allerdings erlebt, wie schnell es mit dieser Freundlichkeit vorbei sein konnte. Tiefe Ringe lagen unter ihren grünen Augen, ein Zeichen dafür, das sie in letzter Zeit wohl nicht viel schlaf fand. Die

Herrschaft zerfrisst dich, alte Frau, dachte Quinn, bevor er etwas dagegen ausrichten konnte, sicherer, als das Magie jemals könnte. Ihre beiden Begleiter kannte Quinn hingegen nicht, auch wenn er glaubte, ihnen schon einmal gesehen zu haben. In Vara, während der letzten Adelsversammlung, wenn er richtig lag. Der erste war ein Gejarn. Ein Wolf mit silbrigem Fell, der wohl auch schon den Großteil seines Lebens hinter sich hatte. Und wenn Quinn ihn wirklich auf der Adelsversammlung begegnet war, dann war er sicher einer der Ältesten. Das erklärte zumindest auch, was die Gejarn hier zu suchen hatten. Vermutlich eine

Leibgarde. Wenn er sich nur an den Namen des Alten erinnern könnte… Der dritte Fremde hingegen kam ihm durchaus bekannter vor. Der Mann hatte dunkle, an den Schläfen bereits grau werdende Haare und konnte wohl leicht als der Jüngste der Runde durchgehen. Die Hände, an denen ein auffälliger Saphirring glitzerte, ruhten auf einem mit rituellen Knochen behangenen Stab, in dessen Knauf ein Bernstein glitzerte. Melchior... Er hatte den Namen nicht während der Adelsversammlung gehört. Sondern mehrere Monate zuvor. Als er im Auftrag von Tyrus bereits einmal nach Vara gereist war. Damals um Markus Cynric zu töten, den Patrizier

der Stadt… Der Mann war mit Kellvian dort gewesen. Die Erinnerung an seine letzte offene Konfrontation mit dem jungen Kaiser war alles andere als Angenehm. Immerhin war er es gewesen, der aus Versehen das Seelenbruchstück in seinem Geist befreit hatte. Woher hätte er auch wissen können, das der Junge durch einen einzigen Toten einen derartigen Schock durchmachte. Oder war damals noch etwas anderes vorgefallen? Das Ergebnis jedenfalls waren mehrere gebrochenen Rippen gewesen… und das Glück mit dem Leben davon gekommen zu sein. Melchior erkannte ihn offenbar auch. Er

legte den Kopf etwas zur Seite, in dem völlig weiße Augen saßen. Der Mann war blind… Oder zumindest erschien er so, dachte Quinn bei sich. Er bewegte sich nämlich in keiner weise wie jemand, der sein Augenlicht verloren hatte. Ganz im Gegenteil. Melchior trat etwas von seinen zwei Begleitern zurück und streckte den Arm aus. Bevor Quinn wusste, was geschah schoss von einem Mauersims irgendwo über ihm ein gewaltiger Vogel und ließ sich gezielt auf Melchiors Arm nieder. Ein Adler. Das Tier drehte den Kopf sofort in Quinns Richtung und irgendwie bekam er beinahe den Eindruck, es würde ihn für Melchior bösartig

anstarren. Syle war der erste, der das Wort an die drei Richtete. ,, Mein Name ist Syle, das sind Tamyra Lahn , Lucien Valaris und Quinn kennt ihr offenbar. Ich bringe dringende Nachricht aus Silberstedt, Herrin Vanir.“ Der Gejarn deutete eine Verbeugung an, während Kiara ihre Aufmerksamkeit zum ersten Mal von Quinn weg auf seine drei Begleiter richtete. Lucien machte einen kleinen Schritt rückwärts und schien sich hinter Tamyra verstecken zu wollen. Etwas, das ihm freilich wenig nützte. ,, Was ist passiert ?“ , wollte die Ordensobere wissen. Ihre Stimme klang nicht unfreundlich, aber angespannt.

,, Andre de Immerson hat das Kaiserreich verraten.“ , erklärte Syle. ,, Er hat eine Armee von beträchtlicher Stärke aufgestellt und macht sich vermutlich in diesem Moment bereit, die Berge zu überqueren. Wir müssen sofort die kaiserlichen Garden informieren, damit wir dem ein Ende machen können, bevor es beginnt.“ ,, Dann haben sich meine schlimmsten Befürchtungen also bewahrheitet.“ Kiara raffte ihren Umhang mit dem Symbol des Ordens um sich, als wäre ihr auf einmal kalt. ,, Ich hatte schon damit gerechnet.“ ,, Moment, ihr wusstet davon ?“ Lucien

hatte es sich offenbar anders überlegt. Er tauchte aus Tamyras Schatten auf und trat auf die Zauberin zu. ,, Warum haben wir dann die ganze Tortur über uns ergehen lassen ?“ Kiara zog eine Augenbraue hoch. ,, Sagt mir, wenn eine Zauberin, aus dem Orden, der euch keine drei Monate zuvor noch verraten hat, erzählen würde, das sich ein Hochangesehener Lord und der Hochgeneral selbst gegen den Kaiser verschworen haben, würdet ihr mir ein Wort glauben, ohne es selbst gesehen zu haben ?“ ,,Nun, nein ich… Moment, wie war das mit dem Hochgeneral ?“ ,, Dagian Einher hat uns ebenfalls

hintergangen. Zumindest habe ich Anlass, das zu glauben.“ ,,Woher wisst ihr das alles?“ , wollte Tamyra wissen. ,, Und was ist das mi Dagian ? Ihr bezichtigt den Heerführer des Kaiserreichs des Hochverrats, das ist euch klar?“ Natürlich würde sie das nicht so einfach akzeptieren, dachte Quinn. Er wusste etwas mehr als sie, aber Tamyra war erst letzten Winter zu Dagians Adjutantin aufgestiegen, das jetzt ihr Schutzherr beschuldigt wurde, sich gegen Canton gewendet zu haben, würde wohl niemand in ihrer Position einfach hinnehmen. ,, Hmm… Genau die Reaktion, die ich erwartet habe.“ , meinte Kiara

versöhnlich. ,,Aber vielleicht kann Fenisin seinen Teil erzählen. Es sollte euch davon überzeugen, dass ich die Wahrheit spreche. Oder zumindest gute Gründe dafür habe.“ Quinn sah zu dem Wolf. Fenisin, natürlich, das war der Name, der ihm nicht mehr einfallen wollte. ,, Ich kann euch nur erzählen, was ich Kiara erzählt habe. Den Grund, aus dem ich überhaupt hier bin. Vor ein paar Monaten hat Dagian Befehl gegeben, alle Gardisten zusammenzuziehen.“ ,, Das weiß ich.“ Tamyra runzelte die Stirn. ,, Das ist der Grund aus dem Lucien zu uns geschickt wurde. Das mag ungewöhnlich sein, aber doch noch kein

Verrat…“ ,, Ein paar Wochen später, hat er dann Befehl gegeben, das sie alle nach Süden ziehen, Tamyra.“ Fenisin sah auf. ,, In ganz Canton gibt es vielleicht noch zweihundert Gardisten. In allen Garnisonen zusammen genommen. Die Garde ist weg. Grade wenn wir sie am nötigsten brauchen würden, wie es scheint.“ ,,Was… Wie… das heißt aber immer noch nicht…“ ,, Wenn das Zufall ist….“ Lucien schüttelte den Kopf. ,, Dagian kann nicht einfach die ganze Armee wegschicken.“ , warf Syle ein. ,, Dazu hat er selbst als Hochgeneral nicht

die Befugnis, nicht solange Kellvian… Nicht solange wir einen Kaiser haben.“ Der Gejarn stockte und Quinn konnte seine Gedanken beinahe hören. Das passte zu gut. ,,Götter… Ahnen, er wird doch nicht etwa… Kellvian ist dort unten. Aber ich kenne ihn, er würde niemals die Armee rufen, egal was passiert. Und wenn Dagian mit einer Streitmacht nach Laos marschiert und Kellvian noch dort ist… Sie werden ihn umbringen. “ Er wendete sich wieder an Fenisin. ,, Wie habt ihr davon erfahren ?“ ,,Ich bin ein Ältester. Wenn über zehntausend bewaffnete Soldaten durch die Herzlande marschieren, glaubt ihr,

das würde den Clans entgehen? Viele mögen sich nach den Kämpfen im Herbst in die Wälder zurückgezogen haben, aber wir sind nicht blind. Unsere Späher haben bemerkt, was vor sich ging und ich wurde aufmerksam. Es hat nicht lange gedauert, bis mir klar war, dass der Hochgeneral nicht nur einige Truppen verschiebt, sondern, dass er jede Garnison, die wir erreichen konnten abzieht. So etwas würde wohl jeden Beunruhigen. Aber an Dagian konnte ich mich schlecht wenden, wenn er eine Bedrohung darstellte und der Kaiser ist im Augenblick sonst wo. Also blieb nur der Orden.“ ,,Und wie kommt ihr hierher ?“ , fragte

Quinn an Melchior gerichtet. ,,Melchior hat sich uns auf dem Weg hierher angeschlossen. Und uns zur Eile gedrängt , wenn ich das anmerken darf. Ohne ihn wären wir erst in einer Woche angekommen.“ ,,Und wie ihr seht war das mehr als gerechtfertigt.“ , erwiderte der Mann. ,, Und meine Männer haben fast eine Meuterei angefangen, als er ein dutzend Pferde angeschleppt hat. Wissen die Geister von wessen Gold die bezahlt waren. Ihr konntet unmöglich wissen, wann wir ankommen müssten.“ ,, Wirklich ?“ , fragte der Ate amüsiert und stützte sich auf seinen Gehstock. ,, Ihr wollt einem Seher erklären, was er

wissen und nicht wissen kann?“ ,, Das heißt es gibt keine Verstärkung ?“ Syle sah, vor den Kopf geschlagen, in die Runde. Quinn verstand nur zu gut. Das bedeutete, sie stünden alleine. Und Andres Weg in die Herzlande schien frei… ,, Und was wird aus Kellvian ? Wir müssen ihn warnen.“ Kiara schüttelte den Kopf. ,, Wie den ? Es ist zu weit, um jemanden dorthin zu schicken. Geschweige denn, was Laos tun würde, wenn ein Magier inmitten ihrer Stadt auftaucht, selbst wenn ich gewillt wäre, jemanden dorthin zu teleportieren. Er wäre Tod, bevor er dazu kommt, den Mund aufzumachen. Wir können nur hoffen, dass die

Soldaten eher auf den Kaiser als auf den General hören. Solange sind wir auf uns gestellt.“ Syle seufzte schwer. Sie alle hatten sich das wohl einfacher Vorgestellt. Nachdem sie Andre entkommen waren, hatte es so ausgesehen, als müssten sie nur noch heil zurück in die Herzlande gelangen um dann einen Boten loszuschicken. Jetzt jedoch wurde alles sehr viel Komplizierter. Quinns Verstand arbeitete und versuchte, einen Ausweg zu finden. Aber wie sollten sie mit einer Handvoll Zauberer und Gejarn eine ganze Armee stoppen… Er hielt inne. Im Flachland wäre das natürlich Unmöglich. Aber sie waren hier in den Bergen. Die Pässe

noch teilweise vom Winter blockiert. ,, Wir müssen die Pässe sichern.“ , erklärte er. ,, Gute Idee, aber wir haben nicht genug Männer.“ , warf Syle ein. ,, Selbst wenn wir die Engstellen ausnutzen um Andres Truppen Fallen zu stellen, sie werden irgendwo durchbrechen.“ ,, Vielleicht nicht.“ Quinn begann auf und ab zu laufen. Die Idee war ihm grade erst gekommen und er überlegte Fieberhaft, wie er sie vermitteln sollte. Es war ein Risiko, aber wenn es klappte, konnte es ihnen Wochen, wenn nicht Monate an Zeit erkaufen.,, Wenn Andre durch die Herzlande will, muss er in jedem Fall durch die Berge. Und die

einfachste Route führt in Zwangsläufig über die Ordensburg, richtig?“ ,,Richtig.“ , erklärte Kiare. ,, Das heißt, er kann mindestens fünf verschiedene Pässe benutzen. Zu viele, um sie alle zu verteidigen.“ ,,Wir müssen die Pässe gar nicht allesamt verteidigen.“ , stellte Tayra fest. Offenbar hatte sie verstanden, worauf er hinaus wollte. ,, Wir müssen nur verhindern, das sie irgendjemand passieren kann.“ ,,Und wie wollt ihr das tun, ohne sie auch zu bewachen ?“ , fragte Fenisin. ,, Wenn ihr nicht zufällig wisst, wie ihr euch fünfteilt, sehe ich nicht, das wir eine Chance

haben.“ Syle schien nun ebenfalls begriffen zu haben. ,, Wir werden ein dutzend oder mehr Magier brauchen um alle Pässe dich zu machen. Aber wenn wir damit Erfolg haben, dann muss Andre die Berge Monatelang umgehen. Wir müssen nur an den Engpässen Felsstürze auslösen… oder eine Lawine und es gibt für seine Leute kein durchkommen mehr. Kiara, können eure Leute das Bewerkstelligen?“ ,, Wollt ihr uns beleidigen ?“ Irgendetwas blitzte in ihren Augen auf. Offenbar lies sie sich für die Idee begeistern. ,, Selbst unsere Lehrlinge sollten in der Lage sein, etwas Schnee

heraufzubeschwören. Oder ein paar lose Felsen ins Rutschen zu bringen. Ihr bekommt eure Leute, wenn uns das Immerson vom Hals hält.“ ,, Ich denke, ich kann ebenfalls einen Teil meiner Wache entbehren.“ , erklärte Fenisin. ,, Die Männer sollen den Zauberern Deckung geben.“ Quinn nickte. Das lief besser, als er gedacht hatte. Es war eine fixe Idee, aber wenn es funktionierte, würde es Andre noch weiter zurückwerfen, als das die Zerstörung seiner Luftflotte schon getan hatte. Und er konnte sich eines selbstgefälligen Grinsens nicht erwahren, bei der Vorstellung, wie dreißigtausend Mann sich durch Kälte und Eis

kämpften… nur um dann an eine Blockade zu geraten und den Rückweg antreten zu müssen. Wenn sie Glück hatten, desertierte ein Teil der Armee dabei oder erfror sogar. Kiara musterte ihn unsicher, was das Grinsen zu bedeuten hatte. Quinn hätte es selber nicht zu sagen gewusst, wäre er gefragt worden. . ,, Gebt mir nur bis Morgen zeit, alles vorzubereiten.“ , meinte die Zauberin. ,,Ihr habt die Rast sicher nötig und ich muss meine Leute ausrüsten. Fenisin wird seiner Wache sicher auch ein paar Takte zu sagen haben.“ ,, Sie werden keine Probleme machen, solange ihr das nicht tut.“ Der Älteste

klang nun beinahe beleidigt, aber Quinn verstand Kiaras Sorge nur zu gut. Gejarn und Magier kamen gemeinhin zwar miteinander aus, aber da hörte es auch schon auf. Die Überheblichkeit, die viele Ordenszauberer schon Nichtmagiern gegenüber an den Tag legten, ließen sich die Clans gemeinhin nicht lange bieten. ,,In der Zwischenzeit, solltet ihr euch ebenfalls vorbereiten und überlegen, ob ihr noch etwas braucht. Die Leute, die ihr braucht, werden bei Sonnenaufgang bereit sein. Und Quinn, auf ein Wort. Ihr werdet mir erzählen, was genau passiert ist.“ Mit diesen Worten wendete sich die Ordensobere ab, um wieder im inneren der Burganlage zu verschwinden.

Bevor sie jedoch so weit kam, drehte sie sich noch einmal um. Ihr Blick blieb bei Lucien hängen, der sofort hinter Syle zurück wich, um sich hinter der massigen Gestalt des Bären zu verstecken. ,, Kenne ich euch eigentlich ?“ , fragte Kiara. ,, Nein…“ , kam die Kleinlaute Antwort des kaiserlichen Agenten. ,,Hmm… Ich dachte vor ein paar Jahren ist mir mal jemand untergekommen, der so ähnlich aussah wie ihr. In Lasanta ? Ich weiß nur, das Tyrus über seinen damaligen Besucher einige Beschwerden hatte.“ ,, Ich… war mein Lebtag noch nie

dort.“ ,, Dann muss ich mich wohl täuschen wie ?“ Ein schwaches Lächeln huschte über ihre Züge, das mehr Warnung als Freundlichkeit zu sein schien. ,, Aber nur für den Fall, bitte ich euch, eure Finger bei euch zu behalten.“

Kapitel 8 Macht und Veränderung


Quinn brauchte eine ganze Weile, um alles, was seit seiner Abreise aus Vara geschehen war, zusammenzufassen. Kiare hörte ihm nur geduldig zu. Sie hatten sich in einen der kleineren Säle der Burg begeben, in dem ein gewaltiges Feuer in der Raummitte brannte und den Saal mit Wärme füllte. Er würde es niemals zugeben, aber Quinn war froh, aus der Kälte zu kommen. Um die Feuerstelle herum, über der man einen großen Kamin konstruiert hatte, standen mehrere Tische und Bänke aus poliertem Holz. Einige Wandteppiche mit dem Symbol

des Ordens dämmten die kalten Steinwände und der Schein der Flammen wurde von einigen Hohen Fenstern zurück geworfen, durch die schließlich schon die Abendsonne hereinschimmerte, als Quinn seine Geschichte beendet hatte. Vermutlich war es noch einer der schlichtesten Räume in der gesamten Anlage, dachte er. Syle und die anderen waren bereits vollauf damit beschäftigt, alles für den Morgigen Tag vorzubereiten. Ging ihr Plan auf, wäre Andre erneut zurück geworfen. Vielleicht das entscheidende bisschen Zeit, das sie brauchten. Er seuftzte, während er auf irgendeine Reaktion von

Kiara wartete. Die Ordensobere hatte die Hände zusammengefaltet und vor sich auf den Tisch gestützt. Ihre grünen Augen musterten ihn. Ein bisschen zu sehr wie einen interessanten Käfer, wie er fand. Einen, den sie jeden Augenblick mit dem Daumen zerquetschen würde. Er wusste ja selber nicht, was ihn dazu getrieben hatte, sich am Ende nicht einfach auf Andres Seite zu schlagen. Es war… seltsam. Sicher, was der Herr Silberstedts vorhatte, würde das Land verwüsten, selbst wenn er Erfolg hatte. Aber damit hatte er keine Probleme, redete sich der Zauberer ein. Nein, eigentlich konnte ihm das völlig egal

sein… Quinn griff in seine Tasche und zog das schwarze Juwel heraus. Die Träne Falamirs schien das Licht im Raum zu schlucken. Nur das in den dunklen Kristall gezeichnete, goldene Auge, leuchtete im Schein der Flammen. Die Luft um den tropfenförmigen Steinflimmerte, so als wäre er glühend heiß. In Wirklichkeit war es reine Magie, die die Realität selbst beugte. Quinn konnte es durch seine Adern rinnen spüren. Den Strom aus Energie, der einem den Eindruck vermitteln konnte, allmächtig zu sein. Und wie leicht es wäre, dem auch einfach nachzugeben. Kiara war alleine. Wenn er sie tötete und es nach einem Unfall

aussehen ließ, ein Treppensturz, ein unglückliches Stolpern nur… Aber allein bei dem Gedanken fühlte er sich beklommen. ,,Verflucht soll der Tag sein, an dem ihr mich Leben ließet.“ Quinn ließ den Stein auf die Oberfläche des Tisches fallen. Fast rechnete er damit, das Juwel würde in Flammen aufgehen. Aber nichts dergleichen geschah. Sobald die physische Verbindung mit dem Zauberer abbrach, erlosch auch die flimmernde Aura der Magie darum und wie es dort auf dem Tisch lag, hätte es auch ein bemalter Kiesel sein können. ,, Nehmt es zurück…“ Kiara ließ den Stein, wo er war. ,,Ihr

habt euch wirklich verändert.“ , stellte sie mit einem amüsierten Ton in ihrer Stimme fest. ,,Nein.“ Quinn schüttelte den Kopf. ,, Ich mag nur nicht, wie ich mich damit fühle. Es… macht einen Dumm, Kiara. Habt ihr mir die Träne deshalb anvertraut? Obwohl ihr wusstet, das ich euch damit töten könnte?“ Etwas, das durchaus noch im Bereich des Möglichen lag. Wenn er sich irgendwie dazu überwinden könnte. Wo war das Problem? Die Ordensobere antwortete nicht, sondern nahm den Leerenstein lediglich wieder an sich. Einen Moment ließ sie das Juwel von einer Hand in die andere

wandern. ,,Dummheit.“ , sagte sie schließlich- ,,Macht hat diesen Effekt auf manche. Mehr, als mir lieb sind, wenn ich ehrlich bin. Aber Dummheit ist bei weitem nicht das schlimmste, was der Geschmack der Herrschaft hervorrufen kann. Ich würde sogar sagen… jeder der durch Macht nur Unvorsichtig wird, tut uns damit einen gefallen. Ihr wisst wovon ich rede.“ ,,Andre ?“ Quinn gefiel nicht, wie die das Gespräch einfach in eine andere Richtung lenkte. Er würde diesen Saal nicht verlassen, bis er Antworten hatte, schwor er sich. ,, In ihm hat es etwas sehr viel gefährlicheres geweckt. Den Hunger

nach mehr. Ein Narr tut einem den gefallen, das er leicht zu besiegen ist. Lord Andre mag vieles sein, aber er ist nicht dumm. Und er hat Verbündete. Mindestens zwölf weitere Fürsten aus ganz Canton haben unauffällig kleinere Streitkräfte zusammengezogen. Wisst ihr eigentlich, das er einen Sohn hat?“ Er wusste nicht, wo das hin führen sollte. Kiara hatte irgendetwas vor, aber was? ,,Nein.“ ,, Sein Name ist Zachary. Und er besitzt eine nicht zu unterschätzende, magische Begabung, so weit ich weiß. Vielleicht habt ihr ihn ja auf der Adelsversammlung gesehen.“ Quinn

versuchte sich zu erinnern. Tatsächlich meint er sich an einen seltsam schweigsamen Jungen mit türkisfarbenen Augen zu erinnern. ,, Vielleicht… aber er ist dann nicht in Silberstedt gewesen. Das ist seltsam, oder?“ Kiara lachte in sich hinein. ,, Nein. Ich weiß nicht genau, welches seltsame Schicksal die beiden getrennt hat, aber die Adelsversammlung war ihr erstes Treffen in Jahren. Wusstet ihr übrigens auch, das der Junge eine Träne Falamirs trägt? Das Auge der See, glaube ich.“ ,,Wie bitte ?“ Eine Träne Falamirs in den Händen eines freien Magiers Und dann auch noch eines halben Kindes. Die

Vorstellung war mehr als nur etwas erschreckend. ,, Bitte sagt mir, er weiß nicht, was er da hat…“ ,, Ich glaube doch. Und trotzdem, hat er es irgendwie unter Kontrolle. Mehr wie ihr. Das ist die dritte Art, Quinn, mit Macht umzugehen. Sie mit Zurückhaltung nutzen, aber auch nicht zögern, wenn es nötig ist, sie einzusetzen.“ ,,Wird das jetzt eine Lektion über Herrschaftsphilosophie „ , fragte er ruhig. Er hatte dieses Spiel satt. Und er verstand beim besten Willen nicht, was sie eigentlich wollte. Trotzdem blieb seine Stimme gesenkt. ,,Warum lebe ich

noch, Kiara, sagt mir einfach die Wahrheit. Ich bin nicht bloß eine günstige Schachfigur gewesen. Das hätte jeder andere tun können. Ihr seid ein Risiko eingegangen.“ ,, Wie ich bereits sagte. Ihr habt euch verändert, seit wir uns das letzte Mal gegenüberstanden, Quinn. Ihr seid friedlicher geworden, man spürt es geradezu. Und der Zauberer, den ich fortgeschickt habe, wäre nie auch nur auf die Idee gekommen sich einen hilfreichen Plan auszudenken… ohne vorher sicherzustellen, was dabei für ihn herausspringt. In meinen Augen habt ihr euch eure zweite Chance nachträglich

verdient.“ ,, Und wenn nicht ?“ , fragte Quinn. ,,Lasst mich ehrlich sein, hätten eure Worte mich nicht überzeugt, wärt ihr gestorben, bevor ihr ein weiteres Wort heraus gebracht hättet.“ Schweigen senkte sich über sie, das nur durch das Prasseln des Feuers unterbrochen wurde. Quinn wusste nicht genau, wie lange keiner von ihnen ein Wort sagte. Lange genug jedenfalls, dass die Flammen zu bloßer Glut zerfielen und sich Eisblumen an den großen Fenstern der Halle bildeten. Auch wenn das Frühjahr in den Tälern schon angebrochen war, heute Nacht würde es Frost geben. Das war gut, dachte ein

abwesender Teil seines Verstandes. Ihr Plan beruhte immerhin auch darauf, einige Pässe mit Schnee zu blockieren. ,, Und ihr urteilt über mich…“ , brachte er hervor. ,,Ich habe nie behauptet, das ich besser wäre, als ihr. Aber ich weiß, was ich zu tun habe, Quinn. Tyrus Aktionen hätten unseren Orden vernichten können, ob euch das klar ist oder nicht. Ich habe nicht vor zuzulassen, dass das doch noch geschieht. Das Leben von uns allen ist mehr Wert, als das leben eines einzelnen. Ich kann mir keine Fehler erlauben.“ ,, Wenn das so ist, Ordensoberste, dann solltet ihr vielleicht auch keines

eingehen und mich trotzdem töten. Wer sagt, dass ich euch nicht einfach nur anlüge?“ ,,Ihr habt mir Falamirs Träne zurück gebracht. Das war der beste Beweis, den ihr mir liefern konntet. Ob ihr es euch gegenüber zugebt oder nicht.“ ,,Ihr sagtet, Tyrus Vorgehen hätte den Orden beinahe zerstört. Das glaube ich nicht. Er mag am Ende keinen Erfolg gehabt haben, aber Tyrus war kein Narr.“ ,,Nein, das war er sicher nicht. Aber er hat sich eine einzige Schwäche erlaubt, Quinn. Nach dem ich aus Vara zurückgekehrt bin, bin ich seine persönlichen Aufzeichnungen

durchgegangen. Ich habe nicht alles davon verstanden. Und das, was ich verstanden habe war bestenfalls beunruhigend. So seltsam es scheint, dieser Mann hatte hunderte von Plänen und war immer darauf aus, alle Fäden in der Hand zu halten. Immer zum Wohle Cantons. Oder zumindest hat er das wohl gedacht. Es gab nur eine einzige lose Schnur in dem Spinnennetz, das er aufgebaut hatte.“ ,,Kellvian Belfare.“ So seltsam es scheint. Ich habe gesehen, wie er ohne zu zögern jeden aus dem Weg räumte, der so dumm war, sich gegen ihn zu stellen. Aber was den Jungen betrifft, hat er sich offenbar ein

weiches Herz bewahrt. Ich hoffe, dieses Vertrauen war in irgendeiner weise berechtigt… und nicht bloß einer Laune entsprungen. Wir können Andre für eine Weile aufhalten, Quinn. Aber wenn der Kaiser nicht bald zurückkommt, wird es, fürchte ich, kein Kaiserreich mehr geben.“ Quinn nickte. Es waren Verzögerungstaktiken. Selbst wenn sie alle Pässe blockierten, Andre ließ sich dadurch nur Schwächen, aber nicht aufhalten. ,, Wie hoch schätzt ihr unsere Chancen wirklich ein ?“ ,, Für den Moment gut.“ , antwortete sie. ,, Wir können sie zum Rückzug

zwingen und ihnen einen Denkzettel verpassen. Mehr werden wir aber nicht erreichen, egal was wir tun. Selbst wenn ich jeden einzelnen Magier auf dieser Burg ins Feld schicke, Angefangen bei den Novizen und Lehrlingen bis zu den Großmagiern… Wenn die Zahlen Stimmen, die ihr und Syle uns berichtet habt, haben wir keine Chance. Quantität schlägt in diesem Fall leider Qualität.“ ,, Wir hättet es vielleicht von Anfang an verhindern können. Andre und Dagian töten, während sie noch in Vaa waren.“ ,, Und was wäre dann aus dem Orden geworden ? Ich habe die Verantwortung für jeden hier.“ ,, Das Leben vieler steht über dem eines

einzelnen, waren das nicht eure Worte ?“ , fragte Quinn. ,, In diesem Fall heißt es, das leben vieler wiegt das Leben einiger auf. Seien es Magier oder nicht. Auch eine Institution kann nicht so wertvoll sein, das man sie nicht opfern könnte, wenn dadurch größeres Leid verhindert wird.“ Kiara lächelte sanft. ,, Ihr habt euch wirklich verändert.“ ,,Nein.“ Quinn wendete sich den Fenstern zu und sah hinaus in die kalte Nacht. Irgendwo dort draußen musste sich jetzt ein endloser Zug aus Männern mit Fackeln und schweren Ausrüstungskarren einen Weg durch Schnee und Fels bahnen.

Aber noch hatten sie Zeit genug, einen Unterschied zu machen. Ein schwaches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Und das würden sie. ,, Ich werde meine Gefährten Morgen wieder in die Berge begleiten.“ , erklärte er. Die anderen würden alle Unterstützung brauchen, die sie bekommen konnten. Und selbst ohne den Stein war er einer der mächtigsten Zauberer des Ordens. Ohne , das einer von ihnen grade eine Träne Falamirs besaß, wüsste er nicht, ob selbst Kiara es mit ihm aufnehmen könnte. Die Antwort lautete wahrscheinlich nicht. Aber von diesen Gedanken hatte er sich verabschiedet. Trotzdem ein Teil von

ihm bedauerte das beinahe. ,,Passt auf euch auf.“ Er nickte, während er die Tür zur Halle aufzog und auf einen langen, von Fackeln erhellten Korridor hinaus trat. Diese Mauern waren alt, selbst wenn sie noch kein Zeichen von Verfall aufwiesen. Aber einer Belagerung würden sie auf keinem Fall standhalten. Das wusste er und das wusste auch Kiara. Sie mussten die Pässe halten. Er suchte sich seinen Weg durch die vertrauten Gänge, bis zu einer Tür, die auf ein kurzes Stück Mauer hinaus führte. Im Hof loderten Feuer, in deren Licht bereits gearbeitet wurde. Quinn erkannte einige der Wölfe, die Fenisin

begleitet hatten. Offenbar bereiteten diese sich auf einen Kampf vor. Aus den Waffenkammern der Burg wurden lange vernachlässigte Ausrüstungen herangeschafft. Gewehre, deren Metallteile bereits grünlich angelaufen waren, Schwerter, die erst geschärft, und mottenzerfressene Winterkleidung, die erst genäht werden musste. Aber wenigstens standen sie nicht ganz ohne alles da. Der Gedanke hatte wenig tröstliches. Quinn überquerte den Wall zu einem hohen Turm und trat hinein, bevor er die Wendeltreppe im inneren hinauf stieg. Ganz oben, im Dachgeschoss, lagen seine eigenen Räume. Die Großmagier konnten sich auf

der Burg einrichten, wo sie wollten und er hatte die Abgeschiedenheit hier immer gemocht. In einer Ecke der inzwischen verstaubten Kammer stand auch nach wie vor das Klavier. Den Flügel hier herauf zu bringen hatte einiges an Nerven gekostet. Erst dachte Quinn daran, sich direkt aufs Bett fallen zu lassen, um vor Morgen noch etwas Schlaf zu finden. Aber er war jetzt hellwach. Zu viele Dinge gleichzeitig beschäftigten ihn. Und so ließ er sich stattdessen vor den Tasten des Klaviers nieder und begann zu spielen… Wenigstens änderten sich manche Dinge einfach

nie.

Kapitel 9 Zu den Pässe


Syle betrachtete die Klinge des Jagdmessers, die ihm Fenisin hinhielt. Der Griff war aus gelbweißem Elfenbein geschnitzt worden, so dass der Knauf in einem Wolfskopf mündete. Die Klinge selber war leicht gebogen und schimmerte im ersten Licht des Tages. Feine Schriftzeichen waren der Länge nach darauf eingeätzt. Das war keine Waffe, die man wirklich benutzen sollte, dachte er bei sich. Das war ein Ritualgegenstand. ,, Ich möchte gerne, das ihr das mit euch nehmt.“ , erklärte Syles Gegenüber

freundlich, während der die Waffe in der Hand drehte , so das der Gejarn nicht Gefahr lief, sich zu schneiden. ,, Warum ?“Syle zögerte, die Klinge einfach an sich zu nehmen. Das war kein einfaches Geschenk, dazu war es zu wertvoll. Und in einem Kampf würde der Dolch ihm wenig nutzen. ,, Es ist nichts, worauf ich ein Anrecht hatte.“ , meinte er. ,, Sicher… Ich weiß, wer ihr seid Syle. Ein Gejarn bei der kaiserlichen Garde wäre bis vor einem Jahr noch nichts Ungewöhnliches gewesen. Aber ihr habt gesehen, wie sich die Dinge verändert haben.“ ,,Mein Clan war unter den ersten, die

sich vom Kaiserreich losgesagt haben. Ja.“ Er dachte nicht gerne darüber nach. Kellvian hatte die Konflikte zwar letzten Endes beilegen können, aber für seine eigenen Leute blieb er wohl ein Ausgestoßener. Weil er während der ganzen Zeit auf der Seite Cantons gestanden hatte. ,, Sollte ich einem von ihnen je wieder unter die Augen treten, würde das vermutlich mit meinem Tod enden.“ ,, Genau darum geht es mir. Wenn diese Tage vorbei sind, werde ich ein Wort für ein einlegen. Ich habe bei den Clans etwas Einfluss, nicht nur in meiner Position als Ältester. Seht das Messer als Garantie dafür.“

Syle nahm die Waffe vorsichtig an sich. Wie er schon vermutet hatte. Es war eine rein zeremonielle Klinge, wunderschön gearbeitet, aber schlecht ausbalanciert. Trotzdem schob er sie neben das Schwert an seinem Gürtel. Er wusste nicht, wie er sich dabei fühlen sollte. Syle hatte nie viel Gedanken darauf verschwendet, ob und wie er jemals zu seinem Clan zurückkehren sollte. Jetzt das Angebot dazu zu erhalten war… seltsam. Es hatte ihn einfach nie gekümmert. ,,Danke.“ Fenisin nickte zur Antwort nur. ,, Aber ich weiß noch nicht, ob ich eure Hilfe jemals in Anspruch nehmen werde. Warum tut ihr das? Ich hätte

nicht gedacht, das ein ehemaliger Abtrünniger sich um das Schicksal eines Mannes kümmert, der ihn vor ein paar Monaten noch getötet hätte.“ Der Wolf antwortete nicht sofort, sondern sah einen Augenblick über den Hof. Den ganzen Morgen schon hatte Syle sich alles zurechtgesucht, was er für ihre Expedition in die Berge brauchen würde. Über den Schultern trug er zwei Gewehre, eines davon mit einer aufgesetzten Bajonettklinge , einen Degen und einen Gurt mit Papierhülsen, die Pulver enthielten. Die Bleikugeln trug er separat in einem kleinen Beutel mit sich. Dazu hatte er sich eine leichte,

mit Pelz gefütterte Panzerung aus gehärtetem Leder besorgt. Syle hatte erst die zahlreichen Löcher und ausgefransten Stellen ausbessern müssen, bevor er die Rüstung auch gebrauchen konnte. Die Waffenkammern des Ordens gaben zwar einiges her, aber es waren eben Zauberer. Das letzte mal, dass das Arsenal aufgestockt wurde, war sicher schon einige Jahre her. Wenigstens funktionierte noch alles. Auf der anderen Hofseite machte sich der Teil von Fenisins Grade bereit, der sie und die Magier begleiten würde. Diese wiederum hatten sich bereits in schwere Pelzmäntel gegen die Kälte gehüllt und mehr als einer trug einen roten Kristall

mit sich. Künstliche Magiespeicher, wie sie der Orden herstellte konnten zwar das Potential eines Magiers kurzfristig verstärken, zerbröselten aber sobald sie ausgelaugt waren zu Staub. ,, Ich denke, ich habe vielleicht noch etwas gutzumachen.“ , antwortete Fenisin schließlich. ,, Es gab eine Zeit, in der hat mich nicht gekümmert, was aus jenen wird, die sich von den Clans abwenden. Vielleicht kann ich das jetzt wieder ausgleichen.“ Der Älteste wendete sich ab und ging zu seinen Leuten herüber, die grade ihre letzte Ausrüstung verstauten. Vorräte, Zelte falls nötig und Waffen, alles verteilt auf mehrere Rucksäcke. Und noch etwas

weiteres kam hinzu. Auf einer Kellertreppe am anderen Ende des Hofs, die hinab in die Waffenkammern führte, tauchte in diesem Moment Quinn auf. Der Großmagier trug einen dunklen Pelzmantel als Schutz vor der Kälte und vor seiner ausgestreckten Hand schwebte ein großes Holzfass. Hinter ihm folgte auf dem Fuß bereits Melchior. Der alte Seher stützte sich auf seinen Stock und winkte dabei bereits einer dritten Gestalt zu, die sich auf der Treppe mit irgendetwas abmühte. Als sie schließlich, schwer atmend, ins Licht trat, erkannte Syle Lucien. Der kaiserliche Agent rollte ein weiteres, gewaltiges Holzfass vor sich

her. ,,Ihr könntet mir auch einmal mit dem Pulver helfen.“ , protestierte er, als Melchior ihn erneut zur Eile antrieb. Schließlich schaffte er es, den Behälter auf den Hof hinaus zu rollen und stellte ihn bei einer Reihe weiterer Fässer ab, die bereits an der Mauer lehnten. Lucien wischte sich den Schweiß von der Stirn. ,, Wozu brauchen wir das ganze Zeug überhaupt ?“ Melchior klopfte mit dem Stag gegen eine Fasswand. ,, Die Magier können schlecht alles alleine erledigen. Wenn etwas schief geht, könnt ihr so immer noch einen Steinschlag auslösen, ohne auf Zauberei angewiesen zu

sein.“ ,,Ihr klingt so, als wüsstet ihr, das wir es wirklich brauchen.“ ,, Nehmt es einfach mit.“ , antwortete der Seher nur und winkte einige Gejarn herbei. Einen Wolf mit braunem Fell, der nicht sehr begeistert darüber aussah, dass ihn der Alte dirigierte. ,, Teilt den Inhalt der Fässer auf euer Gepäck auf, so gut es geht.“ ,,Ich bin ja eigentlich mehr fürs subtile.“ , bemerkte Lucien, als er eines der Fässer öffnete und begann, das körnige Schwarzpulver darin auf einzelne Metallröhren aufteilte, die daraufhin in Beutel aufgeteilt wurden. Jedes einzelne Päckchen wurde mit

mehreren Zündschnüren versehen, was es erlaubte, die Sprengsätze je nach benötigter Zeit einzusetzen. ,, Wenn wir Glück haben, bleibt es auch genau das.“ , antwortete ihm Melchior. ,, Die Pässe müssen geschlossen sein, bevor Andre davon Wind bekommt. Wenn er es für eine natürliche Blockade hält, wird er vielleicht unvorsichtig.“ ,, Und wenn nicht, wird er vermutlich, sobald er einen Weg um die Berge herum findet, vor unserer Türschwelle auftauchen.“ , erwiderte Lucien, und kratzte den letzten Rest Pulver aus dem ersten Fass. Syle wendete sich wieder seiner eigenen Arbeit zu. So weit hatte er alles, was er

brauchte. Aber er wollte sich ein Bild von den Leuten des Ältesten machen. Fenisin waren sie vielleicht treu ergeben, aber sie müssten jetzt tun, was man ihnen Befahl, ohne dass es dazu den Wolf brauchen würde. Die gut dreißig Kämpfer waren eben dabei das Pulver, das Lucien ehraufgeholt hatte in ihrem Gepäck zu verstauen. Syle trat zu ihnen und nahm sich ebenfalls mehrere Pulverbehälter und ließ sie zwischen seiner Ausrüstung verschwinden. Einige nickten ihm nur kurz zu, andere beachteten ihn kaum. Aber niemand beschwerte sich über das zusätzliche Gewicht oder die Anweisungen, die Melchior ihnen gab,

auch wenn sie nicht zu begeistert wirkten. Das war gut… ,, Eine Stunde noch, dann brechen wir auf.“ , erklärte der Bär, als er sich wieder aufrichtete. ,, In dem Fall muss ich mich wohl beeilen.“ , meinte Tamyra, die in diesem Moment aus einer kleinen Schmiede trat, die man neben den Ställen eingerichtet hatte. Hauptsächlich diente der hastig errichtete Unterstand dazu, die veralteten Waffen wieder auf Vordermann zu bringen. Es gab kein Feuer, aber mehrere Schleifsteine und Werkzeuge, die man zu Ausbesserungsarbeiten brauchte. Die Diplomatin hatte offenbar die

Gelegenheit genutzt und zwei Degenklingen wieder hergerichtet, die zuvor noch mit Rostflecken bedeckt gewesen waren. ,, Ich dachte schon, ihr kommt nicht mit.“ , meinte Quinn mit einem lächeln. ,, Ich habe darüber nachgedacht.“ , antwortete sie. ,, Aber verflucht, ich habe genug von Diplomatie, sofern es Immerson betrifft.“ Ein grimmiger Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht. Syle nickte. Das würde sie brauchen. Er hatte Tamyra schon kämpfen sehen. Mit dem Schwert nahm es so bald niemand mit ihr auf. Aber sie war keine Soldatin, sondern Botschafterin. Niemand, der direkt an einer Schlacht teilnahm. Er

konnte sich noch gut erinnern, wie er sich das erste Mal mitten im Getümmel wiedergefunden hatte. Es waren Narren, die glaubten, darin liege so etwas wie Ehre. Syle schüttelte die Gedanken ab. Es würde zu keiner Schlacht kommen, zumindest nicht so bald. Genau das wollten sie ja grade verhindern. Tamyra trat derweil an ihm vorbei und hielt Quinn eine der beiden Waffen hin. ,, Nur für den Fall.“ Der Magier zögerte, nahm das Schwert dann jedoch an sich und band sich die Scheide an den Gürtel. In der Robe damit zu kämpfen, wäre bestenfalls

unpraktisch, aber wohl besser als nichts. Lucien hatte das Schwarzpulver inzwischen verteilt und sich ebenfalls bewaffnet. Neben der Armbrust hatte er sich ebenfalls ein Schwert besorgt, vermutlich in guter Erinnerung daran, was das letzte mal passiert war, als er nicht mehr dazu kam, die Waffe rechtzeitig nachzuladen. ,, Sind alle bereit ?“ , wollte der Agent wissen, als er auf den Hof hinaus trat. Einige Leute aus Fenisins Garde nickten und begaben sich wortlos Richtung Tor, wo die gut zwanzig Zauberer, die Kiara ausgesucht hatte, bereits auf sie warteten. Die Ordensobere war ebenfalls an den

Toren erschienen, in einer schlichten, weißen Robe, so als würde ihr die Kälte nichts ausmachen. Vermutlich jedoch hielt sie sich eher mit einem Zauber warm, dachte Syle, während er auf sie zutrat, die anderen im Schlepptau. Fenisin und Melchior gesellten sich ebenfalls zu ihr. Keiner der drei würde sie begleiten. ,, Wir sind soweit.“ , erklärte Syle. Kiara nickte. ,, Dann geht mit unserem Segen. Aber… eines noch.“ Syle sah auf, als er den besorgten Ton in ihrer Stimme hörte. ,, Etwas, das ihr uns verschwiegen habt ?“ ,,Kenn ihr einen Mann namens Erland

Reiksson?“ ,, Ich habe den Namen schon einmal gehört.“ , erwiderte er zögerlich. Und er hatte mehr als nur den Namen gehört. ,, Ein ehemaliger General der Garde. Er wurde jedoch vor einigen Jahren unehrenhaft entlassen, wenn ich mich richtig erinnere.“ ,, Wieso ?“ , fragte Lucien. ,, Offenbar war dieser Mann selbst Dagian zu extrem. Die Garde geht zwar nicht grade sanft mit allem Rekruten um, aber wir achten darauf, dass sich niemand verletzt. Erland hingegen… er hat einen Rekruten getötet. Und zwar nicht aus Versehen. Was ist mit diesem

Mann?“ ,, Vielleicht sollte euch interessieren, das ich sicher weis, das er vor einiger Zeit nach Silberstedt aufgebrochen ist.“ ,, Ihr wisst… woher ?“ Kiara nickte lediglich in Richtung Melchior. ,, Das heißt also, das Andre einen ehemaligen Heerführer der kaiserlichem Garde auf seiner Seite hat ?“ , fragte Tamyra. ,, Zumindest befürchte ich es. Wenn Erland auf seiner Seite steht, werden wir vielleicht Probleme bekommen. Er weiß, wie die Garde in so einem Fall vorgehen würde. Mehr oder weniger genau so, wie wir

jetzt…“ ,, Das nützt ihm aber auch nichts, wenn wir schnell genug sind.“ , warf Quinn ein. Und das hieß, sie mussten jetzt aufbrechen. ,, Dann beeilen wir uns besser.“ Syle gab das Zeichen zum Aufbruch, worauf die Tore der Burg geöffnet wurden und die knapp achtzig Männer und Frauen sich auf den Weg machten. Durch das grüne Tal hindurch und in Richtung der Straßen, die wieder hinauf in die Berge führen würden. Wer hätte Gedacht, das das Schicksal von ganz Canton einmal an so wenig Hängen könnte, dachte er., als er zu den

verwinkelten Bauten der Ordensfestung zurück sah. Er nicht. Armeen veränderten Reiche für immer. Und Magie vielleicht. Aber keine kleine Gruppe mit etwas Sprengstoff. Der Gedanke war ungewöhnlich pessimistisch. Für den Moment jedoch hatten sie eine Chance, sagte Syle sich. Die ersten Pässe begannen bereits wenige Meilen von der Burg entfernt. Dort würden sie anfangen. Die einzige Herausforderung war nun, auch eine günstige Stelle für eine Blockade zu finden. Am besten an einem Hang oder einer Stelle, wo sich zwei Felsklippen

trafen.

Kapitel 10 Zyle


Zyle Carmine setzte die Axt ab, als der Baum langsam zur Seite fiel und mit lautem krachen auf dem Boden Aufschlug. Sie kamen erstaunlich gut voran, wenn man bedachte, dass sie grade erst ein paar Wochen hier waren. Etwas, das nicht zuletzt Relinas präziser Planung zu verdanken war, wie er wusste. Nach der chaotischen Flucht aus Helike hatte es eine Weile so ausgesehen, als könnten sie die vor ihnen liegende Aufgabe kaum bewältigen. Einen neuen Staat hatten die Magier der Stadt gründen wollen… aber offenbar

hatten einige die Herausforderung, die das darstellte massiv unterschätzt. Die Insel, auf die es sie verschlagen hatte, war stark bewaldet, wenn man von dem Bergmassiv im Zentrum einmal absah. Bisher hatte es keiner von ihnen gewagt, sich bis dorthin durchzuschlagen. Uns es gab auch kaum eine Gelegenheit dazu. Für den Anfang hatten sich die meisten Rebellen entweder auf den Schiffen oder in einer großen Höhle in Strandnähe einquartiert. Es gab viel zu tun, bis der Ort heimisch werden würde. Bäume wurden gefällt und breite Lichtungen in die Wälder geschlagen, um an Bauholz zu kommen. In Strandnähe und auf dem entstehenden Brachland hatten bereits

die ersten Bauarbeiten begonnen, um einfache Hütte und Wirtschaftsgebäude anzulegen. Am Nord ende des Strands, dort wo das Land einen Hacken beschrieb und eine kleine Bucht formte, entstand bereits eine Mühle und auf dem gerodeten Waldstück legten die Männer und Frauen die ersten Felder an. Die Silhouette der Schiffe, die dort geschützt vor Anker lagen, zeichnete sich vor der untergehenden Sonne ab. Um Zyle herum hörten bereits einige der Männer, die zum Holzfällen eingeteilt waren, mit ihrer Arbeit auf. Sobald es dunkel wurde hieß es für alle, sich auf den Schiffen oder bei den Höhlen zu sammeln. Von den verschiedenen

Baustellen auf der Insel zogen sich bereits breite Pfade in Richtung der provisorischen Unterkünfte. Mit etwas Zeit, dachte Zyle, würden es Straßen werden. Und mit noch etwas mehr Zeit… Die Vorstellung hatte schon etwas Berauschendes. Nahrung wäre in den nächsten Monaten ihre Hauptsorge. Zwar hatte Relina ausreichend Vorräte mitgenommen um jeden auf der Insel für eine Weile zu versorgen, aber das würde nicht ewig reichen. Je eher sie sich zumindest schon einmal Selbst versorgen konnten, desto besser. Etwas dazukaufen konnte sie beim besten Willen nicht. Sie mussten alles neu aus dem Nichts aufbauen.

Kurzum es gab mehr als genug Arbeit und Zyle ergriff die Gelegenheit zu Helfen dankbar. Es lenkte ihn ab. Er wusste nicht, was aus den anderen geworden war, Jiy, Kellvian und der Rest… Verflucht, er wusste ja nicht einmal wirklich, was mit ihm geschehen war. Seine Erinnerungen rissen in dem Moment ab, wo Wys ihn mit dem Schwert durchbohrt hatte. Tödlich, wie Zyle zuerst dachte. Aber offenbar war das nicht der Fall gewesen. Selbst die Verletzung schien verschwunden. Wussten die Götter, was mit ihm geschehen war, er hinterfragte es nicht. Er wollte nicht darüber

nachdenken. Während die übrigen Arbeiter bereits aufbrachen, hatte der Gejarn die Axt bereits wieder aufgenommen und schlug auf den Stamm eines weiteren Baumes ein. Der Waldrand lag bereits vollkommen im Schatten und das dichte Blattwerk ließ kein Sonnenlicht mehr durch. Normalerweise gab es immer jemanden, der die Wälder im Auge behielt, während die anderen arbeiteten, jetzt jedoch, wo sich die Baustelle zunehmend leerte, gab es niemanden mehr, der das übernehmen könnte. Trotzdem hatte Zyle keine Angst alleine zu bleiben. In der ganzen Zeit, die sie jetzt hier waren, war das Größte Tier,

das ihm begegnet war, immer noch eine Seemöwe. Und von denen gab es hier mehr als genug, dachte er. Die weißgefiederten Tiere sammelten sich in Gruppen über der Bucht und tauchten selbst hier im Inland der Insel überall auf. Das Klima hier unterschied sich deutlich vom Festland um Helike. Es war kühler, trotzdem war die Abendbriese noch warm genug, dass man nicht fror. Es erinnerte ihn etwas an seine Reise durch Canton im Sommer. Er vermisste es jetzt, das Land, das er einmal um keinen Preis der Welt hätte aufsuchen wollen. Und ihm schließlich mehr zur Heimat geworden war, als

Helike. Wie es hier im Winter aussah, würde sich noch herausstellen müssen. Bis dahin hatten sie jedoch ohnehin besser bereits die erste Ernte eingebracht. Es tat gut, sich mit diesen kleinen Problemen zu beschäftigen. Es lenkte ihn von den Großen ab. Zyle schlief wenig, as fast nichts und er unterstützte die Arbeiter, wo er nur konnte. Und die Leute nahmen ihn deshalb meist äußerst freundlich auf, vor allem die, die ihn noch aus Helike kannten. Niemand außer Relina wusste, das er es gewesen war, der sie alle verraten hatte… und für die Katastrophe verantwortlich war, bei der ein Teil der Flüchtlinge umgekommen

war. Freunde, Bekannte und Verwandte, derer, die es schließlich geschafft hatten. Und er verstand beim besten Willen nicht, wieso sie es für sich behielt. Ein Wort und diese Leute würden ihn bei lebendigen Leib das Fell abziehen und sie hätten vermutlich auch noch Recht damit. So konnte er nur stumme Wiedergutmachung leisten, die doch niemals ausreichen würde. Nach ihrer Ankunft hier, hatten sie kein Wort mehr miteinander gewechselt und sie wichen sich aus, so gut sie konnten. Zumindest er versuchte das, dachte Zyle. Ob es Relina genau so ging wusste er nicht zu sagen. Nur das sie sich nie alleine begegneten und er nicht

ehrausfinden wollte, was dann geschah. Zyle hatte es nicht gewagt, ihr bei ihrem letzten Treffen in die Augen zu sehen. Er wusste nur zu gut, was darin loderte. Wut. Unterdrückter Hass und Verachtung. Und trotzdem Verriet sie nichts. Sie sagte überhaupt nichts, selbst wenn sie sich einmal zufällig begegneten. Wollte sie, das er sich irgendwann selbst stellte? Wenn er die ungerechtfertigte Freundlichkeit, die ihm hier sonst jeder entgegenbrachte nicht mehr ertrug? Oder er nahm sich einfach eine Klinge und brachte es selbst direkt zu Ende. Er lebte eine Lüge… Wenn Relina wenigstens richtig wütend gewesen wäre, dann hätte er es vielleicht

ertragen. Aber solange er nur mit kaltem Zorn und beharrlicher Stille gestraft wurde… Er hatte keine Angst vor ihr, auch wenn viele vielleicht dachten, dafür einen guten Grund zu haben. Die Schakalin war, so weit er das wusste, die einzige Gejarn, die über eine Begabung für Magie verfüge. Und sie war mächtiger, als die meisten Hexer Cantons, denen er begegnet war.. Er hatte gesehen, wie sie einen Riesen mit einer Handbewegung fällte und einen schwer bewaffneten Paladin auf die Knie zwang. Diese Frau brauchte nicht darauf warten, dass er sich selber stellte. Hätte sie ihn töten wollen, wäre er längst

Asche. Aber er hatte sie geliebt. Tat das noch, wenn er ehrlich mit sich selbst war. Sie jeden Tag nur von weiten zu sehen war schon schlimm. Aber ihre stumme Verachtung tat mehr weh als alles andere. Besser, er wäre in Helike gestorben, dachte er, während er dem Baum einen letzten Hieb versetzte. Der Stamm brach krachend auseinander und die Krone landete einige Schritte entfernt im Gehölz. Es wurde langsam zu dunkel, um noch weiterzumachen. Zyle schulterte die Axt und begann den Rückweg zu den Höhlen. Baumstümpfe, die morgen von Zuggespannen und weiteren Arbeitern entfernt werden

würden, ragten aus der Erde. Die dazugehörigen Bäume waren längst weggeschleift und entastet worden um sie als Bau oder Feuerholz zu verwenden. Wenigstens daran mangelte es ihnen nicht. Ein ausgetretener Pfad führte durch das niedrige Gras, das den Platz der Bäume eingenommen hatte. In der Ferne konnte Zyle sehen, wie sich das Licht von Fackeln und Öllampen auf dem Wasser spiegelte. Einmal direkt an der Küste, wo sich die Höhlen befanden und dann noch an zwei Punkten weiter draußen auf dem Meer. Die Schiffe, die sie aus Helike entwendet hatten. Sein Weg führte ihn durch die Ausläufer der entstehenden Siedlung. Eine

Handvoll Gebäude waren bereits fertig gestellt und bewohnt. Andere waren kaum mehr als abgesteckte Grundrisse mit ein paar Balken Holz, die man bereits daneben lagerte. An einigen Stellen wiederum konnte man bereits die ersten Erdarbeiten erkennen und an wieder anderen wurde grade erst damit begonnen, das verbliebene Unterholz und Gras zu beseitigen. Pechfackeln erhellten den Weg, der zwischen den Bauten hindurch führte und weiter hinab zum Strand, der sich hinter ein paar Hügeln verbarg. Syle konnte das Rauschen der Wellen bereits hören, als er die letzten Häuser passierte. Mit dem Klang des Wassers drang auch leises

Stimmengewirr zu ihm herüber. Die Höhlen mussten um diese Zeit vor Geschäftigkeit überlaufen, da sich jeder seine Ration abholen und bei der Gelegenheit wohl auch gleich die Neuigkeiten austauschen wollte. Nicht, das es viel zu berichten gab, was ohnehin nicht schon jeder wusste. Nachrichten verbreiteten sich hier Zwangsläufig schnell. Die ersten Gestalten tauchten am Strand auf und nickten Zyle im vorübergehen zu, als dieser schließlich dein Eingang entdeckte. Eigentlich war es mehr ein gewaltiger Felsüberhang, der aus den umliegenden Hügeln herausragte. Mit etwas Holz und Stoffplanen hatten die

Rebellen die Seitengänge dicht gemacht und so einen großen Unterstand erschaffen, der vor Wind und Regen geschützt war. Darunter brannten mehrere Feuer, deren Rauch sich unter der hohen Steindecke sammelte und zu den Seiten hin abzog. In den Nischen befanden sich kleine Verschläge, wo alle, die nicht auf den Schiffen oder in den wenigen fertig gestellten Häusern Platz fanden einen provisorischen Unterschlupf erhielten. Manche zogen es auch vor, direkt unter freiem Himmel zu schlafen. Es wurde nachts nicht besonders kalt und wilde Tiere hatten sie bisher keine gesehen. Lediglich ein paar Schafe, die wohl irgendwann einmal von

irgendwelchen Besuchern dieses Ortes ausgesetzt wurden. Weiter hinten, dort wo der Überhang in die Erde überging führte ein mit Brettern und Balken abgesicherter Gang hinab in die Erde. Sie hatten nur einen kleinen Teil des Untergrunds völlig erkundet. Offenbar reichte das Netzwerk aus natürlichen Felsgängen über die ganze Insel. Sie hatten einen Größten Teil der Tunnel abgesichert und die übrigen Abzweigungen mit Brettern blockiert, um zu verhindern, dass sich jemand dort unten verirrte. Was nicht als weitere Unterkunft verloren ging, wurde als Lager für Vorräte und Werkzeuge genutzt, da besonders letztere in

absehbarer Zeit kaum ersetzt werden konnten. Zyle grüßte einige bekannte Gesichter, als er über den Zaun setzte, der die offene Seite der Höhle sicherte. Ihm wehte bereits der Geruch von Fleisch entgegen, das über den Feuern in der Mitte des Unterschlupfs briet. ,, Abend.“ , rief einer der Männer zu ihm herüber, der offenbar zum Kochen eingeteilt worden war. Er trug eine fleckige, weiße Schürze und scheuchte einige Gehilfen vor sich her, die eifrig damit beschäftigt waren, Geschirr vom Unterstand zum Meer zu schleppen und es dort zu säubern. ,, Ihr seit reichlich spät,

Zyle.“ ,, Ich weiß…“ Er suchte in seiner Erinnerung nach dem Namen des Mannes. ,, Seit so freundlich und hebt mir etwas auf, ja ?“ Der Koch nickte nur, während Zyle einen Vorhang beiseite schlug, der hinab zu den Lagern im Untergrund führte. Der Gang verlief leicht abschüssig und war von einzelnen Öllampen erhellt. Der Feuerschein wurde von dünnen Wasserfäden reflektiert, welche die Wende hinab liefen. Zyle sah sich nicht lange um, als er schließlich eine niedrige Kammer erreichte, in der Kisten und Säcke übereinander gestapelt lagen. Er stellte lediglich die Axt an einer vor

Tropfwasser geschützten Stelle ab und lief wieder hinauf. Bevor er jedoch den Ausgang erreichte, kam ihm eine Gestalt entgegen. Zyle machte sich nicht all zu viele Gedanken, als er den näherkommenden Schatten bemerkte, der sich auf den Wänden abzeichnete. ,, Vorsicht.“ , warnte er den Fremden, als er schließlich ins Licht trat. Der Abstieg war grade breit genug für eine Person, zwei würden sich nur im Weg stehen. ,, Ach ihr seid das…“ Zyle erkannte die Stimme sofort wieder, nur woher? Sein Gegenüber trat in den Schein einer Laterne, die einen Mann mittleren Alters erkennen ließ. Die Haare waren längst

nicht mehr so kurz, wie bei ihrer ersten Begegnung. ,, Eberk.“ , grüßte Zyle ihn. In Helike hatte der Mann zu den reichen Händlern der Stadt gezählt und war , zumindest Relinas Worten nach, einer der größten Unterstützer der Magier des Untergrunds gewesen. Nun war ihm davon wohl nicht mehr fiel geblieben, dachte er. Eberk hatte kaum die Gelegenheit gehabt, etwas aus der Stadt zu schaffen. Trotzdem schien der Mann bester Laune. ,, Es ist doch nichts passiert, oder ?“ , wollte Zyle wissen. Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. ,, Eigentlich hatte ich vor euch einzuladen.“, erklärte er.,, Martha und

ich haben euch seit der Flucht nicht mehr gesehen. Vielleicht würdet ihr ja gerne mal wieder mit einem Dach über den Kopf essen.“ Also gehörte ihnen eines der fertigstellten Häuser, dachte Zyle. Nicht zu verwunderlich. Familien mit Kindern hatten Vorrang, Die anderen hielten es auch noch ein paar Wochen im freien aus. Er wollte abwinken und sich damit herausreden, nur schlafen zu wollen. Aber… , der Gejarn zögerte. Er konnte sich ja nicht ewig hinter Schlaf, Essen und Arbeit verstecken. ,, Es wäre… schön zu hören, wie es euch geht.“ , antwortete er. ,, Ich hole mir

nur meine Ration ab, dann können wir aufbrechen.“

Kapitel 11 Keine Vergebung


Eberk und Martha hatten eines der Häuser direkt in Strandnähe bezogen. Die einfache Blockhütte bestand nur aus zwei rechteckigen Teilen, die zusammen einen rechten Winkel bildeten. Eine niedrige, wohl von Eberk selbst angelegte, Veranda lag zwischen den beiden Hälften und in einigen grob gezimmerten Kästen wuchsen Blumen. Zyle erinnerte sich, das auch ihr Haus in Helike üppig mit blühenden Pflanzen bestückt gewesen war, etwas, das ihn damals schon gewundert hatte. Bei den Temperaturen auf dem Festland gingen

die meisten schnell ein und es kostete ein Vermögen an Wasser und Geduld, sie zu erhalten. Hier draußen jedoch waren die Temperaturen weniger extrem. Ein leichter Salzfilm hatte sich auf die Stufen gelegt, die zur Terrasse hinauf führten. Zyle folgte Eberk zum Haus, als er auch schon irgendwo ein Kind lachen hörte. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet und ein kleiner, vielleicht acht Jahre alter Junge stürmte heraus. Eberk fing das Kind auf, als es ihm direkt in die Arme lief, während er ebenfalls lachte. ,, Aaron !“ Martha, Eberks Frau, tauchte in der Tür auf. Sie schüttelte kurz den Kopf, lächelte dann aber und wartete,

bis die beiden zurückkamen. Zyle konnte nur betreten daneben stehen und auf seine Füße sehen. Er hätte sie alle zum Tode verdammt. Einer oder vielleicht alle von ihnen hätten im Hafen sterben können. Und das nur, weil er nicht richtig nachgedacht hatte. War ein Ausgleich denn unmöglich gewesen? Hätte er das nicht vorher sehen müssen. Er blieb auf der Schwelle zum Haus stehen, als Eberk den Jungen auf den Arm nahm und hereintrat. ,, Kommt ihr ?“ , fragte er, als er merkte, das Zyle ihm nicht folgte. Der Gejarn hätte am liebsten einfach wieder abgesagt. Dann jedoch zwang er sich dazu, langsam zu nicken und trat

ein. Der Bau bestand aus nur zwei Räumen. Einen kleinen, abgetrennten Bereich zum Schlafen und einem größeren, der wohl als Wohnraum diente. Ein Tisch mit mehreren Stühlen stand an einem, mit vorhängen verhängten, Fenster und in einer Nische war ein kleiner Ofen aufgebaut worden, direkt neben einer Luke, die hinab in einen Keller führte. Vermutlich kaum mehr als eine Grube in der Erde. Im Vergleich zu dem kleinen Palast, den die beiden damals in Helike bewohnt hatten, schien es kaum mehr als ein Verschlag. Mehrere Öllampen erfüllten das Esszimmer mit warmen

Licht. Zyle , Martha und Eberk, der den Jungen vorher auf dem Boden absetzte, nahmen am Tisch Platz. Jeder bekam seinen Anteil von den heutigen Vorräten ausgehändigt. Neben gebratenem Schafsfleisch, irgendjemand hatte wohl einige der wilden Tiere hier gejagt, gab es einen simplen Eintopf aus Kartoffeln und dem Getreide, das beim Aussähen der ersten Felder übrig geblieben war. Zyle versuchte, die Mahlzeit möglichst langsam zu gestalten. Solange er aß, konnte er es vermeiden mit einem der zwei zu reden. ,, Wir haben schon länger keine Nachrichten mehr aus Helike erhalten.“ ,

meinte Eberk da. Zyle nickte. Und er konnte sich auch nur zu gut vorstellen, warum. Die ganze Stadt schien gebrannt zu haben, als er im Hafen zusammengebrochen war. ,, Irgendetwas muss wohl passiert sein. Wir haben noch genug Kontakte in der Stadt, aber bisher hat niemand versucht, uns eine Nachricht zukommen zu lassen. Vielleicht erreicht Relina ja irgendwas…“ Er horchte bei dem Namen auf und brach schließlich doch sein Schweigen etwas. Es gab Dinge, die waren ihm wichtig genug, um sie in Erfahrung bringen zu wollen. ,, Wie geht es ihr eigentlich ?“ , fragte

Zyle. Nachdem er sich so weit von ihr entfernt hielt, wie nur irgendwie möglich, wusste er kaum darüber, wie die Gejarn-Zauberin das alles Vertrug. ,, Ihr kennt sie doch.“ , meinte Eberk grinsend. ,, Die wird nicht ruhiger oder langsamer, egal was passiert, oder wie übel ihr ist. Dazu ist diese Frau viel zu stur. Trotzdem machen sich ein paar wohl sorgen um sie. Als sie mir gestern Morgen begegnet ist, sah sie ziemlich ungesund aus. Auf dem Schiff konnte mans ja noch auf Seekrankheit schieben, aber so…“ Er zuckte mit den Schultern. Martha hob nur eine Augenbraue sagte aber nichts ,, Und wie ist es euch nach der Flucht

ergangen ?“ , fragte Zyle , mehr aus Höflichkeit, als das er die Antwort nicht schon längst kannte. Die Geschichten unterschieden sich kaum, saßen sie doch alle im selben Boot. Einige bereuten es, alles für die Freiheit zurück gelassen zu haben, andere hatten Verluste an Familie und Freunden zu beklagen… und wieder andere, vor allem die Magier, waren endlich darauf aus, eine neue Gesellschaft aufzubauen. Wäre Relina nicht, dachte Zyle, hätten einige der Mächtigeren sicher längst versucht, die Kontrolle zu übernehmen. Aber sie fürchteten und respektierten die Zauberin zu sehr, als das sich jemand offen gegen sie stellen würde. Die

Gejarn hatte, wie Zyle wusste, ihre ganz eigenen Vorstellungen für die Zukunft ihrer kleinen Gemeinschaft. ,, Es ging uns selten besser. Vor allem jetzt, nachdem wir endlich hier sind. Und mit Aaron… Ich bereue es nicht, das wir Helike zurück gelassen haben.“ ,, Ich auch nicht.“ , fügte Martha hinzu. ,, Allein das wir hier Leben können, ohne uns oder gar den Kleinen verstecken zu müssen war alles Wert. Auch wenn wir genug Verloren haben. So viele sind gestorben…“ Eberk nickte. ,, Es gibt einige, die ich jetzt gerne an meiner Seite hätte, aber nicht mehr rechtzeitig aus der Stadt gelangt sind. Wenn wir jemals

herausfinden, wer dafür verantwortlich war…“ Er wurde still. ,, Es wird eine lange Schlange von Leuten geben, die dem Kerl die Kehle durchschneiden wollen.“ ,,Sicher…“ Zyle wandte sich wieder dem Essen zu, der Appetit, wenn er je welchen gehabt hatte, war ihm jedoch vergangen. Er konnte sich tausend Orte vorstellen, an denen er jetzt lieber wäre. Die Dunkelheit des Todes war einer davon. Wenn er wenigstens zurück nach Canton oder wenigstens Helike könnte, aber Relina zu Fragen ob sie eines der Schiffe dafür abstellen würde war Wahnsinn. Selbst wenn er sie nicht Hintergangen hätte, sie würde niemals

ein dutzend Leute freistellen, nur damit er hier wegkam. Nicht, bis zumindest die gröbsten Arbeiten erledigt waren. Bis dahin brauchten sie jede Hand, die ihnen zur Verfügung stand. ,, Es war meine Schuld, verdammt.“ , murmelte er. ,, Alles was schief gegangen ist.“ Eberk sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren. ,,Quatsch. Keiner von uns hätte vorhersehen können, was geschehen ist. Und ohne euch hätten wir vielleicht im Hafen festgesessen. Wir sind hintergangen worden Zyle. Aber wer immer es war, ich hoffe, er ist mit der Stadt verbrannt.“ ,, Ich sollte jetzt besser gehen.“ , erklärte er und versuchte dabei, seine

Stimme ruhig zu halten. Eberk sah auf : ,, Jetzt schon ?“ ,, Ich bin einfach nur müde.“ Hoffentlich kauften sie ihm die Lüge auch ab. Ihm war selten so wenig nach Schlafen zu mute gewesen. Aber alles war besser, als noch länger hier zu bleiben. Vielleicht würde er etwas über die Insel wandern, bis die Sonne aufging. Man brauchte im gehen zwei Tage um das Land einmal komplett zu umrunden, es bestand also nicht zu befürchten, das er dann so schnell wieder jemanden begegnete. Zyle stand auf und wendete sich zur Tür. Er zwang sich, sich noch einmal zu den drei umzudrehen, die ihn stumm

musterten. Sie mussten wohl spüren, das etwas nicht stimmte. Und verflucht, dachte Zyle, wie konnten sie nicht. Er kam sich vor, als müsste er mit einem Schild um den Hals herumlaufen… Eines, auf dem in blutigen Buchstaben das Wort Mörder prangen musste. ,, Aber danke… für alles bisher, schätze ich.“ Als er endlich in die kühle Nachtluft hinaus trat, fühlte er sich etwas besser. Trotzdem beschleunigte er seine Schritte, um so schnell wie möglich vom Haus wegzukommen. Mittlerweile war es auf der Insel ruhig geworden. Die meisten Fackeln waren erloschen, so dass er sich im Halbdunkel seinen Weg

suchen musste. Zyle lies sich von seinem Gehör leiten und folgte dem Klang der Wellen, die sich am Strand brachen. Die Erde unter seinen Füßen wurde von Sand abgelöst. Mondlicht spiegelte sich auf der gewaltigen Wasserfläche, die vor ihm lag. Das Wetter war die letzten Tage ruhig gewesen, so dass die See weiter draußen fast wie eine große Glasplatte wirkte. Zyle lenkte seine Schritte bis zur Flutlinie hinab und lief daran entlang. Bei jeder Welle spülte das Wasser über seine Beine und schien seine Gedanken teilweise mit sich zu nehmen. Der Gejarn achtete kaum darauf, wohin er ging. Wichtig war nur, in Bewegung zu bleiben und nicht weiter nachdenken

zu müssen. Er wäre beinahe in sie hineingelaufen. Zyle bemerkte die Umrisse der Gestalt grade noch rechtzeitig, um weniger als eine Handspanne von ihr entfernt anzuhalten. Wer immer es war stand einfach regungslos am Strand und schien genau so in Gedanken wie er. Zuerst wollte der Gejarn einfach nur Anstalten machen, dem zweiten nächtlichen Wanderer auszuweichen. Dann jedoch erkannte er sie. Die lockigen, braunen Haare fielen ihr in einer Kaskade über dem Rücken und über die geschwungene Brandnarbe auf ihrer Wange. Eine ständige Erinnerung, an das, was sie

war. Ob dies nur eine Laune der Natur war oder ob bisher bloß keine anderen Gejarn-Zauberer aufgefallen waren, es hatte ihr mehr als nur Ärger gebracht, war ihr Vater doch der erste der Archonten gewesen. Samiel hatte seine Tochter versteckt, bis er es nicht mehr konnte und die Gesetzte Helikes eingriffen. Relina wäre beinahe verbrannt und hatte daraufhin die Rebellion Ins Leben gerufen… die er beinahe vernichtet hätte. Ein knappes Jahrzehnt der Arbeit in Rauch und Asche verwandelt… Zyle wäre beinahe gestolpert, als sie sich zu ihm umdrehte. Mondlicht

glitzerte in ihren dunklen Augen und zum ersten Mal seit langem sah er sie mit einer freundlichen Mine. Das Lächeln auf ihrem Gesicht gefror jedoch genau in dem Moment, wo sie Zyle erkannte. Ihr Blick wurde kalt. Er war sich nie zu vor so sicher gewesen, dem Tod ins Auge zu sehen. Im Umkreis von einer Meile gab es niemanden. Wenn sie nur auf eine Gelegenheit wartete, ihn unauffällig zu töten, dann war das der Moment dafür. Niemand würde je erfahren, was er getan hatte und Relina wäre ihn los. Er schloss die Augen, rechnete jeden Moment, die sengende Hitze von magischem Feuer zu spüren, die über ihn

hinwegwusch… aber nichts dergleichen geschah. Zyle zwang sich dazu, die Augen wieder zu öffnen und sah das stumme Feuer, das gleichzeitig in ihren Brannte. Er versuchte, irgendetwas zu sagen, brachte jedoch keinen Ton heraus. Was hätte er auch jemanden sagen können, dem er einen Dolchstoß versetzt hatte. In Rücke und Herz gleichermaßen. Relina sah ihn nur an, schien mit sich selber zu hadern, worüber wusste er nicht. Dann schüttelte sie langsam den Kopf… und wendete sich ab. Zyle konnte ihr nur nachsehen, wie sie den Strand hinauf verschwand. Und nach wie vor gab es nichts, das er hätte sagen

können. Zyle lies sich einfach wo er war in den Sand sinken. Er hatte Relina verloren. Das konnte er akzeptieren. Und daran konnte es spätestens jetzt für ihn keine Zweifel mehr geben. Und er hatte von Anfang an gewusst, das diese Möglichkeit bestand, nicht?, dachte Zyle. Damals hatte er geglaubt, das Risiko eingehen zu müssen. Jetzt wünschte er sich nichts mehr, als es ungeschehen zu machen. Sollten die Archonten Helike haben… Es hatte wertvolleres gegeben. Diese Erkenntnis jedoch, dachte er, kam viel zu spät. Zyle zwang sich dazu, aufzustehen und sich wieder in Bewegung zu setzen. Hauptsächlich um die Tränen zurück zu

halten. Das wäre das letzte Eingeständnis, das er völlig versagt hatte. Nicht nur an Relina. Kellvian und die anderen waren vielleicht Tod… Und er war der einzige, dem er die Schuld dafür geben konnte. Wenn es wenigstens einen Ausweg für ihn gäbe. Aber er saß hier fest. Irgendwo im Nirgendwo, von Leuten umgeben, die die Wahrheit nicht kannten… und ihn töten würden, käme sie je heraus. Eberk hätte er es fast gesagt. Selten war er so versucht gewesen, sein Schweigen einfach zu brechen und sich dem zu stellen, was dann auf ihn wartete. Viel zu verlieren hatte er ja ohnehin nicht mehr. Aber wenigstens etwas

Wiedergutmachung wollte er leisten. Nicht für Relina. Er sah in die Richtung, in die sie verschwunden war. Und auch nicht für irgendjemanden. Nur für sich selbst.

Kapitel 12 Einsturz


Zyle hörte nur noch, wie mehrere der Verankerungen und Taue rissen, welche den Mühlstein an seinem Platz hielten. Die komplette Tragekonstruktion geriet mit einem mal ins Schwanken und der Stein krachte ungebremst in eine der grade erst fertig gestellten Wände. Mehrere Baumstämme lösten sich heraus und mit einem Mal fiel ein Schatten über ihn… Sie arbeiteten an der Mühle, die auf der bereits Waldlosen Fläche in der Nähe der

Bucht entstehen sollte. Das Gebäude war wie die anderen nach der simpelsten Methode erbaut, die sie hatten. Stämme wurden entastet, in die passende Form geschnitten und passende Lücken hereingesägt, so das man sie nur noch zusammensetzen brauchte. Die Lücken und Fugen wurden mit Harz, oder in Ermangelung von etwas anderem, Ton verklebt um sie winddicht zu machen. Es war rustikal, hielt jedoch und war vor allem für die Reihe an öffentlichen Gebäuden, die sie planten, mehr als ausreichend. Nur das in diesem Fall jemand offenbar nicht nachgedacht hatte. Selbst mit so wenig Leuten konnte nicht alles perfekt laufen. Die Wände der

Mühle standen bereits in doppelter Mannshöhe und ein Teil der Dachkonstruktion war bereits aufgebaut worden, als ihnen der Fehler auffiel. Zwar hatten sie, zusammen mit all den anderen Vorräten und der Ausrüstung, einen Mühlstein aus Helike mitgebracht. Nur dieser musste eben in das Gebäude. Normalerweise hätte das schon erledigt werden müssen, nachdem die Grundrisse festlegen und die Erdarbeiten für die Fundamente erledigt waren. Jetzt standen sie vor dem Problem, das der Steinklotz nicht durch die Türen passte. Und diese einfach zu verbreitern könnte die Standfestigkeit des Gebäudes gefährden. Es blieb ihnen also nichts anderes übrig,

als das halbfertige Dach wieder abzutragen und eine Winde daneben zu errichten, mit der sie den Stein über die Wände heben konnten. Je zwei Gruppen hielten den Mühlstein mit Seilen im Gleichgewicht um zu verhindern, das er gegen die Balken schlug. Eigentlich hätte nichts schief gehen dürften. Ein dutzend Männer an den Seilen reichten aus, das Gewicht ohne große Probleme nach oben zu hieven und schließlich auf dem noch unfertigen Lehmboden abzusetzen. Doch bevor sie so weit waren, geschah es. Zyle , der sich ebenfalls einer der Gruppen angeschlossen hatte, die die Seile hielten, hörte nur, wie irgendjemand auf

der anderen Hausseite aufschrie… dann peitschte plötzlich ein loses Tau durch die Luft und warf die Männer zu Boden, die noch versuchten, es wieder zu packen. Er verstand sofort, dass irgendetwas schrecklich schief gegangen war, als der Mühlstein, der noch in Wandhöhe über dem Boden schwebte, plötzlich zur Seite schwenkte und ihnen das Seil aus den Händen riss. Das Gewicht kippte über und der Stein krachte ungebremst in eine der Wände. Ausgerechnet die, unter der Zyle und die anderen Arbeiter gestanden hatten. Das Holz hatte der Wucht des Aufpralls nur wenig entgegenzusetzen. Die unteren Balken verschoben sich und brachten

damit auch den Rest der Konstruktion aus dem Gleichgewicht. Das Poltern, als die breiten Baumstämme sich aus ihrer Verankerung lösten und zu Boden stürzten, war Ohrenbetäubend… Männer sprangen in Sicherheit, riefen der zweiten Gruppe zu, sie solle das Tau kappen , damit der Stein nicht mehr unkontrolliert hin und her schwankte… Und dann wurde es um Zyle plötzlich dunkel. Direkt über ihm löste sich ein weiterer Balken aus dem Bau. Zyle ließ das Seil los und sprang ebenfalls zur Seite, in dem Wissen, das die Gefahr, erschlagen zu werden, damit keinesfalls kleiner wurde. Jetzt verloren sie auch noch das letzte bisschen Kontrolle über

das Gewicht an der Seilwinde und es krachte zu Boden. Nicht jedoch, ohne vorher noch ein drittes mal gegen die schon gefährlich instabile Wand zu stoßen. Weitere Balken gingen über die verbliebenen Männer nieder und Zyle stieß einen Arbeiter zur Seite, der direkt im Weg einer Holzstrebe stand, die plötzlich zu schwanken begann. Der Mann stolperte aus dem Gefahrenbereich und Zyle rollte sich auf dem Boden ab, hob die Hände über den Kopf und wartete auf den Klang einer Wagenladung Holz, die über ihm zusammenbrach. Die meisten der anderen Arbeiter hatten es inzwischen geschafft, sich weit genug in Sicherheit zu bringen.

Nur er stand noch unter dem sich langsam herabsenkenden Schatten. Der Schlag, auf den er wartete, blieb aus. Zyle hob blinzelnd den Kopf und wusste einen Moment lang nicht, was er sah. Die zusammenbrechende Wand schien in der Bewegung eingefroren. Es war, wie das Bild einer Welle, die er einmal gesehen hatte. Nur, das dies hier keine Zeichnung war. Balken und Holzsplitter schwebten einfach genau dort, wo sie waren, ohne jeglichen Halt. Er fragte nicht, wie so etwas möglich sein konnte, sondern rappelte sich wieder auf und stolperte aus dem Gefahrenbereich. Gestern hätte er sich die Mühe nicht gemacht. Aber gestern war ein anderer

Tag gewesen. Was immer auch geschah … Zyle wollte nicht sterben. Das war t etwas, das ihm grade klar geworden war. Zumindest nicht in einem dummen Unfall, weil irgendjemand abgerutscht war. Er lief zu den übrigen Bauarbeitern herüber, die sich alle einige hundert Schritte entfernt von dem zusammenstürzenden Gebäude versammelt hatten. Beklommen stellte er jedoch auch fest, dass sie nicht mehr alleine waren. Relina stand etwas Abseits der anderen. Beinahe so, als wäre es die leichteste Sache der Welt, hatte sie eine Hand auf die in Schwebe gehaltene Wand gerichtet. Sobald Zyle weit genug weg war, kehrte

die Schwerkraft jedoch zurück und das Zerstörungswerk setzte sich fort. Relina ließ die Hand sinken, während die ersten Balken zu Boden regneten und weitere Wandteile mit sich rissen. Den gut dreißig Männern des Bautrupps blieb nur, mit anzusehen, wie sich die Arbeit von Wochen in einen losen Schutthaufen auflöste. ,,Seht zu, das so etwas nie wieder geschieht.“ , erklärte die Magiern kühl, noch bevor Zyle sie erreichte. Mit diesen Worten drehte sie sich bereits um und verschwand den Pfad entlang Richtung Siedlung. Die Meisten waren zu geschockt um etwas zu antworten, oder groß zu sprechen. Es gab nur ein paar

gemurmelte ,,Ja.“ und ,,Danke.“ Zyle jedoch hatte langsam genug. Er wusste nicht, ob es an dem Schock, fast erschlagen worden zu sein lag, oder ob er die Wochen des Schweigens und ignoriert Werdens einfach endgültig nicht mehr ertrug. Aber er folgte ihr. Zyle musste sich beeilen, um zu ihr aufzuschließen, da die Magiern mittlerweile einen ordentlichen Vorsprung hatte. Relina musste die Schritte hinter sich hören, wurde jedoch auch nicht langsamer. Zyle hingegen musste sich zu jedem Schritt zwingen. Schließlich brachte er allen Mut zusammen. ,, Warte…“ , rief er. Sie hatten eine

Stelle erreicht, an der der Weg einen kleinen Knick den Strand hinab beschrieb und fast bis ans Wasser führte. Relina blieb tatsächlich stehen, drehte sich jedoch nicht zu ihm um. Sie seufzte hörbar. ,, Hast du eigentlich einen Todeswunsch ?“ Ihre Stimme war völlig ruhig, als er sie schließlich einholte. ,, Ich habe genug davon, herumzuschleichen.“ , antwortete er. ,, Warum lebe ich noch ? Bring es einfach zu Ende, verflucht.“ Sie schüttelte den Kopf. ,, Das hätte ich längst, wenn ich es gewollt hätte. Du hast uns geholfen. Dafür schulde ich dir noch etwas. Dein Leben. Aber mehr auch

nicht. Dein Leben gegen das von über fünfzig anderen…“ Beinahe wäre ihm wieder die Stimme versagt. Doch diesmal würde er sich nicht unterkriegen lassen, sagte er sich. ,,Ich dachte ich hätte keine Wahl, Relina…“ Die Rechtfertigung war billig, das wusste er. Aber es war die Wahrheit, dachte Zyle. Er hatte einen Ausgleich erzielen wollen, das war alles. Kein Massaker. ,,Kein Wort mehr.“ , schnitt sie ihn ab. ,, Wir haben mittlerweile Nachricht aus Helike erhalten.“ Zyle musste sich zurückhalten, nicht sofort nach den anderen zu Fragen.

Kelll, Jiy, Eden… irgendeiner von ihnen musste das Inferno doch überlebt haben. Relina erriet seine Gedanken. ,, Deine Freunde leben.“ Das war die erste gute Nachricht seit… langer Zeit. Ihm drehte sich der Kopf. Das war… das war gut, dachte er. ,, Was ist passiert ? Wie geht es ihnen… und wo sind sie jetzt?“ ,,In Helike.“ , fuhr Relian in dem gleichen, kühlen Ton fort. ,, Offenbar sind fast alle Archonten Tod, bis auf… deinen Bruder. Ich werde eine Nachricht zur Stadt schicken. Damit sie wissen, das du ebenfalls noch lebst.“ ,, Warum tust du das ?“ Sie hatte keinem Grund, ihm noch zu helfen. Das war

praktisch genau das, um das er sie nicht hatte bitten wollen. Sie drehte sich zum ersten Mal zu ihm um. ,, Damit du mir aus den Augen kommst.“ Ihre Stimme blieb genau so kalt wie zuvor. ,, Den ich fürchte, wenn du noch länger hierbleibst, kann ich für nichts garantieren.“ Zyle nickte nur. Er hatte ihr Vertrauen verspielt. Und er würde es nie mehr zurückbekommen. Aber wenigstens wusste er das jetzt ein für alle mal. Gegen das brennen in seiner Brust und dem Kloß in seinem Hals half das jedoch wenig. Er liebte diese Frau immer noch. Und es würde eine ganze Weile dauern,

dachte er, bis sich daran etwas änderte. Relina hatte mittlerweile eine Hand auf die See hinaus Gerichtet. Ein Band aus Wasser, das in der Sonne glitzerte, löste sich dort und schwebte bis kurz vor sie. ,, Was ist das ?“ Relina ignorierte ihn, während das Wasser langsam eine Form annahm, die in etwa Humanoid war. Ein silbriges schimmern umgab sie Zyle konnte die Spannung in der Luft spüren, wie kurz vor einem Gewitter. Er erkannte Magie, wenn er direkt davor stand. ,,Geh.“ , erklärte die Gejarn nur und die Geisterhafte Erscheinung aus Salzwasser wurde von einem unsichtbaren Sog

zurück ins Wasser geschleudert. Zyle verfolgte, wie die silbrigen Umrisse unter den Wellen verschwanden und in eine Richtung davonschwammen, die wohl zum Festland führte. ,, Das.“ , erklärte Relina schließlich. ,, War ein Bote. Sollen deine Freunde dich abholen. Ich habe keine Schiffe, auf die ich verzichten könnte. Wenn alles Gut geht, bin ich dich in ein paar Tagen los.“ ,,Es tut mir leid. Alles…“ ,,Ja mir auch.“ Die Magierin wendete sich zum gehen. ,, Tu mir nur einen gefallen… halt dich von mir fern.“ Relina beschleunigte ihre Schritte, bis sie sicher sein konnte, dass er ihr nicht

folgte. Ein Blick über die Schulter zeigte ihr, das Zyle einfach stehen blieb wo er war. ,, Zumindest bis ich dir eines Tages vielleicht vergeben kann…“ Die Worte waren so leise, das er sie unmöglich hören könnte. Beinahe war die Gejarn versucht, zurück zu der einsamen Gestalt am Wegesrand zu laufen. Sie konnte ihm jetzt nicht vergeben. Vielleicht nie. Aber die rasende Wut, die sie auf ihn gehabt hatte, war lange verbraucht. Sie hasste Zyle nicht. Aber ihm das zu sagen… das ließ der Teil von ihr, der sich nach wie vor an die Verbitterung klammern wollte, nicht zu. Sie beeilte sich, sich zu entfernen. Es

gab noch mehr zu tun. So viele Dinge, auf die sie achten musste… und dabei konnte sie ganz sicher keine Ablenkung gebrauchen. Ihr schwindelte bei der Vorstellung… oder vielleicht war das auch nur eine Folge von fehlendem Schlaf und der Tatsache geschuldet, das es ihr schon seit Tagen nicht besonders ging. In den Morgenstunden war ihr Übel. Spätestens am Mittag schwirre ihr der Kopf vor neuen Aufgaben und Problemen. Und spätestens gegen Abend konnte sie normalerweise froh sein, wenn sie noch zum essen kam. Aber, das war sie ja schon aus Helike gewohnt. Ihnen war allen klar gewesen, das die Aufgabe nicht kleiner werden würde,

dachte Relina. Neben dem Aufbau einer Siedlung stand ihnen noch der Aufbau einer ganzen Gesellschaftsordnung ins Haus. Einige, vor allen die Zauberer, waren schon drauf und dran, sich selbst als neue Herren einsetzen zu wollen. Das würde sie jedoch nicht zulassen, sagte sie sich. Es gab auch noch genügend andere, die dagegen standen. Wenn sie es schafften, sich hier zu behaupten, würde sie die Leute selbst entscheiden lassen. Die Magier konnten dabei eine Stimme haben, genau wie sie auch, aber sie hatte gesehen zu was es führte, wenn man nur einer Seite überließ, für alle zu entscheiden. Relina seufzte. Das war aber eine Aufgabe, für einen anderen

Tag, der noch in weiter ferne lag. Der magische Bote, den sie nach Helike geschickt hatte, würde noch eine Weile unterwegs sein. Zauber waren schneller als Menschen, sogar schneller als Schiffe, trotzdem waren sie eine lange Seereise von der Hauptstadt entfernt.

Kapitel 13 Die Offizier


Das Doppelbanner des Kaiserreichs, Löwe und Adler auf blauem Grund, wehte über dem Zeltmeer, das sich vor den Toren Helikes erstreckte. Das Heerlager der kaiserlichen Garde lag noch in Sichtweite der hohen Stadtmauern und zog sich vom Meeresarm im Norden in einem Bogen bis fast an die endlosen Sanddünen der Wüste heran. Es war eine zweite Stadt in sich. Das Geräusch von Schmiedehämmern, die Ausrüstung ausbesserten oder anfertigten, das

Wiehern von Pferden und der Klang von Wagenrädern erfüllten die Gassen zwischen den ordentlich ausgerichteten Zeltreihen. Jede Abteilung der Garde wusste, wo sie ihre Zelte aufzuschlagen hatte. Neben den eigentlichen Soldaten gab es einen ganzen Zug an Hilfstruppen und Arbeitern. Kutscher, Schmiede, Büchsenmacher, Wundärzte, Logistiker und alles, was eine funktionierende Streitmacht noch brauchte, hatten sich ganz im Süden des Lagers niedergelassen, zusammen mit einer Gruppe fahrender Händler, die wohl den Schutz der großen Streitmacht für ihre Reise genutzt hatte. Die Kaufleute

Cantons kamen ansonsten nur schwer nach Laos, geschweige denn Helike und wer sich irgendwie einen Pass von den Archonten erkaufe konnte, musste trotzdem noch damit rechnen, an den Toren der Hauptstadt abgewiesen zu werden. Auf einem befestigten Hügel, der sich etwas über das Umland erhob, befanden sich wiederum die Zelte der Offiziere und Strategen. Kellvian und einige der Heerführer hatten sich unter einem offenen Zeltdach in der Mitte der kleinen Befestigung versammelt. Ein Mann, der den blauen Rock der kaiserlichen Leibwache, zusammen mit den Rangzeichen eines Offiziers trug,

hatte sich über den Kartentisch gebeugt und dachte scheinbar einen Moment nach. ,, Ihr verlangt viel. Wir hatten nur für den Hinweg und ein paar Wochen zusätzlich geplant , da Dagian damit rechnete, eine Weile vor Ort zu bleiben. Jetzt sind unsere Vorräte erschöpft und wir halten uns mit dem, was wir aus Helike bekommen über Wasser.“ ,, Ihr wollt also sagen, das ihr die Leute im Augenblick nicht verlegen könnt ?“ , fragte Kellvian. Das war ernüchternd. Er hatte gehofft, die Garde auf dem schnellsten Weg nach Canton zurück zu führen. Jetzt jedoch rückte das in weite ferne, wie es aussah. Und ob selbst Wys

eine fremde Armee vor seinen Toren noch so lange dulden würde, schien fraglich. ,, Das habe ich nicht gesagt.“ Der Mann kratzte sich an seinem dunklen Kinnbart und sah wieder auf die Karte. ,, Es wird Monate dauern, genug Vorräte anzusammeln, damit wir nach Canton zurück ziehen können. Aber das müssen wir vielleicht gar nicht.“ Er deutete auf einen Punkt weiter die Küste hinauf. ,, Kalenchor ist nur zwei Wochen Fußmarsch von hier entfernt. Wenn wir es bis dorthin schaffen, können wir einen Teil der Truppen einschiffen und den Rest über den Landweg zurück bringen. Dann haben die jeweiligen

Armeeteile nur noch die Hälfte zu versorgen und kommen schneller voran.“ ,, Und wie wollt ihr auch nur das das zustande bringen ?“ , fragte ein anderer Offizier, offenbar der Ältere der beiden. ,, Wir brauchen schon allein Wasser für mindestens zwei , selbst bei der günstigsten Route anderthalb, Wochen. ,, Dann kürzen wir eben sämtliche Rationen.“ , erklärte sein gegenüber. ,, Nicht um viel, aber genug, das wir mehr übrig behalten als sonst. Und wir können vielleicht auch etwas Zukaufen, wenn wir die Händler im Lager um eine kleine.. Spende bitten. Immerhin dienen wir denen nach wie vor als lebendes

Schutzschild.“ ,, Das ist ja alles gut und schön“, meldete sich ein dritter Heerführer zu Wort. Ein Mann mittleren Alters, mit schulterlangem, dunklem Haar, das eigentlich allen Vorschriften wiedersprach. Aber den höheren Rängen der Garde wurden meist einige Freiheiten gewährt. Kellvian meinte, in seiner Stimme den Akzent des Nordens heraus zu hören. ,, Aber wenn wir abziehen, bleibt der Kaiser schutzlos zurück. Selbst wenn wir in Gruppen reißen und im Eiltempo brauchen wir mindestens anderthalb Monate bis wir die Herzlande erreichen Und ich glaube nicht, das ihr plant, uns zu begleiten,

Herr ?“ ,,Nein“ , antwortete Kellvian ihm. ,, Ich kehre mit der Windrufer nach Canton zurück. Alleine bin ich in jedem Fall schneller. Aber wenn es euch beruhigt, nehme ich einhundert Gardisten direkt mit mir. Es ist nicht viel, aber mehr finden auf dem Schiff keinen Platz, wenn wir nicht ebenfalls neue Vorräte aufnehmen wollen. Und ihr habt zumindest ein paar Leute weniger, um deren Sicherheit ihr euch Sorgen müsst.“ ,,Am Ende, Roland, ist es die Entscheidung des Kaisers.“ , meinte der erste der Männer wieder, an den dunkelhaarigen Gerichtet. ,, Aber ihr habt unsere Standpunkte

gehört.“ ,,Darauf bin ich angewiesen.“ , meinte Kellvian. ,, Ich habe keine Ahnung, wie man eine Armee führt oder versorgt. Deshalb wollte ich wissen, was ihr zu sagen habt… Wie ist euer Name?“ ,, Falvius, Herr. Rittmeister der kaiserlichen Garde.“ ,,Ihr seid überzeugt , das ihr alle sicher nach Kalenchor bringen könnt ?“ ,, Und wenn nötig bis nach Canton, ja.“ , antwortete der Mann . ,, In diesem Fall, vertraue ich euch diese Leute an. Und damit es keine Unklarheiten gibt, bis die Armee Canton erreicht, hat Falvius den Oberbefehl über die Truppen. Sind damit alle

einverstanden?“ Die Männer nickten. Kellvian hatte jedoch auch nicht damit gerechnet, das sich jemand offen dagegen aussprach. Nicht, zumindest, solange er in Hörweite war. Eine alte Lektion von Tyrus… Er konnte sich nicht darauf verlassen, dass ihm jemand die Wahrheit sagen würde. Niemand würde seinem Kaiser offen wiedersprechen. Sie würden auch nicht versuchen, ihn zu korrigieren, wenn er einen Fehler machte. Und dabei war er genau darauf angewiesen. ,, Nur eines noch. Sollte das Leben der Männer akut in Gefahr geraten… entfällt diese Anweisung. In diesem Fall sollt ihr alles tun, um so viele wie möglich zu

retten. Und wenn das heißt, sich über meine oder Falvius Anweisungen hinweg zu setzen, dann sei das so.“ ,, Ich hätte nicht erwartet, das euch das kümmert…“ , bemerkte der dritte Offizier, den Flavius als Roland angesprochen hatte . ,, Dagian wollte nur, das wir unser Ziel schnellstmöglich erreichen…“ ,, Wie euch vielleicht aufgefallen ist, bin ich nicht der Hochgeneral.“ ,, Verzeiht… ich war dabei, als… er starb. Durch…“ Das plötzliche Verstummen des Mannes verriet Kellvian einiges. Durch eure Hand hatte er sagen wollen. Nicht jeder in der Armee war froh über das Ableben des

Generals. Vielleicht sogar, die Minderheit. Dagian Einher war beliebt gewesen und hatte nach wie vor einige Anhänger. ,,Glaubt mir, ich habe das nicht gerne getan. Ihr solltet vielleicht froh sein, das ich nicht er bin, den ich bezweifle, das Dagian meiner Stelle alle Offiziere in ihrem Amt gelassen hätte.“ Die Versteckte Drohung verfehlte ihre Wirkung offenbar nicht. Roland schlug sich mit der Faust vor die Brust. ,, Mit meinem Leben. Das wollte ich damit nicht einmal andeuten Herr. Jede Klinge hier ist eine, die zwischen euch und jedem steht, der Canton oder seiner Krone Schaden will. Und ich werde

nicht die Ausnahme bilden.“ Kellvian nickte, bevor er sich abwendete. Es tat ihm leid, dass er den Leuten noch Angst machen musste. Tyrus hätte vermutlich über sein Zögern, härte zu zeigen, gelacht. Das hast du dir selber ausgesucht, konnte er die Stimme des alten Zauberers hören. Und jetzt wird Erwachsen. Das Leben lässt nun einmal keinen Raum dazu, es allem Recht zu machen. Sicher, antwortete er gleichermaßen spöttisch. Aber das hatte den alten Zauberer trotzdem nicht davon abgehalten, es selber zu versuchen. UM einen hohen Preis… Und er hatte sich nicht ausgesucht, die Leute zum

gehorsam zu zwingen. Das Lager der Offiziere war von einer niedrigen Palisade umgeben, in der man in regelmäßigen Abständen Aussparungen und Schießscharten für Kanonen eingelassen hatte. Die schweren Geschütze bildeten den Kern jeder Streitmacht in Canton, vielleicht mit Ausnahme der Krieger Laos. Bei einem Angriff auf das Heerlager wäre diese kleine Festung der Ort, an dem sich die Truppen sammeln würden. Voll besetzt und etwas über dem Gelände erhoben, ließ sich der Ort am leichtesten verteidigen. Kellvian folgte einer ausgetretenen Straße bis zur einzigen Öffnung in der Palisade, ein

provisorisches Tor, bestehend aus zwei großen Holzflügeln, die einfach mit einem schweren Keil offen gehalten wurden und so jederzeit sicher verriegelt werde konnten. Drei Gardisten aus verschiedenen Abteilungen hielten daran Wache. Die Männer grüßten ihn kurz, als sie ihn entdeckten und traten dann bei Seite, um ihn durchzulassen. Ein vierter stand etwas Abseits und unterhielt sich mit einer Gestalt, die offenbar ein gutes Stück kleiner war, als er. ,, Ihr wollt mir also wirklich sagen, dass ich nicht durch kann ?“ Kellvian musste grinsen, als er die Stimme erkannte. Ein Teil der trüben Gedanken, die ihn grade noch beschäftigt hatten, lösten sich auf.

,, Es tut mir leid, aber ohne eine Genehmigung, kann niemand einfach in den Generalsbezirk. Auch wenn ihr sagt das…“ Kell klopfte dem Wachmann auf die Schulter. ,,Das geht schon in Ordnung.“ , meinte er. ,, Was...“ der Mann fuhr erschrocken herum und stolperte fast, als er Kellvian erkannte. ,, Verzeiht Herr, aber…“ ,,Ihr tut eure Arbeit.“ , erklärte Kellvian nur, während der Mann bei Seite trat und Jiy endlich durchließ. Die Gejarn hatte eine säuerliche Mine aufgesetzt. ,, Wir müssen uns wirklich mal darüber unterhalten, wie die Wachen des Kaisers

mit mir umgehen.“ Die gespielte Wut verflog, als sie ihm einen schweren Korb reichte. ,, Du hast das Abendessen verpasst, ich dachte ich bringe dir was. Außerdem entkomme ich so Eriks neuestem… Versuch.“ Kellvian musste sich bemühen ernst zu bleiben. ,, Sag bloß, der hat immer noch Rezepte über ?“ Er sah nach dem Sonnenstand und stellte fest, dass diese tatsächlich nur noch eine Handbreit über dem Horizont schwebte. Das Gespräch mit den Offizieren hatte offenbar länger gedauert, als er gedacht hatte. ,, Ich will es nicht herausfinden.“ , antwortete Jiy grinsend. Der grüne

Kristall, den sie an einer Silberkette um den Hals trug, schimmert im Licht der untergehenden Sonne. Kellvian hatte den Splitter vor einer gefühlten Ewigkeit gefunden. Ein Bruchstück, das wohl einmal zu einem Magiespeicher des alten Volks gehört hatte, so wie auch Falamirs Tränen. Im Gegensatz zu den Steinen, die der Orden erschuf, zerfielen diese nicht einfach zu Staub, wenn sie verbraucht waren, sondern stellten ihre Kraft innerhalb einiger Tage wieder her. Niemand wusste so genau, warum, aber das machte sie zu etwas, das vor allem für jeden Magier wertvoller war, als eine ganze Wagenladung Gold. Und Jiy war für ihn wiederum noch wertvoller. Auch

wenn er ihr den Stein Geschenkt hatte, lange bevor er sich dessen so sicher war, wie jetzt. ,, Wir könnten ein Stück raus in die Wüste gehen.“ , schlug er vor, als er den Korb auf die Schulter nahm. Der Wachmann, der mittlerweile auf Sicherheitsabstand gegangen war, sah ihn seltsam an. Vermutlich hatte er halb damit gerechnet, das Kellvian noch einen Träger rufen würde. Nun, da hatte er sich getäuscht, dachte Kell. Er wollte aus einem ganz bestimmten Grund etwas Weg von all dem hier. Jiy nickte. ,, Das… wäre schon.“ Offenbar war sie über den Vorschlag überrascht, aber nicht abgeneigt. Nur

wunderte sie sich jetzt natürlich, was er vorhatte. ,, Warte nur kurz hier, ja ?“ , meinte er. ,, Ich muss noch mal zum Schiff. Ich habe… etwas vergessen. Glaube ich.“ ,,Vielleicht sollte ich dann einfach mit…“ Er schüttelte energisch den Kopf. ,,Bevor du dich umdrehen kannst, bin ich schon wieder hier, versprochen.“ Mit diesen Worten beeilte er sich auch schon, wegzukommen und achtete darauf, das Jiy ihm auch wirklich nicht folgte. Er wusste, jetzt war sie erst recht neugierig. Und davor etwas zu verbergen, gelang einem nur selten. Kellvian hatte es schon oft genug

versucht. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er hatte die Entscheidung grade spontan getroffen, aber… Das hatte er ja früher auch schon. Es gab eigentlich nichts, worüber er nervös sein sollte, sagte er sich, als er das Zeltlager hinter sich ließ und auf die Tore Helikes zuhielt. Die Stadtmauern wurden durch das Licht der untergehenden Sonne rot gefärbt. Er kannte die Antwort doch. Hoffentlich…

Kapitel 14 Antrag


Kellvian schien über irgendetwas schrecklich nervös zu sein, aber ihr wollte beim besten Willen nicht einfallen, was das sein könnte. Oder vielleicht, dachte Jiy, wollte sie ihre Ahnung nur selbst nicht nennen. Sie waren eine gute Stunde Fußmarsch von der Stadt entfernt und mittlerweile zeichnete sich die Sonne nur noch als rötlicher Schein am Himmel ab. Ein Farbenmeer bereitete sich über den Sand aus, fast, als wollte die Natur einen Ausgleich für die frierenden Nächte und brennenden Tage bieten. Die Stunden

kurz vor oder nach Sonnenauf- und Untergang waren die wenigen, in denen dieses Land ein Gleichgewicht zu finden schien. Kellvian hatte neben den Korb auch einige Decken mitgebracht, die er auf dem Gipfel einer Sanddüne ausbreitete. Während sie aßen versank die Sonne endgültig und nahm das Farbenspiel mit sich. Die länger werdenden Schatten der Dünen hingegen verschlangen nach und nach die Landschaft, bis sie ineinanderzufließen schienen und alles dunkel färbten. Jiy sah zu, wie die ersten Sterne am Nachtschwarzen Himmel aufflackerten. In Canton hätte sie die meisten Konstellationen erkannt, dachte

sie bei sich. Die Sterne dort waren ihr so vertraut, dass sie sich anhand von ihnen hätte orientieren können. Hier jedoch, so weit von irgendwelchen bekannten Wäldern oder Orten entfernt blieben sie nur ein Rätsel aus leuchtenden Sprenkeln. Die Gejarn wendete den Blick vom Himmel ab und wieder Kellvian zu. Dieser saß nur da, ein nicht angerührtes Stück Brot auf dem Schoß und schien nicht so recht zu wissen, wohin mit seinen Händen. Er wischte ein imaginäres Staubkorn von seiner Schulter, als sich ihre Blicke einen Moment trafen. Wirklich, irgendetwas machte ihm zu schaffen… ,, Was ist los ?“ , fragte sie neckisch.

Wenn sie mit ihrer Vermutung richtig lag, worüber machte er sich eigentlich Sorgen? Wenn nicht… nun dann musste sie trotzdem wissen, was nicht stimmte. Es gab wirklich genug, was ihnen im Augenblick Kopfzerbrechen bereiten konnte, aber es hatte bisher nicht ausgereicht, ihn derart aus der Ruhe zu bringen. ,,Ich…“ Er räusperte sich, strich seine bereits faltenlose Kleidung glatt und schien einen Moment nachdenken zu müssen. Eine Hand verschwand in der Tasche seines Mantels. ,, Ich habe schon eine ganze Weile darüber nachgedacht.“ ,erklärte er, schon etwas sicherer klingend. ,, Eigentlich länger, als ich

rechtfertigen kann.“ Kellvian nahm die Hand aus der Tasche, in der zwei Ringe glitzerten. Einer aus Gold, der andere aus Silber gefertigt und beide mit einem Teil des Banners des Kaiserreichs verziert. Der Löwe in Gold, der Adler in Silber. Kell hatte sich etwas zu ihr gebeugt und hielt den Goldring mit zitternder Hand. ,,Willst du mich heiraten ? Ich… Ich verstehe natürlich, wenn nicht, aber… Es würde mir alles bedeuten den Rest meines Lebens, wie lang das auch sein mag, mit dir zu verbringen.“ Jiy musste sich zusammenreisen, ihm nicht sofort um den Hals zu fallen. Aber das, dachte sie leicht amüsiert, hätte für

den Armen vermutlich endgültig einen Nervenzusammenbruch bedeutet. ,,Dummkopf…“ Ihre Stimme war sanft. Sie rutschte etwas näher und sorgte dafür, dass er ihrem Blick nicht einfach ausweichen konnte. ,, Natürlich will ich.“ Jiy konnte geradezu spüren, wie die Spannung von ihm abfiel. Im nächsten Moment spürte sie auch schon seine Lippen auf ihren. Sie erwiderte den Kuss, legte ihm eine Hand auf die Schulter… und zog sie beide herum. Kellvian gab einen überraschten laut von sich, als sie beide ein Stück die Düne hinabrollten. Jiy blieb lachend unter ihm liegen, als ihr Rutsch schließlich zu

einem Halt kam. ,, Was war das denn ?“, fragte Kellvian ebenfalls lächelnd. Ihre Lippen fanden sich und sie ließ sich zurück in den warmen Sand sinken. Jiy spürte wie seine Zunge über ihre Zähne strich und öffnete ihren Mund leicht. Aus Kellvians Lächeln wurde ein schelmisches Grinsen, als er sich von ihr löste und kurz darauf aus ihrem Blickfeld verschwand. Jetzt wollte er sich rächen und sie ärgern, dachte Jiy. Sie wollte sich aufsetzen, spürte dann jedoch, wie eine Hand ihren Rock zurück schlug. Jiy kicherte. ,,Was tust…“ ,setzte sie an, und erhielt ihre Antwort , als eine Zunge

in das Dreieck zwischen ihren Beinen tauchte. Einen Moment musste sie sich zum weiteratmen zwingen. Das hatte Kell noch nie getan. Es war… aufregend, auf mehr als eine Art. Ihr Atem ging schneller und offenbar war das für ihn Anreiz genug. Die Zunge erkundete sie weiter, wanderte, liebkoste… Eine Weile vergaß sie die Zeit vollkommen, komplett auf das zunehmende Glühen in ihrem Unterleib konzentriert. Die Welt bestand aus nichts anderem mehr, bis sie schließlich eine Hitzewelle überrollte. Ihre Hände suchten nach einem Halt, fanden nur Sand und losen Stoff… Endlich und schwer atmend bekam Jiy die Kontrolle über sich zurück. Kellvian

lag neben ihr. Gefangen in ihrer ganz eigenen Welt der Erlösung, hatte sie gar nicht bemerkt, dass er sich bewegt hatte. Er musterte sie ruhig, aber immer noch mit einem verschmitzten Ausdruck auf dem Gesicht. Jiy beugte sich vor, bis sich ihre Lippen erneut berührten. Sie schmeckten süß… und nach etwas anderem. Ihr selbst. Seltsam, wieder einmal… Aber auch erregend. Sanft, ohne Eile, gab Jiy sich dieser neuen Empfindung hin. Die Nacht war noch lang… Die Sonne war grade erst über dem Hafen aufgegangen und tauchte die innere Stadt in helles Licht, das von den

Marmorflächen zurück geworfen wurde. Cyrus sah neugierig zu dem Stapel Kisten herüber, die sich mittlerweile an Deck der Windrufer stapelten. Ein kleiner Strom Arbeiter begann bereits damit, sie in den Laderaum des Schiffs zu bringen. Offenbar waren sie ziemlich schwer, denn jeweils vier oder fünf Männer mussten eine gleichzeitig tragen. Eden stand ein paar Schritte entfernt, Karten auf einem Tisch ausgebreitet und besprach mit Erik den Kurs, den sie nehmen wollten. Alles war für die Rückfahrt nach Canton bereit. ,, Das sind aber keine Vorräte, oder ?“ , fragte der Wolf, als er zu den Kisten trat. Er hatte nur gesehen, wie einige

Träger alles aus Helike herbei geschafft hatten. Aber eigentlich waren sie schon seit Wochen bereit, auszulaufen. Was also war da drinnen? ,, Schau selber nach.“ , erklärte Eden über beide Ohren grinsend. ,, Kellvian mag ja nichts von dem Angebot der Archonten halten aber… ich habe mich mal ein wenig mit Jona unterhalten.“ Cyrus bekam einen verdacht und hob vorsichtig den Deckel einer der Truhen an, die noch nicht fortgebracht worden waren. Die Kiste war mit schweren Eisenbeschlägen besetzt und aus stabilem Holz. Und das musste sie wohl auch sein, dachte Cyrus bei sich. Sobald er den Deckel öffnete schimmerte ihm bereits

goldenes Licht entgegen. Der Gejarn stieß einen leisen Pfiff aus. Die Truhe war bis zum Rand voll mit Handtellergroßen Goldmünze, zwischen denen Edelsteine glitzerten. ,,Also das ist mal ein Anblick…“ , bemerkte Erik, der sich soeben von den Karten abgewandt hatte. ,,Nicht wahr ?“ , meinte die Kapitänin strahlend. ,, Ich hab schon Probleme, Platz für das alles zu finden. Die Windrufer ist nicht für so ein Gewicht und noch zusätzliche hundert Gardisten ausgelegt. Aber wenn wir alles richtig verteilen, dürfte alles gut gehen.“ Die Abteilung der kaiserlichen Garde, die sie begleiten würde, war schon im

Morgengrauen eingetroffen und die Armee vor den Stadttoren hatte offenbar bereits begonnen, ihre Zelte abzubrechen. Nur von Kellvian und Jiy fehlte im Augenblick noch jede Spur. Nicht, dass ihn das beunruhigte, dachte Cyrus. Die beiden konnten wie jeder von ihnen, auf sich aufpassen. ,, Und bei einem Sturm ?“ , fragte Zachary, der in der Nähe an der Schiffsrehling lehnte. ,,Darüber mach ich mir Gedanken, wenn es so weit ist.“ , antwortete Eden ,,Wir sollten einen Teil hier lassen. Nur um sicherzugehen.“ Eriks Vorschlag stieß offenbar auf wenig Gegenliebe, wie Cyrus amüsiert feststellte. Eden sah ihn

an, als hätte er grade Vorgeschlagen, Zachary als Haifischköder zu verwenden. ,, Seit ihr verrückt ?“ ,, Das nützt uns aber wenig, wenn wir alle absaufen.“ ,,Nichts da, das Gold bleibt an Bord. Seht es als Entschädigung für eure Kochkünste.“ Erik warf nur resigniert die Hände über den Kopf. ,,Schön, aber ich hoffe wirklich, das Wetter hält sich.“ ,, Beruhigt euch schon,“ , meinte Cyrus amüsiert. ,, Alles wird gut. Es könnte wirklich schlimmer sein.“ ,, Das sagt ihr so einfach.“ , erwiderte der Arzt und trat, den Gejarn im Schlepptau, in Richtung Rehling. ,, Aber

es ist schön, endlich von hier weg zu kommen. Ich hab das Meer schon vermisst.“ ,, Wir haben es jeden Tag vor der Nase.“ Der Arzt stupste ihn mit dem Ellenbogen an. ,, Ihr wisst, wie ich das meine, alter Freund. Mit dem Auge alles in Ordnung ?“ ,, Scheint gut abzuheilen. Wenn man vom offensichtlichen absieht, heißt das. Aber hey, ich hätte wie der alte Vance Enden können also…“ ,,Hätte schlimmer kommen können.“ , beendete Erik den Satz für ihn. ,,Ihr habt es erfasst.“ In diesem Moment tauchten unten am Hafen zwei Gestalten auf, die sich dem

Schiff näherten. Cyrus erkannte die beiden schnell als Kellvian und Jiy. Kell hob kurz die Hand zum Gruß, als er den Gejarn ebenfalls erkannt. ,,Morgen.“ Der Mann klang ziemlich müde, als er die Planken zum Schiffsdeck hinauf ging. SO als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen. Müde, aber seltsam gut gelaunt. Jiy schien es nicht anders zu gehen, auch wenn sie ein gutes Stück wacher wirkte. Cyrus Blick wanderte zu einem Goldring, der an ihrem Finger glitzerte. Der war neu, wenn ihn nicht alles täuschte. Der Gejarn konnte sich seinen Teil denken. Die beiden waren sicher mit Abstand das ungewöhnlcihste Paar von hier bis zum

Eis des Nordens, aber verflucht wollte er sein, wenn er ihnen das nicht gönnte. ,, Wir können aufbrechen, sobald ihr wollt.“ , erklärte er und hoffte, den leicht amüsierten Unterton in seiner Stimme zu verbergen.,, Die Gardisten, die ihr haben wolltet sind schon an Bord.“ Kellvian nickte, während sein Blick auf das halbe dutzend Kisten fiel, die sich noch an Deck befanden. ,, Ihr habt offenbar was vergessen.“ , meinte er. ,,Ähm, ja… sicher.“ Kellvian wusste nicht, das Eden auf das Geschenk der Archonten eingegangen war. Und vermutlich war es auch besser, wenn das so blieb, überlegte er. ,, Darum wird

sich jemand kümmern.“ Jiy zog eine Augenbraue hoch. ,, Eden ?“ , fragte sie. Offenbar verstand sie schneller als Kellvian, was eigentlich vor sich ging. Erik zwinkerte nur. ,, Wie gesagt, darum kümmern wir uns schon. Aber wie es aussieht, wollen die Archonten uns verabschieden.“ Der Arzt nickte zu zwei gestalten, die, in Begleitung von einem dutzend mit Lanzen bewaffneter Paladine, den Kai entlang auf das Schiff zukamen. Jona trug die weiße Robe seines Amtes, während Wys sich auf praktischere Kleidung verlegt hatte. Die beiden weißen ihre Leibwache an, am Aufgang zum Schiff zurück zu bleiben,

worauf die Krieger sofort Haltung annahmen und sich entlang der Mole positionierten. Erst dann traten die beiden ebenfalls an Deck. ,,Ihr wollt uns verlassen, wie ich gehört habe ?“ Wys sah nach wie vor niedergeschlagen aus, aber er war nicht mehr der mutlose Gejarn, als den sie ihn in den letzte Wochen gekannt hatten. Kellvian nickte. ,, Wir können Segel setzten, so bald die letzten Kleinigkeiten erledigt sind. Aber ich hatte vor, noch einmal in die innere Stadt zu kommen, wenn ihr das meint. Wenn ihr die Stadt wieder in Ordnung gebracht habt… schickt einen Boten nach Canton. Wir müssen noch über den Frieden

verhandeln, schätze ich.“ Jona nickte. ,, Frieden… von mir aus sofort. Aber ihr habt Recht. Wir werden Leute brauchen, die für beide Seiten Bedingungen aushandeln, die sie akzeptieren können. Doch selbst dann… das ward nicht allen in Helike gefallen. Schon gar nicht, wenn wir den Archontenrat wieder voll besetzen.“ ,,Ich denke aber , Jona und ich werden die Sturköpfe schon überzeugen können.“ , warf Wys ein, als der Händlerkönig seine Bedenken äußerte. ,, In einem Jahr sollte alles bereit sein. Vielleicht werde ich dann auch selbst nach Canton gehen.“ Kellvian streckte dem Archonten die

Hand hin und dieser ergriff sie auch. ,, Hoffen wir, das wir uns eines Tages alle wiedersehen.“ , erklärte er. Wys nickte. ,, Wenn nicht in diesem Leben…“ ,,Ihr solltet besser zusehen, das es in diesem Leben ist.“ , erwiderte Kell. ,, Ich nehme euch beim Wort. In einem Jahr in Canton. Ich glaube ihr kennt den Weg nach Vara.“ Keine Stunde später legte das Schiff schließlich ab. Vor nun mehr als einem halben Jahr waren sie hier angekommen… und nun ging es zurück in die Heimat. Eden sah zu den Mauern zurück, als die Windrufer durch die

Hafenausfahrt trieb. Beinahe war es seltsam, endlich wieder unterwegs zu sein. Sie hatte Helike nie wirklich gemocht, sagte sie sich. Vor allen mit den seltsamen Regeln dieser Leute hatte sie sich bis jetzt nicht anfreunden können. Trotzdem, von allen Orten, die sie schon besucht hatte, war es einer der faszinierendsten gewesen. Und das, dachte sie und lächelte verschmitzt, wollte schon etwas heißen. Langsam verschwanden die Gebäude Helikes hinter einer Wolke aus blauem Dunst. Die Rückreise nach Canton würde sie wieder mindestens drei Wochen kosten, wenn nicht länger. Aber wenigstens agb es Ausnahmsweise einmal keinen Grund,

sich zu beeilen. Eden trat von der Rehling zurück, zuckte jedoch in der Bewegung plötzlich zusammen. Stechender Schmerz schoss einen Moment lang durch die Gelenke in ihrer linken Hand… Es verschwand so schnell wieder, wie es gekommen war. Trotzdem blieb ein leicht taubes Gefühl zurück, wie als wäre ihre Hand eingeschlafen, das sich diesmal bis zum Ellbogen fortsetzte. Vielleicht machte sich ja langsam nur bemerkbar, was Jahre auf See, von der Sklaverei einmal ganz abgesehen, ihrem Körper abverlangt hatten. Oder es war nichts. Vermutlich letzteres, sagte Eden sich. Ein kleiner Tumult auf der Steuerbordseite des

Schiffs ließ sie aufhorchen. Eine Handvoll Matrosen hatte sich an der Reling versammelt und deuteten auf etwas im Wasser. Die anderen hatten offenbar auch bemerkt, dass etwas nicht stimmte, denn Cyrus, Jiy, Kellvian und die anderen gesellten sich bereits zu ihnen, als Eden näher trat. Ihr Blick wanderte hinaus auf die See. Zuerst konnte sie nichts entdecken, dann jedoch sah sie es ebenfalls. Die Sonne brachte das Wasser stellenweise dazu, silbrig zu glitzern. Aber diese Flecken standen allesamt still. Alle, bis auf einen. Ein leuchtender Schemen im Wasser, der direkt auf das Schiff zuhielt. ,,Zachary… Was ist das

?“ Der junge Magier schüttelte den Kopf. ,, Ein Zauber… Aber irgendetwas daran…“ Er brach ab. ,, Ich habe so ein ähnliches Profil schon einmal irgendwo gespürt…“ ,, Müssen wir uns Sorgen machen ?“ , wollte Jiy wissen, die den silbernen Schatten ebenfalls nicht aus den Augen ließ. ,, Das weiß ich ehrlich gesagt nicht.“ Zachary faltete die Hände zusammen, so dass die Fingerspitzen nach außen zeigten. Eine Geste, die Eden bisher nur bei Andre gesehen hatte. Offenbar war der Junge zu sehr in Gedanken, als das er es selbst bemerkte. ,, Ich glaube, das ist ein Botenzauber.“ ,

meinte Erik da. ,, Ich habe nur einmal von so etwas gehört. Die meisten Zauberer benutzen sie wohl nicht, weil man genau wissen muss, zu wem man sie schicken will. Und sie sind auch nicht viel schneller als normale Nachrichten. Und für einen Zauberer sehr einfach abzufangen, wenn nötig.“ ,, Ein Bote.“ , setzte Cyrus an. ,, Wer schickt uns denn hier draußen…“ In diesem Moment hatte das Licht die Windrufer erreicht und löste sich plötzlich vom Wasser. Die plötzlich in der Luft schwebende Flüssigkeit nahm langsam, wie zähes Wachs, eine annähernd menschenähnliche Form an. Dann blieb es einfach Schweben, wo es

war. Das Schiff trieb weiter und mit ihm auch der stumme Zauber, ohne, das jemand gewusst hätte, wieso. Nachdem mehrere Minuten in Stille verstrichen waren, fragte Jiy : ,, Und was machen wir jetzt ?“ ,,Wenn es ein Bote ist… ist er sicher auf irgendjemanden geprägt., dem er eine Nachricht überbringen soll. Und wenn er schon die Windrufer aufsucht…“ Erik zuckte mit den Schultern. Kellvian trat vorsichtig auf die silbrige Gestalt zu. Wenn die Nachricht hier für jemanden war, würden sie nur alle der Reihe nach durchgehen müssen. Und Kell schien immer noch der wahrscheinlichste Adressat. Eden zumindest kannte ganz

sicher keine Magier, die ihr eine Botschaft senden wollen würden. Der Mensch streckte vorsichtig eine Hand vor. Der Botenzauber reagierte sofort. Der silbrige Körper glühte auf, erst nur schwach, doch dann mit immer stärkerer Intensität. Das Licht wurde so grell, das Eden und die anderen das Gesicht mit den Händen abschirmen mussten. Dann , mit einem hallenden Donnerschlag, war auch schon alles vorbei. Die Wassergestalt zerfiel und tropfte zurück ins Meer, während Kellvian benommen in dem erlöschenden Lichtkegel stand. ,,Alles in Ordnung bei euch ?“ Kellvian nickte. ,, Aber ich fürchte, wir müssen einen kleinen Umweg machen.“ ,

sagte er. ,,Von wem war die Nachricht ?“ Der Mensch presste sich eine Hand an die Schläfe, als hätte er höllische Kopfschmerzen, ,,Relina… Wir sollen sofort zum neuen Unterschlupft der Magier kommen. Warum… weiß ich nicht. Oder verstehe es nicht. “ , murmelte er. ,, Das ist eigentlich unmöglich…“ Eden seufzte. Hatte sie grade eben wirklich noch gedacht, es würde eine ruhige, ereignislose Überfahrt?

Kapitel 15 Fast am Ziel


Kellvian konzentrierte sich auf seine ausgestreckte Handfläche. Es war ein sonniger Tag und so bereitete es ihm wenig Müge, sich vorzustellen, wie sich die Wärme der Sonnenstrahlen aus der Umgebung in seinen Fingerspitzen sammelte. Doch egal wie lebhaft der Gedanke auch war, ihn in die tat umzusetzen, daran scheiterte er. Zachary saß ihm gegenüber auf dem Deck der Windrufer und beobachtete ihn aufmerksam. Drei Tage lang segelten sie nun schon nach Osten, statt, wie geplant, nach

Norden. Die Insel, auf die sich die Magier zurückgezogen hatten, lag direkt im Grenzbereich zwischen Canton und Laos , inmitten eines Gebietes, für das sich keine der beiden Seiten jemals wirklich interessiert hatte. Felsriffe und dutzende weitere Inseln formten dort ein regelrechtes Labyrinth, das vor allem Schmugglern und Piraten als Unterschlupf diente. Und nun auch noch einer kleinen Gruppe von abtrünnigen Zauberern und allen, die sich der Herrschaft der Archonten nicht bedingungslos hatten beugen wollen. Kellvian hatte ihnen zugesichert, das das Kaiserreich ihre Unabhängigkeit anerkennen würde. Trotzdem war ihr

letztes Zusammentreffen mit Relina, der Anführerin der Rebellen, nicht grade sanft verlaufen. Die Reise würde sie mindestens zwei Wochen kosten, aber nach allem, was er erfahren hatte, war es dringend. Der Botenzauber hatte ihm keine Worte übermittelt. Nicht wirklich. Aber… einen Eindruck von allem verschafft. Es war seltsam zu beschreiben, als hätte ihm jemand Gedanken und Bilder direkt übermittelt. Und auch wenn Kellvian nicht alles verstand, eines war durchgekommen. Es war wichtig. Trotzdem waren sie noch mehrere Tagesreisen entfernt. Kell hatte Zachary gebeten, ob er versuchen könnte, ihm

dabei zu helfen, die Kontrolle über seine Magie zurück zu bekommen. Falls das möglich war, zumindest. Der Junge war ein heller Kopf und so weit Kellvian wusste, hatte er sich fast alles, was er konnte, selber beigebracht. Eine Seltenheit für einen Magier, brauchte es für die meisten doch Jahre an intensiven Übungen, bis sie auch nur die schwächsten Zauber beherrschten. Und nun saßen die beiden seit einer gefühlten Ewigkeit im Sonnenschein an Deck. So sehr Kellvian auch versuchte, auf den ruhigen Strom aus Energie zuzugreifen, den er früher einmal so leicht gefunden hatte, es gelang ihm nicht, auch nur einen Funken Magie in eine brauchbare

Form zu lenken. Mit der Seele des alten Volkes war auch deren Wissen, das er sich zu nutze gemacht hatte, verschwunden. Es war frustrierend. Und die Unruhe machte es noch schwerer, etwas zu erreichen… ,, Ihr könnt es nicht herbeizwingen.“ , meinte Zacharys Stimme. Kell öffnete die Augen und ließ die Hand sinken. ,, Ich weiß. Es war einmal so einfach, Zac. Das Wissen war da, die Fähigkeit dazu erst recht. Jetzt ist da nichts mehr.“ ,,Ich dachte eigentlich immer, ihr wäret froh, das los zu sein.“ , meinte der Junge Zauberer ruhig.

,, Ja, ich habe es gehasst. Vor allem wohl, weil es mich irgendwann umbringen würde. Aber jetzt hätte ich endlich die Gelegenheit, es selbst zu lernen. Meine Fähigkeiten einmal so einzusetzen, wie ich es möchte, ohne die Gefahr dabei… die Kontrolle zu verlieren.“ Zachary nickte. ,, Erinnert ihr euch noch daran, wie ihr versucht habt, mir das heilen beizubringen ?“ ,, Das war als ich Eden und euch das erste mal über den Weg gelaufen bin… Ja.“ ,,Vielleicht solltet ihr es darüber versuchen.“ , schlug Zac vor. ,, Es sind

zwei unterschiedliche Arten von Magie, das eine spiegelt die destruktive, das andere die konstruktive Seite wieder. Eines zu beherrschen bedeutet wohl nicht zwangsweise auch das andere zu meistern. Aber es wäre ein Anfang.“ Kellvian hätte Zac schon sagen können, das er diesen Aspekt nach wie vor mühelos beherrschte. Das hatte ihm noch Tyrus beigebracht, lange bevor der Seelensplitter, den er getragen hatte, erwacht war. Trotzdem schloss er die Augen und tat, worum der junge Magier ihn bat. Zachary wusste, was er tat, so lange es um Magie ging. Vielleicht brachte es ja etwas. Er ließ sich langsam tiefer treiben, zu dem ruhigen Zentrum

seines Verstands, wo er alles um sich herum ausblenden konnte. Es gab nur noch wärmende Dunkelheit und Stille. Selbst wenn Kellvian mitten auf einem Schlachtfeld gewesen wäre, er hätte nichts mehr mitbekommen. Und genau darin lag die Tücke dieses Friedens. Es gab genug Zauberer, die irgendwann einfach nicht mehr daraus auftauchten und sich endgültig von der Welt abkapselten. Manchmal für Jahre, manchmal auch bis zum Tod ihres Körpers. Kellvian verlieh dem Frieden form, lenkte ihn als Energiestrom zu seinen Fingerspitzen wo er sich in blauen Tümpeln aus heilender Magie sammelte. Er wusste noch, wie es ging..

Wie es war, Fleisch und Knochen wieder zusammenzufügen. Kellvian konnte den schwach glimmenden Lebensfunken jeder Person an Deck spüren. Und das um vieles grellere Feuer, das in Zachary brannte. Und dann war da noch der seltsam dunkle Schimmer, der Erik umgab. Etwas, das sich Kellvian nach wie vor nicht erklären konnte, aber nach dem er auch nicht zu fragen wagte. Der Arzt befand sich ein Deck tiefer im Bauch des Schiffes… Er wendete sich ab und bemerkte grade noch einen weiteren Funken, der sich ihm näherte. Den kannte er, dachte er. Es war der, den er unter allen

Wiedergefunden hätte. Bevor sie ihm eine Hand auf die Schulter legte, tauchte er bereits aus seiner Meditation auf. ,, Abend, Jiy .“ , meinte er grinsend, als die Schritte hinter ihm verstummten. Vermutlich wunderte sie sich einen Moment, woher er gewusst hatte, das sie da war. Aber nur einen Moment, dann kam sie von selbst auf die Antwort. ,, Du kommst voran ?“ , fragte sie, als sie sich zu den beiden aufs Deck setzte. Zachary schüttelte den Kopf. ,, Das war schon gut, aber irgendetwas sagt mir, ihr wusstet noch, wie es geht.“ ,, Es ist… frustrierend, etwas so einfach beherrschen zu können und das andere nicht einmal zu

streifen.“ ,, Du solltest vielleicht einmal eine Pause machen.“ , meinte die Gejarn, während sie ihm eine Hand auf die Schulter legte. ,, Das gilt eigentlich für euch beide. Wie lange sitzt ihr jetzt schon hier?“ Kellvian warf einen Blick in Richtung Sonne. ,,Zu lange offenbar.“ Er stand auf und spürte, wie sich seine Gelenke bemerkbar machen. Das kam eben davon, wenn man Stundenlang auf dem Boden herumsaß, ohne etwas zu erreichen. Zachary blieb wo er war, als die beiden sich ein Stück entfernten und schloss wieder die Augen. In nächsten Moment flackerte eine kleine

Flamme zwischen den ausgestreckten Handflächen des Jungen hervor. Ein schwaches Lächeln trat auf seine Züge, bevor er das Feuer wieder löschte und ebenfalls aufstand, um unter Deck zu verschwinden. Nicht zum ersten Mal fragte Kellvian sich, wie ein halbes Kind bereits über derartige Macht verfügen konnte… Und was daraus noch erwachsen würde. Jiy schien seine Gedanken erraten zu haben. ,, Er ist ein guter Junge.“ , meinte sie nur. ,, Aber irgendwann wird Eden mir einmal ausführlich erklären müssen, was mit ihm und ihr eigentlich passiert ist.“ Kellvian nickte, aber für den Moment

versuchte er seine Gedanken ja, weg von der Magie zu lenken. ,, Was hältst du eigentlich von Vara ?“ , fragte er stattdessen. Nach wie vor fühlte er sich, als könnte er auf Wolken gehen, wenn er darüber nachdachte. Sie hatte ja gesagt… ,,Wofür ?“ , fragte Jiy und offenbar wurde ihr im selben Moment klar, worauf er hinaus wollte. ,, Natürlich… die Hochzeit. Das wäre schön. Aber ich kenne unser Glück“ , meinte sie. ,, Bevor wir die Stadt erreichen geht garantiert irgendetwas schief.“ ,,Diesmal ganz sicher nicht.“ , erklärte er überzeugt. ,, Mag kommen was will. Wenn wir das Festland erreichen, setzt

ich das an oberste Stelle. Seit zwei Jahren will uns ständig irgendjemand ans Leder. Davon habe ich langsam genug. Und zum ersten Mal sieht es so aus, als hätten wir zumindest eine kleine Atempause gewonnen. Die nehme ich mir.“ Kellvians stimme wurde etwas sanfter. ,, Es sei den du bist wirklich dagegen.“ Statt einer Antwort gab Jiy ihm einen Kuss auf die Nasenspitze. ,, Übertreib es nur nicht. Nur die nötigsten Gäste, ja ? Eden, und die anderen… und vielleicht kann ich Fenisin bitten zu kommen.“ ,, Wir werden sehen. Ich fürchte ja, der Adel reißt mir den Kopf ab, wenn ich heimlich heirate.“ Er lachte, auch wenn

er wusste, dass diese Aussage nicht einmal so weit von der Wahrheit entfernt lag. Im Gegenteil. Es gab mehr als einen Fürsten des Landes, der sicher darauf gehofft hatte, mit seinen Töchtern bei einem ledigen Kaiser eine gute Partie machen zu können. Politik. Schon wieder. Aber wenigstens war er mittlerweile nicht mehr vom Wohlwollend er Adelsversammlung abhängig. ,, Für den Moment bin ich gespannt, weshalb Relina uns ruft.“ ,, Du weißt es also nicht ?“ , fragte Jiy. ,,Ich dachte der Bote überbringt eine ganz normale Nachricht.“ ,,Es waren mehr… Bilder und Gedanken. Ich glaube, zu wissen, was

sie bedeuten sollen. Aber das ist eigentlich unmöglich.“ Er hatte einen Toten gesehen, dachte Kellvian bei sich. Vielleicht war das aber auch nur eine Wunschvorstellung, die irgendwo in die Vision mit eingeflossen war. ,,Der Botenzauber war ziemlich verwirrend. Aber das es dringend war, kam durch. Wir haben uns allerdings nicht grade im Guten Getrennt. Trotzdem glaube ich nicht, das Relina uns nur in eine Falle locken will. Noch dazu, das sie davon ausgeht, das wir nicht damit rechnen. Das passt nicht zu ihr.“ Sie hatten das Heck des Schiffs erreicht und Kellvian sah zurück über den Ozean, in die Richtung, aus der sie gekommen

waren. Um sie herum gab es nichts als blau und ganz in der Ferne die verschwommene Küstenlinie. Zu weit, als das jemand hätte Schwimmen können. Anderthalb Wochen später kamen schließlich die Inseln und Felsklippen in Sicht, die das Gebiet um das Versteck der Magier kennzeichneten. Es waren tausend oder mehr Inseln, manche so groß, das man schon meinen konnte, auf dem Festland zu sein, andere kaum mehr als ein grasbewachsener Felsrücken, der aus den Fluten ragte und einige kaum über die Wasseroberfläche hinaus ragende Felsriffe. Eine beständige Gefahr für die schweren Kriegsschiffe

des Kaiserreichs und grade dadurch ein guter Schutz für Schmuggler und jene, die sich vor dem Zugriff Cantons verbergen wollten. Die Windrufer besaß zu viel Tiefgang, um einfach über die Felsen hinwegfahren zu können. Ein Zusammenprall würde Schäden oder gar das Vorzeitige Ende ihrer Reise bedeuten. Eden gab Befehl, die Segele einzuziehen und das Schiff fürs erste nur noch treiben zu lassen, bis sie wieder offenere Gewässer erreichten. Aus Erfahrung wusste sie, dass die tückischen Riffe sich wie ein Ring um und zwischen die äußeren Inseln legten, dazwischen aber praktisch verschwanden. Wenn man nur

die Klippen hier passierte, hatte man freie Fahrt. Nur das war bereits eine Herausforderung sondergleichen. Die Kapitänin überließ einem ihrer Leute das Ruder und machte sich stattdessen daran, hinauf ins Krähennest des Schiffs zu klettern. Eden vertraute den Steuerleuten, das sie die Windrufer um alle Hindernisse herum bringen konnten. Diese zu erkennen war jedoch etwas anderes. Manche der gefährlichsten Felsen waren kaum mehr, als leicht dunklere Schatten im blauen Wasser. Über Takelage und Netzte nach oben zu gelangen, dauerte jedoch länger, als sie dachte. Es war eine Weile her, das sie selbst einmal Ausschau gehalten hatte.

Vielleicht sollte sie öfter darauf bestehen, dachte Eden, als sie sich ein letztes Mal nach oben zog und den Mastkorb erreichte. Ein leichtes stechen machte sich in ihrer Schulter bemerkbar. Aber das war vermutlich nichts. Und es war schwächer, als gestern. Eden spähte über Inseln und Wasser hinweg und suchte nach den dunklen Stellen im Wasser, die Felsen oder andere Hindernisse verraten würden. Aber offenbar machte der Steuermann seine Sache bereits hervorragend. Zwar ragten hier und da Felskanten aus den Fluten, diese lagen jedoch weit ab der Route, die sie einschlugen. Zufrieden nickte die Gejarn und wartete darauf, dass sie

wieder sichereres Fahrwasser erreichten. Hier oben war es windiger als unten auf dem sicheren Boden, aber sie hatte noch nie Höhenangst gehabt. Langsam aber sicher, ließen sie die Riffe hinter sich, so, das bestenfalls noch vereinzelte Hindernisse aus dem Wasser ragten, die sie auch vom Deck aus erkennen und umschiffen konnten. Trotzdem wartete Eden noch einen Moment, bevor sie sich an den Abstieg machte. Die Schmerzen in ihrer Schulter hatten sich in Richtung Armbeuge verlagert… Aber es würde auch so gehen müssen, dache sie, bevor sie den Fuß in die erste Netzschlaufe setzte. Bevor sie jedoch auch nur die Hälfte des Wegs hinter sich gebracht

hatte, geschah es. Eden wusste nicht zu sagen, was genau passiert war. Sie rutschte mit dem Fuß plötzlich vom Seil ab. Normalerweise war das kein Problem, wenn sie sich mit den Händen hätte abfangen können. Die Gejarn warf sich nach vorne, um wieder irgendwo halt zu finden, als brennende Qualen jegliches Denken zu nicht machten. Es war, als hätte jemand ihren linken Arm bis zum Handgelenk in flüssiges Eisen getaucht. Eden verlor endgültig das Gleichgewicht und sah nur noch, wie das Schiffsdeck plötzlich mit atemberaubender Geschwindigkeit näher kam. Der Aufprall war hart genug, das sie Holz unter sich splittern hörte,

zusammen mit panischen und aufgeregten Rufen. Dann wurde alles um sie herum schwarz.

Kapitel 16 Knochenstarr


Sie trieb in einem seltsamen Dämmerzustand zwischen schlafen und wach sein dahin, ohne zu wissen, wo sie sich genau befand oder was eigentlich vor sich ging. Nur ab und an drangen einzelne Wortfetzen oder das Rauschen von Wasser zu ihr durch. Doch jedes Mal, wenn sie versuchte, mehr zu verstehen und aufzuwachen, wurde das nur von blendenden Qualen begleitet. Schließlich jedoch, zwang Eden sich, über allen Schmerz hinweg, die Augen zu öffnen… Und damit kehrten auch die

Erinnerungen zurück. Wie sie abgerutscht… und dann ungebremst auf dem Schiffsdeck aufgeschlagen war. Ihr Kopf drehte sich und selbst das Nachdenken tat weh. Aber sie lebte aus irgendeinem unverständlichen Grund noch. Eden zwang sich, den Kopf etwas zu heben und sich umzusehen. Das war ihre Kabine, wie sie erkannte. Licht fiel durch die Fenster hinter dem Bett und beleuchtete die Tür, die hinaus aufs Deck führte. Auf einem Tisch, auf dem sonst Karten und Bücher lagen, stapelten sich jetzt blutige Bandagen, Scheren, Messer… Eden wollte gar nicht zu genau hinsehen… Sie überlegte kurz, ob es das Risiko wert

wäre, sich aufzusetzen und sich umzusehen, aber allein der Gedanke sich zu bewegen zu müssen… Sie spürte jeden Knochen doppelt und dreifach. Aber wenigstens, dachte sie bei sich, hieß das, das sie auch nicht gelähmt war. Vermutlich. Die Schmerzen in ihrem Arm waren verschwunden… oder vielleicht konnte sie auch nur nicht mehr feststellen, ob das gebrochene Knochen waren oder dieses etwas, das ihren Absturz herbeigeführt hatte. Halb wollte Eden schon wieder wegdämmern, als sie Schritte hörte, die vor der Tür zu einem halt kamen. ,,Ja sie wird es überleben, Cyrus.“ , hörte sie Eriks angespannte Stimme. Es

brauchte schon einiges, um den Mann derart aus der Ruhe zu bringen, dachte Eden. Und sie fürchtete, der Grund dafür zu sein. ,, Und nein ich weiß nicht, wann sie aufwacht. Hört zu, ihr seit der erste dem, ich bescheid gebe, aber jetzt… verschwindet einfach und lasst mich meine Arbeit machen.“ Die Tür wurde aufgerissen und der Arzt stürmte herein. Einen Kurzen Moment konnte Eden Cyrus im Türrahmen erkennen, bis Erik die Tür wütend zuschlug und sich einen Moment dagegen lehnte. ,,Entschuldigt meine Liebe, aber ich kann wirklich nicht arbeiten, wenn ein halbes dutzend besorgter Gesichter um

mich herum stehen.“ , meinte er, scheinbar schon etwas besser gelaunt. Woher hatte er gewusst, dass sie wach war? ,,Was ist passiert ?“ ,, Das wollte ich euch eigentlich fragen.“ , erklärte Erik und zog sich einen Stuhl vom Tisch herbei, bevor er sich neben sie ans Bett setzte. ,, Aber wenn ihr euch nicht mehr erinnert, ihr seit direkt aus dem Ausguck aufs Schiffsdeck gestürzt. Entweder, ihr hattet verfluchtes Glück, oder Wirbel aus Stahl.“ ,, Ich verstehe… trotzdem, es geht mir jetzt wieder gut, oder ?“ Sie versuchte sich aufzusetzen. Ihr ganzer Körper

protestierte. Eden zwang sich, den Schmerz auszublenden und wenigstens die Beine über die Bettkante zu schwingen. ,,Eden, ihr wart drei Tage weg.“ , erklärte Erik nüchtern. ,,Drei Tage…“ ,,Vier angebrochene Rippen, ein verschobener Wirbel, den ich wieder gerichtet habe, aber ihr solltet in nächster Zeit vielleicht einfach darauf verzichten, euch schneller als gehend zu bewegen. Oh, und dann waren da noch jede Menge kleinerer Schnitte und Wunden. Ihr habt es geschafft, euch zwei Handbreit lange Holzsplitter einzufangen. Kellvian

musste mir etwas zur Hand gehen, damit ihr nicht direkt Verblutet, als ich die entfernt habe. Und ich habe die letzten meiner Heilkristalle dabei aufgebraucht.“ ,, Und wann bin ich wieder ganz auf den Beinen ?“ Erik zuckte mit den Schultern. ,, Ihr seid wach, das ist schon mal was. Aber mich würde immer noch interessieren, was eigentlich passiert ist.“ ,,Ich bin abgerutscht. Das ist alles. Ein dummer Unfall.“ Erik nickte. Sie konnte grade zu spüren, dass er ihr kein Wort glaubte. ,, Nur warum ? Darf ich einmal eure Hand sehen?“ , fragte er mit einer

Stimme, die jedoch erst gar keinen Wiederspruch dulden würde. Und Besorgt… Eden zögerte, dann zwang sie sich jedoch dazu, den rechten Arm zu heben und dem Arzt die Hand hinzustrecken. Erik nahm die Hand sanft zwischen seine. ,, Wenn ich euch wehtue, sagt bescheid.“ Mit diesen Worten tastete er einen Finger nach dem anderen ab, bog die Gelenke hin und her, bis fast zu dem Punk, wo es schmerzhaft wurde… Beim letzten Finger murmelte er irgendetwas Unverständliches in seinem Bart und ging etwas über die Schmerzgrenze hinaus. Eden riss die Hand zurück und bereute es sofort, als

sich sämtliche Prellungen und Schnitte wieder bemerkbar machten. ,, Für was war das denn ?“ , wollte sie wissen. ,,Weil ihr mich angelogen habt.“ , erklärte der Arzt nüchtern. ,, Und das erlaube ich meinen Patienten generell nicht.“ ,,Ich bin euer Käpt’n, nicht Patient ,, Korrigiere, im Augenblick hat letzteres für mich Vorrang. Ihr seid nicht einfach nur gestürzt. Und jetzt Links.“ Eden zögerte. ,, Und wenn nicht ?“ Erik seufzte entnervt. ,, Sagt ihr mir damit schon genug. Aber vielleicht irre ich mich auch.“ Er versuchte sich an

einem Lächeln. ,, Aber wenn ich unrecht habe, geht meine Rumration heute an euch.“ ,,Ihr wisst also, was mit mir los ist…“ Und offenbar machte es selbst Erik Angst. ,,Nicht sicher. Und deshalb, gebt mir jetzt bitte eure linke Hand.“ Sie nickte und hielt ihm die linke Hand hin. Erik machte sie daran, dieselbe Prozedur zu wiederholen, wie schon zuvor. Nur dieses Mal zuckte Eden zusammen, sobald er den ersten Finger bog. ,, Tat das Weh ?“ , fragte er in einem Tonfall, als würde ihn die Antwort schon gar nicht mehr

interessieren. ,,Ja verdammt !“ Allerdings tat ihm im Augenblick so ziemlich alles weh. ,,Das ist gut. Nun… nicht gut, aber es ist besser, als wenn ihr gar nichts Spüren würdet. Wenn ihr beginnt das Gefühl in den Fingerspitzen zu verlieren, dann müssen wir uns Sorgen machen. Das heißt, es besteht noch die Möglichkeit, dass es sich wieder bessert.“ Eden hatte langsam genug davon, Rätsel zu raten. ,, Also, was fehlt mir ?“ ,, Ich glaube bei euch nennt man es Knochenstarre.“ Erik konnte die Frage vermutlich schon von ihrer Mine ablesen. ,, Mir sind selber erst ein paar Fällte untergekommen, Eden. So weit

ich weiß, sind davon nur Gejarn betroffen. Ihr habt Schmerzen in den Gelenken richtig? Sie wandern ab und an, werden stärker und verschwinden wieder…“ Eden nickte nur. Erik hatte mit beinahe hellseherischer Sicherheit beschrieben, was ihr fehlte. ,, Und im Augenblick nur in der linken Hand.“ , fuhr der Arzt fort. ,, Ich sage es euch ganz unverblümt. Das wird nicht dabei bleiben. Im Gegenteil. Es wird sich ausbreiten, vielleicht auch in den Beinen anfangen… und irgendwann verliert ihr dann ganz das Gefühl in den betroffenen Gliedmaßen.“ ,, Was soll das heißen ?“ , fragte Eden

aufgebracht. ,, Das ich irgendwann nicht mehr laufen kann ?“ Die Vorstellung machte ihr Angst. Nein, dachte sie. Bevor es so weit kam… Es würde einfach nicht so weit kommen, dachte Eden. Dafür würde sie notfalls selbst sorgen. ,,Ich wünschte beinahe, es wäre nur das. Knochenstarre wie ich sie kenne… ist irgendwann tödlich. Vielleicht in zwei, drei oder auch vier Jahren. Aber wenn ich recht habe…“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. ,, Ihr hättet mir das längst sagen müssen, Eden.“ Sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Das hieß noch nichts. Oder ? ,, Ich dachte es

wäre nichts. Es fing erst vor ein paar Wochen an. Und ihr seid euch ganz sicher? Ihr… könnt mir doch irgendwie helfen, oder?“ Es war eine schwache Hoffnung. Erik würde ihr nicht ohne Grund Angst machen, das wusste sie. Aber er war auch niemand, der einen einfach Verloren gab. ,, Ich… kann vielleicht die Symptome behandeln.“ , erklärte er leise. ,, Die Schmerzen lindern, verhindern, das eure Gelenke sich anfühlen, als würdet ihr innerlich verbrennen… Aber das ist alles. Ich habe mit Magiern und Gelehrten gleichermaßen gesprochen. Eine Heilung jedoch kannte keiner von

ihnen.“ ,, Es muss doch etwas geben.“ , beharrte sie. ,, Offenbar… Ich will euch keine falschen Hoffnungen machen, Eden. Aber es besteht die Möglichkeit, dass es sich wieder bessert, Eden. Zumindest habe ich von einem Fall gehört. Nur, wenn ich Möglichkeit sage, dann meine ich damit, das es nicht sehr Wahrscheinlich ist. Es tut mir leid.“ ,, Ich will kein Mitleid, alter Mann.“ Eden schloss einen Moment die Augen. ,, Könnt ihr das alles für euch behalten?“ ,, Es wäre besser wenn…“ ,, Habe ich nach eurer Meinung oder einer simplen Antwort gefragt , Erik ?“

Ihre Stimme zitterte leicht, aber die Wut half, die Angst zurückzudrängen. ,, Werdet ihr euer Wissen für euch behalten? Bitte ?“ , fragte sie sanfter. ,, Auch vor Zachary und Cyrus.“ ,,Ihr werdet das nicht lange verheimlichen können, Eden. Ein Jahr, Anderthalb… zwei, wenn ihr Glück habt..“ ,,Ich weiß. Bevor es so weit kommt… Ich werde nicht ans Bett gefesselt auf den Tod warten. Aber ihr habt meine Frage nicht beantwortet.“ Der Arzt seufzte schwer und schien einen Moment nachzudenken. Er stellte seine Instrumententasche auf dem Tisch ab und zog einige kleine Gefäße und einen

Porzellanmörser heraus. Wussten die Götter, wie er das alles transportierte, ohne dass jemals etwas zerbrach. Eden wartete nach wie vor auf eine Antwort, während er aus mehreren Behältern Pulver und Wasser in den Mörser gab und alles zu einer gleichförmigen, grauen Paste vermischte. ,, Also gut.“ , sagte er schließlich, während er die Schale absetzte. ,, Ich werde schweigen.“ ,,Danke…“ ,, Aber nur solange, bis ich keine andere Wahl mehr habe, Eden…“ Erik kratzte die graue Salbe in eine kleine Holzdose und versiegelte sie. ,, Das wird euch zwar nicht heilen.“ , erklärte er, ,,dürfte

aber die Schmerzen deutlich lindern. Einfach auf Fell oder Haut auftragen Und… übertreibt es einfach nicht, ja? Ich kenne euch.“ Er drückte ihr die Dose in die Hand. Sie antwortete nicht, sondern betrachtete einen Moment lediglich das Holzkäschen. Ein Teil von ihr wollte noch einfach laut aufschreien, das Erik sich irrte, aber… Wann hatte der Arzt sich je derart grob geirrt? In den Zwei Jahren, die sie ihn jetzt kannte, niemals. Wenn der Alte etwas sagte, stimmte das bedauerlicherweise meist. Und wenn er einmal Ernst wurde wie jetzt, war es ohnehin das Beste, den Kopf einzuziehen. Bevor sie noch lange

darüber nachdenken konnte, klopfte es an der Kabinentür. Erik , vermutlich damit rechnend, das es wieder Cyrus war, öffnete die Tür nur einen Spalt, zog sie dann jedoch ganz auf. Zachary trat unsicher ein und sah sich um. Für sie war klar, dass er entweder geweint hatte… oder verdammt dicht davor gewesen war. Seine Wangen und Augen waren gerötet. Zacs Blick blieb einen Moment an den Verbänden und Klingen auf dem Tisch liegen und wanderte dann weiter zu Eden. Sofort glättete sich der verlorene Ausdruck auf seinem Gesicht etwas, als er merkte, dass sie wach war. ,,Kann ich…“, fragte er schüchtern an Erik gerichtet. Bevor der Arzt antworten

konnte, ergriff jedoch bereits Eden das Wort ,, Hey…“ , meinte sie und hoffte, dabei ermutigender zu klingen, als sie sich fühlte. ,, Das wird schon alles wieder gut, ja ?“ Die Gejarn winkte ihn heran und legte dem jungen Magier eine Hand auf den Arm. ,, Das wird wieder.“ , erklärte sie erneut, als ob es das wahrer machen könnte. Früher einmal hätte Zac ihr das wohl aufs Wort geglaubt. Jetzt wusste sie nicht, in wie weit er ihr das abkaufte. Mit einem hatte Erik wohl Recht. Ewig konnte sie es nicht verbergen. Aber ein paar Jahre blieben ihr bis… Eden brach ihren eigenen Gedanken ab. Sie hatte noch ein paar

Jahre. Die Gejarn fühlte sich nach wie vor wie Gerädert, als sie noch einmal zur Bestätigung Zacs Hand drückte und langsam in einen leichten Schlaf hinüberdämmerte. In ihrem halb schlafenden Zustand bekam sie kaum mit, wie erst Zac und etwas später auch Erik den Raum verließen. Sie musste sich einfach darauf verlassen, dass der Mann Wort hielt. Wenn er etwas verriet, würde sie ihn mit eigenen Händen erwürgen. Es waren ihre letzten Gedanken, ehe der Schlaf sie völlig mit sich nahm. Als Eden die Augen diesmal wieder öffnete, war es bereits Stockdunkel. Aber es ging ihr besser, dachte sie. Die

Schmerzen waren noch da, aber dumpfer, als heilte langsam alles. Einen Moment war sie sogar versucht, alles was passiert war, als schlechten Traum zu deuten. Nur brauchte sie sich lediglich in der Kabine umsehen um… Eden stockte. Sie war nicht so alleine, wie sie gedacht hatte. Der Schreck hielt jedoch nur eine Sekunde, bis sie erkannte, wer da auf einem Stuhl neben ihrem Bett eingeschlafen war. Cyrus musste schon eine ganze Weile da sitzen, dachte sie. Irgendwann waren ihm offenbar einfach die Augen zugefallen. ,,Cyrus…“ Sie sprach grade laut genug, das er es hören musste. Eden wusste nicht, wie spät es war und wollte nicht

riskieren, sonst noch jemanden zu wecken. Der Wolf rührte sich etwas. ,,Cyrus !“ Der Gejarn blinzelte verschlafen. ,,W…Was… Du bist wach?“ Er streckte sich. ,, Wie spät ist es ?“ ,, Zu Früh, als das ich dich die Nacht auf einem Stuhl verbringen lasse.“ Ein paar Prellungen und blaue Flecken machten sich schmerzhaft bemerkbar, als sie etwas von der Bettkante wegrutschte. Cyrus schüttelte nur den Kopf, bevor er sich vorsichtig zu ihr legte. ,, Wir haben uns alle ziemlich große Sorgen gemacht. Was ist denn passiert.“ Eden winkte ab, auch wenn er die Geste im Halbdunkel wohl kaum sehen konnte.

,, Ich habe nur nicht aufgepasst. Und wohl ein paar Muskeln gezerrt.“ Ihr fiel wieder die Salbe ein, die Erik ihr gegeben hatte. ,, Der Verrückte Alte hat mir schon was gegen… Verspannungen gegeben.“ Eden hielt das Kästchen ins Mondlicht. Sie brauchte einige Anläufe, und bekam es trotzdem nicht richtig auf. Aus irgendeinem Grund schien sie weniger Kontrolle über ihre Fingerspitzen zu haben als sonst… Frustriert gab sie auf. ,, Wärst du so freundlich ?“ Cyrus nahm die Schale mit einem besorgten Gesichtsausdruck entgegen und öffnete sie ohne Schwierigkeiten. Das hatte nichts zu bedeuten, sagte sie

sich. Er war ja auch nicht mehr als dreißig Fuß in die Tiefe gestürzt. Eden zuckte leicht zusammen, als der Wolf etwas von der Salbe auf ihre linke Schulter auftrug und vorsichtig verrieb. Trotzdem musste sie leicht die Zähne zusammenbeißen um sich ja nichts anmerken zu lassen. Aber es schien tatsächlich zu wirken. Aus dem dumpfen Schmerz wurde langsam eine ferne Erinnerung und das Feingefühl schien in ihre Finger zurück zu kehren. Während sie sich noch darüber Gedanken machte, wanderten Cyrus Hände tiefer… dorthin wo sie eigentlich nichts zu suchen

hatten ,,Hey…“ Er zog sich mit einem unschuldigen Lächeln zurück. ,, Entschuldigung…“ Eden versetzte ihm einen sanften Schlag gegen die Brust. ,, Entweder, du behältst heute deine Finger bei dir, oder du kannst von mir aus auf dem Boden schlafen.“ Mit diesem Worten zog sie den Wolf zu sich heran und gab ihm einen tiefen Kuss, bevor sie sich auf die Seite rollte und die Augen wieder schloss. Es war einfach, sich selbst darüber zu täuschen, das alles wieder gut werden könnte. Aber die langsam zurückkehrenden Schmerzen in ihren Gelenken sprachen dem bereits

Hohn…

Kapitel 17 Spähe


Syle schirmte die Augen ab, als er den Blick über die nahen Berggipfel schweifen ließ. Die letzten Tage hatten sie das reinste Unwetter erlebt. Schneefall, der manche der Straßen bereits von ganz alleine unpassierbar gemacht hatte. Vor allen die kleineren Pässe wären nach den Schneefällen kaum noch zugänglich. Etwas, das ihre Arbeit um einiges einfacher machte und Syle war allen Göttern dafür dankbar. Die Zeit drängte. Wäre der letzte Pass nicht versiegelt, bis Andres Leute ihn erreichten, hätten sie keine Möglichkeit

mehr ihn aufzuhalten. Die gut achtzig Zauberer und Soldaten, die er mit sich führte, würden nicht einmal ausreichen, die Streitmacht des Herr von Silberstedt eine Minute aufzuhalten. Heute hatte das Wetter umgeschlagen und die dichten Sturmwolken vertrieben. Aber damit hatte auch der Wind aufgefrischt und hüllte die kompletten Berge in einen eisigen Hauch. Die Sonne spiegelte sich auf den Eisflächen an den Berghängen und brachte die Schneefelder dazu, wie Kristall zu glitzern. Syle wendete den Blick von der gefrorenen Landschaft ab und sah wieder hinab zur Passstraße, die sich dort zwischen zwei hoch

aufragenden Felswänden hindurch zog. In den letzten Tagen hatten sie über ein dutzend Durchgänge zu verschiedenen Wegen versiegelt, entweder in dem die Magier aus sicherer Entfernung Lawinen ausgelöst hatten , oder er und die anderen Felsüberhänge und Engpässe mit Felsen und Sprengladungen blockiert hatten. Doch jetzt gingen ihnen langsam die Vorräte aus. Sie hatten schon ein dutzend leere Rucksäcke zurück gelassen, in denen sich ehemals Schwarzpulver oder Kristalle befunden hatten. Zyle konnte den schwachen Schwefelgeruch trotz der Kälte überall um sich herum wahrnehmen. Er hatte sich ihm in den letzten Tagen praktisch in die Kleider

gebrannt und nun wurde er erneut aufgefrischt, als der Gejarn einen letzten Sprengsatz im Schnee oberhalb des Abhangs vergrub. Die Kälte machte seine Hände taub und er wünschte mittlerweile, sich Handschuhe mitgenommen zu haben. Aber sie hätten es ohnehin bald geschafft, dachte er. Lucien arbeitete derweil mitten im Weg, der zwischen den Felsen hindurchführte. Die Passstraße zog sich gut vierhundert Schritte unter Syle dahin und verschwand zwischen zwei Felswänden, die zu jeweils gegenüberliegenden Gipfel anstiegen. Perfekt für einen Hinterhalt oder eben dazu, den Weg zu blockieren. Der kaiserliche Agent kletterte geschickt

eine der Klippen herauf und verteilte dabei ebenfalls mehrere der selbstgebauten Sprengsätze. Die Metallröhren schimmerten im Licht der Mittagssonne, während Lucien sie in Felsspalten und rissen verschwinden ließ. Es würde reichen, eine einzige zu entzünden, damit die anderen mit detonierten und die Straße unter Felsen begruben. Weitere Gestalten machten sich an anderen Stellen der Passstraße zu schaffen oder saßen gelangweilt am Ausgang der Schlucht um dort Wache zu halten. Die meisten der Männer und Frauen waren jedoch nach ihrem tagelangen Gewaltmarsch durch die

Berge erschöpft. Tamyra und Quinn waren derweil damit beschäftigt, die anderen auf Trapp zu halten. Manche der Leute waren kurz davor einzuschlafen. Und sie konnten niemanden zurück tragen. Syle setzte sich seinen Rucksack wieder auf, den er im Schutz eines Felsens zurück gelassen hatte und stapfte über das Schneefeld in Richtung der anderen. Die Diplomatin kam ihm, das Schwert als Stütze nutzend, entgegen. Ihre roten Haare waren in der weiß-grauen Landschaft einer der wenigen Farbflecken weit und breit. ,, Wir sind fast so weit.“ , meinte sie. ,, Sobald der Pass sicher ist, kann Andre

sehen wie er über die Berge kommt.“ ,, Das ist gut. Persönlich hoffe ich, dass wir dann aus der Kälte rauskommen. Wir müssen immer noch zusehen, das wir Kellvian eine Nachricht zukommen lassen. Wir gewinnen hier nur Zeit.“ ,, Glaubt ihr denn, er lebt noch ?“ , fragte sie. ,,Nach allem was Kiara uns erzählt hat…“ ,, Wenn nicht , weiß ich, wer daran Schuld trägt.“ ,antwortete der Bär nur düster. ,, Dagian hat uns hintergangen. “ Eigentlich wollte er nur noch hinab zur Straße und sich den anderen anschließen. Dort unten wäre es vor allem auch Windgeschützt. Es war ihr Glück, dachte Syle später, das er das nicht gleich tat.

Er drehte sich noch einmal um und sah über die Ebene hinweg, hauptsächlich um festzustellen, wo die Sprengsätze lagen. Sie hatten ein großes Schneebrett abgesteckt, das sich hoffentlich lösen würde, sobald unten auf dem Weg die ersten Detonationen erfolgten. Dann würde der Pass erst mit Steinen blockiert und dann noch mit Schnee aufgefüllt werden. Nur irgendetwas irritierte Syle. Im Norden tauchten mehrere graue Punkte an der Bergflanke auf. Zuerst dachte er noch, seine Augen spielten ihm einen Streich. Dann, das sich vielleicht einige ihrer Leute zu weit entfernt hatten und grade zurückkamen. Aber ein Blick zu Tamyra bestätigte ihm, das das

nicht der Fall war. Sie hatte die Gestalten ebenfalls bemerkt und legte sofort demonstrativ eine Linge auf den Degengriff. ,, Wir bekommen Besuch !“ , rief sie zu den anderen hinab. ,, Beeilt euch, die Schonzeit ist vorbei, wie es aussieht. Das gilt vor allem für euch Lucien.“ Der kaiserliche Agent brachte grade eine weitere Sprengladung an, bevor er sich zu ihnen herumdrehte, mit einer Hand von einem Felsvorsprung baumelnd. ,, Ich kann auch nicht Zaubern. Aber ihr könnt sie ja vielleicht dazu überreden erst noch mit uns Tee zu trinken. Apropos, vielleicht kann euch der Herr Magier da mehr helfen als ich.“ Mit

diesen Worten machte er sich unbeeindruckt wieder an die Arbeit. Der Mann schien mit der Höhe, in der er arbeitete, nicht das geringste Problem zu haben und sprang mit einer Selbstsicherheit über die Felsen, das Syle schon beim zusehen Mulmig wurde. Hauptsache, er passte auf sich auf… und wurde fertig. Quinn löste sich derweil von den Männern, die den Pass bewachten und rannte die Bergflanke hinauf, um zu ihnen zu gelangen. Einige andere folgten seinem Beispiel, Gewehre und Schwerter in der Hand und stapften durch den Schnee zu den zwei wartenden herauf. Syle ließ die Neuankömmlinge derweil

nicht aus den Augen. Mittlerweile mussten diese sie auch entdeckt haben und tatsächlich beschleunigten sie ihre Schritte. Slye konnte nun bereits ihre Kleidung ausmachten. Graue Wintermäntel und Gewehre, die sie über die Schultern gehängt hatten. Das waren keine Wanderer. Späher, schoss es ihm durch den Kopf. Aber woher kamen die so schnell? Andre oder Erland musste schon vermutet haben, das sie versuchen würden, die Pässe zu blockieren. Und natürlich, dachte Syle, hatte er auch gewusst, dass er mindestens einen halten musste. Also hatte er eine Abteilung vorausgeschickt, die die Gegend sicherte. Vermutlich waren sie über die

Felsflanke hinauf geklettert, die im Norden zum Pass hin abfiel. Eine ganze Armee konnte diesen Weg nicht nehmen, aber das mussten sie ja gar nicht. Diese Männer mussten sie nur aufhalten, bis die Hauptstreitmacht eintraf. Und das hieß, ihre Zeit ging jetzt endgültig zur Neige. Syle zählte die Gestalten rasch und kam auf gut fünfzig bewaffnete Männer, die direkt auf sie zuhielten. Und vermutlich würden ihnen weitere folgen. Die ersten Schüsse halten von den Klippen wieder und Syle duckte sich mit Tamyra und Quinn hinter die Felsen, wo zuvor sein Rucksack gelegen hatte. Ein Teil von Fenisins Leibgarde und der

Magier ging hinter ähnlichen Hindernissen in Deckung oder ließ sich in den Schnee sinken um wenigstens ein kleineres Ziel zu bieten. Trotzdem entgingen nicht alle der ersten Salve. Syle zählte fünf Wölfe und drei Zauberer, die plötzlich regungslos im sich langsam rot verfärbenden Schnee lagen. Er fürchtete, bevor dieser Tag zu Ende ging, könnte der gesamte Hang oberhalb der Passstraße die Farbe gewechselt haben. Die fremden Soldaten wussten, was ihre Gegner vorhatte, da war Syle sich völlig sicher. Und sie würden versuchen es um jeden Preis zu verhindern. Das hieß

wiederum, sie müssten Lucien so lange Deckung geben, bis dieser so weit war. Und hoffen, das Andres Hauptstreitmacht nicht schneller war. Syle nahm sein eigenes Gewehr vom Schultergurt, kniete sich in den Schnee und zielte um die Kante des Felsens. Andres Späher hatten offenbar vor, den kurzen Moment der Verwirrung zu nutzen, den ihr plötzliches auftauchen ihnen gab und versuchten, Boden wettzumachen. Ohne Deckung stürmten sie über das Schneebedeckte Feld auf die kleine Truppe Verteidiger zu. Sie hätten es Syle nicht leichter machen können. Er brauchte kaum zielen, drückte ab und der erste der Männer fiel,

den Schnee um sich rasch rot färbend, zu Boden. Tot oder Verwundet, das machte keinen Unterschied für ihn. Jetzt lösten sich auch die anderen aus ihrer Erstarrung und zusammen mit Gewehrfeuer zischten einzelne Zauber in Form von Blitzen oder Flammen über den Schnee. Aber die Zauberer waren müde, dachte Syle bei sich. Und viele von ihnen gehörten nicht wirklich zu den mächtigsten ihrer Zunft. Selbst Quinn konnte lediglich einige Eislanzen heraufbeschwören, die plötzlich aus dem Boden schossen und einigen der Späher den Weg abschnitten oder sie direkt aufspießten. Eine Kugel prallte am Stein direkt neben

Syles Gesicht ab und schlug scharfkantige Splitter heraus, die ihm die Haut einritzten. Besser als mein Kopf dachte er, bevor er sich wieder in Deckung begab, um nachzuladen. Tamyra löste ihn ab, eine der alten Musketen aus dem Lager des Ordens in Händen. Er hatte die Diplomatin bisher noch nicht schießen sehen. Sie hielt die Waffe etwas zu hoch… trotzdem, fand die Kugel letztlich ihr Ziel und zerschmetterte einem bereits nahe herangekommenem Graumantel die Kniescheibe. Mittlerweile jedoch, wurde ohnehin jeder der Männer, der sich vorwagte, von Kugeln durchsiebt. Sie könnten ihre Position tatsächlich halten,

dachte Syle bei sich. Zumindest, bis die Hauptstreitmacht eintraf. ,, Seht zu, das ihr fertig werdet !“ , rief er Lucien zu. Der kaiserliche Agent grinste nur und deutete mit dem Daumen nach oben, als wollte er damit sagen: ,, Nur die Ruhe.“ Manchmal konnte dieser Mann einem an den Rand eines Nervenzusammenbruchs treiben. Einige der verbliebenen Späher waren mittlerweile so geistesgegenwärtig gewesen, sich ebenfalls Deckung zu suchen und erwiderten jetzt endlich das gegnerische Feuer. Der Geruch von verbranntem Schießpulver, das Geräusch von Querschlägern und das Schreien von Verwundeten nahmen zunehmend alle

von Syles Sinnen gefangen. Einer von Fenisins Leibwächtern stand, das Gewehr im Anschlag, aus der Deckung auf. Bevor er dazu kam, etwas zu tun, zertrümmerte ihm eine Kugel den Schädel und er fiel zurück in den Schnee. Jetzt ging es darum, welcher Seite zuerst die Munition ausginge, dachte Syle. Wer auch immer es war, würde den Nahkampf eröffnen müssen… Quinn , in den Schutz der Felsen geduckt, rannte zu ihm und Tamyra hinüber. ,, Wie sieht es aus ?“ , wollte der Zauberer wissen. ,, Ich glaube das wisst ihr schon.“, meinte Tamyra. ,, Nicht so gut. Wir

haben weniger Munition als sie und wenn wir nichts unternehmen, nageln sie uns hier einfach fest. Irgendwann überrennen sie uns.“ Syle wagte sich etwas aus der Deckung und spähte zu ihren Gegnern herüber, die sich über das Geröllfeld verteilt hatten. Es hätte auch nicht einmal einfach sein können, wie ? Aber beschweren half jetzt nichts. Während er sich noch den Kopf darüber zerbrach, wie sie das Blatt noch zu ihren Gunsten Wenden könnten, wurde der Gejarn durch einen lauten Warnruf aufgeschreckt. Einige der Leute, die auf der Passstraße geblieben waren, um Lucien zu unterstützen, riefen beinahe panisch zu ihnen herüber. Auf

die Entfernung verstand er jedoch nur Wortfetzen. Syle zögerte. Er konnte sich nicht zwei teilen. ,, Tamyra… könnt ihr hier mit den anderen die Stellung halten ?“ Sie nickte. ,, Seht ihr nach, was an der Straße los ist… und besser schnell. Und sagt Lucien wenn er sich nicht beeilt lassen wir ihn gleich hier.“ Tamyra lehnte sich, das Gewehr im Anschlag aus der Deckung und schoss. Ein weiterer, in graue Uniformen gekleideter, Söldner brach mit einem Aufschrei zusammen, eine klaffende Wunde in der Schulter. Seine Kameraden ignorierten den Mann einfach, während sie sich wieder weiter vorwagten. Bald wären sie nahe genug

heran, um auch die Schwerter einzusetzen und dann würde das Gefecht erst richtig beginnen… Syle schätzte die Distanz von sich zur Straße. ,, Gebt mir Deckung“ , wies er Tamyra und die Handvoll Kämpfer an, die sich noch auf dem Hang befanden. Alle nickten. Der Gejarn holte tief Luft. Es war weit und es gab kaum Deckung Wenn man auf ihn schoss könnte er sich nicht Verstecken. ,, Jetzt.“ Rief er und sprang hinter dem Felsen auf, der ihn verborgen hatte. Gleichzeitig erhoben sich auch die anderen und feuerten auf Andres Späher. Syle stolperte den Hang hinab, das Blut rauschte ihm in den Ohren und er

rechnete jeden Moment damit, das ihm eine Kugel die Beine wegriss oder zu Boden warf… Dann jedoch war er aus dem Schnee draußen und stolperte schwer atmend über die Böschung auf die Passstraße hinaus. Die Männer, die hier geblieben waren, hatten seine Flucht offenbar verfolgt und nahmen ihn sofort in die Mitte, als er in Reichweite war. ,,Was ist passiert ?“ , wollte er wissen. ,, Seht selbst.“ Ein schneeweißer Wolf deutete auf die Passstraße hinaus. Zwischen den Felswänden könnte er nach wie vor Lucien sehen, der sich mit einer Handvoll Helfer abmühte, die restlichen Sprengsätze an ihre Position zu bringen.

Es fehlte immer noch einiges, stellte Zyle fest. Und sie würden es niemals rechtzeitig schaffen, alles zu verteilen, wie ihm nun endgültig klar wurde. Auf der anderen Seite des Felsdurchgangs näherte sich etwas, das sich wie ein grauer Lindwurm durch den ansonsten grellweißen Schnee schob. Die Kolone aus bewaffneten zog sich so weit er sehen konnte die gesamte Straße entlang. Tausende… zehntausende… Syle wollte sich gar nicht vorstellen wie viele es nun letztlich wäre. Zu viele, das war klar. Und an ihrer Spitze ritt eine einzelne Gestalt mit schwarzen Haaren, der ein weißer Pelzumhang über die Schultern

fiel. Erland war hier. Und ihre Zeit abgelaufen.

Kapitel 18 Der Aristokratenbund


Quinn sprang zurück, als der erste Söldner über die Felsen setzte, hinter denen sie sich verschanzt hatten. Ein Schwert in der Hand, sah er in dem unbewaffneten Mann vor sich wohl kaum eine Bedrohung und schlug mit der Klinge nach ihm, so wie man eine lästige Fliege abwehren mochte. Ein großer Fehler, wie der Magier ihm hätte sagen können. Schon als sein Gegner die Klinge über den Kopf riss, sammelte sich flüssiges Feuer in den Händen des Zauberers. Die Augen seines Gegenübers

weiteten sich mit schrecken, als er erkannte, wem oder besser, was, er gegenüberstand. Und damit war es auch schon zu spät für ihn. Die Flammen schossen kreischend vorwärts und hüllten den Mann ein, der taumelnd um sich schlug, bevor er zu Boden stürzte und begann sich im Schnee zu wälzen. Nutzlos, wie Quinn ihm hätte sagen können. Das Feuer wurde nicht von Luft und Wärme genährt sondern allein von seinem Willen. Er wendete sich von dem langsam zu Asche zerfallenden Körper ab. Es würde nicht der einzige bleiben, denn mittlerweile hatten Andres Leute das Versteckspiel aufgegeben und griffen sie

offen an. Beide Seiten hatten ihr Pulver verschossen. Jetzt entschieden Stahl… und natürlich Magie. Quinn formte einen Bolzen aus verdichteter Luft und riss damit einen der anstürmenden Soldaten glatt in Stücke. Wie die anderen hatte ihn die ewige Arbeit und der Marsch durch die Kälte geschwächt. Für ihn jedoch kam noch ein weiteres Problem hinzu. Er besaß die Träne nicht mehr. Man gewöhnte sich viel zu leicht daran, über einen nahezu unbegrenzten Vorrat an magischer Energie zu verfügen. Jetzt konnte er nur auf das zurückgreifen, was sein eigener Körper ertrug. Und das war nicht viel. Sein Blick fiel auf die

Leichen beider Seiten, die das Feld zwischen den beiden Fronten bedeckten. Er bräuchte ja nicht viel, redete er sich ein. Nur etwas Energie von den Toten zu stehlen… Noch nicht, sagte er sich. Wenn es keinen anderen Ausweg gäbe, könnte er darauf zurückgreifen. Aber es war gefährliche Magie. Nicht für ihn, aber für jeden in seiner Nähe. Früher hätte er sie ohne Rücksichtnahme einfach benutzt, aber jetzt. Er könnte es nicht rechtfertigen, sagte er sich. Vermutlich würde es nur mehr Schaden anrichten, als nutzen. Quinn riss das Schwert, das Tamyra ihm gegeben hatte vom Gürtel. Im Notfall wäre er so nicht komplett wehrlos. Ein

weiterer Söldner setzte über die natürliche Barrikade, die die Felsen bildeten. Und dieses mal war er auch nicht mehr alleine. In schnellem Tempo folgten ihm ein dutzend weitere und verwickelten die Verteidiger in eine Reihe von Gefechten. Quinn selbst sah sich plötzlich einem vernarbtem Gesicht gegenüber, das mit einer Streitaxt auf ihn losging. ,,Für den Aristokratenbund.“ Der Kampfschrei rief eine ganze Reihe von Fragen für ihn auf. Andres Rebellion hatte jetzt einen Namen? Bund ? Mit wem war der Herr Silberstedts denn alles Verbündet? Und… Der Magier schob die Gedanken bei Seite und wich dem Hieb

aus. Rasch rief er einen Teil seiner verbliebenen Reserven herauf und steckte den wehenden, grauen Umhang des Mannes in Brand. Das kostete ihn weniger Kraft, als wenn er einen Feuerball herauf beschwor. Langsam aber sicher mussten sie vor den Spähern, den Steilhang hinab, zurück weichen. Hoffentlich beeilte Lucien sich endlich einmal. Lange würden sie den Pass nicht mehr halten können und wen dieser dann noch offen stand… Es würde besser nicht so weit kommen, dachte Quinn oder er würde Lucien persönlich die Haut abziehen. Langsam. Tamyra hielt derweil alle dazu an, sich geordnet zurück zu ziehen. Sie würden nicht

fliehen. Zumindest noch nicht. Quinn suchte das Schlachtfeld weiter ab. Wo war nur Syle ? Vor wenigen Augenblicken noch, war der Gejarn bei ihnen gewesen und dann wie besessen hinab zur Passstraße gerannt. Das es dort unten Schwierigkeiten gab würde ihnen grade noch fehlen. Quinn sah, wie Andres Späher endgültig die Höhe für sich gewannen und auch die letzten, verbissenen Kämpfer sich zurückziehen mussten. Tamyra, die sich unter den Nachzüglern befand, fand sich im Nahkampf mit einem breitschultrigen Soldaten wieder, der jedoch schnell herausfinden musste, das er sich in der kaiserlichen Abgesandten verschätzt

hatte. Sie wich dem ersten Hieb aus, der mit zu viel Schwung geführt wurde, als das der Mann die Schlagrichtung noch ändern könnte. Das Gewicht seiner eigenen Waffe, einem primitiven Breitschwert, zog ihn nach vorne. Tamyra nutzte die Gelegenheit um in seinen Rücken zu gelangen und stieß ohne zu zögern zu. Die Degenklinge durchbohrte dem Mann die Brust und er stolperte, Blut hustend, in den Schnee. Er kam nicht weit, bis sie ihn wieder einholte… und mit einer raschen Abwärtsbewegung ihr Werk zu Ende brachte. Hinter ihr tauchte sofort eine weitere Gestalt auf, die jedoch von einem Blitz gefällt wurde. Quinn hatte

seine letzten Reserven in den Zauber gelegt. ,,Beeilung.“ , rief er ihr zu. ,, Wir haben getan was wir konnten. Tamyra nickte. Es hatte keinen Sinn, noch länger auszuharren. Aufhalten würden sie sie nicht. Sie mussten hier weg und zwar jetzt, solange sie noch die Möglichkeit dazu hatten. Die Diplomatin rannte an ihm vorbei, genau wie die Überreste von Fenisins Leibwache und die verbliebenen Magier. Quinn überzeugte sich, das alle weit genug weg waren, bevor er sich ganz in seinen eigenen Geist versenkte. Sie waren weit genug weg, sagte er sich. Und selbst wenn nicht, musste er es

riskieren. Der Zauberer atmete tief ein, während die Welt um ihn herum langsam einzufrieren schien. Zeit hatte keine wirkliche Bedeutung bei dem, was er jetzt tat. Den Strom der Magie, der aus den toten Körpern überall in die Leere Floss, in eine neue Richtung zu lenken. Ihn. Einige der Körper im Schnee zuckten leicht, als sich ein knisterndes Energieband bildete, das sie mit dem einsamen Zauberer auf dem Berghang verband. Die anstürmenden Soldaten wurden langsamer, als sie mit schrecken zusahen, wie einige ihrer Totgeglaubten Kameraden sich halb wieder im Schnee erhoben, dem Energiestrom folgend, der

sich um Quinn bildete. Er wagte es nicht, den Zauber zu voller stärke kommen zu lassen, aber auch so, es war mehr als genug. Das Sterben, der in der Schlacht beständig anwachsende Mahlstrom aus Leben und Tod, lieferte ihm jetzt Kraft, die die jedes anderen Magiers übertraf. Andres Soldaten blieben auf sicherem Abstand zu dem Magier stehen. Furcht. Selbst ohne eine Begabung dafür müssten sie die kleinen, elektrischen Entladungen in der Luft spüren. Magie die nur auf einen Meister wartete. Quinn war einer der wenigen, die es je gewagt hatten, die Lebensenergie anderer Wesen für einen Zauber zu nutzen. Wenn man nicht

wusste, wie man es richtig beherrschte, konnte man dabei leicht auch den eigenen Lebensfunken auslöschen. Aber er war ein Meister darin geworden. Einer der Männer, offenbar geistesgegenwärtiger als die anderen, stürmte mit erhobener Klinge auf den regungslosen Zauberer zu. Viel zu spät, wie Quinn ihm hätte verraten können. Die Macht war da. Er brauchte sie nur noch lenken. Mit einem Gedanken packte eine Sturmfaust den Mann, die Luft zog sich zusammen und zerschmetterte seine Knochen…. Das hörbare Geräusch, wie das innere des Soldaten praktisch zu Staub zermahlen wurde, war zu viel für die

fünfzig verbliebenen Späher. Ihre Erstarrung löste sich, einige, die Waffen erhoben, rannten auf Quinn zu, andere flohen. Es machte keinen Unterschied für ihn. Eine Feuerwalze schnitt denen den Weg ab, die fliehen wollten, verbrannte sie zu Asche und verteilte die Überreste über den rasch schmelzenden Schnee. Eine Lanze aus Eis, die innerhalb von Sekunden schräg aus dem Boden wuchs, spießte den ersten Soldaten auf, der Quinn erreichte. Ein weiterer verwandelte sich zu Stein, der von einem Netz aus verdichteter Luft zu Staub zerbarst. Erst da viel Quinn auf, das er nach wie vor das Schwert in der Hand hielt. Ein

Gedanke und der Wind war auf seiner Seite. Ein Schritt wurde zu einer Meile. Wie ein Blitz tauchte er in den Reihen der Soldaten auf und ließ die, mit einem weiteren Zauber zu glühendem Stahl aufgeheizte, Klinge tanzen. Das Schwert verzog sich durch die magische Hitze und er ließ es fallen. Aber nicht, bevor nicht ein weiteres dutzend von Andres Männern tot am Boden lagen. Quinn hatte Mühe, den Strom magischer Energie noch unter Kontrolle zu halten. Im Augenblick lag er noch auf kleiner Flamme, aber jeder neue Tote nährte seine Fähigkeiten noch zusätzlich. Mittlerweile versuchte keiner der überlebenden Soldaten ihn mehr

anzugreifen. Sie wichen nur noch langsam zurück, ließen die Waffen fallen… und rannten dann. Etwas hielt Quinn dazu an, ihnen das gleiche Schicksal zukommen zu lassen, wie den anderen. Er schüttelte den Kopf. Das würde doch nur den wilden Energiestrom in seinen Andern endgültig unkontrollierbar machen. Es war eine Ausrede, und das wusste er auch. Sie waren ganz einfach keine Gefahr mehr für ihn. Langsam rief er die Fäden seines Verstands zurück, die ihn mit den Toten verbanden. Ihm war, als würde sich ein Nebel über seinen Verstand legen. Quinn stolperte ein paar Schritte zurück. Auf einmal fühlte er sich sehr

Müde. Der Preis dafür, das er seine Fähigkeiten derart beanspruchte. Er würde das eine ganze Weile nicht wiederholen können, dachte er. Nicht, bevor er sich nicht ordentlich ausgeruht hatte. Und dafür, fürchtete der Zauberer, würde es nicht mehr viele Gelegenheiten geben. Er drehte sich um und stapfte durch den Schnee zurück in Richtung Straße, wo die anderen bereits eifrig damit beschäftigt waren, Lucien zu helfen. Sobald er den Weg erreichte, bemerkte er auch, was Syle aufgeschreckt hatte. Andres Streitmacht war fast hier. Die Späher waren also wirklich nur eine kleine Vorhut gewesen. Der endlose

Strom aus grau uniformierten Leibern, Gewehren und hielt im Eiltempo auf den schmalen Pass Zwischen den Felswänden zu. Syle kam grade vom anderen Ende der Schlucht zurück gerannt, als die ersten Soldaten einen Fuß hinein setzten. ,, Lucien, wir haben keine Zeit mehr !“ , rief er gehetzt. Der kaiserliche Agent sah nur einen Moment von seiner Arbeit auf. ,, Das wird nicht reichen.“ , erklärte er seltsam nüchtern. Tatsächlich, dachte Quinn, hatte er den Mann noch nie so ernst erlebt. ,, Wenn wir die jetzt zünden gibt es vielleicht ein paar Felsschläge, aber der Pass ist damit niemals völlig blockiert.“ , erklärte

Lucien. ,, Das ist immer noch besser als nichts, wir müssen hier weg. Los jetzt alle, packt zusammen was ihr habt und dann raus. Lucien, wir…“ ,, Geht schon vor.“ Der kaiserliche Agent hatte sich ein paar weitere mit Schwarzpulver gestopfte röhren genommen, zusammen mit einem Stück Holz. ,, Ich habe noch ein paar Minuten.“ ,,Seid ihr Wahnsinnig ?“ , fragte Tamyra. ,,Praktisch. Wenn das nicht klappt, sind wir ohnehin alle erledigt. Ich komme schon irgendwie rechtzeitig raus. Und es ist nicht so, das ihr mich davon abhalten

könntet. “ Er lächelte schwach und sah noch einmal zurück. ,, Das wird gleich ziemlich laut. Quinn… wärt ihr so freundlich…“ Lucien hielt das Holzstück hoch. Der Zauberer schloss die Augen und ließ eine kleine Flamme entstehen, welche die Fackel entzündete. ,, Seht zu, das ihr es rechtzeitig schafft,“ , brummte er. ,, Ich habe noch geschworen euch die Haut abzuziehen.“ ,, Wenn wir das Überleben, mein Freund, könnt ihr machen was ihr wollt.“ Lucien zwinkerte, bevor er schließlich losrannte und zwischen den Felsen verschwand. ,, Dieser Kerl ist irgendwann mal derart

auf den Kopf gefallen…“ , murmelte Syle, bevor er allen das Zeichen zum Aufbruch gab. ,, Sehen wir zu, das wir so viel Abstand wie möglich zwischen uns und Andres Leute bringen.“ Rasch wurde alles eingesammelt, was sich mitzunehmen lohnte. Rucksäcke wurden geschultert, verwundete auf hastig improvisierte Tragen gelegt… Allgemein brauchten sie länger, als Quinn gehofft hatte. Aus dem Pass klang nichts als Stille zu ihnen. Was wenn Lucien es nicht schaffte und erwischt wurde, bevor er die ersten Sprengladungen noch zünden konnte? Er machte sich doch nicht wirklich Sorgen um diesen Irren…

Syle gab grade den Befehl zum Aufbruch, als ein gewaltiger Donnerschlag sie alle für einen Augenblick taub machte. Staub und Steinsplitter wirbelten auf und hüllten den Zugang zum Pass in Dunkelheit. Die Druckwelle der Explosion fegte über sie hinweg und löste oben am Hang mehrere kleine Lawinen aus. Bevor auch dort die platzierten Sprengsätze hochgingen und einen Erdrutsch auslösten, der sich wie ein Wasserfall aus Eis und Stein in die Schlucht ergoss… Quinn betete, das es ausreichte. Alle hatten in der Bewegung inne gehalten und starrten auf die Staubwolken, die

aus dem Pass quollen. Schreie von Verwundeten und Sterbenden mischten sich unter das rieseln von Erde. Offenbar hatte Lucien gewartet, bis die ersten Männer aus Andres Heer sich bereits im Pass befanden… Dann jedoch zeichneten sich tanzende Schatten im Staub ab. Quinn sah, wie alle zu ihren Waffen griffen und auf den Durchgang richteten. Dann wankte eine einzelne Gestalt aus dem Dunst. Lucien grinste, mit Dreck verschmiert und von Schrammen übersäht, aber, am Leben. ,, Und, wer ist der beste ?“ , rief er über die Köpfe Irgendwann bring ich ihn um, sagte

Quinn sich. Irgendwann. Nur nicht heute. Heute, hatte er sie alle gerettet. Als sich der Staub lichtete, konnten sie alle die schweren Felsbrocken sehen, die den Pass fast bis doppelte Mannshöhe aufgefüllt hatten. Aber würde es wirklich reichen? Quinn hatte seine Zweifel. Die Armee würde das Hindernis beseitigen müssen, ja. Aber er hatte gesehen, wie viele es waren. Früher oder später, wenn sie sich wieder gesammelt hätten, würden sie sich einfach durchgraben… ,, Wir können hier nichts mehr tun.“ , meinte er. ,, Aber das wird sie eine ganze Weile bremsen. Sehen wir zu, das wir zur Ordensburg zurück kommen.

Vielleicht hat Kiara ja eine Idee.

Kapitel 19 Krieg


Ihre Rückkehr war keine Glückliche. Der Zug aus Verletzten und verdreckten Zauberern und Gejarn, die sich durch das Tal in Richtung Burg schleppten, bot ein jämmerliches Bild. Quinn versuchte trotzdem, irgendwie den Kopf oben zu behalten. Sie hatten keine totale Niederlage erlitten. Aber sie hatten auch nicht wirklich viel gewonnen. Während der letzten Stunden hatte er die erbärmlichen Überreste seiner Kraftreserven dazu aufgewendet, einige der am schwersten Verletzten Männer am

Leben zu erhalten und war er schon bei der Schlacht am Pass zu Tode erschöpft gewesen, hielt ihn jetzt nur noch sein eigener Wille aufrecht. Er würde nicht wie so viele der anderen einfach auf der Straße zusammenbrechen. Selbst der Anblick der grünen Bäume im Tal und die Wärme der Sonne taten wenig dazu, die Stimmung der Leute wieder zu heben. Der einzige, der guter Laune war, blieb Lucien. Der kaiserliche Agent war beinahe euphorisch, nachdem er aus dem Pass entkommen war. Was allerdings auch nicht wirklich etwas Neues war, dachte Quinn, während er sich ein paar graue Haare aus der Stirn strich. Die Folge, die sein Zauber mit

sich gebracht hatte. Vielleicht würde er sich noch einmal erholen, vielleicht auch nicht. Es spielte kaum eine Rolle, denn wie es aussah blieb ihnen ohnehin nicht mehr viel Zeit. Kiara wartete schon zusammen mit Melchior und Fenisin auf sie, als sie den Burghof betraten. Hätte ihm jemand vor einigen Monaten gesagt, das er einmal all seine Hoffnungen in die nächsten Worte dieser Frau setzen würde, er hätte denjenigen für Verrückt erklärt… und dann vermutlich wirklich in den Wahnsinn getrieben. Sie hatten bereits Boten vorausgeschickt, die von der Katastrophe am Pass berichtet hatten. Von Achtzig Männern, die ausgezogen

waren, die Bergstraßen zu blockieren kehrten nur knappe sechzig zurück, darunter mehr als einer so schwer Verwundet, das er wohl nie wieder auf dem Schlachtfeld stehen würde. Kiara Vanir stand, die Hände zusammengefaltet, auf einem Treppenabsatz, der hinauf in die Festung führte. Ihre grünen Augen blickten ernst und freudlos über den Zug aus Verwundeten und Erschöpften, von denen sich manche einfach auf den Erdboden fallen ließen, sobald sie die Sicherheit der Burgmauern um sich wussten. Rasch kam die Zauberin die Stufen hinab und erteilte denen, die noch stehen konnten, Anweisungen.

Einige Zauberernovizen, die in der Burg geblieben waren, wurden ausgeschickt heißes Wasser fertig zu machen und Tee und Rum aus den Kellern heranzuschaffen. Quinn lehnte sich lediglich gegen die Wand des Stalls, der direkt hinter dem Tor lag und schloss einen Moment die Augen. Er war genau so müde, wie die anderen und hätte auf der Stelle einschlafen können. Trotzdem zwang er sich, noch etwas länger Aufmerksam zu bleiben. Syle gesellte sich zu ihm, auf sein Gewehr gestützt. Der Gejarn sah kaum besser aus, als er selbst, wenn Quinn das beurteilen konnte. Das letzte, was er jetzt brauchen könnte, wäre irgendein

Kommentar des ewig mürrischen Kriegers. Wenn er nicht die Schnauze hielt, würde er den Rest seiner Energie darauf aufwenden, ihm das Fell vom Fleisch zu brennen. Nicht, das er dazu in der Lage gewesen wäre, dachte Quinn bitter. In seinem desolaten Zustand könnte er nicht mal ein Staubkorn entzünden. ,,Das war gute Arbeit.“ , meinte der Bär und zwischen der Erschöpfung und Niedergeschlagenheit meinte Quinn tatsächlich so etwas wie Anerkennung zu hören. ,, Ohne euer Eingreifen hätten wir den Pass verloren, bevor wir dazu gekommen wären, auch nur einen Sprengsatz einzusetzen. Und das gilt

auch für euch alle. Gute Arbeit.“ Quinn nickte nur. Damit hatte er zwar nicht gerechnet, aber immerhin, es war besser, als sich Vorwürfe machen zu lassen. Auf eine Art Verstand er Syle auch. Sie waren schon am Boden zerstört. Jetzt, hieß es, wieder aufbauen, was möglich war. ,,Wir haben versagt,“ , warf Tamyra düster ein. Und Lucien schwieg zum Glück ausnahmsweise einmal. ,, Wir haben Zeit gewonnen.“ , korrigierte Syle sie. ,, Das ist nicht ganz, was wir wollten, aber auch weit von versagt. Wir haben versagt, wenn uns Andres Leute den Waffenlauf in den Nacken setzten, vorher

nicht.“ Der Zauberer erwiderte nichts. Irgendjemand drückte ihm einen dampfenden Becher mit Rum versetzten Tee in die Hand. Quinn trank ohne nachzudenken einen Schluck und spürte, wie sich die Müdigkeit dabei zumindest etwas von ihm hob. Etwas, das wohl nicht nur ganz auf das Getränk zurückzuführen war, dachte er und untersuchte den Tee kurz. Wie er sich Gedacht hatte lag eine kaum wahrnehmbare magische Aura darum. Ein simpler Zauber, vermutlich von Kiara, der nicht nur Wärme sondern auch etwas Mut wecken sollte. Es war manipulativ, praktische in

Aufputschmittel… aber manchmal hatte man keine andere Wahl, dachte Quinn, als die Leute zu ihrem besten zu zwingen. Er trank den Becher in einem Zug aus und fühlte direkt, wie die Magie ihn etwas aufrichtete. Er wusste, es war nur ein Illusionsspruch, aber das verhinderte die Wirkung nicht. Und er konnte es gebrauchen. Kiara war indessen alleine auf ihren Platz an der Treppe zurückgekehrt, während Melchior und Fenisin die Verluste zählten. Der Wolf schüttelte nur den Kopf, als eine seiner Leibwachen aufbegehrte. ,, Wir haben fast die Hälfte unserer Leute verloren, Ältester.“ , erklärte er

aufgebracht, aber genau so erschöpft wie die anderen. Ihm fehlte die Kraft für echte Wut. ,, Und das alles, weil wir getan haben was diese… Leute von uns verlangt haben. ,,Sie haben genau so große Verluste erlitten, wie wir.“ , erklärte Fenisin nur kalt. ,,Und ich will auch nichts mehr davon hören, verstehen wir uns soweit? Es war uns allen klar, das wir ein Risiko eingehen. Wenn das bei euch nicht der Fall war, schlage ich vor, ihr sucht euch eine andere Beschäftigung und kehrt in die Herzlande zurück.“ ,, Wie ihr wünscht, Ältester. Verzeiht…“ Der Mann wendete sich betreten ab, während Fenisin sich abwendete um mit

den anderen Überlebenden zu sprechen. Melchior hingegen hatte sich nur in eine Mauerecke zurückgezogen und beobachte alles. Den dunklen Augen, die halb hinter grau-schwarzen Haarsträhnen verborgen waren, schien nichts zu entgehen. Offenbar fiel ihm auf, das Quinn ihn beobachtete. ,,Wollt ihr etwas, Zauberer ?“ , fragte er. Trotz der groben Wortwahl klang es überraschend höflich. ,,Wir kennen uns.“ , sagte Quinn nur. ,,Ich weiß. Ich wusste auch, dass ihr in Vara überlebt habt. Sagt mir, wisst ihr auch wie ihr sterben werdet ?“ ,, Im Augenblick würde ich sagen, durch eine Gewehrkugel aus den Schmieden

Silberstedts. Ich bin wirklich nicht zum Rätselraten aufgelegt, Seher.“ ,, Das spielt keine Rolle. Ihr werdet euren Part ja ohnehin spielen, so oder so.“ ,, Dafür brauche ich auch nicht in die Zukunft sehen können… Melchior. Wir sitzen hier alle fest. Wenn wir fliehen, überrennen Andres Leute die Herzlande direkt. Und erwischen uns vermutlich auf halbem Weg durch die Ebene. Wenn wir bleiben…“ Er kam nicht weiter, denn in diesem Moment ergriff Kiara das Wort. Sie hatte allen etwas Zeit gegeben, sich zu sammeln. Jetzt jedoch, dachte Quinn, musste sie sie wieder aufbauen. Ein Zauber allein reichte

dafür nicht. Er und der Seher wendeten sich der grauhaarigen Gestalt auf der Treppe zu. Sie war auf die ferne vielleicht eine zierliche Frau, aber Quinn wusste nur zu gut, das sie furchteinflößend sein konnte, wenn sie es wollte. In diesem einen Moment wirkte sie mehr wie eine Kriegsherrin, denn eine alternde Magierin. ,, Viele von euch, haben mich heute bereits um Rat gefragt.“ , begann sie. ,, Viele haben auch ihre bedenken geäußert, das wir fliehen müssen. Wenn Andres Armee die Pässe schließlich überwindet, werden wir uns ihm nicht entgegenstellen können. Zumindest nicht lange. Ich fürchte das

stimmt.“ Stille legte sich über den Platz. Quinn war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Kiara wollte doch nicht wirklich Vorschlagen, das sie sich aus der Burg zurück zogen? ,, Das stimmt,“ , fuhr sie fort, ,, Wenn wir kämpfen wie wir es gewohnt sind. Am Pass habt ihr euch Andres Soldaten… diesem Aristokratenbund direkt gestellt und auch wenn es nur ein Spähtrupp war… Wir haben Verluste erlitten, die wir nicht wieder ausgleichen können. Und wir können uns keine weiteren leisten. Aber verlassen wir jetzt unsere angestammte Heimat… gibt es auch niemanden mehr, der sich Andre in

den Weg stellt. Hochgeneral Dagian Einher hat uns verraten. Die Garde kann uns nicht zur Hilfe kommen. Und wir müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass unser Kaiser tot ist. In Anbetracht dessen kann ich auch niemanden bitten, hier zu bleiben. Wenn wir jedoch noch mehr Leute gehen… können wir gar nichts mehr ausrichten. Es gibt also nur eine Frage, die ich euch stellen muss, weil ich sie nicht alleine treffen kann. Ergeben wir uns? “ Erneut viel Stille, nur unterbrochen von leisem Getuschel über den Burghof. ,,Sie wird sterben.“ , bemerkte Melchior neben Quinn, als wäre es die normalste Sache der

Welt. ,, Ihr könnt so etwas nicht wissen.“ , antwortete der Magier nur und versuchte dabei zu verhindern, das seine Stimme zitterte. ,,Jeder der gehen will“ , fuhr Kiara derweil fort. ,, Tut das jetzt. Aber überlegte es euch gut. Denn danach… werde ich niemanden mehr gehen lassen. Ich brauche nur diejenigen unter euch, auf die ich mich verlassen kann.“ ,, Nichts ist jemals wirklich sicher. Das mag sein.“ Der Seher sah zu der wartenden Gestalt an der Treppe hinauf. ,, Nur eines ist klar, wenn sie nicht bald etwas tut, ist dieser Burghof gleich leer… Auch dazu muss man kein Seher

sein.“ Melchior nickte in Richtung einer kleinen Gruppe Gejarn und Zauberer, die bereits ihre Sachen zusammensuchten. Quinn wusste, das der Mann Recht hatte. Aber sie konnten niemanden zum bleiben zwingen. Selbst wenn sie es versuchten, diejenigen, die fliehen wollten, würden bei erster Gelegenheit einfach desertieren und sie hätten nicht einmal genug Leute um ihnen dann nachzuspüren. Quinn spürte, wie Kiaras Blick zu ihm wanderte. Was sollte er den tun? Wenn es nach ihm ginge, würde er die Leute, die ihre Sachen zusammenpackten am Tor aufhalten… Aber das konnte er nicht. Wenn, dann musste er sie überzeugen. War es das,

was Melchior gesehen hatte? Denn er konnte sich nicht vorstellen, das Kiara die Burg verlassen würde, selbst dann nicht, wenn sie alleine hier zurück blieb. Aber er war müde… Quinn löste sich langsam aus der Menge und trat zu der ordensoberen auf die Treppe. ,, Ich werde garantiert nicht davon laufen.“ , rief er laut genug, das es alle hören mussten. Es kostete ihn das meiste, was er noch an Kraft hatte. ,, Im Gegenteil, ich habe vor, unserem Feind eine Lektion zu erteilen. Einem Feind, der einen Jahrhunderte wehrenden frieden gebrochen hat. Einem, der nicht aufgeben wird, bis ganz Canton vor

einem neuen Herrscher kniet. Und wir werden uns nicht davor Verstecken können.“ Er sah in Richtung der Gejarn am Tor. ,, Flieht von mir aus in eure Wälder, ich fürchte, Andre wird sie in Brand stecken und euch heraus treiben, bis ihr ihm die alleinige Treue schwört. Ich war in Silberstedt. Ich habe die Bergwerke gesehen. Ich habe die Arbeiter dort gesehen. Und ihr habt davon gehört. Dieser Mann wird euch nicht den Schutz gewähren, den Kellvian euch gibt. Er wird euch in Ketten legen , versklaven, und keiner von euch das Sonnenlicht je wieder sehen, es sei den in euren Träumen. Wenn euch das nicht Grund genug ist, sollte ich euch

vielleicht erzählen, das dieser Bastard langsame Arbeiter an sein… Haustier verfüttert. Eure Ältesten, eure Kinder, eure Kranken, werden sterben. Eure Clans… ausgelöscht. Es sei den wir stellen uns ihm hier in den Weg.“ Die Wut verlieh ihm jetzt neuen Antrieb. Und die Wahrheit in seinen Worten tat ihr übriges. Quinns Blick wanderte weiter zu den Zauberern, die zum Aufbruch rüsteten. ,, Und ihr… Blutsverräter. Simon Belfare selbst legte das Schicksal der Magie in diesem Land in die Hände des Ordens. Wir haben Andre bereits herausgefordert. Glaubt ihr, wegzurennen ändert daran noch etwas?

Er wird den Orden auslöschen und jagen, wie er die Clans jagen wird. Andre de Immerson kann gar nicht anders, als jede andere Macht neben seiner auszulöschen, wenn er die Kaiserkrone will. Lauft, versteckt euch… Es ist mir gleich. Nur wenn ihr euch dann in Höhlen und Wäldern verkriecht und euer Leben als freie Zauberer fristet… erinnert euch immer an meine Worte. Den ich sterbe lieber als das zu erdulden. Und ich für meinen Teil habe auch nicht vor, irgendetwas davon zuzulassen. Noch liegt es in unserer Hand. Können wir Andre nicht aufhalten, nun so sei es. Aber wir können ein Stachel in seinem Fleisch sein. Eine Angst, an die man

sich auch noch in tausend Jahren erinnert, wenn unsere Gebeine längst in ihren Gräbern vermodern. Kiara hat Recht. Auf konventionelle Weise werden wir alle sterben. Aber ich habe nicht vor auf so etwas wie Ehre oder Konvention Rücksicht zu nehmen. Das habe ich noch nie getan und ich fange ganz sicher nicht jetzt damit an. Für Ehr ist Platz auf einem ausgeglichenen Schlachtfeld. Hier jedoch geht es um unser aller Überleben. Andre oder wir, eine andere Möglichkeit gibt es heute an diesem Tag für uns nicht. Die Armee wird langsam sein, wenn sie sich durch die Berge schleppt. Ihr Heerführer weiß, dass er die Burg

einnehmen muss, wenn er die Pässe untersichere Kontrolle bringen will. Wir haben noch Zeit. Und ich sage euch, die werden wir nutzen. Will unser Feind rasten, schneiden wir ihm im Schlaf die Kehle durch, sobald seine Augen zufallen. Will er essen, werden seine Vorräte vergiftet oder gestohlen sein. Kommt er an einen Engpass lösen wir einen Erdrutsch aus, der seine Nachhut unter sich begräbt. Ich will ihn nicht besiegen, ich will dass Andre uns fürchten lernt. Seine Soldaten sollen nicht mehr wissen, wo wir angreifen oder wann. Nur das es jederzeit passieren kann. Die Zahlen

werden so bedeutungslos sein.“ ,, Und ihr glaubt das reicht ?“ Es war Syle. In den Augen des Gejarn lag ein seltsames glitzern und er lächelte schwach. Offenbar war die Frage nur beiläufig gestellt. Quinn wusste, das er heute zumindest einen Verbündeten. Und einen neuen Freund. Die Idee gefiel ihm. ,, Nein. Wir sind knapp fünfzig gegen eine Armee von mehr als dreißig tausend Mann. Ich mache euch keine falschen Hoffnungen. Komplett aufhalten werden wir sie sicher nicht. Aber verlangsamen. Jeder Soldat, den wir töten ist einer, der nicht mehr nach Canton gelangt um dort Schaden anzurichten. Wir können nicht

siegen… Aber verflucht, wir können sie für jeden Fuß Boden mit ihrem Blut bezahlen lassen. Wer ist mit mir?“ Tosende Zu und Hochrufe wuschen die letzten Zweifel hinfort. Alle Zauberer ließen ihr Gespräch wieder allen und auch die Gejarn drehten sich nach einem letzten, getuschelten, Gespräch wieder um und kehrten in den Hof zurück. Quinn sank erschöpft auf den Stufen zusammen. Götte, er fürchtete, sich grade zum Heerführer gemacht zu haben. Nun, … so sei es. Kiara legte ihm eine Hand auf den Arm, ,, Ich wusste gar nicht, das ihr reden Schwingen könnt.“ Oh doch, das hatte sie, dachte er.

Verflucht, es würde ihn nicht einmal wundern, wenn sie sich mit Melchior abgesprochen hatte, um ihn hierzu zu zwingen. Quinn wischte die Hand auf seiner Schulter fort. Was hatte er eben noch gedacht. Manchmal musste man die Leute zu ihrem besten manipulieren. Nur das das auch auf ihn zutraf, wollte ihm gar nicht gefallen. Er würde kein Werkzeug sein, er wollte nur Überleben. Und endlich schlafen…

Kapitel 20 Maras


,,Sind das nicht unsere Schiffe ?“ Cyrus deutete auf zwei große Segel, die sic aus einer Bucht am Rand der Insel erhoben. Das waren sie tatsächlich. Aber für den Moment hätten sie ohnehin keine Verwendung dafür. Am Morgen war ihr Ziel endlich in Sicht gekommen. Das Land, das die Magier Helikes für sich in Anspruch genommen hatten, bestand weitestgehend aus gewaltigen Wäldern, die einen Bergrücken im Zentrum der Insel einschlossen. Auf einer Seite lief das Land in einem Haken aus und formte

so eine Art natürlichen Hafen, an dem offenbar bereits fleißig gearbeitet wurde. Kellvian entdeckte mehrere Gebäude, die sich an einen ausgetretenen Pfad die Küste entlang zogen. Dazu gab es einige Felder, für die man große Schneisen in den Wald geschlagen hatte und auf denen bereits die ersten noch grünen, Weizenhalme standen. Relina verschwendete offenbar wirklich keine Zeit, dachte Kellvian. Und so weit er das auf die Entfernung beurteilen konnte, schien alles in Ordnung zu sein Einige Punkte, die wohl Menschen darstellten, arbeiteten auf den Feldern, fischten am Wasser, oder zogen mit Werkzeugen los in Richtung der Wälder um Holz zu

schlagen. Aber warum hatte man sie dann gerufen? Eine Mole oder einen Landungssteg gab es nicht. Sie gingen in der Bucht vor Anker und setzten dort die Beiboote ab, um das letzte Stück bis an Land zu rudern. Das fremde Schiff, an der Küste, war wohl niemanden entgangen, dachte Kellvian, als er in Richtung Ufer sah. Dort hatten die meisten inzwischen ihre Arbeit eingestellt und standen in langen Reihen am Strand entlang verteilt. Manche erkannten die Windrufer wohl noch aus Helike wieder, andere hingegen musste ein fremdes Kriegsschiff wohl äußerst nervös machen. Mehrere, in Roben gekleidete, gestalten standen

zwischen den Arbeiter. Das mussten wohl die Zauberer sein, die ebenfalls aus der Stadt der Archonten geflohen waren. Kell stand halb aus dem Boot auf. Das Ufer war zu weit entfernt, um ihnen etwas zuzurufen, aber wenn sie einfach weiterruderten, könnte einer der Männer und Frauen die Nerven verlieren. Und das wiederum könnte äußerst unangenehm werden. ,,Haben wir irgendetwas hier , womit wir ihnen bedeuten das wir keine bösen Absichten haben ?“ , fragte er an Eden gerichtet. Die Gejarn saß im Heck des Boots und schien ganz in Gedanken versunken. Cyrus bemerkte es auch. ,, Eden… ?“

Der Wolf hatte es sich nicht nehmen zu lassen, sich zu bewaffnen. Was Angesichts der Tatsache, das sie sich beim letzten mal nicht grade gütlich getrennt hatten wohl nicht die schlechteste Idee war. Ein Kurzschwert und eine Axt klirrten an seinem Gürtel, als er sich zu Eden umdrehte. ,, Was ?... Ach ja… Moment.“ Die Kapitänin nahm ein weißes Stück Tuch zur Hand und Band es an eines der freien Ruderstangen, bevor sie es in die Höhe hielt. ,, Das ist aber keine Garantie.“ , fügte sie hinzu. Doch spätestens, als die Rümpfe der Landungsboote sich in den Sand der Küste gruben, wussten sie dass es

funktionierte. Kell trat langsam und mit ausgestreckten Armen auf den Strand hinaus. Die anderen folgten ihm, ebenso sorgsam darauf bedacht, niemanden einen Grund zu geben, sie als Bedrohung zu sehen. ,,Verzeiht.“ , meinte Erik, als er die aufgeregten Gesichter um sich herum sah. ,, Wir hätten uns ja angekündigt, aber ihr versteht sicher, das das im Augenblick nur schwer möglich ist.“ ,,Wer seid ihr ?“ , wollte ein Mann mittleren Alters wissen, der eine schwere Axt über der Schulter trug. ,, Wir haben euer Schiff schon vor ein paar Stunden entdeckt. Aber offenbar… seid ihr nicht hier um Ärger zu machen. Solange das

so bleibt… Erklärt was ihr wünscht und wir werden sehen ob man etwas für euch tun kann.“ ,,Mein Name ist Kellvian, Kellvian Belfare, das sind, Jiy, Eden, Cyrus, Erik und Zachary.“ Er deutete der Reihe nach auf seine Gefährten. ,, Wir sind hier, weil wir Relina sprechen müssen. Sie hat uns eine Nachricht geschickt und offenbar war es wichtig.“ ,, Diese Frau muss so etwas doch mit uns absprechen.“ , protestierte einer der Magier da. ,, Sie kann nicht einfach Briefe über unseren Aufenthaltsort an irgendwelche Fremden schicken.“ ,, Fremde, trifft es vielleicht nicht ganz.“ , meinte Jiy. ,, Kellvian war es

doch, der euch eure Unabhängigkeit Seitens des Kaiserreichs erst zugesichert hat.“ Der Mann seufzte. ,, Wenn Relina euch traut… Sie müsste irgendwo auf der Nordseite der Insel sein.“ Er deutete den Strand entlang. ,, Folgt einfach den Pfaden. Und vergesst nicht: Wir behalten euch fürs erste im Auge. Bis sie nicht sagt, das ihr in Ordnung seid, tut besser einfach, was man euch sagt.“ Die sechs beeilten sich, vom Strand wegzukommen. Die Leute dort verstreuten sich langsam und gingen wieder zurück an ihre Arbeit. Manche folgten ihnen auch ein Stück den Weg entlang, den man ihnen gewiesen hatte.

Sie passierten einen Felsüberhang,, den man zu einem großen, aber primitiven Verschlag erweitert hatte und mehrere Blockhütten, die entlang des Pfads hochgezogen wurden. Kellvian sah sich erstaunt darüber um, wie viel die Rebellen in den wenigen Wochen bereits geschafft hatten. Auf der Hakenförmigen Landzunge, welche die Bucht abschloss, ragte bereits eine halbfertige Mühle in die Höhe und die Felder, die sie bereits vom Schiff aus gesehen hatten, waren größer, als er anfangs gedacht hatte. Der Weg, dem sie folgten ging von bloßer Erde zu Schotter und Kieseln über, die man säuberlich in einer Erdfurche ausgestreut hatte. Eine

richtige Straße, stellte Kellvian erstaunt fest. Zwar immer noch mit den beschränkten Mitteln errichtet, die den Leuten hier im Augenblick zur Verfügung standen, aber nichts desto trotz. Der Kiesweg beschrieb einen Bogen auf eine große Lichtung hinaus, die man in den Wald geschlagen hatte. Dort weitete er sich zu einem runden Platz, an dessen Nordende sich die ersten Grundrisse eines weiteren Gebäudes abzeichneten. Bisher waren nur die Erdarbeiten abgeschlossen, dennoch, offenbar würde es eine der bisher größten Bauten auf der Insel werden. Eine Versammlungshalle vielleicht ? , fragte er sich. An einem Mast hinter der

Baustelle wehte eine Flagge mit einem grünen Stern darauf. Dutzende Arbeiter waren emsig damit beschäftigt, Bauholz heranzukarren oder Steine, die man wohl bei den Bergen in der Inselmitte losgebrochen hatte, zu brauchbaren Formen zu schlagen. Offenbar würde dies der erste Bau werden, für den etwas anderes als Holz verwendet wurde. An anderer Stelle wurde bereits Kalk und Sand mit Wasser zu Mörtel vermischt und die ersten Grundmauern hochgezogen. Zwischen den geschäftig hin und her eilenden Arbeitern vielen Kellvian und die anderen kaum auf, als sie sich umsahen. Das musste wohl sein, wohin sie der

Mann am Hafen hatte schicken wollen. Er trat zwischen einigen Steinträgern hindurch auf die Baustelle hinaus. Relina stand gut hundert Schritte entfernt, in den abgesteckten Umrissen der Halle. Steinstaub und Sägemehl hatten sich als heller Puder über die Kleidung der Schakalin gelegt, trotzdem strahlte sie nach wie vor eine nicht zu übersehende Autorität aus. In den Händen hielt sie einen großen Bogen Pergament, auf dem sich die Zeichnungen für den Bau befanden. Offenbar beaufsichtigte sie die Arbeiten hier selbst. Die Gejarn ließ die Papiere jedoch sinken, als sie Kellvian und die anderen bemerkte, die auf sie

zukamen. ,,Ich fürchtete schon, ihr würdet nicht mehr kommen.“ , meinte sie. ,, Wie ihr seht, haben wir hier alle Hände voll zu tun.“ ,, Ich bin erstaunt, was ihr hier in der kurzen Zeit alles aufgebaut habt.“ Kellvian sah von der Baustelle zurück über den Pfad am Strand zu den Holzhütten und Feldern. ,, Die Leute arbeiten besser, wenn sie alle ein gemeinsames Ziel haben.“ Ich war mir nicht sicher, ob ihr meine Nachricht auch erhalten habt.“ , meinte sie, während sie ohne Eile die Baupläne zusammenfaltete. ,, Die Nachricht schon.“ , erwiderte

Erik. ,, Nur was passiert ist, habt ihr wohl vergessen, Kellvian auch mitzuteilen.“ ,, Es gibt eine Reihe von Gründen.“ , antwortete die Zauberin ausweichend. Sie bedeutete ihnen, ihr, ein Stück zu folgen und ging den Pfad zurück an den Rand der Lichtung. ,, Einer davon ist, das Maras eine geregelte Regierung braucht. Im Augenblick können wir uns noch ganz gut selbst organisieren, aber spätestens nach dem ersten Winter brauchen wir Leute, die das Land Verwalten.“ ,,Maras ?“ , fragte Jiy. ,, Das ist der neue Name, auf den wir uns für die Insel geeinigt haben. Genau

wie auf die Flagge.“ Sie deutete auf den grünen Stern. ,, Es braucht noch etwas feinschliff, aber ansonsten bekommen wir langsam zumindest unsere eigenen Hoheitszeichen zusammen. „ ,,Warum eigentlich Maras ?“ , fragte Zachary da.,, Hat es irgendeine Bewandtnis damit ?“ ,,Irgendjemand meinte, es würde in der Clansprache so etwas wie Neuanfang bedeuten.“ Jiy schüttelte den Kopf. ,, Fast richtig, aber nicht ganz. Es bedeutet Wandel.“ ,, Ein genau so guter Name.“ , fand Erik und schlug einmal in die Hände. ,, Ihr habt also vor eine Regierung zu bilden ? Wann

?“ ,,Jetzt wo ihr hier seid, so bald wie möglich.“ , antwortete Relina. Kellvian runzelte die Stirn. ,, Was haben wir den damit zu tun ?“ Er wollte sich ganz sicher nicht in die Politik von Maras einmischen. Das sollten die Magier und Abtrünnigen Helikes unter sich ausmachen. Selbst wenn er ihnen irgendetwas vorschreiben wollte, würden das kaum alle akzeptieren. Und er fürchtete, genau darauf könnte es hinaus laufen. ,, Ich werde ihnen nicht einfach Befehlen, irgendetwas zu tun. Die Insel mag im gebiet des Kaiserreichs liegen, aber ich habe euch jeden Anspruch darauf

abgetreten.“ ,, Und genau darum geht es.“ ,, Unser Abkommen ist nach wie vor gültig, Relina. Ich habe ganz sicher nicht vor, es irgendwann zurück zu ziehen. Eigentlich hoffe ich sogar, das Canton und…Maras, dauerhaft Verbündete werden können. Mehr Feinde brauche ich im Augenblick wirklich nicht.“ ,,Gut, würdet ihr das auch noch einmal vor unserem Rat wiederholen ? Nur… zur Beruhigung.“ Relina blieb am Ende des Kieswegs stehen, dort wo wieder der ausgetretene Pfad weiterführte. Kellvian wusste nicht, wieso, aber er hatte plötzlich ein schlechtes Gefühl. Sie

erzählte ihm nicht alles, dachte er bei sich. Irgendetwas war noch an der Sache dran. Aber er wüsste beim besten Willen nicht was. ,, Natürlich.“ , hörte er sich schließlich selber sagen, bevor die Stille zu lang werden konnte. ,, Aber wir haben die Reise hierher doch nicht nur deshalb auf uns genommen ? Das hätte ich euch auch über einen Boten ausrichten können. Ihr habt die Urkunde über dieses Land mit Brief und Siegel. Warum habt ihr uns also noch rufen lassen?“ Er wusste nicht, ob er die Antwort wirklich wissen wollte. Es musste noch mehr Schwierigkeiten als bloße Regierungsfragen geben, Die würden

sich auch ohne sie lösen lassen.“ ,, Weil ihr mir euren Freund von dieser Insel schaffen müsst.“ , antwortete die Gejarn, plötzlich einen bitteren Unterton in ihrer Stimme. ,, Ich weiß ja nicht, wieso er sich ausgerechnet zu uns an Bord gestohlen hat. Verflucht ich hätte ihn beinahe umgebracht.“ ,,Freund ?“ , fragte Eden. Auf dem Weg hierher hatte die Gejarn kaum auf ihre Umgebung geachtet, scheinbar tief in Gedanken. Jetzt jedoch sah sie zum ersten Mal auf. ,, Von wem sprecht ihr ? Wir sind alle hier. Und so weit ich weiß, vermissen wir auch niemanden.“ Kellvian nickte. Gleichzeitig lief es ihm jedoch eiskalt den Rücken hinab. Und

ob. Sie vermissten jemanden. Aber das war nicht möglich. Sie hatten ihn alle sterben sehen… Nur, stimmte das nicht ganz, dachte er. Sie hatten alle gesehen, wie er zu Boden gegangen war, ja. Aber in dem ganzen durcheinander, das danach folgte, hatte niemand sicher gehen können. Und seine Leiche war verschwunden. Von den Flammen verzehrt, die den Hafen verwüstet hatten, zumindest, war Kellvian davon ausgegangen. Aber wenn nicht… Trotzdem es schien unmöglich, dass er Überlebt hatte, so gerne er das glauben würde. Relina musste jemand anderes meinen. Oder ? ,, Wer ?“ , zwang er sich zu Fragen und

versuchte, seine Stimme dabei ruhig zu halten. ,, Wer ist hier, Relina ? Schluss mit den Spielchen.“ ,, Zyle.“ , antwortete die Gejarn-Zauberin. ,, Ich dachte ihr wüsstet…“ Sie verstummte und sah verwirrt in die Runde, die sie mit ebenso großer Fassungslosigkeit anstarrte. ,, Ihr wusstet also nicht, das er noch lebte ? Ich meine, ich habe gesehen, wie er verletzt wurde. Aber wenn ihr ihm nicht geholfen habt an Bord der Schiffe zu gelangen, wie…“ ,,Bringt uns nur zu ihm.“

Kapitel 21 Totgeglaubt


Es war seltsam, plötzlich einem Toten gegenüberzustehen. Relina hatte auf ihre Fragen nur unzureichend Antworten gehabt. Sie wusste offenbar genau so wenig wie sie, wie Zyle überlebt haben könnte. Nur das er es offenbar getan hatte. Jiy wusste nicht, was sie davon halten sollte. Ein Teil von ihr hatte es bis zu diesem Moment auch nicht geglaubt. Relina hatte sie von der Baustelle weg, zurück zur Küste geführt und von dort aus zu einer Ansammlung von Hütten, die bereits ein kleines Dorf bildeten. So

aufgeregt sie alle jetzt waren, es war schön zu sehen, das die Leute hier ihren Weg fanden. Lore war ähnlich gewesen, dachte Jiy. Weit abgelegen von den größeren Städten, hatten sie das meiste selbst hergestellt oder im Tausch mit den benachbarten Siedlungen erworben. Und sie waren so glücklich geworden. Sie schob die Erinnerungen bei Seite. Ihre alte Heimat war heute eine verkohlte Ruine, auch wenn sie sich vorgenommen hatte, den Ort eines Tages wieder aufzubauen. Und vielleicht noch mehr. Sie strich Gedankenverloren über den Goldring an ihrer Hand. Nur noch ein paar Wochen, dann würden sie endgültig nach Canton zurückkehren.

Und Kellvian hatte etwas scheinbar Unmögliches geschafft. Frieden mit Laos. Der Krieg hatte in ihrer Kindheit begonnen und war nie wirklich beendet worden. Und jetzt war es einfach so vorbei. Hätte sie Kellvian nicht schon geliebt, sie hätte sich ihm wohl trotzdem genauso verschrieben. Relina führte sie auf eine einfache Hütte, ganz m Rand der Siedlung zu. Offenbar waren die Bauten hier erst vor wenigen Tagen fertig gestellt worden. Ausgeschaufelte Erde lag herum und hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich zu setzen. Schon als sie näherkamen, öffnete sich die Tür des Hauses und ein einzelner

Mann trat heraus. Einer, den sie alle nie wieder zu sehen geglaubt hatten. Das schmutzgraue Fell ließ ihn aus einem bestimmten Winkel immer etwas abgerissen wirken. Zyle Carmine wirkte nicht wie jemand, der grade von den Toten auferstanden war, war aber sichtlich geschockt, sie alle zu sehen. Er trug ein schlichtes grünes Hemd und Hosen, in denen sich Erde und Lehm verfangen hatten. Und gab es keine Spur davon, dass er einmal tödlich Verletzt worden war. Im Gegenteil. Zyle sah unsicher zwischen ihnen allen hin und her. ,,Das gibt es nicht…“ , murmelte Jiy. ,,Glaubt mir, ich bin genau so verwirrt

wie ihr.“ Das war Zyles Stimme, ganz ohne Zweifel. Der Gejarn sah zu Relina, mit einer Mischung aus Unsicherheit und Verzweiflung. Jetzt verstand Jiy auch, wieso sie ihn unbedingt loswerden wollte. Aus Relinas Sicht, hatte Zyle sie am Hafen in Helike verraten. Er trat ohne ein weiteres Wort die Stufen vor dem Haus hinab. Einen Moment glaubte Jiy, er würde stattdessen eher in Tränen ausbrechen, dann breitete sich ein schwaches Lächeln auf seinem Gesicht aus. ,,Götter bin ich froh das ihr alle noch am Leben seid. Ich dachte ihr wärt in Helike gestorben….“ Er drückte Jiys Schulter, während er an ihr vorbei auf Kellvian zuging. ,, Was

ist passiert ? Ich… ich kann mich nur noch daran erinnern, das Wys mich verletzt hat. Danach ist da nichts mehr.“ ,,Zyle…“ , setzte Jiy an. ,, Geht es sonst allen gut.“ ,, Helike ist sicher.“ , meinte Kellvian. ,, Chonar, Cadus… und auch Laos sind jedoch tot. Wys und Jona leben und versuchen grade, die Stadt neu zu ordnen.“ ,,Jetzt hat er endlich die Gelegenheit dazu…“ Zyle zupfte sich gedankenverloren am Hemdkragen, als wäre da immer noch der Ansatz des Schnitts, mit dem Wys ihn getroffen hatte. ,,Zyle… du bist nicht nur verletzt

worden.“ , sagte Jiy. Es kostete sie Überwindung, ihre Stimme ruhig zu halten. ,, Wir dachten alle du bist tot.“ ,, Ihr wart tot.“ , erklärte Erik überzeugt. ,, Ich meine… wir haben euch alle zusammenbrechen sehen. Ich weiß, das klingt hart, aber selbst wenn ihr da noch am Leben wart… Ihr wärt niemals die Strecke bis zu den Schiffen geschwommen. Und niemand hätte euch hinbringen können. Das ist ein Trick.“ Jiy sah zu dem alten Arzt hinüber. Das meinte er doch nicht ernst. ,, Das ist Zyle, oder nicht ?“ Die Gejarn sah hilfesuchend zu den anderen. ,,Ich weiß es nicht, Jiy.“ , meinte Kellvian unsicher. ,, Erik könnte recht

haben. Trotzdem, selbst wenn... Das ist doch keine Täuschung, er steht vor uns.“ Der Mensch streckte eine Hand aus und stieß Zyle damit vor die Brust, so das er einen Schritt zurück machte. ,, Und ich spüre auch nichts, das auf einen Zauber hindeutete. Zachary, ihr ?“ Der Junge kniff die Augen zusammen, als müsste er sich sehr konzentrieren. ,, Wenig.“ , meinte er schließlich. ,, Aber das habe ich bei Laos auch nicht.“ ,,Und ich eben so wenig.“ , murmelte Kell düster. ,,Bei Laos ?“ Relina sah verwirrt von einem zum anderen. ,, Was hat der damit zu tun ? ich dachte er sei Tod…

Wieder.“ ,,Laos…“ , setzte Zyle an. Seine Stimme klang jetzt selbst besorgt. ,, War nicht ganz das, was er zu sein schien. Eine Konstruktion, mit seinen Erinnerungen, letztlich aber nicht der eigentliche Mensch. Aber… Das glaubt ihr nicht oder?“ Erik senkte den Blick. Offenbar tat es ihm bereits Leid, das Thema zur Sprache gebracht zu haben. Jetzt jedoch, dachte Jiy, gab es für keinen von ihnen ein Zurück. Sie mussten die Wahrheit wissen, egal, wie diese aussähe. ,, Es gäbe eine Möglichkeit, es herauszufinden.“ , erklärte der Arzt und öffnete die braune Instrumententasche,

die er immer mit sich trug. ,,Ich verstehe.“ Zyle streckte den linken Arm vor, erstaunlich gefasst. ,, Ich muss es ja selbst erfahren. Der Schnitt muss tief sein, Erik. Laos bestand zum Teil immer noch aus Fleisch und Blut. Nur das Skelett nicht.“ ,,Das weiß ich.“ Erik nahm ein silbernes, dünnes Messer zur Hand. Die Sonne spiegelte sich auf der Klinge. ,, Wenn ich mich irre und das hoffe ich, wird ich das nachher mit Freude nähen. Das wird wehtun…“ Zyle nickte. Jiy sah zu Kellvian. Es war die einzige Möglichkeit um wirklich sicher zu gehen, das wussten sie beide. Und doch, es war barbarisch. Warum

sagte keiner der anderen etwas dagegen? Cyrus und Eden sahen starr hin. Erik hielt den Blick zwar gesenkt, hatte die Klinge jedoch fest zwischen den Fingern. Zachary wendete den Blick ab, genau wie Relina. Und Kellvian… ,,Verzeiht uns.“ , sagte er leise. Jiy hatte genug. ,, Ihr müsst das nicht tun.“ , erklärte die Gejarn ,, Wir trauen euch auch so, Zyle. Wenn ihr sagt, ihr seid, wer ihr seid… dann glaube ich das meinem Freund.“ Sie spürte beinahe, wie alle bei ihren Worten erleichtert aufatmeten. Es war noch nicht vorbei, aber sie hatte ausgesprochen, was alle insgeheim dachten. Es wäre ein Fehler, so etwas zu

tun. Sie waren über die letzten zwei Jahre alle zu einer eingeschworenen Gemeinschaft geworden. Wenn sie sich untereinander nicht trauen konnten, wem dann? Kellvian nickte dem Arzt zu. ,,Erik, nehmt das Messer weg.“ Dieser leistete dem Befehl nur zu gerne folge, brummte etwas Unverständliches und senkte die Waffe. ,, Ehrlich gesagt, ist mir das auch lieber.“ Zyle jedoch, war schneller als der Schiffsarzt. Bevor der Alte die Klinge wieder in seiner Instrumententasche verstaut hatte, riss der Gejarn ihm diese geschickt aus der Hand. Einen Moment schien die Zeit stillzustehen, bevor er

das Messer selbst auf der Haut aus einem Arm ansetzte… und nach unten zog. Er gab keinen Laut von sich, während ein dünner Blutstrom über seine Finger floss. ,,Ich muss die Wahrheit wissen.“ , keuchte er, als er die Waffe fallen ließ. Die Wunde blutete, aber kaum so stark, wie zu erwarten gewesen wäre. Dieses Mal drehten sich alle weg, als sie den Schnitt sahen. Die Verletzung verheilte beinahe beim zusehen, aber was sie sahen, war genug. Unter Gewebe, Muskeln und Adern blitzten Metall und goldene Zahnräder, kaum größer als ein Daumennagel, zwischen denen schwach Kristalle

glühten. ,,Was ist mit mir passiert ?“ Zyle machte einen Schritt rückwärts, in Richtung Haus. Furcht blitzte in den so lebendigen Augen auf. ,,Das wissen wir nicht, Zyle.“ Jiy versuchte, ihre Stimme selber ruhig klingen zu lassen. ,, Aber wir finden es heraus, wir…“ ,,Nennt mich nicht so.“ , zischte der Gejarn. ,, Ich bin… Irgendetwas ganz anderes.“ Ja was war er eigentlich, dachte Jiy. Es spielte eigentlich keine Rolle, sagte sie sich. Sie hatte es bei Laos gesehen und jetzt hier wieder. Was ihnen hier gegenüberstand war keine schlichte

Kopie, kein… Nachbau, sondern in fast jeder Hinsicht der gleiche Mann, den sie gekannt hatten. Und doch gab es nur ein einziges Wesen auf dieser Welt, das dazu in der Lage war, die Toten auf eine solch perfide Art zurück zu bringen. Ismaiel, der Magier des Alten Volke, der sich selbst nur als Meister bezeichnete. Ein ganzer Sturm an fragen schoss durch ihren Kopf. Wozu, Wie und… Wann ? Er hatte behauptet, es koste viel Zeit, ein Wesen, wie es Lao gewesen war, zu erschaffen. Aber natürlich hatte er nach seiner Niederlage in der Lebensschmiede nicht lange gezögert. Nur wozu ? Hätte er Kellvian töten wollen, wäre das längst geschehen. Zyle hatte, mit dem Messer

in Händen, direkt neben ihm gestanden. Jiy brauchte nur in die Gesichter der anderen sehen, um zu wissen, dass sie dasselbe dachten. Sie saßen in der Zwickmühle. ,,Ihr… Ihr könnt mich nicht mitnehmen.“ , erklärte Zyle schließlich. Er schien sich wieder etwas gesammelt zu haben. ,, Verflucht, ihr solltet ein Schwert nehmen und es mir ins Herz stoßen, wenn das etwas bringen würde. Bei den Maschinenkriegern in Helike hat es funktioniert.“ ,, Ich habe mich nicht die ganze Zeit zurück gehalten, damit du dich jetzt umbringen lässt.“ Relina sagte zum ersten al etwas. Wie es aussah, nahm sie

das ganze überraschend Gelassen zur Kenntnis. Trotzdem war die Wut in ihrer Stimme jetzt nicht zu überhören. ,, Wenn ich eines weiß, dann das du der selbe Mann bist, den ich in Helike gekannt habe. Was zwar an sich nicht unbedingt etwas Gutes ist, aber…“ Sie stockte, als würde ihr jetzt erst klar, dass sie grade Zyle verteidigte. . ,, Ihr versteht schon, worauf ich hinaus will.“ ,, Vielleicht ist das grade der Trick.“ , meinte Kellvian. ,, Er will uns verunsichern. Denkt doch nach, wenn wir allein schon glauben, Zyle nicht mehr trauen zu können, dann lenkt er uns damit besser, als mit irgendetwas sonst ab. Außer natürlich, Zyle, ihr

verspürt plötzlich den Drang, ein Messer zu nehmen und euch damit auf mich zu stürzen. Dann wäre ich euch Verbunden, wenn ihr mir das jetzt mitteilt.“ Zyle lachte, es klang eingerostet und erstarb bald wieder, aber es war echt, daran hatte Jiy keine Zweifel. ,, Nein , was immer ich auch bin… mir hat offenbar kein verrückter, alter Magier befohlen, einen von euch zu töten Offenbar. Trotzdem, ihr könnt mir nicht…“ Cyrus schnitt ihm das Wort ab. ,, Wir werden schlicht vorsichtig sein müssen. Und ein Auge auf euch haben, aber das heißt nicht, dass ihr nicht seid, wer ihr seid. Zyle. Jemand, den ich genau wie

wir alle, als Freund kenne. Solange ihr mich da nicht vom Gegenteil überzeugt…“ Er zuckte mit den Schultern. ,, Solange bleibt es dabei.“ , beendete Eden den Satz. ,,Tut was ihr wollt.“ Relina sah von einem zum anderen. ,, Es kümmert mich wenig, was aus ihm wird. Ich werde für Morgen den Rat zusammenrufen. Ich erwarte euch morgen bei der Halle, Kellvian. Das Gebäude ist zwar noch nicht fertig, aber als Versammlungsort reicht es. Es regnet hier selten.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und hatte es plötzlich eilig, wegzukommen. Jiy und die anderen sahen ihr lediglich einen Moment nach.

,, Ich habe sie verloren.“ , murmelte Zyle leise. ,, Zusammen mit so vielem anderen.“ Jiy antwortete nicht, sondern gab den anderen lediglich ein Zeichen, fürs erste, bei Zyle zu bleiben. Sie musste in jedem Fall mit Relina reden. Nicht nur wegen Zyle. Sie wurde nach wie vor das Gefühl nicht los, das auf dieser Insel noch etwas ganz anderes vor sich ging. Wofür brauchte Relina sie alle hier? Und vor allem Kellvian ? Er hatte recht gehabt. Hier stand mehr auf dem Spiel, als die simple Zusicherung von Rechten, die ohnehin schon festgelegt waren.

Kapitel 22 Überfall


Es hatte eine ganze Weile gedauert, Zyle über alles zu unterrichten. Angefangen beim Angriff der Garden auf die Stadt, über den Tod der Archonten und von Laos, bis zu der letzten Konfrontation in den Ruinen unter der Wüste und allem, was danach geschehen war. Die anderen waren mittlerweile auf die Windrufer zurückgekehrt. Es dämmerte bereits und auf der Insel gab es grade genug Unterschlupf für die Bewohner. Kellvian jedoch war noch geblieben, vor allem, da er auf Jiy wartete. Die Gejarn war Relina gefolgt und seitdem nicht

wieder aufgetaucht. Ein Teil von ihm wollte sich Sorgen deshalb machen. Aber sie konnte auf sich aufpassen, da wusste er. Und Relina genau so. Die Frau war eine Zauberin, von einer Macht, wie man sie nur selten fand, es gab wenig, das ihr gefährlich werden konnte. Trotzdem, irgendetwas stimmte nicht, das wusste er, seit dem Moment, wo Relina ihnen eröffnet hatte, wozu sie den Boten geschickt hatte. ,,Sieht so aus, als könnte sich in Helike jetzt wirklich alles zum besten wenden.“ Zyle hatte sich wieder etwas gefangen und von der Wunde , die er sich am Arm beigebracht hatte, war mittlerweile nur noch eine dünne, rote Linie zu sehen.

Vermutlich würde sie über Nacht ganz verschwinden, dachte Kellvian. Nach allem was er wusste, war das einzige, was die Konstrukte töten konnte, völlige Zerstörung, oder das blockieren der feinen, magischen und mechanischen Mechanismen, die sie am Leben erhielten. Aber als solches wollte er von Zyle gar nicht denken. Er hatte es selbst bei Laos nicht. Trotzdem war es seltsam, dem Mann nun wieder gegenüber zu sitzen. Seltsam, aber auch irgendwie erleichternd. Was immer Zyle war, es war in Ordnung. Wie Relina gesagt hatte, er war nach wie vor, wer er war.,, Und ihr habt euch endlich getraut, Jiy um ihre Hand zu fragen

?“ ,, Was heißt endlich…“ Zyle grinste. ,, Ihr hättet die Ringe besser verstecken sollen. Ich bin einmal zufällig darüber gestolpert. Vor fast zwei Monaten.“ ,, Wir haben euch alle vermisst,, Ich glaube sogar Relina, bis ihr auf dem Schiff aufgetaucht seid. Auch wenn sie offenbar wütend auf euch ist.“ ,,Und wie.“ Das Lächeln verschwand von dem Gesicht des Gejarn. ,, Zu recht, wie ich fürchte. Ich habe sie alle verraten, Kellvian. Und jetzt sieht es so aus, als wäre ich auch noch kaum mehr, als eine Kopie.“ Kell schüttelte den Kopf. Das stimmte

nicht. ,,Macht nicht den selben Fehler wie Laos. Er hat das auch gedacht und die Stadt den Archonten überlassen.“ ,, Es wird gut sein, nach Canton zurück zu kehren.“ Der Gejarn sah aus dem Fenster. Nur noch ein paar Lichtstrahlen drangen über den Horizont und tauchten das Meer in Gold. Die Schatten zwischen den Bäumen der Wälder wurden bereits länger. Zyle und er saßen an einem, aus unbehandelten Holz gezimmerten, Tisch im inneren des Hauses. Der Bau war erstaunlich solide, bedachte man die kurze Zeit, in der die Hütten hochgezogen worden waren. ,, Wys wollte in spätestens einem Jahr nach Canton kommen. Ich denke, er wird

eine ziemliche Überraschung erleben. Das heißt, wenn ihr ihm keine Nachricht zukommen lasst.“ ,, Im Augenblick Kell, wüsste ich gar nicht, was ich ihm schreiben sollte. Er hat mich…“ ,,Verletzt.“ , beendete Kellvian den Satz. Nicht getötet. Auch wenn das wohl eher der Wahrheit entsprach, je eher Zyle zumindest das etwas beiseite schieben konnte, desto besser für ihn. Kell wollte sich nicht vorstellen, was in ihm vorgehen mochte. Und er war definitiv nicht gut mit so etwas. So wiederholte er nur ein altes Versprechen. ,, Ich will aber, das ihr wisst, das sich für mich nichts geändert habt. Ich sagte

euch einmal, es würde in Canton immer einen Platz für euch geben. Das war ein Versprechen, das ich halte. Egal, was ihr jetzt auch sein mögt, in erster Linie seid ihr der Mann, der mir öfter als ich zählen kann, das Leben gerettet und zur Seite gestanden hat. Vergesst das einfach nicht.“ ,,Ich werde darüber nachdenken. Vielleicht kehre ich auch bald nach Helike zurück. Aber das wollt ihr gar nicht, oder ?“ Manchmal hatte Kellvian das Gefühl, jetzt einer viel älteren Person gegenüberzusitzen. Nicht körperlich, aber geistig. Die bisherige Reise hatte bei ihnen allen ihre Spuren hinterlassen, aber wohl kaum so tiefe

wie bei Zyle. ,,Tatsächlich bräuchte ich einen neuen Hochgeneral.“ Der Gejarn lachte. ,, Und da dachtet ihr an mich ? Ihr habt euch ebenso wenig verändert, Kellvian. Immer gegen alle Konventionen. Einen Fremdländer zum obersten Heerführer machen zu wollen… Euer Adel wird euch den Kopf abreißen, nach allem was ich gesehen habe.“ ,, Nun, das haben sie schon letzten Winter versucht.“ Er war nicht auf eine weitere Konfrontation mit der Oberschicht Cantons aus. Aber das musste er auch nicht. Er war jetzt der Kaiser, so fern ihm dieser Gedanke noch schien. Das Wort seines Vaters war

Gesetz gewesen. Hoffentlich konnte er die gleiche Autorität aufbringen. Es gab einiges, um das er sich kümmern wollte. ,,Ich erinnere mich. Am Ende seid ihr mit der Kaiserkrone auf dem Kopf daraus hervorgegangen. Aber ich lehne ab. Nicht, bis ich mir zumindest über ein paar Dinge klar geworden bin.“ ,, Es war nur ein Gedanke.“ Kellvian stand auf und trat ans Fenster. Wo blieb nur Jiy? Mittlerweile war es völlig dunkel geworden, bis auf einen schwachen Silber schein am Horizont. Langsam begann er sich doch Sorgen zu machen. Und dann flackerte plötzlich Feuer irgendwo in der Nacht auf.

Kellvian spürte die Wellen der Magie bis hierher und die Flammen blendeten ihn selbst auf die Entfernung noch… Er drehte sich zu Zyle um, dieser war jedoch bereits Aufgesprungen und im Nebenzimmer verschwunden. ,, Wir müssen los.“ , erklärte der Gejarn, als er wieder herausstürmte, ein Schwert in der Hand. Kellvian überprüfte seine eigene Klinge und rannte ihm hinterher in die kühle Nacht. Ihm stünde selber keine Magie zur Verfügung, dachte er. Gegen einen ausgebildeten Magier hatten sie zwei kaum eine Chance. Trotzdem würde wohl keiner von ihnen einfach herumsitzen. Das Feuer war mittlerweile erloschen,

aber die Stelle, von der der Zauber gekommen war, die hatte er nach wie vor genau im Blick. Es war fast auf der anderen Seite der Insel. Selbst rennend würden sie Minuten brauchen. Besorgte Gesichert schauten ihnen aus den Fenstern und Türen der umstehenden Hütten nach. Niemand schien so genau zu wissen, was eigentlich vor sich ging. Relina bemerkte offenbar überhaupt nicht, das Jiy ihr folgte. Die Zauberin schien es eilig zu haben, die Siedlung so schnell wie möglich hinter sich zu lassen und rannte beinahe. Oder vielleicht,

interessierte sie es auch einfach nicht. Sie folgte stumpf einem der ausgetretenen Pfade, die die Insel durchzogen, eine Anhöhe hinauf in die Wälder. ,, Wartet.“ , sie wagte es nicht, zu laut zu rufen. Einen Magier zu erschrecken war wohl die beste Möglichkeit, Gliedmaßen zu verlieren, wenn nicht gar das Leben. Relina war schon halb hinter den Bäumen verschwunden, als Jiy sie langsam einholte. Die Zauberin war langsamer geworden, den Geistern sei Dank. Bevor Jiy jedoch dazu kam, sie auf sich aufmerksam zu machen, trat direkt vor der Gejarn eine Gestalt aus

den Schatten. Relina machte einen unsicheren Schritt zurück, blieb dann jedoch entschlossen stehen. Jiy hingegen wich in den Schutz einer Fichte. Was ging da vor sich? . Durch die Äste hindurch konnte Jiy das Meer und einige weitere Holzhütten sehen. Der Wald stieg einen kleinen Hügel hinauf an, der an seiner Spitze zu einer Felsklippe abfiel. Es war später Nachmittag und die Dunkelheit zwischen den Bäumen bot ein sicheres Versteck für jeden, der nicht gefunden werden wollte. So wohl auch für den Mann, der wie aus dem Boden gewachsen auf der Straße auftauchte. Seine Kleidung bestand aus einer

braunen Robe, in die man grüne Ziernähte eingelassen hatte. Haare von der gleichen, öligen, Farbe fielen ihm in den Nacken, zusammen mit einem breiten Bart. Und in den blauen Augen schimmerte ein verborgenes Feuer, das Jiy sofort wiedererkannte. Der Fremde war ein Zauberer. Das war so weit ja nichts Ungewöhnliches. Die Magier, die in Helike besonders unter der Verfolgung durch die Archonten litten, waren der eigentliche Ursprung der Rebellion gewesen. Es war sogar Relina gewesen, die die ersten um sich gescharrt hatte. Nur warum schnitt ihr einer davon den Weg ab? Vorsichtig schlich Jiy sich näher, sorgsam darauf

bedacht, das die Tannenadeln und das Laub unter ihren Füßen keinen Laut von sich gaben. Sie konnte die Spannung in der Luft förmlich schmecken, während sich die beiden gegenüberstanden. Relina musterte den Bärtigen mit einer Intensität, das Jiy überzeugt war, selbst ohne Magie, müsste der Blick funken sprühen. Ihr gegenüber schien sich davon jedoch kaum beunruhigen zu lassen. ,, Was soll das ?“, verlangte Relina zu wissen. ,, Guillaume? Geht mir aus dem Weg.“ Auf einem stillen Wink des Mannes traten zwei weitere Gestalten aus dem Schatten, die Jiy bisher nicht aufgefallen waren.

Einer trug ein Schwert, der andere eine Axt. Die Magierin sah langsam von einem zum andere… und noch ein Stück weiter zu der Stelle, wo Jiy sich verborgen hielt. Ihre Blicke schienen sich kurz zu treffen. Mach, dass du hier weg kommst, schien sie sagen zu wollen. Stattdessen jedoch tastete Jiys Hand nach dem Griff des Messers, das sie am Gürtel trug. Sie würde die Waffe erst ziehen, wenn es nötig war. Das glitzern könnte sie sonst verraten. Aber das es Ärger geben würde, stand außer Frage. Nur wieso ? ,, Relina…“ , begann der Magier, den sie als Guillaume angesprochen hatte. ,, Macht einfach keinen Ärger und wir

müssen euch nicht töten.“ Ein freudloses Lächeln trat auf ihre Züge. ,, Und würdet ihr mir auch verraten, wieso ?“ ,, Das wisst ihr genau. Wir wissen, dass die Fremden nicht hier sind, weil sie euch irgendwelche Verträge zusichern sollen. Ich weiß, was ihr vorhabt. Ihr wollt den Rat morgen einschüchtern.“ ,, Zur Vernunft bringen.“ , korrigierte ihn Relina in beinahe gelangweilten Tonfall. ,, Ich hoffte wirklich, so weit würde es nicht kommen. Aber wir wissen beide, dass ich euch nicht begleiten werde. Ich werde die Wünsche der Zauberer nicht über die der restlichen Bevölkerung stellen,

Guillaume.“ ,,Dann tut es mir leid…“ Der Zauberer nickte seinen beiden Gefährten links und rechts von Relina zu, die sofort die Waffen hoben. ,, Tötet sie.“ Die Gejarn war schneller, als jede Klinge. Der Mann mit der Axt traf nur Luft und rubinrotes Licht, als sich die Magierin in Luft auflöste. Relina landete mehrere Schritte entfernt auf den Füßen und zuckte kurz zusammen, als hätte sie sich verletzt. Der zweite Kämpfer setzte ihr sofort nach, kam aber erst gar nicht mehr in Reichweite. Jiy musste die Augen zusammenkneifen, als ein Lichtbolzen aus Relinas Händen über den Weg

schoss. Für wenige Herzschläge war es Taghell unter den Bäumen. Das Licht teilte den Schwertkämpfer sauber in zwei Hälften und er brach zusammen. Der Geruch von verbranntem Fleisch stieg Jiy in die Nase. Das war der Moment, auf den sie gewartete hatte. Rasch zog sie das Messer und trat aus der Deckung. Ihr Ziel war der Mann mit der Axt, der mit dem Rücken zu ihr stand. Alle Aufmerksamkeit war auf Relina gerichtet, die sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Was immer hier vorging, sie würde nicht daneben stehen, sagte die Gejarn sich. Trotzdem wollte sie niemanden töten, solange sie nicht wusste, was überhaupt vor sich ging.

Mit einem Satz war sie hinter ihrem Gegner und stieß ihm das Messer in die Kniekehle. Ein Schnitt und er brach mit einem Schmerzensschrei zusammen. Jetzt bemerkte sie auch Guillaume und drehte sich überrascht zu der zweiten Gejarn um. ,, Was zum…“, Jiy wollte nun auch den Zauberer ausschalten, bevor sie jedoch auch nur einen Schritt auf ihn zu gemacht hatte, schüttelte dieser seine Verwirrung bereits wieder ab. Beim Zweiten spürte sie, wie ihr etwas, das sie nicht sehen konnte, mit Gewalt vor die Brust schlug. Der Zauber presste ihr die Luft aus den Lungen und schleuderte sie

rückwärts. Ihre Finger verloren den Griff um das Messer und es landete klirrend auf dem Weg. Dann schlug Jiy, sich überschlagend, im Laub auf. Unter Schmerzen rappelte sie sich wieder auf. Es war eine dumme Idee gewesen, einen Zauberer direkt anzugreifen, dachte sie. Relina jedoch nutzte den kurzen Moment der Ablenkung. Plötzlich loderte Feuer in ihren Händen auf. Ein Strahl flüssiger Flammen jagte auf Guillaume zu. Jiy konnte die Angst in den Augen des Zauberers erkennen, die jedoch sofort durch einen abwesenden Schleier ersetzt wurde, als sich eine schimmernde Barriere um seinen Körper legte. Mit einem zischenden Laut trafen Feuer und

Schild aufeinander. Die schimmernde Energiebarriere zersprang, als die magischen Flammen schließlich verloschen… Relina ließ die Hände sinken, während Guillaume sich schwer atmend aufrichtete. Der Zauber hatte ihn nicht verletzt, aber offenbar war er bereits am Ende seiner Kräfte. Jiy konnte graue Strähnen in den dunklen Haaren erkennen, die vorher noch nicht dagewesen waren. ,,Also schön… also schön.“ , meinte er, mit einem panischen Unterton in der Stimme. Sein Blick schwankte zwischen den qualmenden Überresten seines Gefährten und dem verletzten, zweiten

Mann hin und her..,, Ihr habt gewonnen. Es besteht kein Grund…“ Die Worte blieben ihm im Hals stecken, als er wieder zu Relina sah. ,, Kein Grund ja ?“ Die Gejarn-Zauberin hatte die Augen geschlossen. ,, Ihr wolltet mich töten. Nein Guillaume, glaubt mir, ihr kommt mir nicht davon.“ ,,Ihr werdet doch nicht einen Zaubererbruder töten, ihr… Wir kennen uns seit Jahren, Relina wir… wir hatten nie vor euch wirklich …“ Die Magiern hörte ihm längst nicht mehr zu, als erneut Feuer in ihren Händen aufloderte. ,,Denkt im nächsten leben vorher nach.“ Mit diesen Worten beschwor sie einen regelrechten Sturm

herauf. Eine Wand aus Feuer jagte über den Weg, verzehrte Laub und färbte Erdreich schwarz, bevor es den Magier einhüllte, der nur schützend die Hände vors Gesicht hob. Jiy drehte sich weg. Erst, als die Schreie verstummten, wagte sie es wieder, hinzusehen. Relina stand über den Mann gebeugt, den Jiy verletzt hatte. Glut segelte von den Bäumen herab, wo die magischen Flammen Blätter verzehrt und die Rinde verbrannt hatten. Er versuchte noch, ein Stück über den Boden zu kriechen, bevor die Zauberin ihm eine Hand in den Nacken legte. ,, Für euch gilt das gleiche.“ Jiy wusste nicht was sie tat, hörte aber,

wie das Genick des Mannes brach… Danach schien Relina sichtlich in sich zusammenzusinken. ,, Ihr könnt rauskommen.“ , erklärte sie leise. ,, Warum habt ihr das getan ?“ Die Gejarn sah ihr Messer im verbrannten Unterholz und nahm es wieder an sich. Jiys Frage blieb unbeantwortet, während die Zauberin zu der verbrannten Leiche Guillaumes trat. ,, Ich habe euch nicht gebeten euch einzumischen.“ , sagte sie lediglich. ,, Aber ohne euch hätte mich einer von ihnen vielleicht erwischt.“ Reline versetzte den Überresten einen Tritt, der sie zu Asche zerstäubte. ,, Verdammt, warum hat er das getan ? Ich kenne

diesen Mann seit Zehn Jahren. Er war immer loyal, ich hätte ihm mein Leben anvertraut. Bis jetzt. Aber ich schätze, es war wirklich nur eine Frage der Zeit bis sie es versuchen.“ ,, Bis sie was versuchen ? Euch umzubringen? Warum ?“ Relina seufzte schwer. ,, Kommt einmal mit.“

Kapitel 23 Kontrolle


Relina führte sie weiter den Hügel hinauf, ohne auf eine von Jiys Fragen zu antworten. Sie hatte mühe, mit ihr Schritt zu halten. Noch immer schmerzte jeder Atemzug leicht. Der Schlag des Magiers musste eine Rippe geprellt haben. Relina wurde erst langsamer, als sie den Waldrand erreichten. Die Bäume wichen am Rand einer Steilklippe zurück, die zu einer kleinen Siedlung hin abfiel. Gut ein dutzend Holzhütten standen um mehrere Felder gruppiert. Kalter Wind, der von der See her über das Land zog, lies sie frösteln. Sie wäre

am liebsten wieder in den Schutz der Bäume zurück gewichen. Aber natürlich war ihr klar, wieso Relina sie hier herauf brachte. Auf der vom Wind blank gefegten Klippe konnte sie niemand verstecken und ihre Stimmen würden vom Sturm überdeckt. Weit unten konnte die Gejarn das Licht von Fackeln und Feuern erkennen, die sich auf dem nahen Wasser spiegelten. Sie wusste nicht genau, wo sie sich befanden. Der Hafen, oder besser, die Bucht, war von hier aus nicht mehr zu sehen. ,, Also… was ist eben passiert ? Wieso haben eure eigenen Leute euch angegriffen? Und was haben wir damit

zu tun? Ich weiß, dass ihr irgendetwas vorhabt. Und Guillaume wusste es offenbar ebenso.“ ,,Ich muss meine Leute zusammenhalten, Jiy.“ Relina blickte über die Klippe hinaus auf die Häuser entlang der Straße. ,,Ich erwarte nicht einmal, das ihr das versteht.“ ,, Oh doch. Ich glaube ich verstehe das durchaus. Aber das beantwortet meine Frage nicht wirklich.“ ,,Nein,“ , gab die Magierin zu. ,, Wie ich euch bereits sagte. Wir haben noch keine offizielle Regierung. Nur einen Rat bestehend aus mir und einigen anderen, die in Helike das meiste für uns getan haben. Wenn es nach mir ginge,

würde das weitestgehend so bleiben. Jeder sollte seine Chance bekommen, sich dabei zu beteiligen, wie wir unsere Zukunft gestalten und die Macht würde verteilt bleiben. Einige von uns sind nicht damit einverstanden. Vor allem die anderen Magier. Für sie ist Macht leider alles was zählt. In Helike mussten sie sich verstecken… Jetzt jedoch…“ Sie beendete den Satz nicht, sondern drehte sich zu Jiy um. ,, Ich bin nach wie vor Phönix. Die Stimme der Magier hier und ich kann nicht zulassen, dass es Differenzen gibt.“ ,, Sie wollen sich also von euch lossagen

?“ ,, Nein, sie wollen die Zukunft von Maras selbst diktieren. Und ihr dürft raten, wer ihnen dabei im Weg steht.“ ,, Ihr…“ ,, Wenn wir hier Erfolg haben wollen, müssen wir alle zusammen stehen. Wir sind zwar aus dem gröbsten raus, aber nach wie vor kann ein Narr alles zerstören, was wir hier aufgebaut haben. Und ohne mich gäbe es nur wenige, die sich ihnen dabei in den Weg stellen würden. Sie bekämen die alleinige Herrschaft und das werde ich nicht zulassen. Das wissen sie. Wenn ich mich morgen beim Rat durchsetzen kann, ist es vorbei. Wenn wir eine offizielle

Regierung bekommen, werden die Zweifler verstummen. Vor allem, wenn mir Kellvian hilft.“ . Jiy fragte sich nach wie vor, wie diese Hilfe denn aussehen sollte. Bisher hatte er nur zugesichert, noch einmal zu erklären, das die Zusicherungen, die er Relina schriftlich gegeben hatte, auch immer noch galten. Wie sollte ihr das helfen? ,,Und sie würden das akzeptieren ? Einfach so ?“ ,, Sie wissen, dass sich ein paar Abweichler nicht gegen die Entscheidung aller stellen können. Also versuchen sie, genau das zu verhindern. Oder zumindest, das ich darauf Einfluss

nehme…“ Relina seufzte. ,, Ich bin mit diesen Männern und Frauen vertraut, Jiy. Ich bin mit manchen praktisch aufgewachsen, wenn sie als Kinder oder Jugendliche zu uns kamen. Jetzt möchten mich einige davon töten. Ich wünschte nur, dafür gäbe es eine andere Erklärung als die Wahrheit.“ ,,Die Wahrheit…“ ,, Dahinter steht letztlich nur persönliche Machtgier. Ich wünschte beinahe, ich wäre eine so schlechte Führerin für sie, dass sie mich ausschalten müssten. Das wäre leichter zu akzeptieren. Ich habe gewollt, dass wir alle in Frieden zusammenleben können. Wenn das heißt, dass ich die

Leute erst zu ihrem Glück zwingen muss, dann sei das eben so.“ Jiy wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sie hatte bis jetzt wenig mit Relina gesprochen, aber eines wusste sie. Die Gejarn verfolgte ihre Ziele, bis sie sie erreichte. ,, Das haben die Archonten vielleicht auch gedacht. Ihr handelt, weil ihr glaubt, das richtige zu tun. Ihr wollt andere benutzen, weil ihr glaubt, das sei eben genau das, das Richtige. Es ist kaum etwas anderes als das, was Zyle getan hat. Und ihr hasst ihn dafür.“ Relina schüttelte den Kopf. ,, Ich hasse ihn nicht, Jiy. Ich weiß nur nicht, ob ich ihm je wieder Vertrauen kann. Er ist… kein schlechter Mann, das weiß ich

selber. Und trotzdem hätte er uns alle beinahe, wenn auch unbeabsichtigt , zum Tode verurteilt.“ ,, Manchmal entstehen die schlimmsten Folgen wohl wirklich aus den besten Absichten.“ ,, Das habe ich erlebt.“ , antwortete die Gejarn. ,, Und ich hoffe, das mir ein zweites mal erspart bleibt. Morgen wird das alles ein Ende finden. Zumindest ist es ein gutes Zeichen, das sie heute nur zu dritt waren. Und doch, zum ersten Mal Wünschte ich, diese Aufgabe läge nicht bei mir.“ ,, Aber ihr habt einen Plan.“ , stellte Jiy fest. Natürlich hatte sie den, dachte sie. Relina hatte es praktisch schon

zugegeben. Nur wie dieser genau aussah… ,, Ein Glücksspiel, wohl eher.“ , korrigierte die Zauberin sie. ,, Es ist gewagt, aber wenn es funktioniert, bin ich meine Sorgen vor morgen Nachmittag bereits los.“ Relina wendete sich zum gehen, Jiy hielt sie jedoch an der Schulter fest. Einen Moment rechnete sie fast damit, die Magierin würde sie einfach abschütteln. ,, Wird das Kellvian in Gefahr bringen ?“ , wollte sie wissen und verstärkte den Druck ihrer Hand. Das war wichtig. Sie würden nicht wieder in irgendetwas hineinstolpern, ohne zu wissen, worauf sie sich einließen. ,, Bitte seid ehrlich.

Wir sind alle oft genug hereingelegt worden. Ich werde euch nicht aufhalten, ich weiß, dass das wichtig ist. Aber ich brauche eine echte Antwort.“ Relina schien sie zum ersten Mal wirklich zu beachten. ,, Nicht, wenn ich es verhindern kann.“ , sagte sie schließlich. ,, Darauf habt ihr mein Wort.“ Jiy nickte der anderen Frau zu. Mehr konnte sie kaum verlangen, auch wenn es das mulmige Gefühl, das sich in ihr breit gemacht hatte, kaum beruhigte. Es gab Risiken, die sie alle immer und immer wieder eingegangen waren. Bevor sie dazu kam, eine weitere Frage zu stellen, hörte sie plötzlich Schritte, die den Weg

herauf kamen. Jemand rannte den Hügel herauf und scheinbar wurde er nicht einmal langsamer, als er die drei Toten auf der Straße passierte. Vielleicht bemerkte sie die zwei Aschehaufen und den dritten im Wald auch einfach nicht. Und es war nicht jemand, sondern zwei Personen… Relina kam ihr zuvor. ,, Hört ihr das auch ?“ Jiy gab keine Antwort, sondern tastete nur nach ihrem Messer. Wenn man versuchen wollte, Relina los zu werden, musste das wohl noch heute geschehen. Und wer weiß, wen die abtrünnigen Magier diesmal schicken würden. Sie entspannte sich jedoch sofort, als die

beiden Männer schließlich in Sichtweite kamen. Kellvian und Zyle, beide mit gezogenen Klingen und schwer atmend, stolperten auf die Klippe hinaus. ,, Den Göttern sei Dank, es geht euch gut.“ , brachte Kellvian hervor, als er wieder etwas Luft schöpfen konnte. Sie waren offenbar beide den ganzen Weg gerannt. ,, Was ist passiert ?“ , löste Zyle ihn ab. Der Gejarn kam offenbar schneller wieder zu Atem. ,, Wir haben das Feuer entdeckt. Verflucht, ich glaube, die ganze Insel dürfte es gesehen haben.“ Relina sah zu Jiy, mit einem Blick, der besagte, das sie ihr das überlassen sollte. ,,Nichts.“ , erklärte sie. ,, Jiy… ist mir

gefolgt und hatte mich erschreckt. Zum Glück hat der Zauber sie nicht getroffen.“ ,,Ihr habt beinahe meine Verlobte getötet und den halben Wald da unten zu Asche verwandelt. Und das nennt ihr nichts?“ ,, Es ist niemanden etwas passiert.“ , antwortete Jiy. Relina wollte aus irgendeinem Grund nicht, das Kellvian erfuhr, was hier vor sich ging. Warum ? Ein Teil von ihr wollte sie direkt hier zu Rede stellen, aber… Relina tat was sie tat, um andere zu retten. Oder zumindest war sie davon überzeugt, das es dafür nötig war. Jiy entschied, ihr fürs erste noch zu Vertrauen. Aber wenn es ein

Anzeichen dafür gab, das sie in Schwierigkeiten gerieten, würde sie nicht mehr zögern. Und ein kleiner Teil von ihr war schon neugierig, was morgen geschehen sollte. Die Zauberin wendete sich zum gehen. ,, Seit morgen früh einfach an der Halle. Es gibt viel zu besprechen.“ Bevor sie jedoch dazu kam, den Pfad hinab zu verschwinden, zuckte sie plötzlich zusammen. ,,Alles in Ordnung ?“ , fragte Zyle. Relina wehrte die hingehaltene Hand ab. ,,Geht schon. Ich brauche nur dringend Ruhe. Irgendwann…“ ,, Ich komme trotzdem… besser mit.“ Der Gejarn schien sich zu den Worten

zwingen zu müssen. ,, Natürlich… muss ich nicht, aber…“ ,,Hör bitte einfach auf zu stammeln. Es wäre sicher … besser den Weg nicht alleine zu gehen.“ , meinte sie, nur um murmelnd hinzuzufügen : ,, Aber nur damit ich keine weiteren Überraschungen erlebe…“ Außer Jiy hörte wohl keiner der anderen die gemurmelten Worte. Zyle folgte Relina in einigem Abstand den Pfad hinab, bis beide von der Dunkelheit und den Bäumen verschluckt wurden. Jiy zitterte in der Kälte und fühlte plötzlich wie ihr jemand einen Mantel um die Schultern legte. Kellvian deutete hinaus über die Felswand, in die

Richtung in die der Hafen liegen musste. ,,Besser wir machen uns auch auf den Rückweg.“ Jiy nickte. Es wurde kalt und morgen stand ihnen ein unsicherer Tag bevor. Cyrus sah zu, wie der Tabakaufglühte. Bei jedem Atemzug des Alten Arztes färbten sich die getrockneten Blätter rötlich. Erik hatte sich auf einem Fass an Deck niedergelassen und sah hinüber zur Insel, deren Küste von Fackeln und dem Licht der Häuser erhellt wurde. Eden stand an der Rehling und Zachary hatte sich gegen einen der Schiffsmasten

gelehnt. Maras war ein Ort, der sich für die meisten der neuen Bewohner wohl deutlich von den trockenen Steppen und den Ödlanden ihrer früheren Heimat unterschied. Zwar wurde es Nachts immer noch kalt, aber Tagsüber erreichten die Temperaturen nicht mehr das kaum erträgliche Ausmaß, wie in den Wüsten von Laos. Kalenchor konnte nicht zu fern von hier sein, dachte er. Vielleicht ein paar Tage auf See. Vermutlich hatte man den Außenposten des Kaiserreichs dort mittlerweile wieder aufgebaut. Er war selber dort stationiert gewesen… bevor dieser ganze Irrsinn hier begann. Nicht, dass er sich das

ausgesucht hätte, dachte der Wolf. Wenn man von einer tausend Schritte hohen Flutwelle mitgerissen wurde, hatte man dabei kein Mitspracherecht. Aber es hätte schlimmer für ihn ausgehen können. Sehr viel schlimmer. Erik klopfte die Asche aus seiner Pfeife. ,, Was meint ihr ?“ , fragte er, ,, Werden sie es schaffen ?“ Der Schiffsarzt deutete auf die Insel hinaus. ,, Ich würde beinahe sagen, das haben sie schon.“ ,, Sicher… Sie haben viel aufgebaut. Aber genau so schnell kann man auch alles wieder niederreißen. Ich habe das Gefühl, die meisten haben sich ihre

Flucht aus Helike anders vorgestellt. Sagt mir… wie geht es euch Eden ?“ ,, Gut.“ , antwortete sie kurz angebunden. ,, Besser.“ , korrigierte sie sich darauf hin. Eine Weile hatte sie versucht, sich abzukapseln, aber das half nichts. Sie hatte noch Zeit, dachte die Gejarn. Wenn auch vielleicht nicht mehr so viel. Trotzdem gab es Dinge, um die sie sich kümmern musste. Sie würde nutzen, was ihr blieb. ,, Gut, natürlich.“ Erik verstaute die Pfeife wieder in seiner Tasche. Man konnte dem Alten nun einmal wirklich nichts vormachen. ,, Ich wollte nur fragen. Nach eurem Sturz…“ ,, Es hat kaum einen Zweck euch

anzulügen , oder ?“ Er zwinkerte nur . ,, Ihr kennt mich jetzt lange genug.“ Eden wurde seltsam ruhig. Anstatt etwas zu erwidern sah sie nur, weg von der Insel, auf die See hinaus. ,, Cyrus… sagte sie schließlich, in einem Tonfall, der dem Wolf gar nicht gefallen wollte. ,, Es ist… vielleicht eine dumme Frage. Aber wenn… sollte mir irgendetwas passieren, egal was… du würdest doch auf Zachary achten?“ Er nickte . ,, Selbstverständlich. Aber… dazu solltest du es besser gar nicht kommen lassen, ja?“ ,, Vielleicht habe ich irgendwann gar nicht die Wahl. Es… ist nur eine

Frage.“ ,, Ich kann durchaus auf mich achten.“ , erklärte Zachary darauf, die Hände vor dem Bauch zusammengefaltet. Es war einer der seltenen Momente, in denen der Junge mit so etwas wie Trotz sprach. Dieser wurde jedoch schnell von einem sanfteren Tonfall abgelöst: ,, Aber du machst dir natürlich Sorgen um mich. Trotzdem… Du kannst nicht ewig ein Auge auf mich haben.“ Es war eine simple Feststellung, nach der der junge Mann wieder in sein übliches Schweigen verfiel. Aber Cyrus wusste nicht, was er davon halten sollte. Es war ungewöhnlich für Zac. Allerdings war Zac nicht mehr ganz

das halbe Kind, das er einmal, völlig durchnässt, auf dem Deck der Windrufer kennengelernt hatte. Bei den Prüfungen die sie hinter sich hatten und die ihnen noch bevor stehen mochten, würde Eden ihn tatsächlich nicht ewig beschützen können. Und in ein paar Jahren würde er auf eigenen Füßen stehen. Als Erbe von Silberstedt… Cyrus hatte sich bisher wenig Gedanken darüber gemacht, welche Folgen das haben könnte. Und eigentlich wollte er das gar nicht. Von dem, was er von Andre de Immerson bisher gesehen hatte, hoffte er, dass der Junge möglichst wenig davon geerbt hatte. Vielleicht war das der Grund, aus dem Eden ihn manchmal musterte, als

wüsste sie nicht, was sie von ihm halten sollte. Trotzdem änderte das wenig daran dass sie Zac liebte wie einen eigenen Sohn. Und er mochte den Kleinen genauso. Es war ein einfaches Versprechen. Er würde auch ein Auge auf ihn haben, wenn sie ihn nicht darum gebeten hätte.

Kapitel 24 Ratswahl


Kellvian war überrascht, dass sich bereits so viele Leute vor der zukünftigen Ratshalle versammelt hatten. Offenbar war jeder einzelne Bewohner von Maras heute hierher gekommen. Die Menschen und Gejarn drängten sich auf dem Kiesweg, standen zwischen den Bäumen, die den gestreuten Platz vor der Baustelle umgaben oder balancierten sogar auf den Grundmauern, um sich einen Überblick zu verschaffen. Kell schätzte, dass sich gut und gerne fünf bis sechshundert Leute hier eingefunden hatten. Ein dutzend Ordner, denen

man weiße Schärpen verpasst hatte(n), waren völlig damit überfordert, etwas Struktur in die Anwesenden zu bringen. Die Meister ihres jeweiligen Handwerks sollten in der Nähe des Kiesplatzes stehen, auf dem die eigentliche Versammlung stattfinden sollte. Aber am Ende sollten sich die Leute auch so verteilen, das jeder mithören / konnte. Eine hoffnungslose Aufgabe und Kell war nur froh, dass man ihn und die anderen bloß durch winkte. Neben der kleinen Gruppe von der Windrufer hatten sich bereits dutzende weitere Leute auf dem eigentlichen Platz eingefunden, darunter mehrere, deren Magie Kellvian

schon spüren konnte, bevor er sie sah. Vielleicht hätte er sie anderswo übersehen, aber hier waren seine Sinne aufs äußerste gespannt. Er wusste, irgendetwas ging hier vor sich, nur dass er die Spielregeln nicht kannte, machte ihn nervös. Wieder einmal war er blind. Seine Hand wanderte zum Schwertgriff. Dass er das Gewicht der Klinge einmal als beruhigend empfinden könnte, hätte er nie gedacht. Letztlich würde es ihm aber nichts nützen. Das war nichts, dem er sich mit der Waffe stellen konnte, das wusste er schon jetzt. Wieder einmal fand er sich auf einem Schlachtfeld wieder, das ihm noch unangenehmer war, als das des Stahls.

Das Politische. Kellvian entdeckte Zyle, der sich am Rand des Platzes hielt und führte die anderen zu ihm herüber. Der Gejarn begrüßte sie kurz. ,, Hat einer von euch heute Relina schon gesehen ?“ , fragte er. ,, Wir sind grade erst angekommen.“ Jiy sah sich auf dem Platz um. ,, Aber es schien ihr gestern nicht besonders zu gehen, oder ?“ ,,Sie weiß einfach nicht, wann sie mal/langsamer treten muss.“ , gab Zyle nur düster zurück, als Bewegung in die umstehende Menge kam. Zwei weitere Ordner machten Platz, damit ein weiterer Neuankömmling seinen Weg fand. Relina trat selbstsicher und ohne ein Anzeichen

von Krankheit oder ähnlichem auf die Kiesfläche hinaus. Mit einem raschen Blick schien sie sich zu vergewissern, dass die wichtigsten Personen anwesend waren. Ruhig wartete sie in der Mitte der Versammlung, bis die geflüsterten Gespräche verstummten und es beinahe totenstill wurde. ,, Heute,“ , erklärte sie in feierlichem Tonfall, ,, ist der Tag, auf den nicht wenige, wie ich weiß, gewartet haben. Der Tag, der unsere endgültige Unabhängigkeit von Helike und vom Kaiserreich kennzeichnen wird. Bis heute, war ich es, die euer Geschick noch gelenkt hat. Ich… und andere. Die Großmeister des Handwerks und die Männer, die schon in Helike euer

Vertrauen hatten. Heute jedoch, wollen wir zusammen unseren weiteren Weg bestimmen. Eine offizielle Regierung zu schaffen… Und ihr sollt darüber entscheiden. Bevor wir jedoch dazu schreiten…“ Sie sah zu Kellvian, der sich plötzlich unbehaglich fühlte. Das war der Moment, in dem er in dieses ihm unbekannte Spiel eintreten musste. ,, Möchte ich den Kaiser Cantons bitten, uns noch einmal seine Unterstützung zuzusichern. Kellvian Belfare…“ Kell löste sich aus der Menge und wünschte sich auf einmal, er hätte zumindest daran gedacht, die Kleider zu wechseln. Der schlichte, blaue Mantel, den er trug, sah auf einmal schäbig aus.

Nicht, dass es einen Unterschied machte. Er hatte Prunkgewänder immer gehasst, aber er fürchtete, die Leute könnten ihn so kaum ernst nehmen. Einige warfen ihm verwunderte Blicke zu. Vom Kaiser Cantons erwartete man eigentlich, dass er mit einer kleinen Armee eintraf und den Weg vor seinen Füßen mit Gold überzog, wenn er das Befahl. Der Mann in der verstaubten Reisekleidung, den von der Sonne ausgebleichten Haaren, den letzten Spuren eines Sonnenbrands und dem Blick, in dem sich Unsicherheit und Entschlossenheit abwechselten, war ganz sicher nicht, was sie erwartet hatten. Aber nur für einen Moment. Kellvian sammelte sich. Er wusste, was

er zu tun hatte, man hatte es ihm jahrzehntelang eingebläut. Er musste seine Bedenken beiseite schieben und sich konzentrieren. Wenn er sie nicht durch sein Auftreten für sich gewinnen konnte, mussten seine Worte eben entscheiden. Kellvian machte sich nicht die Mühe, sich noch einmal vorzustellen. Bevor er jedoch zu sprechen begann, zwickte ihn etwas kaum wahrnehmbar im Nacken. Er drehte etwas den Kopf und sah Relina, die direkt neben ihm stand. ,, Ich brauche eure Unterstützung.“ , sagte sie so leise, das es kaum jemand hören dürfte. Und selbst wenn, verrieten ihre Worte wenig. Kellvian jedoch wurde mit einem mal einiges klar. Es ging ihr

nicht darum, dass Maras unabhängig vom Kaiserreich blieb. Darum war es nie gegangen. Die Gejarn trat einen Schritt zurück (,) und dabei wanderte ihr Blick zu den Magiern in der Versammlung. Kellvian verstand. Sie hatte ihn in eine Zwickmühle gebracht und ihre Ziele bis zu dem Moment verschwiegen, wo es für ihn keine Wahl mehr gab. Entweder Relina… oder die Männer, deren Gabe sie verriet… und die ihm schon zuvor nicht gefallen hatte. Sie wusste, für wen er sich entscheiden würde. ,, Wie Relina bereits sagte, ich sichere Maras weiterhin meine volle Unterstützung zu.“ Er musste seine Worte bedacht wählen, damit die

Botschaft ankam, ohne zu offensichtlich zuzugeben, dass er sich… quasi mit ihr abgesprochen hatte. ,, Canton tritt jegliche Ansprüche auf dieses Land ab. Noch mehr, ihr müsst nicht befürchten, wir würden uns in irgendeiner Weise… einmischen.“ Aber genau das tat er doch hier. Nicht zum ersten Mal wurde Kellvian bewusst, wie viel Macht sein Amt eigentlich beinhaltete. Das so kleine Worte wie die, die er als nächstes Sprechen würde, das Schicksal von fünfhundert Seelen bestimmen würden. ,, Das Kaiserreich unterstützt Relina und ihr Vorhaben. Euer aller Vorhaben.“ Er war froh, dass er sich wieder zurück ziehen durfte und ging, die Augen über

die Anwesenden wandern lassend, zu den anderen. Nicht alle verstanden direkt die Tragweite seiner Worte, aber doch die, auf die es ankam. Flüstern erhob sich. Indirekt hatte er grade zu verstehen gegeben, wer seine Unterstützung hätte. Vielleicht war das ein Fehler. Götter, er hoffte, dass es keiner war. Wenn er vorher gewusst hätte, was hier gespielt wurde, er hätte sich einen Überblick verschaffen können. Jetzt musste er darauf vertrauen, dass Relina wusste, was sie tat. Dass es ihr hier nicht nur darum ging, die Macht zu behalten. Aus dem Flüstern wurden leise Gespräche, Wortfetzen… Bevor die Gespräche eskalieren konnten, lenkte

Relina die Aufmerksamkeit wieder auf sich. ,,In Anbetracht dessen, wollen wir heute über unsere Zukunft entscheiden. Mir ist zu Ohren gekommen, das es unter uns einige gibt, die mit der Situation unzufrieden sind.“ Sie sah zu der Gruppe Zauberer herüber. ,, Einige, die denken, dass ihre Macht alleine ihnen mehr Rechte geben würde als anderen. Wir haben bereits alle erlebt, wohin das führt. Wir haben erlebt, was geschehen ist, als wenige sich über alle stellten, ihr Leben bestimmen wollten… Ein zweites Helike ist nicht, was wir hier brauchen. Einige kennen Herrschaft nur so. Einige wollen sie vielleicht auch nur so. In manchen

Fällen ist der Dämon, den man kennt besser, als das Unbekannte. Aber ich verspreche euch heute, es gibt andere Möglichkeiten. Ich schlage vor, dass der Rat wie wir ihn im Augenblick haben, weiterbesteht. Noch mehr, wir sollten ihn erweitern. Jedes Handwerk, zu dem ich auch Magie zähle, soll einen Vertreter bekommen, den sie selbst bestimmen können. Damit haben alle die Möglichkeit, mitzusprechen, wenn es um Entscheidungen geht, die uns auch alle betreffen. Wären alle damit einverstanden oder gibt es Gegenstimmen ?“ Einen Moment sah es fast so aus, als würde sich niemand melden, dann jedoch sprach einer der Zauberer. ,, Und ihr

wollt dann wohl die Vertretung der Magier übernehmen ?“ ,, Nun ich würde für jemand fähigeren zurücktreten.“ In ihren Augen blitze es. ,, Guillaume wäre jemand, dem ich das zutrauen würde. Sagt mir Sindor… wo ist er heute eigentlich? Ihm wird doch nichts passiert sein, was meint ihr?“ ,,Das kann wohl niemand wissen…“ ,, Und ich dachte, ihr wärt derjenige, der unter den Zauberern immer für Opposition gegen mich gewettert hat. Ihr beide, um genauer zu sein. Ich dachte, er erzählt euch, was er vorhat. Mich umzubringen beispielsweise…“ ,,Euch…“ Der Mann verschluckte sich an seinen eigenen Worten. ,, Ihr… Was…“ ,, Er ist

tot. Er und drei Komplizen haben gestern versucht mich zu töten. Diese Gejarn kann das bezeugen.“ Sie deutete auf Jiy. ,, Jetzt liegen sie tot auf dem Weg die südlichen Klippen hinauf. Habt ihr dazu irgendetwas zu sagen?“ Endlich Verstand Kellvian etwas. Das Feuer gestern… Sie hatte ihn angelogen. Er sah zu Jiy. Sie musste davon gewusst haben, hatte aber bisher nichts gesagt. Und es hätte auch nichts geändert, stellte er fest. Er hatte längst die Kontrolle über das verloren, was hier geschah. ,,Ich wusste nichts davon.“ Sindor fand offenbar seine Stimme wieder. ,, Wir sind vielleicht nicht einer Meinung, Relina, aber ich würde niemals… Das

müsst ihr mir glauben. Er muss von Sinnen gewesen sein.“ Die Menge beobachtete schweigend das Gespräch der beiden Magier. Relina hatte gerade einen ihrer größten Gegner in die Lage gebracht, sich entweder auf die Seite eines Mörders zu schlagen oder sie zu unterstützen. Oder zumindest keine Wiederworte mehr zu geben. ,, Und ich werde einfach so tun, als würde ich euch das glauben. Zum Besten von uns allen. Ist sonst noch jemand mit diesem Vorschlag nicht einverstanden? “ Niemand meldete sich. Alle Hände blieben unten. ,, Wer ist dafür ?“ Relinas Stimme klang bereits siegesgewiss und Kellvian wusste auch,

dass sie dazu jedes Recht hatte. Nicht alle Hände hoben sich, aber doch genug. Von den fünfhundert Anwesenden gaben mindestens vierhundert ihre Zustimmung. Die wenigen, die sich enthielten, fielen in der Masse erst gar nicht mehr auf. Relina sprach jedoch noch nicht weiter, sondern sah zu Sindor. Der Mann hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Einen kurzen Moment schien so etwas wie ein stiller Kampf stattzufinden… dann hob er langsam die Hand. Bevor Relina jedoch wieder das Wort ergreifen konnte, warf er selber eine Frage in den Raum. ,, Und wer ist dafür, das Relina ihre Stellung im Rat behält ?“ Vielleicht hoffte er

noch, sie damit zu überrumpeln und so wenigstens einen kleinen Sieg davon zu tragen. Doch erneut erhoben sich laute Stimmen, die die wenigen Schweiger und Proteste ausblendeten… Damit war es für die Zauberin eigentlich entschieden, dachte Kellvian. Hätte er nur Zeit gehabt, sich ein eigenes Bild zu machen, er hätte sich vielleicht entschieden, besser niemanden zu unterstützen. So hatte er instinktiv handeln müssen. Und konnte nur hoffen, dass es das richtige war. Es wurden noch weitere Fragen diskutiert und die Vertreter aus den anderen Künsten und Handwerken ernannt, aber Kellvian hörte kaum mehr zu. Das Spiel war gelaufen.

Der wichtige Part vorüber. Das hier war nur noch Zeremonie. Relina schien es jedoch ernst mit einem gleichberechtigten Rat zu meinen. So wie es aussah, würden die einzelnen Mitglieder auf ein Jahrzehnt festgelegt werden. Immerhin, dachte Kellvian, vielleicht spielte die Gejarn nicht fair, aber sie tat, was sie versprochen hatte. Die Versammlung endete erst, als bereits die Dämmerung hereinbrach. Fackeln wurden auf den Wegen und rund um den Platz entzündet , während die Schlussworte gesprochen , alle Entschlüsse von einem Schreiber festgehalten und die neu gewählten Ratsherren entlassen wurden. Kellvian

hatte sich auf einer halb fertigen Mauer niedergelassen, Jiy neben sich. ,, Du hast davon gewusst oder ?“ , fragte er. Es klang mehr wie eine Feststellung. ,,Ich habe mich auf Relina verlassen.“ , antwortete sie nur. ,, Du… bist nicht wütend ?“ Kellvian schüttelte den Kopf. Dafür nicht. Und nicht auf sie. ,, Ich wäre nur gerne vorgewarnt gewesen… Genau darauf hat sie doch gesetzt.“ Er nickte in Relinas Richtung, die sich soeben aus einer Gruppe Magier löste, die ebenfalls den Heimweg antraten. Die Gejarn kam ohne Eile auf sie zu. ,, Ihr habt was ihr wollt, wie es aussieht.“ , meinte Kellvian. ,, Ich habe euch bei unserer

letzten Begegnung etwas gesagt, Relina. Wir stehen auf derselben Seite. Zumindest hoffe ich das. Ihr braucht mich nicht zu belügen, damit ich euch helfe. Ihr braucht mich einfach nur zu bitten.“ ,, Kann ich mich wirklich darauf verlassen, Kellvian ?“ , antwortete sie nur. ,, Ein falsches Wort von euch heute und das hätte… anders ausgehen können. Ich will, dass diese Leute endlich frei sind, dass sie das bekommen, was sie sich über Jahrzehnte erarbeitet haben… Und wenn das heißt, dass ich ein paar Verbündete dabei einbüße, ist das ein kleines Opfer.“ ,,Ihr vergesst dabei vielleicht etwas wichtiges, Relina.“ , meinte Jiy. ,, Das habe ich euch gestern

schon gesagt.“ Relina nickte, ohne zu antworten. ,, Das weiß ich. Aber das Risiko gehe ich ein. Vielleicht verstehe ich Zyle jetzt aber etwas besser.“ ,, Wir werden bald wieder aufbrechen.“ , erklärte Kellvian, hauptsächlich um das Thema zu wechseln. Er wusste nicht, worum es dabei ging und etwas sagte ihm, dass es ihn auch nichts anginge. ,, Am liebsten, schon morgen früh.“ ,, Und ihr werdet Zyle mitnehmen.“ Es war keine Frage. ,, So war es gedacht…“ , antwortete Jiy. Kellvian war sich nur nicht sicher, was er mit dem Mann machen sollte. Er suchte den Gejarn in der Menge und entdeckte ihn bei Eden und den anderen. Vermutlich hatten sie

alle einiges aufzuholen. Zyle war nach wie vor er selbst, davon war er mittlerweile überzeugt, wenn er je Zweifel gehabt hatte. Trotzdem wurde er immer wieder daran erinnert, dass Zyle gestorben war und das Wesen, das seine Erinnerungen trug etwas anderes war. Solange Kell ihn kannte, hatte er stets ein Silberarmband am linken Handgelenk getragen. Ein Brandzeichen, in das man die Worte des Auftrags gestanzt hatte, die ihn ursprünglich nach Canton geführt hatten. Es fehlte…

Kapitel 25 Heimkehr


Die Windrufer trieb in einiger Entfernung auf den Wellen. Im frühen Morgenlicht wirkte das Wasser beinahe wie Rotgold. Zyle blinzelte und schirmte die Augen mit der Hand gegen das grelle Licht ab. Er hatte nicht wirklich geglaubt, das Schiff je wiederzusehen. Der Gejarn stand zusammen mit den anderen am Strand und wartete. Ein Boot lag unten am Wasser bereit, um sie zurück zum Schiff zu bringen. Und fort von Maras. Zyle war sich nicht sicher, wie er sich darüber fühlen sollte. Hierbleiben stand

außer Frage. Aus verschiedenen Gründen. Und doch gab es Dinge, die er loswerden wollte. Er wusste nur nicht wie… Noch einmal hatten sich alle am Strand eingefunden und warteten darauf, dass jemand das Signal zum Aufbruch gab. Relina war vollauf damit beschäftigt, ihn so gut es ging zu ignorieren und unterhielt sich mit Kellvian. ,, Solltet ihr Anfangs Hilfe mit der Ausbildung neuer Magier brauchen, kann ich sicher dafür sorgen, dass der Orden mit euch verhandelt.“ , erklärte dieser grade. Es war ein Angebot, das die so selbstherrlichen Zauberer Cantons wohl etwas in die Schranken weisen würde,

dachte Zyle. Normalerweise duldete der Sanguis-Orden keine Magier neben seinen eigenen. Aber einem Befehl des Kaisers konnten sie sich schwer wiedersetzen. Er bezweifelte, das Kell dem Orden seine Beteiligung an der Verschwörung vor fast zwei Jahren wirklich verziehen hatte, auch wenn dieser jetzt einen neuen Obersten Zauberer hatte. ,, Die meisten Zauberer hier sind erst zu uns gekommen, als sie schon halb erwachsene waren, wenn ihre Begabung sich nicht ehr verbergen ließ. Ich denke, etwas Hilfe wäre für den Anfang nicht schlecht. Dennoch glaube ich nicht, dass viele den Orden hier willkommen heißen

würden. Es hat seine Gründe, warum wir nicht einfach nach Canton geflohen sind.“ ,, Ihr könnt auch einige Boten nach Canton senden.“ , meinte Kellvian. ,, Der Orden wird ihnen beibringen, was sie wissen müssen, dafür sorge ich.“ Und vermutlich war es auch noch eine kleine Bestrafung, wenn er die Zauberer zwang, mit anderen zusammenzuarbeiten. ,, Vielleicht mache ich mich dann auch persönlich auf den Weg. Ich wünsche euch eine gute Reise. Wenn ihr jetzt aufbrecht, könnt ihr noch die Flut nutzen.“ Relina wollte sie offenbar loswerden. Oder vielleicht auch nur ihn, dachte Zyle düster. So oder so. Es gab

kein zurück. Cyrus hatte bereits das Boot ins Wasser geschoben und sprang an Bord. ,, Wenn wir uns beeilen sind wir in weniger als einem Monat an der Küste. Kommt schon.“ Der Wolf streckte eine Hand aus und half nacheinander Eden, Erik und schließlich Zachary an Bord. Kellvian wendete sich ebenfalls ab, gefolgt von Jiy. Zyle war der letzte, der sich abwendete. Ein halbes Dutzend Hände streckten sich ihm über die Bootswand entgegen. ,, Beeilt euch oder ihr müsst ausprobieren ob ihr schwimmen könnt.“ , meinte Erik. ,, Los jetzt…“ ,, Einen Moment noch.“ Er konnte nicht

einfach so gehen. Eine Sache gab es, die er auf jeden Fall aus seinem Kopf bekommen musste. Zyle drehte sich nicht zu ihr um, weil er fürchtete, sonst vielleicht den Mut zu verlieren. Es hatte eine gewisse Ironie. Er hatte sich selten gefürchtet. Jetzt schien es, tat er das ständig. Ob vor sich selbst, vor der Zukunft… oder gar vor seinen eigenen Worten. Ihre Antwort war egal. Nur wissen musste sie es. ,, Ich…liebe dich noch immer. Ich weiß, wie absolut dämlich das klingt aber… ich kann nicht gehen ohne dass du das weißt.“ ,,Geh endlich.“ Relinas Stimme war kalt. Das war die einzige Antwort, die er

brauchte und er brachte nach wie vor nicht den Mut auf, sich umzudrehen. ,, Ich musste nur die Wahrheit wissen. Wir sehen uns nicht wieder.“ Er ergriff eine ausgestreckte Hand, welche war ihm letztlich egal, und zog sich ebenfalls an Bord des kleinen Schiffs, das beständig vom Ufer fort trieb. ,, Ist bei euch alles in Ordnung ?“ , fragte Jiy. ,, Jetzt schon.“ , antwortete Zyle. Gegen den kalten Dorn in seiner Brust konnte er wenig tun. Aber wenn das nicht der letzte Beweis dafür war das er… lebendig war, dann wusste er nicht. Irgendwann würde der Schmerz auch nachlassen. Ein Teil von ihm freute sich

bereits darauf, nach Canton zurück zu kehren. Er hatte dieses Land schätzen gelernt, fast mehr, als seine eigene Heimat. Ob er jemals nach Helike zurück kehrte würde die Zukunft entscheiden müssen. Aber was immer diese auch für ihn brachte, er konnte ihr mit einem schwachen Hoffnungsfunken entgegensehen. Entgegen seines eigentlichen Entschlusses sah er doch noch einmal zurück. Relina stand noch immer, als kaum mehr erkennbarer Schemen, am Strand. Vielleicht, wenn er sich einmal entschloss, nach Helike zu gehen, würde er auch hierher zurückkehren. Und sei es auch nur, um sie kurz zu sehen.

Doch nun lag eine andere Reise vor ihm. Wochen auf See… Viel Zeit um nachzudenken. Gedankenverloren strich er über sein linkes Handgelenk und war beinahe überrascht, dort nicht das vertraute, kalte Metall zu spüren. Bisher war es ihm gar nicht aufgefallen. Zumindest davon war er frei. Relina wartete, bis das Boot im Schatten der Windrufer verschwand. Dann zwang sie sich dazu, den Strand hinauf zurück zu gehen. Sie würde nicht warten, bis Zyle und die anderen verschwunden

waren. Aber… sie würde Kellvians Angebot nach Canton zu gehen annehmen, dachte sie. Sobald hier alles unter Kontrolle wäre würde sie… Relina unterbrach sich selbst. Sie sollte das eher so lange wie möglich aufschieben. Wenn sie ins Kaiserreich ging, würde Zyle auch noch da sein. Aber war das nicht der Grund, aus dem sie sich beeilen wollte? Sie schüttelte den Kopf, als sie einen letzten Blick zurück warf. ,,Sichere Reise.“ , murmelte sie, während sie den Weg in Richtung Ratsplatz einschlug. Solange das Gebäude noch nicht fertig war, würden sie sich wohl unter freiem Himmel beraten müssen, aber das war ihr

ohnehin lieber. Sie hatte erreicht, was sie wollte. Jetzt musste sie dafür sorgen, dass der Rat auch seine ersten Entscheidungen sorgfältig traf. Nachdem die Magier unter Kontrolle waren, konnten sie sich endlich wieder wichtigeren Problemen zuwenden. Es gab zwar mittlerweile für alle Bewohner der Insel Unterkünfte, aber die Felder, die sie angelegt hatten, würden nicht ausreichen, um alle zu ernähren. Sie müssten schleunigst noch weitere Freiflächen schaffen. Die Wälder nahem nach wie vor einen Großteil der Insel ein. Vielleicht sollten sie sich daran machen, sie genauer zu erkunden. Essbare Pflanzen und Früchte zu finden

würde ihnen zumindest etwas Luft verschaffen… Bevor sie sich weiter darüber Gedanken machen konnte, zuckte leicht zusammen. Eine Welle aus Übelkeit überrollte sie. Relina richtete sich Sie hatte gehofft, morgendliche Brechreiz und Schwindel würden aufhören, wenn sie erst einmal wieder festen Boden unter den Füßen hätte. Jetzt jedoch plagte sie sich schon Wochen damit herum. Bisher hatte sie davon abgesehen, zu einem Heiler zu gehen. Wenn sie krank war, dann musste sie da eben durch. Es gab wichtigeres. Als die Westküste Cantons schließlich in

Sicht kam, standen sie alle an Deck. Als Kellvian die Klippen, die hier zum Strand hin abfielen, das letzte Mal gesehen hatte, war der Winter grade erst zu Ende gegangen. Jetzt war das Land hinter den grauen Felswänden grün und stand in voller Blüte. Dort, wo die Klippen zu einem kleinen Strand abfiel, hatte man einen primitiven Landesteg und mehrere Lagerhäuser errichtet . Im flachen Wasser in Strandnähe konnte er vereinzelt weiße Steine und Trümmer erkennen. Die Überreste der fliegenden Stadt, die an der Küste zerschellt war. Beim letzten mal jedoch, hatte man noch ganze Stadtteile sehen können, die knapp unter der Wasseroberfläche lagen und bei

Flut ans Tageslicht kamen. Vielleicht hatte die See viele der Überreste mittlerweile einfach davongespült. Aber irgendwie glaubte Kellvian das nicht ganz. Am Hafen herrschte Geschäftiges treiben. Dutzende von Männern liefen auf den Holzdämmen, herum, schleppten Kisten und schafften Vorräte von einer Reihe kleinerer Segler. Die meisten davon waren nicht einmal halb so groß wie die Windrufer und wurden hauptsächlich zum Warentransport von Küste zu Küste eingesetzt. Kellvian musterte die Männer überrascht, die ihrerseits in der Arbeit innehielten, als sie das Schiff bemerkten. Seltsam.

Eigentlich sollte niemand hier sein. Eden rief ein paar Befehle und brachte das Schiff auf einen Kurs, der es näher an den Landungssteg bringen würde. Dieser Ort war ein Außenposten gewesen, den sie während des letzten Winters errichtet hatten. Kellvian hatte mit einer kleinen Gardetruppe und der Crew der Windrufer darauf gewartet, das Schnee und Eis zurückgingen. Etwas von den Klippen entfernt stand eine kleine Villa, welche die Zerstörung der fliegenden Stadt halbwegs intakt überstanden hatte, zusammen mit mehreren Blockhütten. Eigentlich sollte seit Monaten niemand mehr hier sein, nicht, seit sie nach Helike aufgebrochen

waren. Kellvian sah beunruhigt zu den Männern an der Küste, während das Schiff schließlich am Kai anlegte. ,,Was machen die alle hier ?“ , fragte Jiy, während Taue ausgeworfen und das Schiff gesichert wurde. Mittlerweile war die Arbeit am Hafen völlig zum Erliegen gekommen und hundert oder mehr Menschen sahen neugierig hinauf zur Rehling. Ob einige die Windrufer wiedererkannt hatten, wusste Kell nicht, aber er konnte die Unruhe der Männer spüren. ,,Ich habe keine Ahnung.“ , antwortete er, während eine Planke von Deck zum Steg gelegt wurde. Einige Gardisten

gingen als erstes von Bord und nahmen der Reihe nach Aufstellung. Er hätte ihnen gerbe befohlen, erst einmal auf dem Schiff zu bleiben. Kell wurde daran erinnert, was er bisher alles nicht vermisst hatte. In Helike hatte ihm sein Titel grade so Schutz gewährt. Hier wurde er wieder zu einem Wort, das die Menschen dazu bringen konnte, panisch auseinanderzuspringen, um ihm Platz zu machen. Die blau uniformierten Gestalten machten den Arbeitern am Hafen wohl endgültig klar, dass sie es nicht mit einer von Kurs abgekommenen Handelsgaleone zu tun hatten. Kellvian schulterte sein Bündel, in das

er auch den bernsteinfarbenen Stein gepackt hatte, und trat über die Planken auf den Steg hinaus. Besser, er behielt weiterhin ein Auge darauf. Es roch nach einem seltsamen Gemisch aus frischer Farbe, Salz, totem Fisch und dem typischen Aroma trocknender Algen. Offenbar waren die Lagerhäuser, die sich unter die Klippe schmiegten, frisch gestrichen worden. Bis auf das gelegentliche Kreischen von Möwen war es still, als er an einem Gardisten vorbeitrat und die anderen ihm von Bord folgten. ,, Kaiser Kellvian ? Kellvian Belfare ? “ Einer der Männer vom Hafen, der sich so nah wie möglich an die schützende Wand

aus Gardisten herangetraut hatte, riss überrascht die Augen auf. ,, Seid ihr das Wirklich, Herr, oder täuschen mich meine Augen ?“ Offenbar war er kein einfacherer Arbeiter, den er trug nicht die derbe Kleidung der Kistenschlepper und Segler, sondern einen schlichten, braunen Gehrock mit dazugehörigem Hut. Vielleicht der Hafenmeister. Er nahm respektvoll den Hut ab und verbeugte sich, darauf bedacht, den wartenden Soldaten keinen Grund zu liefern, ihn als Bedrohung zu sehen. ,,Ich bin es.“ , antwortete Kellvian nur. Er gab den Wachen ein Zeichen, ihn durchzulassen, bevor er auf den

Hafenmeister zuging. ,, Und jetzt steht auf. Wie lautet euer Name?“ ,, Michael, Herr.“ , antwortete er hektisch. Der Mann erhob sich, setzte den Hut wieder auf und trat einen Schritt zurück. ,, Nachdem es so lange keine Nachricht von euch oder dem General gab, waren manche schon davon überzeugt, euch zum letzten Mal gesehen zu haben.“ ,, Nun ich bin wieder zurück. Auch wenn es einige Schwierigkeiten gab. Ich werde nicht lange bleiben, aber das Schiff muss entladen werden und ich brauche Vorräte für die Reise weiter ins Inland. Ihr seid der Hafenmeister hier?“ Michael schien etwas Selbstsicherheit

zurück zu gewinnen. ,, Wenn man das hier einen Hafen nennen will, Herr. Ihr sollt bekommen, was ihr verlangt, aber ich bin überrascht, dass ihr hierher kommt und keinen der größeren Häfen in Lasanta oder vielleicht Erindal benutzt. Wolltet ihr euch selbst ein Bild davon machen, wie wir vorankommen? Ich kann sicher jemanden von der Baustelle herbeordern, der euch die Fortschritte zeigen kann.“ Kellvian runzelte die Stirn. ,, Baustelle ? Verzeiht, aber ich habe keine Ahnung wovon ihr redet.“ ,,Ihr wisst… Ich dachte Hochgeneral Einher hätte euch informiert, Herr.“ ,, Dagian ist tot.“ , antwortete Eden, die

sich ebenfalls an den Wachen vorbeigedrängt hatte. ,, Ich verstehe…“ Der Hafenmeister sah einen Moment zu Boden. ,, Es sind düstere Zeiten. Erst verlieren wir euren Vater Herr und jetzt noch den Hochgeneral.“ ,, Genaugenommen, hat er versucht uns alle umzubringen. Dagian Einher hat die Armee ohne meine Einwilligung bis nach Helike geführt.“ ,,Ich… aber… Dann wird euch das hier vielleicht nicht gefallen. Am besten… ich meine, wenn es keine Umstände macht, könnt ihr mich direkt begleiten, dann zeige ich es euch.“

Kapitel 26 Ein Versteck


Kellvian hatte nicht erwartet, diesen Ort je wieder zu betreten. Die hohe Decke, an der ein fast lebensechtes Gemälde des Abendhimmels prangte, hätte er aus dem Gedächtnis nachzeichnen können. Und auch der restliche Saal, kannte er die Räume des kaiserlichen Palastes doch wie seine Westentasche. Hohe Säulen, mit strahlenden Kristallen daran, sorgten für ein surreales Licht, das die gewaltige Halle komplett erhellte. Manche der Marmorfließen unter seinen Füßen waren gesplittert und man konnte deutlich sehen, wo sie wieder mit Mörtel

zusammengefügt worden waren. Ansonsten jedoch gab es keinen Hinweis darauf, dass dieses Gebäude und die dutzenden weiteren, die sich bereits darum erhoben, vor weniger als einem Jahr noch auf dem Meeresgrund geruht hatten. In der Mitte des Saals erhob sich, auf einem Podest etwas über dem Boden erhaben, ein Sitz aus poliertem, honigfarbenem Stein. Völlig unbeschädigt und makellos. Auf dem Weg hierher hatte Kellvian gesehen, wie viel Schaden der Absturz angerichtet hatte. Säulen und Statuen, von denen nur Trümmer geblieben waren, hatten ihren Weg durch die zum Teil wiedererrichtete Stadt begleitet.

Der einzige Grund, aus dem sie die gigantische Baustelle nicht schon bei ihrer Ankunft hier bemerkt hatten, war, das Dagian entschieden hatte, die Gebäude ein Stück von der Küste entfernt zu errichten. Sobald der Hafenmeister die sieben jedoch über eine hölzerne Treppe die Klippe hinauf gebracht hatte, lag das ganze Puzzle vor ihnen. Es musste alleine hunderte von Arbeitern gebraucht haben, die Trümmer der Stadt , die man noch verwenden konnte, aus dem Wasser und die Küste hinauf zu schaffen. Stapel aus Bauholz und Marmor lagen auf der Länge und Breite ganzer Häuserblöcke aufgestapelt, während Karren aus allen

Himmelsrichtungen weiteres Baumaterial heranbrachten. Vielerorts konnte man bereits ganze Stadtbezirke erkennen, die wieder restauriert worden waren. Große, gepflasterte Plätze und Gärten, zwischen denen Villen und Botschaftsgebäude standen. Silberne, im Licht der Mittagssonne schimmernde, Brücken verbanden die einzelnen Stadtteile miteinander, glichen die Höhenunterschiede aus und gaben ihnen aus der Ferne das Aussehen eines riesigen Spinnennetzes, das die zwanzig bereits erkennbaren Stadtinseln miteinander verband. Kellvian wusste, dass kein menschlicher Schmied das silberne Gewebe derart hätte formen

können. Die Brücken waren Teil der Magie des alten Volkes, die in den verwendeten Trümmern noch immer Gegenwärtig sein musste. Und offenbar war sie regenerativ. Es war unmöglich, eine der Silberbrücken zu beschädigen, da die uralten Zauber jeden Makel sofort ausbesserten. Etwas, das man sich auch beim Wiederaufbau der Stadt zu Nutze machte. Mehrmals passierten sie Magier, welche Risse im Gestein der Häuser schlossen. Es gab mindestens ein dutzend Ordenszauberer auf der Baustelle, wie Kellvian überrascht feststellte. Die Männer waren in ihren türkisfarbenen Roben kaum zu übersehen. Mit der Zeit, dachte er , würde dieser Ort vielleicht

tatsächlich wieder zu dem werden, was er war. Und im Zentrum des wiederentstehenden Komplexes schließlich, erhob sich der kaiserliche Palast. Der Bau war leicht noch einmal so groß wie zwei oder drei der Stadtteile zusammen genommen. Mit weißem und grauen Marmor verkleidete Fassaden strebten zum Himmel . Das Sonnenlicht spiegelte sich auf den polierten Flächen und den allgegenwärtigen hohen Buntglasfenstern. Die siebenköpfige Gruppe musste eine der Silberbrücken passieren. Auf der anderen Seite schließlich befand sich, hinter einem kreisrunden Platz, das erste Tor der

Palastanlage. Eine offene Pforte in der Mauer führte hinaus auf eine kurze Prunkstraße, die hinauf zu einer überdachten Treppe führte. Als Kellvian die schweren Türen aufstieß, die ins Innere der Hallen führten, fragte er sich zum ersten Mal, ob er nicht doch einfach Träumte. Spätestens im inneren des Palastes könnte man sich leicht der Illusion hingeben, das dieser Ort sich nie verändert und schon gar nicht eine Weile auf dem Meeresgrund geruht hatte. Und wenn man es genau bedachte, stimmte das vielleicht auch. Die fliegende Stadt war bereits vom alten Volk erschaffen worden und seitdem hatte die Architektur sich nur geringfügig

verändert, um sich den neuen Herren anzupassen. Die ehemalige Hauptstadt Cantons, war schon immer eine Welt für sich gewesen, erhielten doch nur die wichtigsten Männer und Frauen des Reichs je Gelegenheit, sie einmal zu betreten. Die Flure besaßen allesamt Decken in drei, vierfacher Mannshöhe, so dass sich jeder, der einen Schritt in die Gänge des Palastes setzte, unangenehm klein vorkam. Etwas, das den alten Baumeistern wohl auch bewusst gewesen war. Die ebenfalls in luftiger Höhe gehaltenen Fenster sorgten dafür, dass man kaum auf künstliche Lichtquellen zurück greifen musste und selbst Nachts wurde das Zentrum des

Kaiserreichs nicht von Pechfackeln oder Kerzen erhellt, sondern von den allgegenwärtigen Kristallen, die man in die Leisten von Decken und Wänden eingelassen hatte. Magie war hier so allgegenwärtig wie anderswo Wasser. Kellvian konnte das schwache Kribbeln auf seiner Haut spüren. Als Stünde die Luft kaum merklich unter Spannung. Zwar wurden die magischen Lichter und Reperaturzauber nun manuell aufrechterhalten, aber an der geballten Macht dieses Ortes änderte das wenig. Und im Mittelpunkt des Komplexes aus Prunksälen, Wohnräumen, Speisezimmern und Quartieren für die Leibgarde des Kaisers, stand der

eigentliche Thronsaal. Kellvian trat die Stufen bis zum Bernsteinthron hinauf. Der Thron war genauso alt, wie alles andere hier. ,,Dagian muss mit dem Wiederaufbau begonnen haben, sobald wir weg waren.“ , stellte Zyle trocken fest. Der Gejarn war erst einmal hier gewesen, wie Kell sich erinnerte. Und damals hatten sie wichtigeres zu tun gehabt, als die Architektur zu bewundern. Jetzt jedoch sah Zyle sich nach allen Seiten um, während er den Raum durchquerte. Zwei Reihen großer Säulen zu beiden Seiten stützten das Dach. ,, Noch eine Überraschung.“ Er musterte die Lücke in der Rückenlehne des

Throns. Der Stein der einmal dort geruht hatte, lag jetzt eingeschlagen in mehrere Lagen Stoff, in seinem Rucksack. Was würde passieren, wenn er das Juwel an seinen angestammten Platz zurück brachte? So oder so, er sollte damit warten, bis die Stadt wieder völlig intakt war. Jetzt, wo die Arbeiten schon so weit fortgeschritten waren, konnte man sie auch zu Ende bringen. Kellvian drehte sich zu den anderen um, die sich ebenfalls, leicht eingeschüchtert, in der Halle umsahen. ,, Aber wenigstens ist es eine Gute.“ Ihm wurde noch etwas anderes klar. Er hätte mit der fliegenden Stadt zumindest endlich ein Versteck für den Stein. Das

jemand an dem ursprünglichen Aufbewahrungsort danach Suchen würde, war bereits unwahrscheinlich. Und die Magie, die durch die Hallen der Zitadelle strömte, würde es unmöglich machen, es mithilfe eines Zaubers aufzuspüren. Er trat vom Thron zurück und setzte den Rucksak ab. ,, Was tust du ?“ , wollte Jiy wissen. ,, Wirst du gleich sehen.“ Kellvian wühlte sich an Kleidung und Vorräten vorbei, bis er den Bernstein am Boden der Tasche fand. Vorsichtig holte er das Juwel ans Tageslicht und schlug das Tuch davon zurück. Es fing das Sonnenlicht ein, das sich in den wenigen Einschlüssen und Unreinheiten des Steins

brach. Aus der Nähe konnte Kell die Macht, die von dem Artefakt ausging noch immer spüren. Als Stünde man direkt in der Brandung… Allerdings bestand diese nicht aus Wasser, sondern aus reiner, magischer Energie, die ihn beinahe von den Füßen riss. Also gut, wohin damit ? Er konnte den Stein trotz allem nicht offen herum liegen lassen. Sein Blick fiel auf die Stufen, die hinauf zum Thron führten. In den Fugen trocknete noch der Mörtel. Vermutlich war die ganze Konstruktion während des Absturzes in sich zusammengefallen und hatte erst wieder aufgebaut werden müssen. ,, Ich bräuchte ein Messer.“ , erklärte

er. Cyrus förderte ohne zu Fragen eine Klinge zu Tage, die er dem Menschen zuwarf. Er fing die Waffe grade noch rechtzeitig am Heft auf, bevor er sich wieder der Treppe zuwandte. Rasch hatte Kellvian die Klinge in eine der Fugen angesetzt und hebelte den Stein heraus. Der Marmorblock war vielleicht zwei Handkanten breit und dahinter befand sich ein ausreichend großer Hohlraum. Das dürfte ausreichen, dachte er, bevor er den Bernstein hineinlegte und die Marmorplatte wieder an ihren Platz rückte. ,,Ihr wollt dieses… Ding nicht an seinen Platz zurück bringen?“ , fragte

Erik. ,,Vielleicht ja eines Tages… Aber nein, nicht im Augenblick. Wir sollten wieder zum Hafen. Ich muss noch einmal mit dem Hafenmeister sprechen. Solange wir hier sind, muss die Crew der Windrufer sicher versorgt werden, oder Eden ?“ ,, Da ihr nicht so ausseht, als würdet ihr ich bald bezahlen, ist das das mindeste.“ , antwortete die Gejarn. ,, Und die Ladung muss von Bord.“ ,,Haben wir denn viel ?“ , fragte Kell. ,, Nur… ein paar Kleinigkeiten, die ich aber gerne in Sicherheit wüsste. Der Mensch runzelte nur misstrauisch die Stirn, bevor sie sich wieder auf den Weg machten. Durch die Flure zum Ausgang

zurück zu gelangen wäre jemanden, der sich hier nicht auskannte beinahe unmöglich. Die Gänge waren derart verzweigt, dass sie ein einziges Labyrinth bildeten. Eine Stadt in der Stadt. Kellvian führte sie jedoch sicher wieder zu den Toren und hinaus auf die Baustelle, wo die Stadt langsam wieder Formen annahm. Kellvian beeilte sich, mit den anderen wieder hinab zum Hafen zu gelangen. Je früher sie aufbrachen, desto besser. Hier an der Küste würde er kaum erfahren, was sonst noch in seiner Abwesenheit geschehen war. Und er hatte ohnehin von Anfang an nach Vara ziehen wollen. Auch wenn die Stadt nicht zu den

größten des Canton-Imperiums zählte, sie lag fast genau im Zentrum des Kontinents. Von dort könnte er am einfachsten in Erfahrung bringen, was er wissen musste. Er traute Dagian durchaus zu, noch einige weitere Überraschungen für ihn bereit zu halten. Und die letzten Worte des General hatten ihn beunruhigt. Die Drohung, jemand Fähigeren an seine Stelle setzen zu wollen… Kellvian wusste, was Dagian unter Fähig verstanden hätte. Vielleicht war es eine leere Drohung, aber er musste trotzdem klar machen, dass er zurück war. Und keinesfalls vorhatte, sich zurückzuziehen. Kellvian fürchtete die Arbeit könnte jetzt erst beginnen.

Gleichzeitig jedoch, freute er sich darauf. Es würde hart werden, seine Ideen umzusetzen, aber das war ihm ja von Anfang an klar gewesen. Und bisher hatte er sich dadurch auch nicht unterkriegen lassen. Spätestens, wenn Wys hier ankam, hätte er die Fürsten des Landes besser so weit, dass sie einem Friedensvertrag auch zustimmen würden. Kellvian hätte zwar die Macht, sie alle zu übergehen, wenn das nötig wäre, aber desto mehr Rückhalt er dafür hätte, desto besser. Zuvor jedoch wollte er ohnehin die Atempause nutzen, die ihm seine Rückkehr verschaffen würde. Er sah zu Jiy. Es würde Monate dauern, bis er den

Adel Cantons abermals zusammengerufen hätte. Bis dahin wäre er Verheiratet. Der Gedanke brachte ihm zum Lächeln. Zyle hatte es treffend formuliert. Er ging wieder einmal gegen alle Traditionen. Am Hafen angekommen, sahen sie bereits, dass die Crew der Windrufer mit dem Entladen begonnen hatte. Zusammen mit einem Dutzend Arbeiter trugen sie Kisten, Seilrollen und schwere Stangen mit Segeltuch und Holz von Bord, das fürs erste nicht mehr benötigt wurde. Zusätzlich brachten sie außerdem eine ganze Reihe schwerer, mit Eisenbeschlägen verstärkter, Truhen aus dem Bauch des Schiffs herauf. Kellvian

erkannte die Behälter nicht wieder. ,, Was ist da drin ?“ , wollte er wissen, als Cyrus einen der Behälter Schulterte. Metall klirrte, so als rutschen Nägel oder… Münzen darin herum. Und offenbar war die Kiste randvoll damit, den der Gejarn schwankte unter dem Gewicht einen Moment, bevor er sich in Bewegung setzte. Erik trug mit Zachary eine vergleichbare Kiste, nur das der junge Magier lediglich eine Hand ausgestreckt hatte und das eine Ende des Behälters frei in der Luft schwebte. ,, Ach gar nichts.“ , antwortete der Wolf, leicht nervös. ,, Nur ein paar… Werkzeuge, ja. Die sollten nur in ein sicheres Lager. Wir brauchen die später

noch. Weil… Das Schiff ja repariert werden muss.“ ,,Werkzeug… Natürlich“ Kellvian lachte. ,, Das Schiff wurde vor weniger als einem Monat halb neu aufgebaut, Cyrus.“ ,,Ähm…“ ,, Ich schätze einmal, Eden hat sich doch in meinem Namen von den Archonten…. Danken lassen?“ ,, Das würde ich anders nennen.“ ,,Hört zu, ich will es gar nicht wissen. Behaltet es. Aber ich will mir von keinem von euch mehr anhören müssen, ich würde euch nicht bezahlen.“ Kellvian versuchte selbst, eine der Kisten aufzuheben, musste aber feststellen, dass

er sie nicht mal einen Finger breit anheben konnte. Keine Chance. ,, Allerdings müsst ihr die wohl alleine alle von Bord bringen.“ , meinte er, nach einem weiteren, gescheiterten Versuch. Cyrus nickte nur, während er sich auf dem Weg zum Lagerhaus machte.

Kapitel 27 Treffen in Vara


Eden sah zufrieden auf den anwachsenden Stapel Aus Truhen und Kisten, der im hintersten Winkel eines der Lagerhäuser anwuchs. Zwischen Schiffsausrüstung, Tauen und Segeltüchern verborgen hätte wohl niemand vermutet, das sich in den stabilen Behältern ein Vermögen verbarg. Es wäre wohl wirklich das sicherste, das Gold aus Helike erst einmal hier zu lassen. Sie konnte es jederzeit abholen und die Crew der Windrufer würde schon darauf achten, dass sich niemand daran zu schaffen

machte. Sie wusste, dass sie sich auf jeden einzelnen aus der Mannschaft verlassen konnte. ,, Was hast du eigentlich damit vor ?“ , wollte Cyrus wissen, der eine weitere Truhe absetzte. Das dürfte die letzte gewesen sein, dachte Eden. ,, Eine alte Drohung meinerseits wahrmachen.“ , erklärte sie mit einem Grinsen. Für einen Moment war die Krankheit vergessen. Dafür hatte sie noch genug Zeit, dachte die Gejarn. ,, Ich lasse das alles zusammenpacken und ziehe damit nach Silberstedt.“ ,, Ihr wollt Andre wirklich noch immer töten ?“ , fragte eine Stimme vom Eingang der Halle her. Jiy trat durch die

offene Tür und sah sich in dem düsteren Gebäude um. Das einzige Licht kam von einer Öffnung direkt unter dem Dach, aber es reichte, um sich orientieren zu können. ,,Töten ?“ Eden lachte. ,, Nein, Jiy, ich habe etwas viel besseres vor. Ich kaufe das Land dieses Bastards auf und werfe ihn auf die Straße. Am besten kurz bevor ich seine Sklaven freilasse.“ ,, Das liefe wohl auf das gleiche hinaus.“ , meinte Cyrus. ,,Mag sein.“ , antwortete die Gejarn, bevor sie eine der Kisten aufzog. ,, Aber ich muss ihn nur sterben sehen, das ist alles. Durch wen… ist egal.“ ,, Und Zachary ?“ , fragte

Jiy. Eden nahm eine Daumennagelgroße Goldmünze aus der Truhe und schnippte sie in die Luft. ,, Was soll mit ihm sein ?“ Ihre Stimme klang kalt, ohne jede Emotion. Natürlich wusste sie, worauf Jiy hinaus wollte. ,, Ich habe nicht vor, ihn mitzunehmen, falls ihr das meint.“ ,,Andre ist sein Vater, Eden. Er wird wissen, dass ihr es wart. Ist es das wirklich wert?“ ,,Solange Andre de Immerson lebt, bin ich nie wirklich frei. Das ist… es wert.“ Auch wenn sie sich da nicht sicher war. Eden seufzte schwer. Die Wahrheit war wohl, dass sie nicht wusste, was sie tun würde, wenn sie dem Mann je wieder

gegenüberstand. Das Wahrscheinlichste war immer noch, das sie ihn töten würde. Aber wenn das hieß, Zachary zu verlieren, war der Preis doch zu hoch, oder nicht ? ,, Vielleicht begnüge ich mich ja damit, ihm einen Denkzettel mit zu geben.“ , erklärte Eden schließlich und betrachtete das Thema als abgeschlossen. Sie wusste ja nicht, ob es überhaupt je dazu käme. Gedankenverloren schnippte sie die Münze erneut in die Luft . Bevor Eden das Gold jedoch wieder auffangen konnte, schossen brennende Schmerzen durch die Gelenke in Fingern und Arm. Sie musste die Zähne zusammenbeißen um keinen Laut von sich zu geben. Die

Münze landete klirrend auf dem Steinboden und rollte davon. ,, Alles In Ordnung ?“ Cyrus war mit einem Schritt an ihrer Seite. Eden hatte die Hand an den Körper gepresst. Die Schmerzen verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren und ließen nur ein taubes Gefühl in ihren Fingern zurück. ,, Es ist nichts.“ , antwortete sie und versuchte sich an einem Lächeln, das hoffentlich beruhigend wirkte. ,, Nur offensichtlich erhole ich mich doch nicht so schnell von dem Sturz, wie Gedacht.“ ,, Von wegen nichts. Du siehst aus, als hätte dich der Blitz getroffen.“ Der Wolf drückte ihre Schulter, bevor er sich zum

Gehen wendete. ,, Ich hole Erik, vielleicht hat er noch Salbe übrig. Das haben wir gleich…“ ,, Es ist aber wirklich nichts.“ , log sie weiter. ,, Es.. geht mir tatsächlich schon etwas besser.“ ,, Könnte wohlwirklich schlimmer sein. Aber sicher ist sicher.“ , antwortete der Gejarn, bevor er draußen im Sonnenlicht verschwand. Eden blieb alleine mit Jiy zurück. Sie ließ sich auf einer Kiste nieder, während sie Cyrus einen Moment nachsah. ,, Er frisst euch wirklich aus der Hand, wie ?“ , bemerkte Jiy. Eden nickte und musste sich daran hindern zu Lachen. Die Vorstellung, dass der für viele so

bedrohlich wirkende Wolf, ihr tatsächlich praktisch zu Füßen lag war tatsächlich komisch… Sie schüttelte den Kopf. ,,Das beruht auf Gegenseitigkeit.“ , antwortete Eden. ,, ich dachte mal, es gäbe nur eine Person in meinem Leben, für die ich im Zweifelsfall bereit wäre, zu sterben.“ ,,Zachary ?“ Sie nickte. ,, Jetzt sind es zwei.“ Sie konnte sich Cyrus, mit seinem ewigen Optimismus genau so wenig Wegdenken, wie den schweigsamen Zauberer. Und dabei blieb es. ,, Ich würde ja sagen, je mehr man hat, für das man Leben…. Oder sterben kann,

desto besser. Ich schätzte, das bedeutet, man hat irgendetwas richtig gemacht.“ Eden nickte nur, ohne richtig zuzuhören. Das schon. Es änderte jedoch wenig an ihrer Situation. Wenn sie Erik glauben durfte hatte sie noch gute zwei Jahre vor sich. Mit etwas Glück drei. Das war praktisch… nichts. Und konnte sie Cyrus das antun? Sie früh sterben sehen zu müssen? Sicher, sie begaben sich ständig in Gefahr, aber das war etwas völlig anderes. Sie wussten beide, worauf sie sich einließen. Eine Klinge konnte man abwehren. Eine Stichwunde konnte heilen. Das hier nicht. Eden wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sich Jiy neben sie

setzte. ,,Aber seit einmal ehrlich, wir reden hier nicht über bloße Muskelverspannung.“ Sie hätte am liebsten Laut geflucht. Jiy wusste, dass sie etwas verbarg. War das wirklich so offensichtlich? ,,Woher…“ ,,Eigentlich habe ich nur geraten. Aber ihr habt mir grade mehr oder weniger recht gegeben.“ ,,Ihr habt mich ausgetrickst…“ Eden seufzte. ,, Also gut, nein, es ist etwas mehr als das. Aber damit muss ich selber klar kommen.“ ,,Keine Sorge, ich werde nichts verraten. Es ist eure Sache. Aber was immer es

ist…“ Sie nickte in Richtung Tür. ,, Vielleicht solltet ihr es ihm sagen.“ ,, Ja… vielleicht.“ Eden sah zu Boden. Sie wusste, das Jiy Recht hatte. Aber wie sie den Mut dazu finden sollte, wusste sie nicht. Es war einfacher, nicht darüber nachzudenken. Und doch, auch Erik hatte sie bereits gewarnt, dass das nicht ewig funktionieren würde. Eden stellte sich selbst ein Ultimatum. ,, In einem Jahr. Wenn ich… Wenn ich sicher bin. Das verspreche ich.“ Das würde ihr hoffentlich die Zeit geben, die sie brauchte. Wenn nicht machte es jetzt keinen Unterschied mehr. Die Entscheidung war gefallen. Jiy stand auf. ,, Wie dem auch sei. Ich

denke, wir können bald aufbrechen. Ihr wisst nicht zufällig, wo Kellvian ist ?“ ,, Er wollte sich mit dem Hafenmeister unterhalten, glaube ich. Wir werden immerhin Ausrüstung für die Reise in die Herzlande brauchen. Wenn er wirklich nach Vara will, dauert das nochmal Wochen.“ ,, Werdet ihr uns eigentlich begleiten ?“ Eden sah auf. ,, Was glaubt ihr ?“ Einen Monat später tauchten vier Reiter auf einem Hügel über Vara auf. Kellvian, Zachary und Erik ritten voraus, während Cyrus sich abmühte, das Tier unter Kontrolle zu halten und ihnen

mit etwas Abstand folgte. Gejarn ritten nur, wenn es keine andere Wahl gab und die meisten lernten es nie. Von denen, die im Militär des Kaiserreichs dienten, wurde es jedoch erwartet und Cyrus hatte es riskiert. Zyle, Jiy und Eden hingegen folgten lieber zu Fuß. Ein ausgeruhter Gejarn hatte allgemein keine Probleme damit, mit einem Pferd mitzuhalten, solange es nicht rannte. Die Stadt unter ihnen glitzerte im Licht der aufgehenden Sonne. Die weiß getünchten Gebäude und Straßen bildeten ein großes , geordnetes Schachbrettmuster, das sich innerhalb der Stadtmauern ausbreitete und nur

dort, wo die Universitätsgebäude sich auf einem kleinen Hügel erhoben, unterbrochen wurde. Vara war vielleicht eine der kleineren Städte Cantons, aber vor allem die Gelehrten hier waren überall bekannt und respektiert und als Heimatstadt von Simon Belfare hatte es immer wieder Sonderrechte genossen. Rechte, die vor allem der letzte Patrizier der Stadt genutzt hatte, um Universität und Bibliotheken zu neuem Glanz zu verhelfen. Patrizier Markus Cynric jedoch war während des letzten Sommers getötet worden und hatte Vara damit kopflos zurück gelassen. Trotzdem schien das Leben weiter seinen gewohnten Gang zu gehen, dachte

Kellvian, als sie sich dem Stadttor näherten. Das Sternenwappen Varas prangte auf den Kürassen der Wachen, die ihnen sofort den Weg freigaben, als man Kellvian erkannte. Doch ab diesen Moment folgte ihnen aufgeregtes Gemurmel durch die Straßen. Wer immer die siebenköpfige Gruppe auch sah, hielt in seiner Arbeit inne und sah ihnen zumindest einen Herzschlag lang nach. Kellvian fragte sich, wie viele hier bereit nicht mehr mit seiner Rückkehr gerechnet hatten. Vermutlich die meisten. Das der Kaiser Cantons die Stadt seiner Ahnen noch einmal Lebend betrat kam vielen wohl

mehr wie ein Wunder denn Realität vor. Kellvian lenkte seine Schritte in Richtung des ehemaligen Hauses des Patriziers. Markus hatte die Gebäude früher bewohnt, nun jedoch stand es, soweit Kell wusste, leer. Umso mehr überraschte es ihn, dass in den Fenstern des weiß gestrichenen Baus Licht brannte. Kerzen und Fackeln beleuchteten die Zugangswege und die Türen, als ob man das Gebäude in der Nacht bereits Vorbereitet hätte. Aber das schien unmöglich. Kell und die anderen waren niemanden begegnet, der sie hätte Ankündigen können. Die großzügig angelegte Villa lag, etwas zurückgesetzt, in einem Rosengarten. Als

er das letzte Mal hier gewesen war, waren diese vom Winter schwarz gefärbtes Dornengestrüpp gewesen, nun jedoch standen sie in voller Blüte und erfüllten die Luft mit einem schweren, parfümierten Duft. Ein schmiedeeiserner Zaun grenzte das Grundstück von der restlichen Stadt ab. Inmitten der Gärten und über sandgestreute Wege mit dem Huas verbunden, erhob sich ein kleiner Pavillon. Kellvian stieg vom Pferd, während er auf die Pforte im Zaun zuging. Die anderen taten es ihm gleich und folgten mit etwas Abstand. Das Haus wäre groß genug für sie alle und er hoffte, hier unterzukommen, bis er Zeit hatte, alles zu organisieren. Doch schon

als er durch die Tore trat und über einen gepflasterten Weg weiter Richtung Tür ging, erhielt er einen weiteren Beweis dafür, dass etwas nicht stimmte. Die dunklen Holztüren wurden geöffnet, noch bevor er sie erreichte. Ein, in eine dunkle Livree, gekleideter Diener hielt die Flügel auf und verharrte wortlos, bis sie hindurch waren. ,, Was ist hier los ?“ , verlangte Kellvian zu wissen, bevor er eintrat. Der Mann schien über die Frage überrascht. ,, Ihr wisst es nicht ? Herr Syle meinte ihr würdet schon zurückkommen. Ihr… Götter, ihr müsst sofort mit ihm reden.“ Syle ? Kellvian fragte sich, was sein

alter Freund hier zu suchen hatte. Er hatte den Mann letzten Winter zusammen mit Dagians Adjutantin, Tamyra, nach Silberstedt geschickt. Was konnte ihn veranlasst haben schon so früh wieder zurück zu kehren? Besorgt bedeutete er dem Diener nur, ihm den Weg zu zeigen. Der Mann führte die Gruppe durch eine große Vorhalle, in der eine Treppe hinauf ins zweite Stockwerk führte, und weiter in einen großen Saal, der von einem langen Tisch aus Fichtenholz eingenommen wurde. Stühle standen unordentlich darum herum verteilt, während sich auf dem Tisch selbst Karten und Dokumente stapelten. Unter einem der Fenster des Raums lehnten

mehrere Gewehre und über dem Kamin, in dem noch Glut glomm, hing eine blaue Uniformjacke. Eine ganze Reihe von Personen hatte sich in dem Raum versammelt, redete durcheinander oder sah einfach nur düster auf die ausgebreiteten Karten. Kellvian erkannte die meisten nicht. Nur eine Gestalt, die am Kopfende des Tischs stand. Syle schien sich verändert zu haben. Erschöpft den Kopf in die Hände gestützt wirkte er wie jemand, der zu viel gesehen und dabei zu wenig Schlaf bekommen hatte. Sobald der Diener mit ihnen im Schlepptau den Saal betrat, wurde es Totenstill. Mehrere Köpfe drehten sich zu den Neuankömmlingen

um. Manche sanken direkt auf die Knie, andere murmelten einen Moment vor sich hin, als wollten sie das Bild ihrer Augen als Täuschung abtun. Syle erhob sich mit einer fließenden Bewegung von seinem Platz am Tisch. ,,Kellvian… Ihr lebt. Den Göttern sei Dank. Ich habe den Berichten erst nicht geglaubt. ,, Warum sollte ich nicht Leben, alter Freund ?“ Er konnte nichts von Dagian Verrat wissen, oder etwa doch? ,, Die ganze Stadt scheint in Aufruhr. Was ist denn hier los?“ ,, Ich fürchte, ich muss euch schlechte Nachrichten überbringen Herr… Aber es wird eine Weile

dauern.“ ,, Ihr wisst, das ich niemanden für eine Nachricht verantwortlich mache, also sprecht frei heraus…“ Der Gejarn schloss einen Moment die Augen, bevor er begann.

Kapitel 28 Schnee und Blut


Andres Armee konnte sich nur langsam durch Schnee und Eis vorankämpfen. Das war ihr Vorteil. Mehr als dreißigtausend Mann, die sich in einer endlosen Kolonne über die Pässe zogen, waren vielleicht ein beeindruckender Anblick. Aber sie waren auch verwundbar. Syle hielt den Atem an , um zu verhindern, dass der kondensierende Dampf ihn verriet. Der Gejarn spürte, wie ihm die Kälte in die Knochen kroch, aber noch durfte er sich nicht bewegen. Bald… Und dann würde die Kälte zu seinem geringsten Problem

werden. Im Schnee fast unsichtbar hatten sich gut dreißig Mann in einer Senke eingegraben, die direkt an der Marschroute des Heeres lag. Ihre weißen Wollumhänge ließen sie fast völlig mit dem Schnee verschmelzen. Ein flüchtiger Beobachter konnte sie unmöglich entdecken, solange sie weiter ruhig blieben. Ein Zauberer jedoch wäre eine andere Geschichte. Syle beobachtete die Truppe, die an ihnen vorbei marschierte jetzt schon eine ganze Weile, während er auf das Zeichen zum Angriff wartete. Und er hatte dabei mehrere in Roben gekleidete Gestalten gesehen. Es waren nicht viele, aber offenbar verdingten sich auch einige freie Magier für Lord

Andre. Entweder hatten sie jedoch unglaubliches Glück oder den Hexern war zu kalt um ständig ihre Umgebung abzusuchen. Syle tastete unter dem weiten Tarnmantel nach seinem Gewehr. Wenn sie angriffen, hätten die Zauberer Priorität. Je mehr sie davon ausschalteten, desto besser. Geräuschlos zog er die Waffe zu sich heran. Er hatte sie, bis auf die mechanischen Teile, ebenfalls weiß gefärbt. Syle versuchte, ruhig zu bleiben. In den letzten Tagen hatten sie bereits ein dutzend solcher Angriffe geführt. Dieser hier jedoch, bestand aus mehr als simplem Töten. Während er und Tamyra hier für Ablenkung sorgen würden,

würden sich Lucien und Quinn der Nachhut der Armee nähern. Sie hatten das ganze lange genug vorbereitet. Andres Streitkräften folgte ein noch einmal ebenso gewaltiger Versorgungszug. Karren himmelhoch beladen mit Vorräten und Ausrüstung. Schwarzpulver, Getreide zum Backen, Ersatzteile… Sobald das Signal kam, würden sie angreifen und Lucien und der Zauberer würde sich den Wagen nähern sobald diese frei waren. Jeder der beiden Männer trug einen Beutel Getreide mit sich, die sie so schnell wie möglich unter die Vorräte mischen würden. Ein einziges Korn wäre bereits tödlich. Ein Zauber, den Kiara ersonnen hatte. Die

Ordensobere hatte Quinns Worte über vergiftete Vorräte wohl wörtlich genommen. Syle gefiel diese hinterlistige Art der Kriegsführung zwar nicht, aber noch weniger würde ihm gefallen, wenn Andre Erfolg hatte. Und selbst mit dem Gift sah es ganz so aus, als würde er das, früher oder später. Sie waren ein Schäfchen, das versuchte, den Wolf zu fressen um zu Überleben. Nicht umgekehrt. Trotzdem kämpften sie weiter, denn die alternative war Aufgeben. Und Quinn hatte klar gemacht, was das bedeuten würde. Syles Respekt vor dem Mann hatte sich an jenem Tag leicht verzehnfacht. Er

hatte anfangs noch damit gerechnet, dass sich der Großmagier dafür aussprechen würde, dass sie flohen. Er hatte das Gegenteil bewiesen. Courage war eine der letzten Eigenschaften, die er Quinn zugetraut hätte. Nun hatte er das Bild, das er sich von ihm gemacht hatte, gründlich revidieren müssen. Der Gejarn wurde aus seinen Gedanken gerissen, als plötzlich ein roter Lichtblitz den grauen Himmel über ihnen zerriss. Lautes Krachen begleitete das Licht und brachte den Fels unter ihren Füßen zum Zittern. Das war das Signal… Quinn hatte den Zauber vorbereitet, damit sie wussten, wann er und Lucien in Position

wären. Der Blitz erhellte die Steilwand, unter der die Passstraße entlanglief und wie gehofft hielt die Streitmacht inne und spähte misstrauisch nach oben. Gewehre wurden auf die Klippe gerichtet, während die Magier ebenfalls ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Vorsprünge und Steilhänge bündelten. Nicht wissend, dass die eigentliche Gefahr direkt in ihrem Rücken lag. Syle sprang auf und im gleichen Moment brachen auch die anderen unter der Schneedecke hervor. Schwerter und Gewehre in Händen. Oder aufflackerndes Feuer. Die Zeit des Schweigens war

vorbei. ,, Keine Gefangenen, tötet die Magier, schaltet so viele aus wie möglich, Schützen zu mir, bildet eine Linie. Feuer…“ Niemand zögerte auch nur einen Augenblick. Syle hatte dafür gesorgt, dass jeder wusste, was er zu tun hatte. Während sich die überraschten Soldaten auf der Straße noch der unerwarteten Bedrohung zuwendeten, hatten bereits gut zwanzig seiner Leute die Gewehre angelegt. Einen Moment blitzte nur grenzenlose Überraschung auf den Gesichtern der feindlichen Soldaten auf. Etwas, das Syle mit grimmiger Genugtuung zur

Kenntnis nahm. Einige der Offiziere, die sich durch verzierte, graue Fellmentel , von der regulären Truppe abhoben, erkannten noch, was vor sich ging. ,,Hinterhalt….“ Mehr als ein warnender Ruf jedoch blieb ihnen bereits nicht mehr, bevor der Lärm von zwanzig gleichzeitig gezündeten Musketen ihre Worte unhörbar machte. Die erste Salve richtete ein blutiges Durcheinander in den Reihen des Aristokratenbunds an. Jede Kugel traf ein Ziel. Und nicht alle waren Zweibeiner. Syle hatte Befehl gegeben, dass ein Teil der Männer auf die Berittenen zielen sollte. Ein verletztes Pferd, das inmitten der Formation

durchging, konnte mehr Schaden anrichten, als ein einziges Projektil. Die Tiere warfen ihre Reiter ab und galoppierten ohne Rücksicht durch die Reihen der Armee, rissen Männer mit sich, zertrampelten Knochen unter ihren Hufen… Das Chaos war vollkommen. Die Rufe der Offiziere gingen fürs erste in Geschrei und Pulverdampf unter, während sich unter Syles Männern bereits die Magier ans Werk machten. Nun flog nicht mehr Blei durch die Luft, sondern Blitze und flüssiges Feuer. Und die Zauber hatten nur ein Ziel. Glutbälle hüllten jede Gestalt, die eine Robe trug in tödliche Flammen. Blitze brannten

sich durch Kleidung und Fleisch und brachten die Männer zu Fall. Auch ein Zauberer war hilflos, wenn man ihn überraschen konnte. Und das war ihnen ohne Zweifel gelungen. Es gab nur wenig Gegenwehr. Einige vereinzelte Kugeln jagten an Syle vorbei, aber die meisten waren zu sehr damit beschäftigt, der plötzlich zu einem Schlachthaus werdenden Straße zu entkommen. Manche rannten den Weg zurück, wo sie die Nachrückende Verstärkung nur behinderten. Andere flohen nach vorne wo sie der zur Hilfe kommenden Vorhut wiederum den Weg abschnitten. Der Teil der Armee, der auf dem Weg blieb und Gegenwehr leistete, war

verloren. Wenn sie wüssten, wie schwach die Streitmacht ihrer Gegner wirklich war, dachte Syle, würden sie sicher nicht wie die aufgeschreckten Hühner davon laufen. So jedoch mussten sie im Augenblick noch der Illusion erliegen, von einer ebenbürtigen Armee gestellt worden zu sein. Und noch verhinderten Pulverdampf, Schnee und die allgemeine Unordnung, dass jemand den Fehler bemerkte. Noch. Syle gab den Befehl zum Rückzug. Sie hatten nie vorgehabt, eine längere Schlacht zu schlagen, im Gegenteil. ,, Durch die Felsen.“ , rief er über den

Lärm hinweg und deutete über die Senke zurück zu einem schmalen Pfad, der zwischen zwei Klippen verschwand. Tamyra reagierte als eine der ersten und winkte eine Gruppe Magier weiter, die sich über einen Verwundeten beugten. Ganz ohne Verluste kamen sie letztlich nicht davon… Syle seinerseits riss die letzten Sturköpfe, die sich noch Feuergefechte mit der gegnerischen Armee, oder dem, was an dieser Straßenbiegung davon übrig war, lieferten, herum und rannte dann ebenfalls in Richtung Felsen davon. Andres Soldaten würden ihnen nicht weit in die Wildnis folgen, vorausgesetzt, sie wären überhaupt dazu in der Lage, sich

so weit zu organisieren. Bevor der Pulverdampf und der aufgewirbelte Schnee sich ganz gelegt hatten, waren nur noch die Toten im Schnee zurück geblieben. Blut hatte das Weiß stellenweise bereits tief rot verfärbt… Syle warf nur einen Blick zurück. Es sah wie ein Erfolg aus. Und vielleicht war er das auch. Sie waren vielleicht ein Schaf, das sich mit einem Wolf anlegte, sicher. Aber offenbar ein verflucht gefährliches Schaf. Das Lächeln, das sich grade auf seinem Gesicht ausbreitete, erstarrte jedoch, als er seine kleine Truppe musterte. Oder, was davon übrig war. In ihren Reihen klafften deutliche Löcher. Tamyra trat zu ihm, während sie einen

weißen Schal von ihren Haaren zurück schlug. ,, Wie viele haben wir erwischt, was meint ihr ?“ , fragte er die Diplomatin. ,, Ich würde sagen gute fünfzig liegen tot unten auf dem Pass. Dazu kommen noch einmal alle Verwundeten, die nicht mehr kämpfen können oder die nächsten Tage nicht überstehen. Alles in allem, denke ich, haben wir hundert Mann erwischt. Diesmal.“ Syle nickte. Es war bei weitem nicht ihr erster Angriff. Trotzdem waren hundert Mann für Andre kaum mehr, als Mückenstiche. Selbst wenn sie zwei Überfälle am Tag durchführten, die Reihen der Armee schlossen sich beinahe

schneller, als sie sie schlagen konnten. Und jeden Tag kamen noch Nachzügler über die nun freien Pässe herauf. Lord Andre musste jeden Söldner und jeden freischaffenden Soldaten im ganzen Land zusammengerufen haben. Und jetzt, wo er sich nicht mehr Verstecken musste, bot er sicher auch einiges, für jeden, der noch zusätzlich in seine Dienste trat. Sie hingegen konnten ihre Verluste überhaupt nicht ausgleichen. ,, Wie viele haben wir verloren ?“ ,, Drei.“ , antwortete Tamyra düster. Syle wusste, was sie dachte. Drei waren drei zu viel. Er brummte missmutig. Hoffentlich hatten Quinn und Lucien ebenfalls Erfolg gehabt, dann konnten

sie auf die hundert gefallenen noch einmal leicht zweihundert Mann draufrechnen, bis Auffiele, dass mit den Vorräten etwas nicht stimmte. Einhundert von Immersons Männern für einen von ihnen. Die Rechnung gefiel ihm. Aber selbst wenn das immer der Fall wäre, waren sie zu wenige. Mit den drei toten von heute blieben ihnen noch vierzig kampferprobte Männer und Zauberer übrig. Wenn sie das Dienstpersonal der Ordensbrug zum Kampf überredeten kamen sie vielleicht noch einmal auf sechzig. Wenn Andre oder Erland wüssten, wie schwach sie wirklich waren , sie würden einfach eine kleine Vorhut vorausschicken um die

Burg dem Erdboden gleich zu machen. Nur durch ihre Scheinstärke gewannen sie wenigstens das einzige, das ihnen blieb: Zeit. Es änderte jedoch wenig daran, dass die Armee die Festung in spätestens einer Woche erreichen würde. Aber wenigstens hätten sie den ganzen Weg vom Pass bis dort mit einer Blutspur markiert, die bereits Wyvern anlockte, die Aasfressenden Drachen der Berge. Syle konnte mehrere dieser großen Echsen in der Ferne Kreisen sehen. Langsam machten sie sich auf den Rückweg zur Festung. Kiara und der Rest warteten dort sicher bereits und die Männer hatten sich zumindest eine heiße

Mahlzeit verdient. Wenn schon der Sieg aussichtslos war, musste ihnen das als Lohn für ihre Mühen leider reichen… Bevor sie weit gekommen waren, tauchten vor ihnen im Schnee auch schon zwei Gestalten auf, die Syle beim Näherkommen als Quinn und Lucien erkannte. Der kaiserliche Agent schien wieder einmal ausnehmend gute Laune zu haben und wirbelte einen leeren Beutel um den Finger. ,, Ich denke heute Abend will ich da unten nicht mit dem Koch tauschen müssen.“ , meinte er vergnügt. ,, Den richten sie als Hauptverdächtigen bestimmt zuerst hin…“ ,, Sie hätten uns fast erwischt.“ , murrte

Quinn und versetzte dem Blondschopf neben sich einen Schlag auf den Hinterkopf. Manchmal hatte Lucien leider wirklich etwas… entnervend kindisches an sich. So als nähme er alles hier nicht ernst. Und dann wieder konnte er so verschlagen sein, das man Angst haben musste, irgendetwas anzunehmen, dass er einem Anbot. Syle bemerkte, das im Bolzengürtel des Agenten mehrere Lücken klafften. ,, Fast erwischt ?“ , fragte er. ,, Sagen wir einfach, jetzt gibt es ein dutzend weniger von ihnen, um die wir uns Sorgen müssen.“ , erklärte der Agent. ,, Sind aber auch wirklich schlechte Gastgeber unsere Freunde dort

unten… Aber damit durftet ihr ja ebenfalls schon Bekanntschaft machen.“ ,, Was machen wir jetzt ?“ , wollte Quinn wissen. ,, Unsere Zeit wird langsam knapp, oder ?“ Tamyra nickte. ,, Wir färben den Schnee mit ihrem Blut rot, trotzdem wird ihr Vormarsch dadurch kaum gebremst. In einer Woche stehen sie bei uns vor der Tür.“ ,, Wir ziehen uns zur Burg zurück und machen dort alles bereit.“ , schlug Syle vor. ,, Mehr können wir nicht tun und wenn wir bei weiteren Überfällen noch mehr verlieren, können wir die Burg nicht einmal mehr vernünftig

verteidigen.“ ,, Das ist immer noch Optimistisch. Ich würde sagen, wir können sie schon jetzt nicht verteidigen.“ , warf Tamyra ein. ,, Wartet es ab.“ , gab Quinn zurück. ,, Es würde mich nicht wundern, wenn Kiara noch eine Idee hat. Andre wäre nicht der erste, der den Orden unterschätzt. Er mag sich ja ein paar Wald und Wiesen Zauberer erkauft haben, aber wir sind seit 250 Jahren die Macht in diesem Land. Das wird ich zumindest mir nicht von irgendeinem Einsiedler aus einer Höhle abspenstig machen lassen. Das wäre ja beleidigend.“

Kapitel 29 Von Zauberern, Kaisern und Sehern


,,Hat jemand Quinn gesehen ?“ , fragte Tamyra. Ihre Rückkehr war abermals keine glückliche. So Erfolgreich die Überfälle in den Bergen auch gewesen waren, sie hatten nichts geändert. Sie hatten sich darauf geeinigt, keinen weiteren Angriff mehr zu wagen. Stattdessen begannen nun die Vorbereitungen auf eine Belagerung, deren Ausgang gewiss schien. Trotzdem ließ sich jetzt keiner mehr dadurch entmutigen. Ob Fenisins

Wache oder die Magier des Ordens, niemand wollte einfach aufgeben, ohne es zumindest versucht zu haben. Und tatsächlich hatten die Zauberer noch ein Ass im Ärmel. Von den Burgmauern aus, konnte sie die glitzernden Felder auf den Wiesen um die Zitadelle und auf der Straße, die hinauf zum Tor führte, sehen. Die kaum wahrnehmbaren Lichtpunkte in der Luft, markierten Fallen. Zauber, die ausgelöst würden, sobald jemand den markierten Bereich auch nur Streifte. Zwar gab es einen Pfad hindurch, aber selbst Tamyra, die zugesehen hatte, wie die Ordensoberste , Quinn und eine Handvoll weiterer Großmagier alles vorbereitet hatten, war

sich nicht sicher, ob sie diesen im Zweifelsfall fände. Eine ganze Armee dort hindurch zu führen, würde noch deutlich schwerer, vorausgesetzt, ihre Gegner bemerkten überhaupt, was vor sich ging. Nun wurde es bereits langsam dunkel. Während Kiara und der Rest schon vor einer ganzen Weile zurückgekehrt waren, fehlte von Quinn jede Spur. Und keiner schien so recht zu wissen, wo er war. Der Magier war wie vom Erdboden verschluckt. Normalerweise hätte sie sich darüber kaum Sorgen aber das er sich ohne ein Wort in Luft auflöste… Sie fürchtete, Quinn könnte es doch mit der Angst zu tun bekommen und lieber

die Flucht gewählt haben. Deshalb beeilte sie sich, wieder in den Burghof hinab zu gelangen, als dort grade Lucien mit einer Gruppe Späher zurückkehrte. Zwei von Fenisins Wölfen begleiteten den kaiserlichen Agenten. Auf ihre Frage jedoch, lachte er nur laut. ,, Der füttert Eichhörnchen.“ ,, Wie bitte ?“ Tamyra blinzelte verwirrt. Lucien war einer der wenigen Menschen, die sie absolut nicht einschätzen konnte. Erlaubte er sich grade einen Scherz. ,, Das ist wichtig, Lucien. Er ist seit Stunden fort und wir brauchen ihn, spätestens wenn Andres Streitkräfte hier auftauchen. Ich dachte

ihr habt ihn vielleicht gesehen.“ ,, Habe ich ja, wie gesagt. Wir sind ihm auf dem Weg zur Burg begegnet. Er sitzt in dem Wald in der Nähe des Taleingangs… und füttert Eichhörnchen. Er hat gemeint, er müsse Nachdenken. Aber offenbar zieht der Kerl Kleinvieh an.“ Die Vorstellung, dass der unausgeglichene Magier sich tatsächlich irgendwo hingesetzt hatte und Tiere fütterte brachte sie zum Schmunzeln. Der Mann hatte sich wirklich stark verändert. ,, Und ihr müsst nicht nachdenken und deshalb habt ihr euch auch extra für die Späher

gemeldet.“ ,, Ach was.“ , winkte der Agent hastig ab. ,, Es ist nur so, für Gejarn machen Fenisins Leute einen ziemlichen Lärm, beim laufen. Ohne mich fallen die doch innerhalb von Sekunden auf.“ ,, Wir haben alle den Tod vor Augen, Lucien. Ich glaube, wir haben alle Angst.“ ,, Angst ist vielleicht das falsche Wort.“ , erwiderte Lucien, plötzlich wieder ernst. ,, Nicht vor dem Tod zumindest. Aber wenn ich mir aussuchen könnte, wie ich abtrete, kann ich mir schöneres vorstellen, als hier darauf zu warten, dass mir jemand ein Stück Stahl zwischen die Rippen rammt. Alt und

Zahnlos in einem Schaukelstuhl beispielsweise.“ Sie schüttelte nur den Kopf, bevor sie über den Hof davon ging. Die Nacht senkte sich jetzt endgültig über das Tal und der gewaltige, steinerne Festungsbau war fast völlig dunkel. So uneinnehmbar die hohen Mauern und abweisenden Türme auch wirkten, sie wusste nur zu gut, dass sie einem gezielten Angriff nur wenig entgegenzusetzen hatten. Kanonen und Sprengladungen würden innerhalb von wenigen Stunden Staub daraus machen. Tamyra sah zu einer einzelnen Reihe erleuchteter Fenster hinauf. Kiara blickte derweil auf den dunklen

Burghof hinaus. In ihrem Rücken brannte ein Feuer in einem großen Kamin und füllte den Raum mit Wärme. Trotzdem fror sie, als sie darüber nachdachte, was nun auf sie zukam. Hinter ihr an einem Tisch saßen Fenisin und der Seher Melchior. Während der Älteste der Gejarn ihre Unruhe zu teilen schien, war Melchior erstaunlich ruhig. Er hatte die Hände auf den Bernsteinknauf seines Stabs gestützt und wartete stumm darauf, dass sie etwas sagte. Aber sie hatte bereits alles getan, was in ihrer Macht lag, dachte die Ordensoberste. Die magischen Fallen vor der Burg wären ihre letzte Verteidigungslinie. Und sie wusste schon

jetzt, dass sie nicht ausreichen würden. Selbst wenn Andres Heer blind hineinmarschieren würde… Die Zauber würden ihr Blut zum Kochen bringen, sie zu Asche verbrennen oder direkt den Lebensfunken auslöschen. Und doch wäre es, trotz all dem Schrecken, den die Magie entfesseln konnte, bei dem Aufgebot, das der Herr von Silberstedt gegen sie führte, niemals ausreichen. ,,Ich bin alt verflucht.“ , murmelte sie. ,, Das ist keine Aufgabe für eine alte Frau.“ ,, Aber ihr gebt doch nicht auf, oder ?“ , fragte Melchior. Der Seher klang beinahe amüsiert. Wusste dieser Mann

wirklich etwas, das sie nicht wusste? Seine Ruhe schien ihn zu verraten. Oder er war eben wirklich nur ein verrückter alter Mann. Kiara sah in die Runde. Sie waren alle Alt. Drei verrückte alte, die sich vornahmen, die momentan größte Streitmacht Cantons aufzuhalten. Sie waren alle alt, müde… und zumindest sie und Fenisin hatten Angst. ,, Nein. Ich wünschte mir im Augenblick jedoch wirklich mein Einsiedlerleben zurück. Oder zumindest, zwanzig Jahre jünger zu sein.“ Sie drehte sich zum Tisch um. ,, Dann würde ich alleine nach Silberstedt gehen und den Ort in Schutt und Asche legen.“ Kiara setzte sich, nach wie vor den Kopf

voller Sorgen. Es war Fenisin, der schließlich wieder das Wort ergriff. ,, Ich denke, ihr unterschätzt euch ja vielleicht. Ich habe gesehen, was die Zauberer des Ordens anrichten können.“ Sie nickte. ,, Und es geschah nicht immer zum Besten, wie ich zugeben muss. Unsere Macht sollte uns der Welt gegenüber eigentlich verpflichten, Ältester. Als ihre Wächter. Und doch kann ich jetzt nichts tun, als zuzusehen, wie alles in Stücke geht. Wenn Andre Erfolg hat, gab es die längste Zeit ein Canton-Imperium. Das Kaiserreich ist Geschichte und was darauf folgt, will ich mir gar nicht vorstellen. Es ist

vielleicht nicht das beste System, aber es hat den Frieden im Land für Jahrhunderte gewährleistet. Wenn man von euren Eskapaden einmal absieht, Fenisin.“ ,,Ihr müsst etwas Vertrauen haben.“ , antwortete Melchior.“ Kiara lachte bitter. ,, Vertrauen… Wenn das so einfach wäre. Wie sieht es mit euch aus Seher? Sagt mir wenigstens, das eure Gabe für euch auch eine Last ist.“ Melchior antwortete nicht sofort, sondern starrte einen Augenblick auf seine Füße. Der Seher schien lange nachdenken zu müssen. ,, Teilweise. Ich wurde dazu erzogen, oberste Zauberin. Mein Volk besitzt

seine ganz eigene Form der Magie, wie ihr vielleicht wisst. Seher werden nur unter den Eisnomaden geboren… und es gab selten mehr als hundert von uns.“ ,,Man hat euch erzogen, etwas, mit dem ihr nun einmal geboren wurdet, als Belastung zu sehen ?“ , fragte Fenisin. ,, Das ist Irrsinn. Dafür kann doch niemand etwas.“ ,,Vielleicht. Meine Lehrer haben mich für alles um Verzeihung gebeten. Aber mit den Jahren habe ich besser verstanden, warum. Seher brauchen eine strenge Ausbildung, nicht weil wir unsere Gabe wie ein Zauberer beherrschen lernen müssten… sondern damit wir lernen, was sie bedeutet.

Neben mir gab es damals noch fünf andere Seher unter den Pyrtan.“ ,, Und was wurde aus ihnen ?“ , wollte Kiara wissen. ,, Sie sind tot. Jeder einzelne Seher wird von meinem Volk einer Prüfung unterzogen, man könnte es wohl einen Wesenstest nennen. Wer versagt… stirbt.“ ,, Das ist barbarisch.“ ,,Aus eurer Sicht mag es das sein. Aber ihr wisst, was ein böswilliger Zauberer anrichten kann. Stellt euch vor, welche Zerstörung ein Seher verursachen würde. Einer, der sich seiner Bürde nicht bewusst ist… Er könnte versuchen, die Welt zu beherrschen, aber das Wesen der

Prophezeiungen macht das zu einem äußerst gefährlichen Unterfangen. Er würde es versuchen, aber ultimativ muss er scheitern. Jemand, der nur nach seinen Visionen handelt, würde die Welt in den Untergang führen. Deshalb dürfen wir uns auch nicht direkt einmischen. Wir können einen Rat geben, ja, aber sich dem Schicksal voll in den Weg zu stellen ist unmöglich.“ ,, Aber wenn man die Zukunft kennt, wie würd man dann versagen ? Es scheint mir, als hätte man euch das nur erzählt um euch unter Kontrolle zu erhalten. Wie Schauermärchen, die man einem Kind beibringt.“ , stellte Kiara

fest. Melchior sah auf und der unterdrückte Zorn, der in seinen Augen aufblitzte, sagte ihr, dass sie ein Stück zu weit gegangen war. ,, Glaubt nicht, ich wüsste nicht wovon ich spreche, Zauberin. Ich weiß es nur zu gut. Glaubt ihr wirklich, mir fiele es leicht, mir das Leid der Welt anzusehen, in dem Wissen, das ich absolut nichts tun kann?“ Versöhnlicher fuhr er fort: ,, Die Zukunft ist nicht in Granit gemeißelt, sie fluktuiert, Kiara. Alle Schicksale bilden zusammen ein großes Netz, aber die Fäden darin verschieben sich ständig und es ist für eine einzelne Person unmöglich, ihnen ständig allen

nachzuspüren. Manche reißen auch ganz und damit können ganze Teile des Gewebes sofort ins Nichts gerissen werden, bevor man es auch nur bemerkt. Und dann gibt es wieder vereinzelte, goldene Pfade darin, die immer ihr Ziel erreichen, was man auch versuchen mag, sie umzulenken. Jeder Seher sieht daher immer ein, ein wenig anderes, Bild der Zukunft. Früher, wo es noch mehr von uns gab, konnte sich mein Volk aus dem Wissen eine Vorhersage zusammenfügen, die sehr genau beschrieb, was geschehen würde. Jetzt bin nur noch ich übrig. Und vielleicht bin ich der letzte, den es je geben wird. Die Welt hat sich verändert, Kiara. Ob ihr es bemerkt oder nicht. Sie

bietet immer weniger Platz für alte Sagen und… verzweifelte Propheten.“ ,,Könnt ihr denn sehen, wie das alles ausgehen wird ?“ Melchior schüttelte den Kopf. ,, Nicht sicher. Nur eines weiß ich. So viele Fäden, wie hier auch zusammenlaufen mögen, sie sind nichts gegen das, was Kellvian umgibt. Der Junge hat eine Zukunft und wir alle werden unseren Teil darin spielen müssen. So bitter, das auch werden mag. Ich habe ihn vor zwei Jahren so gut es ging geschützt… nur um ihn jetzt dem Sturm zu überlassen, der hereinbricht. Und wir werden ihm mitten hindurch folgen, Kiara. Wir sind bereits mitten drin, fürchte ich. Ob wir lebend

auf der anderen Seite herauskommen jedoch… weiß ich nicht.“ ,,Ich kannte seine Mutter.“ , meinte die Zauberin. ,, Silvia. Eine der talentiertesten Magierinnen, die der Orden je gesehen hat. Wäre sie bei uns geblieben, ich schätze, sie wäre an meiner Stadt zur nächsten Ordensoberen aufgestiegen. Stattdessen hat sie das aufgegeben. Ich bin Kellvian bisher nur einmal begegnet, aber von ihr hat er wohl seine sanftere Ader geerbt. Konstantin hätte Andre vermutlich hinweggefegt, bevor er gefährlich werden konnte. Und ihr bittet mich, mein ganzes Vertrauen trotzdem ihn diesen unsicheren Jungen zu

setzen?“ Fenisin bemerkte gar nichts, sondern musterte nur die Zauberin und den Seher, die sich am Tisch gegenübersaßen. Der Älteste, dachte Kiara, machte sich seine ganz eigenen Gedanken, auch wenn er die noch vor ihnen geheim hielt. Fenisin war kein Feigling. Aber konnten sie Kellvian wirklich einfach alles anvertrauen, grade, wenn der Ausgang so ungewiss war? ,,Ich fordere euch zu nichts auf, Kiara. Ich habe euch bereits erklärt, wieso ich dazu weder die Macht noch das Recht habe. Aber ich bitte euch darum.“ ,,Ich werde wirklich zu alt für so

etwas.“ , seufzte sie. ,, Vielleicht gelingt es uns auch, Andre hier zu stoppen.“ Sie glaubte nicht daran. ,, Wie ihr sagtet, die Zukunft ist nicht festgeschrieben, Melchior. Aber wenn wir wirklich nur die Wahl zwischen Andre und Kellvian haben, weiß ich, auf welcher Seite ich stehen werde. Auch wenn ich ihn für zu unerfahren halte, der Junge hat potential. Ich wünschte nur, ich hätte mehr Kontrolle über alles, was geschieht.“ Melchior schmunzelte. ,, Das sagt die Richtige.“ ,, Verzeiht. Euer Dilemma ist wohl noch größer als mein eigenes.“ Sie stand auf. ,, Ich vertrete mir ein wenig die Beine

und kontrolliere noch einmal die Schutzzauber. Wir sehen uns morgen. Und dann können wir nur abwarten, was der Tag bringen wird.“

Kapitel 30 Die PläneSilberstedts


Kiara trat hinaus in die kalte Nacht. Obwohl der Frühling angebrochen war, lag Frost in der Luft. Der Wind trug eisige Kälte von den Gletschern und Berggipfeln um die Burg hinab ins Tal und überzog alles mit einer dünnen Schicht aus Raureif. Das Mondlicht brachte die Kristalle zum Glitzern, als seien die Wiesen und kleinen Teiche um die Festung des Sanguis-Ordens zu Kristall erstarrt. Die Ordensoberste suchte sich ihren Weg über die, bis auf einige verstreute Posten, verlassenen Burgmauern. Kohlen

glühten in einer Reihe stählerner Becken und machten sich als Lichtpunkte in der Finsternis bemerkbar. Sie sah auf die Ebene hinaus und fuhr mit den Augen die Linien der dort gezeichneten Zauber nach. Dem normalen Auge wären die feinen, leuchtenden Pfade wohl verborgen geblieben, aber Kiara wusste, worauf sie zu achten hatte. Sie hatte den Zaubern alles gegeben, was sie hatte und das war nicht wenig. Das Gewicht der dunklen Träne Falamirs in ihrer Tasche, erinnerte sie beständig daran. Hatte Melchior am Ende recht, hieß das, sie müssten wirklich all ihr vertrauen in Kellvian setzten… sofern sie hier keinen Erfolg hatten. Und doch konnte sie sich

für die Idee nicht erwärmen, allzu viel Hoffnung in den jungen Kaiser zu setzen. Er hatte den Orden zwar erhalten, als er die Gelegenheit hatte, ihn stattdessen auszulöschen, aber schuldete sie ihm deshalb denn etwas? Kiara stützte die Hände auf den kalten Stein der Zinnen. Mörtel bröckelte unter ihren Fingern. Sie fühlte sich so alt, wie das Gemäuer. Gab es denn keine andere Möglichkeit? Jemand, der diese Bürde eher tragen konnte ? Die Zauberin kannte die Antwort. Und doch erforderte das von ihr genau so viel Vertrauen wie in Kellvian noch einmal in jemand anderen zu setzen. Gedankenverloren richtete sie den Blick nach Norden, auf

die nahen Berge. Andres Leute mussten bereits ganz in der Nähe sein. Kiara hörte leise Schritte, die sich über die Wehrgänge näherten und wendete sich schließlich wiederwillig von den Klippen ab. ,,Tamyra…“ Sie erkannte die auffällige Gestalt sofort wieder. Noch jemand, der heute kaum Schlaf finden würde. Jedoch… traf das wohl auf sie alle zu. Im Hof konnte sie Fenisins Kämpfer sehen, die sich um eine Reihe von Feuern zusammen gescharrt hatten. ,,Ich hatte nicht erwartet, euch hier draußen zu treffen.“ , meinte die Diplomatin. In einen schweren Wollmantel gehüllt, wirkte sie deutlich

massiger, als sie war. Darunter jedoch glitzerte ein Schwertgriff im Licht eines nahen Kohlebeckens. ,, Das Warten zehrt an den Nerven.“ , überging Kiara ihre Bemerkung. ,, Das wir nur noch herumsitzen und darauf hoffen können, das Andres Streitkräfte noch eine Weile in den Bergen festsitzen…“ ,,Ich weiß durchaus was ihr meint.“ , antwortete Tamyra. ,, Aber er wird ein paar böse Überraschungen erleben, wenn er sich hierher wagt.“ ,, Nun, ich habe durchaus vor, meine Leute zu beschützen, wenn ihr das meint. Wenn Lord Andre diese Burg will, wird er sie mir schon abnehmen müssen.“

Ihre Züge wurden einen Augenblick hart und kalt. ,, Das ist das mindeste, was ich tun kann. Ich fürchte, wir werden uns noch früh genug wieder nach der Zeit des Wartens zurück sehnen.“ ,,Habt ihr gesehen, wie Quinn zurück gekommen ist ?“ , wollte ihr gegenüber plötzlich wissen. ,, Ich habe ehrlich gesagt erst gar nicht daran geglaubt.“ , antwortete Kiara ihr. ,, Aber dieser Mann überrascht mich in letzter Zeit immer wieder. Trotzdem ist Quinn nach wie vor bestenfalls ein personifiziertes Unwetter. Aber… ich fürchte genau das werden wir bald brauchen.“ Am Ende sollte Tyrus offenbar doch

Recht behalten, dachte sie. Wieder einmal. Er war es, der Quinn ursprünglich als Ordensoberen hatte einsetzen wollen. Und sie hatte nicht die Kraft, diesen Krieg zu führen. Quinn hingegen besaß noch genug von seiner alten Gnadenlosigkeit. Ein schönes Werkzeug hast du dir erschaffen…. Die Stimme in ihrem Kopf klang bitter. Du hast den Mann losgeschickt und genauso zurückbekommen, wie du ihn brauchst. Andre de Immerson war froh, nicht mehr völlig auf die Stütze angewiesen zu sein. Mit humpelnden, aber eiligen Schritten, machte er sich auf den Weg durch die große Kaminhalle im Obergeschoss

seines Wohnsitzes. Große Holzscheite verbrannten funkensprühend und hielten die Kälte des Schnees, der Silberstedt nach wie vor im Griff hatte, in Schach. Selbst im Sommer wären ihnen nur wenige warme Tage vergönnt, bevor das Eis mit Macht zurückkehren würde. Die beiden Männer, die bereits an einer der Feuerstellen warteten, hätten unterschiedlicher nicht sein können. Der eine, hochgewachsen und kaum dreißig, war in einen Kürass und einen schweren, weißen Pelzmantel gekleidet. Das Schwert und die Pistolen, die er trug rundeten das Bild des Kriegers ab. Der andere hingegen war in eine dunkle Robe gehüllt, auf der silberne Ziernähte

glitzerten und hatte die Kapuze über das Gesicht gezogen, so das man nur erahnen konnte, wer sich darunter verbarg. Andre hatte keine Ahnung wie alt der Mann war, der sich ihm als Ismaiel vorgestellt hatte. Nur das ihm der Anblick des Zauberers eine Gänsehaut beschwerte. Er hatte für sich schon beschlossen, das er auf keinen Fall auf die Forderungen dieses… Dings eingehen würde. Er würde einen Weg darum herum finden. Und Andre hatte schon eine Idee. Das Erland hier war, erwies sich in dieser Hinsicht als Glücksfall. Der Feldherr war erst vor einigen Stunden aus den Bergen zurückgekehrt, um Bericht zu machen. Alleine hatte er nicht lange für

den Weg gebracht und würde wohl in wenigen Tagen wieder bei der Armee sein können. Die beiden Männer saßen sich in zwei schweren, gepolsterten Holzstühlen gegenüber. Der dritte, noch leere Platz hingegen, wäre für Andre selbst bestimmt. Der Herr Silberstedts ließ sich auf seinen Platz sinken und musterte seine zwei… Verbündeten, wenn er sie denn so nennen konnte. Erland folgte ihm einmal wegen der Bezahlung und auf der anderen Seite durch seinen Wunsch, sich zu Beweisen. Und warum sich Ismaiel, oder Meister, sich auf seine Seite geschlagen hatte war ihm nach wie vor ein Rätsel.

,, Also haben die ständigen Überfaälle endlich aufgehört, wie man mir berichtet hat ?“ , fragte Andre an Erland gerichtet. Der Mann schlug sich mit der Faust vor die gepanzerte Brust. Seine blauen Augen leuchteten, scheinbar schon in Vorfreude auf das, was kommen würde. ,, So ist es, Herr. Man könnte fast meinen, sie hätten einfach aufgegeben. Zwar haben wir Verluste erlitten, aber nichts, das unser Vorhaben ernsthaft gefährden könnte. Unsere Späher Berichten, das die Magier sich allesamt zur Burg zurückgezogen haben. Das Tal, in dem die Burg liegt, ist eine

Sackgasse, Herr. Sie sitzen wie Ratten in der Falle.“ ,, Da habe ich meine Zweifel.“ , murmelte Andre. ,, Ich kenne die Frau, die den Orden anführt und ich würde sie nicht unterschätzen.“ Kiara Vanir war ihnen schon in Vara in die Quere gekommen, als er Kellvians Krönung verhindern wollte. ,, Sie wäre doch niemals so dumm, sich derart selbst in die Enge zu treiben, wenn sie sich dadurch keinen Vorteil verspräche. Wenn es eine Sackgasse ist, können wir auch nur aus einer Richtung angreifen.“ Andre nahm eine Karaffe von dem kleinen Tisch, der zwischen ihren Plätzen stand. Goldener Branntwein

schwappte darin, den er, auf drei Kristallschwenker verteilte. Der Wein dafür stammte aus Risara und war Sündhaft Teuer geworden. Und er würde wohl noch etwas knapper werden, dachte Andre, wenn seine Pläne an Fahrt gewannen. Einen Keil durch Canton zu treiben würde vielerorts die Wirtschaft zum Erliegen bringen. Erland lehnte das Angebotenen Getränk jedoch dankend ab. ,, Ich würde lieber nüchtern blieben… wenn wir Taktik besprechen, Herr.“ Der Mann trank also offenbar nicht einmal, dachte Andre. Ganz der Heerführer. Manchmal fragte er sich, welcher der beiden Männer im Zweifelsfall die

größere Bedrohung darstellte. Ismaiel jedoch griff ohne ein Wort nach dem Glas. Andre hatte insgeheim darauf gehofft. Wenn er Zauberer etwas trank, würde er dabei hoffentlich auch einen Blick auf das Gesicht seines Gegenübers erhaschen können. Warum machte er daraus bloß so ein Geheimnis? Vielleicht war er durch irgendetwas entstellt und einfach eitel, dachte Andre. Nun er würde es gleich erfahren. Der Meister führte das Glas zum Mund, oder dort, wo sich dieser befunden hätte… und es verschwand einfach in der undurchdringlichen Dunkelheit unter dessen Kapuze. Als trüge der Mann eine Maske aus flüssigen Schatten. Das gab es

ja doch nicht. Ismaiel setzte das Glas ab und auch wenn Andre es nicht sehen konnte, wieder einmal, war er davon überzeugt, dass sein gegenüber lächelte. ,, Wenn euch die Ordensoberste solche Sorgen macht, Lord Andre, werde ich mich persönlich darum kümmern. Ihr habt mir ohnehin den Orden versprochen. Dann kann ich gleich einfordern… was ihr mir schuldet. Es sollte nicht allzu Schwierig sein.“ Die grenzenlose Selbstsicherheit, mit der sein gegenüber sprach, ließen Andre die Haare zu Berge stehen. Götter, auf welche verfluchte Kreatur hatte er sich da eingelassen? Sie sprachen hier von der Großmeisterin des Ordens. Und für

Ismaiel klang es, als wolle er ein Insekt zerquetschen. ,, Wir stehen ohnehin kurz vor der Burg.“ , erwiderte Erland, der grade das ihm Angebotene Glas zurück in die Karaffe schüttete. ,, Sobald sie fällt, steht uns nichts mehr im Weg.“ ,, Seid ihr euch da ganz sicher ?“ , fragte Ismaiel da, während er einen zweiten Schluck Branntwein verschwinden ließ. ,,Ihr vergesst Kellvian.“ ,, Ich bleibe dabei, das er unser geringstes Problem ist.“ , erwiderte Andre. Das Dagian versagt hatte, war ein Rückschlag, aber auch so, der Junge war keine Bedrohung. ,, Der Kaiser ist noch

weit weg.“ ,, Vielleicht nicht so weit, wie ihr denkt. Die Falle ist gestellt. Wir müssen nur noch auf eine Gelegenheit zum Zuschnappen warten. Ich möchte euch aber Vorschlagen, euch bis dahin zurück zu halten. Ich weiß aus… sicherer Quelle, das wir bald eine perfekte Gelegenheit haben werden, all unsere Sorgen auf einen Streich auszulöschen.“ ,, Ihr habt mir aber immer noch nicht verraten, wie diese Falle genau aussieht.“ , erklärte Andre. ,, Dieser Mann hat Leibwächter, selbst wenn nicht hat er zumindest genug loyale Beschützer. Mal davon abgesehen, das er für sein Alter leider nicht… ganz auf

den Kopf gefallen ist. Wie glaubt ihr, ihn so einfach überlisten zu können ?“ ,, Weil das Messer, das ihn in den Rücken treffen wird, die Gestalt eines alten Freundes hat. Ihr werdet es… sehr bald verstehen.“ Der schwarzgewandete Magier erhob sich mit einer eleganten Bewegung. ,, Solltet ihr mich brauchen, Lord Andre, ich ziehe mich zum Meditieren zurück. Es gibt viel zu bedenken. Gebt mir Bescheid wenn General Erland aufbricht. Ich werde ihn dann begleiten.“ Ihm war sofort wohler, als der Schatten verschwand. Andre wartete, bis die Gestalt die Treppe hinab ging und nicht mehr zu

sehen war, bevor er sich schließlich Erland zuwendete. ,, Ich habe noch einen Sonderauftrag für euch.“ , erklärte er. ,, Ich bin hier um zu dienen.“ Andre bedeutete dem Mann, aufzustehen und ihm durch das Zimmer zu Folgen. Er trat auf die Türen zu, die hinaus auf den Balkon führten und zog sie auf. Eiskalter Wind schlug ihnen entgegen. Andre stellte einen Fuß in die Tür, damit sie offen blieb. Für den Fall, das der Magier sie belauschen konnte, würde das heulen des Sturms ihre Worte hoffentlich unverständlich machen. ,, Sorgt dafür, dass kein Magier die Burg lebend verlässt. Kein einziger.“

Erland nickte nur und schlug sich abermals mit der Faust vor die Brust. Andre brauchte seine Befehle nicht zu erklären. Er schloss die Tür wieder und trat ans Feuer, um sich wieder aufzuwärmen. Jetzt musste er nur noch abwarten. Die Armee würde die Ordensburg in einigen Tagen erreicht haben. Und dann würde sich alles endlich zu seinen Gunsten Wenden. Andre faltete die Hände über dem Bauch zusammen und lächelte zufrieden. Die Zeit der Abrechnung war nahe. Und wenn das Kaiserreich dann unter seiner Kontrolle stand, würde er auch Zachary wiederfinden. Selbst wenn

das hieß, das er jede Stadt nach dem Jungen absuchen musste. Er wusste ja gar nicht mehr, wohin er gehörte. Aber er würde sich schon daran erinnern. Erland verabschiedete sich mit einer Verbeugung, bevor er ebenfalls die Treppe hinab verschwand, die eben noch der Meister genommen hatte. Andre blieb alleine zurück und trat an den Tisch, an dem die drei eben noch gesessen hatten. Er schüttete sich noch einen Schluck Weinbrand nach. Es könnte nicht besser

laufen…

Kapitel 31 Magische Kriegsführung


Quinn entdeckte die ersten, als die Sonne grade durch den Morgennebel drang, der sich über die Felder vor der Burg gelegt hatte. Der Zauberer stand auf den Zinnen der Burg, wo er und die kleine Gruppe Verteidiger schon seit Stunden aushaarten. Sie hatten gewusst, wann Erlands Männer hier eintreffen mussten und nun gab es keinen Zweifel mehr daran. Eine Front aus dunkel uniformierten Soldaten schob sich zwischen den treibenden Nebelfetzen hindurch. Auch wenn der Großteil der

Armee verborgen blieb, selbst die, die Quinn bereits sehen konnte, machten ihm die Hoffnungslosigkeit ihres Unterfangens bewusst. Es waren schlicht zu viele. Und sie zu wenige. Mal davon abgesehen, das ihr Gegner über ausgebildete Soldaten verfügte und auf ihrer Seite, neben Fenisins Wächter, nun ein dutzend bewaffneter Diener kämpften. Kaum eine Bedrohung für die Männer, die sich, grade außer Schussreichweite, vor der Burg formierten. Selbst die Anwesenheit von mehr als dreißig Magiern konnte wenig gegen das Gefühl der Angst ausrichten, das diese erdrückende Übermacht in ihm wachrief.

Es reichte einfach nicht. Er hatte lange mit sich gehadert, dachte Quinn. Aber letztendlich hatte er sich schon vor mehreren Wochen dazu entschieden, hier zu bleiben und wenn das bedeutete, dass sie hier ihr Ende fanden… Es gab schlimmeres, dachte er und seltsamerweise Beruhigte ihn der Gedanke etwas, während er den Blick weiter über die Armee schweifen ließ. Unten auf dem Hof unterhielt Syle sich gedämpft mit Melchior und Fenisin. Die drei würden eine Gruppe Freiwilliger anführen, die den Hof sichern sollte. Für den Fall, dass ein Feuer ausbrach, mussten die Flammen gelöscht werden

und wenn Erlands Männer sich tatsächlich die Mühe eines Angriffs auf das Tor machten, würden sie dieses verteidigen. Nicht, das Quinn damit rechnete. Neben ihm auf der Mauer hatten sich Lucien, Tamyra und schließlich auch Kiara eingefunden. Die Ordensoberste sah ausdruckslos und ohne sich etwas anmerken zu lassen zu der Streitmacht hinüber. Dann jedoch wendete sie sich ab und lief die Mauer entlang zu einem der Erkertürme. Quinn fragte sich, was sie vorhatte. Eine bessere Übersicht würde sie, bei dem Nebel, kaum von dort bekommen. Er folgte ihr lautlos, bedeutete aber gleichzeitig, Tamyra und

Lucien zu bleiben, wo sie waren. Die vielleicht siebzig Verteidiger, ob auf der Mauer oder im Burghof wurden nervös. Waffen klirrten, als die Männer den beiden Zauberern Platz machten und Kiara die Treppe zum Turm hinauf stieg. Durch mehrere Scharten im Stein viel trübes Licht und erlaubte Quinn, sich etwas umzusehen. Vermutlich war dieser Ort seit langem schon nicht mehr zu etwas andere, als, als Lagerhaus genutzt worden. Verrottende Kisten standen herum, zwischen denen sich bereits Spinnweben festgesetzt hatten. Die Ordensoberste jedoch schenkte dem Durcheinander kaum Beachtung, während sie sich beeilte, die Turmspitze zu

erreichen. Hier oben war der Wind schneidend Kalt und der Burghof schien viel zu weit Weg. Eine von metallenen Zacken gekrönte Zinne umlief die Aussichtsplattform. An einem Vorsprung wiederum, der auf die Wiesen vor der Burg hinausging, wehten die Banner des Ordens, noch gefroren von der Kälte der Nacht. Kiara trat auf den kleinen Vorsprung. Quinn folgte ihr, blieb aber in einigem Abstand stehen. Was hatte diese halb irre Frau denn jetzt wieder vor ? Wenn sie die Armee da draußen zu Tode starren wollte, dachte er, war das zwar ein guter Anfang, aber es würde ihnen nicht viel bringen. Langsam wurden auch Andres

Männer auf die einzelnen Person auf dem Turm aufmerksam. Mittlerweile hatte sich ihre Zahl längst noch einmal verdoppelt und immer noch traten neue Gestalten aus dem Nebel. Einen von ihnen, erkannte Quinn sofort. Der weiße Umhang, um die Schultern des Mannes, war nicht zu verkennen. Erland Reiksson hielt das Pferd auf dem er saß, mit einem Ruck an den Zügeln an, bevor er zu Kiara sah. Seine Stimme war , trotz der Entfernung, deutlich zu verstehen. ,,Ich gebe euch eine Chance, die Tore zu öffnen und euch friedlich zu ergeben.“ , rief er. ,,Danach sprechen die Waffen, bis einer von uns nicht mehr am Leben

ist.“ ,,Nichts anderes hatte ich vor.“ , antwortete die Zauberin. ,,Ich werde euch wiederum eine einzige Chance zum Rückzug geben, General Erland. Geht. Oder ich verspreche euch, ihr werdet alle sterben. Jeder einzelne Soldat hier, den ich sehen kann, jeder einzelne von euch, der es wagt, anzugreifen, wird den Sonnenuntergang nicht mehr erleben.“ ,,Leere Drohungen einer alten Frau.“ , obwohl er rufen musste, um sich verständlich zu machen, hatte Erlands Stimme etwas herablassendes. ,,Ihr sitzt in der Falle…“ ,,Ich fürchte, ihr missversteht mich. Das ist keine Drohung. Das ist ein

Versprechen.“ Einige Herzschläge lang folgte nur verwundertes Schweigen auf ihre Worte. Dann jedoch drang ein laut herauf, den Quinn erst nicht richtig deuten konnte. Dann jedoch verstand er. Erland lachte. Einige der Soldaten stimmte nervös ein, dann immer mehr, bis das ganze Heer in schallendes Gelächter ausbrach, das Quinn in den Ohren dröhnte und die Steine unter seinen Füßen zum Vibrieren brachte. Kiara verschränkte nur die Arme vor der Brust und wartete darauf, dass das Geräusch abebbte. Quinn dachte schon, es würde gar nicht mehr aufhören. Das wäre auch eine Option, dachte er

sarkastisch. Die Armee dazu zu bringen, sich totzulachen. Schließlich jedoch verstummten die Männer doch, einer nach dem anderen. Erland sah angespannt zum Turm hinauf. ,,Das ist eure letzte Chance. Wir könnten heute viel Blut sparen, wenn ihr vernünftig seid.“ ,,Eures, um genau zu sein.“ , antwortete Kiara. ,,Vielleicht will ich das ja aber gar nicht.“ ,,Dann kann ich für nichts garantieren.“ Erland riss die Zügel seines Pferds herum und führte das Tier zurück in den Nebel. ,,Nun, dann habt ihr es so gewollt.“ Quinn schloss die Augen. Wenn sie nur

mehr zu bieten hätten, als Drohungen. Er stieg die Treppe wieder hinab und hörte nach einigen Augenblicken, wie Kiara ihm folgte. Jetzt würde es auf Kampf hinaus laufen. Er nahm seinen Platz auf der Mauer wieder ein und schloss einen Moment die Augen. ,,Sagt bloß, ihr habt Angst ?“ , wollte Lucien neben ihm wissen. Der kaiserliche Agent spannte grade einen Bolzen auf die Armbrust. ,,Ihr nicht ?“ , hörte er Kiara erwidern. ,,Da habt ihr mir aber was anderes erzählt.“ ,,Nein, ich habe gesagt ich kann mir schönere Wege vorstellen, das zeitliche zu segnen. Das ist ein Unterschied.“

,, Letztlich spielt es keine Rolle, ob ich Angst habe, oder ?“ , fragte Quinn. ,, Ich bin noch hier, das zählt.“ Auf ein stummes Signal hin, kam auf einen Schlag Bewegung in die stummen Linien aus Soldaten. Die Männer stürmten einfach los, Leitern und Seile mit sich schleppend. Bei so wenig Verteidigern wollten sie sich wohl nicht einmal die Mühe machen, die Wälle über Stunden mürbe zu schießen. Sie würden sie einfach überrennen und die Burg stürmen. Entweder hatte Erland eine Belohnung ausgesetzt, oder die Männer waren begierig darauf, sich für die ständigen Angriffe in den Bergen zu

rächen. So oder so, sie rannten einfach ohne langsamer zu werden weiter, selbst als ihnen die ersten Kugeln entgegenflogen. Das Gewehrfeuer von den Wällen konnte ihren Angriff ohnehin kaum etwas von seiner Wucht nehmen. Wo einer viel und von seinen Kameraden bei Seite geschafft wurde, nahmen drei deren Platz wieder ein. Quinn sammelte sich. Er wollte seine Kräfte noch schonen, bis die ersten Männer wirklich versuchten, die Mauer zu erklimmen. Dort draußen auf dem Feld waren sie noch zu verstreut um sie gezielt zu bekämpfen. Keinem der grau uniformierten Gestalten fielen die schwach leuchtenden Spuren, die sich

durch das Gras zogen. Die Landschaft verwandelte sich unter ihren Stiefel ohnehin rasend schnell in eine einzige Schlammwüste. Manche, die jetzt stolperten und ausrutschten, wurden von den Nachrückenden Soldaten einfach überrannt. Und dann aktivierten sich die Zauber, die Kiara Tage zuvor gesponnen hatte. Quinn spürte die plötzliche schwere in der Luft, so als sei diese plötzlich aufgeladen, wie vor einem Gewitter. Einem Sturm, bei dem man bereits wusste, dass er alles hinwegfegen würde, egal wie gut man sich abgesichert hatte. Manche der Männer, die mittlerweile weit zwischen die gezeichneten,

magischen Linien geraten waren, spürten es wohl auch. Einige versuchten noch, langsamer zu werden, wurden jedoch von den nachrückenden weitergedrängt… Aus den zuvor noch wütenden und Anspornenden Rufen wurde jetzt stellenweise Panik. Und dann gab es einen einzelnen, grellen, lautlosen Lichtblitz. Eine Säule aus gleißender Helligkeit, so breit wie ein ganzer Abschnitt der Burgmauern, stieg gen Himmel. Es verzehrte alles, was sich in seinem Einflussbereich befand. Quinn sah, wie den Männern, die darin gefangen waren, innerhalb eines Herzschlags die Haut von den Knochen gebrannt wurde, bevor selbst diese zu

Staub zermahlen wurden. Ein gewaltiger Ring aus aufgewirbelten Staub und selbst kleineren Steinen breitete sich von der Lichtsäule her aus, prasselte gegen die Mauern oder ging über den Köpfen der nach wie vor Nachrückenden Soldaten nieder. Diese jedoch, stemmten nun die Füße in den Boden, um nicht in das tödliche Licht vor ihnen hineinzustolpern. Einige drehten sich auch direkt um und versuchten zurück zu kommen. Andere drangen, noch unbeeindruckt, weiter vor. Der eine Zauber hatte vielleicht fünfhundert von ihnen das Leben gekostet, aber wie schon die Angriffe in den Bergen, es war ein

Mückenstich. Quinn jedoch, der von seinem Platz auf den Mauern alles verfolgte und die feinen magischen Fäden erkennen konnte, hätte ihnen sagen können, das all dies Vergeblich war. Die die sich zurückzogen waren längst mitten im Netz der Zauber. Und die, die weiter vorrückte gerieten nur tiefer hinein. Eine zweite Falle löste mit gewaltigem Getöse aus. Von einem Herzschlag auf den anderen öffnete sich die Erde, so wie man ein Buch aufschlagen mochte und verschlang einfach einen Teil der Angreifer. Weitere wurden von herabrieselnden Felsbrocken erschlagen oder unter der aufsteigenden Welle aus

Erdreich begraben. Im Westen der Burg schlug plötzlich eine flammende Spirale gen Himmel und zeichnete eine Spur aus Asche durch das, was eben noch eine geordnete Streitmacht gewesen war. Andernorts zerschnitt eine Linie aus scharfkantiger Luft Beine und Gliedmaßen. Spätestens jetzt verloren die letzten die Nerven. Die Männer rannten nicht mehr weiter, weil sie eine Aufgabe zu erfüllen hatten, sondern nur, um das Feld der tödlichen Magie endlich verlassen zu können. Quinn zählte nicht mehr, wie viele Zauber noch auslösten und Soldaten verschlangen, in Brand setzten oder sie zu Staub zermahlten.

Einige wenige schafften es schließlich, sich tatsächlich bis zum Tor durchzukämpfen. Panisch schlugen sie gegen das uralte Holz um sich einen Weg hindurch zu Bahnen oder warfen direkt Enterhaken nach oben über die Mauern. In ihren Bewegungen lag keine Organisation mehr, nur nackte Angst vor dem hinter ihnen tobenden Inferno, das noch immer Opfer Forderte. Und dann löste die letzte, von Kiara ersonnene, Verteidigungslinie der Burg aus. Eine Wand aus flüssigem Feuer fegte die gesamte Länge der Mauern entlang, brachte die Steine zum Glühen und die Männer auf den Wällen dazu, das

Gesicht mit den Händen abzuschirmen. Die wenigen Soldaten von Andres Streitmacht, die es bis zur Burg geschafft hatten, wurden ins Nichts gesogen. Selbst die, die den Flammen entkamen erstickten einfach, als die gesamte Luft in ihrer näheren Umgebung verbrannte. Magische Kriegsführung war ein schrecklicher Anblick. Als die flackernden Zauber schließlich erloschen, war kein einziger der Männer, die zuvor aus dem Nebel aufgetaucht waren, mehr am Leben. Kiara hatte ihre Drohung mehr als wahr gemacht, dachte Quinn, während er sich die Zerstörung besah. Weite Teile des Graslands vor der Ordensburg waren verbrannt,

zertrampelt, gefroren oder sonst wie verunstaltet. Als hätten die Elemente selbst Krieg geführt. In gewisser Weise, hatten sie das wohl auch, dachte Quinn. Und doch war es ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Nebelfelder trieben auseinander und ließen die Sonne endlich durch. Und mit dem Nebel verzog sich auch Quinns kurz aufkeimende Hoffnung. ,, Ihr habt nicht noch ein paar Zauber übrig, oder?“ , fragte Lucien, als er dem Blick des Zauberers folgte. Er schüttelte den Kopf. Sie hatten ihr Pulver verschossen. Die Zauber waren verbraucht. Aber wenigstens, dachte Quinn, würde sich jeder dort unten wohl

für alle Ewigkeit a diesen Tag erinnern. Hinter dem Nebel verborgen, formierte sich eine Streitmacht, die kaum so aussah, als hätte sie grade eben irgendwelche Verluste erlitten. Die Reihen aus bewaffneten Männern zogen sich bis zum Taleingang zurück und vermutlich noch bis in die Pässe hinein. Sie hatten nichts verändert. Doch nun waren die Soldaten vorsichtiger. Erland ritt auf seinem Pferd vor den Reihen der Soldaten auf und ab. Zwei weitere Reiter, welche die violetten Banner Silberstedts hielten, folgten ihm. Was hatten sie jetzt nur

vor?

Kapitel 32 Die Lichtschleuder


Syle hastete die Stufen zur Mauer hinauf. Er wollte selber sehen, was vor sich ging. Nachdem die Schreie draußen vor dem Tor schließlich verstummt waren, war es bereits viel zu lange ruhig, doch von seinem Posten im Burghof aus, konnte er nur die Rücken der auf der Mauer stehenden Männer und Frauen erkennen. Die Ordensmagier, die er passierte hatten sich, als Schutz vor der morgendlichen Kälte, in ihre türkisfarbenen Umhänge gehüllt, trotzdem zitterten manche von ihnen.

Und das, dachte der Gejarn, lag offenbar weniger an der Temperatur. Er gab Melchior und Fenisin Anweisungen, im Burghof zu bleiben. Die beiden würden dort auch ohne ihn die Wache übernehmen können. Melchior schien sich als einziger, keine allzu großen Sorgen über ihren bevorstehenden Tod zu machen. Der Seher wirkte beinahe entspannt, wie er da, in eine schwarz-blauen Robe gekleidet, am Torpfosten lehnte. Fenisin hingegen hätte Syle heute bei Tagesanbruch fast nicht wiedererkannt. Der Gejarn trug tatsächlich ein Schwert, das gar nicht so fehl am Platz wirkte, trotz seines Alters. Hinzu kam ein

schlichter Kürass, den wohl irgendjemand in den Katakomben der Festung aufgetrieben hatte. Seine Leibwache, auch die, die auf der Mauer Dienst schoben, ließen den Ältesten der Wölfe nicht aus den Augen. Syle trug nach wie vor das Messer, das dieser ihm geschenkt hatte. Die kostbare Waffe steckte, in einer schützenden Lederscheide, in Syles Hosenbein. Mittlerweile war der Tag hereingebrochen und die Sonne schien als helle, runde Scheibe vom Himmel, auch wenn es noch nicht ganz reichte, um den Frost von den die Burg umgebenden Feldern zu vertreiben. Oder besser, dort, wo diese Wiesen noch

vorhanden waren. Ein breiter Streifen Land vor den Mauern sah aus, als hätte ein zorniger Gott darüber gepflügt. Gewaltige Steine, so groß wie Ochsenkarren, lagen willkürlich verstreut, an anderer Stelle war das Gras von der Erde gebrannt worden und an wieder anderer Stelle, lagen versreute Knochen, die aussahen, als hätte irgendetwas sie blank poliert. Das war also der Grund für die Schreie gewesen, dachte Syle, bevor er zu der gewaltigen Streitmacht herüber sah, die, scheinbar unentschlossen, auf der anderen Seite des Ödlands wartete. ,,Worauf warten die ?“ , wollte er wissen, als er Lucien, Tamyra, Quinn

und Kiara entdeckte, die ebenfalls an den Zinnen standen. ,, Wir haben ihnen wohl Angst gemacht.“ , antwortete die Ordensoberste. ,, Und das mit Recht. Ich wette, Erland dürfte Schwierigkeiten haben, seine Männer dazu zu bewegen, so schnell einen zweiten Angriff zu wagen.“ ,,Wie lange stehen sie jetzt schon da ?“ ,, Etwa eine Stunde.“ , antwortete Tamyra. ,, Erland ist es wohl nicht gelungen sie zu überzeugen. Der General ist… verschwunden.“ Syle zog eine Augenbraue hoch. ,, Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen

?“ ,, Das wüsste ich auch gerne.“ , warf Lucien ein. ,, Die sind schon viel zu lange ruhig. Und sobald das endet fürchte ich… können wir mit dem Zähneklappern anfangen.“ ,, Wenn ich das wüsste…“ Die Diplomatin sah zu Quinn. Der Zauberer hatte während ihres gesamten Gesprächs die Augen nicht von der nahen Armee gelassen. ,, Irgendetwas tut sich da.“ , meinte er und deutete hinaus zu den Reihen uniformierter Musketiere und Kavalleristen. Die Männer formten eine Gasse, um einem einzelnen Reiter Platz zu machen, in dem Syle sofort Erland

erkannte. Der Mann setzte sich mit seiner auffälligen Kleidung wirklich einem Risiko aus, dachte der Gejarn. Entweder legte er es darauf an, in einer Schlacht vom Feind auch gefunden und erkannt zu werden, oder es war simpler Eitelkeit zuzuschreiben. Irgendwie glaubte Syle aber nicht, das letzteres zutraf. Der Gejarn überlegte einen Moment, ob er den General auf die Entfernung mit dem Gewehr erwischen konnte. Die Muskete lehnte neben ihm an der Mauer. Die Antwort lautete, vermutlich nicht. Und selbst wenn, würde sich die Armee kaum zurückziehen, nur weil ihr Anführer fiel. Es gab mehr Offiziere als

nur Erland. Dieser ritt einem seltsamen Karren voraus, den eine ganze Reihe von Soldaten durch das Gras zog. Syel hätte damit gerechnet, das Andres Männer es jetzt mit Kanonen und Geschützen versuchen würden. Die Mauern der Burg zu Fall zu bringen war einfacher, als sich noch einmal in die Todeszone davor zu wagen. Aber was dort auf dem hölzernen Wagen montiert war, erinnerte nicht einmal im Entferntesten an eine Waffe, dachte er. Es war komplett aus dunklem Holz gefertigt. Ein seltsames Gestellt, in dem an Lederriemen und Scharnieren mehrere blank polierte Spiegel und Glaslinsen

montiert waren. Syle hatte einmal ein Mikroskop gesehen, wie es die Gelehrten in Vara benutzten. Viele Adelige besaßen ebenfalls solche Instrumente und sei es nur, als Dekoration oder zum Zeitvertreib. Irgendwie erinnerte ihn das Konstrukt entfernt daran. Ein flaues Gefühl machte sich in seinem Magen breit, als Erland Befehl gab, das Konstrukt etwas hinaus auf die sonnenbeschienenen Felder zu ziehen. Was sollte das ? Licht spiegelte sich auf den versilberten Glasscheiben wieder. Wollte er sie einfach nur Blenden, damit sie nicht sahen, was er tat ? Syle spürte, wie Tamyra neben ihm unruhig wurde. ,, Das gefällt mir gar nicht.“ , bemerkte

sie, während sie die Augen mit der Hand abschirmte. Besonders gefährlich schien es nicht zu sein. ,, Da seit ihr nicht die einzige.“ , antwortete Quinn. ,, Haben wir irgendetwas, womit wir das Ding von hier aus Treffen können ?“ ,, Könnt ihr das nicht erledigen, oh großer Zauberer ?“ , fragte Lucien. ,, Nein. Die Zauber vor dem Tor haben sich aus der Kraft von uns allen gespeist. Soweit kann ich einen Feuerball nicht mehr aufrechterhalten und lenken. In ein paar Minuten vielleicht wieder…“ ,, Ich glaube nicht, das wir die haben.“ Erlands Männer waren mittlerweile auf das Gerüst geklettert und begannen, die

Spiegel und Linsen einzustellen. Syle blinzelte verwirrt, als die blendenden Lichter verschwanden. Irgendetwas stimmte da ganz und gar nicht. Schließlich waren alle Spiegel in zwei konzentrischen Kreisen angeordnet, die allesamt auf eine Aufeinanderfolgende Reihe von Linsen gerichtet waren. Im nächsten Moment glühten diese der Reihe nach rot auf, so als wäre das Glas kurz davor, zu schmelzen… ,, Ein kleines Geschenk aus Silberstedt, Ordensobere !“ , rief Erland, bevor er sein Pferd herumriss und auch die Soldaten, die eben noch an der Maschine gearbeitet hatten, ihr Heil in der Flucht

suchten. ,,Ich glaube wir sollten alle sofort…“ , weiter kam Syle nicht mehr. Ein gebündelter Lichtstrahl zuckte über das verwüstete Feld zwischen feindlichem Heer und Ordensburg. Der Gejarn hatte noch nie etwas Derartiges gesehen und alles geschah so schnell, das er sich später nicht einmal mehr sicher war, überhaupt etwas gesehen zu haben. Der Blitz schlug direkt ins Burgtor ein, brannte Holz zu Asche, schmolz Metallstreben und trieb die dahinter Wache haltenden zurück. Holzsplitter wurden umhergeschleudert und prasselten über den ganzen Burghof verteilt nieder. Syle konnte nur

fassungslos zusehen, wie sich ihre Verteidigung innerhalb eines Herzschlags in Rauch verwandelt hatte. Noch bevor er sich aus seiner Erstarrung lösen konnte, war die Luft erfüllt von wütenden Rufen und den Schreien der Verletzten. Ihrer Verletzten… Und die wütenden Rufe aus dem gegnerischen Heerlager, die plötzlich immer mehr anschwollen, als Andres Streitkräfte einen zweiten Sturmangriff wagten. Diesmal, auf eine Burg, die über keine Tore mehr verfügte. Die Erkenntnis traf Syle wie ein Schwall eiskaltes Wasser. Sie hatten nichts mehr, was sie einem erneuten Angriff entgegenstellen konnten. Mal von

blankem Stahl abgesehen und selbst daran mangelte es ihnen. Kiara gewann als erstes die Oberhand über die lähmende Angst, die sich ihrer bemächtigt hatte. ,,Alle in den Hof. Gebt die Mauern auf, beeilt euch. Sichert das Tor. Sie werden sich nicht mehr die Mühe machen, heraufzuklettern. Los, sichert das Tor, treibt sie dort zurück. Sie können nicht mit voller Wucht angreifen, wenn wir nur das Tor halten.“ Syle wusste, wären die Zahlen ausgeglichener gewesen, oder würden sie nur über hundert Mann mehr verfügen, Kiara hätte Recht behalten können. So jedoch spielte es keine Rolle, ob der

Feind sie aus einem Engpass heraus angriff. Sie hatten keine Möglichkeit, ihre eigenen Männer zu ersetzen, wenn auch nur einer fiel. Syle verbot sich, weiter darüber nachzudenken, sondern hastete nur die Stufen hinab vom Mauerkamm in den Innenhof. Unten angekommen, vergewisserte er sich mit einem raschen Blick, wie viel Schaden die seltsame Lichtwaffe angerichtet hatte. Die Tore waren nicht mehr zu retten, alles was noch übrig war, waren einige lose Bretter, die an den halb geschmolzenen Scharnieren hin und herschwangen. Durch die entstandene Lücke konnte er bereits die näherkommenden Soldaten

aus Silberstedt sehen. Ihnen blieb vielleicht eine gute Minute, bevor sie hier sein würden. Der Gejarn riss das Kommando an sich. Musketenschützen nach vorne, bildet eine Zweierreihe. Ein Fuß Abstand zum Nebenmann. In die Lücken, alle Schwertkämpfer. Die erste Linie feuert und zieht sich dann hinter die zweite zurück um Nachzuladen. Wiederholt das, haltet die Position und die Formation und vielleicht… bringen wir ihren Vorstoß zum Stocken.“ Die Männer waren zu verängstigt, um lange Nachzufragen. Die meisten waren wohl einfach nur froh, dass sie klare, kalte Anweisungen erhielten, die ihnen

zumindest ein Gefühl von Sicherheit gaben. Sie taten , was er ihnen sagte. Syle selbst stellte sich zwischen die Schützen der ersten Linie. Sie wären am gefährdetsten, wenn die Armee die Tore durchbrach. Mit einem Blick vergewisserte er sich, das alle sich an die Anweisungen hielten. Tamyra und Lucien stellten sich, jeweils ein Schwert in der Hand, links und rechts von ihm. Kiara erteilte derweil mit Quinn Anweisungen an die Magier und Fenisin befahl seinen Leibwächtern, die Flanken der Schützenlinien zu sichern. So formten die Männer einen Halbkreis um das offen stehende Tor. Wer immer

hineintreten würde, würde im Kreuzfeuer untergehen. Aber nur, bis die Übermacht zu erdrückend wurde, dachte Syle. Kiara und Quinn verteilten die überlebenden Zauberer derweil in einem zweiten Kreis um die Kämpfer. Sollte es zu einem Durchbruch kommen, würde der Orden jeden erledigen, der auf den Hof hinaus trat. Und dann war Andres Heer auch schon über ihnen. Die grau und schwarz uniformierten Männer brachen durch die Überreste der Tore und stürmten, Schwerter und Pistolen schwingend, auf den Platz hinaus. Bevor sie jedoch die Reihen der Verteidiger erreichten, gab Syle den

Befehl. ,,Erste Linie…. Feuer.“ Der ohrenbetäubende Klang von vierzig gleichzeitig abgefeuerten Musketen übertönte selbst einen Moment die Schlachtrufe der Angreifer. Rufe, die nun rasch durch Schmerzensschreie ersetzt wurden. Auf die kurze Entfernung hätte selbst ein blinder nicht verfehlen können. Die getroffenen Soldaten stürzten , tot oder verwundet übereinander, wurden von den Nachrückenden überrumpelt oder stolperten gar in diese hinein und brachten noch mehr zu Fall. Das Chaos gab den Verteidigern jedoch kaum eine Atempause. Die Luft war erfüllt von

Kordit und Blutgeruch. ,, Zweite Linie !“ , rief Syle und zog sich mit den anderen zurück, während die zweite Schützenline vortrat. Er brauchte gar nicht erst den Befehl zum Feuern geben. Die Hoffnung gab den Männern etwas Disziplin und geradezu einen Hauch von Todesverachtung mit. Ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, legte die aus Dienern und Arbeitern bestehende Miliz an und feuerte. Erneut kam der Sturm aus Angreifern kurz zum Erliegen, wurde zurückgedrängt… dann jedoch waren Andres Männer heran und der eigentliche Kampf begann. Stahl prallte auf Stahl,

Pistolenschüsse lösten sich und jagten als Blindgänger davon oder fanden Fleisch. Zauber zuckten und brannten sich durch Stahl und Haut. Die Reihen der Verteidiger wurden von der schieren Masse aus Angreifern zurück gedrängt… ,,Formation auflösen. Lasst sie sich etwas im Hof verteilen. Schützen zurück auf die Mauer, beharkt sie von oben. Aber achtete darauf, dass keiner von uns dazwischen gerät.“ , rief Syle, bevor er das Gewehr wegwarf und zum Schwert griff. Er verlor die anderen im Chaos rasch aus den Augen und fand sich bald auch schon mitten im Getümmel wieder. Degenklingen stachen nach ihm. Eine Kugel pfiff an seinem Kopf vorbei…

Syle duckte sich unter dem Schlag eines schwarz gekleideten Offiziers weg. Offenbar hatte der Mann nicht Gedacht, dass jemand von der Größe des Bären, so flink sein könnte. Syles Klinge fand ihr Ziel und sein Gegner brach mit durchbohrter Lunge zusammen. Nur damit sofort weitere Nachrückten… Er wusste jetzt schon, dass es Hoffnungslos war. Zwei Männer gleichzeitig gingen mit erhobenen Schwertern auf ihn los. Bevor sie ihn jedoch erreichten, zuckte einer von ihnen zusammen, als ihm ein Bolzen die Schulter durchbohrte. Der zweite zog seinen Verwundeten Kameraden mit sich, zurück in die Reihen der Angreifer. Syle nutzte die

kurze Atempause und sah sich nach Lucien um. Der kaiserliche Agent nickte ihm von der Mauerkrone aus zu, während er sich schon ein neues Ziel suchte. Syle war mal hier mal dort, half aus, wenn die zunehmend zurückgedrängte Front aus Verteidigern zu brechen drohte… Am Ende zögerte es das unvermeidliche Ende nur hinaus. Aber er hatte sich geschworen bis zum letzten zu Kämpfen und das tat er auch. Syle wehrte eine weitere Klinge ab und sah sich plötzlich einer Gestalt in einem weißen Umhang gegenüber. Einen Moment verharrten sie beide, wo sie waren, während die Kämpfe um sie weitergingen. Gefangen, in ihrer eigenen

Welt, in der die Zeit langsamer zu laufen schien. Erland Reiksson musste die Uniform der kaiserlichen Garde erkennen. Der Garde, der fliegenden Stadt. Die Einheit, aus der er ausgeschlossen worden war. ,,Sieh mal einer an….“ Andres General richtete die Waffe auf ihn. ,, Wer hätte Gedacht, dass es hier auch noch Krieger gibt und nicht nur Bauern.“ Syle antwortete nicht, sondern hob nur die eigene Klinge. Wenn er Andre wenigstens noch um seinen Heerführer brachte, wäre es all die Mühen schon fast wert gewesen, dachte er. Ihre Schwerter prallten aufeinander, unhörbar in dem sie umgebenden Chaos

aus Verwundeten, Sterbenden und denen, die immer noch weiterkämpften.

Kapitel 33 Duell im Burghof


Erland war ein meisterhafter Schwertkämpfer. Syle musste schon nach wenigen Streichen einsehen, das ihm der Mensch mehr als Ebenbürtig war. Was ihm an Kraft fehlte, achte er durch pures Können wieder wett. Das Aufeinanderprallen des Stahles war alles, was Syle noch wahrnahm , während Erland und er sich einen Schlagabtausch nach dem anderen lieferten, nur um sich dann wieder zurück zu ziehen. Die meisten Kämpfer auf dem zunehmend chaotischer werdenden Schlachtfeld wichen den

beiden Kontrahenten einfach nur aus. Erland gab einigen seiner Männer sogar mit der Hand zu verstehen, sie sollten sich von Syle fernhalten. Der Gejarn war über diese seltsam ritterliche Geste überrascht, ließ sich jedoch davon nicht aus der Ruhe bringen. Andres General griff ihn mit sparsamen, gezielten Schlägen an, parierte Syles eigene Vorstöße oder wich den wuchtigeren Hieben, die seine Verteidigung vielleicht durchbrochen hätten, einfach aus. Einmal versuchte er, dem Mann mit einem Überkopfschlag zu erwischen. Ein riskantes Manöver, aber wenn es Erfolg hätte, würde Erland den Angriff nicht einfach parieren können. Dieser jedoch,

machte sich gar nicht die Mühe, sondern trat mit einer blitzschnellen, eleganten Drehung bei Seite. Syles Schwert grub sich mit der Spitze in den Erdboden des Burghofs. Er riss die Klinge rasch herum, wusste aber bereits, das er zu langsam sein würde. Erland war in seinem Rücken und musste nur zustoßen. Statt des tödlichen Hiebs jedoch, erhielt er nur einen Tritt, der ihn nach vorne in den Staub warf. Die Klinge wurde ihm aus der Hand geschleudert und landete Klirrend ein paar Schritte entfernt. Er wälzte sich auf den Rücken und sprang auf. Erland stand nach wie vor da, wo Syle gestürzt war, die Hände auf den Knauf des Degens gestützt und

wartete. ,, Jetzt hebt eure Waffe schon wieder auf.“ , meinte er. Seine Stimme verriet, dass er sich genauso verausgabt hatte, wie Syle, auch wenn seine Haltung nach wie vor Selbstsicherheit Ausstrahlte. ,, Ich habe immerhin nicht den ganzen Tag Zeit.“ ,, Wir werden sehen, wer hier wessen Zeit verschwendet.“ Syle warf sich zur Seite und packte den Waffengriff. In einer fließenden Bewegung war er erneut auf den Füßen und in Erlands Flanke. Syle konnte nicht verfehlen. Er schlug mit aller Kraft zu und zielte auf den Hals seines Gegners. Er konnte verfolgen, wie der Stahl in der Sonne

glitzerte… Dann war da, wo eben noch Erlands Kopf gewesen war, nur noch Luft. Syle stolperte erneut nach vorne, von der Wucht seines eigenen Angriffs getragen… und spürte plötzlich wie sich etwas in seine rechte Schulter bohrte. Sein Schwung trug ihn noch ein Stück weiter nach vorne und trieb das Stück stahl noch tiefer in seinen Körper. Brennender Schmerz explodierte von der Wunde aus und brachte ihn dazu, das Schwert fallen zulassen. Blut strömte über seinen Arm und durchtränkte den Stoff. Syle ging keuchend in die Knie, als Erland das Schwert zurückzog. Der Gejarn biss die Zähne zusammen um nicht zu schreien, als der Stahl sich

erneut durch sein Fleisch Schnitt. Erland betrachtete ihn einen Moment nur, wie einen lästigen Käfer, als er aus seiner Flanke auftauchte. Syle konnte die Stelle sehen, wo sein Schwert gelandet war. Völlig außer Reichweite, selbst wenn sein rechter Arm nicht taub vor Schmerzen gewesen wäre. Er hatte seinen Gegner unterschätzt und fürchtete, jetzt den Preis dafür zahlen zu müssen. Um ihn herum im Burghof tobte weiter die Schlacht auch wenn die Verteidiger sich nach und nach zurückziehen mussten. Es war vorbei… Er sah zu der Gestalt Erlands auf, die vor ihm aufragte. Aber nur ein Stück. Selbst auf den Knien reichte Syle dem

Mann fast bis zum Kinn. In den Brustpanzer der dunkelhaarigen Gestalt, war das Spinnenwappen Silberstedts eingraviert. Syle sah, wie er die Klinge hob. ,, Heute, Gardist, endet euer Imperium.“ Metall blitzte auf… und kam kurz vor seinem Gesicht kreischend zum Stehen. Stahl prallte nicht auf Fleishc sondern auf Stahl, als sich eine zweite Schwertklinge zwischen ihn und Erland schob. ,, Nicht heute.“ , meinte eine Syle nur zu vertraute Stimme. Tamyra wischte sich eine Strähne roten Haares aus dem Gesicht. Auf Erlands Gesicht breitete sich ein ungläubiges Grinsen

aus. ,, Eine Frau… Geht und Versteckt euch irgendwo, Lady. Das ist schwerlich euer Kampf.“ ,, Ich bezweifle es.“ Tamyra schlug das Schwert des Generals aus dem Weg und ging mit einer Reihe gezielter Schläge auf ihn los. Der überraschte Erland musste tatsächlich zurückweichen und konnte die Attacke nur mit Mühe abwehren. Syle rappelte sich wieder auf und hob sein Schwert mit der Linken auf. Der rechte Arm hing nutzlos herab. Er setzte Tamyra und Erland nach. Die Diplomatin trieb den Heerführer mittlerweile immer weiter

zurück… Quinn ließ eine Welle aus Frost über die angreifenden Soldaten niedergehen. Die, die ihm zu nahe kamen, erstarrten direkt zu Eis. Und selbst diejenigen, die weiter Weg standen, wichen vor der eiskalten Luft zurück, die ihnen plötzlich entgegenschlug. Fenisin hatte seine Krieger zusammengerufen, die nach wie vor verhinderten, dass den Verteidigern jemand in die Flanke fiel und kämpfte an ihrer Seite. Quinn hätte nie gedacht, dass der alte Gejarn noch so viel Feuer hatte, aber mehr als einer von Andres Soldaten musste bereits herausfinden,

was es hieß, dem Mann zu nahe zu kommen. Trotzdem reichte es nicht aus. Bisher hielten ihre eigenen Verluste sich in Grenzen, aber das würde sich jeden Augenblick ändern. Mit jedem Herzschlag strömten mehr von Andres Männern den Burghof und verschlimmerten die Lage der Verteidiger Zusehens. Selbst dort, wo die anderen Magier unter Kiaras Führung noch Wiederstand leisteten, gab es erste Tote. Die Ordensobere hatte den Zaubern vor der Burg den Großteil ihrer Kraft geopfert, ließ sich das aber kaum anmerken. Quinn bemerkte den schwarzen Stein in ihrer Hand. Selbst mit der Träne würden sie

heute nicht siegen können, dachte er. Er bezweifelte, dass selbst alle neun Kristalle zusammen sie noch retten könnten. Der Magier schickte eine weitere Lanze aus flüssigem Feuer aus seinen Fingerspitzen. Die Flammen trieben die Gegner, die sich um ihn sammelten zurück und setzten die Kleidung mehrerer in Brand, die sich schreiend zu Boden warfen. Es war nicht einmal ein Bruchteil von dem, zu was er sonst in der Lage war, dachte Quinn geknickt. Zu mehr als solch einfachen Tricks reichte seine Konzentration einfach nicht mehr aus. Mutlosigkeit und Lethargie wurden langsam Abgelöst durch simple Erschöpfung. Lange hielten

sie das alles nicht mehr durch… Melchior war zu Quinns rechter in die Enge getrieben worden. Wussten die Götter, was den unbewaffneten Alten dazu veranlasst hatte, sich mitten auf das Schlachtfeld zu verirren, anstatt in dem kleinen Stück Hof zu bleiben, das sie noch sicher hielten. Quinn sah, wie eine Kugel die grau-schwarzen Haare des Sehers teilte, aber wirkungslos hinter ihm in den Erdboden einschlug. Hätte er es nicht besser gewusst, er wäre davon ausgegangen, dieser Mann fürchtete den Tod schlicht nicht. Nicht alle von Andres Kämpfer konnten sich überhaupt an der Schlacht

beteiligen, so zusammengeschrumpft, wie die Front der Verteidiger mittlerweile war. Einige der nachströmenden Soldaten begnügten sich damit, auf die Schützen auf den Burgmauern zu zielen oder standen sogar nur herum, zogen Verletzte in Sicherheit und warteten… auf das Ende, das jeden Moment eintreten musste. Nun jedoch wurden einige von ihnen auf Melchior aufmerksam und stürzten sich mit erhobenen Schwertern auf den Seher. Quinn wusste, dass die Entfernung zu groß war, als das er etwas hätte tun können. Bevor die Männer den Seher jedoch erreichten, hob er nur den Stab, den er trug. Einige Talismanen, bei

denen es sich ohne Zweifel um geschnitzte Knochen handelte, klimperten daran. Als der erste Soldat nach Melchior schlug, hätte er genauso gut auf massiven Stein treffen können. Die Klinge in seiner Hand zersplitterte an einer unsichtbaren Barriere, die sich um die Gestalt des Sehers gelegt hatte. Quinn konnte das schillernde magische Feld sehen, dass der Mann erschaffen hatte… Der Stab den er trug, war ein Artefakt des alten Volkes. Quinn hatte schon einmal gesehen, was Melchior damit anrichten konnte, obwohl es offenbar nur zur Selbstverteidigung gedacht war. Bevor der Angreifer sich wieder

gefangen hatte, wurde er plötzlich mit Gewalt von den Beinen gerissen und rückwärts geschleudert. Die entstehende Schockwelle zog auch seinen Kameraden den Boden unter den Füßen weg, so dass sie in einem durcheinander aus Stahl und Uniformen übereinander stolperten. Quinn korrigierte sich. Für den Seher bestand im Augenblick zumindest keine Gefahr. Rasch sah er sich nach den anderen um. Lucien befehligte die Schützen auf der Mauer und verhinderte auf einer der Treppen, dass Erlands Männer hinauf gelangten. Die schmalen Stufen boten immer nur einem Mann nach dem anderen Platz und der kaiserliche Agent stieß einem nach dem

anderen wieder hinab in den Burghof. Kurz bevor ihn die Masse an Angreifern doch überrannte, zog er neben der Armbrust auch noch eine kleine, rote Phiole unter seinem Mantel hervor. Quinn erkannte sofort, um was es sich dabei handelte. Drachenfeuer… Dieser Mistkerl musste die ganze Zeit über schon etwas davon übrig behalten haben. Oder er hatte es in den Lager des Ordens gefunden. So oder so, hatte er eine Ahnung, wie oft ihnen das schon hätte nützlich werde können. Lucien legte einen Bolzen, an dem das Fläschchen befestigt war auf die gespannte Armbrust. Auf die kurze Entfernung konnte er nicht verfehlen.

Der Bolzen schnellte von der Sehne und bohrte sich dem ersten Soldaten, der das obere Ende der Treppe erreichte in die Brust. Das Glas der Phiole zerbarst beim Aufprall und ließ Niederschlag aus flüssigem Feuer und Splittern über die Männer niedergehen. Kleidung geriet in Brand. Haare fingen Feuer, die Männer gerieten sich gegenseitig in den Weg, stolperten abermals übereinander und stürzten die Treppe hinab auf die Erde. Der Sturz war nicht hoch genug, um sie zu töten, aber er verschaffte Lucien zumindest eine Atempause. Wenigstens einer von ihnen war fürs erste in Sicherheit, dachte Quinn und sah sich nach Tamyra oder Syle um. Er

entdeckte den Gejarn, sich eine blutende Wunde an der Schulter haltend, während er eine andere Treppe zum Mauerkamm hinauf wankte. Und auf den Zinnen selbst stand bereits Tamyra. Auge in Auge mit einem in weiß gewandeten Mann bei dem es sich nur um Erland selbst handeln konnte. Die beiden lieferte sich ein Duell, dessen Bewegungen Quinn kaum folgen konnte. Der General schien zunehmend in Bedrängnis zu geraten, während die Diplomatin ihn schon fast die Mauer entlang jagte. Das Klirren des Stahls war über den Schlachtenlärm hinweg nicht zu hören, so dass der Kampf mehr einer stummen

Choreographie glich, als einen Kampf auf Leben und Tod. Erlands stetiger Rückzug kam zu einem Ende, als er einen Ausfallschritt zur Seite wagte. Selbst Quinn sah die Bewegung voraus. Er konnte doch unmöglich hoffen, damit Erfolg zu haben… Tamyra wirbelte herum, und hatte die Klinge plötzlich auf einer Höhe mit seinem Hals. Das Schwert traf jedoch nie. Taymra erstarrte plötzlich in der Bewegung. Ein roter Fleck breitete sich auf ihrer Kleidung aus. Die Diplomatin machte einen unsicheren Schritt rückwärts. Quinn fühlte plötzlich einen eiskalten

Stich in der Brust. Und auch Syle auf der Treppe wurde langsamer. Erland schlug nur erneut zu. Tamyra stolperte endgültig und verlor den Halt auf der Mauerkante. Haltlos stürzte sie hinab auf den Hof und blieb regungslos im Staub liegen. Eine größer werdende Blutpfütze breitete sich um sie aus. Quinn konnte die Augen nicht von der gefallenen Gestalt nehmen. Schließlich jedoch, zwang er sich, hinauf zu Erland zu sehen. Der General wischte grade das Blut von seinem Schwert. Für einen kurzen Augenblick nur trafen sich ihre Blicke. Und der nächste, gebrüllte Befehl des Mannes, ließ Quinn das Blut in den Adern

gefrieren. ,, Treibt die Magier zusammen. Tötet sie alle. Löscht den Orden aus…“ Die Männer folgten der Anweisung sofort und begannen nun, sich aus den Scharmützeln mit Fenisins Garde zu lösen. Stattdessen gingen sie gezielt dazu über, sich auf Kiara und die kleine Gruppe aus Magiern zu fokussieren. Quinn sah Zauber, die durch die Luft peitschten und Lücken in die Reihen der vorrückenden Kämpfer rissen. Er selber jedoch konnte nicht einmal mehr die Konzentration für einen einfachen Feuerball aufbringen. Es war, als wäre ihm grade alles Wissen, das er sich über die Jahre angeeignet hatte,

abhandengekommen. Das einzige, das ihn vor den Klingen der herannahenden Soldaten rettete, war en Melchior und Fenisin, die den Zauberer mit sich zogen.

Kapitel 34 Der Fall des Ordens


,, Jetzt heilt mich schon.“ , brummte Syle nur. Quinn zögerte jedoch noch immer. Der Lärm der Schlacht schien weit weg. Mittlerweile waren die Zauberer und die wenigen überlebenden Kämpfer bis in eine Ecke des Burghofs zurück gedrängt worden. Nur die Angst von Erlands Männern vor Magie hielt sie noch zurück. Jedoch auch nicht mehr lange. Quinn selber war zu Tode erschöpft und auf die übrigen Mitglieder des Ordens musste das genauso zutreffen.. Sobald ihnen die Reserven ausgingen, würde alles ganz schnell

gehen. ,, Jetzt macht schon. Ich werde nicht ohne Waffe in der Hand sterben.“ Der Gejarn rüttelte ihn mit der gesunden Hand an der Schulter und holte ihn damit zurück in die Wirklichkeit. Der aggressive Tonfall des Bären war jedoch zum ersten Mal nicht gegen ihn gerichtet. Quinn wusste nur zu gut, wem sein Zorn galt, doch Erland war weit außer Reichweite irgendwo auf dem Mauerkamm und befehligte von dort seine Truppen. ,, Das wird wehtun.“ , ermahnte Quinn Syle noch einmal. Die meisten ließen sich nur wiederwillig von einem Zauberer heilen. Anders als rein

schmerzstillende Zauber, war das magische Zusammenfügen von Fleisch mit kaum vorstellbaren Schmerzen verbunden. Etwas, das nur die wenigsten auf sich nahmen. ,, Also gut.“ Quinn presste die Handfläche auf die klaffende Wunde in Syles Schulter. Der Bär hatte vermutlich Glück noch am Leben zu sein. Etwas weiter nach links und Erland hätte die Schlagader erwischt. Dann hätte auch Magie nur noch wenig ausrichten können. Tod war Tod… Tod wie Tamyra. Er blendete das seltsam Unvertraute Gefühl aus, das sich seiner bemächtigen wollte. War das Trauer? Sicher nur die Erschöpfung. Quinn

sammelte sich, konzentrierte sich ganz darauf, die Wunde des Gejarn wieder zu schließen und driftete dabei in seinen eigenen Geist ab. Er sah, wie Syle die Zähne zusammenbiss, um ruhig zu bleiben. Blut und Gewebe kehrten unter seinen Händen mit Gewalt wieder an ihren Angestammten Platz zurück. Quinn unterbrach den Strom heilender Energie und kämpfte sich wieder an die Oberfläche seines Bewusstseins. Ihm war eiskalt und war er eben noch Müde gewesen, so drohten ihm jetzt einfach, die Augen zuzufallen. Die Heilung hatte ihn seine letzten Reserven gekostet. Als seine Beine

nachgeben wollten, fiel Syle ihn auf und hielt ihn auf den Füßen. ,, Ganz ruhig…“ Er führte den Zauberer weg von der tobenden Front aus Magie und Stahl und half ihm, sich in einer vergleichsweise ruhigen Ecke zu setzen. ,, Geht gleich wieder.“ , erklärte Quinn nuschelnd. ,, Ein paar Augenblicke nur…“ Durch die Lücken in den Reihen der Magier konnte er jetzt schon die ersten Soldaten erkennen. Und darunter auch Erland. Der unverkennbare weiße Umhang war mittlerweile durch Blut dunkel verfärbt und trotzdem trieb er seine Leute nach wie vor weiter an. Er hatte seine Worte ernst gemeint. Dieser

Mann würde erst aufhören, wenn jeder Magier innerhalb der Mauern der Burg tot war. Aber dann sollte er auch seinen Preis dafür zahlen. Quinn kam schwankend wieder auf die Beine. Er hatte noch eine Gelegenheit. Es gab so viele Tote hier… Energie, die ins Nichts floss und derer er sich einfach nur bedienen musste. Vermutlich würd ihn das in seinem Zustand umbringen. Aber wenn sie sowieso starben, was zählte das noch? Wenigstens konnte er dafür sorgen, das Andres Männer einen letzten Blutzoll entrichten mussten. ,,Quinn ?“ Syles Stimme kam von weit weg. ,, Ruhig. Vielleicht…“ Er zögerte. ,,

Was ich gleich tuen werde, wird mich höchst wahrscheinlich umbringen. Aber vielleicht gelingt es mir eine Schneise durch ihre Reihen zu schlagen. Wenn das geschieht… sammelt die anderen und bringt sie hindurch.“ ,,Ihr seid Verrückt.“ ,, Es funktioniert vermutlich sowieso nicht…“ Quinn schloss die Augen und konzentrierte sich abermals. Er spürte bereits, wie sich die schwindende Lebensenergie der Toten um ihn sammelte. Ihm wieder Kraft gab. Kraft, die er gleich gegen die Armee in ihren Mauern richten würde. Bis er oder sie alle tot waren, je nachdem, was als erstes Eintrat. Bevor er jedoch dazu

kam, geschah irgendetwas. Quinn erkannte fremde Magie, wenn er sie sah. Er spürte, wie sich das Netz der Realität verschob, als sich irgendetwas einen Weg durch die Reihen der Soldaten bahnte… Was… Der Magier verlor die Konzentration und spürte, wie die bereits gesammelte Energie wieder abfloss. Statt der Strome aus Magie nahm er jetzt wieder die Realität war. Und was er hörte waren Schreie. Nicht von ihnen, sondern aus den Reihen der nachrückenden Soldaten heraus. Irgendetwas Schnitt wie eine Sense durch ihre Reihen um sich einen Pfad zu bahnen. Männer wurden bei Seite geschleudert, als sei ihr Gewicht

kaum höher, als das einer Fliege. Andere waren klug genug, dem anrollenden Sturm auszuweichen. Wer immer dort kam, selbst auf die Entfernung jagte die reine Aura der Macht, die ihn umgab, Quinn eine Gänsehaut ein. Soldaten und Magier hielten beinahe gleichzeitig inne, als sich die Reihen der Kämpfer Silberstedts teilten , ob durch Magie bei Seite geschleudert oder ob sie schnell genug reagierten machte keinen Unterschied mehr, um eine Gestalt durchzulassen, die für Quinn nicht mehr fehl am Platz hätte wirken können. Der Fremde, der wütend auf Erland zustürmte, trug einen schwarzen Mantel, der seine komplette Gestalt einhüllte.

Silberne Fäden glitzerten als Ziernähte darin. Andres General hatte sich grade halb zu dem Neuankömmling herum gedreht, als dieser ihn auch schon an der Kehle gepackt hatte und hochhob, als Wöge er nichts. ,, Was tut ihr Narr ? Das ist nicht Teil unserer Abmachung.“ Zum ersten Mal trat so etwas wie Angst auf die Züge des Generals, der versuchte, den Griff des Fremden zu brechen. ,,Ismaiel… ihr…versteht… nicht…“ ,, Ich werde mich mit Andre darüber unterhalten.“ Der schwarz gewandetet Mann schleuderte Erland in die Reihen

seiner Männer. ,,Der Orden sollte mir gehören.“ Quinn konnte nur ratlos zusehen. Was bitte ging da vor sich? Er drängte sich mit Syle an einigen Magiern und Gejarn vorbei, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Die anderen hatten offenbar die gleiche Idee. Er entdeckte Lucien, Fenisin und Kiara und atmete erleichtert auf. Wenigstens sie waren Unverletzt. Noch. Der einzige, der nicht erst nach vorne drängen musste, war Melchior. Der alte Seher stand ruhig da und musterte die Gestalt des fremden Magiers. ,, Ihr…“ Offenbar wusste er, mit wem sie es zu tun hatten. ,, Wie könnt ihr es

wagen, nach allem ausgerechnet hier zu erscheinen ?“ ,,Melchior. Wie schön. Es sieht so aus, als könnte ich mich heute mehr als eines einzigen Ärgernisses entledigen. Ihr werdet hier sterben." ,, Ihr könnt mich nicht töten, das wisst ihr.“ , gab der Seher nur trocken zurück. ,, Das muss ich gar nicht. Ich habe dreißigtausend Mann hier, die es der Reihe nach versuchen können. Bis ihr einschlaft wenn es sein muss.“ Hatte Melchior bis zu diesem Augenblick nicht sonderlich beunruhigt gewirkt, huschte jetzt ein kurzer Zug der Verunsicherung über sein Gesicht. Erland rappelte sich derweil wieder auf,

sichtlich ungehalten. ,, Ihr werdet uns unsere Arbeit beenden lassen.“ , erklärte er. ,, Männer, ich…“ ,,Bleibt wo ihr seid.“ , funkte ihm der Zauberer dazwischen, den er als Ismaiel angesprochen hatte. Die Männer schreckten auf ihren Posten zurück und manche machten tatsächlich einen Schritt Rückwärts. ,, Der Orden gehört mir. Oder was ihr davon übrig gelassen habt.“ Er wendete sich an die überlebenden Zauberer. ,, Wer von euch den Sonnenuntergang erleben will… gehorcht ab jetzt mir.“ Stille senkte sich über das eben noch tobende Schlachtfeld. Quinn spürte die Anspannung, die plötzlich in der Luft

lag. Nicht mehr die Anspannung des Kampfes, sondern die der Entscheidung. Und er wusste auch, es gab mehr als einen unter ihnen, der vielleicht sogar auf das Angebot eingehen würde. Dann jedoch durchbrach leises Gelächter das Schweigen. Kiara trat aus den Reihen der Magier hervor. ,, Ich hätte dazu vielleicht etwas zu sagen.“ , meinte sie , nach wie vor grinsend. ,, Die Antwort ist Nein. Wenn ihr die Kontrolle über den Orden wollt, nehmt ihn mir ab.“ Ihre grünen Augen glitzerten. Quinn hätte sie gerne gewarnt, wie gefährlich Ismaiel sein musste. Aber das wusste sie vermutlich noch besser, als er. Es war beinahe

unmöglich, nicht zu spüren, über welche Kräfte dieser Mann verfügte. ,,Exzellente Idee.“ Alles ging so schnell, das Quinn nicht einmal mehr die Gelegenheit hatte, eine Warnung zu rufen. Der fremde Zauberer hob die Hand. Ein rötlich schimmernder Lichtblitz löste sich daraus, und traf Kiara. Sie kam nie dazu, sich zu verteidigen. Der Zauber fegte durch ihren Körper hindurch und zerstäubte die Gestalt der Ordensoberen zu Asche. Schwarze Flocken füllten dort die Luft, wo sie eben noch gestanden hatte. Ein entsetztes Raunen ging sowohl durch die Reihen der Zauberer, als auch durch die Soldaten. Keiner hatte damit gerechnet,

dass der Kampf derart schnell entschieden wäre. Und es machte wohl auch dem letzten der Ordensmagier klar, wie aussichtslos ihre Situation war. Dieser Mann könnte sie mit einem Gedanken besiegen. Und zwar alle.. Quinn war drauf und dran, sich ihm trotzdem selbst in den Weg zu stellen. Und sei es nur, um überhaupt etwas zu tun. ,, All zu einfach.“ Ismaiel ließ den Arm sinken. ,, Ich hatte mehr erwartet.“ ,, Ehrlich gesagt , ich bin auch etwas enttäuscht.“ , meinte da plötzlich eine Stimme. ,, Fällt einer von euch Idioten denn mal nicht darauf herein ?“ Quinn hob den Kopf. Das gab es doch einfach

nicht. Kiara Vanir stand völlig unverletzt auf der Mauer, die direkt an diesen Teil des Burghofs anlag. ,, Faszinierend.“ Der dunkle Zauberer sah zu ihr auf. ,,Sieht so aus, als wäre der Orden doch nicht ganz so hilflos, wie ich gedacht hätte.“ Kiara antwortete nicht, sondern richtete nur die Handfläche zum Himmel. Innerhalb weniger Herzschläge war es stockdunkel. Bedrohliche Sturmwolken Quollen aus dem nichts auf und verdeckten die Sonne. Blitzte zuckten über das Land, verästelten sich, liefen ineinander… Quinn konnte nur ungläubig zusehen.

Das war kein normales Gewitter. Kiara hatte den Sturm tatsächlich gerufen. Das Wetter zu beeinflussen war etwas, das sich selbst die mächtigsten Zauberer oftmals nicht zutrauten. Wussten die Götter, woher die Ordensobere noch die Kraft dafür nahm. Die Träne Falamirs stellte ihr zwar grade zu unbegrenzte Macht zur Verfügung, aber vor Erschöpfung war auch sie nicht geschützt. Aber Kiara ließ es nicht dabei bewenden. Die Blitze verbanden sich, fast, als hätten sie einen eigenen Willen, zu einem einzigen, grellen Bolzen aus Licht. Das kreischende Geschoss fiel aus dem Himmel herab und hüllte die dunkle

Gestalt auf dem Hof ein. Lichtbögen sprangen über die Erde, zuckten wieder zurück gen Himmel. Erst, als das Licht verlosch, konnte Quinn Ismaiel wieder erkennen. Der Mann hatte sich halb zusammengekauert, stand nun jedoch langsam wieder auf. Die Kapuze war ihm Aus dem Gesicht gerutscht. Ansonsten jedoch, schien er unverletzt. Unmöglich, dachte Quinn. Niemand hätte einen solchen Angriff unbeschadet überstehen dürfen. Der Mann hatte schlohweißes Haar, das ihm bis fast auf die Schultern hinab fiel. Und er war definitiv kein Mensch. Die Ohren, die unter den Haaren hervorlugten verliefen nicht rund,

sondern leicht Spitz. Und die Augen gehörten ganz sicher keinem heute lebenden Wesen… Die grauen Pupillen verliefen in einem vertikalen Schlitz, wie bei manchen Gejarn. ,,Unmöglich…“ Kiara starrte fassungslos auf den Mann, der sich Ismaiel nannte. ,, Ihr… Die Zauberin fing sich wieder. Mit einem durch Magie abgebremsten Sprung war sie wieder auf dem Hof. ,,Was seid ihr ?“ , verlangte sie zu wissen. ,, Antwortet…“ ,, Leugnet ihr das offensichtliche, Kiara ?“ Ismaiel atmete schwer. Offenbar war es ihm doch nicht so leicht gefallen, den Zauber abzuwehren und er musste erst wieder Kräfte

sammeln. Die Ordensobere antwortete nicht. Ihre Finger schlossen sich jedoch einen Moment fester um den schwarzen Stein in ihrer Hand. Ihre Muskeln zitterten… dann warf sie Quinn das Juwel zu. Dieser fing die Träne Falamirs grade noch rechtzeitig auf. ,,Macht das ihr hier verschwindet.“ ,, Wir laufen doch vor dieser Kreatur nicht davon.“ , protestierte er. Er würde Kiara hier sicher nicht alleine lassen. ,, Euren Mut in allen Ehren. Aber das war ein Befehl. Die Träne darf ihnen nicht in die Hände fallen. Ich… habe genug Energie übrig gelassen, damit ihr alle hier herausbringen

könnte.“ ,, Was… ihr…“ Quinn wollte sie fragen, wie sie auf die Irre Idee gekommen war, das bis jetzt zurück zu halten. Sie hätten Leben retten können… Er spürte wie er wütend wurde. ,, Seid ihr eigentlich völlig verrückt geworden ?“ Kiara schüttelte den Kopf. ,, Geht. Jetzt. Und Quinn, eine Sache noch.“ Er zwang sich, ruhig zu bleiben. ,, Was ?“ ,, Ich schlage euch als nächsten Ordensoberen vor.“ War diese Frau noch bei Verstand? ,, Eure Empfehlung in allen Ehren, aber ich werde…“ Sie unterbrach ihn. ,, Das ist keine

Empfehlung. In Anbetracht des Umstandes, dass wir uns im Krieg befinden und da wir keine Wahl abhalten können… seid ihr ab sofort direkt Ordensoberster. Und jetzt verschwindet.“ Er schüttelte den Kopf und machte einen Schritt auf sie zu. ,, Ich werde nicht…“ ,, Auf Wiedersehen Quinn.“ Bevor er die Zauberin erreichte, machte die Welt einen Übelkeit erregenden Satz zur Seite und plötzlich stolperte er auf ein hart gefrorenes Schneefeld hinaus. ,,Verrückte Alte.“ , fluchte er, während um ihn herum die anderen ebenfalls auftauchten, jeweils begleitet von einem kurzen Lichtblitz. ,, Wenn sie das Überlebt, bringe ich sie

um.“ Er wusste nicht, wie weit sie der Teleportzauber gebracht hatte. Vermutlich, nicht weit genug, wie er fürchtete. Sie mussten sich beeilen. Lucien sah in die Richtung zurück, in der die Burg liegen musste. ,, Ist sie immer so ?“ , fragte er. ,, Meistens. Zumindest, solange ich sie kenne. Sehen wir zu, dass wir hier wegkommen. Los.“ Es hatte keinen Sinn, zu Versuchen, zurück zu gehen. Zwischen ihm und der Burg stand nach wie vor die gesamte Armee, welche Andre Aufgestellt hatte. Er achtete kaum darauf, wohin er lief, nur, das es Bergab ging. Die überlebenden Magier folgten

ihnen zögerlich. Andere schlugen auch einen eigenen Weg ein. Quinn seufzte. Seine Ernennung war ein reines Symbol gewesen. Der Orden war zerschlagen und das wussten sie alle… Er machte keine Anstalten, sie aufzuhalten. Je weiter sie sich zerstreuten, desto höher die Chance, das sie Andres Einfluss auch wirklich entkamen. Nach Stunden des Marschierens schließlich, erreichten sie grüneres Land. Jenseits der Berge hielt bereits allmählich der Sommer Einzug, nachdem der Winter sich endgültig verabschiedet hatte. Grüne Pflanzen sprossen am Rand des Pfads, den die kleine Gruppe bestehend aus Quinn, Lucien, Syle , Fenisin und

dessen Leibgarde, folgten. Irgendwo sang ein Vogel. Es war beinahe, als wollte die Welt noch leugnen, was auf sie zukommen sollte… ,, Ich muss meine Leute warnen.“ , erklärte Fenisin, als sie schließlich eine Kreuzung erreichten. ,, Das heißt unsere Wege trennen sich hier.“ , bemerkte Syle. Der andere Gejarn nickte. ,, Bis wir uns wiedersehen. Hoffentlich bald und unter… besseren Umständen. Wohin werdet ihr euch wenden?“ Syle schien einen Moment nachdenken zu müssen, dann sagte er : ,, Vara. Die Stadt hat immerhin noch eine vernünftige Stadtwache. Und wir können

uns von dort am besten mit den übrigen Städten Cantons in Verbindung setzen…“ Kiara sah nur zu, wie Quinn und die anderen in einem Lichtblitz verschwanden. Sie hatte den Zauber eine Weile vorbereiten müssen, um so viele Sicher wegbringen zu können. Und sie war sich nicht sicher, wie weit sie kommen würden. Aber das spielte keine Rolle. Wenn ihr vertrauen in Quinn nur gerechtfertigt war. Jetzt musste sie ihm nur etwas Zeit verschaffen. Erlands Soldaten schreckten zurück, als sie zusahen, wie die Männer und Frauen des Ordens verschwanden. ,, Was habt ihr getan ?“ Ismaiel, der das

kurze Gespräch zwischen den zwei Magiern schweigend verfolgt hatte, sah sich fassungslos um, als sich seine schon sicher gewähnte Beute, einfach in Luft auflöste. Kiare lächelte nur. ,, Wo sind sie hin ?“ ,, Wie ich schon sagte. Ihr glaubt doch nicht wirklich, das ich euch irgendetwas überlasse…“ ,, Nein.“ , antwortete der Zauberer kühl. ,, Aber ich werde sie schon finden. Wenn ich mit euch fertig bin. Ihr hättet mit ihnen gehen sollen.“ ,, Vielleicht hätte ich das.“ Der Blick der Ordensoberen wurde grimmig, während der fremde Magier sich wieder die Kapuze ins Gesicht zog. Sofort war

es, als trüge er einen Schleier aus Schatten vor dem Gesicht. Der Angriff kam ohne Warnung. Ismaiel streckte erneut eine Hand vor, aus der sich scharfkantige Eissplitter lösten. Kiara konterte sofort mit einer stehenden Wand aus Feuer. Was nun folgte, war für viele Beobachter nichts, als ein stetiges kurzes Aufblitzen von zaubern. Konter und Attacken, die sich gegenseitig auslöschten, bevor sie auch nur richtig Gestalt annahmen. Bei einem Kampf zwischen ebenbürtigen Magiern war nicht ihre Ausdauer entscheidend, sondern die Frage, wer sich die Kreativsten Angriffe ausdachte um die Abwehr des Gegners zu durchdringen.

Allerdings fürchtete Kiara bereits, das das mit dem ebenbürtig nur bedingt stimmte. Sie war schon geschwächt und ohne die Träne Falamirs fehlte ihr ein erheblicher Teil ihrer Kraft. Sie löste sich aus dem verzweifelten Duell, woraufhin sofort mehrere Lichtbolzen an ihr vorbeizuckten und an den Mauern der Burg hinter ihr zerschellten. Es hatte keinen Sinn, sich mit dem Mann auf einen direkten Kampf einzulassen. Den konnte sie nur verlieren. Und Kiara konnte sich nicht einmal vorstellen, zu was er in der Lage wäre. Sie trieb die Reihen der Soldaten mit einem Strom aus verdichteter Luft auseinander. Viele der Krieger wichen bereits freiwillig

zurück, um den beiden Kontrahenten nicht in die Quere zu kommen. Jetzt wollte offenbar keiner mehr sein Leben riskieren. Die Ordensobere hastete die Stufen zum Eingang der Festung hinauf und schleuderte dabei mehrere ungezielte Zauber über ihren Rücken. Feuerbälle, Eiszapfen, Elektrizität… Unkreativ und Vorhersehbar, aber ihr Verfolger würde sich trotzdem die Mühe machen müssen, sie abzuwehren. Wie sie gehofft hatte, folgte Ismaiel ihr. Und ihm dicht auf den Fersen Erland und einige der mutigeren Soldaten. Vermutlich, nur um zu sehen, wie der ungleiche Kampf für sie enden würde.

Sobald sie jedoch unter den steinernen Torbogen traten, ließ Kiara einen schwachen Energiestrom in den Mörtel fließen, der das Mauerwerk über ihnen zusammenhielt. Sie hörte das Krachen von Fels und rannte weiter, nicht jedoch ohne einen Blick über die Schulter zu werfen. Ismaiel war grade unter den Torbogen getreten, als sich der Schlussstein, so groß wie ein ausgewachsener Bär, aus seiner Fassung löste und zu Boden fiel. Der Zauber wehrte den Stein mit einer beiläufigen Handbewegung ab. Statt auf ihn, krachte der Stein auf die Treppe und riss einige der Nachströmenden Soldaten mit sich. Kiara fluchte laut, während sie

weiterrannte. Sie konnte nicht ewig so weitermachen und kam langsam an die Grenzen ihrer Ausdauer. Das hatte also auch nicht funktioniert… Sie bog rasch durch eine Tür in eine der großen Hallen der Burg. Eine Reihe von Glasfenstern führte über Erker, bis über die Mauern hinaus und erlaubte so, einen ungestörten Blick auf das Umland. Ismaiel folgte ihr, scheinbar ohne echte Eile. Sie kam nicht mehr dazu, einen weiteren Zauber anzubringen. Ein gewaltiger Schlag in den Rücken holte sie fast von den Füßen und brachte die Fenster zum Platzen. Glassplitter flogen durch die Luft und schnitten ihr in die Haut. Eine zweite Druckwelle traf

sie in die Seite und sie verlor Endgültig den Kontakt zum Boden. Kiara spürte, wie einige ihrer Knochen brachen, bevor ihr Schwung sie endgültig durch das Fenster trug…. Und in die Tiefe stürzen ließ. Kurz bevor sie den Boden erreichte , gelang es ihr, noch einmal ihre letzten Reserven zu sammeln. Die Welt kippte zur Seite und plötzlich landete sie, statt auf dem festgestampften Boden des Burghofs, in einer Schneewehe. Kiara blieb einen Moment liegen und schöpfte Atem. Blut rann aus einem halben Dutzend mehr oder weniger tiefer Schnittwunden. Und der brennende Schmerz, der ihren linken Arm durchzog, sagte ihr, dass der Knochen

vermutlich gebrochen war. Sie richtete sich in eine halb sitzende Position auf und sah sich um. Das war knapper geworden, als sie geplant hatte. Kiara stand hustend auf und klopfte sich den Schnee aus der Kleidung. Die anderen mussten denken, sie sei tot. Zumindest das lief nach Plan, wenn schon sonst nichts…

Kapitel 35 Eine Entscheidung


Vara bot im frühen Morgenlicht einen friedlichen Anblick. Die Stadt, durchzogen von ihren vielen Wasserläufen und Brunnen, glitzerte , sobald die ersten Sonnenstrahlen die weiß getünchten Gebäudefassaden und klaren Fontänen der Springbrunnen trafen. In der Villa des Patriziers am Stadtrand, hatte Syle soeben seinen Bericht über die Ereignisse seit ihrer Rückkehr beendet. Kell hatte die Augen geschlossen und legte die Hand an die Stirn. Das war

schlimm. Schlimmer, als alles, was er erwartet hatte. Syle wartete darauf, dass er etwas sagen würde und auch die übrigen Begleiter des Gejarn. Kellvian sah zu Melchior. Der Seher schien immer aufzutauchen, wenn alles aus dem Ruder lief. Eden und die anderen schwiegen ebenfalls. Die Ordensburg gefallen… Wenn es etwas gab, das jeder von ihnen für unmöglich gehalten hätte, dann das jemand den Orden praktisch hinwegfegte. Verflucht, die Vorstellung, dass sich irgendjemand überhaupt militärisch gegen das Kaiserreich stellen würde, war Wahnsinn. Langsam wurde Kellvian die volle Tragweite von

Dagians letzten Worten bewusst. Und wie groß der Verrat tatsächlich war, den der General verübt hatte. Ohne, dass er es merkte, begann er in der Halle auf und ab zu laufen, warf ab und an einen Blick aus dem Fenster in der Rückwand und lief dann wieder zurück. ,, Andre hat uns also alle hintergangen.“ , zwang er sich schließlich zu sagen. Er wollte die Stille brechen, die sich über die kleine Versammlung gelegt hatte. ,,Ihr hättet mich ihn töt…“ Eden brach mitten im Satz ab, als viele ihr jetzt erst ein, das Zachary im Raum war. ,, Ausschalten lassen können, als ihr die Gelegenheit dazu hattet.“ ,, So sieht es aus.“ , meinte eine blonde

Gestalt, die einen grauen Mantel trug. Kellvian hatte den Mann schon bemerkt, als er den Saal das erste Mal betreten hatte. Irgendetwas an dem Fremden war definitiv Merkwürdig, ob es die Art war, wie er jeden im Saal, scheinbar unbekümmert, musterte, außer wenn sein Blick zu Eden wanderte, oder einen Stahlbolzen zwischen den Fingern herumwirbelte. Die dazugehörige Armbrust lag einige Schritte entfernt auf dem Tisch. ,,Und ihr seid ?“ , wollte Jiy wissen. ,, Lucien.“ Kellvian drehte sich zu der Stimme um. Es war nicht der Mann selber, der geantwortet hatte, sondern Zachary. ,, Lucien

Valaris.“ ,,Wer hätte gedacht, das wir uns noch einmal wiedersehen.“ Lucien grinste breit. ,, Ihr kennt euch ?“ Cyrus sah verwirrt zwischen den beiden hin und her. ,, Eine lange Geschichte.“ , antwortete Eden, während sie mit großen Schritten auf den Mann zutrat. Das Lächeln gefror ihm auf den Lippen und bevor er sich noch Rühren konnte, hatte sie ihm eine schallende Ohrfeige verpasst. Lucien richtete sich nach dem Schlag wieder auf, sich die gerötete Wange halten. ,, Hey, da sehen wir uns nach einer Ewigkeit mal wieder und…“ Er beendete den Satz nicht, als ihm der

düstere Ausdruck auf dem Gesicht der Kapitänin auffiel. ,, Du weißt, wofür das war. Du erinnerst dich an die Aktion in Lasanta?“ Der Mann zuckte mit den Schultern. ,, Was soll ich sagen, ich habe eine Schwäche für Weiß.“ Eden seufzte nur schwer. ,, Du hast dich wirklich kein bisschen verändert kann das sein ?“ ,, Ich hatte bisher keinen Grund dazu.“ Die Gejarn schüttelte nur den Kopf und wendete sich ab. ,, Also… wer genau seid ihr jetzt ?“ , wollte Cyrus wissen. ,, Lucien Valaris, wie gesagt. Agent des Imperiums, steht’s zu Diensten, Herr.“

Der Mann machte eine angedeutete Verbeugung in Richtung Kellvian. Er hatte zwar von den Agenten des Kaiserreichs gehört, aber bisher nie selbst mit ihnen zu tun gehabt. Diese Männer kümmerten sich meist um die verschiedensten Dinge, ob es um Aufklärung ging, oder nur darum, einen übereifrigen Sklavenhändler zu bremsen und wann immer man letztlich eine Kombination aus Verschwiegenheit und Schlagkraft brauchte. ,, Ich fürchte ich kann alles Bestätigen, was euch Syle erzählt hat.“ ,,Und wir haben vielleicht auch noch ein anderes Problem.“ , warf Erik ein. ,, Der Magier, der die Ordensburg

angegriffen hat… Ihr seid euch ganz sicher, dass sein Name Ismaiel war?“ ,, Wir haben alle dasselbe gehört.“ , antwortete Melchior. ,, Und ich habe ihn erkannt. Es war der Meister. Der Erzmagier des alten Volkes…“ ,, Und er steckt mit Andre unter einer Decke.“ , meinte eine weitere Gestalt, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. ,, Wenn das nicht gute Nachrichten sind, weiß ich auch nicht.“ Kellvian behielt den Magier, der um den Tisch herumgelaufen kam, genau im Auge. Quinn hatte sich seit ihrem letzten Treffen verändert. Vor allem, schien er ein Stück gealtert zu sein. Was aber auch einfach nur auf die erschöpfende

Wirkung von Zauberei zurückzuführen sein konnte. So oder so, in den dunklen Haaren des Großmagiers… und wenn er Syle glauben konnte jetzt Ordensoberen, glitzerten graue Strähnen. Die beiden Männer musterten sich misstrauisch. Vermutlich traute Quinn ihm genau so weit, wie Kellvian ihm. Ihr letztes Treffen in Vara war zwar glimpflicher Ausgegangen als ihr erstes, aber er würde den Zauberer sicher niemals den Rücken zukehren. Egal, was Syle über ihn Berichtet hatte… Nicht, zumindest, bis er sich nicht selbst davon überzeugt hatte. ,, Ihr seid also der neue Ordensobere.“ , stellte Zyle fest. Der Gejarn musste sich

noch genau so an Quinn erinnern. Immerhin wäre es ihm fast gelungen, ihn zu töten. ,,Kiara… ist verschollen.“ Quinn klang seltsam betrübt darüber, dabei hatte es beim letzten Mal noch so ausgesehen, als zerre sie den Magier an einer Leine hinter sich her.“ Der Magier wich Kellvians Blick aus und sah zu Boden. ,, Ich schätze es gibt Dinge, für die ich um Verzeihung bitten sollte.“ Um Verzeihung bitten… Kellvian spürte ein Gefühl in sich aufsteigen, das er nur für sehr wenige Personen reservierte. Blanke Wut. Dieser Kerl hatte Marcus getötet. Und wer wusste, wie viele an dem Abend damals vor all der Zeit noch

gestorben waren. Syle schien die Spannung zu spüren und trat mit einem entschlossenen Schritt zwischen Kellvian und den Magier. ,, Er ist in Ordnung , Herr. Meistens zumindest…“ , erklärte der Gejarn. ,, Ich habe ihm Anfangs auch nicht getraut, aber er hatte jetzt so viele Gelegenheiten uns umzubringen… Ich würde ihm blind mein Leben anvertrauen. Wenn auch mit einem miesen Gefühl.“ ,,Habt ihr eine Ahnung, wer dieser Mann ist ?“ , fragte Kell. ,,Ich glaube das hat er.“ , antwortete Quinn, nun nicht mehr ganz so versöhnlich klingend. ,, Und ich bin grade wirklich nicht in der Stimmung,

mir Vorwürfe machen zu lassen… Junge. Wenn ihr mich hier nicht wollt, sagt es frei heraus. Dann bin ich weg. Der Orden ist ohne Burg in der ganzen Welt verstreut. Wenn ihr mich nicht braucht, gehe ich da raus und suche meine Leute um sie zu beschützen!“ Schützen… Irgendwie waren das Worte, die Kellvian dem Mann niemals zugetraut hätte. Oder vielleicht dem Bild, das er sich von diesem gemacht hatte. So gerne er behaupten würde, er glaubte ihm schlicht nicht, der unverfälschte Ernst in Quinns Stimme brachte, wenn nicht seine Abneigung, so doch seinen blanken Hass auf den Zauberer ins Wanken. Bevor er jedoch

dazu kam, war bereits Jiy vorgetreten. Offenbar dachte sie, es sei noch nötig, den Konflikt irgendwie beizulegen. Kell war sich dabei selber nicht ganz sicher. ,, Eigentlich hätten wir eine Bitte an euch.“ , erklärte sie erstaunlich ruhig. Quinn blinzelte verwirrt. ,, Wie ?“ Er hatte wohl mit allem Gerechnet, nur nicht damit. Und auch Kellvian konnte sich nur Fragen, was die Gejarn vorhatte. Sie sah einen Moment zu ihm. Kell zuckte nur mit den Schultern. Was immer das sollte… ,, Es gibt keine Geistlichen in der Stadt. Und jemand von meinem Volk herzurufen würde, glaube ich, dauern. Also wollte ich euch eigentlich Fragen,

ob ihr uns trauen würdet. “ Quinn kratzte sich am Hinterkopf, offenbar nicht sicher, was er davon halten sollte. Kell hingegen fehlte einen Moment schlicht und ergreifend die Worte. Das ging doch etwas zu weit. Sicher er war grade mit sich übereingekommen, dass er den Mann zumindest fürs erste dulden würde, aber er hätte ihn definitiv auf keine Gästeliste gesetzt. Davon ganz zu schweigen, den neuen Ordensobersten irgendeine Zeremonie abhalten zu lassen, schon gar nicht ihre Hochzeit. Zum Glück schien Quinn das ähnlich zu sehen. ,,Nun ich weiß wirklich nicht, ob das die beste Idee wäre. Nicht, das ich

mich nicht geehrt fühlen würde, aber… Syle unterbrach ihn. ,, Trauen ? Ich habe das Gefühl, ich habe irgendetwas verpasst.“ ,, Ich habe vor Jiy zu Heiraten Syle.“ , antwortete Kellvian ihm. Und er wusste auch sofort, was ihm der Bär darauf antworten würde. Es war ihm selbst bereits klar geworden. ,,Glückwunsch, würde ich sagen. Aber ich schätze, das wird warten müssen Herr. Andre wird kaum wegen euch mit einem Angriff auf Vara abwarten.“ Kellvian nickte. Es war ein offensichtliches Dilemma. Mal wieder spielte ihnen das Schicksal einen Streich. Aber diesmal, dachte er, würde

er den Spieß vielleicht umdrehen. Hauptsache, Jiy wäre damit ebenfalls einverstanden. Und das sie Quinn gefragt hatte schien die Antwort klar zu sein. ,, Darüber habe ich mir schon Gedanken gemacht. Und ich glaube, ich habe eine Lösung gefunden. Vara ist nicht die Ordensburg, Syle. Die Stadt ist gut befestigt und lässt sich um vieles leichter Verteidigen. Hinzu kommt, dass in der Stadtgarde noch fast eintausend Mann unter Waffen stehen. Nach den Verlusten, die ihr ihm mit einer Handvoll Männer in den Bergen zugefügt habt, wäre er dumm, uns hier direkt anzugreifen. Vorausgesetzt, er wüsste auch nur, das wir hier

sind.“ ,, Ihr meint, ihr hättet Zeit.“ , meinte Syle. ,, Und ich verstehe das, aber hier steht mehr auf dem Spiel. Wenn wir nicht sofort etwas unternehmen, hat Andre Canton unter seiner Kontrolle, bevor wir noch selber reagieren können.“ ,, Eben genau das glaube ich nicht.“ , antwortete Kellvian. ,, Er wird seine Truppen erst Sammeln müssen, wenn er die Berge verlässt. Bei den Massen, die er um sich schart, muss er zuerst einmal die Versorgung sicherstellen und die Verluste, die ihr ihm zugefügt habt, ausgleichen. Und wir werden dasselbe tun. Falvius und Roland, zwei Befehlshaber der Garde, befinden sich

in diesem Moment mit der gesamten kaiserlichen Garde auf dem Weg nach Norden. Ich werde ihnen sofort eine Nachricht zukommen lassen, damit sie sich nach Vara wenden, sobald sie Canton erreichen. Sie werden langsamer sein, als wir und vermutliche erst in einer Woche oder später hier eintreffen. Solange wären uns aber ohnehin die Hände gebunden. Ich will diesen Zeitraum bloß nutzen...“ ,, Das ist gar kein schlechter Plan.“ , warf Zyle ein.,, Von Vara aus, könnten wir beobachten, was Andre tut. Wir kontrollieren zumindest die Herzlande sicher und damit auch einen Großteil der Lebensmittelversorgung, und können

schnell Truppen in jeden Teil des Kaiserreichs entsenden, sollte das nötig werden. Wir müssten eben nur wirklich auf die Armee warten… Was euch grade gelegen kommt.“ Der Gejarn schmunzelte. Offenbar hatte er in den letzten Tagen wieder etwas mehr zu sich selbst gefunden. Und die Herausforderung, der sie sich jetzt gegenübersahen, würde vielleicht noch etwas dazu beitragen, dachte Kellvian. ,, Ich will mir einfach nicht schon wieder diktieren lassen, was ich zu tun habe. Ich bin mir aber auch bewusst, wie wichtig das ist. Wenn ihr darauf besteht, Syle, brechen wir noch heute mit der Stadtwache auf und ziehen nach

Südosten, der Garde entgegen. Ich habe keine praktische Erfahrung mit so etwas, deshalb beuge ich mich eurer Entscheidung. Ich bitte nur um eine Woche und habe versucht, eine Lösung dafür zu finden. Sofern Jiy einverstanden ist, können wir heute in sieben Tagen bereits auf dem Weg sein und uns Andre in den Weg stellen.“ Kellvian holte seinen letzten Trumpf aus der Tasche. ,, Und ich denke, eine kaiserliche Hochzeit würde den Leuten zumindest zeigen, dass es in diesen Zeiten noch etwas Licht in der Dunkelheit gibt.“ Er wartete einfach auf die Antwort der anderen und fürchtete bereits, Syle

könnte sich trotzdem Durchsetzen. Er respektierte den Mann zu sehr, als das er ihm einfach widersprechen würde. Gleichzeitig war Syle normalerweise ebenfalls niemand, der sich gegen jemand Ranghöheren stellte. Normalerweise hätte er, wären die Schwierigkeiten irgendeiner geringeren Art, nicht auf die Hochzeit bestanden. Kellvian konnte jedoch wenig, gegen das schleichende, eiskalte Gefühl tun, das sich seiner bemächtigt hatte, nachdem Syle seine Geschichte beendet hatte. Er hatte noch einen anderen Grund, der jedoch niemanden in diesem Saal etwas anging. Und er machte ihm Angst… Schließlich nickte Syle jedoch. ,,Also

schön. Ich denke, die Woche dürften wir überstehen.“

Kapitel 36 Der andere Grund


,, Das ist unverantwortlich und das weist du.“ , meinte Jiy, als sie am späten Nachmittag schließlich das Patrizierhaus verließen und in die Gärten vor dem Gebäude traten.. Die beiden waren zum ersten Mal seit einer Weile wieder alleine. Auf dem Schiff und während der Reise hierher, gab es selten ungestörte Momente. Jetzt jedoch, wo sich die Versammlung zerstreute bot sich einer dieser seltenen Augenblicke. Es hatte viel zu besprechen gegeben, wo einmal feststand, was sie tun würden.

Kellvian hatte die Briefe an die Armee aufgesetzt und gleichzeitig auch Botschaften in die größeren Städte Cantons geschickt, um sie vor Andre zu warnen. Die meisten davon verfügten zumindest über eine Schlagkräftige Stadtwache, die wohl dafür sorgen würde, das der Herr Silberstedt es sich zweimal überlegte, wen er zuerst angriff. Falls es überhaupt dazu kam. Er hatte auch ein Dutzend Männer der Stadtwache rufen lassen, die ausziehen würden, um die Armee zu beobachten, sollte Erland oder Andre beschließen, die Berge zu verlassen. Vermutlich wären diese aber nicht einmal vor Ende der Woche zurück, die er sich als

Zeitlimit gesetzt hatte. Würde Andre sich tatsächlich Vara als Ziel nehmen, er würde einen ziemlichen Gewaltmarsch hinlegen müssen, um hier zu sein, bevor die Garde sie erreichte und jeden Angriff unmöglich machte. Hinzu kam noch, dass er jetzt alles für die Hochzeitsfeierlichkeiten vorbereiten musste. Er hatte zwar den Angestellten des Hauses gesagt, sie sollten alles einfach Klein halten, aber welche Vorstellungen die Diener eines mächtigen Adeligen von Klein hatten, wusste er spätestens, nachdem sie ihn stundenlang mit Fragen bestürmt hatte. Vom Essen, über die Farben der Vorhänge und auf wie viele Gäste man

sich einstellen sollte. Auf diese Frage hätte er am liebsten mit Keine geantwortet. Aber natürlich konnte er sich das nicht erlauben… Kellvian seufzte. Es war einem Kaiser nicht erlaubt irgendetwas privat zu tun, er hatte schlicht und ergreifend den halben Adel des Reiches vorzuladen. Wenn er nicht einen Weg darum herum fand, hieß das… ,, Du kennst mich, ich bin Unvernünftig.“ , meinte er, als ihm auffiel, das Jiy nach wie vor auf eine Antwort wartete. ,, Hör zu… Andre ist noch weit weg. Wir haben die Zeit. Er kann auch nicht einfach an Vara vorbeiziehen, das weiß er auch.“ Er

wiederholte schlicht all die Ausreden, die er sich während Syles Bericht bereits ausgedacht hatte. Und sicher, auf eine Weise glaubte er auch, damit Recht zu haben. Den wahren Grund jedoch, wieso er auf die Hochzeit bestanden hatte, bevor sie gegen Andre ins Feld zogen, war schwerer zu beichten. Und doch Jiy konnte und wollte er nichts verschweigen. Er hatte es einmal getan und es bitter bereut. Es war gut, zumindest eine Person zu haben, der er die Wahrheit anvertrauen konnte. ,, Außerdem… Ich will dich schlicht nicht… so verlieren, verstehst du?“ Sie blieb auf dem Sandweg stehen, der durch die Gärten zur Frontseite des

Hauses steht und Kell hielt ebenfalls inne. Dornenranken überwucherten den Zaun, welcher das Grundstück umgab und bildeten eine Hecke, die den Blick auf die Stadt versperrte. So konnte man leicht der Illusion verfallen, weit weg von allem zu sein. Ein besorgter Ausdruck trat auf das Gesicht der Gejarn. ,, Kell ? Was meinst du damit?“ Es war nicht leicht, seine Ängste in Worte zu fassen. Gerne hätte er sie ja selber als Unbegründet abgetan. Aber die Realität gab nun einmal wenig auf das, was man von ihr hielt. Als sie erneut auf eine Antwort warten musste, legte sie ihm eine Hand auf den Arm. ,, Was geht

in deinem Kopf vor ?“ ,, Wir sind jetzt im Krieg, Jiy.“ Es auszusprechen machte es ihm selber noch einmal schmerzlich bewusst. Götter, er könnte der Kaiser sein, unter dem Canton zerbrach. Aber davor hatte er nicht so viel Angst. Wenn das passierte, würde er es nicht mehr erleben. ,, Und ich werde mich sicher nicht hinter Mauern verstecken, wenn er losbricht, Jiy.“ ,, Das weiß ich doch. Erwarte ich das von dir ? Nein.“ ,, Ich kann auch nicht versprechen, ob ich zurück kommen werden.“ Das hatte er bisher nie, dachte er. Aber bisher hatte er es auch noch nie mit einem

ausgewachsenen Krieg zu tun gehabt. Als das alles losging, waren es vereinzelte Clans gewesen, dann ein paar hundert Uhrwerk-Kreaturen. Jetzt… Er wurde durch ein Geräusch aus seinen Gedanken gerissen, das er nicht erwartet hatte. Kellvian hatte schon alle möglichen Reaktionen ihrerseits in seinem Kopf durchgespielt. Von Wut bis Verständnis. Nicht aber, das sie lachte. Es war kein freundlicher Laut, es klang falsch und kalt. Ihr war selber klar, wie ernst das alles war. ,,Zurückkommen… Kellvian, ich habe erst gar nicht vor, dich alleine daraus ziehen zu

lassen.“ ,,Ich weiß.“ Und er würde darüber nicht mit ihr diskutieren. Er kannte Jiy jetzt lange genug um zu wissen, dass es keinen Sinn hatte, ihr das ausreden zu wollen. Selbst wenn es ihm Lieber gewesen wäre. Wenigstens trüge er die Hauptlast des ganzen auf seinen Schultern. ,, Und ich habe Angst, Jiy. Das gebe ich offen zu. Ich wusste schon, dass es schwer werden würde, aber das hier? So viel Tyrus auch versucht hat mir beizubringen, ich habe beim besten Willen keine Ahnung, wie man einen Krieg führt, geschweige denn eine Schlacht.“ Sie setzten ihren Weg zum Tor wieder

fort. ,, Ich kann nicht sagen, dass ich damit mehr Erfahrung hätte als du. Aber wir haben schon so viel Überstanden… da gebe ich doch jetzt ganz sicher nicht mehr auf. Was immer auch passiert… Ich halte dir den Rücken frei, so gut ich kann. Du stehst das nicht alleine durch. Wir beide nicht. “ ,,Danke…“ Eine Welle der Erleichterung überrollte ihn. Es machte nichts besser, nicht wirklich. Aber es wenigstens ausgesprochen zu haben, machte es erträglicher. Kellvian rang sich ein Lächeln ab. ,, Ich werde daran denken, wenn ich Nachher erklären darf, wieso ich keinen einzigen Adeligen auf unserer

Hochzeit sehen möchte. Wenn du nicht dafür bist, heißt das…“ Jiy schüttelte nur den Kopf. ,, Tue einfach, was du immer machst.“ ,, Und das wäre ?“ , fragte er überrascht. ,, Das was du für richtig hältst. Bis jetzt hat es ja funktioniert.“ Sie drehte sich zu ihm um. ,, Wie wäre es mit einem Bad ? Bevor du dich mit den Anderen triffst. Wir waren fast anderthalb Monate auf See. Ohne Waschgelegenheit, wenn du Maras nicht mitzählst. Ehrlich gesagt… das merkt man.“ ,, So schlimm ?“ Die Gejarn hatte definitiv die empfindlichere Nase von ihnen. ,, Du magst ja der Kaiser sein, aber im

Augenblick riechst du leider mehr wie ein Bauer.“ , neckte sie ihn grinsend. ,, Ich gehe zumindest in jedem Fall. Du kannst mir den Rücken waschen oder warten, bis dich deine… Berater finden.“ ,, Wie könnte ich so ein Angebot nur ausschlagen ?“ Und irgendwie kam ihm die Situation bekannt vor. Varas war neben den Gelehrten der großen Bibliotheken und der Universität auch noch für etwas ganz anderes berühmt, das Reisende aus ganz Canton anzog. Die Stadt verfügte über ein ausgeklügeltes System zur Wasserversorgung, das in den meisten Gebäuden für fließendes Wasser sorgte. Magische und mechanische Mechanismen

gleichermaßen sorgten dafür, dass sowohl in den Gebäuden als auch den öffentlichen Bädern stets warmes Wasser zur Verfügung stand, das aus den Bergen im Umland in die Stadt geleitet wurde. Das Bad des Patrizierhauses stellte allerdings auch die öffentlichen Bäder in den Schatten, die oftmals für ein Dutzend Personen ausgelegt waren. Im Erdgeschoss des Gebäudes gelegen, nahm der Raum leicht die Fläche eines kleinen Hauses ein. Kellvian hatte zumindest auf dem Land Hütten gesehen, die leicht hier Platz gefunden hätten. Eine Reihe von Säulen in der Mitte stützte das Dach ab. Der Boden war aus weißen und grauen Fließen gelegt worden, die im Licht

einiger Kerzen und der Abendsonne, die durch die verhängten Fenster fiel, rötlich Leuchten. Und auch das Wasser spiegelte das Licht wieder. Es gab ein einzelnes großes Becken, von dem Dampf in die kältere Luft aufstieg. Bänke, auf denen Handtücher und frische Kleidung ruhten, standen am Beckenrand verteilt. Kellvian fühlte sich, praktisch alleine in der weitläufigen Halle, etwas unwohl. Jiy offenbar jedoch nicht. Ohne groß zu zögern, legte die Gejarn ihre Kleidung ab. Hemd, Gürtel und Rock landeten nacheinander auf dem Boden zu ihren Füßen, bevor sie ins Wasser stieg. Die Situation kam ihm

tatsächlich mehr als bekannt vor. Damals war jedoch später alles zusammengebrochen… Kellvian hoffte einmal, das war kein schlechtes Omen. ,, Ich kann mich durchaus noch an mein letztes Bad in Vara erinnern.“ , meinte er schmunzelnd, während er sich selber auszog und ihr folgte. ,, Du hast Panik bekommen“ , erwiderte Jiy, als sie sich auf einer Stufe im Wasser niederließ. Sie saß mit dem Rücken zu ihm, aber er wusste, sie schmunzelte. Es war wirklich einiges geschehen seit dem. Und er hatte zwischenzeitlich lernen müssen, was echte Angst war. Er schüttelte die Gedanken ab. Das war nichts, über das er

im Augenblick nachdenken wollte. ,, Und du überreagiert.“ Kell setzte sich neben sie und legte einen Arm um Jiy. Warmes Wasser spülte über ihre Körper, als er sie an sich zog. Jiy lachte leise. ,, Wenn du es so nennen willst, plötzlich von jemand Wildfremden Erfahren zu müssen, das der Mann, mit dem du seit Wochen durch Canton ziehst zufällig der Sohn des Kaisers ist…“ Damals hatte ganz sicher keiner von ihnen darüber lachen können… Kellvian ließ seine Hände über ihren Rücken wandern, die Finger sich von Wirbel zu Wirbel tastend… Jiy gab einen zärtlich, wimmernden Laut von

sich. ,,Steht das Angebot noch ?“ , fragte sie, als sie sich in seinen Armen drehte. Ihre grünen Augen schimmerten, als sich ihr Blick traf. Kellvian beugte sich ein Stück vor und ihre Lippen fanden sich. Er bemerkte wie ihr Körper zitterte, als sie sich wieder voneinander lösten. Bevor er jedoch dazu kam zu fragen, was falsch sei, legte sie ihm einen Finger auf die Lippen. ,, Alles in Ordnung.“ , flüsterte Jiy. Sie hatte seine Gedanken erraten. ,, Nur…halt mich einen Augenblick.“ Kellvian wusste nicht, wie lange sie einfach vor sich hin trieben, inmitten von warmen Wasser und Nebel. Jiys

Kopf auf seiner Schulter war die einzige Erinnerung daran, dass er nicht bloß träumte. Er hatte sich eine Weile nicht mehr so losgelöst Gefühlt und hätte ihm in diesen Moment jemand vor die Wahl gestellt, für immer hier zu bleiben oder etwas gegen Andre zu unternehmen, er hätte ihm wohl erklärt, er könne sich in die Dunkelheit scheren. Doch niemand machte ihm ein Angebot, stattdessen holte ihn ein Klopfen an der Tür schmerzhaft zurück in die Wirklichkeit. Kellvian wollte es einfach ignorieren, dann jedoch meldete sich eine Stimme zu Wort : ,,Lord Kellvian

?“ Er schloss einen Moment die Augen. Was immer es war, es konnte doch sicher fünf Minuten warten. Aber er wusste auch, das wer immer da draußen war wohl nicht aufgeben würde, bis er eine Antwort bekam. Am Ende brachte er es fertig, die Türen aufbrechen zu lassen aus Angst, er sei ertrunken… ,, Ich bin gleich da.“ , rief er zurück, bevor er sich an Jiy wendete. ,, Keine Ruhige Minute, wie es aussieht…“ ,, Kommst du noch zurück ?“ , fragte sie enttäuscht , als er sich von ihr löste und ihr einen letzten Kuss gab. ,, Ich hoffe es. Aber ich würde mich einfach… nicht darauf verlassen.

Bestimmt sind den Haushältern noch tausend neue Fragen eingefallen… “ Kell zuckte mit den Schultern, bevor er aus dem Wasser stieg, sich abtrocknete und sich frische Kleidung überwarf, die auf einer der Bänke schon auf ihn wartete. Dann erst öffnete er die Tür einen Spalt breit und spähte auf den Flur hinaus. Ein Diener in blauer Livree wartete dort auf ihn und verbeugte sich kurz. Sein Blick jedoch wanderte an Kellvian vorbei ins Bad. ,, Ich.. störe doch nicht?“ ,Offenbar hatte er Jiy entdeckt. Oder zumindest das zweite paar Kleidung am Boden. ,,Wie kommt ihr nur darauf…“ Kellvian trat auf den, mit dunklem Holz vertäfelten,

Gang hinaus und schloss die Tür hinter sich. Der Mann konnte ja nichts dafür, dachte er. Er tat auch nur, was ihm irgendjemand gesagt hatte. ,, Also, was gibt es denn ?“ , wollte er freundlicher wissen. ,, Man hat euch doch bestimmt nicht nur geschickt um mich und Jiy auseinander zu halten ?“ ,, Na ja… das nicht, Herr. Aber es gilt als ein schlechtes Zeichen, wenn man… die Braut vor der Hochzeit sieht.“ Kellvian hätte am liebsten laut gelacht. Glaubte der Arme wirklich, dass sie nicht schon lange deutlich mehr getan hätten? Vermutlich waren sie alle nach wie vor davon überzeugt, dass er sich an alle Konventionen halten würde…. Er

hatte den Entschluss gefasst, das Kaiserreich zu verändern, wenn ihm das möglich war. Scheinbar hatte das nur noch niemand begriffen. Der Gedanke amüsierte eine dunklere Seite seiner selbst, die sich eigentlich immer im Hintergrund hielt. ,, Nun Herr, an wen sollen wir Einladungen versenden ? Ihr habt gemeint, euch später darum kümmern zu wollen…“ ,,Ach ja das…“ Kellvian seufzte. Er hatte eigentlich gehofft, einen Weg komplett darum herum zu finden. Den Stadtadel musste er aber nun wohl einfach einladen. Alles andere käme einer tödlichen Beleidigung gleich und

vermutlich würden viele einfach auch unaufgefordert vor dem Patrizierhaus auftauchen. Sie dann wegzuschicken würde das der Beleidigung praktisch eine offene Fehde machen. Aber wenigstens die Großfürsten und Herzöge, die Herren der großen Städte und Provinzen konnte er sich vom Hals halten. Die Idee war gut genug, um funktionieren zu können. ,, Schickt den Adeligen Varas auf jeden Fall Vorladungen.“ , erklärte er. ,, Was… den Rest angeht, würde ich mich gerne selbst darum kümmern. Fertigt mir Einladungen an alle wichtigen Fürsten Cantons vor und gebt sie mir dann zum Unterschreiben. Ich versiegele sie dann

auch und sende sie ihnen zu.“ Nur nicht ganz so, wie sie das erwarten würden. Kellvian würde ein paar Tage ins Land ziehen lassen und dann erst die Briefe abschicken. Bis die Nachricht die Fürsten erreichte, wäre es zu spät, als das sie noch rechtzeitig eintreffen würden. Sie würden aber sicher nie zugeben, einfach zu spät gekommen sein und die Schuld bei allem möglichen Suchen. Zumindest löste das das Problem. Er gäbe sich keine Blöße und der Adel blieb außen vor… Er musste sich dann nur überlegen, wie er sie besänftigen wollte, wenn sie alle zu spät kamen. Er könnte Adelsversammlung einberufen, dachte Kellvian. Und sie

vorgeblicher weise um Rat wegen Andre fragen. Das würde sie sicher beruhigen und vielleicht hatte einer tatsächlich wertvolle Informationen. Götter, er schmiedete wieder einmal Ränke und fühlte sich plötzlich auch noch Wohl dabei.

Kapitel 37 Ein Morgen


,, Woher kennst du Lucien jetzt eigentlich ?“ , wollte Cyrus wissen, als er am nächsten Morgen in den Spiegel sah. Er spritzte sich etwas kaltes Wasser isn Gesicht, das in einer Schüssel bereit stand. Selbst diese war versilbert… In Diesem Haus war wirklich alles, so schien es, so teuer wie möglich gehalten. Eden stand draußen im Schlafzimmer und knabberte an einem Stück Brot. Die Brotscheibe gehörte zu einem Ganzen Laib der auf einem Tablett vor der Tür gewartet hatte. Zusammen mit eine

Sammelsurium aus Wurst, Käse, Marmelade und Dingen, von denen Cyrus noch nie gehört hatte. Wer kam auf die Idee, Hirscherz zu servieren? Aber offenbar wollte an den Ehrengästen des Kaisers nur das Beste zukommen lassen, dachte Cyrus sarkastisch. Kellvian hatte schlecht erklären könnten, das die Gruppe, die mit ihm hier ankam zu drei vier Siebteln aus Piraten und in seinem Fall sogar Deserteuren bestand. Auch wenn er sich letzteres ganz sicher nicht ausgesucht hatte, man würde es wohl so interpretieren, sollte man ihn deshalb jemals anklagen. Cyrus glaubte nicht mehr, das es noch dazu kommen würde. Es hatte schon seine guten Seiten, wenn

einem der Herrscher der Welt, selbst wenn diese im Augenblick recht chaotisch war, etwas Schuldete. Er mochte den Jungen. Obwohl Cyrus vielleicht fünf Jahre älter war als Kell, konnte er es nicht vermeiden, von ihm ab und an noch wie ein Kind zu denken. Dann jedoch überraschte er ihn wieder durch Entschlossenheit und ein klares Vorgehen, wie vorgestern, als er Syle erläutert hatte, was er tun wolle. ,,Sagen wir einfach, man sollte niemals mit einem kaiserlichen Agenten auf Schatzsuche gehen.“ , antwortete Eden. Wie die anderen, waren sie für die Dauer ihres Aufenthalts in den Räumen der Patriziervilla untergekommen. Im

Vergleich zu den Gaststätten Varas, eine beinahe einschüchternde Erfahrung für den Wolf. Cyrus hatte selten ein so weitläufiges Gebäude gesehen, das hauptsächlich für eine einzige Person vorgesehen war. Er hatte den Großteil seines Erwachsenenlebens im Militär Cantons verbracht. Einen einzigen Raum oder ein Zelt für sich zu haben galt meist schon als Luxus, der vor allem Offizieren und Generälen vorbehalten blieb. Zwar gab es jede Menge Gasträume, so wie der, in dem sie sich befanden, aber die meiste Zeit hatte Marcus Cynric wohl alleine hier gelebt. Und Marcus hatte unter seinesgleichen noch als zurückhaltend gegolten. Die

holzgetäfelten Wände der Gänge und die kostbaren Teppiche auf den Fluren sahen für Cyrus jedoch ganz sicher nicht danach aus. Er trat zurück ins Schlafzimmer, das über einen kurzen Flur mit den restlichen Gängen des Palastes verbunden war. Eden stand an einer kleinen Anrichte, auf der, neben einer Kristallkaraffe, eine offene Blechdose mit Salbe stand. Offenbar hatte sie wieder das Handgelenk und die Finger damit eingerieben. Cyrus hatte mittlerweile Zweifel daran, ob es wirklich half. Erik hatte der Gejarn bei ihrem ersten treffen Schmerzmittel verabreicht und es hatte eine ganze Weile gedauert, bis sie diese wieder

abgesetzt hatte. Lange, nachdem die eigentliche Verletzung begonnen hatte, zu verheilen. Offenbar bemerkte Eden seinen fragenden Blick. Sie warf sich ihren roten Gehrock über und ließ die Dose in einer Tasche verschwinden. ,, Ich weiß was du denkst.“ , erklärte sie, während sie stattdessen nach der Karaffe griff und ein Glas bis zum Rand mit golden Leuchtenden Weinbrand füllte. Ungeachtet der Tageszeit. ,, Alles in Ordnung.“ Cyrus schüttelte nur den Kopf. Diese Frau, dachte er bei sich, hatte nach wie vor Probleme. Aber er liebte sie mit ihnen. Ein klopfen an der Tür verhinderte jedoch, dass er seine

Bedenken auch Aussprach. Wer konnte das sein? Die letzten zwei Tage waren bestenfalls chaotisch geworden. Nachdem nun feststand, dass sie die Armee nach Vara beordern und bis zur Hochzeit hier bleiben würden, hatte es so viel zu organisieren gegeben, das man Cyrus und die anderen wohl schlicht vergessen hatte. Ihm konnte es nur recht sein. Später würde es für sie wohl noch genug eigene Schwierigkeiten geben, fruchtete der Wolf. Andre wusste, das Eden noch lebte… Der Gedanke beunruhigte ihn mehr, als die Befürchtung, mit Eden könnte irgendetwas nicht stimmen. Das würde sich schon irgendwann aufklären.

Er kannte sie jetzt lange genug um zu wissen, dass sie eine Schwäche erst zugab, wenn es für sie keine andere Wahl mehr gab. ,, Ja ?“ Bevor er dazu kam, an die Tür zu treten, wurde diese auch schon geöffnet. Zachary, gefolgt von Erik, traten herein. Die beiden waren jeweils in eigenen Quartieren untergebracht worden, die ein paar Zimmer weiter lagen. Offenbar war auch Zyle und der Rest von Syles Truppe dort irgendwo untergekommen. ,, Wusste ich doch, das ihr wach seid.“ , erklärte der Arzt beim Eintreten. ,, Ich und Zachary wollten hinauf zur Universität uns dort etwas umsehen.

Beim letzten Mal hatte ich dafür keine richtige Gelegenheit. Wer weiß, vielleicht laufen mir ein paar alte Kollegen über den Weg. Ich dachte ihr wollt vielleicht mit.“ ,, Sagtet ihr mir nicht einmal, sie hätten euch quasi rausgeworfen ?“ , fragte Eden. ,, Na ich denke, die Sache mit dem Unsichtbarkeitszauber haben sie mir mittlerweile verziehen. Und wenn nicht… nun, dafür habe ich ja Herrn Schwarzmantel hier.“ ,, Ihr wollt mich als lebendes Schutzschild dabei haben.“ Cyrus lachte. Erik war eigentlich niemand, der einen Leibwächter brauchte. Nein,

das ganz sicher nicht. Wer es fertig brachte, einen Hochmagier des Ordens mit nicht mehr als einem Messer zu töten, war eher jemand vor den er sich nicht zum Feind wünschen würde. ,, Also gut, ich bin dabei. Eden ?“ ,, Jiy hatte mich eigentlich gebeten ihr nachher ihr mit ihrem Kleid zu helfen.“ ,, Das wusste ich noch gar nicht.“ Allerdings, dachte der Wolf, geschah im Augenblick wieder einmal so viel, das es schwer war, den Überblick zu behalten. ,, Zachary, bist du dabei ?“ Der Junge nickte. ,, Ich hatte beim letzten Mal auch keine Gelegenheit mir alles anzusehen.“ Zac klang aufgeregt. Auf eine Art, verständlich, dachte

Cyrus. Er hatte zwar Lesen und Schreiben gelernt, aber die Faszination für Bücher und alte Texte, die Erik wohl auf Zachary abfärbte, teilte er ganz sicher nicht. Trotzdem mussten Varas Bibliotheken für beide die reinste Spielwiese darstellen. ,, Vielleicht komme ich dann auch besser mit…“ , bemerkte Eden da plötzlich. ,, Du hast doch einen Auftrag, oder ?“ , fragte Zachary. ,, Ich komme schon klar, wirklich.“ ,, Er ist kein Junge mehr, Eden. Wir haben schon ein Auge auf ihn.“ Cyrus setzte ein entwaffnendes Lächeln auf, das wohl eher dazu diente, einem Angst zu machen. Eden jedoch brachte es dazu,

selber zu schmunzeln. ,, Also gut ihr drei.“ , erklärte sie mit einem Seufzer. ,, Aber passt mir auf euch auf. Nochmal laufe ich euch nicht in die Wüste hinterher.“ ,, Eigentlich bist du eher zufällig über uns gestolpert.“ , gab Cyrus zurück, während sie auf den Gang hinaus traten. Licht fiel durch eine Reihe von Fenstern, durch die man die Gärten um das Haus sehen konnte. Eden folgte ihnen ein Stück durch das Haus, verabschiedete sich dann jedoch, bevor sie den Ausgang erreichten. Obwohl mittlerweile mehr Leute hier waren, als in den Monaten seit der letzten Adelsversammlung, begegneten sie

niemanden, abgesehen von einem einzelnen Diener, der sie jedoch nur mit einem kurzen Blick bedachte und sich dann wieder an die Arbeit machte. Als Cyrus die Tür aufzog, hörte er wie Zachary neben ihm etwas murmelte: ,, Danke.“ ,,Wofür ?“ , wollte er wissen, als die drei hinaus ins Sonnenlicht traten. ,, Das du Eden überzeugt hast, mich einfach mitgehen zu lassen… Sie…“ ,, Sie macht sich nur Sorgen um dich.“ , antwortete der Wolf. ,, Vor allem jetzt.“ ,,Das ist mir klar. Darum geht es auch gar nicht. Ich… weiß nicht wie ich es in Worte fassen soll.“ ,, Du willst sie eine Weile los sein ? Ist

es das?“ , wollte Erik wissen, als er die schmiedeeisernen Tore aufzog, die das Grundstück umgaben. ,,Ja… Nein. Ach verdammt…“ Der junge Zauberer zuckte mit den Schultern. ,, Als ich Jünger war, ging es mir ähnlich, glaube ich.“ Cyrus trat auf die Straßen hinaus, wo ihm bereits die vertrauten Gerüche und Klänge der Zivilisation entgegenschlugen. Von Schmiedehämmern, die auf Eisen trafen, bis zum ewigen Sirren von Webstühlen und dem seifigen Geruch von Bleichmitteln. Vara war eine geschäftige Stadt, trotz ihrer eher geringen Größe. Dank der geordneten Bauweise war es beinahe unmöglich, sich zu verlaufen.

Alle Straßen trafen jeweils im rechten Winkel aufeinander und verliefen daher entweder vom Stadttor in Richtung Universität oder aber als grade Linie zwischen den Stadtmauern entlang. Bevor sie weit gekommen waren, lief ihnen bereits eine bekannte Gestalt entgegen. Cyrus hatte Zyle seit ihrer Ankunft hier nicht mehr gesehen. Der Schwertmeister Helikes hatte die Hände in den Taschen vergraben und schien tief in Gedanken. Er wäre beinahe einfach an ihnen vorbei gelaufen, ohne sie zu bemerken. ,, Zyle ?“ Der Gejarn blinzelte ein paar Mal, als hätte er sie tatsächlich jetzt erst

bemerkt. ,, Morgen.“ , meinte er ruhig, als er die drei Musterte. ,, Ich war… mir etwas die Beine vertreten. Vara ist zu klein, als das man weit laufen könnte. Ich bin jetzt jede Straße einmal abgegangen, glaube ich.“ ,, Ihr müsst ja früh auf gewesen sein.“ , meinte Erik überrascht. ,, Nicht wirklich.“ Zyle musterte einen Moment den Boden. ,, Ich schlafe nicht mehr, Erik.“ ,, Wie bitte ?“ ,, Ich habe es ausprobiert. Ich kann noch Ruhe finden, wenn ich es will, aber… ich bin jetzt drei Tage wach. Etwas Müde, aber ansonsten geht es mir gut. Ich glaube nicht, dass ich besonders

oft… schlafen muss. Wenn überhaupt.“ ,,Ihr habt es ausprobiert ?“ Cyrus konnte sich nicht vorstellen, wie er auf diese Idee gekommen war. Zyle nickte. ,, Aber es ist… unangenehm, die ganze Nacht nur da zu sitzen. Also habe ich gedacht, ich könnte genauso gut einen Spaziergang unternehmen. Die Nachtwache hat mich ziemlich seltsam angesehen, als ich ihnen heute Nacht mehrmals über den Weg gelaufen bin.“ Offenbar war ihm das Thema unangenehm, erinnerte es ihn doch daran, dass der eigentliche Mann, der er einmal gewesen war, in Helike fiel. ,, Und wohin seit ihr Unterwegs ?“ ,, Die Universität.“ , antwortete Erik. ,,

Wenn schon nicht, um ein paar alte Kollegen zu treffen, kann ich mir zumindest die Bibliotheken ansehen.“ ,, Dann komme ich mit.“ , entschied der Gejarn. ,, Im Augenblick habe ich wenig zu tun…“ Der Satz blieb unbeendet , aber Cyrus glaube zu verstehen. Und er wäre ungern alleine mit seinen Gedanken. Auch wenn Zyle es nach außen nicht durchdringen ließ, Cyrus glaube nicht, das irgendjemand es leicht aufnahm, das er praktisch eine reanimierte Kopie war… nicht die eigentliche Person, deren Erinnerungen man trug. Vielleicht, dachte er bei sich, war es das, was die Maschinen in den Katakomben Helikes in den Wahnsinn

getrieben hatte. Er entschied kurzerhand, das nicht zuzulassen, sollte es für Zyle zutreffen. ,,Natürlich.“ , erklärte er gut gelaunt. ,, Erik meinte sowieso er bräuchte einen Leibwächter. Zwei können uns nur recht sein. Dann kann er sich auch hinter uns verstecken.“ ,, Das werdet ihr mir auch nie vergessen, oder ?“ , fragte der Arzt, als sie sich weiter ihren Weg durch die Straßen suchten. Die Nachricht, dass der Orden gefallen war, hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Jetzt, wo sie aus den eher ruhigen Randbezirken heraus kamen, war die Spannung deutlich spürbar. Die Stadtwache Varas, die sich

normalerweise zurück hielt, zeigte verstärkte Präsenz und wo einstmals auch einzelne Soldaten ohne Sorge durch die Straßen liefen, stießen sie jetzt nur noch auf mindestens Dreiergruppen. Doch noch gingen die meisten Leute einfach ihrem Tagewerk nach. Und nach Cyrus Meinung, sollte das auch so bleiben. Mit etwas Glück, könnten sie Andres Streitkräfte stellen und bezwingen, bevor er auch nur dazu kam, eine einzige Stadt einzunehmen. ,, Wusstest du eigentlich, das Jiy Eden um Hilfe gebeten hat?“ , fragte da Erik an Zachary gerichtet. ,, Ich wusste ja nicht mal, das sie nähen kann. Sie schien mir eigentlich nicht wie jemand, der

Sinn für so etwas hätte.“ Der Junge grinste. ,,Ihr wärt überrascht.“ Vor ihnen kamen langsam die Gebäude der Universität in Sicht. Auf einem Hügel über der Stadt gelegen, waren die Gebäude in goldenes Licht getaucht, wo die Stadt zu ihren Füßen noch teilweise im Schatten lag. Eine einzige Treppe führte von einem großen Platz aus hinauf zum Tor der Bibliothek und der Universitätsgebäude führte. ,, Lange nicht mehr hier gewesen.“ , bemerkte Erik nur, während er schon die Stufen hinauf sprang. Cyrus schüttelte nur den Kopf. Für einen Mann seines Alters konnte der Schiffsarzt von jetzt

auf gleich geradezu kindisch werden. Er folgte Erik mit Zachary und Zyle im Schlepptau, die beide zu der Statue sahen, die in der Platzmitte aufragte. Obwohl das Standbild nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit Kellvian zu haben schien, stellte es doch angeblich seinen Urgroßvater dar. Simon Belfare blickte mit steinerne, ernsten Augen auf die Stadt zu seinen Füßen. Der Gründer des Sanguis-Ordens und der seit nun mehr als zweihundertfünfzig Jahren herrschenden Dynastie… Cyrus war auf eine Art ganz froh, dem Mann nie begegnen zu müssen. Nach allem, was er über den Krieg der brennenden Himmel gehört hatte, war Simon wohl auch von

seinem Vorgehen her alles andere als Kellvian ähnlich gewesen.

Kapitel 38 Melchiors Warnung


Zyle hatte bei seinem letzten Besuch hier der Universität Varas keine große Beachtung geschenkt. Die aus honigfarbenem Stein gefertigten Bauten waren nicht nur von jedem Punkt der Stadt aus sichtbar, sondern waren auch das eigentliche Herz derselben. Das ausgeklügelte Kanalisationssystem, das Vara zu einem kleinen Wunderwerk machte, war nicht zuletzt auf den Plänen der Gelehrten hier erwachsen. Und nun hatte er ein weiteres der mechanischen Wunderwerke Varas vor sich. Das Planetarium nahm eine eigene Halle für

sich ein. Ein gewaltiges Kuppeldach aus silbrigem Metall krönte den Saal, in dem er sich befand. Hinter mit Kristall verglasten Lampen brannte Öl und sorgte für genug Licht. Das Planetarium selbst bestand aus einer großen Konstruktion aus, über Streben miteinander verknüpften, Metallkugeln. Ein Geländer umlief die gewaltige Maschinerie, welche die künstlichen Gestirne in Bewegung setzte. Bronze, Silber und Gold schimmerten im sanften Licht der Kristallleuchter. Zyle konnte die gewaltige Maschinerie bestehend aus tausenden von Präzise abgestimmten Zahnrädern spüren, die sich unter seinen Füßen regte und den Boden leicht zum

Vibrieren brachte. Und das alles nur, um den Lauf der Himmelskörper darzustellen. Der ewige Tanz der kleinen silbernen und großen Bronzefarbenen Kugeln umeinander hatte etwas Faszinierendes. Nur eine einzige, goldene Kugel, so groß wie ein Kind, stand, mitten im Zentrum der Anlage, völlig still. Auch wenn die Gelehrten von Helike ebenfalls wussten, das die Sonne im Zentrum des ganzen stand, seltsam war die Vorstellung immer noch, dachte Zyle. Es war leicht der Idee zu verfallen, das doch die Welt unter ihm stillstand und die Sonne sich dabei bewegte. Eine Illusion, wenn auch eine raffinierte. Es half ihn weit genug von

sich selbst ab, um wenigstens etwas seine eigenen Sorgen zu vergessen. Er lernte langsam, es zu akzeptieren. Er spielte jetzt nach neuen Regeln. Aber er war noch er selbst. Die Zweifel daran nahmen ihm nach und nach die anderen. So seltsam das auch schien… Ein entfernter Teil von ihm fragte sich plötzlich, ob er überhaupt noch auf die herkömmliche Weise sterblich war. Vermutlich nicht, solange dieses… Ding nicht zu stark beschädigt wurde. Erik, Zachary und Cyrus waren unterdessen immer noch in einem der Bibliothekssäle. Von denen, dachte Zyle gab es hier mehr als in den Archiven von Helike. Diese waren eher ein gewaltiges

, unsortiertes Sammelsurium aller Gegenstände und Schriften, die nach dem Willen der Archonten sicher, aber eben nicht für jeden zugänglich, verwahrt werden musste. Von Steintafeln des alten Volkes bis hin zu den Originalschriften von Laos. Wobei er mittlerweile wusste, was es damit auf sich hatte. In Vara hingegen, waren die Bibliotheken zwar auch nicht nur den Büchern vorbehalten, aber sie wiesen doch eine gewisse Ordnung auf. Die Bücher lagen nicht aufgestapelt herum, sondern wurden in Regalen und die wertvolleren Schriften auch in verschließbaren Schränken aufbewahrt. Manche davon reichten bis zur Decke

und waren nur von einer Galerie aus oder mit der Leiter zu erreichen. Zyle hatte es in den düsteren Hallen nicht lange ausgehalten. Ständig musste man fürchten, irgendwo aus den oberen Regalen würde sich ein Buch lösen und zu einem hinab fallen. Etwas, das tatsächlich wohl ziemlich häufig vorkam, wie ihnen einer der Gelehrten erklärte, die Erik durch das Büchermeer führten. Neben den Büchern waren Zyle auch einige Artefakte aufgefallen. Von nautischen Instrumenten, wie es sie auch auf der Windrufer gab bis hin zu seltsamen Konstruktionen, die mehr Spielzeug zu sein schienen, als wirklich praktische Anwendung zu besitzen. Eines

davon erinnerte ihn an eine umgebaute Spieluhr. Ein Kristall war auf einer vergoldeten Strebe befestigt und drehte sich, innerhalb eines Bogens aus ebenfalls goldenem Metall, um sich selbst. Als Zyle jedoch direkt davor stand, blieb es mit einem Schlag stehen, so als hätte das Getriebe im gleichen Moment versagt. Erst, als er weiterging und Cyrus das seltsame Konstrukt passierte, begann der Kristall sich wieder zu drehen. Seltsam… Zyle behielt die Spieluhr im Auge, während er weiterging. Als Erik es passierte, drehte es sich noch einen Moment weiter und lief dann plötzlich rückwärts, solange, bis Zachary in die Nähe kam. Danach

normalisierte sich die Bewegung wieder. ,, Habt ihr eine Ahnung was das eben war ?“ , fragte er an Erik gerichtet. ,, Was ?“ , wollte der Arzt wissen. ,, Die Bücher hier ? Allgemeine Botanik. Nicht wirklich etwas, mit dem ich mich nicht schon vor langer Zeit auseinandergesetzt hätte.“ ,, Die Spieluhr, Erik. Sie ist… stehengeblieben, als ich davor gestanden habe.“ ,, Das ist allerdings seltsam. Von manchen Dingen hier wissen wir leider gar nicht, zu was sie eigentlich gut sind. Manche wurde von Expeditionen weit in den Norden, die Wüsten des Südens oder sogar in Richtung Nebelküste

mitgebracht, andere wurden schon vor Jahrhunderten hier gebaut. Leider waren die Erbauer aber nicht so freundlich uns zu allem auch eine Anleitung zu hinterlassen. Manches davon ist unter den richtigen Umständen leider auch Explosiv. Wie wir schmerzlich feststellen mussten. Oder… Ich, besser gesagt.“ ,,Hat man euch deshalb rausgeworfen ?“ ,, Es gab eine Reihe von Gründen.“ , antwortete der Arzt nur. ,, Und ich bin am Ende ja freiwillig gegangen.“ Zyle hatte sich bald darauf verabschiedet. Anfangs hatte er direkt zurück zum Patrizierhaus gewollt, sich dann jedoch dazu entschieden, auf die

anderen zu warten. Der Planetariums-Saal war dafür so gut wie alles andere. Als er schließlich Schritte hinter sich hörte, rechnete er schon mit Erik oder Cyrus. ,, Habt ihr schon genug von staubigen alten Wälzern ?“ , fragte er, als er sich umdrehte. ,, Ehrlich gesagt fehlte mir bis jetzt die Gelegenheit dazu.“, antwortete der Neuankömmling. Der Gejarn erkannte seinen Fehler sofort. Melchior schien aus dem Nichts aufgetaucht zu sein. Zyle hatte keine Tür gehört. Er fragte sich einen Moment, ob die Begegnung Zufall war, oder ob der Seher gewusst hatte, wo er ihn finden

konnte. So oder so. ,,Ihr habt es gewusst.“ , sagte Zyle leise. ,, Oder ? Was in Helike geschehen würde. Und auch hier. Dabei hattet ihr mich fast so weit, das ich euch abgekauft hätte, ihr hättet eure Gabe verloren.“ ,,Nicht ganz. Ich meine, ich kann nie wissen, was genau geschehen wird. Nicht wirklich. Eure Rückkehr beispielsweise hatte ich nicht vorhergesehen. Jetzt jedoch fügt sich das alles langsam in das Gewebe des Schicksals ein.“ ,, Wenn man es genau nimmt, bin ich auch gar nicht zurück gekehrt, Melchior. Nicht Lebend.“ Er dachte noch immer nicht gerne darüber nach, aber langsam glaubte er, es zumindest in den

Hintergrund seines Verstandes verbannen zu können. Mit Relina funktionierte das ja auch. ,, Solltet ihr jedoch noch einmal eine kryptische Andeutung machen, die zu besagen scheint, ich könnte mein Volk in den Untergang führen, wenn ich absolut nichts damit zu tun habe… könnte ich ungehalten werden.“ Der Seher schmunzelte nur. ,, Ob ihr es glaubt oder nicht, das alles ist notwendig. Sagt mir, hättet ihr keine Zweifel gehabt, keine Angst… hättet ihr es gewagt, die Archonten derart zu hinterfragen?“ ,,Vielleicht nicht.“ , gab er zu. ,, Das rechtfertigt es aber nicht zu Lügen.“ ,, Ich habe nicht gelogen. Ich habe nur

nicht alles gesagt. Das ist ein Unterschied.“ ,, Warum nur , Melchior, habe ich das Gefühl, das auch nicht das letzte Mal bleibt. Ihr seid doch nicht hier um euch dafür zu entschuldigen…“ ,,Nein.“ Ohne Vorwarnung packte der Seher Zyles linkes Handgelenk. ,, Wenn ihr jemals glaubt, ihr verliert euch… erinnert euch hieran.“ Mit diesen Worten ließ er ihn wieder los und machte sich bereits auf den Weg aus der Halle hinaus. ,, Was bei allen Göttern soll das wieder bedeuten ?“ , rief Zyle ihm nach. Er rieb sich über die Stelle, wo der Seher ihn gepackt hatte. Links… Genau dort wo

der Silberreif fehlte. Konnte dieser Mann einmal nicht in Rätseln sprechen? Vermutlich war das einfach Teil seiner Art, ihnen zu helfen…. ,,Herr, soeben ist ein Bote von der Armee eingetroffen.“ Kellvian sah von einem Stapel Papiere auf, den er vor sich auf dem Schreibtisch liegen hatte. Es war einer von vielen und heimlich fragte er sich schon, ob das je ein Ende nahm. Für den Moment zumindest musste er die meisten Dokumente selbst abzeichnen. Normalerweise hatte es dafür in der fliegenden Stadt eigene Verwalter gegeben, aber die waren jetzt wohl

überall in Canton verstreut. Er hatte sich in Markus altes Studierzimmer zurückgezogen. Der Raum mit seiner rustikalen Atmosphäre aus dunklen Holzregalen, schweren Wandteppichen und den Polstermöbeln unterschied sich deutlich vom Rest des Hauses. Durch eine Tür mit großen Glasscheiben konnte er von seinem Arbeitsplatz einen Blick hinaus in den Garten werfen. Der Diener, der hereingeplatzt war, betrat das Zimmer jedoch durch die Tür, die hinaus in die Eingangshalle führte. ,, Ein Bote ?“ Kellvian stand von seinem Platz am Schreibtisch auf, froh über die Gelegenheit, sich etwas die Beine vertreten zu können. ,, Bringt mich zu

ihm.“ Er hatte nicht erwartet, das die beiden Befehlshaber sich so schnell zurückmelden würden, aber vermutlich wollten sie ebenfalls genauer wissen, was im Augenblick vor sich ging. Als Kellvian die Eingangshalle betrat, entdeckte er sofort die Gestalt, die vor der Treppe zum Obergeschoss wartete. Die Marmorstufen standen im heftigen Kontrast zu der Kleidung des Mannes, die mit Staub und Dreck überzogen war. Und die Ringe unter seinen Augen schienen ebenfalls Bände von der Reise zu sprechen, die er hinter sich hatte. Vermutlich, dachte Kell, war er drei Tage durchgeritten um jetzt schon hier

zu sein. Trotz seiner sichtlichen Erschöpfung nahm Roland sofort Haltung an, als er den Kaiser bemerkte. ,,Herr…“ Er salutierte einen Moment, bis Kellvian ihm bedeutete, sich zu entspannen. Die dunklen Haare des Mannes waren genau so verfilzt, wie der leichte Umhang den er trug. Auf dem Kürass darunter schimmerten Schlammspritzer. ,, Falvius schickt mich zu euch, um Bericht zu erstatten.“ Kellvian bedeutete dem Mann ihm zu Folgen. ,, Ist etwas passiert ?“ Roland war offensichtlich zu Tode erschöpft, weshalb Kellvian ihn zurück in das Studierzimmer führte und ihm bedeutete, Platz zu nehmen. Wenn er

nicht aufpasste, fiel ihm der Mann noch um, dachte er bei sich. ,, Wie lange wart ihr unterwegs ?“ ,, Drei Tage, Herr. Wir sind ohne Pause bis nach Vara durchgeritten. Ich und noch einmal hundert Mann als erster Geleitschutz, die noch vor den Stadttoren warten. Die restliche Armee ist langsamer und wird wohl erst in zwei, drei weiteren Tagen eintreffen. Nachdem wir eure Botschaft erhielten, meinte Falvius, wir sollten euch wissen lassen, wo wir stehen. Ich habe mich freiwillig dafür gemeldet. Aber ich muss Fragen… stimmt es ? Die Nachricht die ihr uns geschickt habt… Hat Lord de Immerson uns verraten

?“ Kellvian nickte. ,, Und ich weiß nicht, wie viele andere noch.“ Andre würde sich sicher nicht alleine gegen alle stellen. Nein… er würde Rücksprache mit einigen der Fürsten Cantons gehalten haben. Noch ein guter Grund, diese fürs erste hinzuhalten und niemanden einzuladen, der ihm ein Messer in den Rücken rammen könnte. ,, Sagt mir nur, das es um die Garde besser steht.“ Zum ersten Mal lächelte Roland. Gute Nachrichten überbrachte man wohl grade in solchen Zeiten gerne. ,, Als ich sie vor drei Tagen verlassen habe, Herr, waren alle guter Dinge. Wir hatten auf dem Landweg keine Verluste, auch wenn wir

Probleme hatten, als wir uns Erindal näherten. Die Fürstin der Stadt hat die Grenzen der Provinz sichern lassen… Wie ihr schon sagtet, wir wissen nicht genau, wer noch auf unserer Seite steht. Der Teil der Truppen, der sich in Kalenchor eingeschifft hat, müsste ebenfalls bald zu uns stoßen. Soweit ich weiß haben wir ein Schiff mit fünfhundert Mann verloren… oder zumindest ist es verschollen. Der Rest hat jedoch sicher Land erreicht. Wenn wir direkt gegen Andre ziehen, werden wir seinen Aristokratenbund in die Knie gezwungen haben, bevor jemand merkt, dass etwas nicht stimmte.“ ,, Ihr werdet euch zuerst hierher

begeben. Das waren meine Befehle.“ ,, Ich weiß, Herr. Und verzeiht, aber, ich verstehe den Sinn dieses ganzen Chaos nicht. Ihr Heiratet?“ Kellvian setzte sich ebenfalls wieder an seinen Platz hinter den Schreibtisch. ,, Gibt es damit ein Problem ?“ , fragte er, während er eine Glasfeder in ein Tintenfass tauchte, um einige weitere belege abzuzeichnen. Was wäre er froh, wenn er später ein paar Verwalter in seine Dienste zurückbeordern könnte. ,,Nein… Herr.“ Kellvian schüttelte den Kopf. Ein Blinder hätte erkannt, dass der Mann log. ,, Sprecht frei heraus. Ich bin auf euch angewiesen, Roland. Ihr seid

derjenige, mit militärischer Erfahrung.“ ,, Es geht nicht direkt um das Militär, Herr. Aber wenn ihr sagt ich soll offen sprechen, werde ich das tun. Ich sehe den Sinn hinter einer solchen Vereinigung nicht. Eine Gejarn… in Anbetracht der Schwierigkeiten, die wir in den letzte Jahren mit den Clans hatten, würde ich es vielleicht noch verstehen, wenn sie wenigstens aus einem der mächtigeren Clans stammen würde, aber das? Verzeiht mir, aber ich bin nicht der einzige, der dadurch leicht davon zu überzeugen wäre, ihr wäret von Sinnen. Für euch springt nicht einmal ein möglicher Erbe dabei heraus.“ Vermutlich hatte Roland sich darauf

eingestellt, dass er wütend werden würde. Kellvian jedoch blieb ruhig. Er hatte mit solchen Einwänden du ähnlichem gerechnet. Früher oder später hatte das alles jemand ansprechen müssen. Kellvian lachte. ,, Über so etwas muss ich mir hoffentlich frühestens in fünfzig Jahren Sorgen machen. Und im Augenblick dürfte es auch das Geringste unserer Probleme sein, Roland. Wie euch vielleicht aufgefallen ist, hat Lord Immerson vor, dafür zu sorgen, dass der Thron ohnehin die längste Zeit dem Haus Belfare gehörte. Ehrlich gesagt, ich würde ihm diesen vielleicht sogar überlassen, wenn ich nicht wüsste, wer

und was dieser Mann ist und wer zu seinen Verbündeten zählt.“ Er wartete ob Roland darauf etwas erwidern würde, aber der Mann schwieg. Also fuhr er fort : ,, Es geht mir nicht um die Clans. Es geht mir auch nicht um eine Gejarn oder einen Menschen, nur um sie. Könnt ihr das verstehen?“ ,,Nein, aber das muss ich wohl auch nicht, Herr. Ich möchte euch nur bitten, die Folgen zu bedenken.“ Nun konnte Kellvian doch nicht verhindert, leicht verärgert zu reagieren. ,, Wenn ich das nächste Mal wegen nichts kritisiert werden möchte, Roland, wende ich mich an euch.“ ,,Ich wollte ganz sicher nicht respektlos

erscheinen , Herr, aber ihr habt mich gebeten, offen zu sein…“ ,, Und es ist gut, das ihr eure Bedenken äußert. Ich höre sie mir an. Aber es steht mir auch zu, euch zu sagen, warum ich sie für Unsinn halte und ihr mich, zumindest in dieser Sache, nicht vom Gegenteil überzeugen werdet. Wenn es um Krieg geht, verlasse ich mich auf euer Urteil. Aber ich lasse mir nicht vorschreiben, wen ich zu lieben habe. Das ist eines der wenigen Dinge, in meinem Leben, die mir absolut frei stehen.“ Kellvian deutete zur Tür. ,, Ruht euch jetzt aus, ihr habt eine lange Reise hinter euch. Man wird euch ein Zimmer geben und sagt den Dienern

auch, dass sie euch eine Mahlzeit vorbereiten sollen. Danach könnt ihr dann Quartiere für eure Männer suchen.“ ,,Ja , Herr.“ Der Mann erhob sich und verabschiedete sich mit einem kurzen Salut. Kellvian blieb sitzen wo er war und wartete, bis Roland den Raum verlassen und die Tür hinter sich zugezogen hatte. Er wollte es nicht zugeben, aber die Worte des Feldherrn hatten ihm zu denken gegeben. Zusammen mit Jiys eigenen Bedenken. Er würde sie nicht aufgeben, aber vielleicht sollte er wirklich alles verschieben. Handelte er wirklich unvernünftig? Das kalte Gefühl, dass irgendetwas ganz

und gar nicht in Ordnung war, holte ihn wieder ein.

Kapitel 39 ZerbrechlichesBündniss


Die Armee, die aus den Bergen herab kam und sich um die Ordensburg sammelte, ließ den Boden des Tals unter sich verschwinden. Wo vor wenigen Tagen noch grüne Wiesen gewesen waren, hatten die Stiefel von dreißigtausend Männern nur eine Schlammwüste hinterlassen, aus der die Festung der Zauberer wie eine dunkle Drohung zum Himmel ragte. Auch die Bäume im Umland waren größtenteils verschwunden und nährten nun dutzende

von Feuern, die das Zeltlager erhellten. Andre de Immerson lief derweil in den Kammern, die einstmals den Ordensoberen gehört hatten, auf und ab. Er hatte gehofft, mit der Eroberung der Burg seinem Ziel bereits ein gutes Stück näher zu kommen, jetzt jedoch, musste er erfahren, das ihnen nicht nur die Ordensobere selbst entgangen war, sondern das Kellvian tatsächlich zurückgekehrt war… Das könnte für echte Probleme sorgen. Der Raum in dem er sich befand war erstaunlich schlicht, dafür, dass es eigentlich einer der mächtigsten Personen Cantons vorbehalten war. Vermutlich, weil kein Großmeister je

viel Zeit hier verbrachte. Meist waren sie im ganzen Kaiserreich unterwegs, besuchten dort die Niederlassungen des Ordens oder Berieten den Kaiser selbst. Der Raum war groß und wurde durch einen Kamin, der beinahe eine komplette Seitenwand einnahm, geheizt. Schmiedeeiserne Gitter davor verhinderten, das Holz und Funken auf die schweren Teppiche aus Schafswolle gelangten, die davor lagen. In einer Ecke befand sich ein Esstisch aus dunklem Holz vor einem Bücherregal. Direkt neben einem Erkerfenster gelegen, hatte man auch ohne Feuer genug Licht zum Lesen. Die meisten der Bücher jedoch standen längst nicht mehr

ordentlich im Regal sondern waren über das ganze Zimmer verteilt. Ein ganzer Stapel lag auf dem Bett in einer abgetrennten Kammer. Andre hob eines der Bücher auf und überflog den Titel auf dem grünen Samteinband. Wehklagend er Steine – Über das alte Volk. Das war ein Standardwerk, etwas, das vermutlich nicht nur jeder Magier in und Auswendig kannte, sondern auch jeder Gelehrte, der sich jemals vorgenommen hatte, das alte Volk zu studieren. Er ließ es achtlos zurück fallen. Er war es nicht gewesen, der hier dieses Chaos angerichtet hatte, sondern Ismaiel. Nachdem ihnen die Festung in die Hände gefallen war, hatte der

seltsame Magier begonnen, die Archive zu durchforsten und sich schließlich auch den Büchern, die im Quartier der Ordensobersten verwahrt wurden, zugewendet. Offenbar ohne Erfolg, wenn Andre sich die herausgerissenen Seiten betrachtete…. Vermutlich würde er auch nicht finden, was er suchte. Wenn der Orden in einem gut war, dann darin, seine Geheimnisse zu hüten. Noch ein Grund sich Sorgen zu machen. Erland hatte darin versagt, die Zauberer alle zur Strecke zu bringen. Mindestens dreißig waren ihm entgangen und was mit denen war, die in den Enklaven des Ordens über den ganzen Kontinent verteilt waren, wusste er nicht. Vielleicht flohen

sie alle in haltloser Panik. Oder sie stellten sich ihm. Wenn sie das taten hätte er ein Problem…. Ihm selber blieben nur eine Handvoll eigener Zauberer und viele davon mit deutlich unterlegener Ausbildung. Und was vielleicht noch schlimmer war, Ismaiel war ganz ohne Zweifel verärgert… Nachdem er die Berichte von der Schlacht gehört hatte, wollte er den Mann auf keinem Fall einen Grund geben, ihn als Feind zu sehen. Dieser Irre hatte mehr als zweihundert Männer getötet. Weil sie ihm im Weg standen und nicht schnell genug Platz gemacht hatten… Um dann die Magier zu retten, die Erland töten sollte. Manchmal lief

einfach nichts nach Plan, dachte Andre niedergeschlagen. Die Herrschaft über Canton war zum Greifen nah und doch tauchten plötzlich überall Hindernisse auf. Wenn er erst das Kaiserreich kontrollierte, würde sich auch alles sonst zum Besten wenden, dachte er. Nicht nur, das er Kellvian los wäre, er könnte auch endlich Zachary finden und heim holen. Der Junge gehörte schlicht nach Silberstedt. Nicht… in die Obhut einer Verrückten. Das würde er auch noch erkennen, wenn er erst einmal dazu kam, mit ihm zu sprechen, dachte Andre. Wer wusste schon, was Eden ihm eingeredet hatte. Noch war alles offen. Und wenn

stimmte, was Ismaiel ihm gesagt hatte, könnte er zumindest Kellvian bald los sein. Ein Klopfen an der Tür holte Andre zurück in die Gegenwart. ,,Kommt herein.“ Es war Erland, der die Tür aufzog. Der Feldherr trug seinen typischen weißen Umhang, wenn er auch die Rüstung mittlerweile abgelegt hatte. ,, Ihr habt mich rufen lassen ?“ ,, Mir ist euer… Zwischenfall mit Ismaiel zu Ohren gekommen. Wie viel Schaden habt ihr angerichtet, was glaubt ihr ?“ ,, Ich habe eure Befehle ausgeführt.“ , erklärte Erland nur ohne sichtliche Besorgnis. ,, Solltet ihr mir das zum

Vorwurf machen wollen, würde ich euch bitten in Zukunft früher darüber nachzudenken. Aber ich habe sein Gesicht gesehen, Herr… Ismaiels meine ich“ Zum ersten Mal schwang so etwas wie Beunruhigung in der Stimme des Feldherrn mit. ,, Und habt ihr ihn etwa wiedererkannt? Was ist mit euch los, Mann? Ihr tut ja, als hättet ihr einen Geist gesehen.“ ,, Ein Geist. Ich schätze, das trifft es so gut wie alles andere. Dieses Ding da, mit dem ihr euch verbündet habt… ist kein Mensch.“ Meinte Erland das ernst? Andre hatte den Mann für vieles gehalten, aber sicher nicht für Abergläubisch. So konnte man

sich täuschen. Solange ihm dieser Aberglaube nicht im Weg stand, schön. Er machte eine wegwerfende Handbewegung. ,, Solange er auf unserer Seite bleibt, könnte er ein Drache sein und es würde mich nicht kümmern, Erland. Es gibt andere Dinge, um die wir uns dringend Gedanken machen müssen. Wir haben Berichte aus dem Süden erhalten, nachdem eine Armee aus Richtung Erindal zieht. Unsere… Verbündeten dort haben zwar versucht sie etwas aufzuhalten, aber niemand bei klarem Verstand stellt sich der gesammelten kaiserlichen Garde in den Weg. Vierzigtausend Mann, vielleicht mehr. Sie mussten sie weiterziehen

lassen, oder die Garde hätte sich einen Weg frei gemacht.“ ,, Die Spiegelwaffe, die Ismaiel ersonnen hat, hat uns doch bisher gute Dienste geleistet.“ , meinte Andre. ,, Wir könnten sie auch gegen die Armee einsetzen.“ ,, Im Augenblick haben wir aber nur die Eine, wenn ich das zu bedenken geben darf, Herr. Und das Kaiserreich verfügt nach wie vor über herkömmliche Kanonen. Es ist fraglich, ob uns eine einzelne Waffe viel helfen wird, auch wenn ich zugeben muss, dass sie sich bewährt hat. Die Schmieden in Silberstedt sind schon damit ausgelastet, unsere normalen Truppen zu versorgen…

Ich sehe also im Augenblick keinen Weg, weitere davon zur Verfügung zu stellen. “ ,, Wenn wir es schaffen, die Herzlande oder Teile davon unter unsere Kontrolle zu bekommen, können wir die dortigen Arbeiter beauftragen. Und eure Verbündeten, was ist mit denen?“ Andre strich sich mit einer Hand die Hare aus dem Gesicht, bevor er die Finger vor der Brust zusammenfaltete. ,, Das würde erfordern das sie sich zu erkennen geben. Das will ich noch nicht riskieren. Je weniger Kellvian weiß, desto besser…“ Andre brachte den Satz nie zu Ende. Die Tür flog ein zweites Mal auf, dieses

Mal, ohne dass jemand anklopfte. Ismaiel stürmte, immer noch sichtlich ungehalten, herein. Die Pforte schlug, ohne das Zutun des Mannes, mit lautem Krachen hinter ihm ins Schloss. Er trug seinen gewohnten, schwarzen Mantel und hatte sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Andre hatte es inzwischen Aufgegeben, etwas darunter erkennen zu wollen. ,, Habt ihr also auch euren Weg hierher gefunden ?“ , fragte der Zauberer überraschend kalt. Andre war davon ausgegangen, dass der Mann noch immer vor Wut kochte. ,, Vielleicht erlaubt ihr mir euch von eurem offenbar unfähigen General zu erlösen. Wir hatten sie, bis

dieser Narr sich vorgenommen hat, anzugreifen, statt die Magier gefangen zu nehmen. Ich muss euch nicht erst sagen, das ihr gegen unsere Vereinbarung verstößt, Andre ? Ich bin nicht auf euch angewiesen wenn es sein muss… aber ich glaube ihr wisst nicht, wie sehr euer Erfolg von mir abhängt…“ ,, Eure Falle. Ich verstehe.“ Andre wendete sich dem Fenster zu. ,, Das wird nicht wieder vorkommen… Versprochen.“ ,, Das hoffe ich, Lord Andre… Um Euretwillen. Glaubt nicht, ich werde das Vergessen. Solltet ihr versuchen, mich zu hintergehen, könnte ich zu dem Schluss kommen, das mir ein Kaiserreich

unter Kellvian doch besser gefällt als unter einem Mann, der eine simple Vereinbarung nicht einhalten kann… Wenigstens weiß ich, was ich von diesem… Jungen zu erwarten habe.“ Die Drohung saß. Andre war sich durchaus im Klaren, dass der Mann seine Worte auch wahr machen konnte. Und wohin der Versuch führen würde, ihn daran zu hindern, das hatte er eindrucksvoll demonstriert. Nein. Er wollte ihn ganz sicher nicht zum Feind. ,, Wir werden schon einen Ausgleich für euch finden.“ , meinte er. ,, Was jedoch wichtiger ist… Wann können wir zuschlagen? Ihr sprecht ständig davon und doch bin ich dem Sieg über Kellvian

noch keinen Schritt näher. Ich hätte schon halb Canton überrennen können, während wir hier warten.“ ,, Glaubt mir, das Warten wird sich für uns lohnen. In wenigen Tagen werden alle Elemente an ihrem Platz sein. Vara wird für sie zur Todesfalle. Kellvian verlässt sich darauf, dass wir es nicht wagen würden, die Stadt anzugreifen. Unter normalen Umständen hätte er damit wohl auch Recht. Die Stadtgarde ist immer noch mehrere tausend Mann stark und könnte uns in den Straßen schwere Verluste zufügen, selbst wenn wir die Mauern überwinden. Aber sie werden abgelenkt sein… sie werde nicht wissen was geschieht. Und wir können

alle unsere Feinde auf einmal vernichten.“ ,,Woher habt ihr diese Informationen überhaupt ?“ , wollte Erland wissen. ,, Wir haben schon versucht, Boten und Spione nach Vara zu schleusen, aber ohne Erfolg. Habt ihr einen Kontakt?“ ,, Sagen wir einfach, ich weiß es aus erster Hand. Ihr könnt die Armee zum Aufbrach rüsten. Führt sie hinab ins die Ebenen und lasst sie dort ein Lager aufschlagen. Wir werden Vara nicht in voller Stärke angreifen.“ ,, Ich dachte die Stadt wird gut verteidigt ?“ , erkundigte sich Erland. ,, Mir ist klar, das weniger Männer bedeuten, dass man uns schwerer

entdecken kann, aber was nützt uns das, wenn wir ohnehin erst die Mauern durchbrechen müssen ? Sie hätten so oder so genug Zeit, sich zu organisieren.“ ,,Genau die werden sie nicht bekommen.“ , erklärte Andre an Stelle des Zauberers. ,, Die Tore werden bereits offen sein, wenn wir dort ankommen. Und Ismaiel hat mir versichert, dass die Stadtwache unterbesetzt sein wird.“ Er war sich nach wie vor nicht sicher ob er Verstand, wie der Magier das schaffen wollte, aber er schien überzeugt von sich. Andre würde sich zumindest für den Moment einfach auf ihn

verlassen müssen. Auch wenn ihm etwas an diesem Mann mehr als zuvor einen Schauer über den Rücken jagte. Vielleicht hätte er Erland mehr zuhören sollen, als dieser meinte, der Zauberer sei nicht… menschlich. Am späten Nachmittag schließlich brachen die Streitkräfte dann auf. Ein gewaltiger Malstrom, der aus dem Tal, in dem die Brug lag, hinaus auf die Straßen drängte. Zelte wurden hastig abgebaut. Pferde gesattelt. Schweine und Rinder, die als lebende Vorräte dienten, wurden zusammengetrieben und die verschiedenen versorgungswagen von Schmieden über Wundärzte zusammengepackt.

Die Ebenen und Wälder Cantons breiteten sich wie ein Teppich zu Fuß der Berge auf. Auch wenn es einzelne Erhebungen gab, wirkten diese vor den Gipfeln mehr wie Spielzeug. Und in der Ferne glitzerten die zahlreichen Seen, die Hasparen in weiten Teilen durchzogen. Mit so vielen Männern konnte er die Sümpfe und die dahinter liegende Tundra nicht durchqueren. Und das war auch nicht nötig. Sie würden einen Bogen nach Osten schlagen und sich Vara dann direkt nähern. Andre sah von den Burgmauern aus zu, wie die letzten Truppen sich marschbereit machten und dem Strom aus dem Tal

hinaus folgten. Was er vor sich sah, war das Ende des Kaisers. Und sein eigener Aufstieg. Er würde bekommen, was er wollte und wenn das hieß, dass er die Herzlande Stück für Stück verbrennen musste. Aber vielleicht war das nicht nötig. Fiel Kellvian ließ er das Kaiserreich ohne Anführer zurück. Das würde viele schon zum Aufgeben treiben. Wenn er es vermeiden konnte, Blut zu vergießen, würde er das tun. Immerhin, am Ende musste noch eine Welt übrig sein, die er beherrschen konnte. Er sah verstohlen zu der schwarz gekleideten Gestalt, die sich neben ihm auf die Mauer gesellte. Und er würde nicht

teilen.

Kapitel 40 Hochzeit


Kellvian fragte sich, ob er jemals zuvor in seinem Leben schon einmal so nervös gewesen war. Abgesehen davon, dass es eigentlich unnötig war, dachte er bei sich, während das Hemd über den Kopf warf und zuknöpfte. Ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht, während er noch an seinem Gürtel herumnestelte. ,, Ihr fallt ja gleich aus den Stiefeln.“ , bemerkte Erik, der mit ihm und Syle in dem kleinen Raum wartete. Während der Arzt sich auf seine Alltagskleidung beschränkte, trug der

Gejarn die Paradeuniform der kaiserlichen Garde. Wenigstens hatte er diesmal offenbar eine Ausgabe in seiner Größe gefunden, dachte Kellvian. Es war auch für die Garden nicht ganz einfach, Kleidung zu organisieren, die einem Mann passte, der die meisten Menschen um ein oder sogar zwei Köpfe überragte. Eigentlich diente der Raum nur als Durchganszimmer, heute jedoch hatte Kellvian ihn als Umkleide zweckentfremdet. Im Spiegel, der über einer kleinen Bank hing, erkannte er selber, dass er leicht zitterte. Der Arzt hielt bereits eine blaue Jacke mit Silberknöpfen bereit. Kellvian

mochte die Farbe und hatte das Kleidungsstück nach dem alten Mantel anfertigen lassen, den er bis jetzt getragen hatte. Mit ein paar Zugeständnissen, an Roland, der ihn bedrängt hatte, das ganze etwas Prächtiger zu Gestalten. Und für diesen Anlass hatte er ausnahmsweise einmal nichts dagegen. Ein paar Goldfäden zogen sich durch den Stoff und bildeten auf dem Rücken die Umrisse des Wappens von Canton. ,, Ich möchte euch an meiner Stelle sehen.“ , erklärte Kell nur, während er nach der Jacke griff und sich über die Schultern warf. ,, Ich habe gesagt, ich wollte es klein halten, Erik. Da draußen

stehen mindestens fünfhundert Leute…“ Die Hochzeit fand in der großen Halle im Obergeschoss des Patrizierhauses statt. Während der Adelsversammlung letztes Jahr hatte das Gebäude schon einmal derart viele Gäste beherbergen müssen, doch zusammen mit dem Stadtadel und den Händlern war auch noch ein Großteil der Bevölkerung Varas anwesend. Hinzu kam ein Großteil der Stadtwache, die um das Grundstück herum und auch in der Halle Aufstellung genommen hatten, um alles zu Überblicken. ,, Das ist offenbar die Vorstellung des Stadtadels von Klein, Herr.“ , bemerkte Syle, der an der Tür wartete. Der Gejarn

hielt ein Schwert mit silbernen Zierbeschlägen und Waffengurt bereit. In den Griff des Degens war erneut das Wappen des Kaiserreichs eingelassen. Das Doppelsymbol von Adler und Löwe. Ansonsten jedoch war die Waffe zwar edel, aber zweckmäßig. ,, Und ich bin schon lange zu der Schlussfolgerung gekommen, dass es sich als Junggeselle besser lebt.“ , erwiderte Erik. ,, Allerdings, hattet ich auch noch nicht so viel Gelegenheit euch Ärger einzuhandeln, was das angeht.“ ,, Darum muss ich mir wohl weniger Sorgen machen. Ich liebe Jiy mehr als alles andere.“ , erwiderte er, während er Syle das Schwert abnahm. An der Tür,

die hinaus zum großen Saal führte hielt er jedoch noch einmal Inne. ,, Sagt mir nur, das ihr wenigstens glaubte, dass ich das richtige tue…“ Syle blinzelte verwirrt. ,, Herr, ihr seid der Kaiser. Ihr tut, was ihr für richtig haltet.“ ,, Das habe ich aber nicht gefragt… ,, Es ist seltsam, na und ?“ Erik lachte. ,, Seit wann kümmert euch sowas ?“ Der Arzt packte ihn an der Schulter und schob ihn schlicht in Richtung Tür. ,, Ihr seht blendend aus, ich kenne euch beide jetzt lange genug um zu wissen, das da kein Blatt zwischen passt und jetzt raus da. Wehe, ich muss mir von euch anhören, das ihr wegen Politik oder

was auch immer euch irgendjemand erzählt hat einen Rückzieher macht. Glaubt mir, dann habt ihr ein ganz anderes Problem als Andre.“ Kellvian musste selber lachen, obwohl die Stimme des Arztes bei den letzten Worten bitter ernst geklungen hatte. ,, Ihr habt ja recht. Ich schätze, ich mache mir über Dinge Gedanken, die ich sowieso nicht ändern kann.“ Und nicht ändern wollte. Er hatte doch nicht ernsthaft darüber nachgedacht, wirklich noch einen Rückzieher zu machen? Kellvian atmete tief durch. Dann jedoch viel ihm noch etwas ein, das ihm bei seinen eigenen Konflikt völlig entgangen war. ,, Hat einer von euch

eigentlich Zyle gesehen ? Ich war fest davon überzeugt, er würde auch hier sein.“ ,,Vielleicht ist er schon draußen.“ , meinte Syle. Kell nickte. ,, Vermutlich. Ansonsten müssen wir wohl ohne ihn anfangen.“ Trotzdem war das seltsam. Zyle war nicht jemand, der einfach ohne guten Grund verschwand oder zu einem treffe nicht auftauchte. ,, Gehen wir.“ Syle und Erik zogen die Türen auf, so dass er in die Halle treten konnte. Licht flutete durch die hohen Fenster hinein und brachte die bunten Banner und Wimpel zum Leuchten, die man an den Decken entlang aufgehängt hatte. Ein

Spalier aus Soldaten der Stadtwache hatte links und rechts von der Saalmitte Aufstellung genommen. Die Hellebarden nach außen Gerichtet, behielten die Männer alles im Auge und würden beim geringsten Anzeichen von Ärger sofort eingreifen. Kellvian trat auf den Teppich, den man auf der Freifläche ausgerollt hatte, welche die Soldaten bewachten. Hinter ihnen drängten sich wiederum die Schaulustigen, vom einfachen Volk bis hin zu den reichen Händlern und Adeligen Varas, die sich Plätze weiter vorne gesichert hatten. Sobald Kellvian , mit Syle und Erik knapp hinter ihm, nach draußen trat,

brandete ihm bereits lauter Jubel und Hochrufe entgegen. Normalerweise hätte er so etwas schnell Einhalt geboten. Heute jedoch, ließ er es über sich ergehen. Breit grinsend bedeutete er seinen beiden Begleitern, ihm zu Folgen. Etwas, das eigentlich keiner Anweisung bedurfte. Am anderen Ende der Halle, dort, wo die Wand von einer Tür durchbrochen wurde, die hinaus auf einen Balkon führte, warteten bereits die anderen. Lucien, Roland, Melchior, Zachary und Cyrus hielten sich in der Nähe der Tür und versuchten wohl, möglichst wenig aufzufallen. Roland hingegen hatte sich mit ein paar Seiner Männer unter die Stadtwache gemischt.

Vermutlich traute er ihnen nicht ganz, ihre Aufgabe auch zu erfüllen. Zwischen den Wachen der einzelnen Städte und der kaiserlichen Garde herrschte seit jeher ein eher gespanntes Verhältnis, unterstanden die einen doch dem jeweiligen Befehl des Fürsten und die anderen nur direkt dem Kaiser oder dessen Generälen. Quinn hingegen hatte die Hände in den Ärmeln seiner Robe verschränkt und lief nervös auf und ab. Vermutlich beruhte er mittlerweile das er sich dazu bereit erklärt hatte, den Priester zu spielen. Sein Blick huschte immer wieder über die Menge, bis er Kellvian und damit den Grund für den ganzen Aufstand hier

entdeckte. Der Orden hatte zwar auch die Autorität, Dokumente und Verträge zu beglaubigen, das dürfte jedoch das erste Mal sein, das einer der Zauberer eine Hochzeit durchführte. Kell begrüßte die anderen kurz, sah sich dann jedoch ebenfalls um. Von Zyle gab es keine Spur, genau so wenig von Eden. Aber noch wichtiger: ,,Wo ist Jiy?“ ,, Ganz ruhig.“ , meinte Cyrus nur. ,, Ihr werdet schon sehen.“ Offenbar wusste der Wolf irgendetwas, das er nicht wusste. Nur was das sein könnte, wollte ihm beim besten Willen nicht einfallen. Mittlerweile war es im Saal wieder ruhiger geworden, so dass er das

Geräusch der sich öffnenden Türen, am anderen Ende der Halle, nicht überhören konnte. Kurz darauf wurde das Geräusch jedoch von erneutem Applaus und Rufen erstickt. Wie viele davon ehrlich gemeint waren wusste er nicht. Und ab dem Moment, wo er sich umdrehte, interessierte es ihn auch nicht mehr. Jiy sah sich im Gegensatz zu ihm nicht erst in der Menge um. Ihre Blicke trafen sich einen Moment und er war froh, dass der brandende Applaus ohnehin jedes Wort unmöglich machte. Es hatte ihm ohnehin die Sprache verschlagen. Jiy schien gewebtes Silber zu tragen. Die Falten des Kleids folgten jedem ihrer Schritte. Die dunklen Haare hatte sie im

Nacken zusammen gebunden, so dass keine Strähne dem Blick ihrer grünen Augen etwas nahm. Offenbar hatte sie auch das Juwel, das Kell ihr vor einer gefühlten Ewigkeit geschenkt hatte in eine neue Fassung einfügen lassen. Der Stein ruhte in einem Amulett aus miteinander verwobenen Gold und Silber auf ihrer Brust. Kellvian ging ihr ein Stück entgegen und hielt ihr wortlos eine Hand hin. Eden folgte ihnen in einigem Abstand. Endlich verstand er, was Cyrus angedeutet hatte… Der Wolf musste wohl schon von der Kapitänin erfahren haben, was sie und Jiy geplant hatten… Es war wieder ruhiger in der Halle geworden, als er

Hand in Hand mit Jiy zu den anderen zurückkehrte. ,, Quinn ?“ Syle gab dem neuen Ordensobersten einen kleinen Schubs. ,, Was ? Ah ja, das.“ Der Zauberer seufzte schwer, Kellvian entdeckte jedoch das kurze Lächeln das über seine Züge huschte. ,, Ich werde Kiara hierfür umbringen….Bringen wir es hinter uns.“ Quinn räusperte sich. ,, Wir sind heute alle hierhergekommen um Kaiser Kellvian Belfare und Jiy von den Gejarn in den Bund der Ehe zu übergeben. Ich wurde wiederum gebeten, Zeugnis darüber abzulegen. Sollte einer der Anwesenden etwas dagegen haben, könnte er mir viel Zeit sparen und sich

bitte jetzt zu Wort melden….“ Kellvian musste über den Zauberer schmunzeln. Er bezweifelte, dass irgendjemand sonst hörte, wie er murmelnd hinzufügte: ,, Damit ich ihn gleich darauf zu Asche verbrennen kann. Das hier ist schon schlimm genug.“ Auch so meldete sich niemand zu Wort. ,, Dann frage ich euch jetzt Kellvian, nehmt ihr die hier anwesende Jiy zur Frau ?“ ,, Ja.“ Mehr als der kleine Laut wollte ihm im Augenblick ohnehin nicht gelingen. ,, Und ihr ?“ , wendete sich der Zauberer an die Gejarn. ,, Nehmt ihr Kellvian zum Mann

?“ ,,Ja.“ Sie nickte noch einmal nachdrücklich. Quinn wirkte plötzlich erleichtert, das alles scheinbar so schnell über die Bühne gehen würde. Er sammelte sich und erklärte tatsächlich einmal mit feierlichem Ton: ,, Dann erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau… möge euch ein langes, glückliches Leben beschert sein. Ich schätzte das ist der Teil wo ihr sie küssen dürft.“ Der Ordensobere machte einen Schritt rückwärts, während Kell sich zu Jiy beugte. Das war es wirklich, dachte er bei sich. Sie waren verheiratet, wenn auch recht unkonventionell. Daran

konnte niemand mehr etwas ändern, solange sie beide es nicht taten. Und er zumindest hätte nicht glücklicher sein können. Was kümmerte ihn noch Lord Andre? Das waren kleine Probleme, die er schon lösen würde. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, von dem er gar nicht bemerkt hatte, dass er ihn die letzten Tage mit sich herum getragen hatte. Seit er Syles Bericht gehört hatte. Alles was grade wichtig war, war die Frau direkt vor ihm. Bevor sich ihre Lippen jedoch berührten, flogen die Türen zum Saal auf. Kellvian wusste, dass es Ärger gab, noch bevor er die Gestalt sah, die hindurchstolperte. Auch die anderen spürten es. Roland riss sofort das

Schwert aus der Scheide an seinem Gürtel. Cyrus hatte ohne Vorwarnung eine kurze Axt in der Hand, die eben noch im Ärmel seines schwarzen Mantels verborgen gewesen war. Die Reihen aus Stadtwache und Gardisten, die eben noch regungslos dagestanden hatten, senkten plötzlich die Hellebarden und wendeten sich ohne, dass es dafür eines Befehls bedurft hätte, in Richtung Tür. Kleidung und Gesicht des Mannes, der dort stand, waren derart mit Blut verschmiert, das Kellvian ihn beinahe nicht erkannt hätte. Die rote Flüssigkeit sammelte sich am Saum seines Hemds und tropfte von dort auf dem Boden. Kellvian bezweifelte, dass es das des

Mannes war. Die linke Hand auf dem Schwertgriff, legte er die andere Jiy auf die Schulter und zog sie vorsichtig mit sich zurück. Einen Moment traf sich ihre Blicke. Das war ganz sicher nicht, was sie sich für diesen Tag vorgestellt hatten. Und jetzt erkannte Kellvian auch endlich, wer dort halb unter Blut verborgen in die Halle gestürmt war. Zyle Carmines Worte löschten Kellvians letzte Hoffnung auf eine einfache Erklärung auf. Und es bestätigte seine Sorge, wegen des Fortbleibens des Gejarn. ,, Wir werden angegriffen. Der Feind hat die Tore genommen und ist schon in den Straßen.“ Die Soldaten machten auf ein

stilles Handzeichen Rolands hin Platz um den Schwertmeister durchzulassen. Zu Kellvians Überraschung sank der Gejarn auf die Knie. So leise, das nur Kellvian und Jiy es hören konnten, flüsterte er: ,,Verzeiht mir. Das ist alles meine Schuld…“ Er wollte ihn fragen, was er damit meinte. Bevor er jedoch dazu kam, ging die Welt plötzlich in einem Lichtblitz unter. Kellvian verlor den Boden unter den Füßen, während die Fenster des Saals zersplitterten. Jiys Hand wurde seiner entrissen. Dann schlug er mit dem Kopf hart auf dem Boden auf.

Kapitel 41 Kontrolle


Die Stadt war praktisch menschenleer. Nur das Plätschern der öffentlichen Brunnen und das leise Summen der unter den Straßen verlaufenden Wasserleitungen durchbrach die Stille. Und natürlich das stetige Klacken von Krallen auf Stein. Seine eigenen Füße waren die einzige lebendige Geräuschquelle weit und breit. Etwas, das angesichts des bevorstehenden Ereignisses auch nichts Besonderes war, dachte Zyle. Als er die Patriziervilla verlassen hatte, hatten sich bereits gut zweitausend Menschen um das Gebäude

gedrängt. Alle, die in der großen Halle keinen Platz hatten, blieb nur der Blick auf die Rosengärten um das Haus. Trotzdem wollte später wohl keiner sagen müssen, er sei nicht dabei gewesen. Dass er dabei nur am Gartenzaun gestanden hatte, war ja nichts, das die Enkelkinder erfahren mussten. Der Gedanke brachte ihn dazu, leise zu lachen. Er hätte jetzt eigentlich längst oben im großen Saal stehen müssen, um auf Jiy und Kellvian zu warten. Als Zyle sich seiner seltsamen, inneren Eingebung folgend, jedoch auf dem Weg aus dem Gebäude gemacht hatte, war ihm zumindest Eden über den Weg gelaufen. Er hatte die Gejarn schon

in allen möglichen Situationen gesehen. Zumindest hatte er das bis dahin Gedacht. Mit einem Stoffballen eine Schneiderin vor sich her treibend, die ein fast fertiges Kleid unter dem Arm trug, war keine davon. Als sie ihn bemerkt hatte, hatte sie nur einen Finger auf die Lippen gelegt und ihn gebeten, Stillschweigen zu bewahren. Zyle hatte ziemlich schnell Verstanden. Das Kleid war für Jiy. ,, Wo wollt ihr eigentlich hin ?“ , rief sie ihm nach, als sie die Treppe hinaus ins Obergeschoss stieg. ,,Ich will mich draußen noch einmal umsehen. Ich habe nur irgendwie ein schlechtes Gefühl…“ Er konnte nicht in

Worte fassen, was genau ihn Antrieb. Vermutlich war es nichts, trotzdem musste er dieser inneren Eingebung einfach folgen. ,, Wenn ich draußen sehe, das alle Wächter auf ihrem Posten sind, verfliegt das wahrscheinlich.“ ,,Ich sehe schon, bei euch sind die beiden in guten Händen. Aber kommt nicht zu spät.“ Zyle grinste. ,, Ich verpass das bestimmt nicht. Ich wusste übrigens gar nicht, das ihr Nähen könnt.“ ,, Wenn die einzige Kleidung die man besitzt aus Stofffetzen und Lumpen besteht, wird man erfinderisch.“, antwortete die Kapitänin nur finster. ,, Ich habe mir… früher, alles selber

herstellen müssen. Aber ich fürchte, ich werde heute doch dem Schneider die Arbeit überlassen. Meine Finger sind heute einfach etwas… ungelenk.“ Sie wollte gehen und auch Zyle wurde von der Stimme in seinem Kopf gedrängt, sich zu beeilen. ,,Geht es euch wirklich gut ?“ Was immer ihn nach draußen zog, war stark, aber etwas an der Haltung der Gejarn verriet ihm, das ihr noch etwas anderes zu schaffen machte. Die Sorge war stärker als der Sog. Eden hielt auf der Treppe inne, den Fuß schon auf der nächsten Stufe. ,, Könnt ihr ein Geheimnis für euch behalten ?“ ,,Natürlich. Ich schwöre, was immer ihr

mir sagt, ich behalte es für mich, wenn ihr das wünscht.“ Zyle wusste, wie schwer es Eden viel, irgendeine Schwäche zuzugeben. Ob wirklich vorhanden oder nicht, diese Frau würde noch behaupten, mit ihr sei alles in Ordnung, wenn ihr Pelz in Flammen stand. Dass sie sich irgendjemand anvertrauen wollte war…beunruhigend. ,,Ich werde vielleicht sterben, Zyle. Nicht durch ein Schwert, oder irgendetwas Derartiges. Damit käme ich klar.“ ,,Ihr seid krank ?“ Die Gejarn nickte. ,, Ich hatte mir eigentlich geschworen es niemanden zu sagen. Aber ich weiß nicht mal, ob ich

in ein paar Wochen noch ein Schwert führen kann. Erik meine man nennt es Knochenstarre. Er meinte auch, Anfangs bestünde noch eine Chance, aber ich glaube, den Punkt habe ich mittlerweile endgültig überschritten. Meine Finger sind fast völlig taub, Zyle. Ich habe mich gestern mit einer Nadel gestochen und es erst gemerkt, als mir das Blut schon über die Hand gelaufen ist.“ Sie sah vom Teppich auf, der über die Treppenstufen ausgelegt worden war. ,, Ich verlasse mich darauf, das ihr das für euch behaltet. Es wird noch früh genug so weit kommen, dass ich es Cyrus… und Zachary und den anderen erzählen

muss.“ ,,Ihr habt mein Wort.“ ,,Gut. Und ich will heute auch nicht wirklich darüber nachdenken.“ Sie raffte Stoffe und Kleid zusammen und machte sich auf den Weg die Stufen hinauf. Zyle sah ihr einen Moment nach, bevor die Unruhe wieder die Oberhand über ihn gewann und ihn beinahe vergessen ließ, was Eden ihm soeben anvertraut hatte. Sobald er auf die Straßen hinaus trat, musste er sich erst einmal durch die Menge kämpfen, die sich um das Gebäude versammelt hatte. Die Gardisten und die Männer der Stadtwache, die um das Haus und in den Gärten Aufstellung genommen hatten, bildeten eine dichte

Postenkette und weitere hielten an den Toren Wache oder hatten sich unter die Umstehenden Bürger gemischt. Es gab hier scheinbar nichts, um das er sich Sorgen machen musste, dachte Zyle, während er schließlich den Rand der Menschenmenge erreichte. Und doch wollte sich dieses Gefühl, dass irgendetwas nicht so war, wie es sein sollte, nicht in Ruhe lassen. Er hatte beinahe den irrsinnigen Verdacht, es gehöre gar nicht wirklich zu ihm, sondern sei mehr ein Floh, der sich in seinem Nacken festgebissen hatte. Statt in das Herrenhaus zurück zu kehren, lenkte er seine Schritte weiter durch die nun verlassenen Straßen Varas.

Die Sonne brachte das Wasser in den öffentlichen Brunnen zum Glitzern. Es hatte etwas gespenstisches, alleine auf den breiten Hauptstraßen und Plätzen zu sein, welche die Stadt durchzogen. Hier gab es nichts, was ihnen gefährlich werden konnte und doch konnte er den Drang nicht abschütteln, weiterzulaufen. Selbst, wenn er jetzt ganz sicher einen Teil der Feierlichkeiten verpassen würde, besser das, als wenn sein Gefühl sich bewahrheitete. Zyle merkte erst, wohin ihn seine Füße trugen, als er sich auf einmal auf dem Platz vor den Statoren Varas wiederfand. Auch diese waren unbesetzt. Nur oben auf der Mauer konnte er einige

vereinzelte Posten erspähen. Der Großteil der Wache war wohl wirklich abkommandiert worden, um heute das Patrizierhaus zu bewachen. Die schweren Torflügel waren gut gesichert, mit mehreren schweren Eisenbolzen, die wohl selbst dem Beschuss mit einer Kanone standhalten könnten. Zumindest eine Weile. Was tat er hier eigentlich? , fragte Zyle sich, während er auf dem Platz auf und ab ging. Alles war in Ordnung. Er machte sich bestenfalls lächerlich. Wenn er jetzt zurück rannte, könnte er es grade noch rechtzeitig schaffen. Aber das nagende Gefühl blieb, wie der lästige Floh, das es war. Und die Richtung in die es ging, gefiel

ihm gar nicht. Es war ein Zwang, dem er sich nur schwer wiedersetzen konnte. Und dieser Zwang lautete: Was wenn er die Tore öffnete? Zyle machte einen taumelnden Schritt in Richtung der verriegelten Pforte. Es war nicht bloß ein dummer Gedanken oder eine unbegründete Angst… Er hatte gar keine andere Wahl, wie er entsetzt feststellte. Zyle bewegte sich fast, ohne es zu wollen. Wenn er nur die Tore öffnete, nur einen Blick hinaus warf, dann würde sicher alles gut sein. Die eingeflüsterte Überzeugung war so stark, dass er sich kaum noch dagegen wehrte. Es wäre so einfach… Bevor er wusste, wie ihm geschah, hatte er bereits den ersten

Bolzen gepackt und zog ihn bei Seite. Wenn eine der Wachen auf der Mauer von dem Geräusch aufgeschreckt wurde, so bemerkte Zyle es nicht. Schon hatte er den zweiten Riegel im Auge und entfernte ihn. Dann der dritte… Die schweren Torflügel schwangen quietschend auf, während ihn die volle Tragweite dessen, was er grade getan hatte traf. Zyle wusste nicht, was mit ihm geschehen war oder wieso. Nur das er jetzt wieder die Kontrolle über sich hatte. ,, Hey, die Tore…“ , hörte er plötzlich den Ruf einer Wache. ,, Alarm, die Tore sind offen. Alle zu den Toren !“ Der Gejarn konnte nur wie erstarrt da

stehen. Es war, als erwache man aus einem bösen Traum. Nur das der wirkliche Alptraum hier direkt vor ihm lag. Polternd und mit klirrenden Panzerungen kamen Wachen wie uniformierte Gardisten zu ihm gelaufen, die Waffen auf ihn gerichtet. Manche erkannten ihn wohl und ließen Gewehre und Hellebarden sinken. Andere blieben misstrauisch. Durch den nun freien Torbogen konnte Zyle auf das Umland hinaus sehen. Ene gewundene Straße führte hinauf zu einigen Hügeln, die an die großen Wälder der Herzlande grenzten. Vereinzelt waren diese Erhebungen von Runensteinen gekrönt, deren Zweck

längst vergessen war. Nun jedoch bewegte sich etwas in den Schatten der Wälder. Zuerst tauchte nur ein einziger Reiter zwischen den Bäumen auf, dann noch einer. Schließlich zählte er über hundert Berittenen, denen noch immer mehr folgten. Einer der Reiter hielt ein Banner mit dem violett-silbernen Wappen von Silberstedt in die Höhe… ,,Was habt ihr getan ?“ , wollte ein Mann in der blau-goldenen Uniform der kaiserlichen Garde wissen. Zyle überhörte den Mann fast, als sich ein neuer Gedanke, der ihm nicht gehörte, in seinem Verstand festsetzte. Seine Hand schloss sich um den Schwertgriff an seiner Hüfte. Die Klinge rutschte ein

Stück aus der Scheide. Dieses Mal jedoch, erkannte Zyle was vor sich ging und er stemmte sich mit aller Macht dagegen. Beinahe war ihm, als höre er ein fernes Lachen in seinem Kopf, das zu besagen schien : Du gehörst mir. War das, was auch Laos geschehen war ? Zyle zog das Schwert, während die Männer um ihn herum bereits versuchten, die Tore irgendwie zu sichern. Die Streitmacht auf dem Hügel hatte sich inzwischen, einer lebendigen Flutwelle gleich, in Bewegung gesetzt. Das Klirren von Stahl und das Schnauben der Hufe waren jedoch das einzige Geräusch, das ihre Anwesenheit auch verriet. Zyle verstand nur zu gut. Sie wollten so lange

wie möglich keinen Alarm auslösen. Eine johlende, anstürmende Armee hätte auch die Truppen weiter im Stadtinneren alarmiert… Die Disziplin dieser Männer war tödlich. Und auf dem Platz um Zyly hatten sich vielleicht zwei Dutzend Gardisten gesammelt. Nach wie vor ruhte seine Hand am Schwertgriff, kämpfte er darum, die Oberhoheit zu behalten. Wenn er diese Klinge zog, würde er sie gegen seine eigenen Leute wenden. Die fremde Stimme in seinem Kopf schrie danach, befahl es… Bevor es den Soldaten gelang, das Tor zu schließen, war die Kavallerie auch schon heran. Ohne langsamer zu werden, brachen die Männer durch die Tore.

Stahl blitzte, aus Pistolen lösten sich Schüsse. Zyle stand mitten im Ansturm, mitten auf der unsichtbaren Linie wo Andres Reiter und die Stadtwache Varas aufeinanderprallten und den Boden innerhalb von Sekunden rot färbten. Aus den Gassen kamen noch weitere Gardisten angelaufen, die jetzt erst den Alarmruf von der Mauer folge leisteten… Was hatte er getan? Zyle warf sich mit einem Aufschrei nach vorne und machte einen Satz nach oben. Das Schwert in der Hand stieß er Blind zu. Er wollte nicht sehen, was er tat, bevor er sich nicht sicher war… Der Stahl bohrte sich bis zum Heft in

den Mann, den er sich als Ziel ausgesucht hatte. Kein Gardist… Er spürte, wie der fremde Einfluss auf seinen Geist zerbrach, so wie das Eis auf einem See zerbrechen mochte um die dunklen Fluten darunter freizugeben. Er hörte den inneren Aufschrei, den die Präsenz in seinem Verstand von sich gab. Er hatte sie verletzt, wie ihm grade klar wurde. Und dann tat er mehr, als nur zu verletzen. Die Klinge trat am Rücken des Kavalleristen wieder aus, den er anvisiert hatte, während er und der Mann zu Boden stürzten. Das Pferd rannte blind weiter, stolperte auf dem vom Blut glitschigen Pflaster des Platzes und

brach zusammen. Sofort sprang Zyle wieder auf die Füße und riss die Klinge aus dem sterbenden Körper vor sich. Er wusste nach wie vor nicht, wie er es geschafft hatte, die Kontrolle über sich zurück zu erlangen, nur das er es getan hatte, war wichtig. Um ihn herum tobte nach wie vor die Schlacht zwischen den zahlenmäßig weit unterlegenen Verteidigern und den Kavalleristen Andres. Doch nun, auf dem beengten Platz, behinderten sie die Pferde mehr, als das sie ihnen halfen. Eines der Tiere, wild geworden durch einen Streifschuss, rempelte mehrere andere an, die daraufhin wie ein Kartenhaus übereinander fielen und ihre

unglücklichen Reiter abwarfen. Zyle war in seinem Element. In den Nahkampf gezwungen, hatten ihm Andres Soldaten wenig entgegenzusetzen. Die Krieger Helikes lernten teilweise seit ihrer Kindheit mit der Klinge umzugehen und doch konnten es selbst die besten davon nicht mit einem Schwertmeister aufnehmen. Von den Truppen des Kaiserreichs einmal abgesehen. Ohne Musketen und Kanonen im Weg, schnitt Zyle durch die grau uniformierten Reihen wie ein heißes Messer durch Butter. Ein paar Schwerter streiften ihn, hinterließen Kratzer, die innerhalb von Herzschlägen ohnehin wieder verschwanden… Er revanchierte sich, in

dem er in rascher Folge drei Gegner niederstreckte. Es gab keinen Schlagabtausch, nur einen gezielten Hieb, der ihre Verteidigung unterlief. Laos, wilde Hunde waren gefährlicher… Und doch würde es schlicht nicht ausreichen, wie ihm immer klarer wurde. Zyle konnte unmöglich alle töten und die Stadtwache wurde mit ihm immer weiter zurück getrieben. Es nützte nichts, sie würden die Tore nicht halten, wenn sie keine Verstärkung bekamen, dazu waren es zu viele… Zyle löste sich aus den Kämpfen und drängte sich durch den Ring aus Gardisten und Wächtern. Niemand hielt ihn auf. Im Gegenteil. Die meisten hatten gesehen, was er getan

hatte. Seine Kleidung war blutdurchtränkt. Vermutlich hielten sie ihn schlicht für Wahnsinnig. Und verflucht, das wäre der einfachere Ausweg gewesen. Er musste zurück zu den anderen und die Garden um und in der Patriziervilla alarmieren. Und Kellvian. Wenn der Mensch erfuhr, was Zyle getan hatte, war er vermutlich ohnehin tot. Wenn sie die nächsten Stunden überstanden. Er rannte los, während hinter ihm die letzten Verteidiger nieder gestreckt oder zurück getrieben wurden…

Kapitel 42 Licht


Kellvian blinzelte, als er das Bewusstsein wieder erlangte und wünschte sich im gleichen Moment noch Ohnmächtig zu sein. Er lag auf dem Boden, trotzdem schien die Welt um ihn herum sich zu drehen. Blut tropfte aus einer Platzwunde an seinem Kopf auf den Boden und hatte sich dort bereits zu einer kleinen Pfütze gesammelt. Seine Sicht verschwamm, als er einfach ruhig liegenblieb und darauf wartete, dass die Schmerzen nachließen. Vor ihm auf dem Holzparkett lagen Trümmer und Glassplitter verteilt. Und

noch etwas anderes. Ein grüner Stein in einer silbernen Fassung. Das Juwel dar dunkel und von Rissen durchzogen, die Kette zerstört und in einzelne Teile zerfallen. Jiy… Er versuchte sich mit einem Arm hoch zu stützen. Sonnenstrahlen drangen von oben durch das Dach der Halle. Oder dort, wo dieses einmal gewesen war. Ein gewaltiges Loch klaffte dort, wo er eben noch gestanden haben musste. Ziegel und Holzbalken hingen lose herab, während der Boden darunter ebenfalls eingebrochen war. Das war eine Kanonenkugel gewesen, dachte er. Aber wo bitte war die hergekommen? Jemand packte ihn und zerrte ihn unsanft

auf die Füße. Es war Lucien, der ihn mit einer Hand stützte, während er in der anderen eine gespannte Armbrust hielt. ,, Hoch mit euch, Herr. Wir haben ungebetenen Besuch. Und der ist offenbar schlimmer als die Verwandtschaft. Ich fürchte wir müssen denen erst die Tür zeigen.“ Kellvian glaubte in diesem Moment Lucien etwas zu verstehen. Der Mann schien einfach etwas dafür übrig zu haben, der Gefahr mit Humor zu begegnen. So verquer dieser auch sein mochte. Er keuchte, als sein Körper über die grobe Behandlung protestierte. Blut tropfte auf dem Boden. Es war nur die

Platzwunde, wie Kell erleichtert feststellte, als er schwankend stehen blieb. Ansonsten schien er zumindest nicht schwerer verletzt. Jede Menge Prellungen, die würden aber verheilen. ,,Wo ist Jiy ?“ Er drängte sich an dem kaiserlichen Agenten vorbei. Im Saal herrschte Chaos. Dutzende Verletzte oder Verängstigte Adelige und Bürger hatten sich in die Ecken der Halle zurückgezogen. Andere lagen regungslos auf dem Boden. Tot oder wie er Ohnmächtig oder betäubt. Kellvian zwang sich, den Blick über die Toten wandern zu lassen. Nicht Jiy, wiederholte er einfach immer wieder. Götter, das hier war seine Schuld. Er

hatte noch darauf bestanden. Kellvian wusste nicht, wie Andre davon hatte wissen können, wie er seinen Angriff so genau hatte abstimmen können, aber es war geschehen. ,, Ich bin hier.“ , meldete sich eine Stimme links von ihm und er atmete erleichtert auf. Jiy saß, wie er mit Staub und Schmutz überzogen, während Eden ihr wieder auf die Füße half.. Aber sie war am Leben. ,, Alles in Ordnung bei dir ?“ , wollte er wissen. Sie nickte nur. ,, Wir… müssen uns um die anderen kümmern.“ Kellvian gab ihr Recht. Trotzdem musste er dem ersten Impuls wiederstehen, erst

einmal sie in Sicherheit zu bringen. Zyle stand einige Schritte weiter und starrte stumm auf das Chaos. Stadtwachen und Gardisten hasteten durcheinander, während Roland ihnen bereits Anweisungen erteilte. Zu seiner Erleichterung entdeckte er auch bald Quinn, Syle, Melchior und die anderen. Cyrus ging bereits mit Erik die Reihen der Verletzten durch, während der Schiffsarzt tiefe Schnitte abband, Wunden säuberte und alles tat, was im Augenblick wohl in seiner Macht stand. Aber im Augenblick waren diese Leute trotzdem desorganisiert und wussten nicht wohin. Kellvian sammelte sich. Er legte Jiy kurz eine Hand auf die

Schulter, dann trat er in die Mitte des Saals hinaus. Jetzt brauchten diese Leute erst einmal einen Anführer. ,, Herhören.“ , rief er. Die Gardisten hielten inne, wo sie waren und auch die meisten anderen Anwesenden wendeten sich ihm zu. ,, Die Stadt wird angegriffen und uns bleibt nicht viel Zeit. Erik, ihr , Cyrus, Eden …. und Jiy kümmert euch hier weiter um die Verletzten. Seht euch auch Zyle an. Zachary kann euch Schutz geben, falls irgendetwas… geschieht.“ Jiy warf ihm einen Blick zu, der schon besagte, dass sie protestieren wollte. ,,Bitte.“ , fügte er leise hinzu. Er improvisierte grade, aber der Schock saß ihm noch in den Knochen.

,,Wenn es weitere Verwundete gibt, schaffen wir diese ebenfalls hierhin. Quinn und Roland. Ich will das ihr die Gardisten sammelt und nach draußen auf die Hauptstraße führt. Die Tore sind durchbrochen und wir brauchen sie zurück.“ Roland nickte, während der Magier schon die Garde zusammenrief. Darunter Syle und Lucien. Melchior löste sich ebenfalls aus den Reihen der wartenden Gäste. ,, Und was werdet ihr tun ?“ ,, Ich, Syle, Lucien und ihr, wenn ihr mitwollt, ziehen mit der Stadtwache.“ Roland war mit seinen Leuten vertraut, es war also das Beste, ihm auch das Kommando über diese zu überlassen.

Und Quinn würde die ihnen fehlende Anzahl wettmachen. Die Wächter Varas hingegen, wenn auch diszipliniert und zahlreicher, hatten wenig echte Kampferfahrung und konnten wohl zumindest einen kleinen Schub für ihre Moral gebrauchen. Wenn er sich ihnen anschloss würde das hoffentlich den richtigen Ansporn geben. Rasch gab er den Wachen, die sich bereits in der Halle befanden ein Zeichen, sich ihm anzuschließen. Roland tat das gleiche mit den Gardisten und hastete bereits die Treppe hinab, als Kellvian sich ihm anschloss. Schon bevor er auf die Straße hinaus trat, konnte er den Lärm hören. War die Stadt bis vor wenigen

Augenblicken noch totenstill gewesen, so durchbrachen jetzt Schreie und das Donnern on Kanonen die Ruhe. Kellvian konnte sehen, wie mehrere Geschosse in ein Haus nur einige Straßen weiter einschlugen. Holz und Stein wurde zerschmettert, als wäre es Papier und der gesamte Bau geriet ins Schwanken. Staub stieg auf, als Trümmer und Holzsplitter auf die Straße regneten. Kellvian zwang sich, sich von Anblick loszureißen. Erneut fragte er sich, wie Andre es geschafft haben konnte, genau den Moment abzupassen, in dem sich ihm niemand in den Weg stellen würde. Er und Roland trennten sich, als sie die Hauptstraße erreichten. Während

Kellvian versuchen wollte, sich direkt bis zu den Toren durchzuschlagen, hätte die Garde die besseren Chancen, wenn sie den Großteil der Streitmacht umginge. Wenn es überhaupt noch eine Chance gab, dachte er bitter, während er eine Geschäftsstraße entlanghastete. Die sündteuren Schaufenster aus Glas lagen in Scherben am Boden und spiegelten die Sonne wieder. Helligkeit und angenehme Wärme schienen ihrer Lage beinahe Hohn zu sprechen. Dann jedoch preschten die ersten Reiter über das Straßenpflaster auf sie zu. Die Männer trugen graue Uniformen und trieben ein Dutzend Stadtwachen vor sich her, die dem Sturmangriff wenig

entgegenzusetzen hatten. Weitere grau uniformierte Soldaten folgten ihnen, entweder ebenfalls Beritten oder Schwerter und Pistolen schwingend zu Fuß folgend. Kellvian zog das Schwert. Jetzt galt es, dachte er und fühlte wie ihm Angstschweiß den Rücken hinab lief. Hoffentlich hatten sie hier wirklich den Hauptteil der Streitmacht vor sich. Dann konnten Roland und Quinn die Tore zurück gewinnen und verhindern, das noch mehr von Andres Männern nachkamen. Selbst mit denen, die er hier vor sich hatte, würden sie sicher kein leichtes Spiel haben. ,, Hellebardenträger nach vorne.“ ,

befahl Kellvian, ,, Linie bilden und duckt euch, sichert die komplette Straße ab. Syle, bringt alle Schützen dahinter in Position, so dass sie über ihre Schultern hinweg zielen können.“ , Ja, Herr.“ Der Gejarn zögerte nicht, sondern verschwand, Anweisungen erteilend, in der Menge. Diese verwandelte sich innerhalb weniger Herzschläge von einem unorganisierten Haufen Kämpfer in eine dichte Wand aus blitzendem Stahl und gähnender Gewehrläufe. Keinen Moment, bevor sie die ersten Kavalleristen erreichten. Die Pferde krachten mit voller Wucht in den Speerwall. Ungebremst, spießten sich Tiere und Reiter gleichermaßen selbst

auf, wenn diese nicht rechtzeitig absprangen. Nun hatten auch die Fußsoldaten sie erreicht. Die ersten Schüsse lösten sich auf beiden Seiten. Stahl prallte auf Stahl. Kellvian hielt sich in der ersten Reihe seiner Leute, verlor aber schon bald die Übersicht. Die Linien, wo die beiden Heere aufeinandertrafen, verschwommen Zusehens. Er versuchte nur noch, irgendwie, seinen Platz zu behaupten. Kellvian parierte den Hieb eines übereifrigen Reiters, der ihm im Vorbeiziehen enthaupten wollte und stieß nach den Beinen des Pferds, das daraufhin seinen Herrn abwarf. Ein Bolzen von Lucien fällte einen Mann,

der in seine Flanke gelangt war und plötzlich war auch Syle an seiner Seite. Der Gejarn hatte das Gewehr offenbar gegen eine Hellebarde getauscht und ging damit um, als wäre es eine Sense. Erstaunlich effektiv. Den kräftigen Hieben hatten die wenigsten von Andres Männern etwas entgegenzusetzen und wenn die hinter ihnen nachrückenden Männer keinen Platz machten, blieb ihnen nicht einmal mehr, der sirrenden Klinge auszuweichen. Langsam aber sicher erschuf Syle einen mehrere Schritte breiten, freien Bereich um sich, in den sich keiner seiner Gegner mehr hineinwagte. Frustriert schleuderte der Bär die inzwischen rot gefärbte Waffe in

ihre Reihen und hob stattdessen einen verlorenen Degen wieder auf. Das Blatt wendete sich, dachte Kellvian überrascht. Wie es aussah, hatte er alles richtig gemacht. Er atmete erleichtert auf. Noch war es jedoch nicht vorbei. Die Front aus grau uniformierten Soldaten wich unter stetigen Verlusten zurück. Zurück zu den Toren, die Roland hoffentlich mittlerweile geschlossen hatte. Dann würden sie Andres Männer schlicht in die Enge treiben und zum Aufgeben zwingen. Er wollte nicht mehr von ihnen töten, als nötig war. Schon alleine, weil er hoffte, das ihm einer sagen konnte, wie Andre sie derart überlistet hatte. Was hatte Zyle gesagt…

Er meinte das sei alles seine Schuld? Das ergab doch keinen Sinn. Sicher, der Schwertmeister war zu spät gekommen, aber das würde ihn niemand zum Vorwurf machen. Er hatte sie immer noch früher als alle anderen gewarnt. Oder konnte es sein das… Kellvian musste an Laos denken. Nein. Das konnte nicht sein. Das durfte erst gar nicht sein. Wenn Ismaiel Zyle benutzt hatte… Götter, warum hatte er nicht vorher daran gedacht? Die Angst kehrte mit Macht zurück. Er musste später ganz genau erfahren, was geschehen war. Irgendjemand musste Zyle ja gesehen haben. Vielleicht war sein Verdacht

ungerechtfertigt… ,, Treibt sie zu den Toren.“ , befahl er, während er sich dazu zwang, sich wieder der gegenwärtigen Gefahr zuzuwenden. ,,Treibt sie zurück, aber tötet sie nicht, wenn sie sich ergeben.“ Mittlerweile konnte Kellvian bereits die Stadtmauer sehen. Honigfarbener Sandstein bildete einen mehr dekorativen, als wirklich nützlichen, Wall. Aber dieser war immer noch stark genug, zumindest ein paar Stunden lang Beschuss standzuhalten. Zeit genug, normalerweise, damit die Verteidiger Varas sich im Ernstfall organisieren konnten. Heute jedoch hatte ihnen das nichts genützt. Sie waren Verraten

worden… Kellvian schüttelte die Gedanken erneut ab. Das wusste er noch nicht. Selbst wenn, war es bedeutungslos. Die Reihen von Andres Kämpfern teilten sich auf einmal. Kellvian fragte sich schon, ob sie vielleicht Befehl hatten aufzugeben und einen Unterhändler vorschicken wollten. Er hätte sich nicht mehr irren können. Die Männer traten zurück und gaben den Blick frei auf eine seltsame Konstruktion aus Holz und versilbertem Glas. Das Ganze war auf einem Karren montiert worden und erinnerte Kell entfernt an die Wind und Licht-spiele, die man in manchen Gärten fand. Was war das denn? Die Spiegel

waren alle so ausgerichtet, dass sie auf einen gemeinsamen Brennpunkt deuteten, direkt im Zentrum des Aufsatzes. Er sah die skeptischen Blicke einiger der Wachen. Gefährlich wirkte es erst einmal nicht. Unter anderen Umständen hätte er ihnen wohl auch zugestimmt. So jedoch verkrampfte sich seine Hand um den Schwertgriff. Irgendetwas ließ ihm die Haare im Nacken zu Berge stehen. Das Ding musste zerstört werden und zwar jetzt, bevor… irgendetwas geschah. Kellvian wollte grade den Befehl geben, den Karren unter allen Umständen zu sichern, als sich ein Lichtblitz von den Spiegeln löste. Er sah nie, was wirklich geschah. Nur einen einzigen Bolzen aus

reinem Weiß, der plötzlich auf ihre Reihen zu jagte. Kellvian schirmte das Gesicht mit der Hand ab, dann ging um ihn herum alles in einem Blitz aus Licht, Hitze und Lärm unter. Zum zweiten Mal an diesem Tag wurde er von den Beinen gerissen, als das Licht sich glatt durch die Reihen der Stadtwache brannte, Körper in Asche verwandelte und erst erlosch, als es eine Hauswand am Ende der Straße traf… Kell wurde durch die Luft geschleudert und schlug gnädiger weise nur auf dem Rücken auf. Kiesel und Steinkanten Schnitten tiefe Schrammen in seine Haut, selbst durch die Kleidung hindurch. Er musste wohl geschrien

haben, hörte aber selber keinen Ton. Das tosende Licht um ihn herum war nach wie vor vollkommen. Halb betäubt spürte er nur noch, wie ihn jemand grob hochzog und die Worte: ,,Melchior meint wir müssen hier weg, beeilt euch…“ , die aus weiter Ferne zu kommen schienen… Dann verlor er erneut das Bewusstsein und wurde von der Dunkelheit verschluckt.

Kapitel 43 Rettung


Quinn konnte es nicht vermeiden, Kiara erneut für die Situation zu verfluchen, in die sie ihn gebracht hatte. Vor einem Jahr hätte er sie vermutlich ausgelacht, wenn sie ihm das Amt des ordensoberen angeboten hätte und sie gleich nach seiner Ernennung verbannen lassen. Wenn er sie nicht sogar getötet hätte. Jetzt fragte er sich nur, was in sie gefahren war, ausgerechnet ihn ausgerechnet jetzt dazu zu machen. Er hatte ja nicht einmal die Wahl. Die Alternative wäre, den Orden endgültig zerbrechen zu lassen. Ohnehin war kaum

etwas davon übrig. Die Zauberer waren überall zerstreut und er alleine. Er würde sie finden müssen, wie Quinn immer klarer wurde. Irgendwie. Er alleine würde den bisherigen Verlauf dieses Kriegs nicht ändern. Es war eine Zwickmühle… Und er wurde das Gefühl nicht los, das Kiara genau darauf abgezielt haben könnte. Diese Frau schien es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, ihm, selbst jetzt, wo sie verschollen war, noch so viele Stolpersteine wie möglich in den Weg zu legen. Die Hochzeit war dabei noch der geringste. Einem entfernten Teil von ihm hatten die kurzen Feierlichkeiten ja

sogar gefallen. Solange, wie sie gewährt hatten, zumindest. Auch wenn das ganze eher unförmlich abgelaufen war, es hatte beinahe Spaß gemacht. Bestimmt war auch Kellvian die Ironie nicht entgangen, das ihn nun der Mann traute, der ihn einmal hatte töten wollen. Allein die Vorstellung kam Quinn jetzt seltsam vor. Sicher, er wusste nicht wirklich, was er von dem jungen Kaiser halten sollte, aber Götter, der Mann war offenbar ganz in Ordnung. Zumindest im Vergleich zu Andre. Quinn hatte den Wahnsinn gesehen, der den Lord gepackt hatte. Wahnsinn, der sich in endlosen Bächen aus geschmolzenen Stahl und geradezu fantastischen Kriegsmaschinen

niederschlug. Und hier erhielt er den Beweis erneut. Er und der Gardist, Roland, hasteten durch die Seitenstraßen Varas in Richtung der Tore. Ihnen auf dem Fuß folgten gut hundert bewaffnete Musketiere in den blauen Uniformen der kaiserlichen Leibwache. Die Elite der gesamten Garde. Kellvian würde die Hauptstreitmacht des Feindes in der Stadt binden. Sie hingegen mussten nichts weiter tun, als die Tore zu sichern und die Falle damit zuschnappen zu lassen. Wenn Andres Männer keinen Rückzugsort mehr hatten, konnten sie sie in die Zange nehmen. Ihre Zahlenmäßige Überlegenheit würde dann nur noch eine begrenzte Rolle spielen.

Der Zauberer konnte den Lärm der bereits tobenden Schlacht bis hierhin hören und noch immer Schlugen vereinzelt Kanonenkugeln in Gebäude oder rissen das Pflaster der Straße auf und brachten die Erde unter ihren Füßen zum Zittern. Andre musste seine Artillerie auf einem Hügel vor der Stadt positioniert haben und beschoss jetzt einfach jeden Teil Varas, den seine Truppen noch nicht gesichert hatten. Quinn bezweifelte jedoch, das der Herr Silberstedts selber hier war. Wenn, dann wären sie vermutlich längst überrannt worden. Die komplette Armee des Aristokratenbundes hätte die Stadt

innerhalb weniger Herzschläge besetzt. Vermutlich hatten sie es also nur mit einer kleineren Abteilung zu tun, die sich Vara unbemerkt genähert hatte. Das war zumindest etwas, dachte er, während er bereits die Stadtmauern erkennen konnte. Roland führte sie durch eine Gasse, die für Varas Verhältnisse schon fast ein Slum war. Zwar war auch hier die penible Ordnung zu sehen, die Straßen waren frei von Unrat und die Gebäude sauber gestrichen, aber es gab weniger Verzierungen und allgemein waren die Häuser kleiner und gedrungener. Wirklich viel Gelegenheit sich umzusehen, blieb ihm jedoch nicht.

Grade, als Quinn schon glaubte, sie würden die Mauer jeden Moment erreicht haben, tauchte plötzlich eine Ansammlung grau uniformierter Gestalten aus einer Seitenstraße auf. Verflucht. Offenbar war es Kellvian doch nicht gelungen, die komplette Streitmacht zu beschäftigen. Oder die Heerführer waren geistesgegenwärtig genug gewesen, den Frontalangriff als Ablenkung zu erkennen… Am Ende spielte es ohnehin keine Rolle. Sie standen ihm im Weg. Feuer brach aus seinen Fingerspitzen hervor und sammelte sich wie eine Flüssigkeit in seiner Handfläche. Bevor er jedoch dazu kam, den Zauber auch zu entfesseln, riss

Roland ihn bereits am Arm herum. Die Flammen erloschen, als der völlig überraschte Magier von der Gasse in eine weitere Seitenstraße gezogen wurde, weg von den Männern aus Silberstedt. ,,Seit ihr Wahnsinnig ?“ , fragte er, als Roland ihm bedeutete, weiter zu rennen. Die übrigen Gardisten folgten, ohne auch nur einen Moment zu zögern. ,, Wir haben keine Zeit für so etwas.“ , erklärte der Kommandant nur. ,, Das ist was sie wollen. Wenn wir uns auf ein Scharmützel einlassen, können sie uns aufhalten. Wenn sie uns aufhalten, gefährdet das den Kaiser. Ich werde mich nicht darauf einlassen.“ ,, Und was sollen wir dann tuen, bitte ?

Die Tore sind in dieser Richtung.“ ,, Ich weiß. Wir nehmen nicht den direkten Weg. Wenn es uns gelingt, die Mauer zu erreichen und hinauf zu kommen, können wir darüber bis zum Tor vordringen.“ ,, Bitte was ? Damit schreien wir ihnen ja praktisch zu, hey bitte erschießt uns. In Richtung Stadt gibt es da oben keine Deckung. Wenn man uns bemerkt, sind wir Tod.“ Roland grinste. ,, Berufsrisiko. Los Männer, sehen aus, als wäre der Herr Zauberer hier ein kleiner Feigling. Zeigen wir ihm, was Mut bedeutet.“ Quinn knirschte nur angespannt mit den Zähnen, während vor ihnen einer der

Aufgänge zum Wall in Sicht kam. Stufen aus honiggelbem Stein, die über einen Absatz nach oben führten. Roland war schon halb die Treppe herauf, bevor Quinn sich auch nur überwinden konnte ihm zu Folgen. Wenn auch nur ein paar Schützen aus der Armee, die sich dort unten eine Schlacht lieferte, sie bemerkte, war es vorbei. Noch schlimmer, sollten die Kanoniere draußen vor der Stadt sie entdecken. Er trat auf die Mauer hinaus und verbot sich einfach, weiter darüber nachzudenken. Roland bedeutete ihnen, ihm einfach zu Folgen. Von hier oben konnte Quinn fast die gesamte Stadt überblicken. In der Ferne

konnte er das eingestürzte Dach des Patrizierhauses erkennen. Durch den Beschuss waren an mehreren Orten Feuer ausgebrochen und dunkle Rauchsäulen stiegen zum ansonsten klaren Himmel auf. Und nur einige Straßen von der Mauer entfernt, auf einem der großen Hauptwege Varas, standen Andres und ihre Streitkräfte. Auf die Entfernung konnte er nicht sagen, welche Seite die Oberhand hatte. Nur das Klirren von Stahl und vereinzelte Schüsse drangen bis hier herauf. Es spielte auch keine Rolle, dachte Quinn. Wenn sie ihre Aufgabe richtig machten, würde sich das Blatt in jedem Fall zu ihren Gunsten

Wenden. In diesem Moment jedoch zuckte ein einzelner, greller Lichtblitz über das Schlachtfeld im Herzen der Stadt. Quinn wurde geblendet, bevor er noch dazu kam, seine Augen abzuschirmen. Er kannte dieses Licht, kannte es nur zu gut. Auch die anderen sahen es und erstarrten, wo sie waren. ,, Roland, Bewegung, wir haben keine Zeit zu verlieren.“ Quinn packte den Kommandanten am Arm und zog ihn mit sich. Diesmal war er es, der die Männer zur Eile antrieb. Jetzt hatte er auch jeden Grund dafür. Wenn Andre wieder diese seltsame Lichtwaffe einsetzte, würde es dort unten jetzt schnell hässlich

werden. Quinn hoffte nur, die Kriegsmaschine wie eine Kanone nicht gleich wieder feuern konnte… Mittlerweile konnte er das Tor und den Platz davor schon sehen. Es war ein einziges Blutbad. Tote Wächter wie Soldaten lagen auf dem Pflastersteinen verteilt oder färbten das Wasser des Brunnens direkt hinter dem Tor rot mit Blut. Aber offenbar hatten die Verteidiger auch ihren Gegnern einiges abverlangt. Zwischen den Panzern der Stadtgarde zeichneten sich auch dutzende von grauen Uniformen ab. Die schweren Torflügel selbst standen weit offen. Sämtliche Bolzen, die diese einstmals gesichert hatten waren herausgezogen

und lagen auf dem Boden davor, wenn die Füße von tausenden Kämpfern sie nicht schon vor sich her getragen hatten. Das war nicht gut, dachte Quinn, aber ein einzelner Bolzen würde ausreichen, die Tore erst einmal zu sichern. Ihr Plan schien aufzugehen. Der Zauberer wollte sich grade den Weg eine Treppe hinab machen, die zu einer Nebenstraße führte, von der aus man den Platz erreichen konnte, als Roland ihm abermals zurück hielt. Der Griff des Kommandanten war jedoch diesmal fast schmerzhaft und Quinn hatte schon halb einen Fluch zu Recht gelegt, als ihm auffiel, wieso der Mann ihn schon wieder aufhielt. Roland deutete über die Zinnen der Mauer

hinweg zu den Hügel, die Vara umgaben. Der Zauberer konnte die Schützenstellungen sehen, die Andres Männer dort bezogen hatten. Reihen aus in der Sonne blinkenden Geschützen, die auf die Stadt gerichtet waren. Aber das war es nicht, was die Aufmerksamkeit des Mannes auf sich gezogen hatte. Hinter den Stellungen, im Schatten der Bäume eines nahen Waldes, bewegte sich etwas. ,,Seht euch das an, Zauberer…“ , meinte Roland düster. Götter, Andre konnte doch unmöglich grade jetzt Verstärkung bekommen, oder? Dann jedoch geschah etwas seltsames. Die Kanoniere auf dem Hügel bemerkten die Gestalten, die sich

ihnen näheren wohl auch… Einige griffen noch zu den Waffen und im nächsten schlug eine große Dampfwolke unter den Zweigen hervor, gefolgt vom Ohrenbetäubenden Glockenschlag von hunderten, gleichzeitig abgefeuerter Musketen. Die Kanoniere brachen getroffen zusammen, warfen sich grade noch in Deckung oder versuchten tatsächlich, die schweren Geschütze noch mit vereinten Kräften auf den neuen Feind zu wenden. Vergebens. Eine zweite Säule aus Pulverdampf folgte der ersten und auch die letzten Verteidiger ergaben sich. Es hatte nicht einmal zehn Minuten gedauert. Quinn verfolgte das Schauspiel vor den Stadttoren mit

zunehmender Unruhe. ,, Wer ist dort oben ?“ , wollte er von Roland wissen, als seine Frage sich auch schon von selbst beantwortete. Ein einzelner Reiter trat unter den Bäumen hervor. Die hellblonden Haare waren auch auf die Entfernung hin zu erkennen. Ihm folgte ein scheinbar endloser Zug aus weiteren Berittenen, Infanteristen und Geschützwagen. Es war beinahe, als sei der Wald lebendig geworden und spucke nun nach und nach einen Soldaten nach dem anderen aus. Und über den Köpfen der Männer wehte das Doppelbanner des Kaiserreichs… Quinn traute seinen Augen nicht. Erst, als Roland neben ihm einen lauten

Jubelruf ausstieß, war er völlig überzeugt, nicht bloß zu träumen. ,, Das ist Falvius mit seinen Leuten. Das muss er sein.“ Der Kommandant reckte eine Faust zum Himmel, als wollte er den Göttern danken. ,, Wir sind gerettet…“ Auf ein stummes Zeichen hin setzte sich der gesamte Zug der Soldaten auf einen Schlag in Bewegung und preschte auf die Tore zu. Bevor Quinn auch nur wusste, wie ihm geschah, waren die ersten Reiter bereits hindurch und fielen Andres Heer in den Rücken, das sich nach wie vor einen Schlagabtausch mit Kellvians verbliebenen Männern lieferte. Als sie sahen, das sie plötzlich von zwei Seiten

angegriffen wurden, suchte mehr als einer sein Heil in der Flucht, rannte in die Seitenstraßen davon oder versuchte einen Weg aus der Stadt hinaus zu finden. Der Großteil des gegnerischen Heeres zog sich nach Südosten zurück, während die beiden Heere, nun vereint, ihnen durch die Straßen Varas nachsetzten. Es war ein Ehrfurcht gebietender Anblick, einmal die kaiserliche Garde in voller Schlagkraft zu sehen. Die wenigen von Andres Männern, die es irgendwie aus der Stadt heraus schafften, bevor die Falle endgültig zuschnappte, würden das sicher nicht so schnell vergessen, dachte er. Roland neben ihm hegte offenbar

ähnliche Gedanken. Die Schwertspitze vor sich auf dem Boden abgestützt und beide Hände auf dem Knauf liegend, lächelte er. Ein düsterer , grimmiger Ausdruck, der jedoch irgendwie Ansteckend zu sein schien. Sie hatten hier heute einen Sieg davon getragen. Doch um welchen Preis, das würde sich erst noch zeigen müssen, wenn sie die Verluste zählten. Ein Blick hinab auf die blutüberströmte Hauptstraße sagte ihm bereits, das es zu viele waren Wie immer die Zahl auch lauten mochte. Siegestaumel und die Gewissheit, dass er bald vorbei sein würde, verbanden sich zu einer seltsamen Mischung aus Emotionen in deren Sog Quinn kaum

mitbekam, wie er schließlich die Treppen von der Mauer hinab stieg und sich auf den Weg zu der Stelle machte, wo Falvius seine Truppen sammelte. Einige letzte, fliehende Soldaten kamen ihm entgegen. Er ließ sie gewähren und durch die Tore entkommen. Selbst wenn sie es bis zu Andres Hauptstreitmacht zurück schafften würden sie dort bestenfalls Angst sähen… und den Zorn des Herrn von Silberstedt wecken. Jetzt stand ihnen etwas bevor, das ihm schon in der Ordensburg zu schaffen gemacht hatte. Herausfinden, wer seiner…. Freunde, ein seltsame Wort, diesen Tag überlebt hatte. Quinn stieg über einen toten Gardisten

hinweg. Einen Bär-Gejarn, den er in einem kurzen Moment fast für Syle gehalten hätte. Aber Syle trug Blau und der Mann war selbst für einen Bären groß. Der hier wäre grade einmal so hoch wie Quinn selbst. Der Zauberer ignorierte den Toten wieder und ging, gefolgt von den anderen, dem Heer ihrer Retter entgegen.

Kapitel 44 Verluste


Jiy konnte sich nur kopfschüttelnd in der Halle umsehen. Noch immer drang Licht durch das zerstörte Dach. Nun aber wehte der Wind auch den Geruch von Rauch und verbranntem Schwarzpulver heran. Die Gejarn ließ den Blick über die Reihen aus Verletzten und Toten schweifen, die mittlerweile im Saal aufgebahrt waren. Nur das Kellvian nicht darunter war, gab ihr grade noch genug Rückhalt, das weiter durchzustehen. Das hier war so schon schlimm genug mit anzusehen. Sie wusste nicht mehr, wie viele Männer

sie heute schon hatte sterben sehen. Entweder schon fast Tod, wenn man sie hereinbrachte oder unter ihren Händen Verblutet. Mittlerweile hinterließ es bei ihr nur noch einen faden Geschmack auf der Zunge, wenn wieder irgendwo der Lebensfunke erlosch. Wie bei einem Gericht von dem man zu viel gegessen hatte… Nur in ihrem Fall war das der Tod. Doch seit einigen Minuten war der stetige Strom aus Verwundeten endlich einmal abgerissen. Jiy wusste nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war. Andres Männer könnten schlicht und ergreifend gesiegt haben. Was das dann für die anderen bedeutete, darüber

wollte sie gar nicht erst nachdenken. Sie war einfach so müde, das jeder Gedanke ihr zu entgleiten drohte. Die Gejarn trat durch die Halle zu der Stelle, wo Waffen und Ausrüstung der Verletzten aufbewahrt wurden und nahm ein Schwert von dem Stapel. Die Klinge war überraschend schwer, aber an das Gewicht konnte man sich wohl gewöhnen. Wenn ihnen so viel Zeit blieb. Dann sah sie zurück zu Cyrus und Zyle. Der Wolf und der Schwertmeister hielten weiter an der Tür zum Saal Wache. Beiden war die gleiche Anspannung anzusehen. Keiner von ihnen würde sich einfach ergeben, wenn Andres Männer

hereinstürmen würden. Sie zumindest nicht, dachte Jiy. Das hätte der angeblich schönste Tag ihres Lebens werden sollen. Und bis vor wenigen Stunden war er das auch. Jetzt war alles in Blut untergegangen. Dann konnte es auch so enden, dachte sie bitter. Das Silberkleid, das sie trug war mittlerweile mit roten Flecken übersäht und zerrissen. Jiy band die Schwerthülle an ihrem Gürtel fest. ,,Könnt ihr noch frisches Wasser holen ?“ , fragte sie an Zyle gewandt. Sie wusste nicht, wie viele mit Blutdurchtränkte Wundumschläge sie heute schon ausgewaschen hatte. Irgendwann wollte man gewisse Dinge

nicht mehr zählen. Der Gejarn nickte. Irgendetwas schien ihm zu schaffen zu machen, dachte Jiy. Was immer es jedoch war, er sagte nichts, sondern ging nur seiner Aufgabe nach. Froh etwas zu tun zu haben, verschwand er durch die Tür um von unten einen neuen Eimer Wasser zu holen. Erik nutzte die kurze Pause unterdessen und hatte sich erschöpft an eines der Fenster gelehnt. Auch sein Mantel war Blutbefleckt und seine Hände zitterten mittlerweile leicht. Jiy hätte sich nie vorgestellt, den sonst so energetischen Schiffsarzt einmal an seine Grenzen gebracht zu sehen. Eine Pfeife im Mundwinkel musterte er

das ganze Chaos mit dem Blick eines Mannes, den das alles nicht mehr schockieren konnte. Er schien ihre Gedanken erraten zu haben, als sie zu ihm trat. Durch die gesprungene Glasscheibe konnte sie einen Blick auf die Stadt werfen. Dichte Rauchsäulen stiegen auf und verhinderten jedoch, dass sie viel erkennen konnte. Der Lärm der Schlacht war mittlerweile abgeklungen, bis auf einen gelegentlichen Schuss oderferne Rufe. ,, Keine Sorge. Der Junge kann auf sich aufpassen.“ , erklärte der Arzt beruhigend. ,, Wir können nur abwarten. Aber hört mal…“ ,,Was denn ?“ , fragte sie verwirrt. ,,

Ich höre nichts.“ ,, Eben.“ , gab der Arzt zurück. Jiy fiel es wie Schuppen von den Augen. Es war ruhig geworden… ,, Die Kanonen… Sie haben aufgehört zu feuern. Warum ?“ ,, Meiner Meinung nach, gibt es dafür nur eine Erklärung, meine Liebe. Andre kümmert diese Stadt nicht, das hat er schon bewiesen, als er mit dem Beschuss der Häuser begann. Das bringt ihm militärisch wenig, aber es erzeugt Chaos. Würde er also damit aufhören, wenn er noch dabei ist, die Stadt zu sichern? Nein.“ Jiy wollte ihm so gerne glauben. ,, Ihr meint, es ist vorbei

?“ ,, Genau das. Wir haben es geschafft, Jiy. Andre würde nicht zögern, zuerst hierher zu kommen. Er wusste sicher, dass er heute leichtes Spiel haben würde und auch wieso.“ Die Gejarn blieb zwar skeptisch, aber die Logik des Alten war bestechend. So oder so, sie würden es wohl bald erfahren. Wenn nur Kellvian und auch die anderen gesund zurückkamen… Zachary war derweil damit beschäftigt, die Männer und Frauen zu heilen, bei denen selbst Erik nichts mehr weiter wusste. Die Verletzungen mancher waren entsetzlich. Manche waren wohl in den Gebäuden gewesen, als der Beschuss

durch Andres Truppen begonnen hatte. Andere hatten schwere Verbrennungen, die wohl von den zahlreichen feiern stammten, die in Vara ausgebrochen waren. Der Junge war vielleicht nicht ein so begabter Heiler wie Kell, aber ihm stand ein Verständnis von Magie zur Verfügung, das dessen eigenes weit übertraf und er konnte auch Falamirs Träne zurückgreifen. Trotzdem ging das Ganze auch an ihm nicht spurlos vorbei. Die Heilzauber kosteten ihn jedes Mal aufs Neue Überwindung und Kraft und Jiy fürchtete, er würde nicht jedem helfen können, bevor die Erschöpfung auch ihn zwang, eine Pause zu machen.

Ganz davon abgesehen, das er nichts hiervon sehen sollte. Jiy konnte ihr Gewissen nur damit beruhigen, das Zachary auch schon das gleiche durchgemacht hatte, wie sie alle. Eden hatte jedoch offenbar ähnliche Bedenken und behielt den Jungen genau im Auge. Zachary ging langsam von Trage zu Trage und besah sich die darauf liegenden Personen. Die, die Erik bereits versorgt hatte, schliefen unruhig. Der Schiffsarzt hatte ihnen Mohn verabreicht, der zumindest die Schmerzen etwas betäuben würde. Die meisten würden auch ohne seine Hilfe durchkommen, nur bei manchen nickte ihm der Arzt aufmunternd zu, worauf

der junge Zauberer eine Hand vorstreckte. Blaues Licht flutete dann für einige Augenblicke oder manchmal auch Minuten den Saal, während sich Fleisch wieder zusammenfügte, Verbrennungen sich in Haut zurück verwandelten und selbst Organe wieder an ihren Platz zurück wanderten. Für Jiy würde dieser Vorgang wohl nie an Faszination verlieren, so groß die Furcht anderer davor auch sein mochte. Sie wusste, dass dahinter nichts Böses stand, auch wenn die heilende Magie den Menschen Schmerzen zufügen konnte, es rettet sie letztendlich. Dieses Mal jedoch zuckte der Junge plötzlich zusammen und das blaue Licht riss ab, bevor der Zauber

seine Wirkung ganz getan hatte. Es war genug, den Mann zu retten, um den er sich grade noch gekümmert hatte, aber viele kleinere Verletzungen blieben deutlich sichtbar. Vornübergebeugt stolperte Zachary ein paar Schritte zurück. ,, Vorsicht.“ Eden stützte ihn, bevor er fallen konnte. ,, Du brauchst einen Moment Pause.“ Der junge Zauberer sah sie nur Verständnislos an. Er schüttelte den Kopf. ,,Zac, hörst du mich überhaupt ?“ ,,Nein.“ ,, Nein ?“ Eden sah hilfesuchend zu Erik. Der Arzt zuckte nur mit den

Schultern, dann jedoch riss Zachary sich von ihr los und trat ohne Vorwarnung wieder an die Trage. Erneut leuchtete blaues Licht auf und einen Moment später war alles vorbei. Auch die letzten sichtbaren Wunden des Mannes hatten sich geschlossen. ,, Ich kann ihnen helfen Eden.“ , erklärte der Junge darauf. Selten hatte Jiy Zac mit so viel Autorität in der Stimme sprechen hören. Auf eine Art war es beängstigend. ,, Nur ich. Nicht Erik, nicht du, nicht Jiy, noch sonst jemand. Also lass es mich auch tun!“ Jiy fragte sich insgeheim, ob es wirklich nur darum ging. Oder gab der Junge sich vielleicht nach wie vor die Schuld an

Walters Tod? Walter de Immerson, Zacharys älterer Bruder, war vor einem Jahr in der fliegenden Stadt gestorben. Der Mann war praktisch das schwarze Schaf der Familie de Immerson gewesen, oder, wenn man Andre bedachte wohl eher das Weiße. Und war es nicht das erst gewesen, was Andres Abneigung auf Kell wachgerufen hatte? Jiy wusste es nicht. Fest stand, es spielte wohl eine Rolle. Aber ob es auch der Grund für Zacharys Verhalten war… So oder so, sie war einfach nur froh über die Hilfe, wenn das bedeutete, heute ein paar Leute weniger sterben zu sehen. Eden nahm es gespielt Ruhig zur Kenntnis. Aufhalten konnte den jungen

Zauberer ohnehin keiner von ihnen, wenn er dies wünschte. ,, Schön… aber bitte pass auf dich auf.“ ,, Das mache ich doch immer.“ , gab Zachary nur zurück, bevor er sich erneut in seine Zauber versenkte. In diesem Moment kehrte auch Zyle mit dem Wasser zurück. Und nicht nur der Gejarn, wie Jiy feststellte, als sie sich zur Tür umdrehte. Dem Schwertmeister folgten zwei weitere Gestalten, von denen sie eine sofort als den dunkelhaarigen Roland erkannte. Der andere schien sein genaues Gegenbild zu sein. Der hochgewachsene Nordmann wurde von einem eher kleinen, blonden Menschen begleitet, der trotz des ihn

umgebenden Chaos gute Laune zu haben schien. Zumindest spielte ein schwaches Lächeln um seine Lippen, das Jiy nicht richtig deuten konnte. Beinahe hätte man meinen können, er Belächle den Tod um sich herum. Beide Männer trugen die gleiche Uniform der kaiserlichen Garde, die sie als höhere Offiziere auswies, auch wenn bei Roland noch die Überreste der Zierelemente, die er für die Hochzeit befestigt hatte, zu sehen waren. Die meisten davon lagen jetzt wohl in den Straßen Varas verteilt. ,,Herrin.“ Roland machte eine kurze Verbeugung und bedeutete auch dem Blondschopf, es ihm gleich zu tun. Dieser runzelte verwirrt die Stirn,

verbeugte sich aber. ,, Herrin ?“ , fragte er und sah sich in der Halle um. ,, Wo ?“ Jiy war ebenfalls über die förmliche Anrede überrascht und überließ es lieber Roland, das aufzuklären. ,,Sie steht vor euch.“ , erklärte dieser und deutete auf die Gejarn in ihrem zerrissenen Silberkleid., bevor er fortfuhr : ,, Es ist uns gelungen, die Stadt wieder vollkommen unter unsere Kontrolle zu bringen, Herrin. Falvius Truppen haben Andres Leute vertrieben oder getötet. Es gab… keine Gefangenen.“ Kellvian hätte sich darüber wohl empört. Sie hätte auch gerne etwas gesagt, aber

da war einfach nur die unendliche Müdigkeit, die sich jetzt endgültig bemerkbar machte. Sobald er hier wäre, könnte sie sich etwas ausruhen, sagte sie sich. Im Augenblick jedoch war sie offenbar diejenige, die Entscheidungen treffen sollte. ,, Ich verstehe… Nächstes Mal jedoch, werde ich so etwas nicht tolerieren und der Kaiser auch nicht. Trotzdem, das war… gute Arbeit. Ihr habt uns gerettet.“ ,, Das ist unsere Aufgabe, Herrin.“ , gab Falvius zurück, warf dabei aber Roland einen Blick zu, der zu besagen schien, das dieser ihm später besser erklärte, warum er sich vor einer Gejarn

verbeugte. Zyle hatte unterdessen den Wassereimer zu Erik geschafft, der sich eine Handvoll des kalten Inhalts ins Gesicht spritzte, bevor er dazu überging, es mit einer Schöpfkelle an die Verletzen zu verteilen, die bei Bewusstsein waren. ,,Auch wenn wir Verluste hatten.“ , gab Roland zögerlich zu. ,, Zu viele und zu große… Die Stadtwache wurde fast vollständig ausgelöscht. Aber vorher ist es ihnen gelungen, eine Waffe des Feindes zu sichern. Vermutlich… war diese für die Verluste verantwortlich.“ Jiy spürte, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte. Als ob die Vorstellung von über zweitausend Toten nicht schon

genug wäre. Kellvian hatte die Stadtwache persönlich angeführt. Und er… Er war nicht hier. Sie weigerte sich, darüber nachzudenken, was das bedeuten mochte. ,, Wen… Wen haben wir verloren?“ Falvius schwaches Lächeln erlosch und Roland räusperte sich umständlich. Er sah zu Boden. ,, Wir… haben … wie gesagt die Stadtwache Varas ist fast völlig ausgelöscht worden. Sie haben heute wie Helden gekämpft. Soviel steht fest. Ihre Namen werden im Register der Garde verewigt werden. Dazu… wir haben ihre Leichen bisher nicht unter den Toten gefunden, Herrin, aber wir vermissen den kaiserlichen Agenten

Lucien Valaris. Den Gardisten Syle… den alten Seher. Und… wir können den Kaiser nirgendwo finden. Wir hatten gehofft, er wäre hier. Aber… Unser Kaiser Kellvian Belfare ist genauso verschollen, wie die drei anderen. “ Stille senkte sich über die Halle, nur noch durchbrochen von dem knistern der Feuer, draußen in der Stadt. Erik hielt in seiner Tätigkeit inne und ließ die Kelle zurück in den Wassereimer fallen. Zyle hingegen sank nur unter dem scheppern von Stahl auf die Knie. Zachary drehte sich mit Eden zu den zwei Neuankömmlingen um, die Heilzauber erloschen fürs erste wieder. Und Cyrus schien die gleiche Mine

aufgesetzt zu haben, um die Jiy sich bemühen musste. Weltfremde Gleichgültigkeit, bis sie die Nachricht vollauf Verstand.

Kapitel 45 Ein Geständnis


Auf eine seltsame Art, war es Erleichterung, die sie durchströmte. Ja, auch Angst war dabei, aber vor allem das Wissen, das alles gut war. Nun, gab Jiy sich selber gegenüber zu, nicht alles. Aber eines schien beinahe so sicher, wie der Sonnenuntergang, der sich am Horizont abzeichnete und die Halle in rötliches Licht tauchte. Die Feuer in der Stadt wüteten weiter und verstärkten den lodernden Schein noch, als sei die Welt endgültig im Blut ertrunken. ,, Dann lebt er.“ , erklärte sie.,, Ein

Glück. Die anderen, vor allem die beiden Kommandanten, Roland und Falvius sahen sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Aus der Sicht dieser Männer mochte das vielleicht sogar ein Stück weit der Wahrheit entsprechen. Dennoch war sie sich noch nie über etwas so sicher gewesen, es sei den vielleicht über ihre Liebe zu diesem verrückten Mann. Was immer er sich dabei dachte… ,, Verzeiht.“ , meinte Falvius. ,, Wir… werden uns zurück ziehen.“ Der Mann war wohl begierig darauf, zu verschwinden, so lange er sie für Instabil hielt. ,, Es ist nur verständlich

das…“ Roland verpasste ihm einen dumpfen Schlag auf den Hinterkopf. ,, Wie meint ihr das ?“ , wollte er wissen. In seinen Augen schimmerte die gleiche Angst wie die von Falvius. Das sie wirklich einfach nur Wahnsinnig geworden war. Gleichzeitig aber auch der schwache Funke Hoffnung, der ihr Glauben schenken wollte. ,,Melchior ist ebenfalls verschwunden.“ , antwortete sie. ,, Wenn ich diesen Seher in die Finger bekomme… Geister, wenn er dabei nicht seine Hand im Spiel hat und davon bin ich überzeugt, bin ich wirklich verrückt.“ ,, Er…“ Roland räusperte sich. ,, Der

Seher könnte auch einfach getötet worden sein und wir haben seine Leiche bisher nur nicht gefunden. Es wird Tage dauern, alle durchzugehen. Also…“ ,, Töten ?“ , fragte Zyle, der noch immer auf dem Boden saß, wo er in sich zusammengesunken war. Seine Stimme hatte etwas Düsteres. ,, Einen Seher ? Und vor allen diesen ? Unwahrscheinlich.“ Der Rückhalt tat gut. Jiy holte tief Luft. Es ergab Sinn, wenn man wie sie fast ein Jahr lang mit Melchior durch die Gegen gereist war. Die Art, wie der Seher die Dinge beeinflusste. Minimaler Eingriff, bei maximaler Wirkung, würde genau dazu passen. Kellvian aus irgendeinem

Grund vom Schlachtfeld zu schaffen… Das sähe dem Alten nur ähnlich. ,, Ich werde keine Sekunde lang glauben, das Kellvian tot ist.“ , erklärte sie mit fester Stimme. ,, Bis ich nicht… einen eindeutigen Beweis dafür habe. Wir suchen ihn.“ Eden nickte. Offenbar war Zyle nicht der einzige, den sie überzeugt hatte, auch wenn die Kapitänin der Windrufer den Seher nur flüchtig kannte. ,, Aber er könnte überall sein, oder ?“ ,, Dann werden wir eben auch überall suchen. Ich gebe sicher nicht auf, bis ich ihn gefunden habe. Und mit Falvius und Rolands Leuten haben wir mehr als genug Trupen um das gesamte Umland

abzusuchen. Wenn nötig können wir die Herzlande von der Grenze nach Hasparen bis zum Grenzfluss Keel durchsuchen.“ Roland schüttelte den Kopf. ,, Kellvian sagte mir, ich soll sagen, was ich denke. Im Augenblick denke ich, dass das Wahnsinn wäre, Herrin. Verzeiht.“ Falvius zuckte mit den Schultern. ,, Wieso nicht ?“ , wollte der zweite Kommandant wissen. ,,Habt ihr jedes Gefühl für Taktik verloren, alter Freund ?“ Roland sah sie jetzt alle an, als wären sie Verrückt geworden, nicht mehr nur Jiy. ,,Die Götter mögen geben, das ihr Recht habt, Jiy und den Kaiser schützen, wenn er lebt. Aber wenn wir unsere Truppen

derartig Zerstreuen um eine Suchaktion zu starten macht Andre kurzen Prozess mit uns. Wir haben ihm heute einen Schlag beigebracht, aber er ist nicht dumm. Sobald er merkt, dass wir etwas Derartiges tun, nutzt er die Gelegenheit auch. Verzeiht mir nochmals, aber was nützt es uns, wenn wir Kellvian so finden, aber das gesamte Kaiserreich verlieren? Selbst wenn Kellvian lebt… wir müssen fürs erste vom Gegenteil ausgehen. Das ist das einzig realistische.“ Roland verschränkte die Arme vor der Brust, sah jedoch zu Boden, als schäme er sich für seine Worte. Die Garde war dem Kaiser, wer immer das war, Loyal bis in den Tod. Zu

behaupten, das sei ihnen nicht gelungen, musste dem Kommandanten wohl genauso wehtun. Gleichzeitig musste er aber auch tun, was militärische Bedenken geboten. Sonst wäre er kein Soldat, sondern ein blinder Fanatiker… Jiy zwang sich erneut dazu, durchzuatmen. Das ging alles zu schnell. Aber wenigstens diese Gewissheit blieb ihr. Kell lebte. Er musste einfach am Leben sein. ,, Nun gut.“ , meinte die Gejarn. ,, Trotzdem möchte ich euch bitten, wenn ihr irgendwelche Männer entbehren könnt und seien es nur ein dutzend… schickt sie auf die Suche nach ihm. Ein paar sind besser als keine und Gefährden uns wohl

nicht…“ ,,Gesprochen, wie eine Kaiserin.“ Roland schlug sich mit der Faust auf die linke Brustseite. ,, Ein Befehl, dem ich mich nur zu gerne Beuge, Herrin. Wir alle wollen Kell finden, wenn das möglich ist.“ Falvius lächeln kehrte zurück. ,, Danke, aber ich bin keine Kaiserin.“ , antwortete Jiy. ,,Um ehrlich zu sein, ich bin im Augenblick nur… so verängstigt wie lange nicht und versuche dabei nicht in Panik auszubrechen.“ ,, Und wenn ich ehrlich bin… mir geht es nicht besser.“ , gab Roland zu. ,, Ich befürchte ohne einen Kaiser stehen uns dunkle Zeiten bevor. Einige könnten sich

dadurch geradezu gezwungen fühlen, aufzugeben. Aber das liegt fürs erste noch in der Zukunft. Wenn ihr uns jetzt entschuldigt. Ich und Falvius müssen die Truppen organisieren. Es mangelt uns an Quartieren und die Straßen müssen… sauber sein, bevor sich Krankheiten ausbreiten können.“ Er winkte dem zweiten Kommandanten zu, ihn zu begleiten. ,, Geht mit ihnen.“ , meinte Jiy daraufhin an die anderen gerichtet. Nicht nur, das sie einen Moment alleine sein wollte, sie würden alle Hände brauchen, die sie bekommen konnten. Erik erhob sich wortlos von seinem Platz am Fenster, genauso wie Eden, Cyrus und

Zachary. Nur Zyle hielt an der Tür inne. R wartete, bis die anderen die Treppe hinab verschwunden waren, dann schloss er die Türen. Jiy wollte ihn schon fragen, was er eigentlich vorhatte, als er sagte: ,, Könnte ich kurz alleine mit euch sprechen ? Ich habe etwas zu sagen das… wichtig sein könnte, wenn ich mir all den… Schanden ansehe, den es angerichtet hat.“ Die Gejarn musterte den Schwertmeister irritiert. Bitte nicht noch eine Katastrophe, dachte sie erschöpft, während sie das Schwert-Gehänge wieder von ihrer Hüfte löste. Es war schwer und ohnehin würde sie es nun wohl nicht

brauchen. ,, Behaltet das Schwert besser gleich in der Hand.“ , bemerkte Zyle ,, Ich fürchte , wenn ich zu Ende erzählt habe werdet ihr mich ohnehin töten wollen. Und ich werde mich garantiert nicht dagegen wehren…“ Jiy schüttelte den Kopf. Was immer Zyle ihr erzählen wollte, sie würde nie die Waffe gegen ihn erheben. Oder sonst jemanden von ihren Freunden, was das anging. Mal davon abgesehen, das so ein Unterfangen wohl eher für sie tödlich ausgehen würde, nicht für ihn. Zyle war ein Meister der Klinge. Sie verfügte über das, was sie vom Zusehen gelernt haben

mochte. ,,Sprecht. Was immer auch passiert ist, es kann nicht viel schrecklicher, als dass alles hier sein.“ Sie machte eine ausholende Handbewegung und musste ein Lachen unterdrücken. Das erste, seit einer Weile. Das Lachen jedoch verging ihr, als Zyle anfing. ,, Ich habe wieder einmal versagt , Jiy. Ich habe euch wieder einmal alle enttäuscht. Man könnte fast meinen, ich sei dazu verdammt, immer die zu verletzen, die mir am meisten bedeuten.“ ,,Was habt ihr getan ?“ Die Gejarn trat einen Schritt zurück, während sie den Schwertmeister musterte, als könnte sie die Antwort so erhalten. ,, Zyle…

?“ ,,Ich war es, der die Tore überhaupt erst geöffnet hat.“ , erklärte er ruhig. ,,Was ? Aber… Warum ?“ Sie blieb ruhig. Es musste einfach einen guten Grund dafür geben. Offenbar fühlte Zyle sich trotzdem dazu verpflichtet, sich zu verteidigen. ,, Es ist nicht so, dass ich eine Wahl gehabt hätte Jiy. Es war Ismaiel. Er… hat mich benutzt. Aber ich habe es geschehen lassen. Ich war vielleicht unter seiner Kontrolle, aber das Entschuldigt es nicht. Wenn ich es früher gemerkt hätte… Ich hätte mich dagegen wehren müssen. Stattdessen habe ich jetzt vielleicht Kellvian auf dem Gewissen.

Und all die anderen.“ ,, Hört zu, das wissen wir nicht. Und… Ihr habt uns doch noch gewarnt. Ohne euch hätten wir den Angriff erst viel später bemerkt.“ ,,Ohne mich hätte es diesen Angriff nicht gegeben ! Ich habe euch alle in Gefahr gebracht. Weil ich mich selber davon überzeugt hatte, irgendetwas anderes zu sein, als ein verfluchtes Werkzeug, das Ismaiel jederzeit benutzen kann.“ Jiy schüttelte den Kopf. Sie wollte ihm schlicht und ergreifend nicht zuhören. Zyle jedoch sprach einfach weiter : ,, Ich habe zugelassen, das man mich kontrolliert. Und ich weiß beim besten

Willen nicht, wie ich es geschafft habe, diese Kontrolle zu brechen. Oder ob sie nicht jeden Moment zurück kommt. Verflucht, es ist schon gefährlich, das wir uns alleine unterhalten. Der verfluchte Zauberer könnte mich jeden Moment zwingen euch zu töten.“ ,,Und das glaube ich nicht, Zyle. Wenn ihr es wirklich geschafft habt euch davon zu befreien, schafft ihr das auch nochmal. Wenn ihr Ismaiel nicht ohnehin ein für alle Mal los seid.“ ,,Und vielleicht will er, das ich genau das glaube. Könnt ihr euch das überhaupt vorstellen? Bis vor einigen Stunden dachte ich ein freier Mann zu sein. Jetzt muss ich jeden Augenblick damit

rechnen, nicht mehr Herr über meinen eigenen Verstand zu sein.“ ,, Ich glaube, damit bin ich gut genug vertraut.“ , meinte eine Stimme hinter ihnen. Jiy sah auf und entdeckte Eden, die im Türrahmen stand. Wie lange war die Kapitänin schon wieder hier? Oder war sie je mit den anderen mitgegangen. ,, Wenn man aufgibt, Zyle, hat man verloren. Ich weiß das sehr gut. Es gab eine Zeit in meinem Leben, da dachte ich auch nicht, noch so etwas wie einen freien Willen zu haben. Eine Entscheidung treffen zu können. Es war die Illusion davon, jedoch, die mich wirklich gefangen hielt. Die Angst alleine, eines Tages die Grenze zu

finden, die ich schlicht nicht überschreiten konnte, hat mich kontrolliert. “ Sie packte den Krieger bei den Schultern, hätte ihn scheinbar am liebsten geschüttelt, damit er aus seiner schicksalsergebenen Lethargie aufwachte. ,,Ich werde nicht noch einen Freund verlieren, nur weil ihr plötzlich meint Angst vor euch selbst haben zu müssen . Wenn ihr das zulasst, haben wir schon verloren, versteht ihr das? Dann ist es egal, ob dieser verrückte alte Zauberer noch Kontrolle über euch hat oder nicht! “ ,,Ich weiß einfach, das ihr keine Gefahr seid, Zyle. Das werde ich auch nie glauben.“ , fügte Jiy hinzu. ,, Wenn es

euch gelungen ist, die Kontrolle der Magie einmal abzuschütteln, habe ich schlicht keinen Grund euch zu misstrauen. Das wart nicht ihr, der ihnen die Tore geöffnet hat.“ Der Gejarn sah einen Moment zu Boden, bevor er es wagte, den Beiden Frauen wieder in die Augen zu blicken. ,, Danke. Ich habe keine Ahnung, wie ich das jemals wieder gut machen kann, aber Laos, ich schwöre, ich finde einen Weg. Nur, was wenn ich doch wieder…“ ,, Wenn das geschieht“ , erklärte Eden mit fester Stimme. ,, Sterbt ihr, bevor ihr Gelegenheit dazu erhaltet, irgendwelchen Schaden anzurichten. Wir sind alle hier und haben ein Auge auf

euch. Als Freunde…“ Zyle nickte. ,, Nichts anderes hätte ich von euch gefordert. Nur… Warum seid ihr eigentlich schon wieder hier ?“ Eden zwinkerte. ,, Erik meinte, er will sich die Waffen ansehen, die Falvius Truppen gesichert haben. Ihr wisst, wie er sein kann. Wenn er einmal anfängt zu reden, hört er einfach nicht mehr auf. Ich dachte, ich erspare mir das und Frage nach, ob ich wo anders gebraucht werde.“ ,, Und wie nennt ihr beide das, was ihr hier tut ?“ Ein schwaches Lächeln huschte über die Züge des Schwertmeisters. ,, Euch zur Vernunft bringen.“ ,

antwortete die Kapitänin. ,, Wieder einmal scheint ihr das bitter nötig zu haben.“ Zyle nickte langsam. ,, Ich weiß nur nicht womit ich da Verdiene.“ ,, Vielleicht weil ihr ein unverbesserlicher Sturkopf seid und ich es nicht ertragen könnte, das sich daran was ändert, weil ein irrer Zauberer in eurem Kopf herum turnt. Hat mich bei Kellvian ja auch nicht gestört. Ich hoffe wirklich, es geht ihm und den anderen gut.“ ,, Das hoffen wir alle.“

Kapitel 46 Eine Alternative


Cyrus wusste nicht was er erwartet hatte, aber besonders gefährlich wirkte die verwirrende Holzkonstruktion dort vor ihm nicht. Offenbar war es der Stadtgarde gelungen, die Waffe während der Schlacht in Vara sicherzustellen. Linsen und Spiegel waren in verschiedenen Winkeln zueinander angeordnet und fingen das Sonnenlicht ein, so dass man beim Hinsehen leicht geblendet wurde. Und in der Mitte, in einer Fassung aus Bronze ruhte ein einzelner, roter Kristall. Mehrere der Linsen und Spiegel waren gesprungen

oder während der Schlacht sogar gänzlich zerstört worden. Erik hatte sich die Konstruktion trotzdem ansehen wollen und so war sie erst einmal in die halbwegs sicheren Hallen der Universität gebracht worden. Die Gebäude waren während des Angriffs auf die Stadt seltsamerweise nicht beschädigt worden. Vielleicht hatte Andre die Bibliotheken schlicht nicht gefährden wollen, aber irgendwie bezweifelte der Wolf, das der Herr Silberstedts eine derart hohe Meinung von Büchern hatte. Wahrscheinlicher war eher, dass die Kanoniere die hohen Bauten schlicht als Zielhilfe genutzt hatten. Roland und Falvius waren in der Stadt

nah wie vor damit beschäftigt, die Streitkräfte zu organisieren. Nicht nur, das die Männer irgendwo Unterkommen mussten, die Schäden zu beseitigen würde ohne ihre Hilfe wohl Wochen dauern. Mit mehr als vierzigtausend zusätzlichen Händen hingegen würde Vara schon bald wieder seinen alten Glanz zurückbekommen. Zumindest hoffte Cyrus das. Er hatte schon viel gesehen, aber der Anblick einer vom Krieg gezeichneten Stadt mit all ihren Problemen und den verängstigten Einwohnern gehörte zu den wenigen Dingen, gegen die er sich noch nicht abgehärtet hatte. Es erschien einfach nicht richtig, dass so viele durch den

Willen so weniger Leiden mussten. Er hatte dieses Prinzip am eigenen Leib erlebt. Cyrus umrundete die Maschine einmal, ohne das er auch nur eine Idee hatte, wozu diese gut sein sollte. Klar war, es war eine Waffe. Die überlebenden Stadtwachen hatten ihnen berichtet, was diese scheinbar so harmlosen Spiegel anrichten konnten. Quinn besah sich derweil den Stein im Zentrum der Konstruktion, während Erik auf den Karren geklettert war und scheinbar willkürlich Spiegel und Linsen verstellte. Zachary sah hingegen fast desinteressiert zu. Die dunklen Ringe unter seinen Augen waren deutlich sichtbar und das ansonsten schon eher

blasse Gesicht wirkte erschöpft und ungesund. Ein Ausdruck, den er schon bei vielen Magiern gesehen hatte, die an ihre Grenzen gegangen waren. Die meisten erholten sich rasch, aber sie brauchten eben strenge Ruhe. Sobald sie hier fertig wären, sagte Cyrus sich, würde er selbst dafür Sorge tragen, das Zac sich irgendwo ungestört hinlegen konnte. Gleichzeitig war er ausnahmsweise einmal froh, das Eden nicht an seiner Seite war. Zacharys kurzer Ausbruch hatte etwas… befremdliches gehabt. Nachdem der Junge alle Verletzten, mit denen die normalen heiler überfordert waren, geholfen hatte, war er einfach

Eingeschlafen. Cyrus hatte sich noch nach ihm umgedreht, da war er auch schon in Stab und Trümmerteilen zusammengesunken und hatte die Augen geschlossen. Der Wolf hatte erst befürchtet, er hätte das Bewusstsein gänzlich verloren, aber der gleichmäßige Atem des Jungen hatte ihm verraten, das dieser tatsächlich nur schlief. Er hatte sich entschieden, ihn sich erst einmal Ausruhen zu lassen, bis Roland ihnen erklärt hatte, Erik und der Ordensoberste sollten sich einmal die Waffe ansehen. Sie befanden sich im Westflügel der Universität, in einem der einzigen Gebäude, das über eine groß genüge Tür verfügte, damit man den

Karren, auf dem die Konstruktion stand, hereinbringen konnte. Es war eine hell erleuchtete Halle, die über ein großes Fenster verfügte, über das ständig ein Wasserstrom rann, der sich im darunter liegenden Becken sammelte. Der stetige, flirrende Wasserfilm sorgte dafür, dass die in das Glas eingelassenen, bunten Szenenbilder, beinahe lebendig wirkten. Der Magier löste grade vorsichtig den Stein aus seiner Fassung. Im Licht wirkte er beinahe, wie eine gefrorene Flamme. Tiefrot, mit helleren Andern, die das Material durchliefen. Quinn besah sich das faustgroße Juwel von allen Seiten. ,, Dieser Bastard.“ , murmelte

er. Erik hielt in seiner Arbeit inne und drehte sich zu dem Zauberer um. ,, Was habt ihr entdeckt ?“ Erstaunlich geschickt sprang der alte Arzt vom Wagen herab und gesellte sich zu Quinn. Cyrus trat ebenfalls etwas näher, hielt jedoch sicherheitshalber etwas Abstand. ,, Das hier ist ein Speicherkristall, wie ihn der Orden herstellt. Und nur der Orden. Den freien Zauberern fehlt es schon am Wissen auch nur einen zu fertigen, der einen Bruchteil der gleichen Energie abgeben kann. Andre nutzt unseren eigenen Besitz gegen uns. Ich wette, er hat Dutzende in der Burg gefunden, nachdem er sie erobert hatte

und wenn wir noch an die Bücher des Sanguis-Ordens herankämen… Wenn Andre de Immerson in den Wochen vor Beginn seines Feldzugs nicht dutzende von magischen Kristallen gekauft hat, trete ich zurück. Allerdings ist dieser hier fast verbraucht…“ Um seine Worte zu unterstreichen, nahm Quinn den Kristall in die linke Hand und entfachte in der rechten ein magisches Feuer. Die Flammen schlugen kurz hoch, erhellten die dunkler werdende Umgebung und erloschen dann wieder. Vereinzelte Funken tanzten durch die Luft, bis sie ebenfalls erkalteten und dunkel wurden. Im gleichen Moment zerfiel der rote Stein in Quinns anderer Hand zu feinem, kristallinen

Staub, der ihm zwischen den Fingern hindurch rieselte. Eine Windböe ergriff die glitzernden Körner und verteilte sie rasch, bis sie nicht mehr zu sehen waren. ,,Vermutlich dient der Stein als irgendeine Art Verstärker und muss nach jeder Verwendung ausgetauscht werden. Aber derartige Magie zu nutzen, ohne, dass es dafür eines Zauberers bedarf… das ist beängstigend.“ ,, Und ich glaube ich verstehe langsam, wie es funktioniert.“ , erwiderte Erik. ,, Die Spiegel hier sammeln Sonnenlicht und erlauben es, es direkt auf den Stein zu fokussieren. Habt ihr schon einmal gesehen, wie man mit einer Lupe einen Sonnenstrahl verstärken kann?“ , fragte

er an Cyrus gerichtet. ,, Einmal. Aber das reicht doch bestenfalls zum Feuermachen. Oder dazu, Holz oberflächlich zu verbrennen.“ ,,Nicht unbedingt. Der Stein funktioniert wie ein Verstärker. Seht ihr, im Gegensatz zu den Kristallen, die der Orden benutzt, können sich die Artefakte des alten Volkes wieder aufladen. Wir hatten immer die Vermutung, dass die Sonne eine Rolle dabei spielen könnte. Und wenn ich jetzt einen instabilen Stein, wie ihn die Zauberer verwenden, einen… hm.. einen Schub gebe… was passiert?“ ,, Der Kristall könnte die zusätzliche Energie unmöglich aufnehmen. Er

überlädt. Wie ein Kahn, der zu viel geladen hat und kentert. Und die dabei freiwerdende Energie richtet sich dann gegen was auch immer dabei grade das Pech hat, im Weg zu stehen. Das ist genial. Simpel aber genial. Warum bin ich nie auf so etwas gekommen?“ Cyrus war sich nicht sicher, ob er es wirklich Verstand. Aber es rief in jedem Fall einen Verdacht in ihm wach. ,, Das hat Andre sich doch niemals selbst ausgedacht.“ ,, Natürlich nicht.“ Erik klopfte sich die Hände an den Rockschößen seines Mantels ab. ,, Und ich bezweifle, dass der Orden ihm mit so etwas helfen würde. Was bleibt also

übrig?“ ,, Und ich hatte mich wirklich noch der Illusion hingegeben, wir wären den Kerl los.“ Cyrus seufzte. Natürlich hatte er auch Syles Bericht gehört, aber nach dem, was dieser erzählt hatte, hatte er zumindest noch darauf gehofft, das Lord Andre und der Erzmagier des alten Volkes die längste Zeit ein Bündnis hatten. Die Situation in die er hier gestolpert war, war schon verquer genug. Vielleicht wäre ein Leben in der schwarzen Garde doch die gesündere Alternative gewesen, dachte er und musste grinsen. Aber er hätte ganz sicher auch einiges verpasst, das er nicht missen

wollte. Gedankenverloren kratzte er über das Narbengewebe, das die Augenklappe nicht verbarg. Es wurde langsam dunkeln in den Straßen und das Licht von dutzenden Öllampen erwachte flackernd zu Leben. Jiy saß unterdessen im Studierzimmer, das einmal Markus Cynric gehört hatte. Im oberen Stockwerk waren nach wie vor die meisten Verletzten untergebracht, doch mittlerweile kümmerte sich ein gutes Dutzend Wundärzte und Pflegerinnen aus der Armee um sie. Das stetige Trampeln von Füßen, die die Treppe hinauf oder hinab

liefen um Wasser, weitere Verbände oder Mohnauszüge gegen die Schmerzen zu holen, waren das einzige Geräusch in dem großen Gebäude. Jiy konnte durch die verglaste Tür hinaus in die Gärten sehen, die vom sanften Licht erhellt wurden, das durch die Fenster im Obergeschoss, nach außen drang. Die Gejarn wusste nicht, wann sie das letzte Mal auch nur gesessen hatte. Die Polstermöbel in der kleinen Bibliothek waren zwar verlockend, aber noch wollte sie nicht schlafen. Sie hatte sich ohnehin schon fast an die Müdigkeit gewöhnt. Roland und Falvius wollten ihr noch einen ausführlichen Bericht über ihre Verluste geben. Was immer sie auch

damit anfangen sollte. Zumindest Roland schien sie nach Kellvians verschwinden sofort als neue Anführerin akzeptiert zu haben. Oder zumindest schien er sie dafür zu halten. Sie hoffte nur, das er seinen Irrtum noch einsehen würde. Er konnte doch nicht wirklich meinen, sie wäre jetzt irgendwie für alles verantwortlich. Vermutlich hatte er in der Verwirrung nach der Schlacht nur die Befehlskette etwa durcheinandergebracht. Geister, sie wusste ja selber nicht einmal, was sie hier überhaupt tat. Entgegen ihres vorherigen Entschlusses, ließ sie sich doch auf einem der dunklen Sessel nieder und schloss die Augen. Nur

einen Moment, sagte sie sich selbst, war aber trotz dieses Vorsatzes bereits wenige Herzschläge später eingeschlafen. Jiy erwachte, als jemand an die schwere Holztür des Raumes klopfte. Das musste Zyle sein. Nachdem sie ihn den Blödsinn, den er sich selber einredete, ausgetrieben hatte, hatte er sich bereit erklärt, fürs erste Wache zu halten. Sie wussten immerhin nicht , wie viele von Andres Leuten noch in den Straßen der Stadt verblieben oder ob sie inzwischen alle geflohen waren. Eden hingegen hatte sich nach deren Rückkehr wieder Erik, Cyrus und Zachary angeschlossen. Bis auf die zerstörte Hallendecke war das Haus noch größtenteils intakt, so dass sie

wohl einfach in ihre alten Räume gegangen waren. Nur Jiy wartete noch. Oder hatte sich das zumindest vorgenommen. Roland und Falvius würden die Toten mittlerweile alle Beseitigt haben. Und sie wusste bereits, das Kellvian nicht darunter sein würde. Trotzdem musste sie es noch einmal von einem der beiden hören, bevor sie zumindest etwas ruhiger schlafen konnte. ,,Herein.“, rief sie nur und streckte sich einen Moment. Sie wusste nicht, wie lange sie eingenickt war, nur das es definitiv nicht lange genug gewesen war. Ein kurzer Stich in ihrer Schläfe rief ihr ins Gedächtnis, das sie eigentlich hatte

wach bleiben wollen. Die Tür wurde geöffnet und herein trat Roland, gefolgt von Falvius, der sich diesmal auch ohne Aufforderung kurz verbeugte. ,, Herrin, ich denke ich bringe gute Nachrichten. Wir haben Kellvian nicht unter den Toten gefunden. Auch keinen der anderen vermissten, die wir euch genannt haben. Syle, Lucien und der Seher. Keine Spur von ihnen.“ , erklärte er. ,, Das heißt, ihr könntet recht haben.“ Jiy atmete erleichtert auf. Das war, worauf sie gewartet hatte. Natürlich war es keine endgültige Gewissheit, aber sie wusste einfach, dass er

lebte. ,, Außerdem haben wir einen Suchtrupp zusammengestellt.“ , ergänzte Roland sofort. ,, Er wird morgen früh noch vor Sonnenaufgang aufbrechen. Auch wenn ich nicht glaube, dass wir eine große Chance haben, den Kaiser zu finden. Er könnte mittlerweile überall sein.“ Jiy nickte. ,, Ich weiß. Aber ich weiß auch, sie werden ihr Bestes tun. Mehr verlange ich nicht. Und mehr würde mir auch nicht zustehen.“ ,, Darüber… müssten wir vielleicht noch sprechen.“ , meinte Roland auf einmal wieder so unsicher, wie vor einigen Stunden, als er ihr die Nachricht von Kellvians Verschwinden gebracht hatte.

,, Die Nachricht, das Kellvian möglicherweise tot ist, hat sich in der Stadt verbreitet und auch schon darüber hinaus. Einige kleinere Adelshäuser sind… kurz davor sich Andre anzuschließen. Ohne jeden Wiederstand. Wenn ihn genug dieser niederen Fürsten unterstützen, kann er die Verluste, die wir ihm hier zugefügt haben innerhalb weniger Wochen schon wieder ausgleichen.“ Jiy wollte nicht gefallen, worauf das hinaus zu laufen schien. ,, Was schlagt ihr also vor, was wir tun sollen ?“ ,, Nun… wir haben keinen Kaiser, Herrin. Keinen Anführer. Das

verunsichert die Leute natürlich. Niemand weiß genau, wer jetzt weshalb das Kommando hätte, die Adeligen werden auch nicht lange brauchen, bis sie versuchen, das entstandene Machtvakuum selbst zu besetzen. Das… ließe sich aber verhindern. Wenn wir zumindest eine Kaiserin hätten.“ ,,Und dabei dachtet ihr an mich…“ ,, Ihr hättet einen legitimen Anspruch auf die Krone.“ , meinte Falvius. ,,Und die Alternative würde uns, fürchte ich, allen nicht gefallen.“ ,, Es sei den wir finden Kellvian vorher wieder. Vielleicht findet euer Suchtrupp ihn morgen. Und wenn er lebt, kommt er doch sicher ohnehin wieder hierher

zurück.“ ,,Wir brauchen aber auch einen klaren Anführer. Früher oder später in jedem Fall…“ ,, Das würde doch niemand akzeptieren.“ , meinte Jiy. Sie kannte die Antwort natürlich schon. Keiner der beiden hätte den Vorschlag gemacht, wenn sie sowieso keine Chance auf Anerkennung hätte. ,, Tatsächlich wäre das gar nicht so ungewöhnlich. Und euer Anspruch wäre stärker als er von jedem sonst. Es gibt neben Kellvian keine Belfare mehr. Und jetzt eben… euch. Dass ihr eine Frau seid dürfte die meisten wenig kümmern, wenn es nur für klare Verhältnisse sorgt.

Niemand mag Unsicherheit. Und die Fürstin Erindals beispielsweise ist eine der mächtigsten verbliebenen Adeligen, neben Andre de Immerson selbst.“ ,,Nein.“ Alles in ihr sträubte sich gegen diese Aberwitzige Idee. Kellvian hatte ihr erklärt, wie verloren er sich schon vorkam. Könnte sie wirklich dasselbe auf sich nehmen? Die Antwort war, das sie im Zweifelsfall gar keine Wahl hätte, als es zu versuchen. Aber noch nicht. Kell konnte Morgen schon wieder hier sein. Oder in einer Woche. So lange würden sie wohl warten können. ,, Es wäre noch zu früh, auch nur darüber nachzudenken. Wir…sollten einfach warten. Wenn es wirklich nicht anders

geht… schön. Aber so lange werdet ihr mich nicht zu etwas machen, das ich nicht bin.“ Mit diesen Worten ließ sie die beiden Offiziere einfach in der Schreibstube zurück. Und Zyle, der nach wie vor die Tür bewachte, sah ihr nur verständnislos nach. Hatte er das Gespräch teilweise mithören können? Nicht, das der Vorschlag unvernünftig war, aber Geister, aus ihrer Sicht schien es Wahnsinn. Vielleicht würde ihr morgen ja eine andere Lösung einfallen. Wenn sie sich ausgeschlafen hätte. Als sie sich schließlich ins Bett in ihrem Zimmer fallen ließ, war sie schon eingeschlafen. Alleine. SO hatte sie sich

den Ausgang ihrer Hochzeit ganz sicher nicht vorgestellt…

Kapitel 47 Das Angebot aus Silberstedt


Als der Bote eintraf, war in Vara schon fast wieder so etwas wie Normalität eingekehrt. Nur die ein oder andere Ruine erinnerte noch an die Schlacht, die in den Straßen der Stadt geführt worden war. Mit der Hilfe der Männer aus Falvius Armee, war es ihnen gelungen, die meisten Schäden innerhalb weniger Tage zu beseitigen. Und nun keine Woche später hätte man als ein vorbeiziehender Reisender denken

können, alles sei in bester Ordnung. Freilich nur, solange man den Blick gesenkt hielt. Das Loch, das im Dach des Patrizierhauses klaffte, war Aufwändiger zu beseitigen gewesen. Mittlerweile war der klaffende Spalt zwar notdürftig mit Brettern geflickt, so dass es wenigstens nicht mehr in den Saal regnen würde, doch noch immer wurden dort die schwerer Verletzten Opfer der Schacht behandelt. Manche würden wohl trotz Zacharys Magie nie wieder laufen oder ganz gesund werden. Die Fenster, die beim Angriff zerstört wurden, waren mittlerweile alle Ersetzt. Trotzdem, wer sich in Vara auskannte, konnte die Schäden noch immer sehen

und wusste, sie waren weit davon entfernt, das alles in Ordnung war. Sie versuchten allerhöchstens so zu tun. Die letztendlichen Aufräum- und Reparaturarbeiten würden noch Monate in Anspruch nehmen. Und nach wie vor gab es kein einziges Lebenszeichen von Kellvian. Nicht einmal so etwas wie eine Spur. Jiy schwor sich, wenn der Suchtrupp wieder ohne Ergebnisse zurück kehrte würde sie sich bald selber auf die Suche machen. Roland und Falvius hatten von Anfang an gegen so etwas protestiert. Verständlich, wenn sie ihnen jetzt auch noch abhandenkam, standen die beiden Heerführer des Kaiserreichs völlig ohne irgendeine

Führung da. So geringfügig Jiy ihre Rolle dabei einschätzte. Aber sie wurde schlicht unruhig. Nur in Vara darauf zu warten, das etwas geschah, zehrte an ihren Nerven. Und sie machte sich Sorgen. Nach wie vor, Kellvian lebte, davon war sie überzeugt. Aber warum fanden sie ihn dann nicht? Er würde doch alles daran setzte, selber nach Vara zurück zu kehren um herauszufinden, was geschehen war. Sie wollte ihn einfach nur in die Arme schließen können und nie wieder loslassen. Gleich nachdem er versuchen durfte, sich zu rechtfertigen, warum er so lange fort gewesen war… Es waren Gedankenspielereien, nicht mehr, dachte

Jiy. Etwas, das sie zumindest Ablenken konnte, wenn sie durch die große Halle ging. Zwar waren nur noch ein gutes Dutzend Verletzte hier, aber es waren eben grade die am Mitleid erregendsten… Und die Gejarn konnte sich selber nicht daran hindern, persönlich immer wieder nach ihnen zu sehen. Zyle war in den letzten Tagen ein ständiger Schatten in ihrer Nähe geworden. Ob Roland ihn darum gebeten hatte, oder ob er einfach von selbst nicht zulassen wollte, das nach Kellvian jetzt auch noch ihr etwas zustieß, wusste sie nicht. Vielleicht war es seine Art, Wiedergutmachung zu suchen. Es war

für ihn sicher nicht einfach gewesen, Cyrus, Erik und den anderen noch einmal zu erzählen was er getan hatte. Aber sie kannten ihn jetzt alle lange genug, dachte Jiy. Und selbst Roland hatte, nachdem er erst zu einem Protest ansetzten wollte, nur genickt, als sie darauf bestand, das Zyle zwar beobachtet werden sollte, aber nach wie vor keine Gefahr für sie darstellte. Im Gegenteil. Nur Falvius hatte anfangs darauf bestanden, das man den Gejarn zumindest einsperren sollte, bis man ganz sicher sein konnte. Roland hatte ihn daraufhin bei Seite genommen und sich mehrere Minuten lang mit ihm unterhalten. Worum es dabei ging,

erfuhr Jiy nicht. Das Ende vom Lied war jedoch, dass der zweite Kommandant seinen Protest zurückzog. Sich mit einem der beiden Männer zu streiten lag ganz sicher nicht in Jiys Absicht. ,,Wir brauchen auch einen neuen Hochgeneral.“ , bemerkte Roland, als sie aus der Halle zurück kehrte, Zyle, Eden und die anderen im Schlepptau. Einige Diener waren damit beschäftigt, Staub zusammen zu kehren, den tausende von Stiefelpaaren hinterlassen hatte und die großen Teppiche im Eingangsbereich des Hauses auszubürsten. Das Licht, das durch eine Reihe Fenster über der Tür herein fiel, brachte die Farben der gestickten Muster zum

Leuchten. ,, Wieso das ?“ , wollte Eden wissen. ,, Ihr und Falvius scheint für den Moment alles unter Kontrolle zu haben.“ ,, Das mag sein.“ , gab er zurück. ,, Aber Falvius und ich haben nicht immer die gleichen Ansichten. Wie ihr wisst…“ Jiy wusste, dass er auf die kurze Diskussion über Zyle anspielte und der Schwertmeister spürte das offenbar auch. Er trat etwas näher an die Gruppe, die er bisher mehr wie ein Schatten begleitet hatte. Jiy konnte nur hoffen, dass ihn die selbstgewählte Aufgabe, auf sie alle zu achten, davon abhielt, wieder in Schuldgefühle zu verfallen. Die Geister wussten, dieser Mann hatte allen Grund

dazu, auch wenn alles in bester Absicht geschehen war. ,, Uneinigkeit können wir uns in solchen Zeiten nicht leisten. Wenn wir im Feld stehen, kann ich nicht lange mit meinen Offizieren debattieren. Genau dafür wurde das Amt des Hochgenerals ja eigentlich geschaffen. Ihm würde sich niemand wiedersetzen und er schlichtet bei Streitigkeiten, wenn nötig. Ein Hochgeneral kann aber nur vom Kaiser persönlich ernannt werden. Oder einer Kaiserin.“ ,, Ich habe euch schon gesagt, Roland, ich werde nicht Kaiserin werden, selbst wenn ihr mich darum anfleht.“ ,, Wenn es funktionieren würde…“ , gab

der dunkelhaarige Mann zurück. ,, Das will ich sehen.“ , erklärte Cyrus darauf, woraufhin Erik bitter lachte. Der Arzt war vielleicht derjenige von ihnen, der in letzter Zeit am wenigsten Ruhe gefunden hatte. Nach wie vor musste er sich um die verbliebenen Verletzten kümmern und oft war er noch wach, wenn Jiy am nächsten Morgen schon wieder aufwachte. ,, Werdet ihr aber nicht.“ , meinte Roland mit einem seltenen Lächeln. ,,Herrin Jiy hat ja bereits erklärt, das das nichts bringen würde. Erspart mir auf dem Boden zu kriechen“ Es war seltsam, den sonst pflichtbewussten und gradlinigen Soldaten einmal einen

Scherz machen zu sehen. Im Gegensatz zu Falvius, der in diesem Moment die Truppen in ihrem Lager vor und in der Stadt inspizierte, hatte sie ihn auch noch nie lachen gehört. Quinn, der Ordensoberste, hatte den zweiten Kommandanten auf seinem Weg begleitet, entweder, weil er ebenfalls genug davon hatte, nur abzuwarten, ob man Kellvian bald fand, oder um ihnen eine Weile zu entkommen. Immerhin, vor einem Jahr noch hatte er versucht Zyle und Kellvian zu töten. Und hätte das wohl auch bei ihr versucht, dachte Jiy, wenn sie nicht vorher gegangen wäre. Trotzdem unterschied sich der Mann deutlich von dem Bild, das sie sich

durch Kells Erzählung von ihm gemacht hatte. ,, Im Augenblick erkennt ohnehin nur ihr und Falvius mich an. Und mit euch zufällig auch das Heer…“ Der Kommandant schüttelte den Kopf. ,, Ihr missversteht, Jiy, das Heer steht auch ohne uns hinter euch. Die Männer wissen, wem sie die Treue schulden. Dem Haus Belfare und dem Bernsteinthron.“ ,, Folgt ihr mir wirklich nur deshalb ?“ , fragte sie und strich mit einer Hand über den Goldring an ihrem Finger. Sie wollte die Loyalität dieser Männer nicht. Und schon gar nicht, wenn sie sich wirklich nur über ein Ehegelübde

verpflichtet fühlten. Das war… seltsam. Es kam ihr wie eine Lüge vor, als wäre sie eine Hochstaplerin. Und genau so komme ich mir auch vor, dachte die Gejarn. Roland schüttelte den Kopf. ,, Was das angeht, will ich ganz ehrlich sein. Ich kann hier sicher nicht für alle sprechen, aber was mich persönlich angeht, ich folge in jedem Fall lieber euch, als irgendeinem dahergelaufenen Adeligen, der nur an die Macht will. Das Problem steht jedoch. Wir brauchen einen Hochgeneral.“ ,, Und hattet ihr da schon jemand im Sinn ?“ , wollte Erik wissen. Die übermüdeten und geröteten Augen des

Arztes blitzten. ,, ich werde nicht leugnen, dass ich… mich selbst für einen guten Kandidaten halte, Herrin, natürlich nur mit eurer Zustimmung und natürlich…“ Offenbar wurde ihm selber klar, was er grade sagte. Jiy sah ihn an, als sähe sie ihn zum ersten mal. Das meinte er doch nicht ernst. ,, Schon wieder sorgt ihr dafür, das ich glaube, ihr folgt mir aus den falschen Gründen. Drängt ihr deshalb darauf, ich soll doch versuchen, mich als Kaiserin einsetzen zu lassen?“ ,, Nein. Natürlich nicht.“ Er fuhr sich mit einer Hand durch die dunklen Haare. ,, So habe ich das sicher nicht gemeint.

Nur…“ In diesem Moment wurde die Eingangstür des Patrizierhauses aufgezogen. Der Mann, der von zwei Soldaten in blauer Uniform in die mit Marmor verkleidete Eingangshalle geführt wurde, trug die typische Kleidung eines Boten. Jiy hatte ihn definitiv noch nie zuvor gesehen und die Art, wie er sich in dem prächtigen Raum umsah, zeugte von einer verhaltenen Ehrfurcht. Jiy und die anderen drehten sich zu den Neuankömmlingen um. Der Bote trat vorsichtig über den Teppich, als hätte er Angst, ihn zu beschädigen und ließ sich dann auf ein Knie nieder. ,, Wir haben ihn am Tor aufgegriffen.“ ,

erklärte einer der beiden Gardisten, die ihn begleiteten. ,, Er hat sich uns mit einer weißen Flagge genähert und behauptet, eine Botschaft von Andre zu haben. Die will er aber nur euch persönlich überbringen.“ Roland warf den beiden Wachen einen finsteren Blick zu, worauf sie eilig hinzufügten: ,, Wir haben ihn natürlich durchsucht, bevor wir ihn herbrachten. Drei Messer.“ ,, Zur Selbstverteidigung.“ , meinte der Bote, die Anspannung, die in seiner Stimme lag, war jedoch nicht zu überhören. ,, Dürfte ich erfahren, wer von den Anwesenden hier Jiy ist ? Ich habe eine Nachricht zu überbringen. ,, Das wäre dann wohl ich.“ , antwortete

die Gejarn. ,, Wie lautet die Nachricht ?“ Der Mann erhob sich, woraufhin alle Anwesenden, bis auf Jiy, gleichzeitig zu den Waffen griffen. Es war das Glück des Boten, das er daraufhin völlig regungslos stehenblieb und wartete, bis sich die Gruppe wieder beruhigt hatte. Dann räusperte sich und trug in monotonem Tonfall vor : ,, Auch uns ist inzwischen zu Ohren gekommen, was eurem… Gatten, zugestoßen ist. Schrecklich, Lord Andre richtet sein Beileid aus.“ Das tat er ganz sicher, dachte Jiy und ihre Abscheu vor dem Mann wuchs ein gutes Stück. Sie hatte sich einmal vorgenommen, nie

wieder vorschnell über jemanden zu Urteilen. Doch das hier schien diesen Vorsatz zu Untergraben. Vor ein paar Monaten hatte sie sich noch friedlich mit ihm unterhalten und geglaubt, seine Beweggründe ein wenig besser zu durchschauen. Offenbar hatte sie sich getäuscht. ,, Dieser Krieg kostet uns alle Leben, die uns lieb und teuer sind. Daher unterbreitet Lord Andre euch das Angebot, sich mit euch um einen Ausgleich zu bemühen. Die Gespräche könnten noch heute beginnen. Der Lord befindet sich bereits auf dem Weg hierher und wartet nur noch auf meine Rückmeldung.“ Jiy zögerte. Konnte sie darauf

eingehen? ,, Würdet ihr einen Moment draußen warten ?“ , fragte Roland ihn und nickt den beiden Soldaten zu, welche den Boten wieder in die Mitte nahmen und unsanft zur Tür hinaus stießen. ,, Was haltet ihr davon ?“ , wollte Jiy wissen. ,, Haben wir ihm wirklich so sehr zugesetzt, das er schon aufgeben will ?“ ,, Nein.“ , antwortete der Kommandant nur kühl. ,, Er will irgendetwas anderes.“ ,,Aber es wäre auch dumm, so ein Angebot einfach auszuschlagen.“ , meinte Jiy. So seltsam das schien, es wäre eine Gelegenheit, diesen Krieg zu

beenden, bevor er richtig begann. Aber natürlich hatte Andre irgendwelche Hintergedanken, überlegte sie. Vielleicht hoffte er einfach, sie wäre so eingeschüchtert, das sie einfach auf jede Bedingung eingehen würde, die er stellte. Nun, dann würde sie ihn enttäuschen müssen. ,,Wir könnten darauf eingehen und ihn dann gefangen nehmen.“ Eden hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte in Richtung Tür, wo der Bote eben verschwunden war. ,,Er würde das Gleiche tun, würden wir um Verhandlungen in Silberstedt bitten.“ ,,Damit rechnet er doch sicher.“ ,warf Cyrus ein. ,,Andre ist alles, aber

bestimmt nicht so dumm… Das wäre mehr Glück, als wir in den letzten paar Monaten zusammengenommen hatten.“ ,,Ich weiß.“ Die Kapitänin seufzte. ,, Nur eines. Wenn ihr wirklich darauf eingehen solltet, haltet ihn einfach von mir fern. Wenn Andre keinen großen Bogen um mich macht, während er hier ist, kann ich für seine Sicherheit nicht garantieren.“ Cyrus legt ihr eine Hand auf die Schulter. ,,Trotzdem bin ich dafür. Wir haben nichts zu verlieren, schätze ich.“ Sie wendete sich an Zachary, der etwas hinter den anderen zurück geblieben war. ,, Was ist mit dir ? Wenn Andre dich

sehen will…“ Der Junge schien unsicher. ,, Dann… fragt mich noch einmal.“, sagte er schließlich. ,, Ich weiß wirklich nicht, ob ich ihn sehen will. Oder kann. Aber das sollte eigentlich keine Rolle spielen, oder ? Hier geht es um mehr.“ ,, Wenn ich ehrlich bin, sehe ich auch keine große Wahl.“ , meinte da Zyle. ,, Wir können uns wohl zumindest anhören, was er zu sagen hat.“ Jiy nickte. Es war die Entscheidung, mit der sie ohnehin schon gerechnet hatte. Trotzdem konnte sie wenig gegen das mulmige Gefühl tun, das sie beschlich. ,, Dann… bringt den Boten zurück und richtet ihm aus, Andre ist in Vara

willkommen.“ ,, Aber nur alleine.“ , fügte Roland hinzu und sah in ihre Richtung. Die Gejarn nickte. ,, Er wird durchsucht. Wenn er deshalb protestiert, macht ihm die Tore am besten gleich wieder vor der Nase zu. Das kümmert mich dann einen Dreck. Er kommt zu unseren Bedingungen in diese Stadt oder gar nicht.“

Kapitel 48 Bürden


Andre de Immerson traf bereits am Nachmittag ein. Der Mann, dem Jiy sich, im Schreibzimmer des Patrizierhauses, gegenüber sah, trug seine typische, schwarz-violette Kleidung. Jedoch schien er mittlerweile leicht zu hinken und stützte sich auf einen versilberten Stab. Wohl noch die Folgen einer alten Verletzung, dachte sie. Die grauen Strähnen in seinen Haaren nahmen nun endgültig überhand. Jiy wusste nicht, was sie erwartet hatte. Vielleicht Überheblichkeit oder, das er direkt Forderungen stellte. Der Mann vor ihr

erschien jedoch nicht richtig glücklich zu sein. Andre sah sich neugierig im Zimmer um. Eine ganze Weile verharrte er vor einem der dunklen Holzregale und studierte die Titel auf den Büchern, die dort dicht an dicht aufgereiht standen. Vor einem mit grünem Einband verharrte er, bevor er sich dann zu Jiy umdrehte, die ruhig wartete. Die Unhöflichkeit, sie einfach am Tisch sitzen zu lassen, während er sich umsah, entging ihr zwar nicht, aber für den Moment würde sie es wohl einfach dulden. Zyle und die anderen hatten anfangs darauf bestanden, dabei sein zu wollen. Letztendlich jedoch hatte sie sich durchgesetzt. Wenn sie schon mit diesem Mann sprach, dann

alleine, ohne das ihr jemand reinredete. Sie hatte sich bereits einmal mit ihm Unterhalten und ob ihr Eindruck von damals nun stimmte oder nicht… Jiy hoffte einfach, dadurch vielleicht mehr zu erreichen. Die Gejarn ließ den Herrn von Silbestedt auf seiner Wanderschaft durch das Zimmer nicht aus den Augen. ,, Eine schöne Sammlung.“ , meinte er und deutete auf die gefüllten Bücherregale, die, bis auf die Fenster, sämtliche freien Flächen an den Wände einnahmen. Sein Blick schweifte noch einmal über die Regale und wanderte dann weiter zu den Rosengärten, die sich draußen vor dem Haus erstreckten. Andre strahle eine Selbstsicherheit aus,

die Jiy nicht gefallen wollte. Er war sicher nicht ohne genaue Vorstellungen hierhergekommen, wie dieses Gespräch enden würde. ,, Die Bücher hier gehörten Markus Cynric soweit ich weiß,“ , erklärte sie höflich. ,, ,dem früheren Patrizier.“ ,,Ich hatte auch nicht erwartet, das ihr lesen könnt…“ Es klang nicht einmal wie eine Beleidigung, nur eine trockene Feststellung, wie eine Bemerkung über das Wetter. Andre ließ sich elegant auf einem Stuhl ihr gegenüber nieder. Jiy überging die Bemerkung einfach. Auch wenn es ihr nicht leicht viel, ruhig zu bleiben. Dachte Andre wirklich, die Clans würden ihren Kindern überhaupt

nichts beibringen? Oder hatte er schlicht so eine schlechte Meinung von Gejarn? Es spielte keine Rolle, sagte sie sich. Es ging hier nicht darum, was sie beide dachten sondern eine friedliche Lösung zu finden. ,, Wir haben euch hierher eingeladen, Lord Andre, damit wir uns Einigen können um diesen Krieg zu beenden. Ich würde lieber keine Zeit verschwenden, die andere mit ihrem Leben bezahlen könnten.“ ,,Ich frage mich, ob Kellvian einem solchen treffen zugestimmt hätte… ?“ Er stützte die Ellbogen auf den Tisch und faltete die Hände zusammen. ,, Was meint ihr

?“ ,, Ich… glaube nicht, dass das eine Rolle spielt.“ Sie hatte das Gefühl, auf einen gefrorenen See hinauszutreten, dessen Eisschicht jeden Moment brechen konnte. Ein schwindelerregender Schub aus Furcht und Aufregung. Was tat sie hier? Jiy zwang sich ihre Gedanken zu ordnen. Sie war früher auch selten vor etwas zurück geschreckt. Es war nur neu, das war alles. Und sie wusste, was sie wollte. Das dieser Krieg endete, aber nicht, wenn dies bedeutete, das Andre alles bekam, was er wollte. ,, Es gibt einige simple Bedingungen, die ich stellen muss, bevor wir überhaupt beginnen, darüber nachzudenken, die

Kämpfe einzustellen.“ , erklärte sie mit fester Stimme. ,, Erstens, egal auf was wir uns Einigen… ihr werdet sämtliche Gefangenen freilassen, die ihr bisher gemacht habt. Alle.“ Ihr war der schreckliche Verdacht gekommen, dass es möglicherweise doch eine gute Erklärung dafür gab, das Kellvian nicht zurückgekehrt war. ,, Das dürfte schwer zu erfüllen sein. Ich brauche diese Männer. Silbererz trägt sich nicht von alleine ab. Und ich habe durch eure… Sturheit … auch kosten. Wenn ihr jedoch an jemand bestimmtes dachtet…“ ,, Alle. Oder keine.“ Wenn sie Andre ins Gesicht sagte, dass sie befürchtete, er

hätte Kellvian, würde er das ausnutzen. Ob es nun stimmte, oder nicht, er würde so tuen als ob. ,, Der Preis den ihr zu Zahlen habt, wird dann jedoch auch… sehr viel höher.“ Es war seltsam, wie leichtfertig ihr die Drohung über die Lippen kam. Langsam aber sicher erkannte sie, wo sie auf Eis treten konnte und wo es nachgeben würde. Ihre innere Anspannung wuchs. Sie durfte einfach keine Fehler machen, sagte sie sich. Nicht wenn es um Andre ging. ,, Ich werde darüber nachdenken. Dann habe ich aber auch eine Bedingung.“ ,, Die wäre ?“ ,, Meinen Sohn. Ein geringer Preis, für alle meine Gefangenen, was meint ihr?

Kellvian hatte mir das verwehrt…“ Darum ging es also. Jiy seufzte innerlich. Sie befürchtete sogar, er sei vielleicht nur deswegen gekommen. Auf eine Art konnte die Gejarn das sogar verstehen. Trotzdem viel es ihr schwer, sich den Lord als sorgenden Vater vorzustellen. ,, Darüber kann ich nicht entscheiden.“ , antwortete sie und hoffte, dadurch zumindest Zeit zu gewinnen. ,, Und das werde ich auch nicht.“ Andre lies die gefalteten Hände sinken. Seine Mine zeigte mühsam unterdrückter Wut.,, Man hat mir einmal eine ähnliche Antwort gegeben.“ ,, Wollt ihr mir jetzt etwa drohen ?“ Jiy

rückte, ohne es zu wollen, ein Stück auf ihrem Platz zurück. Sie wusste nur zu gut, das es Kellvian gewesen war, der Andre gesagt hatte, er würde Zachary über so etwas entscheiden lassen. Nicht ihn. ,, Euer Kaiserreich hat mir schon einen Sohn genommen. Ihr nehmt mir keine zwei und wenn das bedeuten würde es mit Stumpf und Stiel auszulöschen. Ich bin ohnehin grade dabei. Vielleicht ist euch das entgangen…“ Andre war aufgestanden und starrte von der anderen Tischseite auf sie herab. ,, Und vielleicht überschätzt ihr euch.“ , antwortete Jiy, während sie sich zwang, ruhig zu bleiben. Sie konnte spüren, wie

das Eis unter ihr brach. Aber jetzt gab es ohnehin kein Zurück mehr. ,, Habt ihr noch weitere Bedingungen oder wollt ihr wirklich wegen eurem alten Groll jede Vernunft vergessen ?“ Sie wusste bereits, dass es dafür zu spät war. Eigentlich hätte sie darauf bestehen müssen, das Gespräch später fortzusetzen. Aber für einen kurzen Moment entglitt ihr die Selbstkontrolle, zu der sich die Gejarn gezwungen hatte. Dieser Mann vor ihr hatte so leichtfertig alles zerstört, was sie sich erträumt hatte. Er hatte sie um Kellvian gebracht… Jiy stand selber auf. Das unvertraute Gefühl in ihrer Magengrube, nackte Wut, brodelte

auf. ,, Ihr könntet einfach aufgeben.“ , erklärte er. ,, Das wäre der einfachste Weg um Leben zu retten, wenn euch daran so viel liegt. Zumindest wäre ich dann bereit euch zu verschonen.“ Andre nahm sie einfach nicht ernst. Er sah vor sich sicher alles, nur nicht die momentane Anführerin der kaiserlichen Garde. Nur eine Gejarn auf einem Platz, den sie in seinen Augen mit nichts verdiente. Jiy schüttelte den Kopf. ,, Nein!“ ,, Wir würden beide bekommen, was wir wollten, oder ?“ Andre lachte leise. ,, Kellvian ist tot. Wofür wollt ihr eigentlich weiterkämpfen? Ihr ergebt

euch und ich erhalte damit einen legitimen Anspruch auf den Kaiserthron. Und ihr… bekommt euren Frieden. Was immer das auch heißen mag. Kein Blutvergießen mehr. Ich mache dieses Angebot nur einmal.“ ,, Raus…“ Jiy deutete in Richtung Tür. Einen Moment glaubte sie dort eine Bewegung wahrzunehmen, dann galt ihre ganze Aufmerksamkeit jedoch wieder Andre. ,, Ihr seid keine Kaiserin, kleine Gejarn. Und ihr solltet besser nicht anfangen zu glauben, ihr könntet jemals eine sein. Ihr werdet mich noch darum anbetteln euer Leben zu verschonen.“ Jiy vermied es, irgendetwas zu erwidern.

Dieser Mann war ein schlichtes Monster. Hatte er wirklich geglaubt, sie einfach einschüchtern zu können, damit sie alle die Waffen niederlegten? Geister, sie war sich selten so verloren vorgekommen. Andre machte seinerseits keine Anstalten, der Anweisung Folge zu leisten. Der Mann war mindestens so wütend wie sie. ,, Verschwindet.“ , murmelte sie erneut. ,,Jetzt.“ ,, Ihr gebt mir keine Befehle, kleine Gejarn. Ich fürchte ihr habt schlicht vergessen, wo euer Platz ist.“ Bevor sie reagieren konnte, hatte der Mann eine Hand zum Schlag erhoben. Ein

entfernter Teil ihres Verstandes wollte es schlichtem Wahnsinn zuschieben, aber sie konnte die Abscheu in seinen Augen sehen. Als hätte er ein widerliches Insekt vor sich, kein anderes denkendes Lebewesen… Der Hieb jedoch traf sie nie. Stattdessen wurde Andre auf einmal rückwärts gerissen, als hätte ihn die Faust eines Riesen getroffen. Im Sog des Luftstroms, der den Lord zu Boden warf, wirbelten Papiere auf und der plötzliche Abfall im Luftdruck, ließ Jiys Ohren schmerzen. Die schweren Teppiche dämpften Andres Aufprall zwar, aber sie konnte hören, wie er aufschrie. Hinter ihm an der Tür stand Zachary, eine Hand nach wie vor erhoben, die

Augen jedoch abgewandt und zu Boden gerichtet. Jiy konnte es von ihrem Platz nicht erkennen aber… der Junge weinte doch nicht etwa. Andre blieb schwer atmend liegen, während sein Blick den Angreifer nun auch erkannte. Er streckte eine Hand aus. ,, Sohn…“ ,, Verschwinde hier. Jetzt.“ Zachary sah auf und Jiy konnte tatsächlich erkennen, wie ein paar vereinzelte Tränen seine Wangen hinab liefen. Das Gesicht des Magiers war gerötet vor Wut und Scham, die ihn zum Zittern brachte. ,, Und nenn mich nie wieder so.“ Andre richtete sich umständlich auf. Alle Wut schien verflogen und war

ersetzt worden durch einen Ausdruck absoluter Verlorenheit ,, Zac…“ Jiy hätte beinahe Mitleid mit ihm haben können. Aber nur beinahe. Das Recht auf Mitleid hatte er sich grade verspielt. ,, Ich bin hergekommen, weil ich mit dir reden wollte, ohne das Eden oder sonst jemand dabei ist. Du kommst wirklich hierher und glaubst du ganz so weitermachen wie…“ Zachary schluckte schwer. ,, ich habe gedacht, du hättest dich vielleicht geändert, weißt du… Andre.“ Nicht Vater. ,, Ich war viel jünger damals, ich hatte vielleicht nur den falschen Eindruck… Aber jetzt muss ich sehen dass ich mich in keiner Weise

geirrt habe. Weißt du, das Eden mich damals sogar zurück gebracht hätte? Vor all diesen Jahren ?“ ,,Was… Was soll das heißen…“ ,, Das heißt, dass ich nicht zurück wollte. Aber als du um Verhandlungen gebeten hast… Ich dachte wirklich, vielleicht habe ich dich falsch eingeschätzt. Ich muss dir wohl dankbar sein… Vater. Ich habe mich kein bisschen geirrt. Und jetzt verschwinde.“ Zachary versetzte Andre einen weiteren, magischen Stoß, der ihn durch die Tür trug. Er schlug auf dem Boden auf und schlitterte über den polierten Marmor, bis er von einem Teppich gebremst wurde. Zac folgte ihm wortlos, während

Jiy nur staunend zusehen konnte. Die Dinge gerieten grade endgültig außer Kontrolle. ,, Lass ihn am Leben.“, rief sie. ,, Keine Sorge. Ich bin nicht er. Geh endlich.“ , erklärte der junge Magier, als Andre zum zweiten Mal auf die Füße kam. ,, Bevor ich zumindest zulasse, dass jemand anderes das für mich tut. Verschwinde!“ Jiy überlegte, ob sie Zachary schon jemals so wütend gesehen hatte. Oder überhaupt wütend. Es war ein schrecklicher Anblick. Die Magie schimmerte in seinen Augen und schien der Luft um ihn herum eine dickflüssige Konsistenz zu geben. Und das Ziel dieses

Zornes konnte nur langsam rückwärtsgehen und nach dem Türknopf tasten. Von der Treppen oben erklangen Schritte und Eden rannte die Stufen hinab. Vermutlich hatte sie mittlerweile gemerkt, dass der Junge sich davon gestohlen hatte. ,, Zachary, was…“ Sie verstummte, als sie nicht nur den Zauberer, sondern auch Andre und Jiy erblickte. ,, Was ist passiert ?“ ,,Nichts.“ , antwortete der Junge nüchtern. ,, Gar nichts.“ Andre schien endlich den Schock zu überwinden und zog die Tür in seinem Rücken auf. ,, Zachary, bitte…“ Der junge Magier drehte sich um und

ging langsam die Stufen hinauf zu Eden. ,, Das recht mich um etwas zu bitten, hast du verloren.“ Jiy rechnete schon damit, dass Andre erst gehen würde, wenn sie ihn von den Wachen rauswerfen ließ. Schließlich jedoch trat der Herr Silberstedts nach draußen und wurde sofort von einer kleinen Gruppe Gardisten in Empfang genommen, die ihn zum Tor bringen würden. Jiy jedoch trat zurück in das Schreibzimmer und durch die zweite Tür hinaus in die Gärten. ,,Ich will… eine Weile niemanden sehen.“ , erklärte sie zwei Posten, die am Durchgang Wache hielten. Die Männer nickten nur, bevor sie sich

umdrehten und die Tür sicherten. Jiy hingegen lenkte ihre Schritte über die Sandwege zu dem kleinen, von Säulen getragenen, Pavillon, etwas abseits vom Haus.

Kapitel 49 Die Wahl


,,Ich glaube er kommt zu sich.“ Alle um Kellvian drehte sich. Wieder einmal hatte er keine Ahnung, was genau geschehen war. Nur das er auf dem Boden lag. Mehrere Schatten beugten sich über ihn und durch den durchscheinenden Stoff eines Zelts konnte er Baumwipfel erkennen. Etwas sagte ihm, dass das nicht richtig sein konnte. Er versuchte sich krampfhaft zu erinnern, was geschehen war. Licht… Ein Bolzen aus Energie, der sich durch Männer und Mauerwerk fraß. Götter.

Wieso war er nicht mehr in Vara ? In der Ferne hört er Vögel zwitschern, ansonsten war alles ruhig. Er drehte den Kopf etwas und versuchte mehr zu erkennen. Es waren drei Gestalten mit ihm hier… ,,Wer… Was ist passiert?“ , murmelte er und setzte sich auf. Er trug noch immer die, jetzt freilich zerrissene und blutbefleckte, Kleidung, die er auf der Hochzeit getragen hatte. Nur seine Waffe fehlte. Vermutlich hatte er das Schwert verloren, als er Ohnmächtig wurde. ,, Ihr hattet eine recht unangenehme Begegnung mit Andres neuestem Spielzeug.“ , antwortete ein Mann in einem grauen Umhang. Luciens grinste,

starrte dann aber wieder betrübt vor sich hin. Der Mann saß im Eingang des Zelts und stocherte in der Glut eines heruntergebrannten Feuers herum. ,, Wir dachten schon, ihr würdet überhaupt nicht mehr zu Bewusstsein kümmern.“ , gestand Syle. Der riesige Gejarn musste fast auf allen vieren Laufen um unter der niedrigen Zeltstange Platz zu finden. Die dritte Gestalt jedoch, saß auf dem Boden, die Hände auf den Bernsteingriff eines Stabs gestützt. ,,Melchior sagte uns, wo wir euch finden, bevor es zu spät war. Und das wir euch in Sicherheit bringen müssen.“ Kellvian sah zu dem Seher herüber.

Natürlich, dachte er bitter. Und natürlich hatte er auch von Anfang an von dem Angriff gewusst, nicht ? Er erlebte einen der seltenen Momente, in denen er dem Mann schlicht an die Kehle gehen wollte. Nur zwei Dinge hielten ihn davon ab. Das Wissen, das Melchior ihnen, trotz der seltsamen Art, auf die er das tat, immer geholfen hatte und noch nie geschadet. Und der Umstand, das ihm alles Wehtat. Schon sich aufzusetzen ließ Schmerzen in seinem Schädel explodieren, das er glaubte, der Knochen würde zerspringen. ,, Erinnert mich daran, mir nie wieder zweimal hintereinander einen Schlag auf den Kopf einzufangen. Was ist mit Vara

?“ Und Jiy… ,, Wir… haben verloren, fürchte ich.“ , antwortete Syle. ,, Wir drei sind grade noch raus gekommen. Ich habe es nicht gesehen, aber ich fürchte, die Stadt ist gefallen, Herr.“ ,, Jiy ? Zyle ? Eden ? Wer ist sonst noch raus gekommen?“ Er fürchtete sich bereits vor der Antwort. ,,Niemand der… hier wäre Herr.“ Syle sah zu Boden. ,, Das ist nicht eure Schuld. Ich bin mir sicher sie haben es geschafft.“ Überzeugt freilich, war er davon nicht. Aber die Alternative… darüber wollte er erst gar nicht nachdenken. Gedankenverloren strich er über den Silberring an seiner

linken Hand. Sei nur in Sicherheit, dachte er. ,, Wir haben das hier gefunden.“ Melchior holte einen kleinen Gegenstand aus der Tasche seines Mantels hervor und warf ihn Kellvian zu. Dieser fing ihn auf. Es war ein gesplitterter, grüner Edelstein, in einer beschädigten Fassung. Die Kette, an der er einmal gehangen hatte war ebenfalls gebrochen und notdürftig geflickt worden, vermutlich von dem Seher. Kellvian schüttelte den Kopf. ,, Das ist schon vorher Passiert, Melchior. In der Halle. Jiy lebt noch. “ Das musste er doch Wissen. Er war dabei gewesen, oder nicht? Wieder einmal wusste er

nicht, was der Seher eigentlich bezwecken wollte. Nur das er das Spiel dieses Mal nicht mitspielen würde. Er stand auf, auch wenn sein Kopf bei der Bewegung erneut protestierte. Kellvian schwankte etwas, fand dann aber sein Gleichgewicht wieder und trat nach draußen. Sie waren tatsächlich mitten im Wald. Das Zelt stand auf einer kleinen, kreisförmigen, Lichtung, die von hohen Buchen und Fichten umgeben war. Der Geruch von Harz und Laub füllte die Luft. In Helike war die Luft dagegen oft völlig geruchslos gewesen. Die Hitze hatte sie schlicht sauber gebrannt. Einem Teil von ihm hatte das Gefehlt. Auf seinen Reisen hatte er sich

daran gewöhnt, öfter unter freiem Himmel zu sein. Lucien hatte seinen Posten am Eingang des Zelts mittlerweile Aufgegeben und kehrte grade mit einem Arm voll Feuerholz zurück, den er auf die Glut warf. Der kaiserliche Agent ließ sich vor dem Feuer nieder und stapelte das Holz so auf, das s gleichmäßig abbrennen konnte. ,, Der Alte ist seltsam.“ , meinte er, als er Kellvian entdeckte. ,, Das sagt grade ihr ?“ , fragte Kell, als er sich zu dem Mann ans Feuer setzte. Lucien schmunzelte. ,, ich glaube wir verstehen uns.“ Mit diesen Worten zog er einen Rucksack vom Eingang des Zelts zu sich heran, in dem sich Syle und

Melchior grade gedämpft unterhielten. Vermutlich versuchte der Seher den Bären von seiner Sichtweise zu überzeugen. Sollte er ruhig, dachte Kell. Am Ende würde er so oder so tun, was er für richtig hielt. Er war die Spielchen leid. Lucien zog derweil einen Topf aus dem Gepäck, füllte ihn mit Wasser und setzte ihn am Rand des Feuers ab, so dass es zu kochen begann. Dann warf er nacheinander einige Streifen Trockenfleisch, Brot und ein Sammelsurium aus getrocknetem Gemüse hinein und wartete, das der Eintopf fertig wurde. ,, Wer hat die Vorräte mitgebracht ?“ ,

wollte Kellvian wissen. Sie hatten doch sicher keine Zeit gehabt, irgendetwas einzupacken, wenn sie mit ihm auf der Flucht gewesen waren. Die Antwort schien offensichtlich, aber er wollte es trotzdem genau wissen. ,, Melchior hatte den Rucksack schon dabei, als wir euch auf der Straße gefunden habe.“ Der Seher und Syle waren ihm inzwischen gefolgt. Eigentlich hatte er gehofft, die beiden würden ihn einen Moment alleine lassen. Er musste nachdenken… ,,Wollt ihr wirklich hier herumsitzen und nichts tun ?“ , fragte der Seher vorwurfsvoll.

,, Im Gegenteil.“ , antwortete er. ,, Wir werden jetzt folgendes tuen, Melchior. Erst einmal, Essen wir, dann packen wir alles zusammen und machen uns auf den Rückweg nach Vara. Solltet ihr nicht mit kommen wollen, steht euch das frei. Aber ich weiß, wo mein Platz ist.“ Melchior sah ihn nur entsetzt an. ,, Ihr wollt wirklich nach Vara zurück laufen, nur um dann direkt Andre in die Hände zu fallen ? Er wird nach euch suchen, Kellvian, wir können nicht zurück.“ ,, Das heißt, nur wenn ihr die Wahrheit sagt.“ , ergänzte er. ,, Ich habe nicht vor, mich Hals über Kopf in Richtung

Stadtore zu stürzen, Melchior. Wir nähern uns in einem Bogen von der anderen Stadtseite und sehen uns erst einmal alles genau an. Ich habe nicht vor, Andre den Gefallen zu tun, mich praktisch selbst auszuliefern.“ ,, Mit einem hat er aber recht.“ , meinte Syle. ,, Wenn Andre die Stadt erobert hat, wäre es in jedem Fall ein unnötiges Risiko, zurück zu gehen.“ ,, Wenn.“ , ergänzte Kellvian wieder. ,, Keiner von euch muss mich begleiten, aber ich muss wissen, was geschehen ist. Oder aber, Melchior, ihr sagt mir endlich die Wahrheit. Ich brauche schon einen verdammt guten Grund, um nicht erst einmal zurück zu gehen. Wir wissen

überhaupt gar nicht, ob die Stadt überhaupt gefallen ist. Ihr geht einfach alle davon aus, weil Melchior das behauptet.“ ,,Und ihr kennt mich gut genug, das ich einen guten rund bräuchte, um zu Lügen. Bitte, Kellvian, vertraut mir. Wir können nicht zurück, oder ihr würdet euch das Leid nicht vorstellen können, das das zur Folge hätte.“ ,,Vielleicht, wenn ihr mir einfach die Wahrheit sagt, Melchior. Ich bin nicht unvernünftig. Meistens. Das wisst ihr. Und ich weiß, dass ihr auf unserer Seite steht. Aber das ergibt einfach keinen Sinn…“ ,,Prophezeiungen sind nicht für die

betroffenen bestimmt.“ , antwortete der Seher ruhig. ,, Aber Zyle habt ihr eine erzählt.“ ,, Eine harmlose. Es änderte den Ausgang nicht, dass er sie kannte. Aber ich kenne auch euch, Kell.“ ,, Dann wisst ihr aj auch, das mich nichts anderes überzeugen wird. Was genau ist los?“ Lucien rührte derweil den Eintopf um, während der Seher seine Antwort hinauszögerte. Kellvian fürchtete schon, er würde sich einfach weigern. Dann bliebe ihm nichts anderes übrig, als sich auf sein Gefühl zu verlassen. Alles in ihm schrie danach, herauszufinden, ob es den anderen gut ging. Aber Melchiors

fast panischer Einwand gegen eine Rückkehr ließ ihm einen Schauer über den Rücken laufen. ,, Wenn ihr zurück geht… werden wir verlieren. Canton wird in Feuer untergehen, wenn ihr die Truppen zu diesem Zeitpunkt selbst führt. Soviel weiß ich.“ Kellvian seufzte. Zumindest, was den Inhalt seiner Visionen anging, darüber würde Melchior wohl nicht Lügen. Das hieß aber auch, er säße in der Falle. ,, Und wenn ich weiterhin so tue, als würde ich euch glauben und einen großen Bogen um Vara mache um… sonst wo hin zu gehen ?“ ,, Dann gibt es vielleicht eine Chance.

Völlig sicher bin ich nicht. Aber es ist die einzige Alternative, die wir haben.“ Kellvian war mittlerweile von seinem Platz am Feuer aufgestanden und lief unruhig auf und ab. ,, Also nochmal. Ihr wollt, das ich meine Freunde, schlimmer, die Frau die ich Liebe, fürs erste in dem glauben lasse, ich sei Tod oder Verschollen, weil wir dadurch, vielleicht, eine kleine Chance auf den Sieg haben? Ich soll dem allen den Rücken kehren nur um dann am Ende vielleicht doch zu versagen?“ ,,Ja. Das ist die Wahl, die ihr habt, Kell.“ , antwortete der Seher. ,, Das sind eure zwei Möglichkeiten.“ ,,Das ist keine Wahl, vor die ihr mich

stellte Melchior…“ Kellvian war stehen geblieben. Götter, das war zu wenig, um eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Eine Chance ? Er schloss einen Moment die Augen. Aber wenn es eine gäbe, müsste er sie eigentlich ergreifen, oder? Wenn Melchior Recht hatte, gab es nur eine richtige Wahl. Lucien holte derweil den Topf vom Feuer und folgt Kellvians Bewegungen mit den Augen. Zehn Schritte vom Feuer weg. Umdrehen. Zurück gehen. Also ob ihm das einer Lösung näherbrächte. Kellvian sah seinerseits zu dem kaiserlichen Agenten, der, während die anderen auf seine Antwort warteten, einfach schon mal mit dem Essen

begann. Syle warf ihm einen säuerlich-amüsierten Blick zu, während Lucien den Eintopf löffelte. ,, Was denn ?“ , fragte er mit vollem Mund. ,, Bis der sich endlich entscheidet, bin ich verhungert. Was immer ihr auch tut, Kellvian, wir stehen hinter euch.“ Syle nickte , bevor er noch einmal im Zelt verschwand, als hätte er etwas wichtiges vergessen. Wenige Augenblicke später kehrte er auch schon zurück, einen mit Silber beschlagenen Degen in der Hand. ,, Euer Schwert, Herr.“ Der Gejarn hielt ihm die Waffe hin, während Kellvian sie einen Moment unsicher betrachtete. Die

Entscheidung stand. ,, Ich will es nicht.“ , antwortete er. Aber welche Wahl hatte er ? Wiederstrebend nahm er Syle die Waffe ab und warf sich den Tragegurt über die Schulter. ,, Noch weniger jedoch, will ich das all die Leute in Vara umsonst gestorben sind. Und nach euren Worten Melchior, sind sie das, wenn ich jetzt zurück laufe.“ Der Krieg hatte grade erst begonnen und er hatte jetzt schon genug davon. ,, Sehen wir also zu, das wir uns in Bewegung setzen. Wohin auch immer. Hauptsache, wir machen einen großen Bogen um die Stadt.“ ,,Ihr tut das richtige.“ , meinte der Seher, der mitleidige Ton in seiner

Stimme war jedoch nicht zu überhören. ,,Das hoffe ich.“ , antwortete Kellvian. Sie aßen, was Lucien ihnen übrig gelassen hatte, dann brachen sie die Zelt ab. Nach einer halben Stunde war von dem Lager nur noch ein Haufen schwelende Glut übrig, die langsam erkaltete. Dann brachen sie auf. Wohin wusste er noch nicht. Syle schulterte seinen Rucksack, während Kellvian selbst die Zeltplanen zusammenband und auf seinen Rücken hievte. Sie würden sich bei nächster Gelegenheit darum bemühen müssen, ihre Ausrüstung zu ergänzen. Für den Moment jedoch hieß es: Auf die Straße und sich einen Weg tiefer in die Wälder der Herzlande

suchen. Kellvian hatte diese Art des Reisens vermisst. Er wünschte nur, er würde keinen so hohen Preis dafür zahlen. Hoffentlich ging es Jiy und den anderen gut. Vielleicht konnte er in der nächsten Ortschaft ja wenigstens unauffällig nach Vara fragen und so erfahren, wie es wirklich um die Stadt stand.

Kapitel 50 Die Clan


Es tat gut, unterwegs zu sein. Zumindest, hielt es ihn davon ab, zu sehr über all das hier nachzudenken. Die ganze Situation kam Syle nach wie vor seltsam genug vor. Und er konnte sich nur darauf verlassen, dass Melchior und Kellvian schon wussten, was sie taten. Aber ihm kam es trotzdem vor, als würden sie fliehen. Die Worte des Sehers hatten ihn anfangs genauso beunruhigt, ja er war sogar dafür gewesen, sich erst einmal von Vara fern zu halten. Doch je mehr Zeit verging, desto unsinniger

erschien es ihm. Sie konnten doch nicht einfach die Hände in den Schoß legen und nichts tun. Die vier waren nun seit zwei Tagen unterwegs und waren, von vereinzeltem Wild und den Kleintieren einmal abgesehen, bisher keinem anderen Lebewesen begegnet. Zumindest war es aber Lucien gelungen, zwei Rehe zu erlegen, so ihre Vorräte etwas aufzustocken und aus den Fällen behelfsmäßige Rucksäcke herzustellen. Die Wälder der Herzlande waren schier endlos. Das letzte Mal, als er sie durchquert hatte, war jedoch im Winter gewesen, wo der Boden hartgefroren und die Zweige mit Raureif und Schnee

überzogen waren. Grau, kalt, erfroren und Leblos. Jetzt hingegen, so kam es ihm vor, summte das Unterholz vor verstecktem Leben. Mäuse und Insekten, die von dem Lebten, was das Laub und die Früchte der Bäume hergaben. Ein kleiner Wasserlauf zog sich zwischen den Stämmen der uralten Baumriesen hindurch, die hier an den Seiten des Pfads in die Höhe wuchsen. Die Zweige waren so dicht mit dunkelgrünen Blättern bedeckt, das sie das Sonnenlicht teilweise ausblendeten und grünlich schimmernde Schatten auf den Boden malten. Eine sanfte Windböe brachte die Äste in Bewegung und das sich verändernde Muster aus Schatten und

Licht erweckte beinahe den Eindruck, auf dem Grund eines Sees zu laufen. Der Sommer zeigte sich hier von seiner schönsten Seite und Syle atmete die nach Harz duftende Luft tief ein. Ein wenig erinnerte es ihn daran, wie alles begonnen hatte. Er und Walter waren Kellvian durch die Herzlande gefolgt, bis dieser sie schließlich zurück zur fliegenden Stadt geschickt hatte. Seltsam… er hatte lange nicht mehr an den toten Adeligen und Kameraden gedacht. Syle spähte aufmerksam in die Schatten unter den Bäumen. Eines schien sicher. Viele Menschen verirrten sich bestimmt nicht hierher. An

den Waldrändern und um die vereinzelten Siedlungen wurden die Bäume regelmäßig gerodet oder fielen den Köhlern und Schreinern zum Opfer. Und an den viel bereisten Handelsstraßen wurden die Wälder allein schon gelichtet, um es Banditen und Deserteuren schwerer zu machen, sich zu Verstecken und Reisende oder Karawanen zu überfallen. Hier jedoch, würden sie nicht einmal merken, wenn sich jemand näherte, bevor es zu spät war. Syle wusste nicht genau, wo sie sich befanden, nur das es weit abseits der Bewohnten Gebiete sein musste. Nur die am verbotensten lebenden Clans würden hier draußen ihre Lager

aufschlagen. Normalerweise hielten sich die Gejarn mit ihren Nomadendörfern in der Nähe der menschlichen Siedlungen, wenn sie auch meist außer Sicht blieben. Alles, was sie nicht selber herstellen konnten oder was ihnen nach der Ernte übrig blieb, konnten sie so einfach in Städten und Siedlungen eintauschen. Jetzt jedoch, wo Andres Armeen durch das Land zogen, wer wusste schon, was sie tun würden? Syle beschleunigte seine Schritte etwas und schloss zu den anderen auf. ,, Weiß jemand, wo wir in etwa sind ?“ , fragte Lucien. ,, In der Wildnis.“ , antwortet Melchior nur. ,, Ich schätze das nächste bewohnte

Dorf ist noch einmal zwei weitere Tagesreisen von hier entfernt.“ ,, Und ihr wisst auch nicht, wohin wir uns danach wenden sollen , oder ?“ Kellvian war stehengeblieben und hatte sich gegen einen Baum am Wegesrand gelehnt. ,, Wenn ich schon nicht nach Vara zurück kann, muss es irgendetwas anderes geben, das wir tun können. Ich werde nicht einfach weiter durch die Gegend ziehen, während Canton brennt.“ Der Seher wurde ebenfalls langsamer. ,, Wenn wir es bis zur nächsten Siedlung schaffen, können wir uns von dort vielleicht nach Süden wenden. Ihr habt doch Verbündete in Laos, oder?“ ,, Ihr schlagt also vor, nach Helike zu

gehen und dort um Hilfe zu bitten ?“ Syle sah ihn an. ,, Würde man uns dort wirklich anhören ?“ Kellvian nickte. ,, Ich habe bei den Archonten noch einen Stein im Brett. Aber es wäre ein weiter Weg. Selbst wenn wir reiten und regelmäßig die Pferde wechseln, mindestens ein Monat hin und noch einer um wieder zurück zu kommen, falls Wys und der Händlerkönig uns nicht helfen können. Wenn sie uns wirklich eine Streitmacht geben sollten wir uns eher darauf einstellen, drei Monate unterwegs zu sein.“ ,,Es wäre aber eine Möglichkeit.“ ,, Besser als nichts ist es allemal.“

,schloss Lucien sich dem Gejarn an. ,, Was meint ihr Seher ?“ Der Seher grübelte einen Moment, bevor er antwortete: ,, Es könnte den entscheidenden Ausschlag geben. Es gibt jedoch Dinge, die sich schlicht nicht beeinflussen lassen, egal was wir tun.“ ,,Zum Beispiel ?“ , fragte Kellvian. ,, Ich verstehe ja, das ihr auch nur tut, was ihr für richtig haltet, Melchior. Aber wenn ihr wie immer nicht mit mir redet, sondern alles bis zum letzten Moment für euch behaltet müssen wir Zwangsläufig Fehler machen.“ ,, Eben, Kellvian. Das muss ich euch erlauben. Fehler zu machen. Ich habe auch einst eine Prophezeiung über euch

vor Konstantin ausgesprochen. Hätte ich euch immer genau gesagt, was ihr zu tun habt und was geschehen würde, mal davon ausgehend, ihr hättet mir geglaubt, was wäre wohl geschehen? Wenn ich euch gesagt hätte, das Zyle euch benutzt, Jiy euch töten wird, wenn sie die Wahrheit erfährt und Tyrus die Macht an sich reißen will ?“ ,, Vermutlich… hätte ich Jiy zu den Clans zurück geschickt, wäre Zyle losgeworden und schnellst möglich in die fliegende Stadt zurück gekehrt. Und.. Tyrus hätte mir den Mord an Markus nicht anhängen können, weil ich nicht dort wäre und hätte wohl stattdessen versucht, mich zu töten. Da der

Seelensplitter in meinen Geist nie erwacht wäre, wäre ihm das auch gelungen. Der Meister hätte auch so bekommen, was er wollte und wir wären alle nicht hier.“ Kellvian sah den Seher an, als würde ihm das erst jetzt klar werden. ,, Das macht eure Prophezeiungen aber teilweise selbsterfüllend, oder ?“ ,,Eben. Ihr versteht es. Nichts ist letztlich völlig sicher. Ich kann aber meine Visionen auch nicht ignorieren, denn vieles davon ist wahr. Nur nicht immer so, wie es selbst mir auf den ersten Blick erscheint. Damit wandere ich also, auf dem schmalen Grat, eine Katastrophe zu verhindern und sie

gleichzeitig nicht erst dadurch herauf zu beschwören.“ ,,Dann könnt ihr euch aber auch nicht sicher sein…“ Melchior ließ den jungen Kaiser nicht ausreden, sondern hob nur eine Hand, als er verstummte. ,, Nein. So funktioniert das nicht, Kell. Es gibt Dinge, die, egal wie sich die Umstände, die dazu führen, wandeln, immer geschehen werden. Und diese kann ich erkennen. Kehren wir nach Vara zurück, sterben wir alle, bevor dieser Krieg ein Ende findet. Ich wünschte, es wäre nicht so. Das könnt ihr mir glauben, oder wütend auf mich sein. Es ändert

nichts.“ Kellvian hatte eine Hand auf den Schwertgriff gestützt und klopfte mit den Fingern auf dem silbernen Knauf herum. ,, Ich bin nicht wütend auf euch, Melchior. Ihr habt oft genug auf uns geachtet, auf eure Art. Also gut. Dann eben nach Laos. Gehen wir weiter.“ Syle rückte den Gurt Gewehr und die Tasche auf seinen Schultern zurecht, dann setzten sie ihren Weg unter dem kühlen Blätterdach fort. Gegen Mittag wurden die Wälder sogar noch dichter. Die Stille war hier, bis auf ihre eigenen Schritte, vollkommen und genau das machte Syle nervös.

Normalerweise sollte er überall das Rascheln im Laub und die Rufe von Vögeln hören. Irgendetwas hatte vor nicht allzu langer Zeit alle Tiere vertrieben. Bevor sie dazu gekommen waren. Jemand war hier vorbei gekommen. Der Gejarn äußerte seinen verdacht noch nicht. Es war nur ein Gefühl. Aber auf seine Gefühle konnte er sich meist verlassen. Geräuschlos ließ er das Gewehr von seinem Rücken in seine Hände wandern. ,,Ihr spürt es auch, oder ?“ , fragte Lucien neben ihm. ,, Gesellschaft.“ Der kaiserliche Agent hielt die Armbrust, gespannt, unter seinem Mantel

verborgen, jederzeit bereit zu reagieren, sollte sich irgendetwas rühren. Kellvian und Melchior schienen es nun ebenfalls zu bemerken. Der Seher packte seinen Stab mit beiden Händen, während Kell überprüfte, ob die Klinge sich im Notfall richtig ziehen ließ. Mittlerweile war Syle davon überzeugt, dass sie nicht mehr alleine waren. Wer immer die Vögel vertrieben hatte, war noch in der Nähe. Aber auf dem Weg war nichts zu sehen. Der Gejarn witterte, sog die Luft tief ein… Vielleicht verriet sich, was immer dort draußen war, durch seinen Geruch. Was ihm jedoch in die Nase stieg, verbrannte ihm lediglich die Nüstern. Tannenpech. Eingekochtes

Harz, das sich mit dem Duft des Waldes überdeckte. Normalerweise. Jedoch war dem Anwender scheinbar ein kleiner Fehler unterlaufen. Es war zu stark konzentriert, als das es einem Gejarn entgehen würde, der wusste, worauf er achten musste. Die Späher der kaiserlichen Garde benutzten die gleiche Substanz, wenn sie wussten, dass sie es mit Gejarn zu tun bekamen. Eine kleine Dose, die man geöffnet in der Tasche mit sich führte, reichte, damit einen nicht einmal mehr ein jagender Wolf fand. Jemand da draußen hatte sich nicht nur verdammt gut versteckt… er hatte selbst daran gedacht, seinen Geruch zu

maskieren. Jetzt hatten sie wirklich allen Grund, nervös zu sein, dachte er. Ein einfacher Bandit würde diesen Aufwand nicht betreiben. Noch weniger ein harmloser Reisender. Und dann geriet der Wald plötzlich in Bewegung. Syle konnte nur erstaunt zusehen, wie Blätter und Unterholz mit einem Schlag zum Leben zu erwachen schienen. Er erkannte seinen Irrtum noch im selben Moment. Es waren Gejarn. Ein dutzend mindestens, die fast alle grüne Kleidung trugen, in die sich Zweige und Blätter eingeflochten hatte. Syle musste ihnen zumindest das zugestehen: Bis auf das Tannenpech hatten sie an alles

gedacht. Klingen und Musketen wurden auf die kleine Gruppe gerichtet, während die Gejarn rasch einen Kreis um sie bildeten. Vermutlich ein Spähtrupp eines Clans, überlegte Syle. Das war halb so schlimm. Wenn sie ohne es zu wissen, Clanland betreten hatten, ließ sich das aufklären… Das war jedoch, bevor er sie sich genauer besah. Die meisten waren Wölfe. Grimmig dreinsehende Gestalten in braunem oder schwarzem Pelz. Darunter jedoch befanden sich auch ein Fusch, einige Bären und eine Löwin… wussten die Götter, was die so hoch im Norden zu suchen hatte. Eines schien Syle jedoch klar, sie hatten

ein Problem. Die Clans arbeiteten nur sehr selten zusammen. Und diese bunte Truppe schien beinahe völlig unmöglich. Oder ? Die Löwin war auch die einzige aus der Truppe, die nicht wie eine Kämpferin wirkte, auch wenn er sie ganz sicher nicht für harmlos halten würde. Ein buntes Sammelsurium aus Amuletten hing um ihren Hals. Glas und Metallringe, die das spärliche Licht einfingen und reflektierten. Gekleidet war sie in eine simple, braune Wollrobe, die der Gestalt jedoch wenig von ihrer Ausstrahlung nahm. Autorität. Eine Älteste ? , dachte Syle verwirrt. Warum sollte sie eine simple Schutztruppe

begleiten? Und noch etwas an ihr war seltsam. Syle schob es erst auf das unstete Licht, aber das Fell der Löwin war, bis auf wenige sandfarbene Streifen, vollständig ergraut. Entweder, dachte er, war diese Frau älter, als er sich vorstellen wollte, jemals zu werden, oder… Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sie schließlich sprach: ,, Wer seid ihr und was sucht ihr auf unserem Land? Ihr seid weit weg von euren Siedlungen, Menschen.“ Offenbar stellte sie die Anführerin des ungewöhnlichen Trupps da. Syle überließ es lieber Kellvian für sie zu

antworten. ,,Verzeiht, wir wussten nicht, das wir uns schon auf eurem Gebiet befanden. Ich hoffe aber, dass es keinen Grund für Feindseligkeiten gibt. Mein Name ist Kellvian Belfare…“ Falls sie den Namen kannte ließ sie es sich zumindest nicht anmerken. ,, Ich heiße Mhari. Wir haben die umgebenden Dörfer gewarnt. Ihr habt in unseren Wäldern fürs erste nichts mehr verloren. Uns ist durchaus klar, was in den Herzlanden vor sich geht. Armeen, die durch das Land ziehen, der Geruch von verbranntem Pulver im Wind… Und jetzt ein Haufen Fremder, die durch unser Land ziehen wollen. Könnt ihr mir

einen guten Grund nennen, euch nicht für Spione zu halten?“ Ein schwaches Lächeln spielte über ihre Lippen, als könnte sie die Antwort gar nicht abwarten. Sie glaubte selber nicht daran, dachte Syle. Ob Mhari nun wusste, wen sie vor sich hatte oder es nur vermutete… das hier war offenbar nur ein Spiel für sie. Nun, dann konnte er ihr vielleicht etwas zum nachdenken geben. ,, Ich hätte da vielleicht etwas.“ , antwortete er, während er vorsichtig nach dem Messer an seinem Gürtel tastete. Der zu einem Wolfskopf geformte Griff aus Elfenbein fühlte sich kühl an. Vorsichtig, damit ihn niemand

ausversehen erschoss, zog er den Dolch aus der Scheide und hielt die Waffe ins dämmrige Licht. ,, Fenisin von den Wölfen hat mir diese Waffe gegeben. Mit dem Versprechen auf freies Geleit.“ Und noch etwas mehr, dachte er, aber dass er ein Ausgestoßener war, behielt er besser für sich. Mhari streckte eine Hand nach dem Dolch aus und Syle übergab ihr die Waffe. Sie besah sich den Gegenstand nur einen Moment, dann reichte sie ihn an den Bären zurück. ,, Ich denke, wir sollten eure Behauptung auch überprüfen.“ , erklärte sie. ,, Wie das ?“ , fragte

Kellvian. ,, Wir bringen euch zu Fenisin.“ Sie drehte sich zu ihren Leuten um. ,, Nehmt sie in die Mitte. Wenn einer von ihnen versucht Dummheiten zu machen… tut was ihr tun müsst. Solange sie uns unauffällig Folgen, haben wir keinen Grund, sie zu verletzen.“ Der Älteste war hier? Die verschiedenen Gejarn arbeiteten tatsächlich für einen Clan? Syle schossen ein halbes Dutzend ähnliche Fragen durch den Kopf. Was immer hier vorging, es war höchst seltsam.

Kapitel 51 Die Ältesten


Kellvian war bisher erst einmal in einem der wandernden Dörfer der Gejarn gewesen. Damals allerdings hatte er ganz andere Sorgen gehabt und nur wenig Zeit darauf verschwendet, sich genauer umzusehen. Aber selbst wenn er nicht gewusst hätte, was er zu erwarten hatte, dieser Ort unterschied sich deutlich von einer kleinen Siedlung. Es schien mehr eine Stadt zu sein, die mitten im Wald, auf einer großen Lichtung errichtet worden war. Es wurde bereits dunkel und so konnte er im Licht dutzender Laternen erkennen, das sich das Dorf bis

weit in die Wälder hinein erstreckte, dort wo die dichten Wipfel das Sonnenlicht bereits vollständig abhielten. Sämtliche Häuser bestanden aus Holz, Stroh oder sonstigen Materialien, die man leicht wieder abbauen und transportieren konnte. Auf ihren ewigen Wanderschaft blieben die Clans selten länger als ein paar Monate an ein und demselben Ort. Meist grade lange genug, um eine Ernte einzubringen und die Tiere, die sie mit sich führten zu mästen. Dann verschwanden sie wieder, manchmal über Nacht, und hinterließen nur das, was sich nicht mitzunehmen oder abzureißen gelohnt hatte.

Gemauerte Öfen oder, hatte der Aufenthalt einmal länger gedauert, auch einen einfachen Ziegelbau , der vor allen den Älteren vorbehalten war. Aber während ein normales Dorf vielleicht fünfzig oder seltener auch einmal hundert gejarn umschloss, schienen sich hier leicht eintausend zusammen gefunden zu haben. Und alle von verschiedenen Clans, wie es den Anschein hatte. Ihre Bewacher führten sie über einen ausgetretenen Pfad zwischen den Gebäuden entlang. Einige Hühner stoben auf, als Mhari ihnen nur bedeutete, sich dicht bei ihr zu halten. Kellvian hätte des Hinweises nicht bedurft. Die meisten

Gejarn, denen sie begegnenden sahen zwar eher Neugierig zu den drei Menschen und dem Bären in der Garde-Uniform herüber, aber er wusste, es gab einige, die ihren Groll gegenüber den Menschen nicht so schnell ablegen würden. Umgekehrt war es ja genauso… Zwischen den Gebäuden lagen kleinere Felder und Gärten, in denen die Bewohner alles anbauten, was sie selber zum Überleben brauchten. Von Getreide bis zu Kürbissen und sogar einigen Mohn und Tabakpflanzen, die im trockenen Klima der südlichen Herzlande genauso gut gediehen, wie auf den großen Feldern weiter in Richtung Grenze. ,,Warum sind so viele verschiedene

Clans hier ?“ , wollte Kell wissen. Mhari wurde etwas langsamer, so dass er zu ihr aufschließen konnte. Die Gejarn strahlte irgendetwas aus, das er nicht ganz einschätzen konnte. Eine seltsame Mischung aus Zielstrebigkeit und einem Hauch Wahnsinn, die ihm Vertraut vorkam. Er wusste bloß nicht, woher. ,, Weil wir entschieden müssen, was wir tun werden.“ , antwortete sie. ,, Fenisin kehrte mit der Nachricht über den Fall der Ordensburg zu seinem Clan zurück. Und er hat etwas getan, das erst dreimal in den gesamten letzten einhundert Jahren geschehen ist. Er hat die Ältesten aller Clans zusammengerufen. Was ihr hier seht, sind die Vertreter jedes

einzelnen Clans und jedes einzelnen Dorfes in ganz Canton, an einem Ort versammelt. Viele auch mit ihren Familien oder einem Teil ihres Clans.“ ,, Und worüber entscheidet ihr ?“ , wollte Lucien wissen. Der kaiserliche Agent sah sich genauso staunend um, wie sie alle. Trotzdem schien etwas Spott in seiner Stimme mitzuschwingen. Entweder Mhari bemerkte es nicht oder hatte sich entschlossen, den herablassenden Tonfall zu überhören. ,,Wenn Andre de Immerson einen Krieg gegen das Kaiserreich führt, werden wir entschieden müssen, welche Rolle wir dabei spielen. Viele drängen darauf, sich Neutral zu verhalten, bis wir wissen, wie

sich der Krieg entwickelt. Andere, vor allem Fenisin, würden am liebsten noch vor Ende dieses Monats eigene Truppen zusammenrufen um dem Kaiser zur Hilfe zu kommen. Aber wir alle würden im Zweifelsfall die Folgen zu tragen haben, also werden wir auch gemeinsam entscheiden…“ Kellvian musste sich zurück halten, um nichts zu sagen. Ihm kam eine Idee. Eine völlig verrückte Idee, wenn er länger darüber nachdachte… Aber warum eigentlich nicht ? Melchior hatte gesagt, er dürfte die Truppen des Kaiserreiches nicht in die Schlacht führen, ja nicht einmal dabei sein. Von den Gejarn jedoch hatte er

nichts gesagt. Und wenn der Seher glaubte, er würde einfach die Hände in den Schoß legen, wenn es hier darum ging, ob die Clans sich gegen Andre stellten… dann hatte er sich aber geschnitten. R fürchtete jedoch auch, dass das nicht ganz einfach werden könnte. Kellvian hatte schon mit den Ältesten zu tun gehabt. Manche waren definitiv vernünftig, so wie Fenisin. Andere hingegen ließen erst gar nicht mit sich reden. Das Wort ihres Kaisers jedoch könnte vielleicht den Ausschlag geben. Zumindest hoffte Kell das. Letztlich unterstanden die Clans nur sich selbst, waren aber auf die Duldung durch das Kaiserreich angewiesen. Damit war

das Wort und Gesetz Cantons für sie auch bindend, zumindest in der Theorie. In der Praxis war das jedoch schwer umzusetzen. Die Clans auch nur dazu zu bewegen, Steuern zu entrichten, hatte schon mehr als einen Beamten in den Wahnsinn getrieben. Wenn man ihnen denn einmal habhaft werden konnte, musste man feststellen, dass sie am nächsten Tag schon wieder auf dem Weg in einer anderen Provinz sein konnten. Hier ging es jedoch nicht um so etwas Simples wie Steuern, dachte Kellvian. Hier ging es darum, ob sie auch bereit wären, ihr Leben für ihn zu riskieren. Mhari führte sie auf ein Gebäude am Rand der Lichtung zu, das sich noch bis

unter die Bäume erstreckte. Es war bei weitem der größte Bau in der ganzen Siedlung und bestand aus mehreren, stabilen Gebäuden die über Durchgänge aus geflochtenen Zweigen oder aufgehängten Schafsfellen verbunden waren. Licht drang aus den , ebenfalls mit Fellen, verhängten fenstern nach draußen und zwei Wölfe , die gleichartig gefertigte, dunkle Kleidung und einen Kürass trugen, stellten sich ihnen mit gekreuzten Speeren in den Weg. Allerdings nur, bis sie Mhari erkannten. Auf ein stummes Zeichen traten die beiden Gejarn bei Seite und ließen sie und ihre vier Begleiter durch. Der Schutztrupp, der sie aufgegriffen hatte,

blieb hingegen vor der Tür zurück und zerstreute sich. Vermutlich arbeiteten die Späher in Schichten und die Männer würden wieder auf ihre Posten gehen, bis sie irgendwann abgelöst wurden. Kellvian seinerseits sah sich in dem Raum um, den sie nun betraten. Obwohl die Wände aus einfachem, leichtem Flechtwerk bestanden, waren sie Winddicht und hielten wohl selbst starken Regenfällen stand. Kerzen, die, um Brände zu vermeiden, in nach oben offenen Glasbehältern standen, erhellten das innere und brachten die Schnitzereien auf den tagenden Balken des Baus zum Vorschein. Kellvian beherrschte die Clansprache nur

Bruchstückhaft, aber nach allem was er wusste, waren die eingeritzten, verschlungenen Symbole ein Segen oder ein Gruß, an jeden, der darunter hindurchschritt. Auch wenn die Gejarn nicht über Magie verfügten, sah man von Relina einmal ab, ein Rätsel, das sie wohl nie lösen würden, waren ihre Rituale und ihr Glaube geprägt von Geistern, Ahnen und Mächten, die wohl auch jemand, der nicht damit vertraut war, leicht mit Zauberei gleichsetzen würde. Mhari führte sie zu einem Vorhang am anderen Ende des Raums, hinter dem bereits aufgeregte Stimmen hervordrangen. Als die Löwin den

Vorhang zurück schlug und die fünf Gestalten eintraten, wurde es jedoch schlagartig still. Das Zimmer, das sie nun betraten, war in etwa kreisförmig und entlang der Außenwände saßen gut vierzig oder fünfzig Gejarn verteilt. Manche auf Stühlen, andere auf Kissen. Kerzen erhellten wie schon im Raum zuvor das Halbdunkel und ließen die ergrauten Haare der Anwesenden glitzern. Auf einen Schlag rissen alle Gespräche ab, während alle Blicke zu den Neuankömmlingen wanderten. Die meisten wanderten kurz über die Gruppe und blieben dann bei Kellvian hängen. Vermutlich erkannte ihn mehr als einer

der Männer wieder. Und vermutlich erinnerten sich auch nicht alle positiv an ihn. Das letzte Mal hatte er diesen Männern und Frauen auf einem Schlachtfeld gegenüber gestanden und versucht, sie zur Vernunft zu bringen. Mhari schritt derweil unbekümmert durch den Raum auf den einzigen, unbesetzten, Platz zu. Manche der übrigen Ältesten drehten sich zu ihr um, warteten aber geduldig, bis sie sich Gesetzt hatte. ,,Kellvian ?“ , fragte eine Stimme. Fenisin saß, von der Tür aus gesehen, vor Kopf. Der alternde Wolf hatte sich etwas vorgebeugt, als wollte er sichergehen, dass ihn seine Augen in

dem schlechten Licht keinen Streich spielten. ,,Ich sagte doch, ich bringe Gäste mit.“ , meinte Mhari und lehnte sich in die Kissen zurück, auf denen sie saß. Kellvian blinzelte verwirrt. Sie hatte gewusst, das sie hierher kamen? Das erklärte zwar, wieso eine Älteste eine einfache Gruppe Wächter begleitete, aber, es ließ auch eine neue Frage aufkommen. Woher ? Und hieß das, sie hatte die ganze Zeit gewusst, wen sie vor sich hatte ? Kellvian hatte einen Verdacht und sah zu Melchior, der Seher zuckte jedoch nur mit den Schultern. ,,Ich bin es.“ , erklärte er daher nur und

trat etwas weiter in den Saal hinein, so dass das Licht der Kerzen auf ihn fiel. ,, Und ich bin hier, um die Ältesten um Hilfe zu bitten.“ Es hatte keinen Sinn, lange darum herum zu reden. Entweder, er bekam sie dazu, sich ihm anzuschließen oder nicht. Das einzige, was er nicht hatte, war Zeit, sich damit lange aufzuhalten. Wenn die Clans ihm nicht halfen, musste er eben nach Helike. ,, Das Kaiserreich, erklärte er. ,, wird angegriffen. Ich wurde von einem meiner eigenen Fürsten, Andre de Immerson hintergangen. Ich denke, das ist euch allen mittlerweile bekannt. Vor wenigen Tagen jedoch, überfiel Andre

und seine Armee, die sich der Aristokratenbund nennen, Vara. Ich entkam aus der Stadt, doch ob sie dem Angriff standgehalten hat, weiß ich nicht. Er ist damit zu weit gegangen. Und ich vertraue darauf, dass ihr weise genug seid zu erkennen, dass auch ihr nicht vor ihm sicher sein werdet. Mit eurer Hilfe jedoch, würde es uns um einiges leichter fallen, ihn wieder in seine Schranken zu verwaisen.“ Und herauszufinden, was in Vara passiert war. Kellvian machte eine ausholende Bewegung mit der Hand, die alle Anwesenden einzuschließen schien. Fenisin hatte er in jedem Fall auf seiner Seite, das wusste er. Auch wenn

eigentlich alle Ältesten das gleiche Stimmrecht hatten, hatten manche definitiv mehr Einfluss als andere. Und Fenisins Empfehlungen beugten sich meist alle, so dass er mehr wie ein König über sie gebot. In diesem Fall jedoch könnte ihre Angst schlicht überwiegen, fürchtete Kellvian. Und wo Mhari stand, wusste er nicht. Die Gejarn saß, nach wie vor zurückgelehnt, auf ihrem Platz. Auch die anderen schienen auf irgendetwas zu warten. Langsam trat Kellvian aus ihrer Mitte zurück zu Melchior und den anderen. ,, Da habt ihr es. Was ich schon die ganze Zeit sage.“ , meinte die Löwin,

sobald er wieder im Halbdunkel verschwunden war. ,, Wir können es uns schlicht nicht erlauben, neutral zu bleiben. Kellvian bestätigt das nur.“ ,, Im Gegenteil.“ , warf ein Ältester ein. ,, Wenn Andre jetzt schon in den Herzlanden steht, müssen wir grade vorsichtig sein. Das hier ist unsere Heimat. Wir können diese Wälder leicht gegen jeden verteidigen, der sich hinein wagt. Solange wir Andre keinen Grund geben, gegen uns ins Feld zu ziehen, sind wir sicher.“ ,,Ihr wollt euch also tatsächlich einfach verstecken und das ganze aussitzen?“ , fragte Syle. Der Bär sah sich fassungslos in der Runde um. ,, Ihr seid hier nicht

sicher und ich fürchte sogar, ihr versteht die Lage einfach nicht. Wenn Andre siegt, wird er nicht nur die Herzlande beherrschen oder sich damit zufrieden geben, sich auf seinem Thron auszuruhen. Er wird nicht aufhören, bis er ganz Canton beherrscht. Das schließt euch ein. Und ich bezweifle, dass ihr ihm euch wiedersetzen könnt, wie ihr es euch vorstellt… Eure einzige Chance ist es, zu vermeiden, dass es so weit kommt.“ Fenisin nickte zustimmend, während er die Hand hob und um Ruhe bat. Der Saal war nach Syles Worten bereits fast Totenstill geworden und so musste er nicht lange

warten. ,, Wir wollen das bedenken.“ , sagte er und fasste dabei der Reihe nach die Anwesenden ins Auge. Kellvian fürchtete, bereits zu wissen, wo rauf das hinaus lief. Konnte der alte Wolf nicht ein Machtwort sprechen? ,, Das ist eine schwere Entscheidung, die ich keinem von euch abnehmen werde. Wir können sie also nur zusammen treffen. Geht jetzt. Eure Ankunft hier, Kellvian, gibt uns allen genug, über das wir Nachdenken müssen. Dieses Gespräch wird später fortgesetzt.“ Fenisin erhob sich. ,, Ich werde unseren Gästen eine Unterkunft suchen und lasse euch Wissen, wann wir uns wieder

treffen.“ Kellvian hätte am liebsten protestiert und gefordert, sie sollten sich noch heute entschieden. Das war doch pure Zeitverschwendung… Aber er wusste auch, dass er sich hier nicht einfach einmischen durfte. Er war nicht in der Lage, die Clans zu irgendetwas zu zwingen. Und das hatte er auch nicht vor. Trotzdem wünschte er, wenigstens schnell Gewissheit zu haben. Fenisin führte sie, zusammen mit Mhari, aus der Halle hinaus und durch die dunklen Straßen der Siedlung.

Kapitel 52 Überzeugung


Fenisin hatte sie zu einer leer stehenden Hütte am Rand der Lichtung gebracht. Offenbar hatte man vorsorglich mehr Gebäude errichtet, als eigentlich nötig waren. Als sie den ausgetretenen Pfaden durch die Siedlung folgten, war es bereits Stockdunkel und nur das Licht einiger Laternen zeigte ihnen den Weg. Der gesamte Ort war ohne ein festes Konzept entstanden und so führte der alte Wolf sie über verschlungenen Wege, an kleineren Hütten und größeren Bauten, die schon mehr richtigen Häusern entsprachen, und Gehegen für

Nutztieren vorbei und sogar ein Stück durch die Felder hindurch, die auf den Freiflächen im Dorf angelegt worden waren. Kellvian musste seine Schätzung korrigieren, als sie den Waldrand erreichten. Er war davon ausgegangen, dass wohl rund eintausend Gejarn hier sein mussten, aber unter den Bäumen erstreckte sich das Dorf noch sehr viel weiter, als er anfangs gedacht hatte. Die Lichter, die im Schatten unter den Zweigen glühten, zogen sich bis in die Ferne und wirkten dort beinahe wie Glühwürmchen. Es waren wohl eher zwei, wenn nicht dreitausend Leute hier… Das Innere des Hauses, zu dem Fenisin

sie brachte, war zweckmäßig eingerichtet. Schlafstellen aus Stroh, die sich im einzigen , abgetrennten Raum befanden und einige grobe Holzmöbel, wie ein einfacher Schrank und ein Tisch, welcher der Gruppe grade noch genug Platz bot. Syle entzündete eine von der Decke hängende Öllampe, bevor sie alle Platz nahmen. Fenisin hatte offenbar veranlasst, das man ihnen etwas zu essen brachten, denn kaum hatte Kellvian sich gesetzt, als es auch schon an der Tür klopfte. ,,Kommt rein.“ , reif Fenisin nach draußen. Der Gejarn der eintrat, trug eine Zinntopf mit sich, in dem irgendeine Suppe noch vor sich hin

kochte und einige Krüge, die er alle auf dem Tisch abstellte. Der Älteste bedanke sich kurz und entließ den Mann dann, der so schnell wieder verschwand, wie er gekommen war und die Tür hinter sich zuzog. ,,Sagt einmal, sind eigentlich alle eure Ältesten als Opportunisten geboren oder erzieht man euch so ?“ , platzte Lucien heraus, sobald sie alleine waren. Der Agent schien die Frage durchaus ernst zu meinen, auch wenn man sich bei ihm wohl nie ganz sicher sein konnte. Während er auf eine Antwort wartete, zog er einen der Krüge an sich und sah kurz hinein. Kellvian tat es ihm gleich. Es handelte sich um Bier. Vermutlich

aus den letzten Tauschgeschäften eines der anwesenden Clans. ,, Das ist bedauerlicherweise wohl der Eindruck, den ihr von uns gewinnen müsst. Versteht… die meisten haben auf genau diese Art seit Jahrhunderten überlebt. Sie haben bloß Angst, sich in etwas zu stürzen, das uns leicht alle um Kopf und Kragen bringen kann. Und die, die sich letztes Jahr offen gegen das Kaiserreich gestellt haben…“ Die gelblichen Augen des Wolfs richteten sich auf Kellvian. ,,Ihr habt manche von ihnen dadurch gedemütigt, das ihr sie zum Aufgeben gezwungen habt. Sie werden kämpfen und ihre persönliche Abneigung zurückstehen lassen. Aber

nur, wenn sie sehen, das sie ansonsten selber in größere Gefahr geraten.“ ,,Narren.“ , murmelte Melchior. Der Seher hatte die Augen niedergeschlagen und Kell war schon halb überzeugt gewesen, er sei auf seinem Platz eingeschlafen. ,, Kellvian hat ihnen das Leben gerettet, ob sie das Wahr haben wollen oder nicht. Und jetzt versuchen wir es wieder. Die Blindheit, die mit Arroganz daher kommt, überrascht mich immer wieder.“ Fenisin hatte sich derweil zurück gelehnt und Mhari stellte ihm eine Frage. Zumindest hörte es sich für Kellvian wie eine an. Die wenigen Fetzen, die er von der Clansprache verstand reichten nicht

aus, den Sinn der Worte zu enträtseln. Syle jedoch saß mit plötzlich düsterer werdender Mine da. ,, Und ob ihr euch vor uns rechtfertigen müsst.“ , brummte er. ,, Vielleicht nicht vor Lucien, er weiß meist ohnehin nicht, was er sagt…“ ,, Hey.“ Der kaiserliche Agent ließ den Bierkrug zurück auf den Tisch fallen. ,, Das ist nicht nett…“ Syle fuhr einfach fort, als hätte er ihn nicht gehört. ,, Aber wenn ihr einfach darauf wartet, das wir diese Schlacht ohne euch und für euch schlagen, könntet ihr uns zumindest erklären, wieso.“ ,,Mich würde schon einmal interessieren,

wieso ihr das Treffen heute abgebrochen habt.“ , fügte Kellvian hinzu. ,, Ich bin ehrlich. Ich stehe unter Zeitdruck, Fenisin. Wenn ich die Hilfe der Clans nicht bekomme, muss ich weiter nach Laos ziehen und dort nach Verbündeten suchen.“ ,,Ich glaube ihr versteht wenig, wie unsere Politik funktioniert.“ Der Gejarn ließ den Krug sinken. ,, Im Moment versuchen alle noch auszuloten, wo sie stehen. Was Lucien als Opportunismus bezeichnen mag… ist für uns logische Konsequenz. Die meisten Clans sind klein. Wenn wir uns nicht alle auf einen gemeinsamen Nenner einigen können, könnten sich einige davon miteinander

verwerfen. Es gibt schon genug Blutfehden unter uns. Teilweise ziehen die sich sogar über Generationen hin, bis die Urenkel vergessen, worüber sie eigentlich streiten. Das wollen die Ältesten vermeiden. Was ich damit sagen will ist folgendes : Sind die meisten jetzt noch dafür, erst einmal neutral zu bleiben, könnten sie Morgen schon zu dem Schluss kommen, ihnen sei besser gedient, wenn wir uns doch einmischen. Euer Auftauchen hier ist eine völlig neue Variable. Vielen wird eure Anwesenheit vielleicht schon Entscheidungshilfe genug sein.“ ,, Würdet ihr so eine Entscheidung den überhaupt akzeptieren ?“ , wollte Mhari

da von Kell wissen. Die Löwin hatte eines der zahlreichen Amulette von der Kette an ihrem Hals gelöst und drehte den Talisman zwischen den Fingern. Es war eine blaue Glasscheibe. Zumindest wirkte es auf Kellvian wie Glas. Sie wirkte entspannt, aber irgendetwas in ihrem Blick verriet, das sie seine Antwort genau prüfen würde. ,, Und bitte. Versucht erst gar nicht mich anzulügen. Ich merke so etwas. Und ich mag es nicht besonders, wenn man unehrlich zu mir ist.“ Die Drohung war deutlich. Und Kellvian hatte das ungute Gefühl, das sie diese auch wahrmachen würde. Syle rückte auf seinem Platz etwas vom Tisch ab und

tastete nach dem Gewehr, das er an der Hauswand abgestellt hatte. Sie war nur eine einzelne Gejarn und sie zu viert. Zu fünft, den Fenisin würde so etwas wohl nicht zulassen. Trotzdem, dachte Kellvian, warnte ihn irgendetwas in seinem Inneren vor dieser Frau. Der ruhige Punkt in seinem Verstand, der den Sitz seiner Magie darstellte. Beinahe als hätte ihm jemand einen Eiszapfen zwischen die Augen getrieben. Mhari war mehr, als sie nach außen durchscheinen ließ. ,,Ja.“ , antwortete er . ,, So schwer es mir auch fallen würde, ohne eure Hilfe abzuziehen, ich würde das Urteil der Ältesten annehmen. Sollte Andre besiegt

werden und ich den Sieg davon tragen… hättet ihr deshalb keine Nachteile zu erwarten.“ Mhari schien mit der Antwort nicht ganz zufrieden. ,,Gut.“ , erklärte sie. ,, Aber…“ ,,Aber,“ , fügte er hinzu. ,, Sollte Andre siegen, habt ihr diese Garantie nicht. Im Gegenteil. Ich warne euch und werde diese Warnung auch noch einmal vor den anderen Ältesten wiederholen: Diesen Mann werden eure angestammten Rechte nicht kümmern. Noch weniger, wenn er zu dem Schluss kommt, ihr wärt eine Gefahr für seine Herrschaft. Ihr Bestraft euch im Zweifelsfall selbst bereits

genug.“ Während er sprach, hatte sich ein schwaches Lächeln auf dem Gesicht der Gejarn ausgebreitet. ,,Sehr gut. Ich fürchte aber, das wird dabei weitem nicht alle Überzeugen. Ihr braucht… etwas, das sie nicht ignorieren können.“ ,, Und was soll das sein ?“ , fragte Kellvian. Nicht noch mehr kryptische Andeutungen und Rätsel. Statt einer Antwort jedoch bedeutet sie ihm nur, die Hand auszustrecken. Zuerst, wollte er fragen, wozu, dann jedoch besann er sich eines Besseren. Er tat es einfach. Mhari drückte ihm das blaue Amulett in die Hand, das sie schon die

ganze Zeit hielt. ,,Ihr werdet es wissen, wenn es so weit ist, glaube ich.“ , meinte sie nur, während er die Finger um den Talisman schloss. Das Glas war kälter, als er erwartet hatte. ,, Bei mir ist Melchior eigentlich für die unverständlichen Hinweise zuständig.“ , gab er leicht ungehalten zurück. ,, Trotzdem, danke.“ Er ließ die blaue Glasscheibe, an der ein einfaches Band aus geflochtenem gras befestigt war, in seiner Tasche verschwinden. Mittlerweile war Kellvian sich sogar sicher: Diese Frau war mehr, als sie vorgab zu sein. Nur was das war… Konnten Gejarn Seher sein? Melchior sagte immer, die Völker

des Eises verfügten über ihre eigene Form von Magie. Vielleicht eine Art , die auch ein Gejarn erlernen konnte ? ,, Würdet ihr mir verraten, woher ihr stammt ?“ , fragte Melchior da. ,, Eine seltsame Frage. Ich komme tief aus dem Süde. Aus der Nähe von Erindal um genau zu sein.“ ,,Das ist weit..“ , bemerkte Syle. ,, Trotzdem bin ich hier. Vor einigen Wochen passierte die kaiserliche Garde unser Land. Die gesamte Armee, wie es aussah. Seitdem wissen wir, dass es Ärger gibt und ich habe mich bereits früh auf den Weg in die Herzlande gemacht. Immer der Spur der Armee nach. Bis ich dann erfahren habe, das

Fenisin bereits alle Ältesten zusammenruft.“ ,, Also wart ihr einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“ , stellte Lucien fest. Mhari nickte. ,,So wie heute…“ , fügte der Agent hinzu. ,, Woher wusstet ihr, das wir kommen ?“ ,,Glaubt ihr wirklich, wir hätten nur diesen einen Spähtrupp ?“ , antwortete sie selbstsicher. ,, Wenn jemand unser Land betritt, wissen wir das Tage bevor er uns sieht.“ ,,Nein.“ , gab er zu. Trotzdem kaufte Lucien ihr das nicht ganz ab, das konnte Kellvian schon an seinem Gesicht sehen.

Er glaubte ihr ja selber nicht völlig. ,,Ihr habt bei der Versammlung gesagt, Vara wurde angegriffen.“ , wechselte Fenisin das Thema. ,, Ist das der Grund, aus dem nur ihr vier zu uns kommt ?“ ,, Ich fürchte es. Wir wissen nicht, ob die Stadt wirklich gefallen ist oder nicht. Aber fürs erste, können wir ohnehin nicht dorthin zurück.“ Kellvian wollte nicht, das der Wolf vielleicht eine Nachricht dorthin schickte. Dann würde man versuchen, ihn zu finden und er könnte nicht zulassen, dass sich die gesamte Garde auf der Jagd nach ihm zerstreute. Es gab wichtigeres. ,, Ich hoffe mit Verstärkung zurück zu kehren. Im Augenblick hoffe ich eben auf die

Hilfe der Gejarn.“ ,, Was wurde aus den anderen ? Jiy ?“ ,,Ähm…“ Kellvian räusperte sich. ,, Ich bin mir sicher, dass sie lebt, falls ihr das meint. Und vielleicht sollte ich erwähnen, dass wir…mittlerweile verheiratet sind. Auch wenn die Zeremonie leider recht unsanft beendet wurde.“ Fenisin begann lediglich unkontrolliert zu Lachen. ,, Geister, ihr hättet euch grade hören sollen… Was habt ihr eigentlich erwartet, was ich tue?“ Kellvian befürchteter schon, der Alte würde sich im wahrsten Sinne des Wortes totlachen. Schließlich jedoch verstummte er, nach wie vor

grinsend. Mhari ergriff das Wort, während Fenisin nach wie vor nach Luft schnappte. ,,Wir werden versuchen, so viele der anderen zu überzeugen und die Ältesten dann wieder zusammenrufen. Das wird jedoch ein paar Tage dauern. Wie Fenisin schon sagte… wir müssen sie auf dem richtigen Fuß erwischen.“ ,, Verstehe. Und wie lange genau werden wir warten müssen? Wie gesagt ich kann es im Augenblick nicht riskieren, Zeit zu verschwenden. Das ist das einzige, was mir überhaupt bleibt.“ ,,Genau kann ich das nicht sagen.“ , antwortete der Wolf. ,, Aber ihr seid solange unsere Gäste. Und solltet ihr

euch entscheiden uns vorher zu verlassen, werden wir auf eigene Faust nach Vara ziehen. Vorausgesetzt, die Versammelten Ältesten stimmen dafür.“ ,, Das ist alles, worum ich euch bitten kann…“ Fenisin nickte und erhob sich schließlich. Mhari tat es ihm gleich, bevor sich die beiden Ältesten verabschiedeten und in der Nacht verschwanden. Kell und die anderen blieben am Tisch zurück, jeder den eigenen Gedanken nachhängend. Die Ironie der Situation entging Kellvian nicht. Er hatte einmal alles daran gesetzt, die Clans zu einem Frieden zu zwingen. Jetzt , so schien es, musste er

das genaue Gegenteil tuen. Und im Gegensatz zu damals stand ihm nur sein eigenes Wissen zur Verfügung, keine Magie… Sie einzuschüchtern wäre einfacher. Kellvian schüttelte den Gedanken ab, bevor er sich festsetzen konnte. Das würde er nicht einmal tuen, wenn er dazu in der Lage war. Er hatte Mhari die Wahrheit gesagt. Er würde die Clans frei entscheiden lassen. ,, War es das, was ihr geplant habt, Melchior ?“ , fragte er an den Seher gerichtet. Der Alte blickte zu einem offenen Fenster, von dem aus man die Siedlung überblicken konnte. Eine Weile glaubte Kell, er würde einfach nicht antworten,

dann seufzte er schwer: ,, Wir tuen alle nur, was wir glauben tun zu müssen. Ihr werdet sie überzeugen müssen, Kellvian.“ Das war zwar keine wirkliche Antwort auf seine Frage, aber fürs erste, gab er sich damit zu Frieden. Blieb nur das wie?

Kapitel 53 Geisterwasser


Nach zwei Wochen ohne eine Antwort, wurde Kellvian langsam unruhig. Mochte sein, das sie hier Gäste waren, aber er würde diese Gastfreundschaft nicht länger strapazieren als nötig. Und wenn Fenisin nicht bald eine Entscheidung der Ältesten erzwang, könnte er nicht mehr warten. In der Zeit, die sie nun schon hier waren, hätten sie bereits einen Hafen erreichen können… Und doch hielt ihn irgendetwas noch vom Aufbruch ab. Die Zeit des Wartens vertrieb er sich hauptsächlich damit, sich in der Siedlung umzusehen. Seine

Ankunft hier hatte sich wohl schon herumgesprochen, denn die meisten Gejarn, denen er begegnete, erkannten ihn recht schnell. Anfangs machten die meisten einen großen Bogen um ihn. Erst, nachdem die Bewohner der Siedlung merkten, dass sie sich offenbar mit ihm unterhalten konnten, ohne dabei ihren Kopf zu verlieren, wurden sie etwas aufgeschlossener. Die meisten nahmen ihn Freundlich auf , duldeten ihn schweigend und fragten auch bald gar nicht mehr, wenn er ihnen zur Hand ging, um sich etwas die Zeit zu vertreiben. Die Felder, die sich, als Schutz vor Wildtieren, vor allem im Zentrum der Siedlung befanden, waren

bereits Erntereif. Viele Gejarn verwendeten zur Ernte jedoch keine Sicheln oder Sensen. Stattdessen trennten sie die Halme sauber, Reihe für Reihe, mit einer scharf zu geschliffenen Kralle ab. Kellvian konnte nur staunend zusehen, wie sie dabei sogar die Arbeiter überholten, die auf Werkzeuge zurückgriffen und er konnte nicht einmal hoffen, halb so viel Arbeit in der doppelten Zeit zu schaffen. Am Nachmittag erklärte man ihm schließlich, dass sie ohne ihn tatsächlich schneller wären. Kellvian nahm es mit einem Grinsen zur Kenntnis. Dass sie sich trauten, ihm das ins Gesicht zu sagen, war schon ein gutes Zeichen.

Zumindest sah er es so. Er wollte ganz sicher nicht, dass die Leute Angst vor ihm hatten, nur weil er nun mal war, wer er war. Und so beteiligte er sich weiterhin am alltäglichen Leben in der Siedlung, durfte ab und an auch einmal Handreichungen erledigen oder Mhari zur Hand gehen. Offenbar hatte die Älteste auch den Rang der Dorfheilerin inne, zumindest, solange sie hier war, und bewohnte eine Hütte, die sich bereits unter den Lichtundurchlässigen Zweigen des Waldes befand. Als er das Haus das erste Mal betrat, hatte er sich noch über das Durcheinander aus Kräutern, Pilzen und sogar Mineralien gewundert, die zum Trocknen von der

Decke oder aufgereiht auf Arbeitsplatten und Regalen lagen. Kellvian hatte jedoch sehr schnell festgestellt, das Mhari offenbar ganz genau wusste, wo was war. Die Gejarn war flink wie ein Wiesel, wenn es darum ging, die richtigen Zutaten für eine bestimmte Medizin zusammen zu suchen. Irgendwie war er davon überzeugt, dass grade Erik hellauf begeistert gewesen wäre, wenn er das hier gesehen hätte. Und für ihn selber war es nicht weniger faszinierend, ihr zuzusehen. Die Gejarn hatte ihr Handwerk definitiv gemeistert. Seine Gabe erlaubte es ihm, nach wie vor, auch die Verletzungen und Krankheiten zu kurieren, mit denen die

Gejarn sonst überfordert wären. Wodurch er langsam aber sicher zu einem bekannten und gern gesehenen Gesicht im Dorf wurde. Trotzdem drängte die Zeit schlicht, dachte er, während er an diesem Tag erneut das Haus der Ältesten betrat. Mhari war wie immer dabei, irgendetwas zuzubereiten. Dieses Mal jedoch, gebot sie ihm, mit einer Handbewegung, zu bleiben wo er war, noch bevor er die Türschwelle ganz hinter sich hatte. Sie musste ihn wohl schlicht kommen gehört haben, dachte er. Die Überzeugung, dass sie mehr war, als sie zuzugeben bereit war, war in den letzten Tagen beständig geschrumpft. Vielleicht war Mhari etwas seltsam, aber

definitiv nicht gefährlich. ,, Einen Moment.“ , meinte sie , während er wieder durch die Tür nach draußen trat. Das Handzeichen war unschwer zu deuten. ,, Was macht ihr ?“ , fragte er neugierig. ,, Etwas, das eigentlich nicht für Außenstehende gedacht ist…“ Von seinem Platz an der Tür konnte er nur erkennen, dass sie irgendein Pulver in einem Mörser zerrieb und dann in einer klaren Flüssigkeit auflöste. Halb hinter einem durchscheinenden Vorhang verborgen konnte er jedoch nur raten, um was es sich dabei genau handelte. Der scharfe Geruch von reinem Alkohol stieg ihm in die

Nase. ,,Gut, jetzt kommt rein.“ , erklärte die Gejarn und Kellvian tat, wie geheißen. ,, Also, könnt ihr mir verraten, was ihr hier tut, das so Geheim ist ?“ ,, Es ist nicht wirklich so geheim. Aber einige der Zutaten sind es.“ Mhari schmunzelte. Sie hielt einen kleinen Kristall-Flakon in der Hand, in dem sich grade noch die Überreste eines violetten Pulvers auflösten. ,, Das ist.. ich denke die beste Übersetzung in eure Sprache wäre Geisterwasser.“ ,, Und wozu genau ist das gut ?“ ,, Manche würden sagen, für gar nichts. Andere, für alles.“ ,, Das ist so was von überhaupt nicht

hilfreich.“ ,, Vielleicht stellt ihr einfach die falschen Fragen.“ ,, Also gut… Wozu wird es verwendet? “ Die alte Löwin lachte. ,, Die Gejarn folgen nicht den Göttern des Kaiserreichs oder denen der Nordvölker… oder der Kulte im Süden, was das angeht. Das wisst ihr ?“ Er nickte. ,, Ich weiß, das viele Gejarn ihre Ahnen verehren. Oder sogar als Wiedergebruten dieser… erkannt werden können. Auch wenn ich nicht ganz Verstehe, wie so etwas möglich sein soll. Die einzigen, die je dazu in der Lage waren, ihre Seelen über den Tot hinaus auf Erden zu halten, waren die Magier

des alten Volkes.“ ,, Und doch, kommt es vor. Die Ahnen selbst geben sich manchmal zu erkennen. Wisst ihr, was ein Seelenbaum ist?“ Kellvian schüttelte den Kopf. ,, Ich habe davon gehört, aber nie selber einen gesehen.“ Mhari nahm es mit einem Brummen zur Kenntnis, während sie einige Mohnkapseln aufschnitt und Körner wie Milchsaft mit dem Wasser vermischte. ,, Man könnte sagen, es sind Ankerplätze für die Seelen.“ Sie drehte den Kopf in seine Richtung. ,, Das hier erlaubt es einem angeblich, damit in Verbindung zu treten.“ ,,Verzeiht. Ich will nicht unhöflich sein,

aber… für mich klingt das mehr, als würdet ihr im Rauch irgendwelche Halluzinationen sehen.“ ,, Und deshalb, Kell, sagte ich ja bereits, kann das hier entweder alles bewirken… oder gar nichts. Es kommt auf den Blickwinkel des Betrachters an. Ich habe gestandene Männer gesehen, die nach einem Schluck und ein paar Minuten Zeit, heulend und zitternd am Boden lagen. Und andere, die ihr Leben lang rastlos waren, waren danach plötzlich ein Pol der Ruhe. Und bei wieder anderen bewirkt es nichts, als das sie sich wie Tölpel verhalten. Und wenn es nicht richtig zubereitet ist… habe ich auch schon einige daran sterben sehen.

Sie hören einfach auf zu Atmen. Von jetzt auf gleich.“ ,, Und ihr gebt es ihnen trotzdem einfach so ?“ Die Gejarn lachte. Ein seltsamer Klang, der ihn irgendwie an eine uralte Stimmgabel erinnerte, die jemand anschlug. ,, Kindchen. Ihr stellt Fragen…“ Sie musterte ihn einen Augenblick, als wüsste sie nicht, was sie von ihm halten sollte. ,, Es ist den Ältesten vorbehalten, das Geistwasser zu trinken… und sich dem zu stellen. Manchmal erlaubt es denen, die es annehmen, die Dinge etwas klarer zu sehen.“ ,, Das heißt, das hier ist für die Ältesten

vorgesehen ?“ Mhari nickte. ,, Fenisin hat mich darum gebeten.“ Sie nahm ein Stück getrocknete Rinde aus einem Regal und zerrieb diese mit einer Feile. ,, Und was ihr da grad habt…“ ,, Akazienrinde. Aus dem Süden. Ich habe sie selbst mitgebracht. Die Gejarn im Norden verwenden manchmal Fliegenpilze als Ersatz. Das hat aber meist mehr… unerfreuliche Wirkungen zur Folge. Wenn ihr mich entschuldigen würdet, ich habe noch einiges vorzubereiten. Und ihr versteht sicher, wenn ich einen Teil der Zutaten geheim

halte…“ ,,Natürlich.“ Er wendete sich zum Gehen. ,, Nur eine Frage hätte ich noch. Gibt es hier irgendwo Geisterbäume?“ Mhari nickte. ,, Im Norden der Siedlung gibt es einen Hain. Ich wäre allerdings vorsichtig, wenn ich ihr wäre. Solltet ihr euch alleine dorthin wagen… Nicht alle unsere Ahnen sind freundlich. Haltet euch heute Abend also besser fern…“ ,, Sie setzten sich also wirklich unter Drogen ?“ , fragte Lucien, als sie sich am Abend wieder alle trafen. Das Haus, das Fenisin ihnen zur Verfügung gestellt hatte, diente ihnen meist nur als Schlafplatz. ,, Nun ich denke, jedem das

seine, wie ?“ ,, Ich würde nicht so leichtfertig über Dinge spotten, die wir noch nicht ganz verstehen.“ , ermahnte Melchior ihn. ,,Nun, wenn die Ältesten morgen alle mit einem Kater aufwachen, wissen wir es.“ , gab der Agent schnippisch zurück und schnappte sich einen halb vollen Bierkrug vom Tisch. Syle und Kellvian saßen derweil draußen. Unter einem Vordach war eine schlichte Bank aufgestellt und der Boden mit simplen Holzplanken ausgelegt worden. Mit dem Abendrot waren auch dunkle Wolken aufgezogen. Die ersten Regentropfen fielen auf die staubigen Pfade nieder, die das Dorf durchzogen.

Dunst stieg auf, während das Wasser sich in kleinen Pfützen sammelte und begann, in Strömen vom Dach hinab zu rinnen. Kells Gedanken schweiften von dem Gespräch mit Mhari ab zu den Problemen, für die er nach wie vor keine Lösung sah. Und allem, was das mit sich brachte. Es war einer der Momente, in denen er bereit war, Melchiors Warnungen in den Wind zu schlagen und sich auf den schnellsten Weg nach Vara zu machen. Er wusste mittlerweile, dass die Stadt dem Angriff standgehalten hatte. Die Gejarn hatten im ganzen Land Späher. Das war zumindest eine gute Nachricht. ,,Ich mache mir trotzdem Sorgen um

sie, Syle.“, gestand er. ,, Man möchte meinen, ich hätte langsam gelernt, das es eigentlich sinnlos ist, sich groß Gedanken um Jiy zu machen.. und ich bin davon überzeugt, dass es ihr gut geht…“ Schon alleine um bei verstand zu bleiben. ,, Aber ich kann nicht aus meiner Haut. ,, Und trotzdem müssen wir die Clans für uns gewinnen, Herr. Oder ?“ Kellvian nickte, bevor er gedämpft hinzufügte: ,, Vielleicht ist das genau, was Melchior will. Je eher ich das also schaffe…“ Er zuckte mit den Schultern. ,, Erst rede ich den Gejarn einen Krieg aus… jetzt muss ich sie in einen führen.“ Syle legte ihm eine Hand auf die

Schulter. Für einen kurzen Moment schien er mehr Freund als Wachmann. Einer der wenigen Augenblicke, in denen er einmal nicht ganz der Militär zu sein schien. ,, Das Schicksal hat einen schrecklichen Sinn für Humor.“ ,, Wem sagt ihr das. Ich wünschte nur, ich könnte irgendetwas tun, das unsere Chancen erhöht. Anstatt hier nur zu warten.“ ,, Ihr könntet zum Treffen der Ältesten gehen.“ , meinte da eine Stimme hinter ihm. Melchior war aus der Tür der Hütte unter das Vordach getreten und stand, nur als Silhouette sichtbar, im Schein, der aus den Fenstern drang. ,, Wir müssen ihnen deutlich machen, das die

Entscheidung bald… und zu unseren Gunsten fallen muss. Wenn sie benebelt sind, lassen sie sich vielleicht zu etwas überreden, dem sie niemals bei klarem Verstand zustimmen würden. Kein Ältester jedoch, würde ein einmal gegebenes Wort so einfach zurückziehen.“ ,, Das wäre Betrug, Melchior.“ , antwortete Kellvian nur. ,, Und wenn ich sie mir durch einen Trick verpflichte umso schlimmer. Vielleicht ist es so, wie ihr sagt und sie würden Kämpfen. Aber sie würden mit Hass auf mich kämpfen. Ich könnte mich nie ganz auf sie verlassen.“ Si rational diese Argumente wahren, die

einfachste Antwort, warum er dagegen wäre war… das es schlicht nicht richtig erschien. So viel Zeit es ihm auch sparen würde, er wollte sich, falls sie das alles Überlebten, danach noch im Spiegel in die Augen sehen können. Diese Hürde würde er auch noch nehmen. Lucien würde wohl darüber lachen, aber Kellvian hatte am eigenen Leib erlebt, wie es war, mit einer Schuld zu leben, die durch nichts wieder gut zu machen schien. Trotzdem, konnte der Versuch, noch einmal mit den Ältesten zu reden, sicher nicht schaden. Oder ? ,, Würden sie das dulden ?“ , fragte er an Syle gerichtet. ,, Einen ungeladenen Menschen, bei ihrem treffen

?“ ,, Ihr seid ein Bittsteller.“ , meinte der Bär nachdenklich. ,, Sie werden euch vielleicht wegschicken. Sofern ich weiß, ist das das Wahrscheinlichste. Aber zumindest dürfte es unsere Situation nicht verschlechtern. Als Gast, kann man nicht erwarten, das ihr alle Gepflogenheiten und Regeln der Clans kennt oder Befolgt.“ ,, In diesem Fall, weiß ich, was ich tuen werde.“

Kapitel 54 Der Hain


Das Treffen würde wohl bei den Geisterbäumen stattfinden. Kellvian wusste, dank Mhari, ungefähr, in welche Richtung er gehen musste. Und irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, sie könnte ihm nur deshalb überhaupt davon erzählt haben. Die Älteste war mindestens so undurchsichtig wie Melchior. Bisher hatte er sich durch sie nur einmal bedroht Gefühlt und da hatten ihm ein dutzend Gejarn ihre Schwerter an die Kehle gehalten. Trotzdem tat er wohl gut daran, sie nicht zu unterschätzen. Das Gefühl, als wollte

ihn irgendetwas Warnen, wenn er ihr gegenüberstand, war nach wie vor Präsent. Allerdings warnte es sie nicht vor ihr, das wusste er irgendwie. Aber was löste es dann aus? Vielleicht eher, was sie war… Der Gedanke brachte ihn, trotz der warmen Nacht, zum frösteln. Er hatte mittlerweile die äußeren Ausläufer der Siedlung erreicht, die bereits mit dem Wald verschmolzen und trat grade über die Lichtgrenze der letzten Gebäude hinweg, in die Dunkelheit unter dem Blätterdach. Blieb die Frage, wie er den richtigen Ort finden sollte. So wie Mhari davon gesprochen hatte, würde er die Bäume

wohl erkennen, aber erst einmal musste er immer noch hinkommen. Trotz der späten Stunde war der Wald nicht völlig finster. In regelmäßigen Abständen brannten kleine, schwächliche, blaue Flammen an den Baumstämmen. Zuerst konnte Kellvian nicht erkennen, woher sie stammten, bei näherkommen, konnte er jedoch sehen, dass jemand eine scharfkantige Metallschale in die Baumrinde gerammt hatte. Harz floss in einem trägen, tröpfelnden Strom in die Schale und verbrannte dort. Langsam, um nicht über eine im Schatten verborgene Wurzel zu stolpern, folgte er dem Band aus Lichtern tiefer in die Wälder. Zweige zerbrachen unter

seinen Füßen. Der Klang war in der vollkommenen Stille, die ihn umgab, so laut wie ein Peitschenhieb. Und nach wie vor führte in die Leuchtende Spur weiter von der Siedlung weg. Die Hütten waren mittlerweile nicht einmal mehr als ferner Lichtschimmer zu erkennen, während die Stämme der Bäume hier noch dichter beieinander standen. Mittlerweile musste Kellvian die Lichter suchen und befürchtete schon, sie könnten erloschen sein, bevor er sein Ziel fand. Wenn sie überhaupt dorthin führten. Dann jedoch, so plötzlich, das er es erst bemerkte, als er schon im Kniehohen gras stand, lichteten sich die Wälder und gaben den Blick frei auf eine große Wiese. Im

Mondlicht schimmerten Tautropfen auf den sich im Wind wiegenden Halmen. In der Ferne konnte er weitere Lichter erkennen, welche die Stämme einer weiteren Baugruppe zum Leuchten brachte, die sich alleine im Zentrum der Lichtung befand. Allerdings waren sie anders, als alles, was er bisher gesehen hatte. Auf den ersten Blick schienen sie alle tot u sein. Nicht mehr als bloßes Holz ohne Blätter oder einen Hinweis auf Leben. Die Rinde war längst abgeschliffen worden und hatte nur vollkommen weiße, ausgebleichte Skelette zurück gelassen, die wie Hände zum Himmel aufragten. Trotzdem gab es kein Zeichen von Verfall, oder das einer

der Bäume, die in einem Halbkreis beisammen standen, überhaupt Verfaulte, wie es sich für totes Holz gehören würde. Im Gegenteil. In den Zweigen hatte jemand dutzende von Windspielen befestigt. Es gab Röhren aus Glas oder Metall, die bei jeder Briese aneinanderschlugen und die Umgebung mit glockenhellem Klang erfüllten. Dazu kam eine Unzahl an Amuletten und Talismanen. Glasanhänger in kunstvollen Formen und den verschiedensten Farben. Kell wurde etwas klar. Beim Näherkommen zog er das Amulett, das Mhari ihm gegeben hatte von der Kette an seinem Hals, an der auch nach wie vor das gesplitterte

Juwel hing. Wie er gehofft hatte, war er nicht alleine hier. Mehr als dreißig Gestalten saßen oder standen um die Geisterbäume verteilt, unterhielten sich gedämpft oder sahen auf die kleinere Lichtung zwischen den toten und trotzdem offenbar lebendigen, Stämmen hindurch. Als sie ihn erkannten, rief einer etwas über die Schulter, woraufhin Fenisin zaus den Schatten hervortrat. Der Älteste schien nicht überrascht ihn zu sehen. ,, Kellvian… Warum hatte ich das Gefühl, das ihr heute noch auftauchend würdet?“ ,, Vielleicht haben eure Ahnen euch etwas verraten.“ , antwortete er und

versuchte es nicht sarkastisch klingen zu lassen. Jetzt klang er schon wie Lucien. Aber auf seine Art, war er skeptisch. Fenisin jedoch hatte es wohl gemerkt und lachte. ,, Rituale… sind Rituale Ohne sie haben wir keine Identität mehr. Was immer ihr auch sonst davon halten mögt, das könnt ihr uns wohl zu gestehen.“ ,, Ihr zwingt niemanden dazu.“ Kell sah an dem Ältesten vorbei und sah zu den Geisterbäumen. ,, Es liegt also nicht an mir, darüber zu urteilen, würde ich es wollen.“ Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Ältesten, während Kellvian einen Schritt auf den Hain zu

machte. ,, Ich sehe ich werde es nicht bereuen, euch vor der Adelsversammlung unterstützt zu haben.“ ,, Und doch habe ich für vieles, das ich heute weiß… teuer bezahlen müssen.“ Er suchte einen freien Ast und band, vorsichtig um das Holz ja nicht aus Versehen zu beschädigen, das Glasamulett darum. Selbst wenn Mhari ihm nichts über diesen Ort verraten hätte, allein die Atmosphäre verriet seine Bedeutung. Er fühlte sich so friedlich wie selten sonst. Und das lockerte ihm wohl die Zunge. ,, Man kann von einem leben ohne Prüfungen keine Erkenntnis erwarten.

Ich sehe, ihr scheut wenig davor zurück.“ Kellvian seufzte. ,, Wenn ich ehrlich bin, ich wünschte, ich müsste es nicht. Götter, ich beneide manchmal jeden, der diese Erfahrungen nicht machen muss. Und doch würde ich für mich persönlich nichts ungeschehen machen. Ich brauche die Hilfe der Clans, Fenisin und ich brauche sie bald. Ihr hattet eure Zeit. Werdet ihr mich noch einmal mit eurem Ältestenrat sprechen lassen?“ ,, Sie werden erst später kommen, wenn ihr darauf gehofft habt, sie hier abzufangen. Was wir hier tuen kann sich durchaus bis zum Morgengrauen

hinziehen.“ ,, Dann warte ich eben so lange.“ , erwiderte er. Fenisin brummte etwas und sah zwischen den Bäumen hindurch auf die andere Seite der Lichtung. Der Älteste verschränkte die Hände hinter dem Rücken und schien über irgendetwas nachzudenken. ,, Ich frage mich ob…“ Er berührte das Amulett, das Kellvian in die Zweige gehängt hatte. Sein Blick bekam etwas Fernes. Kell fragte sich insgeheim, ob er vielleicht bereits Geisterwasser genommen hatte. Dann jedoch sah er wieder zu dem Menschen herüber. ,, Sagt mir, wenn ich euch einlade, heute

Teilzunehmen, würdet ihr es tun ?“ ,,Ja.“ Kellvian antwortete, bevor er richtig darüber nachgedacht hatte. Die Antwort erschien richtig. Und er hatte nichts zu verlieren. ,, Dann hatte Mhari recht.“ , murmelte der Älteste. ,, Bitte ?“ ,, Nichts.“ Er winkte ab. ,, Ihr wisst, das es eine, wenn auch geringe, Chance gibt, das ihr sterben könntet ?“ Kellvian nickte. ,, Dann solltet ihr auch wissen das es, sobald ich den Kreis betretet, den die Geisterbäume beschreiben, für euch kein Zurück mehr gibt. Viele haben Angst. Und bis zu diesem Punkt gestatten wir es

jedem, frei dazu zu stehen. Dahinter, müsst ihr sie kontrollieren. Oder sie kontrolliert euch und wenn das geschieht… Sorgt dafür, dass es nicht dazu kommt. Seid ihr euch immer noch sicher?“ Statt einer Antwort trat er lediglich zwischen den ausgebleichten Hölzern hindurch. Die Entscheidung war schon gefallen, als er hierhergekommen war. Ob es ihm etwas brachte, wusste er nicht. Aber sein hier sein war eingefädelt worden. Jetzt musste er wissen, wieso. Fenisin folgte ihm in die tiefen Schatten unter den Zweigen. Obwohl diese keine Blätter hatten, blockten sie das

Mondlicht völlig aus. Kell schob es auf einen Zufall, der die Zweige fast genau überlagernd hatte wachsen lassen. Auf dem Boden hatte sich kein Gras gehalten. Es gab nur nackte, von hunderten Füßen festgestampfte Erde. ,,Setzen wir uns.“ , meinte der Älteste und hockte bereits zu Kellvians Füßen, als dieser sich langsam niederließ. Der alte Wolf musterte ihn aus gelblich schimmernden Augen. ,, Was passiert jetzt ?“ , fragte er. Fenisin hatte bereits eine flache Schale aus der Dunkelheit gezogen, in der eine klare Flüssigkeit schwappte. Kellvian erkannte den Geruch von Alkohol

wieder. Darin, mit dem Gemisch überzogen, ruhte ein scharf geschliffenes Messer. Die Klinge war mit silbernen Zierelementen beschlagen und der Griff war aus schlichtem, weißem Holz geschnitzt. Holz von der gleichen Farbe wie die sie nun auf allen Seiten umgebenden Bäume. Fenisin hielt ihm die Waffe mit dem Griff zuerst hin. Kellvian nahm sie mit einem mulmigen Gefühl entgegen. ,, Es braucht einen Tropfen eures Bluts. Genau wie das von jedem anderen, der euch heute folgen will.“ Kellvian verstand. Das Messer in der linken, streckte er die rechte Hand aus

und schnitt sich, bevor er noch zögern konnte, in die Handfläche. Blut tropfte zu Boden und schließlich fanden auch einige Tropfen ihren Weg in die klare Flüssigkeit in der Schale. Die Substanz wurde sofort tiefviolett… Kellvian merkte bereits, das ihm leicht schwindlig wurde. Das Messer war in Geistwasser getränkt gewesen. Vielleicht reichte die kleine Menge, die er mit dem Schnitt aufgenommen hatte schon, um zu wirken… Fenisin erhob sich derweil ,, Niemand wird euch begleiten, Kellvian. Dem müsst ihr euch alleine stellen. Wann immer ihr bereit seid… trinkt.“ Er deutete auf die Schüssel und

war dann auch schon in den Schatten verschwunden. Kellvian blieb alleine zurück. Kein Geräusch drang von außen in den Baumkreis. Obwohl draußen mindestens dreißig Gejarn warteten, hätte er scheinbar bereits in einer ganz eigenen Welt sein können. Langsam, um nichts zu verschütten, hob er die Schale an die Lippen und trank. Es schmeckte nach absolut nichts, was ihn erst überraschte. Dann stürzte er schließlich auch den Rest hinunter und wartete. Eine Weile geschah überhaupt nichts, außer, dass das leichte Schwindelgefühl blieb. Er begann schon sich zu fragen, ob, was immer Geisterwasser war, vielleicht nur

bei Gejarn wirkte. So etwas gab es durchaus. Bilsenkraut konnte auf manche Clans eine geradezu berauschende Wirkung entfalten, während es bei Menschen überhaupt nichts bewirkte. Dann jedoch traf es ihn, wie ein Hammerschlag. Die Welt verdrehte sich plötzlich in sich selbst, bis er nicht mehr wusste, wo überhaupt oben oder unten war. Dann zerriss das Gewebe der Wirklichkeit um ihn herum in einem grellen Lichtblitz. Kellvian verlor endgültig jede Orientierung und driftete ab in etwas, das Schlaf oder Tot sein mochte. Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Boden. Nur dass dieser nicht, wie er

erwartet hatte, aus Erde bestand. Er fühlte Stein, der Wärme abzustrahlen schien, als würde darunter ein Feuer brennen. Und irgendwie beinahe… weich… war. Kellvian setzte sich auf und ah sich um. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand, noch wie er hierhergekommen sein mochte, aber er war nicht mehr im Wald. Im Gegenteil. Er stand in einem großen, von offenen Säulengängen umlaufenen Saal. Gewaltige Stützstreben ragten auf, bis sie sich in der milchigen Luft verloren. Über allem lag Nebel, der ein diffuses, kaum wahrnehmbares Licht abzugeben schien. Die Nebelschwaden trieben vor ihm auseinander, wenn er

sich bewegte und gaben den Blick frei auf einen aus Marmor und Gold gefertigten Boden, der seine Schritte abzufedern schien. Beinahe, als wäre der Stein gar nicht richtig da. In der Ferne konnte Kellvian sehen, das sich die gewaltige Säulenhalle scheinbar bis in die Unendlichkeit hinein zogen und im Nebel verschwanden. Und er war nicht alleine hier. Weitere, nur schemenhaft erkennbare, gestalten wanderten durch die Säle und unter den gewaltigen Bäumen, die hier und dort aus dem blanken Boden wuchsen. Die Wurzeln fügten sich so nahtlos in die Fugen zwischen den Steinfließen ein, das es kein Zufall sei konnte.

Götter, wo war er nur? Kellvian Schritt weiter durch die diffusen Hallen, ohne auch nur das Gefühl zu haben, überhaupt von der Stelle zu kommen. Der Nebel machte es schwierig Entfernungen abzuschätzen. Das hier fühlte sich, obwohl die Atmosphäre seltsam verträumt schien, viel zu wirklich an, um es schon als Halluzination abzustempeln. Aber was war es dann? Magie konnte es nicht sein. Gejarn beherrschten keine Zauberei. Zumindest hatte er das geglaubt, bis er Reina begegnet war. Aber die schien ein Einzelfall zu sein. Das hier war also entweder etwas völlig anderes, oder

seine eigene Gabe steuerte ihren Teil dazu bei, ohne das er es merkte. Nu was sollte er hier? Er drehte sich einmal um sich selbst. In alle Richtungen erstreckten sich die endlosen Gänge und Hallen um ihn herum. Irgendwann musste das Geisterwasser wohl einfach aufhören zu wirken. Vielleicht brachte ihn das dann auch… zurück, was immer das in diesem Fall überhaupt bedeutete. ,, Ich glaube, wir müssen über einiges reden.“ , meinte da eine Stimme direkt neben ihm.

Kapitel 55 Totenwelt


Kellvian hatte nicht einmal gehört, das der Mann sich näherte. Und doch stand er da, wie aus dem Boden und dem Nebel gewachsen. Und auch wenn Kell Standbilder der Gestalt vor ihm gesehen hatte, der Wahrheit wurden sie nicht gerecht. Sein Gegenüber war genau so groß wie er, aber deutlich älter. Dunkelblonde Strähnen glitzerten in den ansonsten völlig ergrauten Haaren. Die Augen blitzten grünblau, als würde ständig ein Gewitter in der Tiefe dahinter toben. ,, Ihr…“ Mehr brachte Kellvian nicht

hervor. Götter, wo war er? War er tot? Es schien die erste logische Erklärung zu sein, die ihm einfallen wollte. ,, Du kannst den Mund wieder schließen.“ , antwortete sein Gegenüber scheinbar amüsiert. ,, Und nein, ich glaube nicht, das du tot bist. Vielleicht eher in einer Art Zwischenform. Aber du musst mir unbedingt verraten, wie du das machst. Ich selber bin immer daran gescheitert, einen Blick über die Grenze zwischen Leben und Tod zu werfen. Zumindest, bis meine Zeit gekommen war.“ Simon Belfare trug eine schlichte, türkisfarbene Robe, wie Kellvian sie auch vom Sangius-Orden her kannte. Nur

fehlte das so vertraut, goldene Symbol auf der Schulter. ,,Ich… bin nicht wirklich sicher, wie ich hierher komme.“ , antwortete Kellvian. ,, Aha.“ Der Ahne machte eine Geste mit der Hand, die Kell wohl bedeuten sollte, ihm zu Folgen. Nach wie vor, so schien es, kamen sie nicht wirklich voran. Säulengänge und Stützstreben zogen an ihnen vorbei, ohne etwas anderes zu sehen, als immer dieselben, fein gemeißelten Säulen, vergoldeten Wände und seltsamen Bäume. Ab und an gab es auch Wandgemälde, die sich in Pracht und Detailliertheit zu überbieten suchten. Darstellungen von Alltäglichen Szenen in solcher Brillanz, dass man

glaubte, beinahe durch die Farbe hindurch greifen zu können und Zeichnungen von Schlachten und Heldentaten, die vor dem Betrachter schon fast Lebendig wurden. ,,Ist das hier…“ Er wusste kurz nicht, wie er es nenne sollte, ,, das Jenseits?“ ,,Ein Teil davon.“ , antwortete die Gestalt Simons ruhig. ,, Ein sehr, sehr kleiner um genau zu sein. Es ist… nun um einen Vergleich zu verwenden, den du verstehst, man könnte es wohl die Abstellkammer nennen. Es hat mich hierhin gezogen als du… ankamst. Es ist ein Ort, von dem sich die anderen Toten fernhalten. Falamir ist wohl irgendwo hier. Zusammen mit den Seelen des alten

Volkes, die beim Ende ihres Volkes ihre Körper verließen und keine neuen… Gefäße mehr fanden.“ Er deutete auf eine der Schattengestalten in der Ferne. ,, Das hat sie mit der Zeit ziemlich irre werden lassen. Aber das weist du ja schon, nicht?“ ,, Und was soll ich hier ?“ Kellvian sah sich mit zunehmender Verwunderung um. Der Begründer des Sanguis-Ordens zuckte mit den Schultern. ,, Du bist doch hierhergekommen. Ob nun Freiwillig oder nicht, du hast mich durch irgendetwas hierher zitiert. Nicht umgekehrt. Und du weißt nicht weshalb?“ Simon Belfare lachte schallend. ,, Junge du spielst hier mit

Magie, von der ich nur geträumt habe und erklärst mir, du wüsstest nicht mal, wieso du sie einsetzt.“ ,, Eigentlich wollte ich die Clans für mich gewinnen.“ ,, Nun, Gejarn gibt es hier ebenfalls, auch wenn es nach wie vor mich hierher gerufen hat. Die nützen dir bloß nichts. Die Armen vergessen bei jeder Wiedergeburt immer alles. Und wenn sie hierher zurückkommen schimpfen sie, was sie, mal wieder, alles hätten besser machen können. Ordt ist da keine Ausnahme, auch wenn ich ihn seit… gut dreißig Jahren nicht mehr hier gesehen habe.“ Kell war das definitiv zu viel

Information. Die Traumähnliche Atmosphäre jedoch blieb nach wie vor. Vielleicht war das hier doch alles ein gewaltiges Trugbild… ,, Warum aber seid ihr hier ?“ , fragte er weiter. ,, Warum nicht jemand den ich kenne, oder gar…“ ,, Dein Vater ?“ Simon zuckte mit den Schultern. ,,Das weiß ich allerdings auch nicht. Wir sind hier nicht Allwissend. Das sind vielleicht die Götter, auch wenn ich in all der Zeit hier noch keinem Begegnet bin. Aber wir wissen, was die Sterblichen tuen, Kellvian… Und ich habe durchaus ein Auge auf das, was der letzte meines Hauses treibt.“ E grinste. ,, Ich glaube bisher kann ich

ganz zufrieden mit dir sein.“ ,, Ich habe einige Fehler gemacht.“ ,, Das habe ich auch. Ich habe mein Werk nie vollendet. Hätte ich mehr Zeit gehabt… Ich schätze, viele Dine währen auch für dich anders gekommen. Vermutlich kann ich dich… zurück schicken, wie auch immer du hierher gelangt bist.“ ,, Das… wäre wohl das Beste.“, meinte Kellvian. ,, Lass mich dir nur noch ein letztes Wort der Warnung mit auf den Weg geben. Ich weiß nicht, was noch auf die zukommt, aber ich kann es mir denken. Der Krieg kann einen Verändern, Kellvian. Das tut er bei jedem. Aber lass

nicht zu, dass dir das jemals den Blick auf deine eigentlichen Ziele und Ideale verstellt.“ ,,Ich werde daran denken.“ ,, Dann schicke ich dich jetzt zurück.“ Simon Belfare hob eine Hand. ,, Auf Wiedersehen. Aber… hoffentlich nicht zu bald.“ Licht flutete aus der Handfläche des Zauberers hervor, blendete Kellvian. Und erneut verdrehte und verschob sich die Welt. Die Säulengänge versanken in der Dunkelheit und der Boden unter seinen Füßen wurde plötzlich durchlässig. Kellvian stürzte haltlos in die

Dunkelheit… Er erwachte mit gewaltigen Kopfschmerzen. Das kam eben davon, wenn man sich seltsame Tränke geben ließ, von denen man nicht wusste, was sie enthielten. Dämmriges Morgenlicht fiel durch die Zweige der Bäume über ihm. Kellvian lag auf dem Rücken. Die Erde war kalt und es roch nach Laub. Die kahlen Stämme der Geisterbäume um ihn herum ragten wie Säulen auf. Säulen von einem Ort den er… irgendwo gesehen hatte? Die Erinnerung verblasste bereits und er hatte schon die Hälfte von allem vergessen, was er gesehen hatte.

Oder glaubte, gesehen zu haben. War das alles nur ein Traum gewesen? Jetzt zumindest, fühlte es sich wie einer an. Offenbar war er die ganze Nacht hier gewesen. Draußen konnte er die Umrisse eines guten Dutzends Gejarn erkennen, die sich um den Hain versammelt hatten und warteten. Vorsichtig, um seine Kopfschmerzen nicht noch neue Nahrung zu geben, stand er auf und kam schwankend auf die Füße. Er hatte einen schalen Geschmack im Mund. Im Schatten einer Wurzel lag ein Wasserschlauch. Fenisin musste ihn hier zurück gelassen haben, dachte er, während er gierig einen Schluck trank. Der Älteste hatte bestimmt selber nicht

damit gerechnet, das Kell die ganze Nacht hier sein würde. Nun, das Risiko hatte er eingehen müssen. Hoffentlich hatte er die übrigen Ältesten dadurch nicht noch verärgert. Weiter hatte es ihn nicht gebracht. Nur seltsame Träume, die bereits in der Bedeutungslosigkeit verblassten. Kellvian trat durch die Bäume nach draußen ins warme Sonnenlicht. Einen Moment blinzelte er, um sich an die Helligkeit zu gewöhnen, dann wäre er beinahe wieder zurück gestolpert. Es waren doch mehr als ein paar dutzend Gejarn hier. Soweit er sehen konnte, verschwand die Wiese unter den Füßen von tausenden Männern und Frauen, die

um den Hain aus Seelenbäumen verteilt warteten. Und in vorderster Reihe standen die Ältesten, allen voran noch Mhari und Fenisin. Er konnte nur zusehen, wie einer nach dem andern eine angedeutete Verbeugung machte und warf Fenisin einem hilfesuchenden Blick zu. ,, Ihr, ein Mensch, habt als erster an einem unserer wichtigsten Rituale teilgenommen. Jeder hier zollt euch dafür Respekt. Mindestens.“ , erklärte der Wolf. Irgendwie war Kell sich sicher, dass er für den Massenauflauf hier verantwortlich war. Und wenn nicht er, dann ganz sicher Mhari. Zwischen den Versammelten konnte er

auch Lucien, Syle und Melchior entdecken. Was sollte er jetzt tun? Kellvian wusste, dass er hier eine Gelegenheit hatte, die einmalig war. Wie viele der Ältesten auf seiner Seite standen, würde keine Rolle spielen wenn er die Anwesenden für sich gewann. Und nach dem Meer aus Gesichtern zu urteilen, das stumm und gespannt wartete, würde man ihm sehr genau zuhören. ,,Gejarn der Herzlande. Des Südens. Des Nordens. Einen Platz wie diesen habe ich selten gesehen. Man kann es spüren. Die Bäume rufen nach unseren Seelen. Unsere Götter, gemeinsam oder einzigartig, flüstern und Atmen im Wind.

Ich habe heute eine Erfahrung gemacht, für die ich euch nur dankbar sein kann. Und doch stimmt sie mich traurig, den ich bin Überzeugt, ich werde auch nicht hierher zurückkehren. Westlich von hier trägt der Wind den Geruch von Blut mit sich. Eine Armee unter Führung von Andre de Immerson zieht durch die Herzlande, verbrennt unsere Städte und ich bezweifle, dass er die Clans verschonen wird. Helft ihr mir nicht, kann ich ihn nicht aufhalten. Ich werde es trotzdem versuchen und wenn es mein Ende ist, das schwöre ich euch heute.“ Nach wie vor hörten alle zu. ,, Hört ihr mich ? Ich gebe euch heute einen Eid. Unabhängig davon, wie eure

Entscheidung ausfällt. Andre wird fallen oder ich. Mein letzter Atemzug wird im Kampf stattfinden. Für euch. Wenn es sein muss. Aber schließt ihr euch mir an… wird euer letzter Atemzug einer sein. Dieser Ort wird nur fallen, wenn ich es tue. Eure Leben im anstehenden Kampf nur verwirkt sein, wenn ich versage. Wenn wir als Ganzes Kämpfen, kann uns niemand besiegen. Die Clans haben wieder und wieder bewiesen, dass sie sich von niemand kontrollieren oder unterwerfen lassen. Stellt es erneut unter Beweis. Zieht eure Waffen. Dieses Mal nicht nur für euch, sondern für das ganze Kaiserreich. Für jede der tausend Seelen die schon gestorben sind, müssen

wir es beenden. Die Zeit für Worte ist vorbei. Ich weiß, wer unser Feind ist und mit wem er sich Verbündet hat. Wir haben keine Gnade zu erwarten. Weder vom Herrn Silberstedts noch von seinen Gefolgsleuten. Ich habe nicht vor, mit weniger zu antworten. Jeder, der sich uns in den Weg stellt, wird fallen. Jeder, der uns bedroht, wird es bereuen. Die, die euch verabscheuen werden euch als Retter sehen. Wer ist mit mir?“ In die erwartete Stille hinein donnernden Zurufe und tosender Jubel. Stellenweise wurden Schwerter gezogen oder Fäuste

gen Himmel gereckt. Er hatte sie. Die Erkenntnis traf ihn erst nach einigen Augenblicken. Die Ältesten stimmten in die Jubelrufe und den Beifall ein. Er hatte sie wirklich überzeugt. Mehr als dreitausend Gejarn… Im Vergleich zu Andres Streitmacht nichts. Aber es war eine Macht, mit der man arbeiten konnte. ,, Die Clans werden euch folgen.“ , erklärte Fenisin. ,, Wohin auch immer ihr sie führt.“ Kellvian nickte, während er einen Moment die Augen schloss. Nur wohin ? Das war die Frage… Nach wie vor drängte ihn eine innere Stimme, sofort nach Vara zurück zu kehren, lieferte sich sein eigener Wille einen Kampf mit

Melchiors Warnung. ,, Herr…“ Syle war zu ihm getreten. ,, Wie lauten eure Befehle ?“ ,,Die Clans werden ihr Lager hier abbrechen.“ , antwortete er. ,, Ich will, das die Clans getrennt reisen. Immer fünfzig oder weniger auf einmal. So fallen wir weniger auf. Dreitausend Gejarn, die gleichzeitig durchs Land ziehen, müssen entdeckt werden und unsere beste Waffe ist immer noch Verstohlenheit. Packt Vorräte zusammen, schlachtet was ihr an Tieren habt oder lasst sie in der Obhut von Frauen und Kindern zurück, wir werden uns nicht mit ihnen belasten. Sende außerdem Späher voraus und lasst sie sich in den

Herzlanden verteilen. Die Ältesten sollen sie koordinieren und uns alles an Informationen beschaffen, was sie können. Ich will wissen, wo Andres Männer sind und was sie tun.“ ,, Und wohin werden wir ziehen ?“ , wollte Lucien wissen. ,, Nach Südosten. Wir können uns dort erst einmal sammeln und unsere Angriffe planen. Wir können Andre nicht direkt bekämpfen, dafür sind wir zu wenige. Aber wir können ihn dort treffen, wo wir am meisten Schaden anrichten.“ ,, Eine weise Entscheidung.“ , bemerkte Mhari. ,, Danke. Aber ich war es nicht, der sich das ausgedacht hat. Ein alter Freund von

mir hat Andre auf diese Art einmal mit nur fünfzig Mann Tagelang aufgehalten.“ Er nickte Syle zu, der es Schweigend zur Kenntnis nahm. Er konnte nur hoffen, dass es auch zweimal funktionieren würde. Andre würde sicher damit rechnen, dass die kaiserliche Garde Wiederstand leistete. Ein Angriff der Clans hingegen würde ihn hoffentlich derart überraschen, dass sie ihm bereits einiges an Verlusten beibringen konnten, bevor er darauf reagierte…

Kapitel 56 Kaiserin


Der Duft der Rosen, die jetzt im Sommer in voller Blüte standen, erfüllte die gesamte Luft. Jiy nahm es nur beiläufig wahr, während sie vor sich hin grübelte. Der Pavillon stand auf einer kleinen Erhebung mitten in den weitläufigen Gärten um die Patriziervilla. Ranken wanden sich um die Stützstreben, die das schwere Dach des Baus trugen und die Sonne schien warm zwischen den Säulen hindurch. Hier draußen war es so friedlich, dass man beinahe vergessen konnte, dass man sich nach wie vor mitten in der Stadt befand. Und trotzdem

kam Jiys Geist nicht zur Ruhe. Geister, was sollte sie jetzt tun? Andres Worte klangen immer noch nach… Und auch wenn sie sich sagte, sie solle eigentlich nichts darauf geben, Verletzend waren sie trotz allem. Noch mehr, das der Mann eine friedliche Lösung endgültig in den Wind geschlagen hatte. War sie wirklich so schwach oder war das nur, was der Herr Silberstedts in ihr sehen wollte? Und wenn sie Aufgab, was wäre dabei? Sie konnte diesen Krieg unmöglich führen, was immer Roland oder die anderen glauben mochten. Und es würde Leben retten. Die Zweifel nagten an ihr. Jiy wurde aus ihren Gedanken gerissen,

als sie eine Gestalt bemerkte, die sich ihr über die Sandwege, die den Garten durchzogen, näherte. Es war Erik. Das leuchtend weiße Haar und der hellblaue Mantel des Arztes waren auch auf die Entfernung kaum zu verwechseln. ,,Darf ich mich setzen ?“ , fragte er, als er unter das Dach trat. Der Alte wartete die Antwort nicht ab, sondern zog schlicht einen aus Holz gezimmerten Stuhl zu sich heran und ließ sich darauf nieder. Jiy seufzte. Sie hatte einfach ein paar Augenblicke alleine sein wollen. ,, Wie seit ihr an den Wachen vorbei gekommen ?“ ,,Ihr kennt mich.“ , antwortete er nur

gelassen. ,, Und ich kenne euch. Ihr nehmt euch das zu Herzen…“ ,, Das würde wohl jeder.“ ,, Andre hasst Gejarn, Jiy. Das ist alles, was ihr über diesen Mann wissen müsst. Und wohl auch die meisten Menschen, was das angeht. Er spricht, wie er denkt. Nicht wie die Dinge wirklich sind. Benutzt euren Verstand , Mädchen, der ist sonst eigentlich ziemlich helle…“ ,, Sicher…“ Erik schüttelte den Kopf und starrte eine Weile vor sich hin. ,, Das wird ja schwerer, als ich gedacht habe…“ Der alternde Arzt fasste ihre Hand und starrte ihr direkt ins Gesicht. Sie hatte gar keine andere Wahl, als zurück zu

blicken, während er tief Luft holte. ,, Jiy. Glaubt ihr wirklich, wir folgen euch alle nur wegen Kellvian? Die Götter wissen, ich mag den Jungen. Wir alle tuen das. Aber verflucht nochmal, ich bin alt und habe viel gesehen. Und nie, das könnt ihr mir glauben, ist mir jemand wie euch begegnet. Lasst euch von niemand einreden, ihr wüsstet nicht, was ihr tut. Schon gar nicht von einem Mann, der euch tot oder versklavt sehen will.“ Bei seinem letzten Satz zwinkerte er. Auf eine unbestimmte Art, machten ihr die Worte des Arztes Mut. Trotzdem entzog sie ihm ihre Hände. Er redete auf sie ein, wie auf ein Kleinkind, das sich

die Knie bei einem Sturz aufgescheuert hatte. Aber hier ging es um mehr. Viel mehr… ,,Ich fürchte nur manchmal, dieser Welt fehlt jede Vernunft… Verdammt…“ ,,Vernunft, meine Liebe, ist das falsche Wort.“ Erik schloss die Augen und lächelte schwach. ,, Ich glaube sogar, Vernunft ist etwas, das streng vom Betrachter abhängt. Auch Andre glaubt sicher, völlig vernünftig zu handeln. Aus seiner Sicht, sind wir diejenigen, die Blind sind. Wofür auch immer… Wie… großartig, seine Herrschaft vermeintlich wäre, schätze ich. Er wird an die alten Kaiser anknüpfen, wo Kellvian grade begonnen hat, einen neuen Kurs

einzuschlagen. Und das ist etwas, das viele Vernünftig nennen würden. Einfach weil es ihnen Sicherheit bietet.“ ,,Sicherheit… Erik dieser Mann hat einen Krieg vom Zaun gebrochen, wie wir ihn seit Jahrhunderten nicht mehr gehabt haben…“ ,, Und doch wollt ihr es zulassen.“ , gab der Arzt zurück. Seine Stimme zeigte keine Wut, aber die Enttäuschung darin, fuhr ihr durch die Glieder. ,,Es mag euch Schrecklich vorkommen und ich leugne nicht, dass das eine der Schattenseiten dieser Welt ist. Es gibt immer die, die zuallererst ihren eigenen Vorteil im Blick haben. Und auch das spielt seine Rolle im großen Ganzen

denn wo niemand nach etwas strebt, kann auch nichts entstehen. Das Problem wäre wohl eher, dass sie es nur für sich selbst tuen und alles andere ihnen dabei egal ist. Das lässt sich nun mal nicht vermeiden und diese Menschen wird es immer geben, Jiy. Was wichtig ist, ist, das man ihnen nicht einfach nachgibt. Sonst erlischt das Licht in dieser Welt für immer. Das, was sie Wunderschön und faszinierend machen kann. Und wenn ihr mich fragt und ganz ehrlich fragt, das Schöne wiegt das schlechte nach wie vor weit auf. Es geht hier nicht um Vernunft. Sondern darum, dafür zu sorgen, dass das so bleibt. Dafür könnt ihr einstehen, wenn schon für sonst

nichts. Aber das könnt ihr nur, wenn ihr die Mittel dazu habt. Kell hat euch nicht geheiratet, weil ihr ihm zufällig über den Weg gelaufen seid, Jiy. In euch steckt mehr… Das wusste er, glaube ich. Und selbst wenn nicht… ich weiß das. Götter, ich bin jetzt lange genug mit euch allem Unterwegs.“ ,,Ihr wollt mich zur Kaiserin machen.“ Es war die einzige Möglichkeit zu tun zu was Erik sie aufforderte. ,,Genau wie die anderen. Ich würde mir dabei aber wie eine Hochstaplerin vorkommen, Erik. Was wenn ich schlicht versage? Dann ist alles umsonst.“ ,, Wenn ihr wirklich scheitert, und daran glaube ich schlicht nicht, nein ich halte

es für unmöglich, dann versagt ihr in dem Wissen, zumindest alles in eurer Macht stehende getan zu haben. Das ist kein Verlust im eigentlichen Sinne und ganz sicher nichts, wofür man sich schämen müsste, Jiy. Wir vertrauen euch alle.“ Jiy zögerte. Mit einem hatte der Schiffsarzt Recht. Sie konnte schlicht nicht aufgeben. Nicht einfach so und schon gar nicht vor jemanden wie Andre de Immerson. Nicht nur ihrer selbst wegen, sollte dieser Mann sie eben irgendwo in einer Mine wegschließen, sondern wegen all dem, das dann folgen würde. Es wäre Verrat. An Kellvian, unabhängig davon ob er jemals damit

gerechnet hatte, ihr seinen Posten zu überlassen… nur bis sie ihn endlich fanden. An Eriks Vertrauen in sie, ob nun gerechtfertigt oder nicht. An Eden, die sich in einem Canton unter Andres Kontrolle kaum würde verstecken können. An Zyle. An Roland. An der gesamten kaiserlichen Garde. ,, Ich gebe ganz sicher nicht klein bei.“ , erklärte sie mit neuer Entschlossenheit. ,, Nur, Kaiserin werden… Das erscheint einfach zu viel, Erik. Es muss doch einen anderen Weg geben.“ ,, Ich sehe keinen.“ , antwortete er. ,, Die Garde folgt euch vielleicht auch so, aber ihr braucht mehr als die Garde. Das ganze Land muss hinter euch stehen,

oder eine Armee, egal wie groß, nützt euch wenig. Man wird euch als Usurpatorin sehen.“ Sie hatte so gehofft, dass Erik etwas anderes sagen würde. Aber die Antwort war ihr schon klar gewesen. ,,Also gut.“ Sie stand auf. ,, Ich werde Canton nicht kampflos Andre überlassen. Für Kellvian, für euch, nicht weil ich es will…werde ich die Kaiserkrone nehmen. Was müsste ich dafür tun?“ ,, Wusste ich doch, das ihr nicht so einfach Aufgebt.“ Erik grinste. ,, Nun, nach allem was ich weiß, eigentlich fast nichts. Der Adel muss euch nur förmlich anerkennen. Normalerweise hätten sie das schon vor der Hochzeit getan, aber

Kellvian hatte wohl… vergessen… sie einzuladen. Trotzdem bleibt ihnen keine andere Wahl. Sie haben ihn schon zum Kaiser gewählt. Und damit auch euch, darüber haben sie keine Kontrolle. Wenn sie ihre Entscheidung nicht völlig wiederrufen wollen, dann müssen sie euch ohne Verzögerung anerkennen, sobald ihr sie Vorladet und dazu auffordert. Alles andere würde sie mehr als nur schlecht dastehen lassen. Jeder, der sich euch so Verweigert, hätte sich offen als Windfähnchen bloßgestellt, das sich nur nach den grade passenden Umständen richtet und nicht zu seinem Wort steht. Einen schlimmeren Vorwurf kann man einem cantonschen Edelmann

kaum machen.“ Die Entscheidung war gefalle Ihre Bedenken waren nach wie vor nicht ganz Verstummt, aber sie wusste, das ihr keine Wahl blieb. Es war die einzige Möglichkeit, die sie hatte. Alles andere bedeutete tatsächlich aufgeben. Zumindest das kam nicht mehr in Frage. Wenn Eriks Worte nicht ausreichten, musste sie nur daran denken, dass es Lord Andre gewesen war, der Vara überfallen und ihr Kellvian genommen hatte. Warum auch immer er nach wie vor nicht zurückgekehrt war… Sie wusste zumindest, wer dafür verantwortlich war. Wut flammte in ihr auf, ein Gefühl, das sie seit mehr als

einem Jahr gut unter Kontrolle hielt. ,, Dann weiß ich was ich zu tun habe.“ , erklärte sie. ,, Das freut mich zu hören, Herrin .“ , meinte eine, beinahe spöttisch klingende, Stimme von außerhalb des Pavillons. Falvius verneigte sich kurz, als Erik und die Gejarn ihn bemerkten. ,, Meine Befehle werden auch nur ausgeführt, wenn es euch passt.“ , bemerkte Jiy bitter. ,, Ich hatte eigentlich gesagt, dass ich nicht gestört werden will.“ Der blonde Kommandant verneigte sich abermals. Das Grinsen, das sich dabei auf sein Gesicht Stohl, entging ihr jedoch nicht. ,, Verzeiht Herrin. Aber

Roland hat mich damit beauftragt euch eine Nachricht zu überbringen.“ ,, Das trifft sich gut. Ich habe nämlich selber eine. Ich will, dass ihr sofort Nachricht an alle Adeligen Cantons schickt. Ihre Kaiserin wünscht sie zu sehen. Sie haben eine Woche hier aufzutauchen oder ich werde das als Verrat werten und annehmen, sie stünden mit Immerson im Bunde. Was bedeuten würde, ich würde ihnen sämtliche Titel aberkennen, wenn das alles vorbei ist.“ Siehatten keine Zeit zu verschwenden und Jiy wollte ihnen von Anfang an keinen Grund geben, an ihr zu Zweifeln. Nicht alle würden es innerhalb von so kurzer Zeit schaffen hier aufzutauchen.

Aber Geister, sollten sie ruhig einmal Grund haben, um ihr Hab und Gut zu bangen. Wenn dieser Krieg völlig ausbrach, würden die Menschen dort draußen Leiden. Das wusste sie nur zu gut. Der Adel hingegen würde sich hinter Mauern und Festungsanlagen verbergen… Wenn sie nur nicht alleine darüber entscheiden müsste. ,, Ich glaube, Herrin, das wird nicht nötig sein.“ , erklärte Falvius. ,, Vor einer halben Stunde sind dreißig Lords und Ladys am Stadttor aufgetaucht. Weitere werden ihnen, nach allem, was sie uns erzählt haben, noch folgen.“ ,, Wie bitte ?“ Das war allerdings überraschend. Was hatten die alle hier zu

suchen? ,, Das nenne ich mal einen willkommenen Zufall.“ , bemerkte Erik. ,, Beinahe etwas zu Willkommen.“ , gab Jiy verwirrt zurück. ,, Sie haben euch nicht zufällig auch verraten, was sie hierher führt, oder ?“ Falvius kratzte sich am Kopf. ,, Das ist es ja grade. Sie behauten auf Einladung Kellvians hier zu sein und haben regelrecht empört reagiert, als wir ihnen erklärt haben, sie seien mehr als eine Woche zu spät gekommen.“ ,, Zu spät wozu ?“ , wollte Jiy wissen. Das war kein Zufall, da war sie sich sicher. Aber was bitte hatte den Adel Cantons genau jetzt hierher

geführt? Sie erhielt die Antwort ,,Nun sie wollen offenbar zur Hochzeit…“ ,, Klingt, als hätten wir Glück.“ , meinte Erik. ,, Ihr solltet sie in Empfange nehmen.“ ,,Ich bezweifle, dass sie zu erfreut sein werden, Herrin.“ , bemerkte Falvius. ,, Das ist mir herzlich egal.“ Jiy war bereits auf halbem Weg zurück zum Haus, als sie den Satz beendete. ,, Ich brauche nur ihr Wort, das ist alles.“ Falvius und Erik blieben verdutzt am Pavillon zurück. ,, Eine Frage.“ , setzte der Kommandant an. ,, Wie habt ihr das gemacht ? Vor

ein paar Stunden hätte sie vermutlich den gesamten Adel einfach weggeschickt. Wenn überhaupt…“ ,, Ihr meint ob ich euch ein Geheimnis verrate ?“ Erik zwinkerte. ,, Ich habe nichts anderes getan, als ihr die Wahrheit zu sagen. Das wirkt die größten Wunder, weil wir sie allzu schnell vergessen. Sie wird es noch selbst erkennen.“ ,, Was den erkennen ?“ Falvius seufzte. ,, Roland mag ihr ja vertrauen, aber Roland ist Idealist durch und durch. Das wird noch mal sein Untergang, fürchte ich.“ Er sah Jiy nach. ,,Haben wir mit ihr wirklich eine Chance? “ Ohne sie haben wir zumindest

keine.“ ,,Ihr seid ein seltsamer Mann.“ Falvius bedeutete ihm, ihm zum Haus zu begleiten. Sie würden sich wohl beeilen müssen, wenn sie die Gejarn noch einholen wollten. ,, Das sagt man mir nicht zum ersten mal.“ ,,Dachte ich mir irgendwie. “

Kapitel 57 Abtrünnige


Zyle konnte der bunten Truppe, die auf dem Platz vor den Toren Varas wartete nichts abgewinnen. Er und Roland hatten Andres Abreise überwacht. Der Herr Silberstedts war so schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war. Vor einer halben Stunde dann, war die erste Kutsche vor den Stadtmauern aufgetaucht und die Insassen hatten Zugang zur Stadt verlangt. Da es sich bei diesem um nicht weniger als einen Teil des Hochadels Cantons handelte, hatte die Wache sie ohne große Bedenken eingelassen. Nur

war es nicht bei der einen gruppe geblieben. Mehr als ein Dutzend, mit dem Wappen des jeweiligen Adelshauses verzierte, Gespanne waren mittlerweile vorgefahren. Roland hatte erst einmal verfügt, das jeder der Neuankömmlinge blieb wo er war. Direkt auf dem Platz, wo man sie sehen konnte. Etwas, wofür Zyle dem Kommandanten der kaiserlichen Garde nur dankbar sein konnte. Das Eintreffen dieser Leute machte ihn nervös, warum wusste er nicht. Nur das bisher keine seiner Begegnungen, die er mit den Fürsten Cantons gehabt hatte, als Erfreulich in Erinnerung geblieben war. Die knapp fünfzig Männer und Frauen protestierten

freilich mehr als Lautstark über diese Behandlung, die Stadtwache jedoch nahm es nur mit stoischer Gelassenheit zur Kenntnis. Die Adeligen besaßen, wenn überhaupt, nur kleine Wachtrupps von fünf bis zehn Soldaten. Gegen die komplette Garde der Stadt konnten sie sich nicht durchsetzen, sollten sie es versuchen. Nur für den Fall, das ihnen das gewaltige Heerlager entgangen war, das sich auf den Wiesen um die Stadt ausbreitete. Nicht alle Gardisten hatten innerhalb der Mauern Platz gefunden. Jetzt jedoch kam ein Mann in einer orangefarbenen Jacke und kurzgeschnittenen braunen Haaren auf

sie zu. Er war schon älter und etwas untersetzt, trotzdem blickte er ohne Furcht oder auch nur so etwas wie gesunden Respekt über die Köpfe der Wachen hinweg, die den Platz sicherten. Offenbar hatte er in Roland den Anführer erkannt. ,, Das ist ein Skandal !“ , rief er, wild mit den Armen fuchtelnd. ,, Der Kaiser wird davon erfahren. Ich erwarte, Kommandant, das eure Männer sofort Platz machen, oder ich werde dafür Sorge tragen, das man euch in den tiefsten Süden zu den Barbaren versetzt.“ ,,Die sind schon hier.“ , gab Zyle trocken zurück. Schon während der

Mann näherkam, hatte er das Schwert gezogen und stützte sich nun, völlig entspannt, auf den Griff der schweren Waffe. ,, Wolltet ihr etwas sagen, eure Lordschaft ? Verzeiht, ich bin mit den Gebräuchen dieses Landes wenig vertraut. „Zyle hob das Schwert auf und brachte die Klinge auf seiner Schulter zum Ruhen. ,, Was meint ihr Roland ?“ Der Kommandant grinste nur, die Arme vor der Brust verschränkt. Ein seltener Anblick, vor allem für Zyle. Er hatte in den letzten Tagen nicht viele Worte mit dem Mann gewechselt, aber eines war klar: Roland traute ihm nicht. Nach dem, was geschehen war, nicht zu verwunderlich…. Laos, er traute sich ja

selber kaum. Der Kommandant beschloss, das Spiel jedoch mitzuspielen: ,, Werdet ihr euch jetzt wieder schön zu den anderen gesellen? Wir werden uns so schnell wie möglich um euch kümmern, versprochen. Aber mein Freund hier, handelt manchmal, bevor er denkt… Wir wollen doch alle nicht, das es zu einem tragischen Missverständnis kommt.“ Der Mann wurde plötzlich bleich, rührte sich jedoch nicht von der Stelle. Ihm auf den Fuß folgte eine Frau, die jedoch ebenfalls wieder umkehrte, mit einer säuerlichen Mine auf dem Gesicht. Jedoch konnte selbst das kaum von ihrer Schönheit ablenken. Langes, schwarzes

Haar fiel ihr über den Rücken und die Schultern, vermischte sich dabei mit dem silberbestickten Kleid, das sie trug. Irgendwie war Zyle plötzlich froh, es nur mit dem Mann zu tun zu bekommen. Der Blick ihrer eisblauen Augen war… beunruhigend. ,, Wer war das ?“ , wollte er von Roland wissen. ,, Das war der Herr von Lasanta, Jormund Einnarson. Einer der mächtigsten Lords ,die der Westen des Kaiserreichs je gesehen hat. Er stammt ursprünglich allerdings aus dem Norden. Genauer gesagt, aus Silberstedt. Wenn von diesen Leuten hier jemand mit Andre zusammenarbeitet… nun, ihr wisst

worauf ich hinaus will. Mit Lasanta kontrolliert er den gesamten Handel auf der westlichen Sonnensee.“ ,,Und die Frau ?“ Zyle hatte sie in der Menge aus den Augen verloren und das behagte ihm gar nicht. Er kannte das Gefühl, kurz bevor sich einem ein Messer in den Rücken bohrte. Es hatte ihm oft genug das Leben gerettet. Nur diesmal wusste er nicht, aus welcher Richtung die Klinge kam. Aber wer immer sie war, sie war brandgefährlich. Das spürte er bis hier. ,, Wenn Jormund ein Ärgernis bedeutet, dann ist sie ein Orkan. Kathrin Garin ,die Fürstin von Erindal. Eine waschechte schwarze Witwe, wenn ihr

mich fragt. Sie stammt ursprünglich aus einem niederen Adelshaus, das hier in den Herzlanden Ansässig ist, wurde aber mit dem Herrscher der Stadt verheiratet. Die Ehe dauerte kein halbes Jahr…“ ,, Was ist passiert ?“ ,, Er hat… das falsche gegessen. Kugelfisch ist in Erindal eine Delikatesse. Und leider auch hochgiftig, wenn nicht richtig zubereitet. Das war zumindest die Offizielle Erklärung. Halb Erindal jedoch ist sich sicher, dass die Lady etwas nachgeholfen hat. Nicht, das man es ihr nicht gegönnt hätte. Der Alte Lord Erindal war leicht zweimal so alt wie sie. Trotzdem: Solltet ihr je in die Verlegenheit kommen, von ihr etwas

Essbares anzunehmen… lasst es. Dürfte eure Lebenserwartung beträchtlich erhöhen.“ ,,Ich werde es mir merken.“ ,, Letzen Endes sind beide sehr mächtig und kontrollieren große Seehäfen. Das wird strategisch…“ ,,Jemand sollte vielleicht Joy holen.“ , merkte Zyle an. ,, Es kann mir egal sein, was man mir denkt, aber wenn wir die noch länger warten lassen…“ ,, Ich habe bereits Falvius ausgeschickt.“ ,, Und warum habt ihr mir das nicht schon vorher gesagt ?“ ,, Vielleicht halte ich einfach nichts davon, wertvolle Informationen an einen potentiellen Verräter weiterzugeben.

Über die Fürsten hätte euch jeder aufklären können. Aber je weniger wissen, wie meine genauen Befehle und Anweisungen lauten, desto besser.“ ,, Ihr traut mir nicht. Darum geht es also.“ Roland schüttelte den Kopf. ,, Das Problem seit vielleicht weniger ihr selbst … als die Möglichkeit, das ihr uns jederzeit unangekündigt in den Rücken fallen könntet. Ihr habt uns schon unseren Kaiser gekostet. Ich werde nicht zulassen, dass euch das auch bei Jiy gelingt. Egal, was sie davon denken mag, für den Augenblick ist sie alles, was wir haben.“ Auch wenn die Worte nur seine eigenen

Zweifel wiedergaben, machten sie ihn wütend. Mochte sein, das er sich nie mehr ganz sicher sein konnte, frei zu sein, aber wenn dieser Mann glaubte, er würde jemals einen seiner Freunde gegen seinen Willen verletzen, hatte er sich geschnitten. Vorher richtete er die Klinge nächstes Mal gegen sich selbst. Sofern ihn das überhaupt Töten konnte… ,, Ich kann euch sagen, was sie davon denkt und…“ Zyle kam nicht dazu, den Satz zu beenden, denn in diesem Moment teilten sich die Reihen der Stadtwache, welche den Weg zur Hauptstraße besetzt hielten. Durch den Korridor aus bewaffneten Soldaten trat zuerst Falvius, gefolgt von Jiy und Erik, dem sich auch

Eden, Cyrus und Zachary angeschlossen hatten. Diese blieben jedoch zurück, während der zweite Kommandant und die Gejarn auf den Platz hinaus traten. Zyle hatte Jiy seit Tagen nicht mehr so aufgewühlt gesehen. Aufgewühlt, auf die gute Art. Die grünen Augen der Gejarn blitzten, während sie rasch die Versammelten Adeligen musterte. Vermutlich kannte sie die wenigsten, aber darum ging es ihr auch nicht, dachte der Schwertmeister. Roland und er traten an ihre Seite ,, Ich fürchte, es gab ein Missverständnis.“ , erklärte Jiy, nachdem es ruhig auf dem Platz geworden war. Nur das in Vara allgegenwärtige

Plätschern des Wassers durchbrach noch die Stille. ,, Ihr seid nicht hierher gerufen worden, um einer Hochzeit beizuwohnen. Diese ist vorbei. Ihr seid hier, weil mein Mann verschollen ist und ich vorhabe, in seiner Abwesenheit seinen Platz einzunehmen.“ ,, Wir haben eine Einladung von Kellvian erhalten.“ , erklärte der Mann in der orangefarbenen Weste. Jormund kniff misstrauisch die Augen zusammen. ,,Wir sind verheiratet. Ihr seid etwas spät.“ , antwortete Jiy kühl. Zyle wusste nicht, was sie vorhatte, aber was immer es war, zumindest sie schien sich ihrer Sache sicher. Endlich… Er hatte beinahe vergessen, wie entschlossen sie sein

konnte. ,, Wenn das ein Witz sein soll, dann ist es ein besonders guter.“ , bemerkte jemand anderes. ,, Glaubt mir, das ist kein Witz.“ , mischte sich Roland ein. ,, Ihr steht vor eurer Kaiserin, ob euch das gefällt oder nicht. Ich schlage daher vor, ihr erweist ihr entsprechend Respekt.“ ,,Das ist doch…“ , setzte Jormund an. Das kalte Klirren von Stahl schnitt ihm das Wort ab. ,,Jetzt.“ , meinte der Kommandant mit ruhiger Stimme. ,, Verbeugen, alle !“ ,,Schon gut, Roland.“ , flüsterte Jiy ihm zu. ,,Ich will sie mir nicht direkt alle zum Feind

machen.“ ,, Das, Herrin, ist aber leider die einzige Sprache, die sie verstehen. Mit Sanftmut kommt ihr hier nicht weiter.“ ,, Was ist denn hier los ?“ Ein weiteres Mal wichen die Reihen der Soldaten vor einem Neuankömmling zurück. Dieses Mal war es Quinn, der mit wehender Robe auf die Kutschen zuschritt. Der Ordensoberste machte auf den ersten Blick nicht den Eindruck eines Mannes von Rang, aber der Zauberer vom Sanguis-Orden hatte Prunk nicht nötig, um klarzustellen, wo er stand. Ein Blick in die sanft glühenden Augen, hinter denen der beständige Sturm aus Magie tobte, reichte aus. ,,Großmeister

Zauberer…“ Roland verbeugte sich kurz und wenigstens diesmal zögerten auch die Adeligen nicht. Die Mächtigeren deuteten nur einen kurzen Knicks an. Manche der niederen sanken jedoch auch einen Moment auf die Knie. Aber niemand blieb stehen. Der Ordensoberste stand im Rang grade noch unter dem Kaiser. Aber auch nicht um viel… Oder zumindest, war das der Fall gewesen, bevor Andre den halben Orden ausgelöscht hatte. ,, Der Adel Cantons ist zusammengetreten um Jiy zur Kaiserin zu ernennen.“ ,, Das ist noch nicht entschieden.“ , protestierte Kathirn, die sich als eine der ersten wieder erhoben

hatte. Quinn reagierte schnell: ,, Die Unterstützung des Ordens hat sie. Ich darf also annehmen, dass eure Bedenken nur reine Formalität sind. Ich denke doch, ihr habt alle besseres zu tun. Eure Städte zu verteidigen, beispielsweise.“ Zyle bewunderte die Gewandtheit des Zauberers. Es war keine offene Drohung, aber sie war eindeutig. Gegen den Orden wollte sich, ob nun geschwächt oder nicht, niemand gerne stellen. Und Quinn machte deutlich, das sich daran auch nichts ändern würde. Wenn sie nur nie erfuhren, dass es praktisch keine Zauberer mehr gab, deren Aufenthaltsort sie auch nur

kannten. ,, In diesem Fall…“ , setzte eine junge Adelige an. ,, Wer sind wir, uns gegen die Weisheit des Ordens zu stellen. Das Haus Hadra erkennt euch an. Wir bleiben bei unserer Entscheidung, Kellvian ist unser Kaiser. Und ihr damit rechtmäßig Kaiserin..“ Weitere gaben ihre Zustimmung kund, manche nur gemurmelt, andere offene Zurufe. Nur zwei nicht… Zyles Blick wanderte zuerst zu Jormund. Die Mine des Fürsten hatte sich mit jeder Wortmeldung verdüstert. Er hatte wohl einen anderen Ausgang erwartet. Er machte einen Schritt vorwärts. Bevor er jedoch weit kam, hatte sich ihm bereits

Zyle in den Weg gestellt. Die Klinge schnellte von seiner Schulter und blieb am Hals des Mannes stehen. ,, Wohin so schnell ?“ Jormund ignorierte ihn, als wäre er Luft und sah stattdessen zu Jiy. ,, Würdet ihr vielleicht euren Lakaien zurück rufen… Kaiserin. Die anderen mögen dumm genug sein, euch eure Scharade hier abzukaufen, aber ich ganz sicher nicht. “ Er drehte sich um und stürmte davon. Die übrigen Adeligen sprangen beiseite, während er wieder in seine Kutsche stieg, an der bereits seine Diener warteten. Auf ein Zeichen hin sprangen diese auf den Kutschbock und trieben die Pferde an, welche das Gefährt zum Tor

hinaus zogen. ,, Sollen wir ihn aufhalten ?“ , fragte Roland. Eine Reihe von Musketen-Schützen hatte bereits auf der Mauer Aufstellung genommen. ,, Nein… lasst ihn gehen.“ Jiy sah dem in der Ferne verschwindenden Wagen nach. ,, Es würde nichts ändern. Andre würde die Stadt so oder so bekommen.“ ,,In diesem Fall, gehe ich ebenfalls.“ , erklärte Lady Garin. Zyle hatte sie während des ganzen Vorfalls nicht mehr beachtet, jetzt jedoch galt ihr wieder seine ganze Aufmerksamkeit. Ohne Eile drehte sie sich um, wobei ihre Haare einen kleinen Bogen beschrieben und verschwand ebenfalls in Richtung ihrer

wartenden Diener und Kutscher. Sie hatte gewartet, ob Jormund sicher entkam, dachte Zyle bei sich. Daran hatte er keinen Zweifel. Sie hatte ihn als Versuchskaninchen benutzt um zu sehen, wie Jiy reagieren würde. Raffiniert und es bestätigte ihm abermals, was er ohnehin schon wusste. Er würde dieser Frau nicht einmal dann den Rücken zudrehen, wenn ihr jemand eine Klinge an die Kehle hielt. Die übrigen blieben und sahen den zwei, nun offiziell Abtrünnigen, nach. Nun lief es also endgültig darauf hinaus, das auch der Adel sich auf eine Seite schlagen musste. Manchmal vermisste er Helike doch noch. Zumindest so etwas

wäre dort undenkbar. Aber auch das hatte seinen Preis, dachte Zyle bitter. Als Jiy an diesem Abend die Bäder im Patrizierhaus betrat, ließ sie sich nur noch erschöpft ins Wasser sinken. Es war geschafft. Wie Erik gesagt hatte, sobald allen erst einmal die neuen Verhältnisse klar waren, war es nur noch eine Formalität. Aber eine anstrengende. Jedes Adelshaus wollte noch persönlich seine Beteuerung abgeben, das man sie als Kaiserin anerkannte. Etwas, das vor allem Zeit fraß. Am liebsten hätte sie darauf verzichtet, aber sie brauchte nicht erst Roland oder Erik fragen um zu wissen, dass sie das nicht konnte. Diese

Leute wollten Sicherheit oder noch mehr könnten Andres Versprechen nachgeben und sich lieber ihm zu wenden. Das Kaiserreich war so seltsam organisiert… hätte sie es nicht schon mehrmals erlebt, sie wäre sich noch verlorener Vorgekommen in dem seltsamen Netzwerk aus Fehden, Verwandtschaften und Bündnissen, welche die Adelshäuser Cantons wie Fäden verbanden. Und in weniger ausgeprägter Form taten die Clans es ihnen wohl gleich, dachte sie. Was Älteste und Adel anging war der Unterschied vielleicht gar nicht so groß. Aber zumindest war jeder Älteste seinem Clan verpflichtet. Sie bezweifelte, dass

das auf die Adeligen und ihre Städte und Dörfer zutraf. Wie viele dieser Männer und Frauen könnten noch heimlich Andre unterstützen? Sie sagte sich, dass sie bloß nicht paranoid werden sollte. Sie hatten ihr die Treue geschworen. Ein derart gegebenes Wort brach man nicht leichtfertig. Jiy lehnte sich am Rand des Beckens zurück. Mochte sein, das sie ab jetzt Kaiserin war, aber sie kam sich nach wie vor völlig fehl am Platz vor. Was Kellvian wohl davon hielt? Sie kannte ihn mittlerweile gut genug, um sich die Frage zu beantworten. Beinahe war ihr schon, als könnte sie seine Stimme

hören. ,, Kaiserin Jiy also , ja ? Nun, ich glaube du schaffst das schon. “ Und auch wenn sie wusste, dass es nur ihr eigener Verstand war, der ihr einen Streich spielte, die Stimme machte ihr Mut. Sie wünschte nur, er wäre wirklich hier. Nur hier, das würde schon reichen und es etwas einfacher machen. Götter, sie liebte diesen Mann so sehr… Hoffentlich ging es ihm gut. Bevor sie es selber merkte, war sie auch schon eingeschlafen…

Kapitel 58 Quinns Abschied


,,Ich werde gehen.“ , erklärte Quinn eines Tages. Es musste wohl eine gute Woche her sein, das der letzte Adelige seine Treuebekundung abgegeben hatte. Mittlerweile war in Vara wieder so etwas wie angespannte Normalität zurückgekehrt. Jeder wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die gewaltige Streitmacht, die vor den Toren der Stadt lagerte, sich in Bewegung setzte. Im Augenblick begleitete er, auf Anweisung Rolands, Jiy, die es innerhalb der Mauern des Patrizierhauses nicht mehr ausgehalten hatte. Der

Kommandant hätte ihm vermutlich kaum zugehört, wenn er sein Anliegen vorgebracht hätte. Seine Sorge, die sogar so weit ging, die neue Kaiserin nirgendwo ohne Geleitschutz hingehen zu lassen, machte den Mann leider ziemlich störrisch. Götter, er war selber störrisch, dachte Quinn bei sich und der Gedanke brachte ihn zum Schmunzeln. Er konnte über sich selbst lachen… Der Zauberer war sich nicht sicher, ob das etwas Gutes war. Aber es fühlte sich zumindest richtig an. Genau wie sein Vorhaben. Jiy war langsamer geworden, während sie einen künstlichen Bachlauf überquerten. Der die Straße unterhöhlte,

so dass diese in eine kurze Brücke überging. Die Gejarn beugte sich über das weiß gestrichene Geländer. ,, Ich kann niemanden hierhalten, Quinn.“ , sagte sie tonlos. ,, Ehrlich gesagt hätte ich nicht gedacht, das ihr glaubt, dazu eine Erlaubnis zu brauchen.“ Sie traute ihm nicht ganz. Natürlich nicht. Er hatte Kellvian und die anderen umbringen wollen. Syles Worte änderten daran wohl so schnell nichts. Auf eine unbestimmte Art machte ihn das Wütend. Hatte er nicht wieder und wieder sein Leben für sie alle riskiert? Er hatte sich vor dem Adel für sie eingesetzt. Welche Beweise brauchten sie den noch?

,, Es ist wohl zu viel erwartet, das ihr mich wenigstens kurz anhört… Bei Zyle hattet ihr dieses Problem nicht.“ Offenbar hatte er einen wunden Punkt erwischt, denn die Gejarn fuhr in einer Bewegung, schnell wie ein Gedanke, herum ,, Falls ihr nicht behaupten wollt, ihr hättet ebenfalls nicht aus freien Stücke versucht, uns umzubringen, dann…“ Sie stockte und schloss einen Moment die Augen. ,, Geister… verzeiht mir. Das ist ungerecht.“ Quinn musste sich zusammenreiße, um ihr nicht mit einer bissigen Bemerkung recht zu geben. Das war nicht mehr er,

so seltsam das war. Es würde ihm leidtun, wenn er sich dazu hinreißen ließ. Auf eine Art hatte sie ja Recht. Er war sich noch niemals so absolut machtlos vorgekommen. Obwohl sich eines der mächtigsten Artefakte der Welt in seinem Besitz befand, fühlte er sich wie ein Staubkorn, das sich den Winden alleine entgegenstellen musste. Der Gejarn ging es wohl nicht besser. Niemand konnte etwas dafür. Die Dinge waren nun einmal, wie sie waren. An den Toren Varas, vor den versammelten Adeligen war ihm das erste Mal bewusst geworden, dass der Orden zerschlagen war. Wirklich zerschlagen. Das ihre Burg sich in

feindlicher Hand befand. Er verkörperte eine Macht, die nicht länger da war. Eine Illusion. Und mit einer Illusion würde Andre sich nicht aufhalten lassen. Geschwiege denn der Zauberer in seinen Diensten. Er hatte diesem Wesen, das es gar nicht mehr geben dürfte, in der Ordensburg gegenüber gestanden. Und er wollte es ihm heimzahlen, wenn er konnte, gab er sich selbst gegenüber zu. Rache… Alle meine Laster werde ich wohl so schnell nicht los, dachte Quinn. ,, Ich kann das durchaus verstehen. Nur ändert es wenig an meinem Entschluss…Kaiserin.“ ,,Jiy. Wenn ihr jetzt anfangt, mich alle

so zu nennen, verliere ich endgültig den Verstand. ,, So habe ich mir das alles nicht vorgestellt.“ ,, Keiner von uns hat das. Ich bin nicht Ordensoberer, weil ich das wollte… Jiy.“ Sie sah überrascht zu ihm auf. ,, Nicht ?“ Jiy strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. ,,Nein. Eine… alte Freundin, könnte man wohl sagen, hatte dabei ihre Finger im Spiel. Kiara.“ ,, Das tut mir leid. Wir haben alle gehört, was in der Burg geschah. „ ,, Braucht es nicht. Ihr seid euch sicher das Kellvian noch lebt oder?“ Jiy nickte. ,, Nun und genau so bin ich mir

eigentlich ziemlich sicher, dass ich ihr, leider, nicht zum letzten Mal begegnet bin. Ich schätze… ich mag diese närrische alte Frau leider. Im Gegensatz zu euch, weiß ich aber nicht, ob ich mich freuen soll, oder sie direkt umbringe, wenn ich ihr begegne.“ ,, Das klingt, als hättet ihr noch eine Rechnung offen.“ ,, Ich weiß nicht.“ Er hatte sich gegen das Brückengeländer gelehnt und starrte auf den Boden zwischen seinen Füßen. Anfangs war es ihm genau darum gegangen. Eine Rechnung begleichen. Er wusste noch genau, was er damals Gedacht und Gefühlt hatte, aber zurückblickend kam es ihm seltsam vor.

Es waren die Gedanken eines Wahnsinnigen. Quinn wollte nicht weiter darüber bachdenken. Hatte er sich in so kurzer Zeit wirklich so sehr verändert ? ,, Irgendetwas hat sie mit mir angestellt… Keine Ahnung was, aber ich wäre jetzt ganz sicher nicht in der Situation, in der ich wäre, wenn nicht.“ ,, Wo währt ihr sonst ?“ ,,Vermutlich bei Andre, der mittlerweile schon ganz Canton kontrollieren würde.“ ,,Und stattdessen wollt ihr uns jetzt verlassen.“ ,,Wie gesagt, ihr müsst mir zuhören…“ Quinn zögerte. Irgendeinen Adeligen hätte er schon beschwatzt. Aber Jiy war etwas völlig anderes. Er fürchtete, was

er tun musste, wenn man ihn nicht gehen ließ. ,, Sind Rolands Kundschafter eigentlich schon zurück?“ , fragte er, um Zeit zu gewinnen. Der Kommandant hatte einige seiner Männer losgeschickt, damit sie in ganz Canton Informationen sammelten, vor allem, wo sich Andres Leute genau aufhielten und welche Gebiete überhaupt noch unter ihrer Kontrolle standen. Sie konnten nicht losschlagen, bevor sie nicht wussten, wohin sie sich wenden mussten. ,, Noch nicht. Also, ihr wollt, das ich euch zuhören, Quinn, dann hört auf selber

abzulenken.“ ,,Götter verschont mich, ihr seid genauso schlimm wie Kiara…“ Er warf lachend die Arme in die Luft. ,, Ich will herausfinden, was vom Sangius-Orden noch übrig ist. Nach dem Fall der Ordensburg haben sich die überlebenden Zauberer verstreut. Zu meiner Schande bin ich mir sicher, dass wohl einige zu Andre übergelaufen sein dürften. Ihr kennt den Orden. Nicht alle von uns sind weiße Schafe…“ ,, Das könnte man so sagen. Aber mittlerweile habe ich auch das Gegenteil gesehen. Ich habe mir mal das Versprechen gegeben, nicht mehr vorschnell über jemand zu urteilen. Es

ist nur schwer, sich immer wieder daran zu erinnern.“ ,, Wie gesagt, ich will herausfinden, wer noch lebt und wer auf unserer Seite steht. Hinzu kommt, dass es in den meisten größeren Städte und Ortschaften Niederlassungen des Ordens gibt. Nicht alle Zauberer waren in der Festung. Wenn ich welche finde, werde ich sie nach Vara schicken. Ihr könnt jeden Magier gebrauchen, den ihr bekommen könnt. Als Ordensoberster ist es meine Aufgabe, den Orden zu schützen. Tyrus wusste das, Kiara ist vielleicht dafür gestorben. Nur ich habe es bis jetzt völlig ignoriert. Seht es als meinen Versuch der Wiedergutmachung, wenn

ihr müsst…“ ,, Ich werde euch auch nicht aufhalten, Quinn. Wir tuen alle, was wir für das beste halten. Und ich glaube, ihr habt recht. Je mehr Zauberer wir haben, desto besser. Trotzdem… im Augenblick seid ihr und Zachary die einzigen, die wir haben…“ ,, Der Junge ist mächtiger als ich. Und das nicht nur wegen der Träne.“ Quinn musste sich zu den Worten überwinden. Sich das einzugestehen war nicht nur eine Sache des Stolzes. Den hatte er ohnehin schon lange hinten anstellen müssen. Aber es war beunruhigend. ,, Ich meine das auch als Warnung. Es gibt wenige Dinge, vor denen ich zurück

schrecke, Jiy. Eines davon wäre, mich Zachary jemals einen Grund zu geben, mein Feind zu sein.“ Er hatte gehört, was der Junge mit Andre angestellt hatte. Vermutlich hatte er sich dabei sogar noch weit zurück gehalten. ,, Ich werde daran denken, aber Zac steht auf unserer Seite. Oder vielleicht eher… Edens, was auf das gleiche hinausläuft.“ Quinn nickte. ,, Ich werde noch in dieser Stunde aufbrechen. Meine Sachen sind seit Morgengrauen gepackt und warten in einem Stall bei den Toren auf mich. Ich wollte nur nicht verschwinden, ohne euch mitzuteilen wieso.“ ,, Und wenn ich gesagt hätte, ihr müsstet

hier bleiben ?“ Jiy hatte den Kopf leicht schief gelegt. Quinns Mine wurde einen Augenblick düster. ,, Glaubt mir, ihr könntet mich nicht dazu zwingen. Trotzdem gehe ich lieber mit eurem Segen als ohne.“ ,Geister, das mich der Oberste Zauberer einmal um Zustimmung fragt, hätte ich allerdings auch nie vermutet.“ ,,Ich hätte nie vermutet, dass ich mich mal vor einer Gejarn verbeuge… und es ernst meine.“ Quinn machte eine schwungvolle Verbeugung. ,, Sollte Kellvian zurück kommen, während ich weg bin… sagt ihm nicht, das ich das gesagt habe, ja ? Der fängt sonst noch an zu glauben, seine seltsamer

Friedenswille könnte Erfolg haben.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und machte sich auf den Weg in Richtung Stadttore ,,Passt ihr nur auf euch auf. Ich habe genug Freunde verloren.“ Quinn hörte die Worte, ging jedoch stur weiter. Das war etwas, das er nach wie vor nicht gebrauchen konnte. Vermutlich würde das keiner der anderen Verstehen, aber er war seit je her am besten alleine klar gekommen. Tamyras Tod hatte ihm wieder deutlich vor Augen geführt, warum das so war. Es war einfacher die Leute nur als Schachfiguren abzustempeln und wenn man keine Verpflichtungen hatte.

An den Stadttoren betrat er den Stall, in dem bereits ein Pferd und ein vollgepackter Rucksack auf ihn warteten. Er war ein Zauberer, er brauchte nicht viel. Wenn es jemanden gab, der auch in Kriegszeiten überall eine Unterkunft fand, dann ein Magier auf Reisen. Solange er Vorsichtig war, hieß das. Quinn führte das Tier ins Freie, stieg auf dessen Rücken und entbot Vara einen letzten Gruß. ,, Auf geht’s, Mädchen.“ Quinn versetzte das Pferd in einem leichten Trab und ritt auf die Hügel zu, welche die Stadt umgaben. Als er einen der großen Runensteine passierte, die auf dem

Gipfel der Erhebungen thronten, sah er noch einmal zurück. Ob er es da schon wusste, oder nicht, aber er würde die Stadt lange Zeit nicht wiedersehen. Seine Reise führte ins ungewisse. Nur eines war klar. Er würde an der Spitze eines neuen Ordens zurückkehren oder gar nicht… Es war die Aufgabe, die er sich gestellt hatte. Quinn war sich sicher, Kiara würde ihn auslachen, wenn sie ihn so sehen würde. Ein wehmütiger Abschied… Er riss das Pferd herum und gab ihm die Sporen. Wenn er sich beeilte, könnte er innerhalb von zwei Wochen in Hasparen sein. Dort würde er seine Suche beginnen. Die Zauberer, die es aus der

Ordensburg heraus geschafft hatten, würden sich sicher noch irgendwo in der Nähe aufhalten. Es war ein warmer Sommertag und Schwärme von Mücken schlugen ihm ins Gesicht, während er sich über den Hals des Pferds beugte. Wälder und mit goldgelben Ähren bestellte Felder jagten an ihm vorbei. Die Menschen auf dem Land ahnten das drohende Inferno wohl, aber hier draußen bekam man wenig davon mit. Die Dörfer, die er passierte, wirkten so friedlich wie eh und je. Und doch konnte er nicht wissen, dass er bereits beobachtet wurde. Als er eine weitere Ortschaft passierte, in deren Zentrum sich ein großer Baum erhob,

bemerkte er die gestalt, die im Schatten der Zweige saß nicht. Diese jedoch bemerkte ihn durchaus. Silbergraues Haar fing die vereinzelten Flecken Sonnenlichts ein, die es durch die Blätter schafften. Kiara Vanir sah dem Pferd nach, bis die Staubwolke am Horizont verschwand, dann erhob sie sich von ihrem Platz auf einer Wurzel, strich einige Falten aus ihrem Rock und machte sich selber auf den Weg. Quinn würde nicht alleine sein. Wichtig war nur, dass er erst einmal nichts davon wusste. Die ehemalige Ordensoberste verschwand in einer Gasse zwischen den Häusern und kehrte mit einem Pferd und Gepäck zurück. Ein Teleportzauber war

in diesen Zeiten zu gefährlich und bei weitem zu auffällig. Aber Götter, ihre Knochen machten das auch nicht mehr mit. Kiara hoffte nur, das Quinn ihr verzieh, was sie ihm antat. Aber es war nötig. Hoffentlich wollte Quinn nicht all zu weit. Sie schwang sich in den Sattel, während ihr ganzer Körper protestierte. Der Kampf mit Ismaiel hatte sie mehr Kraft gekostet, als sie zugeben wollte und zehrte entsprechend an ihrer Lebensenergie.

Kapitel 59 Hochgeneral


Was soll das heißen, der Zauberer ist weg?“ , wollte Roland wissen. Der Mann klang geradezu entsetzt, dachte Jiy. Nein, mehr noch, wütend. Sobald sie zurück in der Villa gewesen war, hatte er um ein Gespräch gebeten und nun saßen sie sich an der Tafel im Kaminzimmer, das einstmals Syle für sich in Beschlag genommen hatte, gegenüber. ,, Quinn hat uns verlassen. Mit meiner Zustimmung, heißt das.“ Jiy verstand durchaus, was den Kommandanten plötzlich so aufregte. Sie hatte eine

Entscheidung getroffen, ohne sich vorher mit ihm abzusprechen. ,, Wenn ihr mich als Kaiserin wollt, fange ich besser an, auch so zu handeln. Oder wollt ihr mir sagen, es wäre euch lieber, ich frage euch jedes Mal um Rat, anstatt das Ruder einmal selbst in die Hand zu nehmen?“ Sie wollte ihn nicht kränken, aber die plötzliche Wut des Mannes waren wie ein Guss kaltes Wasser für sie. Sonst immer beherrscht und taktisch, schien er plötzlich unangemessen gereizt. Und sie bezweifelte, dass es dabei nur um Quinn ging. Nur um was sonst ? Sie spürte selber Zorn in sich hochkochen, den sie nur mühsam im Zaum hielt. In den letzten Tagen war

einfach zu viel passiert. Mit ihr war noch der ewige Schatten des Kommandanten, Falvius, anwesend. Der Mann schien Rolands Unruhe nicht zu teilen, sondern musterte seinen Anführer nur, offenbar selber über den kurzen Ausbruch überrascht. ,, Darum geht es doch gar nicht.“ Roland fand seine Fassung wieder. ,,Wir hätten ihn gebrauchen können. Aber wenn das eure Entscheidung ist… werde ich sie natürlich akzeptieren. Verzeiht, Herrin.“ ,, Roland… ihr dürft mir sagen, wenn ihr bedenken habt.“ , erwiderte sie. ,, Ihr braucht mich dazu aber nicht anschreien. Ich habe diesen Titel nicht gewollt, aber das heißt nicht, dass ich

still da sitzen werde.“ Das war wieder eine der Situationen, in die sie nie kommen wollte. Dass es der Kommandant war, machte es nicht unbedingt besser. Sie Verließ sich auf ihn. Jetzt jedoch müsste sie ein Auge auf ihn haben, wie es schien. Das war einfach nicht richtig, das sie Freunde und Verbündeten misstrauen sollte. Dagegen schien alles, was sie bisher erlebt hatte geradezu einfach. Sie hatte sich wenigstens immer auf die Anderen verlassen können, egal was geschehen war. ,, Und ich muss offenbar lernen, das zu akzeptieren.“ Roland lächelte gezwungen. ,,Vielleicht verlasse ich

mich mittlerweile zu sehr darauf, das ihr meine Meinung einholt. Aber ich bin Soldat. Meine Loyalität gilt euch. Bitte Zweifelt nie daran… und auch wenn ich weiß, das euch das nicht gefallen wird, gibt es etwas, über das wir ebenfalls bald entscheiden müssen. Am besten, bevor meine Späher zurückkommen.“ ,,Ihr braucht eine Hochgeneral…“ Sie hatte gewusst, dass das Thema irgendwann wieder zur Sprache kommen musste. Falvius nickte. ,,Ihr könnt ernennen, wen ihr wollt, aber es sollte jemand sein, den ihr Bedingungslos vertrauen könnt. Alles andere wäre…gefährlich.“ ,, Deshalb werde ich auch zurück

treten.“ , erklärte da Roland. ,, Solltet ihr darüber nachdenken, mich zu ernennen. Verzeiht, aber ich bin nicht dumm, Herrin. Ich weiß, dass ich mich grade nicht… Respektvoll verhalten habe. Versprecht mir nur, das ihr gut darüber nachdenken werdet.“ Er verbeugte sich einmal, bevor er den Raum verließ. Jiy saß ihm wortlos nach. Hatte sie sich so sehr in ihm getäuscht? Hatte sie wirklich zugelassen, dass ein einmaliger Ausbruch ihr Vertrauen in diesen Mann so leicht untergrub? Wenn das stimmte, wurde sie wirklich langsam paranoid. Oder tat er das, weil er genau diese Reaktion von ihr erwarte…. Jetzt fang nicht wieder damit an, schalt sie

sich selbst. Sie war es einfach nicht gewohnt, ihre Gefährten derart hinterfragen zu müssen und doch blieb ihr keine Wahl. Falvius wartete stumm am Tisch, während Jiy an eines der Fenster trat. Obwohl draußen die Sonne schien und die Ziegeldächer der Stadt zum Leuchten brachte, schien es ihr, als wäre es in dem Raum plötzlich dunkler geworden. Sie lehnte die Stirn gegen das kühle Glas und schloss einen Moment die Augen. Was tat sie hier eigentlich? Ihr war nicht mehr derart zum Weinen zu Mute gewesen, seit sie den letzten Überlebenden Gejarn aus Lore selbst getötet hatte. Wenn sie sich doch nur

über irgendetwas sicher sein konnte… Aber Wünschen half nichts. ,,Herrin…“ Falvius war offenbar schon besorgt, was sie so lange beschäftigte. Und die Antwort fiel ihr wie Schuppen von den Augen. Sie hatte einen Fehler gemacht. Etwas, das Kellvian vermieden hatte. Was hatte er gesagt… er würde die Dinge ändern. Genau da war das Problem. Sie ließ grade zu, das die Krone sie bestimmte und nicht umgekehrt. Jiy drehte sich entschlossen zu Falvius um. ,,Ich weiß was ich tun werde.“ , erklärte sie und lächelte zum ersten Mal seit Tagen. Zumindest fühlte es sich so an.

Ihr war grade, als hätte sie eine Zenterlast abgeworfen. Sicher, es konnte nach wie vor Schiefgehen, aber es gab nur eine Entscheidung, die sich einfach… richtig anfühlte. Egal, was die beiden Kommandanten davon denken mochten. ,, Ihr könnt Roland ausrichten, ich möchte ihn und euch morgen früh wieder hier sehen. Dann bekommt die Armee ihren neuen Hochgeneral. Bis dahin… brauche ich ein paar Stunden Zeit. Was immer auch ist, ihr dürft euch nach eigenem Gewissen darum kümmern.“ ,, Natürlich, Herrin.“ Er kratzte sich, verwirrt über den plötzlichen Stimmungswechsel, am Kopf. Jiy ging an

ihm vorbei zurück in die Eingangshalle des Hauses. ,, Ach ja… ihr wisst nicht zufällig, wo ich Zyle finde ?“ Zyle Carmine saß in seinem Quartier im zweiten Stock des Hauses. Der ganze Raum war viel zu prunkvoll für seinen Geschmack, obwohl es noch einer der bescheideneren im Haus war. Ein tiefblau gefärbter Teppich, der wohl alleine schon den Monatsverdienst eines einfachen Bauern wert war, bedeckte den Boden, auf dem er saß. Die Klinge hatte er locker über die Beine gelegt, während er vorsichtig einen Krug Öl öffnete. Der Behälter war mit Wachs versiegelt, das

sich nur Wiederstrebend löste. Um ihn herum standen bereits zwei ähnliche Krüge, die allerdings leer waren, zusammen mit mehreren Rüstungsteilen, einem Harnisch, einem Schulterpanzer, zu dem das Gegenstück fehlte… Mit etwas gutem Zureden hatte er Falvius so weit bekommen, das dieser ihm Panzerungen aus den Beständen der Garde zur Verfügung stellte. Es war vielleicht nicht der einzigartige Stahl Helikes, der selbst Kugeln abfangen konnte, aber besser als nichts. Und er würde sicher nicht wie die Gardisten in die Schlacht ziehen. Mit einem Gewehr konnte man es sich vielleicht erlauben, nur mit Uniformen und Stoffen zu

kämpfen, aber er hatte die Feuerwaffen des Kaiserreichs nie besonders gemocht. Seine Waffe war nach wie vor scharfgeschliffener Stahl. Vorsichtig trug er das Waffenöl auf die Klinge auf. Vielleicht würde er später auch noch einen Schmied aufsuchen, wenn er die Gelegenheit bekam und das Schwert neu schärfen lassen. Mit einem Degen zu kämpfen würde schon ungewohnt genug sein, ohne das er halb stumpf war. Ein Teil von ihm sehnte sich nach der alten Waffe zurück, die er während der letzten Jahre getragen hatte, aber vermutlich ruhte diese jetzt irgendwo in den Ruinen Helikes. Der Schwertmeister wollte nicht weiter

darüber nachdenken, sondern zwang sich, stumpf weiterzuarbeiten. Wenigstens lenkte es ihn ab. Langsam aber sicher fand er wieder vertrauen zu sich selbst, aber dieses Vertrauen war noch brüchig. Wenn sie erst loszogen jedoch, würde er sich keine Zweifel mehr erlauben können. Der Gejarn sehnte sich danach, zumindest der Teil von ihm, der noch nicht vergessen hatte, zu was er Ausgebildet worden war. Er setzte sich auf und ließ die Klinge einen Moment durch die Luft kreisen. Die Waffen Cantons waren leichter, als er es gewohnt war, aber das war nichts, an das er sich nicht Anpassen könnte. Er hielt in der Bewegung inne, als es an der Tür

klopfte. Rasch ließ er die Waffe sinken und stellte sie neben einem der Fenster ab. Griffbereit, aber nicht zu auffällig. ,, Darf ich reinkommen ?“ Jiy. ,, Ihr doch immer.“ , antwortete er und fügte hinzu : ,, Nun ja, nicht immer , aber…“ ,,Zyle…“ Die Gejarn schüttelte den Kopf, als sie die Tür aufzog und hereintrat. Mit einem Blick hatte sie das Durcheinander aus Rüstungsteilen und Behältern auf dem Boden erfasst. ,, Ihr werdet die Armee begleiten ?“ ,, Dort bin ich am besten aufgehoben.“ , antwortete er. ,, Und ich glaube, ich finde grade meinen Humor wieder. Es

tut gut euch mal wieder ohne mindestens einen Wachhund zu sehen.“ ,,Fangt nicht damit an. Roland will, das ich einen Hochgeneral ernenne, Zyle. Und natürlich setzt er nach wie vor darauf, dass ich ihn ernenne.“ ,, Und was spricht dagegen ?“ ,, Ich weiß es nicht. Sein Ehrgeiz vielleicht. Oder ich mache mir grundlos sorgen, aber... Ich weiß nicht, ob ich ihm trauen kann. Und Falvius… die beiden hängen derart zusammen, das es eigentlich auf das gleiche hinauslaufen würde, ihn zu ernennen. Es müsste jemand sein, dem ich bedingungslos vertrauen kann. Und jemand der über militärische Erfahrung

verfügt.“ ,,Und ?“ Zyle hatte bereits eine Ahnung, worauf die Gejarn anspielte. ,, Hört mir zu, ich sage euch das gleiche wie Kellvian : Ich fühle mich geehrt, aber nein. Und was das Vertrauen angeht… ihr wisst wie es darum steht.“ ,,Genau davon will ich nichts hören. Zyle… Ihr seid nach wie vor unser Freund. Wenn ich euch nicht vertrauen kann, wem dann noch? Ihr wisst, worauf es im Kampf ankommt, ihr kennt nicht nur die Strategien von Laos sondern seit auch mit denen des Kaiserreichs vertraut. Selbst wenn ihr ein Fremder währt… selbst wenn ihr grade erst hier angekommen wärt, ich würde euch

zumindest um Rat fragen.“ Zyle wusste nicht was er darauf noch erwidern sollte. Ein Teil von ihm wollte ihren Worten einfach Glauben schenken, sich endlich aus der Lethargie losreißen, die ihn befallen hatte. Aber wie ? Er könnte sich irgendwann erneut gegen sie wenden, ohne etwas dagegen tun zu können. Das konnte er nicht ausschließen. Oder doch ? Was hatte Melchior gesagt… Wenn er das Gefühl hätte, sich selbst zu verlieren, sollte er sich erinnern. Erinnern woran ? Sein Blick fiel auf sein linkes Handgelenk, wo der Seher ihn gepackt hatte. Und wo einstmals ein silbernes Band gewesen

war… Als er schließlich aufsah, wusste er die Antwort: ,, Wenn ich mich nicht auf euer Urteil verlassen kann, auf wessen dann?“ ,,Euer eigenes.“ ,, Mein eigenes Urteil rät mir nach wie vor, mich in meinen Zimmer einzuschließen, Jiy.“ Er lächelte schwach. ,, Das nützt mir nicht besonders viel. Erlaubt mir nur, noch etwas darüber nachzudenken.“ ,,Zyle… ich gebe euch auch keine Befehle, ich bitte euch nur genau darum. Wir brauchen euch. Morgen will ich mich wieder mit den Kommandanten treffen. Glaubt ihr ihr seid euch bis

dahin sicher?“ ,,Morgen…“ Es war nicht viel Zeit, aber für das, was er Vorhatte, mehr als ausreichend. Vorher jedoch musste er selber noch jemand um Rat fragen. ,, Ja, das muss reichen.“ ,, Ihr habt aber nichts dummes vor, oder ?“ , wollte sie wissen. Er trat an Jiy vorbei auf den Gang hinaus. ,, Nein, nichts dummes. Das einzig richtige, sogar. Keine Sorge…“ Zyle folgte dem holzgetäfelten Flur ein Stück, während Jiy an seinem Zimmer zurück blieb und ihm besorgt nachsah. Er hätte ihr sagen können, dass dafür keinen Grund gab. Endlich hatte er das Gefühl, wieder etwas Kontrolle über

alles zu haben. Als er schließlich die Tür fand, die er gesucht hatte, klopfte er vor lauter Überschwang erst gar nicht an, sondern trat direkt ein. Cyrus sah überrascht von einem Stapel Karten auf, die er vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Ihm gegenüber saßen Erik und Eden, wobei die Kapitänin dem Wolf genau auf die Finger sah. Zachary hingegen saß neben dem Schiffsarzt und seine Augen huschten, in einem Moment, wo ihn niemand außer Zyle sah, über das Blatt. Hinter dem Rücken des Mannes hob er die Hand und gab dem Gejarn rasch ein paar Zeichen.

Dabei grinste der Junge die ganze Zeit und musste sich anstrengen, nicht loszulachen. Offenbar hatte er den Zwischenfalls mit Andre vergessen, dachte Zyle Gut für ihn. Davon sollte er sich wirklich nicht zu sehr belasten lassen… ,, Zyle !“ , begrüßte Cyrus den Schwertmeister. ,, Schön euch zu sehen. Ihr wollt nicht zufällig mitspielen?“ ,, Passt bloß auf.“ ,warnte Erik ihn. ,, Ich weiß nicht, wo der verfluchte Wolf seine Tricks gelernt hat, aber ich schulde ihm jetzt schon eine ganze Monatsration.“ ,, Die ihr sowieso nicht bekommt.“ , gab Eden zurück. ,, Wir sitzen nach wie vor

an Land fest. Das tut mir nicht gut.“ Zyle bemerkte, das die Gejarn einen weißen Handschuh an der linken Hand trug, als hoffte sie, dadurch zu verbergen, wie unbeweglich Gelenke und Finger schon waren… Für die anderen konnte sie sicher eine völlig harmlose Erklärung dafür hervorzaubern, aber er kannte natürlich die Wahrheit. ,,Ich glaube ich verzichte.“ , meinte er. ,, Vielleicht brauche ich jedoch eine zweite Meinung zu etwas. Jiy möchte mich als neuen Hochgeneral einsetzen.“ ,, Dann müsste ich mich in Zukunft vor euch drei verbeugen, vorausgesetzt, Kellvian taucht wieder auf.“ , bemerkte Erik. Seine Augen jedoch verrieten, dass

er durchaus verstanden hatte, worum es Zyle ging. ,, Wir können euch vertrauen. Glaube ich. Und ich kann von mir behaupten dass ich Menschen ganz gut einschätzen kann. Und Gejarn auch, was das angeht.“ ,, So gut, wie ihr kochen könnt, alter Mann ?“ , stichelte Eden. ,, Ich mag nicht kochen können, meine Liebe, aber ich bin weit davon entfernt, alt zu sein.“ Laos, es hatte etwas Schönes, den vier einfach zuzusehen. Wenn er sich Erik als den verrückten, aber gutherzigen Großvater vorstellte, schien er eine, vielleicht seltsame, aber nette Familie vor sich zu haben. Seine eigene war da

leider etwas…komplizierter. Wie Wys wohl reagieren würde, wenn er ihn wiedersah? Vielleicht konnte er sich wenigstens mit seinem Bruder aussöhnen. Nach allem, was Jiy ihm erzählt hatte, gab der Arme sich nach wie vor die Schuld an seinem Tod. Aber hatte er das nicht selbst heraufbeschworen? Er hatte versucht, zwei Meistern gleichzeitig zu dienen. Herz und Verstand. ,, Danke.“ , meinte er. Zyle hatte die Entscheidung schon vor einigen Minuten gefällt, aber er wollte sich nicht nur auf Jiys Urteil verlassen. Die Gejarn war ihm wichtig, das wussten die Götter. Wichtig genug , um sich auch dem Urteil all seiner…Freunde, zu stellen. ,, Das

musste ich nur hören. Ich werde in die Stadt gehen, nur für den Fall, dass jemand nach mir fragt. Es wird sich hoffentlich noch irgendwo ein Schmied finden, der nicht mit den Aufträgen der kaiserlichen Garde beschäftigt ist.“ Zu seiner Überraschung stand Cyrus auf. ,, In diesem Fall werde ich euch begleiten. Erik hat mich ohnehin gebeten, etwas Tabak für ihn aufzutreiben.“ Der Arzt hob eine Augenbraue, sagte jedoch nichts. Für Zyle war klar, dass er nichts dergleichen getan hatte. Der Wolf in der schwarzen Uniform hatte den Kopf auf die Seite gelegt , als warte er auf

etwas. ,,Natürlich… Ihr könnt gerne mitkommen.“ , hörte Zyle sich selbst sagen. Was hatte Cyrus vor?

Kapitel 60 Eiserne Bande


Sie mussten eine Weile suchen, bis sie einen Schmied fanden, der überhaupt noch Aufträge annahm. Die meisten waren bereits vollkommen mit der Arbeit für die kaiserliche Garde ausgelastet und selbst das reichte nicht aus. Teilweise hatten die Offiziere Schmiede aus den umgebenden Ortschaften anwerben müssen. Alles arbeitete auch Hochtouren. Es gab tausende von Pferden die beschlagen und einen nicht enden wollenden Strom von Ausrüstung, die ausgebessert werden wollte. Hinzu

kamen all die kleinen Dinge, die eine Streitmacht im Feld sonst noch brauchte und die erst angefertigt werden mussten, von Sicherungsbolzen für Zelte über Kistenweise Nägel für Schuhsohlen und Barrikaden. Dieses Mal jedoch, hoffte Zyle Glück zu haben. Das Gebäude, dem sie sich näherten, sah so heruntergekommen aus, wie kaum ein anderes Haus in Vara. Was wohl nicht zuletzt einer dicken Schicht Ruß zuzuschreiben war, welche die ehemals weiße Fassade schmutzgrau verfärbt hatte. Wenn ich mich davorstelle, dachte Zyle amüsiert, sieht man mich fast nicht mehr. Die Schmiede selbst befand sich in

einem rechteckigen Hof, der zum Eingang des Hauses hin führte. Rauchschwaden quollen aus einem Schornstein, der in ein hohes Vordach eingelassen war und verrieten schon auf die Entfernung, dass hier gearbeitet wurde. Unter dem Dach befanden sich schließlich Esse, Amboss, Schleifsteine und die übrigen Werkzeuge des Schmiedehandwerks. Zwischen den Pflastersteinen des Hofs sprossen Unkraut und Gräser. Ein halbes Dutzend Männer arbeiteten unter dem Dach, manche Schliffen Klingen zu, andere wanden Draht oder Lederstreifen um Degengriffe oder gossen Kugeln. Ein paar jedoch saßen auch herum und

schienen auf Arbeit zu warten. Zyle hielt die Augen nach dem Schmiedemeister offen. Bevor er jedoch auch nur dazu kam, zu Fragen ob sie noch Aufträge annahmen, hielt Cyrus ihn plötzlich an. Zyle hatte geahnt, dass der Wolf den Grund, aus dem er ihn begleitete, noch zur Sprache bringen würde. Er war sicher nicht der kleinste, aber vor der dunklen Gestalt und mit der schweren Pranke auf seiner Schulter wünschte er sich plötzlich, ein Schwert dabei zu haben. Nicht, das er Angst vor ihm haben müsste, oder? ,, Wartet einen Moment.“ ,, Wusste ich doch, das ihr nicht nur

mitkommt um nicht beim Schummeln erwischt zu werden.“ Cyrus schüttelte den Kopf. ,, Ihr habt das gemerkt ? Und ich dachte Zac und ich hätten uns gut genug angesprochen. Nun, schlimmer wäre es wohl, wenn das Erik aufgefallen wäre.“ ,, Immer ganz der Optimist, wie…“ ,, Ihr habt es erfasst.“ Der Wolf nahm die Hand von seiner Schulter und Zyle atmete erleichtert auf. Er konnte sich gut vorstellen, dass die Offiziere der kaiserlichen Garde alle Hände voll mit Cyrus zu tun gehabt hatten. Wortwörtlich. ,, Ich habe über dreißig Narben von Kugeln oder Klingen, die mich alle hätten töten können. Keine

davon hat es jedoch. Ich habe also allen Grund, Optimistisch zu sein. Außerdem lebt es sich so einfach besser. Jedoch in letzter Zeit… Irgendetwas stimmt nicht mit Eden, Zyle. Ich spüre so was. Und normalerweise würde ich sie fragen, aber… Götter, ihr kennt sie, sie würde nicht mal zugeben, dass sie getroffen ist, wenn sie grade verblutet. Tatsächlich hat sie das auch einmal getan… Was ich sagen will ist, wenn ihr etwas wisst… sagte es mir bitte.“ Zyle hätte am liebsten laut geflucht. Eden hatte ihm genug Vertraut um ihm die Wahrheit anzuvertrauen. Knochenstarre. Er konnte Cyrus schlicht nichts verraten. Das einzige, was er tun

konnte war, zu hoffen, das Eden ihm früh genug von selbst über ihre Erkrankung erzählte. Wenn nicht würde sie womöglich selbst erfahren müssen, das sie den harten Weg gewählt hatte. ,, Ich weiß es nicht.“ , erklärte er also. ,, Aber habt ihr denn schon versucht, Eden zu Fragen ?“ ,, Mehrmals.“ , gab der Wolf zurück. ,, Sie und Zachary sind das, was für mich einer Familie am Nächsten kommt, ich hoffe das wisst ihr…“ Zyle nickte. Und bevor er es doch nicht übers Herz brachte, ihn für Eden anzulügen sagte er schließlich: ,, Gehen wir. Ich bin schließlich nicht umsonst

hier.“ Der Schmiedemeister war ein hochgewachsener Mann mit kahlem Schädel, dem ein von grauen Fäden durchzogener, schwarzer Bart auf den Bauch hinab hing. Die ruß fleckige Schürze die er trug und das selbstsichere Auftreten Sprachen Bände und als er die zwei Gejarn im Hof bemerkte, kam er rasch zu ihnen herüber. Beim näherkommen zog der Mann ein großes, wohl eistmals weißes, Tuch aus seinem Gürtel und wischte sich die Finger daran ab, bevor er Zyle die Hand entgegenstreckte. ,,Wollt ihr Arbeiten oder habt ihr Arbeit für uns?“ , brummte der

Schmied, als der Gejarn zögerlich die dargebotenen Recht ergriff. Der Kerl hatte einen Griff wie ein Bär. ,,Arbeit.“ , antwortete er rasch und entwand dem Schmied seine Hand. ,, Könnt ihr mir bis heute Abend etwas anfertigen ?“ ,,Kommt darauf an was.“ , gab der Mann zurück. ,, Mein Name ist übrigens Karr. Euer Freund da drüben macht doch keinen Ärger, oder ?“ Er warf Cyrus einen Vielsagenden Blick zu. ,, Nicht, wenn man ihm keinen Grund dafür gibt. Ich heiße Zyle. „ Wenn der Mann sich über Namen und Erscheinung seines Besuchers wunderte, so zeigte er es nicht. Während seiner ersten Reise

nach Canton war er fast überall aufgefallen, aber mittlerweile hatte er sich vielleicht auch einfach nur so gut eingelebt, das man ihn für einen Gejarn der Herzlande hielt. Oder aber die Wirren der letzten Wochen hatten neben ihm noch genug andere Gestalten hier angetrieben. ,, Was ich brauche, ist ein Armreif. Blankes Metall, keine Verzierungen, nichts. Bekommt ihr das rechtzeitig hin?“ ,, Wenn ich sofort anfange, ja. Bezahlung dann aber im Voraus. Da Arbeiten wir wirklich bis kurz vor Sonnenuntergang dran.“ Zyle war nicht nach Feilschen zumute.

Wortlos zog er einen kleinen Lederbeutel aus seinem Gürtel und warf ihm den Schied zu. Dieser wog ihn mit der Hand, war offenbar über das geringe Gewicht überrascht, warf dann einen Blick hinein und verbeugte sich urplötzlich. ,, Besten dank, Meister.“ , meinte er grinsend, während er die Münze Kaisergold aus dem Beutel nahm. Die Handtellergroße Goldmünze war vermutlich mehr Wert, als der Mann in einer Woche verdiente, aber Zyle wollte, dass er sich auch Mühe gab. ,, Was dagegen, wenn ich hier warte, während ihr arbeitet ?“ ,, Bei dem Lohn gebe ich euch meinen Hausschlüssel wenn ihr ihn haben wollt

!“ , lachte der Schmied. ,, Die Einrichtung ist nicht halb so viel Wert.“ ,,Hier draußen reicht schon, vielen Dank.“ , erklärte Zyle ihm, bevor er Cyrus ein Zeichen gab und sie sich auf die Stufen vor dem Haus setzten. Es war ein warmer Tag und bald dröhnte das Geräusch von Hämmern zu ihnen herüber, als sich die Gehilfen an die Arbeit machten. Vermutlich größtenteils feste Angestellte oder vielleicht auch die Söhne des Schmiedemeisters, dachte Zyle. ,, Warum ein Armreif ?“ , fragte Cyrus neben ihm. ,, Das werdet ihr schon sehen.“ , antwortete er.

Der Wolf gab sich endgültig damit zufrieden, dass er heute wohl keine Antworten aus dem Schwertmeister heraus bekommen würde und so warteten sie nur darauf, das Zyles Auftrag erledigt wurde. Eine ältere Frau, vielleicht die Frau des Schmieds, brachte ihnen einen Krug mit verdünntem Bier, als die Sonne bereits den Dachfirst der Schmiede berührte. Dann endlich verklang das Geräusch der Hämmer, das Zwischen von Löschwasser und das Heulen des Blasebalgs. Der Schmiedemeister tauchte aus dem Rauch auf, in der Hand einen in der Sonne funkelnden

Gegenstand. ,, Wie gewünscht, Meister Zyle.“ Er übergab dem Gejarn das Objekt. Es war ein blanke poliertes, zu einem Halbkreis gebogenes, Stück Stahl, in das man eine einfache Leder-Manschette eingelassen hatte, damit man es festziehen oder lösen konnte. Probehalber schloss Zyle die Riemen über seinen Arm. Alles passte. Fehlte nur noch eines… Aber dabei konnte ihm vielleicht Zachary helfen. ,, Vielen Dank.“ Er griff noch einmal in die Gürteltasche und zog einige Silbermünzen hervor, die er dem Schmied zuwarf. ,, Gehen wir zurück, Cyrus.“

Je eher sie wieder bei Eden wären, desto unwahrscheinlicher wurde es, das er ihm doch noch die Wahrheit verriet. Laos, warum musste eigentlich unbedingt er immer in solchen Zwickmühlen landen? Es war zum verrückt werden. Sie brauchten jedoch nicht weit gehen, als ihnen bereits Erik und hinter ihm die Kapitänin und Zachary entgegen kamen. Der Schiffsarzt schien, mal wieder, bester Laune. ,, Cyrus, ihr seid ein Unglücksbringer. Ich dachte ja immer, das trifft nur auf schwarze Katzen zu, aber offenbar stimmt das auch für Wölfe.“ , erklärte er. ,, Kaum wart ihr weg habe ich

plötzlich wieder gewonnen.“ ,, Was Erik eigentlich sagen will ist, das wir uns Sorgen gemacht haben, weil ihr so lange weg wart und euch suchen wollten.“ ,, Nun, ich habe was ich wollte.“ Zyle hielt die linke in die Luft. ,, Allerdings wollte ich euch noch Fragen, ob ich mir Zachary für einen Moment entführen darf.“ Eden nickte nur. Der junge Zauberer trat sofort vor. ,, Um was geht es denn ?“ Zyle bedeutete ihm nur, ihm auf die andere Straßenseite zu folgen. Obwohl es langsam dunkel wurde waren die Straßen Varas überfüllt. Die Unruhe der

Menschen war fast etwas greifbares. Jeder haarte noch der Dinge, die da kommen mochten, obwohl sie bereits einen deutlichen Vorgeschmack darauf bekommen hatten. ,, Und du Cyrus ?“ , fragte die Gejarn unterdessen. ,,Nicht ganz.“ , hörte Zyle ihn noch antworten. Hoffentlich rang sie sich dazu durch, ihm die Wahrheit zu sagen. ,, Kannst du Stahl schmelzen ?“ , wollte er derweil von Zachary wissen. ,, Das ist leicht.“ , antwortete der Junge ohne zu zögern. ,, Man verändert ja nur die Art, wie es sich verhält, nicht gleich das ganze Wesen, wie bei einem

Heilzauber.“ ,, Könntest du auch Worte in Metall einbrennen ?“ Dieses Mal musste der Zauberer etwas länger nachdenken, dann nickte er jedoch. ,, Nicht ganz so einfach, weil ich ja darauf achten muss, nur einen Teil zu verbrennen, aber ja, das dürfte möglich sein.“ Der Junge schien sich geradezu auf die Herausforderung zu freuen. Immerhin, er saß hier genau so fest wie Eden und er war jetzt in dem Alter, in dem Zyle selbst nur ungern stillgehalten hatte. Er konnte sich noch daran erinnern, wie Wys und er einmal auf die Spitze der Ratskammern in der inneren Stadt geklettert waren. Damals

noch jünger als Zachary, sogar. Kindern ließ man in Helike, im Gegensatz zum später streng reglementierten Leben der Erwachsenen, so gut wie alles durchgehen. Ein Ausgleich für die hundert Prüfungen, die ihnen schließlich, wie jedem Bewohner von Laos, bevorstanden. ,, Und du konntest auch etwas hierauf einbrennen ?“ Zyle nahm das Armband ab und hielt es dem Jungen hin. Zachary nickte. Er stellte keine Fragen, wofür Zyle ihm dankbar war. Er wusste selber nicht zu erklären, woher er die Sicherheit dafür nahm. Aber es war das, was er im Augenblick brauchte. Ein Anker. Wie Melchior gesagt

hatte. ,, Was soll ich einbrennen ?“ , fragte Zac. Er sagte es ihm und kurz darauf stoben blaue Funken von dem Metall auf, bildeten Schlieren und Wirbel, die allmählich zu Buchstaben und Worten verschmolzen. Cyrus und die anderen sahen zwar das Licht, trotzdem kam keiner von ihnen näher, als der Gejarn das fertige Werk beobachtete. Perfekt. ,,Danke.“ , meinte er, während er das Stück Metall wieder an sich nahm. Es bedeutete nichts, meinte ein Teil von ihm. Und doch war es mehr als genug. ,, Und Zac…“ ,, Ja ?“ Der Junge war bereits wieder auf

halbem Weg über die Straße, wo Eden , Cyrus und Erik warteten. ,, Ich wäre dir wirklich verbunden, wenn du das hier zumindest bis Morgen für dich behältst.“ Zachary nickte ernst. Zyle lächelte. Der Zauberer würde nichts verraten, da war er sich sicher. Jetzt hieß es nur noch abwarten. Morgen würde er sich wohl noch vor den beiden Kommandanten rechtfertigen müssen, aber das war ihm jetzt egal. Er hatte grade bereits eine viel größere Schlacht gewonnen. Er hatte den Dämonen in seinem Inneren einen empfindlichen Schlag versetzt und das verschaffte ihm das Gefühl grimmiger Genugtuung.

Vielleicht würde irgendwie wieder alles in Ordnung kommen. Den Armreif unter seinem Umhang verborgen machte er sich mit den anderen auf den Rückweg zum Haus des Patriziers.

Kapitel 61 Nicht von hie


Als Zyle am nächsten Morgen das Kaminzimmer betrat, wartete man bereits auf ihn. Zufrieden stellte er fest, dass neben Jiy und den beiden Kommandanten der Garde auch Eden und die anderen da waren. Er wusste, dass er jetzt keinen Rückzieher mehr machen würde, keinen machen wollte, trotzdem, war es gut, nicht völlig alleine zu sein. Es würde seine letzten Zweifel ersticken… ,, Habt ihr eine Entscheidung getroffen, Herrin ?“ , wollte Falvius wissen.

Jiy antwortete ihm nicht sofort. Zyle hatte gestern nicht wirklich darauf geachtet, aber die Gejarn wirkte ungewöhnlich müde. Trotzdem sah sie Roland direkt in die Augen, als sie schließlich erklärte: ,, Das habe ich. Und ihr könnt mir beide glauben, dass ich lange genug darüber nachgedacht habe. Ich will das Zyle Carmine in Zukunft den Oberbefehl über die Truppen bekommt. Ihr beide hingegen, werdet ihn beraten. Ich erhebe euch in den Stand untergebener Generäle. Das habt ihr euch beide verdient, ob es nun einen Hochgeneral zu ernennen gäbe oder nicht. Ich bin euch dankbar, für alles,

was ihr bisher getan habt und hoffe, das ihr diese Entscheidung akzeptiert.“ Roland stützte sich mit beiden Händen auf der Tischplatte ab. ,,Ihr verlangt, dass ich das Leben meiner Männer in die Hände eines Fremden lege ?“ Seine Stimme klang, als würde er das alles für einen bösen Scherz halten. ,, Die Männer mit denen ich Ausgebildet, die teilweise unter mir aufgewachsen sind ?“ Zyle konnte die Bedenken des Mannes durchaus verstehen. Er wusste noch zu gut, wie es ihm selber ergangen war, als man die Männer der Garde der inneren Stadt zerriss um sie ins Feld zu schicken. Alleine, vereinzelt, obwohl sie

doch eine aufeinander abgestimmte Einheit bilden sollten, die wie ein Mann kämpfen konnte. Aber er wusste natürlich auch, dass es Roland um noch etwas ganz anderes ging. ,, Wenn ihr glaubt, besser geeignet zu sein…“ , setzte Jiy an. ,, Ja das tue ich!“ Roland zwang sich unter sichtbarer Anstrengung, die Stimme wieder zu senken : ,, Natürlich akzeptiere ich eure Entscheidung. Wie immer. Aber bei allem Respekt, er ist nicht nur nicht von hier, sondern hat uns bei einer Gelegenheit offen an den Feind verraten. Ihr habt mich gebeten euch meine Bedenken mitzuteilen und das sind sie. Ich fürchte, ihr könntet uns damit in

den Untergang führen. Ich hingegen weiß, wem meine Verpflichtungen gelten. In aller erster Linie Canton.“ ,,Dann haben wir etwas gemeinsam.“ , unterbrach Zyle ihn. ,, Mit einem habt ihr Recht, Kommandant… oder jetzt wohl General. Ich bin nicht in diesem Land geboren, wie ihr. Aber eure und meine Götter sind meine Zeugen, ich habe den gleichen Respekt dafür gewonnen, wie für meine eigene Heimat. Glaubt ihr ich sehe nicht mit dem gleichen Bedauern zu, wie sich Heere zusammenziehen und Schlachten anbahnen? Ich werde Canton genau wie ihr nach Kräften verteidigen solange auch nur noch ein Funken Leben in mir

bleibt. Und ich habe vor es zu beweisen.“ Zyle ließ den Umhang, der bis dahin seine linke Seite und damit auch das Handgelenk bedeckt hatte, bei Seite gleiten. Ein einziges Wort war in den blanken Stahl geschnitten worden. Ein Wort nur, aber für Zyle verkörperte es alles, was wichtig war. Was er sich nun zur Aufgabe machte. In den geschwungenen Runen der Amtssprache Cantons stand dort: Schutz. ,, Als ich meine Heimat verließ, hat man mich mit einem Zeichen gebrandmarkt.“ , erklärte er. ,, Eine ewige Erinnerung daran, was ich zu tun hatte und wieso. Es war als Buße gedacht. Etwas, das

mich für jeden deutlich als den Mann kennzeichnen sollte, der versagt hatte, wo er es nicht hätte tun dürfen. Heute erlege ich es mir selber wieder auf. Jedoch dieses Mal mit einem neuen Eid, einem neuen Auftrag, der erst erfüllt ist, wenn Andre wieder über die Berge gejagt ist oder ich tot bin. Das sind die einzigen zwei Möglichkeiten, wie ich davon frei komme. Ihr kennt die Gesetze der Ehre, Roland, sie sind überall gleich. Nun sagt mir, zweifelt ihr an meinem Wort?“ Sollte er es tun, das wusste Zyle, würden die Waffen sprechen. Es waren die uralten, ungeschriebenen Gesetze die hier galten, die seinen Schwur

untermauerten, nicht die endlosen Rechtskataloge, die mit dem Imperium Cantons gewachsen sein mochten. Roland trat mit mehreren, schweren Schritte auf ihn zu. Er konnte sehen, wie der Mann zitterte, die Hand am Griff seines Schwerts. Dann ließ er die Waffe los und legte Zyle stattdessen eine Hand auf die Schulter. Dieser war einen Moment so verblüfft, dass er die Worte des Generals kaum mitbekam. ,, Ich denke, wir werden gut miteinander auskommen.“ Roland rang sich ein gequältes, aber ehrlich wirkendes Lächeln ab, bevor er flüsternd hinzufügte: ,, Und solltet ihr auch nur jemals daran denken diesen Schwur zu

brechen, werde ich dafür sorgen, das ihr es sehr, sehr lange bedauern könnt, bevor ihr sterbt.“ Zyle nickte. Er konnte sich nicht vorstellen, welche Überwindung es den Mann kosten musste, seinen Stolz herunterzuschlucken. Laos, er wüsste nicht, ob er an dessen Stelle dazu in der Lage wäre. Sie würden keine Freunde, da war Zyle sich sicher, aber der Mann hatte sich seinen Respekt verdient. ,,Ich verlasse mich sogar darauf.“ Er streckte ihm die Hand hin und Roland ergriff sein Handgelenk, natürlich das Recht. Eine stumme Geste der

Akzeptanz. Der General wendete sich derweil vom neuen Hochgeneral ab. ,, Falvius, ich glaube, ihr wolltet uns allen noch etwas mitteilen.“ Offenbar hatten die beiden Heerführer bereits etwas ausgeheckt. Jiy atmete erleichtert auf, als Roland sich von Zyle abwendete und Falvius mit eiligen Schritten aus dem Raum verschwand. Offenbar hatte der zweite General irgendetwas vergessen, dass er jetzt, auf Anweisung Rolands, holte. Mittlerweile war sie überzeugt davon, sich in dem Mann getäuscht zu haben. Und sie hatte ihn ehrlich gekränkt, wie sie befürchtete. Sicher, er hatte den

Posten gewollt, aber die Art wie er über seine Männer gesprochen hatte… Er wollte sie wirklich nur alle beschützen. Jiy schwor sich, später noch einmal mit ihm zu reden um ihm klar zu machen, das sie Verstand. Und eigentlich duldete das keinen Aufschub. ,,Roland.“ Sie wollte die Gelegenheit nutzen, während sie auf Falvius Rückkehr warteten. ,, Verzeiht, ich fürchte, ich habe euch Unrecht getan. Wieder einmal.“ Sie seufzte. ,, Offenbar bin ich keine so gute Kaiserin, wie ihr gedacht habt.“ ,,Ich diene euch immerhin.“ , antwortete er grinsend. Das schien die einzige Bestätigung zu sein, die er selbst

brauchte. Er hielt sie nach wie vor für Fähig genug, um ihr zu folgen. Hoffentlich behielt er damit auch Recht. Jiy fühlte sich zwar etwas sicherer, trotzdem, ganz daran gewöhnen würde sie sich nie. Sie verstand mittlerweile um einiges besser, wie Kellvian dabei zu Mute war und der war wenigstens sein ganzes Leben darauf vorbereitet worden. In diesem Moment öffnete sich auch wieder die Tür zum Saal und der zweite General stolperte, mit Karten und Schriftrollen beladen, herein. Er wich grade noch dem Kamin aus, bevor er den ganzen Stapel auf dem langen Holztisch fallen ließ ,, Verzeiht, es scheint in dieser ganzen

Stadt keine vollständige und aktuelle Karte Cantons zu geben. Eine Schande. “ , erklärte er , während er sich mit den Dokumenten verhaspelte und fahrig nach dem richtigen Kartenausschnitt stöberte. ,, Götter, aber eine Karte mit den Grenzen der freien Königreiche haben diese Halsabschneider… Die gibt es seit fast zweihundert Jahren nicht mehr.“ Falvius warf das entsprechende Papier achtlos über die Schulter, bevor er endlich den richtigen Kartenbogen fand. Er entfaltete den Bogen und stellte einige kleine Bleigewichte auf die Ecken. Jiy trat neugierig näher und auch die anderen taten es ihr gleich. ,, Ich habe mir die Freiheit genommen

unsere momentan wichtigsten Ziele zu markieren.“ Roland übernahm, trat auf die andere Seite des Tisches und deutete auf zwei rote Punkte an der West und der Ostküste Cantons. ,, Lasanta und Erindal. Wir dürfen wohl davon ausgehen, das sich Fürst Jormund und Lady Garin nach ihrem… Abgang, mit Andre verbünden werden. Selbst wenn nicht, haben sie sich offen gegen das Kaiserreich gestellt. Ihre Städte sind somit zumindest als Neutral anzusehen und sollten so schnell wie möglich von uns gesichert werden, bevor Andre es tut. Alleine währen sie leichte Beute für ihn und beide Städte stellen zwei der wichtigsten Seehäfen für östliche und

westliche Sonnensee dar. Wir als auch Andre könnten sie als Flottenstützpunkt und zur Sicherung sämtlicher Nachschubwege gebrauchen.“ Falvius kramte derweil eine weitere Karte, dieses Mal mit einem Stadtplan Lasantas und der umgebenden Gewässer, hervor. ,, Lasanta ist über den Landweg von Bergen geschützt und auch der Hafen ist gut verteidigt. Erindal ist hingegen zugänglicher. Ich schlage daher vor, erst Lasanta einzunehmen, bevor sie dort eine echte Verteidigung aufbauen können. Sonst könnte sich die Belagerung über Monate hinziehen.“ ,, Und wenn wir direkt zuschlagen ?“ ,

wollte Zyle wissen. ,, Ich war dort und ihr habt recht. Die Stadt wird schwer einzunehmen sein, auch so.“ Jiy konnte sich noch gut an ihren Aufenthalt in Lasanta erinnern. Vor allem das Klima. Als würde man in einem Ofen ein Band nehmen. Heiß und die Luftfeuchtigkeit konnte einem auch ohne Pelz in den Wahnsinn treiben. ,, Ich schätze, Wochen, vorausgesetzt, wir stoßen nicht schon auf dem Weg dorthin auf Schwierigkeiten. Ich kenne einige der Offiziere der Stadtwache. Allesamt gute Leute, verdammt… Ich hoffe sie sind vernünftig genug, sich einfach zu ergeben. Gewinnen können sie nicht, das muss ihnen klar sein. Ich will

keinen von ihnen töten müssen.“ ,,Ob zu Land oder zu See, wenn sie wissen, dass wir kommen, kann uns die Stadtwache alleine schon Probleme machen.“ , schloss Falvius. ,,Mir nicht.“ , mischte sich da Eden ein. Die Gejarn hatte den Ausführungen der beiden Generäle eine Weile zugehört, jetzt jedoch trat sie selber an den Kartentisch. Ich kenne die Gewässer um die Stadt wie meine Westentasche und auch das Umland. Ich war in den letzten fünf Jahren wenn nicht auf See, dann dort zu Hause. Und ich habe Freunde dort. Wenn ihr als eine Flotte dorthin senden wollt… melde ich mich freiwillig. Und ich kann wirklich nicht

glauben, dass ich das grade tue, aber… wenn es hilft, das Blutvergießen dort so gering wie möglich zu halten sogar ohne Bezahlung.“ Cyrus grinste. Jiy sah weg, damit Eden es nicht bemerkte. Wenn der Wolf dabei nicht einmal seine Finger im Spiel gehabt hatte. Trotzdem behagte ihr die Idee nicht ganz. ,, Solltet wir uns…“ Sie brach ab, wollte so etwas nicht unbedingt unter den Augen davon Roland und Falvius aussprechen. ,, Bitte lasst uns kurz alleine.“ Die beiden Männer verbeugten sich gleichzeitig und verließen dann den

Raum. ,, Was bedrückt euch ?“ , wollte Erik wissen. Man sah ihr wohl schon an, was sie dachte. ,, Ist es wirklich nötig, das wir uns noch weiter verstreuen ?“ Allein die Idee, dass die kleine Gruppe, die hier um sie versammelt war, sich nach so langer Zeit trennen sollte… selbst wenn es nur für ein paar Monate wäre.. . ,, Ich will nicht auch noch euch verlieren.“ Das hier war anders, als ein schlichter Abschied, wie ihr nur zu deutlich bewusst war. Es war Todernst. Wenn Eden und die anderen nach Lasante zogen, würde sie hier bleiben müssen, das war ihr klar. Es gab zwei Ziele. Das

zweite war Erindal… ,, Wir sind wieder da, bevor ihr auch nur merkt, dass wir weg waren.“ , meinte Cyrus aufmunternd, aber auch dem Wolf war anzumerken, was er davon hielt. ,, Und dann kann Erik uns wieder mit seinen Kochkünsten auf die Nerven gehen.“ Jiy lachte. ,, Ich nehme euch beim Wort…“ Sie trat auf Eden zu und schloss die Kapitänin einen Moment in die Arme. Diese war einen Moment zu verdutzt um irgendetwas anderes zu tun, als Jiy mit einer behandschuhten Hand auf die Schulter zu klopfen. Die Gejarn ging die Reihe durch, bis sie sich schließlich von Zachary

löste. ,, Kommt in jedem Fall wieder.“ , murmelte sie mit erstickter Stimme. ,, Alle von euch. Das ist ein Befehl, wenn es sein muss.“ Und doch brachte es nichts. Sie konnte nicht wissen, ob sie einen der vier je wieder sehen würde. Jiy trat einen Schritt zurück und bemerkte da erst, das Roland und Falvius wieder in der Tür standen. Die beiden konnten auch wirklich Befehle befolgen… Offenbar hatten sie einen Gefühlsausbruch wie diesen nicht von ihrer Kaiserin erwartet, denn Falvius räusperte sich nervös. ,, Herrin ?“ Die Gejarn sammelte sich wieder etwas.

,, Ihr werdet die Windrufer nehmen schätze ich ?“ Eden nickte. ,,Sie ist immer noch eines der besten Schiffe von hier bis nach Helike.“ ,, In diesem Fall, Falvius, gebt Anweisungen , das sich die Marine an den Klippen der Westküste sammeln soll. Und bis Lasanta eingenommen ist unter Edens Befehl steht.“ Der General nickte. ,, Ich werde mich sofort darum kümmern. Am besten ist es, wenn die Kapitänin uns irgend ein Zeichen gibt, das ich den Admiralen schicken kann… Eden, wenn ihr mir folgen würdet…“ Die Gejarn schloss sich dem General an,

gefolgt von Erik, Cyrus und Zachary. ,, Wir brechen sofort danach auf.“ , erklärte sie im Vorübergehen noch Jiy, dann waren sie auch schon aus der Tür , die hinter ihnen zu viel. ,, Wenn Eden nach Lasanta geht, werden wir nach Erindal ziehen.“ , erklärte Jiy entschlossen. Roland schüttelte den Kopf. ,, ich fürchte das muss warten. Ich… bin nicht einfach so in euren Abschied hereingestolpert, Herrin. Die Späher sind so eben zurückgekehrt. Und sie haben schlechte Nachrichten…“

Kapitel 62 Späher


Die zwei abgerissenen Gestalten, die Falvius in einigem Abstand folgten, wirkten als hätten sie Wochen in der Wildnis verbracht. Die braun-grüne Waldkleidung, die sie trugen, wies gewaltige Schmutzflecken auf, wovon manche einen verräterischen Stich ins rote besaßen. Blut. Jiy konnte es noch riechen. Und es stammte nicht von einem Tier… Jeder der Männer trug ein Gewehr über der Schulter und ein Messer im Gürtel. Als sie mit dem General den Raum betraten, setzten sie die Waffen jedoch

ab und verbeugten sich einen Moment. Sobald sie sich wieder erhoben, sahen sie sich jedoch verwirrt um. Offenbar hatte Falvius ihnen zwar gesagt, das die Kaiserin sie zu sprechen wünschte, nur hatten sie sicher keine Gejarn erwartet. Die Art, wie sie sich umsahen ließ sie an Kinder denken, die in einer Menschenmenge ihre Eltern verloren hatten. Und dann die plötzliche Erkenntnis, dass sich nur eine Frau im Raum befand und sie sich tatsächlich nicht in der Tür geirrt hatten. Jiy konnte ein leises Kichern nicht unterdrücken. Es würde wohl noch eine Weile dauern, bis alle erfuhren, wer ihre neue Anführerin war.

Ihr Lachen verstummte jedoch sofort wieder, als ihr der Grund für die Anwesenheit dieser Zwei wieder klar wurde. Sie waren nach wie vor im Krieg und Jiy brauchte nicht den schwachen Blutgeruch um zu wissen, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Eden und die anderen waren fort und hinterließen eine weitere Lücke, der sie sich nur zu bewusst war. Aber wenigstens taten sie endlich etwas. ,, Setzt euch.“ , wies Jiy die zwei Späher an. ,, Ihr habt einen weiten Weg hinter euch, oder ? Wenn ihr euch zuerst ausruhen möchtet…“ ,, Keine Umstände, Herrin.“ , antwortete

der erste der Männer. ,, Aber unsere Nachricht ist dringend und duldet keinen Aufschub. Wenn ihr also Erlaubt…“ Die Gejarn nickte. ,, Bitte.“ Sie nahmen am Tisch Platz. Mittlerweile war es später Nachmittag und die Sonne schien genau durch die großen Fenster herein. Staubfunken tanzten im rötlichen Licht. Noch bevor die zwei Boten saßen, begannen sie schon ihren Bericht. ,, Herrin, auf Befehl von General Roland haben wir Andres Streitkräfte, die aus Vara geflohen sind, aufgespürt und verfolgt. Ich, mein Begleiter hier und noch gut hundert Mann zusätzlich, die uns in einigem Abstand folgten. Zuerst

war der Aristokratenbund in heilloser Flucht und es sah so aus, als würden sie sich einfach nach Norden zurückziehen, wo wohl noch das Groß ihrer Truppen steht. Dann jedoch ist jemand bei ihnen eingetroffen.“ An dieser Stelle übernahm der zweite Späher. ,, Wir konnten einige Offiziere belauschen und haben herausgefunden, dass es sich bei diesem Neuankömmling um niemand anderen als Andres obersten Heerführer handelte. Erland Reiksson. Ab da änderte sich alles, die Truppen zogen sich nicht weiter zurück, sondern schlugen einen Bogen nach Osten. Direkt auf die Erdwacht zu. Als uns klar wurde, was sie vorhaben, haben wir unsere

Begleittruppen zur Festung geschickt um sie zu sichern und sind so schnell wie möglich hierher zurück. Aber… ich fürchte, wir waren nicht so vorsichtig bei unseren Beobachtungen wie wir Gedacht haben.“ ,, Was ist passiert ?“ , fragte Zyle. Die beiden Späher wussten offenbar auch nichts mit dem seltsamen Gejarn anzufangen, blieben aber ausnehmend respektvoll. Sie wollten wohl nicht erneut in ein Fettnäpfchen treten. Trotzdem konnte Jiy die Trauer in der Stimme des Mannes hören. ,, Als wir die Truppe verließen… waren wir noch zu siebt, Herr.“ Die Gejarn verstand nur zu gut. Für

diese beiden waren es Freunde und Waffenbrüder gewesen… Und sie musste über deren Leben und das von noch viel mehr bestimme. Entscheiden, wo sie zu kämpfen und notfalls zu sterben hatten. Die Alternative jedoch war noch düsterer. Sie hatte dieser Möglichkeit abgeschworen. ,, Wenn es Erland gelingt, die Brücke über den Erdschlund und die Festung für sich zu gewinnen, kann er den kompletten Osten Cantons mit nur einer einzigen Schlacht von uns abtrennen und für sich gewinnen.“ , warnte Falvius. ,, Götter, wer hätte gedacht, dass diese alten Trümmer noch einmal eine militärische Rolle spielen würden ?“ Er

grinste sein typisches, irgendwie nicht richtig deutbares Grinsen. Jiy glaubte mittlerweile, das es einfach seine Reaktion auf alles Überraschende war. ,,Wir.“ , gab Roland zurück, der bisher geschwiegen hatte. Entweder brütete er doch noch über Zyles Ernennung zum Hochgeneral oder ersann tatsächlich schon eine Taktik. ,, Wir hätten daran denken müssen, Falvius. Sogar schon lange. Natürlich werden die Brücke und die Festung wichtig…“ Der Erdschlund war ein tiefer Graben, der sich von den Bergen im Norden fast bis zum Meer zwischen Laos und Canton zog und nur an einer einzigen Stelle Überbaut war. Reisende mussten

entweder außen herum gehen, was lange Zeit in Anspruch nahm, oder die einzige passierbare Stelle erreichen. Die Erdwacht. Eine uralte Festung, deren Grundmauern angeblich noch von den Zwergen errichtet worden waren, bevor diese ihre lange Reise antraten. Zumindest hielt die Brücke dort seit Jahrtausenden den Elementen stand und bildete das Tor zwischen der Provinz um Vara und den dahinter liegenden Süden des Landes. Einstmals hatte der Bau wohl die Außengrenze des Imperiums markiert, aber das lag Ewigkeiten zurück. Damit war sie mit den Jahren schlicht bedeutungslos geworden und verfallen. Niemand brauchte ein

Bollwerk, das sich mitten im Kerngebiet Cantons befand. Bis jetzt. Ein Engpass, wie Jiy nun selber klar wurde. Leicht zu verteidigen aber nur unter massiven Verlusten wieder zurück zu gewinnen. Und Erland hatte die Gelegenheit ergriffen, die sich ihm dort bot. Dieser Mann wusste offenbar, was er tat. ,, Dann müssen wir sofort los.“ , meinte Zyle. Ihm war die Bedeutung der Erdwacht auch klar. Er wendete sich an die Späher : ,, Wie viel Mann habt ihr an der Festung zurück gelassen ?“ ,, Etwa einhundertfünfzig Gardisten. Das wird Erlands Streitmacht aber nicht lange aufhalten. Auch nach der Schlacht

um Vara ist seine Truppe noch leicht fünftausend Mann stark und die Verteidigungsanlagen der Erdwacht sind verfallen.“ Er missdeutete Jiys Gesichtsausdruck wohl als simples Missfallen. ,, Sie werden aber tun, was sie können, Herrin, das schwöre ich…“ ,, Er wird sie einfach überrennen.“ , sprach Jiy ihre Gedanken aus. ,, Geister… Ihr habt diese Männer zum Sterben zurück gelassen.“ Ihr wurde Schlecht vor Wut und Angst und wäre sie ein Mensch gewesen, hätte wohl jeder gesehen, wie sie bleich wurde. Wenn die Zahlen so standen… Es hatte nicht einmal irgendeinen Sinn, dachte sie. Andres Männer würden die Verteidiger

innerhalb weniger Herzschläge niedermachen, wenn sie sich ihnen entgegenstellten. ,, Ihr habt eure Männer auf eine verdammte Schlachtbank geschickt…“ ,, Das ist ihre Aufgabe.“ , setzte der Späher an. ,,Sie tuen ihre Pflicht.“ ,, Ihre Pflicht ist es, dieses Land zu schützen, nicht sich sinnlos abschlachten zu lassen.“ , kommentierte Zyle. ,, Wer hat diesen Befehl gegeben?“ ,, Sie…“ Der zweite Späher räusperte sich. ,, Sie haben sich freiwillig dazu bereit erklärt.“ ,,Verflucht sei die kaiserliche Garde und ihr unendliches Pflichtgefühl.“ , brummte der Gejarn. ,, Vergeudete

Leben. Ich habe so etwas immer gehasst.“ ,, Nicht wenn wir uns beeilen.“ , korrigierte Roland ihn. ,, Und wenn sie fallen, verschaffen sie uns vielleicht grade genug Zeit, dorthin zu gelangen. Aber dann müssen wir jetzt aufbrechen. Herrin, ich schlage vor, ich und Falvius ziehen sofort mit zwanzigtausend Mann in Richtung Erdwacht um die Anlage zu sichern. Ihr und der Hochgeneral könnt mit den restlichen Männern Vara und die Herzlande verteidigen, falls Andre einen Angriff aus dem Norden wagt.“ ,, Ich werde euch begleiten.“ , antwortete Jiy nur. ,, Herrin, ich denke nicht

das…“ ,, Ich habe nicht gesagt, das ich mit euch darüber diskutieren will, Roland. Ich habe gesagt, ich komme mit. Zyle kann Vara auch ohne mich verteidigen.“ ,, Verzeiht… .“ , mischte sich der Gejarn mit einem grimmigen Lächeln ein. ,, Aber ihr glaubt doch nicht wirklich, ich überlasse euch das alleine und sitze hier nur rum ? Die Verteidigung hier kann auch einer der Offiziere der Garde übernehmen. Aber wenn wir die Erdwacht verlieren hat Andre uns praktisch schon geschlagen. Ihr wolltet mich als Hochgeneral Jiy, gut, das hier ist meine Empfehlung: Wenn ihr loszieht um Andre eine

Lektion zu erteilen, bin ich dabei. Ich habe noch eine kleine Rechnung mit ihm offen.“ Jiy hätte Wiedersprechen können, irgendetwas sagte ihr sogar, dass sie es sollte, aber Zyle würde es sich nicht ausreden lassen. Und darauf zu hoffen, dass der Gejarn aus Laos ihr so unterwürfig gehorchte wie Roland oder Falvius , das konnte sie lange tun. ,, Also gut. Roland, ruft eure zwanzigtausend zusammen und übertragt den Befehl über Vara jemanden, dem ihr vertraut. Der Hochgeneral wird uns begleiten.“ ,, Jawohl, Herrin, aber ich darf euch wenigstens bitten, euch zurück zu halten,

wenn wir die Festung erreichen und es zum Kampf kommt. Ich werde eine Reihe meines besten Kämpfer abstellen, die euch als Leibwache dienen.“ ,, Behaltet die Kämpfer und setzte sie dort ein, wo ihr sie braucht.“ , antwortete sie sofort. ,, Aber wenn es euch beruhigt… ich werde mich hinter den Schlachtlinien halten.“ Zumindest sofern ihr das möglich war, dachte die Gejarn. Sie wusste Roland fürchtete kaum etwas mehr, als noch einen Herrscher zu verlieren. Und sie musste der Vernunft hier Recht geben. Wenn Jiy starb, zerbrach Canton endgültig. Und sie war keine Kriegerin… ,, Es gibt da vielleicht noch etwas, das

ihr Wissen solltet, Herrin.“ , merkte der erste Späher an. ,, Es ist nur ein Gerücht, das wir aufgeschnappt haben, aber offenbar haben die Clans ihre Wälder verlassen.“ Das war allerdings seltsam. Was ihr jetzt noch fehlen würde wäre, das einige Clans doch noch einmal versuchen würden, sich gegen Canton zu stellen. ,, Welche Clans genau ?“ Der Späher zuckte mit den Schultern. ,, Nun… Alle, Herrin. Das ist es ja grade. Es gibt in den Herzlanden vielleicht noch eine Handvoll Gejarn, die zu einem Clan gehören… Alte und Kranke. Aber keinen einzigen Mann oder Frau in waffenfähigem Alter. Wie es im Rest

von Canton aussieht, wissen wir leider nicht." ,, Und wisst ihr auch, wo sie hin wollten ?“ Die Männer schüttelten den Kopf. ,, Nein verzeiht. Nur, das es für sie nach Südosten ging. Die Spuren waren bei so vielen leicht zu finden. Oder leicht, für Gejarn-Verhältnisse zumindest. Aber…“ ,, Aber ?“ ,, Es geht ein Gerücht um. Ich dachte erst, es sei nicht wichtig, eben nur Geschwätz, aber… Im Süden heißt es, der Geist von Simon Belfare sei erschienen und treibe Andres Männer jetzt vor sich her. Er holt sich die Soldaten bei Nacht, wenn sie sich zu

weit von ihrer Einheit entfernen oder wenn sie unaufmerksam sind. “ ,,Kellvian.“ , stellte Roland fest. ,, Ich meine, das muss er sein, oder ? Er lebt also wirklich noch…“ ,, Ihr habt daran gezweifelt ?“ Erleichterung. Jiy musste sich mit einer Hand am Tisch abstützen. Sie hatte die Bestätigung. Er lebte… ,, Von wo genau stammen diese Berichte noch einmal ?“ ,, Aus dem Süden, Herrin.“ , fuhr der zweite Späher fort. ,, Aus dem Gebiet um die Stadt Erindal. Ich habe einige Männer dorthin geschickt und sie brachten die Geschichte mit. Offenbar hat Andre allerdings auch die Stadt unter seiner Kontrolle… Und wir müssten an

der Erdwacht vorbei um dorthin zu gelangen.“ ,, Worauf warten wir dann noch ?“ , reif Zyle. ,, Roland, macht eure Männer bereit, wir brechen mit dem ersten Licht morgen früh auf.“ ,, Und gebt diese Männern etwas zu essen.“ , wies Jiy sie an. Die beiden Generäle verbeugten sich und verschwanden mit den Spähern aus dem Raum. ,, Ihr denkt das gleiche wie ich, oder ?“ , wollte Zyle von ihr wissen, sobald die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war. Oh ja, das tat sie, dachte Jiy, während sie ans Fenster trat. Ihr blick wanderte

nach Süden, in die Richtugn, in der Erindal wohl liegen musste. Kellvian war irgendwo da draußen. Und jetzt wussten sie, wo sie ihn suchen mussten. Nur die Erdwacht stand ihr im Weg. Sollte Andre versuchen, sie aufzuhalten, er würdeschnell herausfinden, was er davon hatte. ,, Wir werden ihn finden.“ Und wenn dann Eden und die anderen noch sicher zurück kehrten wären sie endlich wieder alle beisammen. Irgendwie konnte alles immer noch gut werden. So schwer der Weg dahin auch werden würde.

Kapitel 63 Erdwacht


Am Rand einer gewaltigen Schlucht gelegen, ragte das Bollwerk wie ein schlafendes Untier aus längst vergangenen Zeiten vor ihnen auf. Lauernd und immer im Kampf darum, nicht in die Tiefe zu stürzen, wie es schien. Zertrümmerte Mauern und abgebrochene Zinnen wirkten im Licht der aufgehenden Sonne beinahe wie schwarze Zähne. Verblasste Banner wehten im Wind. Jiy konnte sich noch gut an die dunklen Ruinen erinnern, damals wie heute hatte die gewaltige

Anlage auf sie den gleichen Eindruck. Unglaube darüber, dass man überhaupt so etwas bauen konnte und erstaunen, dass man es dann verfallen ließ. Sie konnten nur die höchsten Türme der verwinkelten Anlage sehen. Die Straße führte jedoch leicht bergauf. Sobald sie den Kamm des Hügels erreicht hätten, würden sie sich etwas Übersicht verschaffen können, dachte Jiy. Die Gejarn ging zu Fuß und trug eine einfache, grün-braune Weste. Einfache Kleidung, die sie aber um einiges mehr gewohnt war. Und darauf kam es letztlich an. Als Zugeständnis an die Generäle hatte sie sich jedoch bereit erklärt, noch eine blauen

Schulterumhang zu tragen, damit zumindest Verbündete sie leichter erkennen konnten. Nicht, dass das nötig werden würde, dachte sie. Sie hatte vor, ihr Versprechen zu halten und sich nicht unnötig in Gefahr zu begeben. Wobei Roland das hier wohl schon als genau das wertete. Eine unnötige Gefahr. Aber sie konnte nicht einfach herumsitzen und abwarten. Das hatte sie immer schon gehasst… Zyle schien es ähnlich zu ergehen. Der Schwertmeister hatte sich geweigert, eine der Uniformen der Garde zu tragen und stattdessen die Panzerung angelegt, die er aufgetrieben hatte. Die große Handelsstraße, die von Vara

bis vor die nicht mehr vorhandenen Tore der Erdwacht führte, verschwand unter dem endlosen Zug aus Gardisten. Zwanzigausend Mann… Jiy war sich nicht sicher, ob sie schon einmal so viele Menschen auf einmal gesehen hatte. Es gab Städte, die weniger Einwohner hatten. Und trotz tausender Schritte und dem Geklapper von Waffen und Hufen, war der Lärm, der von der Festung herüberdrang nicht zu überhören. Das Klirren von Schwertern , das Dröhnen von Gewehrsalven…. Zyles Hand wanderten zum Schwert, noch bevor die Festung endgültig in Sicht kam.

Jiy befürchtete, sie könnten schlicht zu spät gekommen sein. Und dann sah sie die ersten Soldaten. Grau uniformierte Männer, die durch die Torbögen ins Innere der Festung drängten, von wo der Kampflärm drang… Hinter der Burg ragte die Brücke über den Erdschlund. Eine gewaltige Steinkonstruktion, die aus Granitblöcken, so groß wie Häuser zusammengesetzt war. Der Brückenbogen war derart gewaltig dass man, stünde man genau in der Mitte, eher das Gefühl hätte, auf einem offenen Platz und nicht in luftiger Höhe über einem Abgrund zu stehen. Und auf der Brücke bewegte sich etwas.

Die letzten Verteidiger zogen sich, nach wie vor um ihr Leben kämpften, darüber hinweg zurück. Ihnen auf den Fuß ein endloser Strom grau uniformierter Gestalten. Pulverdampf machte es schwer etwas zu erkennen, aber eines war klar… ihnen blieb nicht mehr viel Zeit. Gewaltige Rauchschwaden stiegen aus einigen der verfallenen Festungsbauten auf. Entweder hatten Andres Männer durch Unachtsamkeit Feuer entfacht, oder die Verteidiger um ihren Gegnern möglichst wenig zu hinterlassen. Zum Glück für sie, waren Andres Männer so darauf fokussiert, den letzten Wiederstand in der Erdwacht zu brechen, dass sie nicht auf ihren Rücken achteten.

Als die ersten die Armee bemerkten, die aus ihrer Sicht wie aus dem Boden gewachsen auf der Straße auftauchte, war es zu spät für sie. Roland lächelte grimmig. Ein Ausdruck, den Zyle bisher nur ein paar Mal bei dem Mann beobachtet hatte. Die Erdwacht schien zu brennen. Bis er Helike hatte in Flammen stehen sehen, hätte er sich nie zu träumen gewagt, dass Fels brennen konnte. ,, Ist das Magie gewesen ?“ , wollte er von dem Menschen wissen. Der General schüttelte den Kopf. ,, Besser. Drachenfeuer. Das Zeug brennt sogar unter Wasser noch weiter und geht

erst nach Stunden aus, wenn man es nicht zuschüttet. Das waren unsere Leute, da bin ich mir sicher.“ Roland ließ den Blick ein letztes Mal über die Festung schweifen. Die ersten von Andres Männern bemerkten sie schließlich, drehten sich verwirrt, dann mit zunehmenden Schrecken zu ihnen um. ,,Hochgeneral…“ , setzte Falvius an. ,, Ihr zuerst…“ Roland riss den Degen in die Luft. ,, Kaiserliche Garde…!“ Ohne, dass es einer weiteren Anweisung bedurft hätte, fächerten die ersten Reihen aus Gardisten aus, bildeten klare Linien, während die ihnen nachfolgenden

bereits auf Position gingen… Es war ein Ehrfurcht gebietendes Schauspiel. Reiter nahmen in den Lücken zwischen der Schützenformation Aufstellung. Alles in allem dauerte es keine Minute, bis aus dem losen Zug Soldaten eine glänzende Wand aus Degen und Bajonetten wurde ,,Feuer !“ Zyle stieg der stechende Geruch von verbranntem Schwarzpulver in die Nase, noch bevor er den Donnerschlag hörte, der folgte. Nebel und Feuer stiegen gleichzeitig aus den Mündungen der Gewehre auf. Kugeln pfiffen durch die Luft… und fanden ihre Ziele unter den am Torbogen zusammengedrängten

Soldaten des Bundes. Die Männer stolperten getroffen übereinander, rissen noch weitere Zu Boden. Mehrere Offiziere schrien Befehle und versuchten, schnellstmöglich wieder Ordnung in das Chaos zu bringen und sich dem unerwarteten Gegner entgegenzustellen. Roland jedoch hatte erst gar nicht vor, es so weit kommen zu lassen. Der ehemalige Kommandant stürmte bereits mit erhobener Waffe vor, bevor sich ihm jemand anschließen konnte. ,, Vorwärts! Treibt sie zurück. Über die Brücke und bis über die Berge wenn nötig!“ , rief er über die Schultern. Der Mann war völlig verrückt, entschied

Zyle in diesem Moment für sich. Mehrere Schüsse fielen, bevor die Armee schließlich dem Beispiel Ihres Heerfürhers folgte. Zyle rechnete schon damit, Roland zum letzten Mal gesehen zu haben, aber der Mann rannte weiter, scheinbar unverletzt. ,, Das macht er immer so.“ , kommentierte Falvius, der Schwert und Steinschlosspistole zog und sich dann daran machte, dem Beispiel zu folgen. ,, Ich bekomme ein Goldstück pro Kugel die er sich einfängt.“ ,, Und wie viel schuldet er euch schon ?“ ,, Nichts. Verfluchter Glückspilz.“ Mit diesen Worten schloss sich Falvius dem Strom aus Kämpfer an und Zyle zögerte

nun auch nicht mehr. Einen Moment sah er sich noch nach Jiy um, die zum Glück Worthielt und sich bei den Reservetruppen hielt, dann prallten die nach wie vor paralysierten Soldaten Andres und die Garde aufeinander. Die Steine unter Zyles Füßen waren innerhalb von Herzschlägen in Blut getaucht. In dem Durchgang unter dem Torbogen nutzte ihnen ihre Übermacht noch nicht viel. Schulter an Schulter mit den Gardisten konnte er sich nicht richtig Bewegen und musste sich damit begnügen, kurze, wenig kraftvolle Schläge zu führen, die seine Gegner ins Stolpern brachten, aber einfach keine schweren Wunden hinterließen. Es war

eine kräftezehrende und langwierige Art zu kämpfen. Wenn er nur mehr Raum hätte… ,, Zurück.“ , rief er und zu seinem Erstaunen gehorchten die Männer links und rechts von ihm ohne Zögern. Er war ihr Hochgeneral… An den Gedanken würde er sich erst noch gewöhnen müssen. Aber nicht jetzt. Jetzt hatte er endlich den Platz, den er brauchte. Zyle zerschmetterte den Lauf eines Gewehrs, mit dem jemand nach ihm stieß, nutzte die entstandene Lücke sofort, um einen Schritt vorzumachen und versenkte das Schwert in der Brust des Angreifers, bevor dieser auch nur realisiert hatte, das seine Waffe zerstört

war. Er wirbelte nach rechts, grade noch rechtzeitig um einen Streich abzuwehren, der seinem Nacken gegolten hatte. Stahl prallte auf Stahl. Der Schwertmeister zog sich urplötzlich zurück. Sein Gegner stolperte, ohne die erwartete Gegenwehr, nach vorne, bis er direkt in Zyles Klinge hineinlief. Irgendwann vergaß er, auch nur darüber nachzudenken. Ausbildung und Jahrelange Erfahrung übernahmen die Herrschaft, während er zielstrebig den Wiederstand brach. Endlich war die Lücke groß genug, dass die übrigen Gardisten nachrücken konnten und Zyle ließ sich etwas zurückfallen um sich einen Moment zu erholen. Einige

rötliche Schnittwunden leuchteten auf seinen Armen, die zwar schmerzhaft brannten, aber nicht sehr tief waren und bereits langsam verheilten. Er war sich nach wie vor nicht sicher, ob ihn etwas anderes, als Feuer oder ein gewaltiges Gewicht töten könnte. Währenddessen trieb die Garde Andres Männer in den Innenhof der Festung zurück. Dunkle Hallen und Türme ragten zwischen den Mauern auf, manche davon nicht mehr als Hüllen mit eingestürzten Dächern, in denen Ratten und Spinnen ihr Unwesen trieben. Zyle meinte auch den Turm zu erkennen, wo er, Kellvian und Jiy vor einer gefühlten Ewigkeit übernachtet hatten. Damals wären sie

beinahe einer Gruppe Auftragsmörder des Ordens zum Opfer gefallen. Nun… mittlerweile waren die Gegner etwas gewachsen, dachte er leicht amüsiert. Irgendwo vor ihm rief Roland etwas und bedeutete einer Gruppe Gardisten, sich ihm anzuschließen. Die Männer brachen aus der Front der Kämpfenden aus und folgten ihm über den Hof der Erdwacht in Richtung Mauer… Was hatte er vor? Zyle musste die Frage bei Seite schieben, denn mit den fehlenden Gardisten drohten Andres Soldaten wieder an Boden zu gewinnen. Er wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht, dann stürzte er sich wieder in die tobende Schlacht. Und dann fand er

sich plötzlich Auge in Auge mit einem Mann, dessen Beschreibung er nur zu gut kannte. Zyle hatte grade einen weiteren Kämpfer nieder gestreckt, ein halbes Kind noch fast, dem er einen Schlag mit dem Knauf der Waffe gegen den Schädel versetzt, als jemand vor ihn trat. Der Mann hatte dunkle Haare und stechend blaue Augen, die beinahe die Farbe von Eis zu haben schienen. Das wichtigste jedoch war der weiße Pelzumhang, in dem nun freilich gewaltige, rote Flecken wie archaische Rangabzeichen prangten. Erland Reiksson… Seltsamerweise griff der Mann ihn nicht sofort an. ,, Ein Gejarn aus Laos…“ Der Feldherr schien zu überlegen, was er davon halten

sollte. ,, Und da kämpft ihr für Canton ?“ ,, Nicht ganz.“ , antwortete Zyle ihm, Erland nicht aus den Augen lassend. ,, Ich bin ihr Hochgeneral, Erfreut… Ihr könntet euren Männern jetzt befehlen aufzugeben, dann sichere ich euch zu, ihr dürft euch friedlich zurückziehen.“ ,, Ein Großzügiges Angebot. Das ich leider Ablehne. Die Schwertkunst eures Volkes ist Legendär.“ ,, Ihr könnt sie gleich am eigenen Leib erfahren…“ Zyle stürzte vor. Erland parierte den Hieb elegant. Stahl traf einen Moment funkenschlagend auf Stahl, dann wich der Mann blitzschnell zurück und versuchte, Zyle dadurch ins

Stolpern zu bringen. Dieser jedoch kannte den Trick nur zu gut und fiel erst gar nicht darauf herein. Die beiden Kontrahenten lösten sich voneinander und standen sich erneut, einige Schritte voneinander entfernt, gegenüber. ,,Gut. Ich bin beeindruckt. Zumindest habt ihr mehr Hirn als der letzte der mich herausgefordert hat.“ Zyle ignorierte die Worte. ,, Wenn das alles isst was ihr könnt, eure Gegner verspotten und wütend machen, dann habt ihr den falschen Beruf gewählt.“ Dieses Mal war es Erland, der vorstürzte. Ein Hagel aus Stahl ging über Zyle nieder, den dieser jedoch geschickt parierte. Das Klirren von Stahl

wurde zum ständigen Begleiter der Kontrahenten, wie Glockenschläge, die für einen von ihnen zum Totengeläut werden würden. Die Schwerter verschwommen fast, während beide auf ihr ganzes Können zurückgriffen, Finten und Paraden ins leere laufen ließen und sich in einem tödlichen Ballett über den Platz bewegten. Gardisten wie Bundsoldaten wichen dem Sturm aus scharfgeschliffenem Metall aus, den die beiden Kämpfenden darstellten. Die Garde hatte mittlerweile den Großteil des Innenhofs unter Kontrolle und immer mehr von Andres Männern flohen einfach. Nur ein hartnäckiger

Kern hielt sich noch um ihren Feldherrn, der sich zunehmend in Bedrängnis sah. Zyle wusste, wenn es um Ausdauer ging, war er dem Mann überlegen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er einen Fehler machte, selbst wenn sie, was ihre Fähigkeiten anging, gleichauf waren. Dann jedoch streckte Erland die Hand vor, an der ein Silberring mit einem darin eingelassenen Amethyst glitzerte. Der Stein leuchtete auf und Zyle wurde plötzlich, wie von einer unsichtbaren Faust gepackt, rückwärts geschleudert und landete im Staub. ,, Ein kleines Geschenk von Ismaiel.“ , merkte der Feldherr an, während der Schwertmeister sich wieder aufrappelte.

Der Stein an Erlands Hand zerfiel zu Staub. Ein verbrauchter Zauber… ,, Wir werden das woanders zu Ende bringen müssen.“ Mit diesen Worten schob Erland das Schwert zurück in die Scheide und schloss sich dem Strom aus fliehenden Soldaten mit ruhigen, gemäßigten Schritten an. ,,Alles in Ordnung bei euch ?“ Falvius stürzte an seine Seite und hielt ihm eine Hand hin. ,, Bastard.“ Zyle ergriff die dargebotene Hand und ließ sich wieder auf die Beine helfen. ,, Wo ist Roland ? Wir hätten wegen ihm eben fast den Platz verloren.“ ,, Ich habe ihn seit einer ganzen Weile

nicht mehr gesehen…“

Kapitel 64 Blut auf den Straßen


Einsetzender Nieselregen hatte die letzten Feuer gelöscht. Die ausgebrannten, Wind und Wetter ausgesetzten Ruinen kamen trotz allem nur langsam zur Ruhe. Verletzte und Verwundete beider Seiten lagen nach wie vor zusammen mit Sterbenden und Toten auf dem Innenhof. Blut mischte sich mit Regenwasser, das in kleinen Strömen durch die leeren Hallen und Wege der Erdwacht in den Abgrund floss. Ein rötlich schimmernder Sturzbach, der sich mit de schäumenden Wasser in der Tiefe

vermischte. Heiler und Freiwillige zogen über das Feld, legten Verbände an, brachte die schwerer Verletzten bei Seite oder linderten die Schmerzen derer, denen nicht mehr zu helfen war mit Mohn. Die Gefangenen wiederum wurden in einem , größtenteils vom Dracheneuer verschonten Saal gebracht, in dem verrottende Möbel herumstanden . Moose und Gräser hatten in den Fugen des Steinbodens halt gefunden und rankten sich sogar die Beine eines niedrige Tisches herauf. Die meisten der Männer ließen sich nur erschöpft zu Boden fallen. Für sie war dieser krieg vorbei und in einigen Gesichtern meinte Jiy, so

etwas wie Erleichterung zu erkennen. Die Streitmacht des Aristokratenbundes setzte sich aus de verschiedensten Menschen zusammen. Alte Söldner-Veteranen, aus der Garde ausgeschiedene Soldaten oder Deserteure, aber auch mehr als genug junge Gesichter, die kaum viel Älter als Zachary sein konnten. Einer davon trug eine gewaltigen Verband am Kopf, wo Zyle ihn bewusstlos geschlagen hatte. Jiy hatte von ihrem Platz bei der Reservetruppe wenig sehen können, doch der Gejarn war selbst im ferne Getümmel nicht schwer zu entdecken gewesen. Genau wie sein Kampf mit Erland. ,, Kümmert euch um diese Männer.“ ,

wies sie einen der Wache haltenden Gardisten an, nachdem sie sich einen Moment in der Halle umgesehen hatte. ,, Nehmt ihnen alle restlichen Waffen ab, dann schickt einen der Heiler hierher, damit man sich auch um ihre Wunden kümmert.“ Der Mann stellte keine Fragen, sondern salutierte nur kurz. ,, Jawohl ,Herrin.“ ,, Danach , gebt ihnen etwas zu essen und bringt sie irgendwo unter, wo sie keinen Ärger mehr machen können.“ ,, Unsere Vorräte sind...“ ,, Dann nehmen wir Unterwegs neue auf.“ , unterbrach sie ihn sofort. Sie würden direkt nach Erindal weiterziehen. Zwar hatte sie das noch nicht mit Zyle,

Roland oder Falvius abgesprochen, aber sie würde nicht mehr kehrt machen. Das hieß aber auch, das sie sich hinter dem Erdschlund potentiell in Feindlichem gebiet befanden. Sie würde sich nur unter äußerster Vorsicht neu Ausrüsten können, wenn überhaupt. Sie verstand schon, warum der Mann dagegen war, ihre Vorräte auch noch mit den Gefangenen zu teilen. Aber... Jiy hatte innerlich gehofft, nie wieder so viel Leid auf einmal sehen zu müssen, wie die uralte Burg nun beinhaltete. Lore, Vara und jetzt hier... Die schwelenden Ruinen erinnerten sie zu sehr daran. Sie hatte nach dem Angriff auf das brennende Dorf zurück blicken

können... Ein Bild des Jammers, wo einstmals grüne Bäume , Häuser und Felder entlang eines Bachlaufs gestanden hatten. Eines Baches, der sich durch Blut und Asche rötlich verfärbt hatte, wie es jetzt das Regenwasser tat, das die Höfe der Erdwacht reinwusch. Wasser tropfte auch durch das undichte Dach der Halle , das einstmals aus dicht gefügten, roten Ziegeln bestanden hatte, jetzt jedoch große Lücken aufwies. Wenigstens hatten sie einige der Späher, welche die ehemalige Festung verteidigt hatten, rechtzeitig erreicht. Von den hundertfünfzig Soldaten waren fast alle noch am Leben, was wie ein Wunder erschien. Als die Erdwacht unter dem

Ansturm von Erlands Männern gefallen war, hatten sich die meisten rasch über die Brücke und in die nahen Wälder zurück gezogen. Diese Männer waren mehr Waldläufer als Teil der regulären Truppe , gewohnt daran im Schutz der Schatten zu kämpfen und tatsächlich hatten sie einen Teil ihrer Gegner in die Falle locken können. Wenigstens war es ein kleiner Lichtblick, dachte Jiy, während sie auf den Hof zurück kehrte. Aus dem Nieselregen war ein Schauer geworden, der sich sehen lassen konnte. Rasch packten die Heiler ihre Ausrüstung zusammen und veranlassten, das man die Verwundete auf Bahren an eine geschütztere Ort brachte. Jiy hingegen

begrüßte de kalten Guss, während sie nach Zyle und den anderen Suchte. Der Gejarn redete auf eine Mann in blutdurchtränkter Kleidung ein. Erst nach mehrmaligen Hinsehen erkannte sie den verfilzten und durch eine tiefe Schnittwunde an der Wange Verunstalteten als Roland. ,, Wo bei Laos wart ihr ?“ , rief Zyle, die Hände in hilfloser Wut ausgebreitet. ,, Ihr seid vorhin einfach verschwunden, ohne mir oder wenigstens noch Falvius ein Zeichen zu geben. Verflucht, wir hätte den Platz beinahe verloren. Es sind duzende von Leuten gestorben um euer Fehlen wieder auszugleichen... Und wo sind die Männer, die euch begleitet

haben ?“ Falvius stand in einiger Entfernung und beäugte de Schwertmeister, der seinen freund ausschimpfte misstrauisch. ,, Würdet ihr mir auch verraten, was los ist ?“ , fragte Jiy, beim näherkommen. Falvius grinste, aber es schien nicht das übliche, nichtssagende Lächeln zu sein. Dieses mal war es echte Sorge, die darin ihre seltsamen Ausdruck fand. ,, Roland hat während der Schlacht seinen Posten verlassen... Eurem Hochgeneral gefällt das gar nicht.“ ,, Zyle! , rief sie dem Gejarn zu. ,, Hört ihn doch erst einmal an. Vielleicht hatte er einen Guten Grund. Den hattet ihr doch, oder , Roland

?“ ,, Sicher hatte ich den und wenn Zyle mich endlich einmal sprechen lassen würde...“ Der Mann deutete hinter sich. ,, Würde ich ihn bitten, sich einmal die Festungsmauern hinter den westlichen Türmen anzusehen. Dort gibt es eine breite Lücke im Mauerwerk von der ich weiß. Und hätte ich sie nicht so bald wie möglich gesichert, hätten Andres Männer uns von dort in die Flanke allen können. Ihr macht mir Vorwürfe weil einige mehr gestorben sind ? Hätte ich nicht gehandelt, hätten wir verloren und würden jetzt alle auf dem Platz liegen und langsam verrotten.“ ,, Und eure Männer

?“ Roland lachte nur bitter, bevor er den Kopf schüttelte. ,, Zwei. Zwei von fünfzig. Der Rest liegt jetzt tot in der Lücke...“ Jiy wurde wieder Bewusst, was Roland gesagt hatte , darüber das er mit seile Leuten, der Garde, praktisch aufgewachsen war. Und wieder einmal wurde ihr bewusst, das, das keine leeren Worte waren. Sie sah hier Fremde Leiden und Sterben und ertrug es grade so. Für den General waren es Freunde... ,,Es... tut mir leid.“ , murmelte Zyle. ,, Sagt das den Toten die für euch gestorben sind, nicht mir. Würde ich eine Entschuldigung wollen. Dann würde

ich schon...“ Er brach ab. ,, Verzeiht. Ja ich hätte euch zumindest bescheid gebe müssen. Aber ich habe in bestem Gewissen gehandelt. Und ich habe euch und Erland gesehen. Er war einmal einer meiner Ausbilder und eigentlich war ich immer davon überzeugt, niemand könnte ihn jemals schlagen. Wo lernt man so zu kämpfe ? “ ,,Helike.“ , antwortete der Gejarn. ,, Und solltet ihr einmal einem älteren Schwertmeister gegenüberstehen, würdet ihr schnell herausfinden, das selbst ich im Vergleich dazu noch wie ein Kind kämpfe. Erland war euer Ausbilder ?“ Roland nickte, offenbar selber froh, das Gespräch wieder in weniger gefährliche

Gewässer zu lenken. Sie alle waren aus dem gleichen Grund hier, oder ? Zumindest hoffte Jiy das. ,, Einer von vielen um genau zu sein. Man kann über ihn sagen, was man will, aber er erschien mir immer wie ein Ehrenhafter Kämpfer mit einem ungewöhnlichen Gespür für Fairness, soweit das Schlachten betraf. Sich mit Magie einen Vorteil zu verschaffen, wie er es heute getan hat... Das sieht ihm gar nicht ähnlich.“ ,, Das, was er da benutzt hat, war ein Artefakt, oder ?“ ,, Ich habe es erkannt. Ein Ring. Aber der Speicherstein daran zerfiel... Wenn ich mich richtig erinnere, heißt das, er

konnte ihn nur ein mal verwenden. Seltsam...“ ,, Ich hätte auch erwartet, das Ismaiel ihnen ein hochwertiges Arsenal gibt... Vielleicht steht der Meister doch nicht so sehr hinter Andre, wie dieser hofft...“ ,, So oder so, hoffen wir, das sich das nicht ändert.“ Roland sah zwischen den drei anderen hin und her. ,, Die Frage ist, wie geht es weiter ?Was machen wir jetzt, wo die Erdwacht gesichert ist ?“ ,,Jetzt ?“ fragte Jiy und sah auf. ,, Jetzt, brechen wir nach Erindal auf. Roland, Zyle, ruft die Truppen beisammen. Schickt die Verwundeten auf den Weg nach Vara, dort wird man sich um sie kümmern. Danach machen wir uns

umgehend auf den Weg. Je früher wir dort sind desto besser.“ Und dann würden sie Kellvian finden, dachte sie grimmig. Wenn sie schon dort waren, würde sie nicht eher Ruhen, bis sie ihm auch Gegenüberstand. In einem andere Teil des Landes, schritt der Zauberer, den das alte Volk einst Ismaiel genannt hatte, auf und ab. Erland und Andre sahen ihm Unruhig dabei zu. Jedes mal, wenn die schwarz gekleidete Gestalt an den Feuer im Saal vorbeiging, flackerte diese einen Moment heller auf. Es war klar, das es besser war, den Mann im Augenblick i Ruhe zu lassen. Auch wenn Erland es nie

zugeben würde, er machte ihm Angst. Beinahe fürchtete er, jeden Moment wieder die Finger um seinen Hals zu spüren. Ob nun durch Magie verstärkt oder nicht , Roland fürchtete, er könnte ihm das Genick brechen, wenn im danach war. Und im Augenblick schien ihm sehr danach. Das Kaminzimmer im Herrenhaus in Silberstedt war abgedunkelt worden. Draußen heulte ein ausgewachsener Schneesturm und brachte die hölzernen Fensterläden, die man als Schutz vor den teure Glasfenstern geschlossen hatte , zum zittern. Andre hatte sich auf einem Stuhl in der Nähe des Kamins niedergelassen,

während Erland sich am Geländerpfosten der Treppe abstützte, die hinab ins Erdgeschoss führte. Vor allem um leichter Ausweichen zu können, sollte der Magier vor ihnen tatsächlich gefährlich werden. Ohne sein Gesicht sehen zu können, war es beinahe unmöglich einzuschätzen, in welcher Stimmung Ismaiel war. Etwas, das Erland gleichermaßen irritierte und auf die Nerven ging. Man wusste so auch nie, ob er einen nicht ansah. Doch die Gestalt klang überraschend kalt, als sie schließlich zu sprechen anfing. ,, Er hat es tatsächlich fertig gebracht, meine Kontrolle zu brechen... Ich habe jetzt mehrmals versucht, sie wieder

zurück zu bekommen, aber es ist, als hätte er die Bande einfach zerrissen. Er hätte mir gehören müssen...“ ,, Wer `? Euer Agent aus Vara ?“ , wollte Lord Andre wissen. Die silbergrauen Haare glitzerte rosa im Schein des Feuers. Funken stoben auf, als ein Birkenscheit in die Glut rutschte. ,, Dieser Mann hat einen Willen, der selbst den seines verdammten Gottes in den Schatten stellt...“ Erland wusste mit dieser Aussage nichts anzufangen. Welcher Gott ? Nach allem was er wusste, war der Agent Ismaiels ein Gejarn aus Laos gewesen... Den großen Lehrer Helikes gab es doch nie wirklich, oder ? Und wenn ja, wie

konnte der Zauberer etwas über ihn Wissen ? Fragen, die unbeantwortet blieben, als Andre das Wort ergriff. ,, Es gibt wichtigeres. Euer Mann hat seine Schuldigkeit sowieso getan.“ Offenbar war der Lord geradezu beruhigt darüber, das die Magie seines Gegenübers auch einmal versagen konnte. Ismaiel drehte sich zum Feuer um. ,,Das neuerliche Versagen eures Feldherren, schätze ich. Canton treibt uns zurück. Nicht weit bisher, aber das Blatt wendet sich zu ihren Gunsten. Ihr... versagt, Andre. Trotz der Zusicherung von Unterstützung aus Lasanta und Erindal und der Loyalität einiger kleinerer

Fürsten... Ist es möglich, das ihr euch Hoffnungslos Überschätzt habt ?“ ,, Wir haben ein paar Rückschläge erlitten. Das bedeutet noch gar nichts. Was mir mehr Sorgen macht ist, das sie überhaupt noch kämpfen... Kellvian mag fort sein, aber kann mir jemand versichern, das er wirklich tot ist ? Und trotzdem kämpft die Garde unter Führung dieser Möchtegern-Kaiserin weiter... Vielleicht wäre es nicht soweit gekommen, wenn meine Verbündeten etwas verlässlicher währen, Ismaiel. Alles, was ihr uns bis jetzt gegeben habt, war diese Spiegelwaffe... die wir in Vara auch noch verloren haben. Und bis wir davon mehr bauen können, wird es

dauern. Dazu ein paar nutzlose Zauberricks. Ich habe langsam das Gefühl, ihr haltet euch zurück.“ ,,Bisher hatte ich noch um einiges weniger als ihr von diesem Pakt, Andre. Ich habe euch schon mehr gegeben, als ihr verdient. “ , antwortete Ismaiel und bestätigte Andres Verdacht damit. . ,, Vielleicht ist es an der Zeit das ihr mir stattdessen etwas bietet ? Ich kann jederzeit verschwinden, Lord de Immerson. Es wäre ein Ärgernis für mich, nicht mehr. Wenn es eines gibt, das ich habe, dann ist das Zeit. Ich kann ein Jahrhundert warten, bis man mich vergisst und mir dann holen, was ich brauche. Ihr seid lediglich der

einfachere Weg. Nicht der einzige. Und das solltet ihr besser niemals vergessen.“ ,, Was wollt ihr ?“ , fragte Erland nur. Er hatte dieses Spiel satt. Mussten sich die Mächtigen immer aufplustern, die Lösung ihres.. Konflikts war ganz einfach. Entweder, Andre konnte Ismaiel etwas anbieten, oder ihre Wege trennte sich hier eben. Warum darum herumreden ? Es war beinahe, wie einem rituellen Duell zuzusehen, das nach einer ganz bestimmte Form ausgetragen wurde. Aber hier ging es nicht darum. Bei einem Kampf um das eigene Leben hatten Rituale und Verzögerungen durchaus Sinn, gaben sie einem doc

Gelegenheit, sich vorzubereiten. Hier ging es um einen einfachen Austausch von Macht. Jede Seite wollte etwas. Ismaiel sah das offenbar ähnlich. ,, Gebt mir freie Hand über eure Magier. Im Gegenzug erhaltet ihr eine neue Waffe... die ihr euch nicht einmal vorstellen könnt.“ ,,Wie bitte ?“ ,,Eigentlich sollte der Sanguis-Orden für meine Pläne herhalten. Da ihr, oder besser euer übereifriger General, mir das aber verwehrt hat muss ich nun leider eure Zauberer...verwenden. Wenn ihr also Siegen wollt...“ ,,Ich werde ganz sicher nicht meine Männer verschwenden, was immer ihr

auch mit ihnen vorhabt. Schon gar keine Zauberer. Uns bleiben nur noch eine Hand voll...“ ,, Oh glaubt mir, sie werden nicht verschwendet. Ihr bekommt durch sie genau das, um was ihr bittet. Einen Vorteil gegenüber den Kaisertruppen. Nur hat das eben einen Preis...“

Kapitel 65 Aufziehender Sturm


Eden stand an Deck der Windrufe und sah den Schiffen zu, die links und Rechts neben ihnen trieben. Sie hatte es vermisste, auf See zu sein, obwohl es grade einmal ein paar Wochen gewesen waren und obwohl der Anlass dafür dieses mal alles andere als Harmlos war. Die Flotte, welche sich ihnen angeschlossen hatte, sobald sie den geschützten Hafen an der Klippe verließe, bestand aus gut einem duzend Kriegsschiffen des Kaiserreichs du mehreren tausend Mann Besatzung. Die Segel blähten sich im Wind und an

de Masten wehte das blaue Banner des Kaiserreichs. Adler und Löwe... Hinzu kamen noch mehrere kleinere Schiffe, welche die lauen Fluten teilten und die schwerfälligen Kolosse ein gutes Stück hinter sich ließen. Auf den ersten Blick eine mehr als beeindruckende Streitmacht, aber Eden hatte schon viel gesehen. Zwölf Schiffe waren nichts... Aber der Großteil der Seestreitmacht Cantons lag an sämtlichen Häfen verteilt und nun wo Lasanta und Erindal nicht mehr unter ihrer Kontrolle standen waren die Schiffe dort wohl verloren... Wenn sie es tatsächlich schafften, zumindest Lasanta zurück zu Gewinnen,

konnten sie wohl wieder mit mehr Unterstützung rechnen. Nur wie sie das anstellen sollte, darüber zerbrach sie sich nach wie vor de Kopf. Eine Belagerung des Hafens würde Zeit verschlingen... Sie hatte Jiy nicht angelogen, sie hatte durchaus Verbündete innerhalb der Mauern Lasantas, aber dazu müsste in die Stadt hinein gelangen. Eden hatte sich zwar bereits mit den Befehlshabern auf den anderen Schiffen getroffen, aber diese rechneten bereits alle damit, den langwierigen Kampf um die Hafeneinfahrt auf sich nehmen zu müssen. Sie wusste nur zu gut, was das bedeutete. Lasanta war befestigt und

wenn der Herr der Stadt ihre Schiffe am Horizont sah, würde er Befehl geben, de Hafen mit Kanonen und Geschützen zu Bestücken. Es würde auf ein Feuergefecht hinauslaufen, dessen Ausgang mehr als Ungewiss war... Die Crew hatte sie trotz der Nachricht, das sie in den Krieg zogen, mehr als überschwänglich Begrüßt. Nach Wochen die sie an Land festsaßen und nur Zeit totgeschlagen hatten , war den Männern und Frauen unter ihrer Flagge wohl jede Änderung recht. Und sie wusste, sie wäre ihr noch gefolgt, wenn sie gesagt hätte, sie würden zur Nebelküste ziehen, von der bisher noch kaum ein Schiff zurück gekehrt

war... Eigentlich gingen sie auch kein geringeres Risiko ein. Sie hätte das Gold aus dem Lager mitnehmen und verschwinden sollen , dachte Ede amüsiert, während sie mit einem Fernglas den Horizont absuchte. Sie waren noch mehrere Tagesreißen von Lasanta entfernt... Die Schmerzen in ihrer linken Hand waren mittlerweile zu einem dumpfen Pochen abgeklungen. Was wie sie fürchtete, kein gutes Zeichen war. Die Gejarn hatte endgültig fast jegliches Gefühl in Fingern und Handfläche verloren und mittlerweile schien sich das auch den Arm hinauf auszubreiten. Mittlerweile hatte sie es

sich zur Angewohnheit gemacht, dicke Handschuhe zu tagen und dadurch die Unsicherheit ihrer Bewegungen etwas zu tarnen. Im Sommer war das jedoch kaum weniger auffällig. Und je weiter sie nun die Küste hinauf segelten, desto verräterischer würde es werden. Wenigstens noch nicht ihre Beine, dachte sie. Und die Rechte Hand war ebenfalls noch verschont geblieben. Das war doch etwas Positives... Verdammt, ich tauge nicht zum Optimisten, dachte sie bei sich, während sie sich nach Cyrus umsah. Eden war nur zu klar, das der Wolf merkte, das mit ihr etwas nicht stimmte. Wenigstens schien Erik jedoch , selbst gegenüber seine

Freund, Wort zu halten. Die beiden Unterhielte sich zwar auf dem Deck, aber an dem wenigen, das sie Aufschnappte wusste sie, das es Belanglos war... ,, Es kann kaum Schlimmer werden, als unser letzter... Ausflug nach Lasanta.“ , meinte Cyrus grade. ,, Das kommt darauf an. Ehrlich gesagt, ich bin froh, das es auf den übrigen Schiffen noch weitere Wundärzte gibt. Ihr wisst, was ein Schrapnell anrichten kann...“ Er nickte. ,,Ich habe es in Kalenchor oft genug gesehen. Und ein paar mal selbst gespürt. Die schwarze Garde konnte sich ja leider nicht hinter Barrikaden

verstecken, wie die restliche Garnison. Wir waren einfach bereits als... Verluste verbucht.“ ,,Nun Herr Wolf, ich schlage vor ihr versucht es dieses mal nicht drauf anzulegen. Eden...“ Eden war derweil näher getreten und zögerte, als die beiden Männer sich zu ihr umdrehten. Zachary stand an seinem üblichen Platz an der Rehling und sah Wasser wie vorbeiziehenden Schiffen zu. Warum hatte sie bis jetzt wirklich gewartet, ihnen beide die Wahrheit zu sage ? Sie kannte die Antwort nur zu gut. Sie wollte es schlicht nicht. Ihr war klar, was das anrichten könnte, es würde Cyrus offenbar unverwüstlichen

Lebensmut zerschmettern, wie sie fürchtete. Und Zac... Du hast ihn immer beschützt, dachte Ede bitter. Aber die Wahrheit war etwas, vor dem man niemanden au Dauer schützen konnte. Wollte sie wirklich warten, bis sie eines Tages einfach zusammenbrach und keine Wahl mehr hatte ? Cyrus und Zachary verdiente gleichermaßen zu Wissen, wie wenig Zeit ihnen blieb... Alles andere wäre , sie in einer Illusion Leben zu lassen. Aber eines nach dem anderen. Sie wusste schon nicht, wie sie es nur Cyrus beibringe sollte... Ede selbst hatte es mittlerweile akzeptiert. Ein seltsames Gefühl der Resignation. Vielleicht dachte sie auch einfach nicht mehr so

viel darüber nach... ,, Eden ?“ , fragte Cyrus wieder. Ihr Schweigen fiel auf. Jetzt gab es aber auch kein zurück mehr. ,, Ich war in letzter Zeit wohl nicht ganz ehrlich.“ , meinte sie leise. Cyrus lies sich nicht anmerken, ob er so etwas bereits vermutet hatte. Er wartete einfach, ein ermutigendes Lächeln aufgesetzt, das jene, die ihn nicht kannten wohl eher zum Weglaufen gebracht hätte. Eden jedoch ließ es die richtige Worte finden, wenn es für so etwas welche gab. ,, Ich fürchte ich bin krank.“ , erklärte sie nüchtern. ,, Ich wollte es erst geheim halten, aber jetzt geht das einfach nicht

mehr. Erik nannte es Knochenstarre. Wie es aussieht... könnte ich sterben. In einigen Monaten oder auch Jahren, aber... eher früher als später.“ ,, Eden, du bist mir keine Rechenschaft schuldig.“ Der Wolf hatte ihr eine Hand auf die Schulter gelegt. Wenn da Angst in seinem Blick war, dann nur um sie... Ede atmete auf und fühlte sich wenigstens ein kleines Stück besser. ,, Und es ändert nichts für mich. Verstehst du das ?“ Erik beobachtete die beiden nur, aber Eden meinte, auch ihn erleichtert aufamten zu höre. Es war wohl auch für ihn nicht so einfach gewesen, Cyrus jedes Mal ins Gesicht zu lügen, wenn sie

sich unterhielten. Sie Streifte die schweren Handschuhe ab. Wenigstens die brauchte sie jetzt nicht mehr... ,, In ein paar Monaten werde ich nicht einmal mehr laufen können.“ Es auszusprechen machte es nicht besser, aber jetzt wo sie sich einmal dazu entschlossen hatte, würde sie Cyrus auch alles sagen. ,, Dann trage ich dich eben.“ Sie hätte gelacht, aber der Wolf klang derart Todernst, das sie es schlicht nicht wagte. ,, Versteh mich nicht falsch... Götter, ich hab momentan keine Ahnung was ich wirklich darüber denken soll, ich glaube, die Angst kommt später, aber... es spielt

für mich keine Rolle, Eden, soweit es dich betrifft. Wie könnte es ? Du bist dadurch nicht weniger, wer du ist. Und das ist wichtig... sonst nichts.“ ,, Du bist wirklich ein unverbesserlicher Optimist, oder ? Kannst du mir wenigstens eines Versprechen ?“ Der Wolf legte den Kopf auf die Seite. ,, Was immer es ist.“ Er nickte. ,, Ich habe nicht vor so zu sterben. Wen es so weit ist, das ich... nicht mehr will, versprichst du mir es einfach zuzulassen ? Ich weiß, was ich dann zu tun habe.“ Diesmal schien Cyrus lange nachdenken zu müssen, bevor er antwortete. Der Wolf sah langsam von Erik zu Eden und dann noch zu Zachary. ,, Ich kann es

zumindest verstehen. Und ich habe schon gefürchtet, du bittest mich dich zu töten... Das würde ich wiederum nicht können, Eden. Aber hast du schon mit Zachary...“ ,, Kann man das nicht mit Magie heilen ?“ Der Junge hatte sich bereits von seinem Platz an der Reling gelöst und stand nun wenige Schritte neben Erik. Er hatte sie belauscht. Seine türkisfarbenen Augen sagten mehr, als seine Worte. Wenn sie auch ur den geringsten Zweifel a Gegenteil ließ, würde er es versuchen. Aber Eden hatte gesehen, was sei gescheiterter Versuch bei Walter mit ihm angerichtet hatte. Er war Wochenlang wieder in ein trübsinniges Schweigen

verfallen, aus dem er nur mit der Zeit wieder aufgetaucht war. Und er hatte den Mann, seine Bruder, damals seit Jahren nicht mehr gesehen gehabt. Eden schüttelte den Kopf. ,, Wenn, wäre es wohl längst geschehen. Erik ?“ ,,Vielleicht hat es das alte Volk gekonnt, aber kein heute lebender Magier.“ , erklärte der Arzt.“ ,, Und ich will auch nicht, das du es Versuchst.“ , warnte Eden ihn. ,, Das lasse ich erst gar nicht zu. Es hat sicher seine Grund, warum alle bisher daran gescheitert sind.“ ,,Aber..“ , setzte der Junge zu einem Protest an. ,,Ich habe Nein gesagt, Zachary.“ Sie

schloss einen Moment die Augen. ,, Und dabei wird es bleiben. Und noch etwas. Spätestens wenn wir Lasanta erreichen, wird es zum Kampf kommen. Ich möchte, das du soweit möglich unter Deck bleibst.“ Zachary schüttelte den Kopf. ,, Ich kann euch helfen. Das habe ich früher schon getan und ich werde sicher nicht jetzt damit aufhören. Ihr braucht mich, Eden...“ Die Gejarn wusste, wie recht er damit eigentlich hätte. Unter anderen Umständen würde sie es vielleicht sogar erlauben. Zac hatte die Mittel, um auf sich achten zu können, aber... manche Dinge konnte sie nicht riskiere. Sie

begegnete dem trotzige Blick des jungen Magiers, der die arme vor der Brust verschränkt hatte, so das sie den blauen Edelstein dort verbargen. ,, Das ist etwas anderes, das wird kein simpler Kampf, Zachary.... Uns steht eine ausgewachsene Seeschlacht bevor, vielleicht schlimmeres. Deine Magie schützt dich nicht vor einer Kugel, die du nicht komme siehst. Oder ?“ Zachary blieb die Antwort schuldig. ,, Du kannst mich nicht ewig beschützen.“ , erklärte er ruhig . Ihr war klar, das er damit, wieder einmal, recht hatte. Aber verflucht wollte sie sei, wenn sie es nicht wenigstens so lange tat, wie sie noch konnte...

,, Ich sehe dich nicht sterben.“ Einmal hatte Eden bereits gedacht, sie hätte ihn verloren. Das hatte ihr für den Rest ihres Lebens gereicht. Allein der Gedanke, das sich das wiederholen könnte, dieses mal ohne jede Hoffnung. Ein verirrtes Schrapnell, eine Klinge, die niemand kommen sah... Ein Magier war das vorrangige Ziel sämtlicher Schützen auf einem Schlachtfeld. Dieser Gefahr konnte sie ihn schlicht nicht aussetzen. ,, Und ich werde meine Meinung nicht ändern.“ ,,Dann haben wir etwas gemeinsam.“ , antwortete Zac und Eden war sich einen Moment unsicher, ob er über ihre Krankheit oder die bevorstehende

Schlacht sprach. Und wenn sie ihn einsperren musste... Hauptsache er war so weit in Sicherheit, wie das in ihrer Nähe möglich war. Sie hätte ihn in Vara lassen sollen, dachte die Gejarn kurz und bedauerte, nicht daran Gedacht zu haben. Dort wäre sie sicher. Weit ab von den neuen Schlachtfeldern, die sich auftaten. Auch nach Andres Angriff, die Herzlandewaren nach wie vor wohl noch der friedlichste Teil Cantons und wenn alles gut ging, würden sie das auch noch eine ganze Weile bleiben. Aber vermutlich wäre er ihnen dand Heimlich gefolgt. Zachary erwiderte nichts mehr, sondern

verschwand einfach unter Deck. Götter, er musste sie doch zumindest verstehen können, so wenig er damit auch Einverstanden war. ,, Zac...“ Er antwortete nicht und einen Moment fürchtete sie aus einem unbestimmten Grund mehr um ihn, als wenn er sich an den Kämpfe beteilige würde. Wenn er etwas dummes tat, wäre sie noch mit verantwortlich. Eden beschloss in nächster Zeit ein Auge auf ihn zu haben. Wenn sie das hier Heil überstanden, vorausgesetzt. ,, Er wird es einmal verstehen.“ , meinte Cyrus neben ihr. ,, Wenn ich mir da nur sicher sein

könnte. Ich fürchte, er kommt doch eine Spur nach seine Vater...“ ,, Andre ?“ , fragte Erik. ,, Aber auf die gute Art.“ , fügte die Gejarn rasch hinzu. ,,Wenn es eine gute Variation dieses Mannes geben kann, meine ich, dann ist das Zachary. Nur manchmal...“ In diesem Moment ertönte ein Warnruf vom Krähennest der Windrufer. ,,Schiffe in Sicht. Kurs direkt auf uns. Mindestens zehn, wen nicht mehr...“ Eden und die anderen rannten sofort zum Bug des Schiffs. Von weiter oben hatte man eine bessere Übersicht, aber am Horizont tauchte bereits der erste Segelmast auf. Sie hob das Fernrohr

wieder ans Auge. Sie wusste bereits, das es keine Handelsschiffe waren. Und was sie nun sah, bestätigte ihren Verdacht nur noch einmal. An den Masten der Schiffe wehte keine ihr bekannte Flagge einer Händlergilde und die schwimmenden Konstrukte lagen bei weitem nicht tief genug im Wasser. ,, Sieht aus, als geht der Tanz früher los als Gedacht.“ Wenigstens war Zachary bereits freiwillig unter Deck...

Kapitel 66 Ein unerwarteter Verbündeter


Cyrus sah den näherkommenden Schiffen mit der altbekannten Mischung aus Erwartung und Furcht entgegen. Furcht, für die später kein Platz mehr sein würde. Dieses mal jedoch stammte sie nicht nur von der bevorstehenden Schlacht. Das es sich bei der Flotte, die ihnen entgegenkam um Kriegsschiffe handelte, war mittlerweile nicht mehr zu übersehen. Der Wolf konnte die Geschützluken auch auf die Entfernung erkennen und an Deck drängten sich

bereits bewaffnete Menschen. Es würde keine Verzögerung geben. Die beiden Schiffsverbände waren in etwa gleich groß, so weit Cyrus das beurteilen konnte. Damit kam es auf das jeweilige Geschick der Kommandanten an und nicht auf pure Truppenstärke. Jormund musste vorausgesehen habe, das man ihm niemals erlauben würde, sich einfach vom restliche Canton-Imperium loszusagen. Nicht wenn bereits ein abtrünniger Lord für Unruhe sorgte. Und da man Lasanta nur von Süden kommend erreichen konnte, oder gezwungen war, einen großen Bogen zu fahren, hatte er sich einfach auf die Lauer

gelegt... Irgendwo schrie eine Möwe. Sie waren nach wie vor in der Nähe der Küste und an den in der ferne sichtbaren Klippe tummelten sich zehntausend weiße Schemen. Wenigstens wussten sie jetzt, was aus den Schiffe geworden war, die in Lasanta vor Anker gelegen hatten, als die Stadt sich lossagte. Vermutlich hatte Jormund Einnarson, der Fürst der Stadt, die ursprüngliche Besatzung festsetzen lassen. Ein Teil seiner Sorge trieb dort also übers Wasser auf sie zu. Die andere hatte ihm vor wenigen Minuten endlich die Wahrheit eröffnet. Irgendetwas in seinem Innern hatte bereits damit

gerechnet, seid sie Angefangen hatte, verschwiegener zu werden, jedes mal, wenn sie sich hastig wegdrehte oder vorgab keine Schmerzen zu haben, wo diese doch so offensichtlich waren. Trotz aller Mühe, Cyrus konnte beim beste Willen nichts positives daran finden. Er würde Eden zu bald verlieren, selbst wenn sie diesen Krieg, das ganze Chaos der folgenden Stunden überlebten. Sein Verstand raste und doch gab es keinen sichtbaren Ausweg daraus. Wenigstens konnte er ihre Bitte verstehen... Sie waren beide Kämpfer. Er würde auch nicht so enden wollen. ,, Und es gibt wirklich keinen Ausweg, Erik ? Seit ehrlich zu mir, wenn es

irgendetwas gibt, selbst wenn es etwas ist, das wir schlicht nicht Bewerkstelligen können, aber helfen würde...“ Er hoffte so sehr darauf. Und wenn das hieß, das er die Wüste noch mal zu Fuß durchqueren müsste, notfalls zehnmal... Erik seufzte. ,,Nein , alter Freund.. Ich wünschte, es gäbe etwas, ein Gerücht von mir aus, aber das wäre eine Lüge. Wenn ihr meinen Rat wollt, sage ich euch auch, was ich Ede sagen werde.... Ihr habt noch Zeit. Nutzt sie wenigstens und werft sie nicht weg auf der Suche nach etwas das es... schlicht nicht gibt. Götter, wie sehr ich wünschte, es gäbe für alles eine Heilung, ob durch Magie

oder Medizin, aber das ist schlicht nicht der Fall. Versteht ihr das ? So wie niemand euer Auge heilen kann, weil schlicht nichts übrig ist, das man heilen könnte, gibt es Dinge, wo jede Kunst versagt. Vielleicht wird sie das eines Tages nicht mehr tun, aber eines Tages ist nicht rechtzeitig genug für euch.“ Cyrus nickte nur. Für Worte fehlte ihm im Augenblick die Kraft. Er wüsste auch nicht, was er sagen sollte. Erik klopfte ihm nur aufmunternd auf die Schulter. ,, Ich werde euch aber Versprechen, zu tun was ich kann. Euch beide. Dreien, mit Zachary. Nur, redet mit ihm. Wenn er versucht zu heilen, was nicht geheilt werden kann...“ Der Schiffsarzt beendete

den Satz nicht. ,,Danke. Und keine Sorge, das mache ich. Sobald wir uns um unsere neuen... Freunde da draußen gekümmert haben“ Die Schiffe waren nun bereits bedrohlich nahe. Die Männer an Bord sahen ihnen ruhig und gefasst entgegen. Und auch auf den Schiffe der kaiserlichen Garde hatte die Besatzung bereits Aufstellung genommen. Cyrus wusste nur zu gut, was in jedem der Soldaten jetzt vorging. Die gleich Furcht und Angespanntheit. Hinter den gegnerischen Schiffen waren mittlerweile graue Sturmwolke aufgezogen und der Wind trieb sie nun schneller Vorwärts. Als könnten selbst die Götter das Zusammentreffen der

beide Flotten nicht mehr erwarten. ,, Ich gehe jetzt besser“ , erklärte Erik. ,, Es gibt noch einige Dinge, die ich vorbereiten muss. Es wird Verwundete geben...“ Und Schreie. Und Blut. Und Tote. Als hätte Cyrus davon nicht schon lange genug gesehen. Es entsetzte ihn nicht mehr wirklich. Es erschien nur Sinnlos. Mit einer Hand überprüfte er, ob Schwert und Axt griffbereit an seinem Gürtel hingen, dann ging er nach einander die Steinschlosspistolen durch, die er trug. Auf dem Deck eines Schiffs konnte man mit einer Muskete nur bedingt etwas anfangen. Die Waffen verfingen sich in der Takelage oder

wurde im Handgemenge eher zu einem Hindernis als einer effektiven Verteidigungsmöglichkeit. Seine Handlung war reine Routine. Etwas, das ihm mit den unfreiwillige Jahren bei der Garde so sehr in Fleisch und Blut übergegangen war, das er es kaum merkte. Eden trat fast geräuschlos zu ihm. Er bemerkte sie trotzdem. Der leichtere Gang der Gejarn unterschied sie deutlich von der übrigen Crew und selbst von Zachary, der schlicht nicht darauf achtete, wohin er seine Füße setzte. Es konnte jetzt nicht mehr lange dauern und in der Luft lag der Geschmack von

Regen. ,, Erinnerst du dich noch an Aurelius ?“ , fragte er. ,, Wie könnte ich das vergessen ?“ , antwortete sie mit einer Gegenfrage. ,, Das war kurz nachdem wir dich aus dem Wasser gefischt haben. Ich habe dich... damals schon gemocht. Das wollte ich nur loswerden. Könnte durchaus die letzte Gelegenheit dazu sein. Und...“ ,, Ich liebe dich auch.“ , meinte Cyrus nur und rang sich ein echtes Grinsen ab. ,,Ich weiß...“ Ihre Lippen fanden sich einen flüchtigen Moment, bevor sie wieder den näher kommenden Schiffen entgegensahen. Eden hastete über das Deck zurück,

letzte Befehle rufend. ,, Bring die Windrufer so nah wie möglich ran. Ich will nicht herausfinden, welche Seite mehr Munition hat. Wir geben ein paar Schüsse ab, zielt auf die Masten, und versuchen dann, das uns nächste Schiff zu entern.“ Die wartende Mannschaft verteilte sich. Taue wurde herangezogen, die Befehle an die Kanoniere an und unter Deck weitergegeben... Bis auf das Rauschen der Wellen und das Knarren von Holz , Tauen und Segeln wurde es Still. Jeder ging entweder angespannt seiner Aufgabe nach oder fieberte den letzten Momenten der Ruhe entgegen. Stille, die jeden Moment vom

Donner der Kanonen zerrisse werden würde. Cyrus sah den ersten Schiffsrumpf auf Höhe der Windrufer kommen. Sie hatten die Führung der kleinen Flotte übernommen und würde so auch als erste im Gefecht enden. Er zog die Axt, wog die altvertraute Waffe in der Hand. Das hier würde darüber entscheide, ob sie Lasanta zurück gewannen oder womöglich für immer verloren. Dann jedoch geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Das Schiff trieb an ihrer Längsseite vorbei, ohne das sich etwas tat. Kein Schuss fiel. Keine Rufe wurden laut und die Kanonen schwiegen. Cyrus sah zu Eden, die , scheinbar genau

so verwirrt wie er, mit den Schulter zuckten. ,, Nicht feuern.“ , rief sie. ,, Gebt das auch an die übrige Flotte weiter. Sie solle auf Abstand bleiben, das könnte eine Falle sein.“ Ein junger Mann mit schwarzen Haare sprang von seinem Platz auf und lief, zwei Signalflaggen unter den Arm geklemmt, zum Heck der Windrufer um die übrigen Schiffe zu warnen. Ein Feuerschiff war es zumindest schon mal nicht, dachte Cyrus. Dann wäre keine Besatzung an Bord und vermutlich wären sie schon tot, wenn man es bis unter den Rand mit Pulverfässern vollgestopft hätte. Aber an Deck standen

Männer in bunt zusammengewürfelter Kleidung beisammen. Manche trugen die rostroten Uniformen der Söldner , andere schlichte Alltagskleidung oder Sachen, die ihn an die Crew der Windrufer erinnerten. Mietschwerter und Freiwillige, schätzte der Gejarn. Irgendetwas brachte Bewegung in die stumm wartenden Gestalten. Männer wichen zurück und schufen eine Gasse für eine einzelne Gestalt. Wohl der Kommandant. Was hatten die vor ? Der Wolf traute jedoch seinen Auge nicht, als der Mann schließlich an die Rehling trat, auf einer Höhe mit dem Deck der Windrufer und den Blick aus seinem einen, blauen Auge über das

Schiff schweifen ließ. ,, Na wenigstens habt ihr mein Schiff wieder auf Vordermann gebracht, Eden.“ , meinte Vance Livsey. ,,Vance ?!“ Eden starrte den grauhaarigen Kapitän genau so verwirrt an, wie Cyrus sich fühlte. Der Mann trug eine dunkelblaue Uniform und mehrere Gurte darüber, an denen ein buntes Sammelsurium aus Waffen klimperte. Mit einem Arm hatte er sich jedoch auf eine Krückegestützt, die ihm das Gehen überhaupt erst ermöglichte endete eines seiner Beine doch knapp unterhalb des Knies. Auf dem Kopf hingegen trug er einen breitkrempigen Hut mit Federbesatz, unter dem sein

fehlendes Auge im Schatten verschwand. ,,Admiral Livsey jetzt, um genau zu sein, Eden. “ Trotz seiner alten Verletzungen schwang sich der Mann überraschend behände über die Reling und setzte wieder auf dem Deck der Windrufer auf. ,, Klingt nett was ? Außerdem mag ich den Hut.“ Er zog die Kopfbedeckung ab und klopfte ein paar unsichtbare Staubkörner davon herunter. ,, Wie kommt ihr den dazu ?“ , wollte Eden wissen. ,, Und die Schiffe hier...“ Vance lachte. ,, Nun es gibt da eine gewissen Adeligen in Lasanta, mit dem ihr sicher schon bestens vertraut seit. Der Kerl hat in den letzten Wochen damit begonnen, sich Crews für seine

Schiffe zusammenzuziehen. Natürlich, nachdem er sie der Garde abgeluchst hatte. Nichts für ungut. Ein paar der Gardisten haben ihre Kähne lieber versenkt, als sie sich abnehmen zu lassen. Nun und nach einer Weile kam Lord Jormund dann auch zu mir. Es hatte sich wohl herumgesprochen, was ich früher war. Und bevor ich richtig wusste, wie mir geschah, ernennte er mich schon zum Befehlshaber über seine neue Flotte. Dazu habe ich dann noch eine Teil meiner alten Crew wieder aufgetrieben. Man muss man sagen, der Herr Lasantas zahlt recht gut.“ Der alte Pirat lächelte ein lückenhaftes Grinsen. , , Aber nicht gut genug um mich dazu zu

bringen, gegen alte Freunde ins Feld zu ziehen, Eden. Als ich die Windrufer vorhin gesehen habe, konnte ich es erst nicht glauben. Ihr seid doch nicht noch immer mit diesem unsäglichen Kaiser unterwegs ? Eure Seite zahlt doch aber sicher auch gut ?“ ,, Na ja.“ , begann Eden. Tatsächlich bezahlte Kellvian ihnen gar nichts. Etwas, das die Gejarn jetzt oft genug bemängelt hatte. ,, Sicher, ja.“ ,,Ha.“ Vance drehte sich i Richtung seines Schiffes, die Hände zu einem Trichter geformt. ,, Leute, Planänderung, heute gibt es doch kein Blutvergießen. Ich weiß ihr seid deshalb alle enttäuscht, aber ab jetzt haben wir

auch eine neuen Chef. Sie zahlt das Doppelte !“ ,,Moment, das habe ich nie...“ , setzte Eden zu einem Protest an, wurde aber von den Jubelrufen der fremden Schiffsbesatzung übertönt. Vance lachte hämisch, während er an ihr vorbei auf Cyrus zutrat und den Wolf einen Moment kritisch beäugte. Cyrus fühlte sich unter dem Blick des alten Kapitäns alles andere als Wohl. Schon bei ihrem ersten Treffe in Lasanta war ihm der Mann nicht unbedingt geheuer gewesen. ,, Der wird mir ja immer ähnlicher.“ , erklärte Vance schließlich. ,, Passt nur auf Eden, das ihm als nächstes nicht

noch ein Bein abhanden kommt. Wer mit euch Unterwegs ist sollte auf ein paar Gliedmaßen verzichten können.“ Mittlerweile tauchten auch Erik und Zachary wieder auf der Treppe zum Unterdeck auf. Es hatte sich wohl schnell herumgesprochen, das es keine Schlacht gebe würde. ,, Ihr werdet euch nie ändern, oder ?“ ,, Nicht in diesem Leben.“ , erwiderte Vance. ,, Und bevor wir hier alle in Tränen ausbreche weil das Wiedersehen so schön ist, Jormund ist geizig mit dem Rum, was haltet ihr davon, wenn ihr uns ein Fass bringen lasst... und wir uns überlegen, wie es ab hier weitergeht“ ,, Wir müssen nach wie vor nach Lasanta

und die Stadt wieder unter die Kotrolle des Kaiserreichs stellen.“ , erklärte Eden. ,, Die Stadt muss sich ergeben oder wir irgendwie hinein gelangen.“ ,, Und genau dabei könnte ich euch helfen...“ Vance eines Auge blitzte. ,, Ich glaube, ich weiß auch schon wie. Aber zuerst... Zachary und der Wirrkopf da, sucht ein Fass !“

Kapitel 67 Immerwind


,,In Lasanta hat sich in den letzte Wochen einiges geändert. Ich glaube, Jormund muss schon eine ganze Weile geplant haben, sich gegen Canton zu stellen.“ , begann Vance. Sie saßen zu fünft an einem Tisch i der Kajüte der Windrufer. Vance hatte einen bis zum Rand gefüllten Krug vor sich stehen, den er bereits zum wiederholten mal nachfüllte. Eden hingegen hielt sich lieber etwas zurück, genau wie Cyrus und Erik. Zachary starrte hingegen schweigend vor sich hin. Eden wusste jedoch, das er weit davon entfernt war,

ihr zu verzeihen. Auch wenn der erwartete Kampf fürs erste ausbleiben würde... Licht fiel durch die Fenster in der Rückwand der Kabine und ließ neben einigen Regalen, in denen sich ein Sammelsurium aus Karten, nautischen Instrumenten und den verschiedensten Gegenstände stapelten, auch einen Schreibtisch und ein zerwühltes Bett erkennen. Eden hoffte nur, das es Vance nicht auffiel und nicht dazu brachte, Fragen zu stellen. Normalerweise wäre es ihr egal, aber der Mann hatte wirklich ein Talent dafür, Wunde Punkte zu treffen. Und sie würde ihm sicher nicht über sie

und Cyrus aufklären, wenn sich das irgendwie vermeiden ließ. Aber ihr alter Kapitän sprach nur weiter über Lasanta. ,, Jormund hat sich in sein Herrenhaus mitten in der Stadt zurück gezogen. Man sieht ihn dieser Tage kaum noch auf der Straße und das Gebäude ist schwer befestigt worden. Die Mauern wurden aufgestockt, Fenster vergittert oder gleich bis auf einen Schlitz zugemauert. Ich war dort, bevor er mich zum Admiral ernannte. Es ist die reinste Festung geworden. Jormund mag nur wenige Männer haben, die ihm wirklich reu ergeben sind, wie etwa die Stadtwache, aber selbst mit denen wird

er seinen Herrschaftssitz verteidigen können. Das wird kein einfacher Kampf, aber sollte es euch gelinge, Jormund festzusetzen, würden sich seine Männer sicher ergeben.“ ,, Verzeiht, aber das setzt erst einmal voraus, das wir es überhaupt in die Stadt schaffen.“ , meinte Cyrus. ,, Wenn er sein Herrenhaus schon befestige lässt, was tut er dann erst mit dem Hafen ?“ ,,Geschützbatterien. Drei Kanonen alle fünfhundert Schritte über die gesamte Länge des Hafenbeckens.“ Eden schluckte. Sie kante Lasanta und sie kannte den Hafen, einer der größten in ganz Canton. An manchen Tagen, so hieß es, konnte man über die Decks der im

Hafen liegenden Schiffe von der Mole aus bis zu den Felsklippen laufen, welche die Zufahrt einschlossen, ohne einen Fuß ins Wasser zu setzen. ,,Und auf den Wellenbrechern vor der Hafeneinfahrt stehen weitere Geschütze bereit. M es kurz zu machen, mit nur einem duzend Schiffe endet ihr auf dem Meeresgrund, bevor ihr auch nur die Klippen hinter der Stadt sehen könnt.“ ,, Und was schlagt ihr also vor ?“ , fragte Eden. ,, Kommt schon, alter Mann, ihr habt nicht ein halbes Fass Rum heruntergestürzt, um uns jetzt zu erzählen, das unser Plan nicht gelingen kann, oder ?“ ,,Doch.“ Vance lehnte sich auf seinem

Platz zurück und leerte den restlichen Krug in einem Zug. ,, Hör mir mal zu, Eden. Wen ihr nach Lasanta segelt und angreift, seit ihr tot. Das ist kein vielleicht, das wird passieren. Die Verteidigung ist lückenlos. Ihr kennt die Hafeneinfahrt, ihr kommt nicht herein, wenn sie eure Schiffe unter Dauerbeschuss nehmen. Und die Berge im Rücken der Stadt verhindern, das ihr euch einfach über Land nähert.“ ,,Aber...“ ,, Aber, vielleicht ist das alles gar nicht nötig. Vielleicht hat der alte Vance noch ein paar Tricks auf Lager. Ich schlage folgendes vor : Ihr lasst eure Schiffe hier zurück. Alle. Wenn auch nur ein

einziger Segler vor Lasanta auftaucht, den die Stadtwache nicht kennt oder der ein Wappen des Kaiserreichs trägt, wird er versenkt. Die Stadtwache kennt jedoch, meine Schiffe. Allerdings auch die Crew. Wenn wir nach Lasanta zurück kehren, werden sie einen kurzen Blick auf die Besatzung werfen. Wohlgemerkt, kurz, jede Menge fremde Gesichter fallen ihnen auf. Eine handvoll, nicht unbedingt. Wir tun also folgendes, ihr Eden, sucht die besten eurer Männer aus, zehn, maximal zwanzig Stück. Es gibt Gejarn wie auch Menschen bei uns, es ist also egal, wen ihr wählt. „ Eden war überrascht. Normalerweise war

Vance nicht jemand, der gut von den Gejarn dachte, sah man von ihr einmal ab. Allerdings betonte er auch immer wieder, das sie die einzige Ausnahme sei. Vielleicht wurde er auf seine alten Tage doch noch weich, dachte sie amüsiert. ,,Diese verteilen sich dann unter meiner Crew und auf meinen Schiffen. Wenn ich so nach Lasanta zurück kehre gelangt ihr durch die Absperrungen, ohne eine einzige Kugel zu brauchen.“ ,,Und dann ? Wenn der Hafen derart verteidigt wird, können wir ihn unmöglich mit nur zwanzig Mann einnehmen um den Rest unserer Leute nachzuholen.“ , erklärte Cyrus. ,, Wir

wären in der Stadt, aber wie mache wir weiter ?“ ,, Ihr hört mir nicht zu, Wolf.“ Vance sah von seinem leeren Krug auf. ,, Es wird gar nicht nötig sein, auch nur einen weiteren Mann nach Lasanta zu bringe, wenn wir die Sache richtig anpacken. Wir werden uns nicht um den Hafen kümmern. Im Gegenteil. Unser Ziel ist das Herrenhaus von Jormund Einnarson. Wenn wir ihn in die Finger bekommen, werden seine restlichen Männer die Waffen niederlegen. Und selbst wenn er uns entkommt... Wer will für einen Mann Kämpfen, der wie ein Feigling flieht ? Was dann noch übrig bleibt, nehmen ich und meine Jungs mir

vor.“ ,, Und was genau habt ihr davon ?“ , fragte Eden. Sie traute Vance, aber sie kannte ihn gut genug um zu wissen, das es hier um mehr ging. ,, Hmm.. die Genugtuung einer alte Freundin geholfen zu haben ?“ ,,Vance, ihr habt noch nie etwas getan ohne das dabei etwas für euch herausspringt.“ ,, Nun, vielleicht Plündere ich in dem ganzen Chaos, das ihr verursachen werdet ja einfach Jormunds Schatzkammer. Der Kerl wirft mit Geld um sich, da muss was zu holen sein.“ ,, Ihr bekommt den zehnten.“ , gab die Gejarn trocken zurück. ,, Ich kann

schlecht die Kassen der Stadt plündern, das würde die Bevölkerung gegen uns aufbringen.“ ,, Es hat mal eine Zeit gegeben, da habt ihr mit mir über euren Anteil gehandelt. Ich will en fünftel für die Hilfe.“ Cyrus und die anderen verfolgten den kurzen Schlagabtausch , ohne wirklich zu verstehen, was vor sich ging. ,, Ein siebtel, oder vergesst es.“ ,,Na schön.“ , willigte Vance ein. ,,Der siebte Teil von allem für mich. Und von dem was dann noch übrig bleibt, geht ein zehntel noch an meine Leute.“ ,, Einverstanden.“ Die anderen mochten nicht verstehen, wieso sie mit dem alten Kapitän unbedingt handeln musste, aber

wer Vance kannte wusste, das er nichts umsonst tat. Sie überlegte kurz, ob es besser wäre, Zachary an Bord zurück zu lassen. Aber wenn es möglich war, weiterhin ein Auge auf ihn zu haben, würde sie das tun. Obwohl er Jung war, würde er wohl unter der Schiffscrew nicht zu sehr auffallen. Auf vielen Seglern gab es Kinder und Jugendliche, die entweder als billige Arbeitskräfte dabei waren oder von ihren Vätern an das Seefahrer-Handwerk gewöhnt wurden. ,, Und ich schlage vor, wir verlieren keine Zeit. Ihr bekommt eure zwanzig Freiwilligen.“ ,, Ich bin in jedem Fall dabei.“, erklärte Cyrus sofort. ,, Erik

?“ ,, Unser letzter Besuch in Lasanta wurde etwas plötzlich beendet. Ich denke, ich muss noch mal hin. Und hier schlafe ich ja ein. Nein, ihr braucht mich , wenn es zu einem Kampf kommt, Eden.“ Was Zachary anging, hatte sie ihre Entscheidung bereits getroffen, sollte er nicht drauf bestehen, hier zu bleiben. ,, Denk nicht einmal darüber nach, mich hier zu lassen.“ , erklärte er. Seine Stimme klang nach wie vor aufgebracht. Damit war es dann wohl entschieden, dachte Eden. Sie stand von ihrem Platz auf. ,, Ich werde noch die restlichen Männer zusammensuchen, Vance, ihr kehrt am

besten schon auf eure Schiffe zurück und erläutert, was wir vorhaben.“ Vance nickte, bevor er sich ebenfalls erhob und , die Krücke unterm Arm, aus der Kajüte verschwand. Es regnete nach wie vor, als sie nach draußen kamen. Das Meer wurde durch Windböen zu kleinen Wellenbergen aufgepeitscht welche die Schiffe zum schwanken brachten. Es war kein ausgewachsener Sturm, aber unangenehm genug für die meiste, so das die Crew bereits eifrig damit beschäftigt war, die Segel einzuholen und sich dann möglichst in Sicherheit vor den eisigen Tropfen zu bringen. Der Wind kam aus Norden und brachte kalte Luft aus den

Bergen mit. Wenn sie erst Lasanta erreichen, würden sie sich noch danach zurücksehnen. Es dauerte nicht lange, bis alles bereit war. Eden, Cyrus und die anderen erläuterten ihren Plan noch den Offizieren der kaiserlichen Garde, welche die übrige Flotte befehligten. Einige Gardisten wollten sich ihnen anschließen, aber Eden wollte sich wenn möglich auf ihre eigene Mannschaft verlassen. Sie kannte jeden Einzelnen davon seit Jahren. Cyrus, Erik, Zachary und die übrigen Freiwilligen waren bereits auf Vance Schiff und verteilten sich unter der Crew, damit sie möglichst wenig

auffielen. Es war so weit. Die Gejarn hielt noch einmal Inne, bevor sie den ersten Schritt auf das Deck eines fremden Schiffs machte. Regen lief ihr in Gesicht , durchtränkte ihren roten Mantel. Nicht viele konnten so ein Wetter auch noch genieße, aber für sie hatte es schon immer etwas seltsam befreiendes gehabt, sich so mit den Elementen zu messen. Die Windrufer war für sie mehr ein Zuhause, als irgend etwas anderes. Jetzt musste sie es wieder einmal andere Überlassen. Wenn ihr Plan schief ging, zum letzten Mal. Endlich gab sie sich einen Ruck und trat an

Bord. Es war ein Dreimaster von der Art, wie sie zu duzenden über die Meere segelten und Wahlweise als Frachter oder als Kriegsschiffe Verwendung fanden. Es gab einen Aufbau auf dem Heck des Schiffs, der als Kajüte diente und zwei Treppen, die hinab auf die unteren Decks führten. Das einzig besondere war, das man di Rehling Rot gestrichen hatte, vermutlich um das Flaggschiff während eines Gefechts leichter erkennen zu können. Die Crew begegnete ihr schweigend. Vance musste ihnen wohl bereits erläutert haben, was sie tun würden. Doch hatte er ihnen sicher nicht gesagt, wer und wie viele genau er an

Bord holen würde. Das eine Frau darunter war, missfiel sicher einigen. Nun, sie hatte kaum genug Zeit, sie vom Gegenteil zu überzeugen und sie konnte auch durchaus darauf verzichten. Wo war der Kapitän eigentlich ? Sie sah sich um, konnte ihn jedoch auf den ersten Blick nicht entdecken. Dafür sah sie wenigstens Zachary und Cyrus . Die sich an der Kajüte versammelt hatten und scheinbar auf sie warteten. Plötzlich jedoch wurden die Türen aufgerissen und Vance stürzte, gleich gefolgt von Erik heraus. Der Kapitän und der Arzt trugen jeweils einen Arm voll mit Büchern, Karten, Flaschen und Instrumenten. Was war denn da los

? Bevor Eden dazu kam, zu Fragen, gab es jedoch bereits einen Ohrenbetäubenden Schlag, der die Fenster in der Kajüte zum Bersten brachte. Papiere und Holzsplitter flogen durch die Luft, regneten auf das Deck oder verglühten noch im Fallen. Die kleineren Feuer wurden sofort vom Regen gelöscht oder rasch von einigen bereits wartenden Matrosen mit Decken erstickt und ausgetreten. ,, Götter, was tut ihr ?“ , fragte Eden, während sie auf die halb zerstörte Kajüte starrte. Ein Loch, so groß wie ein ausgewachsenes Schlachtross prangte im Holz einer der

Seitenwände. ,, Wenn ich einfach so nach Lasanta zurückkehrte, kann ich auch gleich sagen, das irgendetwas nicht stimmt.“ Er setzte den Stapel mit Dokumenten und Geräten ab,. Schwankend kam er wieder auf die Füße. Vermutlich hatte er alles, was er och brauchte zuvor aus der Kajüte geholt. ,,Wenn ich ihnen aber melden kann, das wir auf kaiserliche Schiffe gestoßen sind, schöpfen sie keinen Verdacht. Im Gegenteil, sie werden viel zu beschäftigt sein, darüber nachzudenken, als das sie uns groß beachten.“ ,, Das nächste mal, warnt mich nur vor.“ , meinte Erik, der sich en schwelendes

Kohlestück aus den Haaren pflückte. ,, Ich bin es durchaus gewohnt, das Dinge um mich herum in die Luft fliegen. Nur meistens, weiß ich ,wann. Meistens...“ Vance achtete schon nicht mehr auf den Schiffsarzt, sondern rief einige Befehle. Im nächsten Moment wurden auch schon die Anker gelichtet und das Schiff setzte sich schließlich in Bewegung. Sie würden durch die wartende Flotte hindurchsegeln müssen und dann eine Bogen fahren, um wieder Kurs auf Lasanta zu nehmen. ,, Wie heißt es eigentlich ?“ , wollte Eden wissen, die Vance über das schaukelnde Deck folgte. ,,Immerwind.“ , antwortete Vance, der

so eben das Ruder in die Hand nahm.. ,, Der Name Windrufer hat mir schon immer Glück gebracht. Kaum eine Flaute in all den Jahren. Oder Vielleicht will ich auch nur die Tradition fortsetzen.“ Er lachte, während die Immerwind eine Kurve beschrieb, die sie endgültig auf ihren neuen Kurs brachte. Gischt und Wellen spülten stellenweise über das Deck, das sich gefährlich zur Seite neigte. Ab jetzt gab es endgültig kein zurück, dachte die Gejarn, während die restliche Flotte Lasantas ihnen folgte und die Schiffe des Kaiserreichs rasch in der Ferne zurück blieben.

Kapitel 68 Rückkehr nach Lasanta


Als die Immerwind Lasante erreichte, konnte er sofort erkennen, das Vance nicht übertrieben hatte. Cyrus hatte beinahe vergessen, wie unangenehm das Klima hier sein konnte. Die Luft selbst schien mit Wasser getränkt zu sein, das sich in Kleidung, Fell und Haut niederschlug, aber trotzdem keine Abkühlung brachte. Palmen und Farne bedeckten die Berghänge, im Rücken der Stadt, die vor ihnen am Horizont auftauchte. Die

Felsen bildeten einen nahezu perfekten Ring um Lasanta und flachten sich erst zur See hin ab, wo sie zu nichts mehr als simplen Wellenbrechern wurden, durch die Jahrhunderte, die sie de Elementen ausgesetzt waren, glattgeschmirgelt wie Papier. Es gab nur einen einzige durchlass durch diese Wall aus natürlich gewachsenem Stein. Ein Durchbruch, grade groß genug, das zwei Schiffe aneinander vorbeikommen konnten. Normalerweise war der Hafen überfüllt mit Handelskähnen aus aller Welt, die ihre Waren in die Metropole brachten oder von hier aus Ladungen mit Gewürzen und wertvollen Hölzern in die zentralen Provinzen Cantons brachten.

Es brauchte an manchen Tagen mehr als einhundert Losten die vom Ufer aus oder mit kleinen Booten die neu ankommenden Händler und Reisende einwiesen, Schiffe ein und ausschleusten und dafür Sorgten, das es nicht zu Zusammenstößen kam. Was nun jedoch vor ihnen in der Sonne glitzerte waren nicht die bunten Wimpel der Händlergilden und die aufgebauschten weißen Segel, die jedem bereits beim Näherkommen vom Reichtum und Stolz Lasantas kündigten. Es war blanker Stahl, der auf den Felsen der Wellenbrecher leuchtete. Kanonen und kleinere Geschütze standen so dicht auf dem Wall beisammen, das Cyrus

kaum eine Lücke erkennen konnte und sämtliche Waffen waren auf die See hinaus gerichtet. ,, Das ist nicht gut.“ , murmelte Erik neben ihm. ,, Ihr habt doch nicht etwa Angst ?“ Bis auf die grimmig dreinblickende Männer, die bei den Geschützen ihre Stellung bezogen hatten, war der Hafen praktisch verlassen. Kein Wunder, bei der Begrüßung, dachte Cyrus. Nur einige wenige , wohl besonders mutige, Händler hatten sich trotzdem in den Hafen gewagt. Alles in allem, vier Schiffe, die an der ebenfalls mit Kanonen ausgestatteten Mole lagen. Weitere Soldaten der Stadtwache sicherten die

Landungsstege, alle in graue Uniforme gekleidet, die in der ansonsten so lebhaften und bunten Stadt fehl am Platz wirkten. Selbst auf die Entfernung, über Lasanta lag eine Atmosphäre von Unsicherheit und Angst. Cyrus meinte beinahe, sie in der Luft packen können zu müssen, während sie zwischen de Wellenbrechern hindurch fuhren. Die Wachen auf dem Kamm schenkte ihnen keine große Beachtung. Vance hatte sich, gut sichtbar auf die Überresten der Kajüte gestellt, so das man ihn schnell erkennen musste. Ein einzelner Lotse in einem Boot ruderte ihnen bereits entgegen und erteilte mit mehreren Flaggen Anweisungen, um sie

zu einem freien Platz im Hafen zu führen. ,, Nicht unbedingt.“ , antwortete der Arzt schließlich. ,, Nun... etwas. Ich hatte eigentlich nicht vor, mein Leben mit einem Knall zu beenden.“ ,, Ich fürchte, das glaubt euch niemand, Erik.“ , gab Cyrus schmunzelnd zurück. Er konnte nun bereits die ersten Gebäude der Stadt deutlich erkennen. Lasanta war auf einer ehemalige Siedlung des alten Volkes erbaut worden und das sah man. Kunstvoll in die Architektur der Baute eingelassen, fanden sich uralte Marmorstufen, mit Inschriften verzierte Säulen und an einige Stellen ragten uralte , lange nicht mehr genutzte,

Tempel der Sonne entgegen. Normalerweise waren die Straßen und vor allem der Hafen überfüllt mit Mensche und Gejarn aus den unterschiedlichsten Ecken des Kaiserreichs und den Bewohnern Lasantas, die sich vor allem durch ihre bunte, luftige Kleidung erkennen ließen. Gefärbte Stoffe und Tücher waren hier oben begehrt und wurde selbst von den einfacheren Stände getragen, noch ein Grund, das dem Lasanta das erste Ziel so vieler Kaufleute war. Jetzt waren die Molen ausgestorben, bis auf die sie erwartenden Wächter. ,, Ich hoffe ja, ich bekomme Gelegenheit, mich etwas ei den

Kräuterhändlern der Stadt umzusehen.“ Erik ließ den Blick über die seltsam ruhige Stadt schweifen, während er sprach. ,, Letztes mal habe ich zwar ein paar Dinge ausprobieren können, aber ich hatte nicht wirklich Zeit, mir viele Vorräte zu besorgen.“ ,, Habt ihr nicht mir irgendeinem Gift experimentiert ?“ ,, Pfeilgift, um genau zu sein. Ziemlich interessant, es wirkt offenbar wirklich nur, wenn es direkt in die Blutbahn gelangt.“ , antwortete Erik. ,, Und das wisst ihr woher ?“ ,, Ich hab es probiert.“ , antwortete Erik, als wäre es etwas völlig

beiläufiges. ,,Ihr habt es probiert... „ ,,Schmeckt etwas seltsam, stellt euch eine Mischung aus Holunder und Karotte vor. Ich habe meinen Vorrat davon aber schon vor Monaten aufgebraucht. Hoffentlich finde ich den Laden auch wieder.“ ,, Erik... ich glaube mittlerweile verstehe ich, wieso ihr nicht kochen könnt...“ Mittlerweile waren sie nahe genug an der Mole, das der Lotse ihnen mit einem letzten Winken zu verstehen gab, hier anzulegen. Dann ruderte der Mann zurück die Kaimauer entlang, wohl um zu warten, ob heute noch ein weiteres

Schiff eintreffen würde. Vance hatte den Rest der Flotte außer Sichtweite Lasantas zurück gelassen und war nur mit der Immerwind in den Hafen gefahren. Je weniger Leute hier waren, desto geringer das Risiko, das sich jemand verplapperte. Noch bevor die Immerwind schließlich parallel zur Mole stand, kamen bereits die Stadtwachen angelaufen und nahmen am Punkt, an dem das Schiff zum Stillstand kommen würde, Aufstellung. Cyrus sah ihnen mit gemischten Gefühlen entgegen. Wenn auch nur einer dieser Männer verdacht schöpfte, wären sie schnell in Schwierigkeiten. Keiner von ihnen würde den Hafen dann Lebend

verlassen. Einige Matrosen warfen den wartenden Soldaten bereits Taue zu , so das diese die Immerwind sicher festzurren konnten. Es gab einen kleinen Ruck, als dem Schiff der Wind aus den Segeln genommen wurde und es endgültig zum Stillstand kam. Das Empfangskomitee, das sie an der Mole erwartete, zuckte nicht einmal zusammen. Vance mochte recht damit gehabt haben, das Jormund nicht viele treue Anhänger hatte. Aber es waren disziplinierte Kämpfer, dachte Cyrus, während er mit den anderen von Bord ging. Die Stadtwache Lasantas bildete einen Korridor aus Stahl und Gewehrmündungen, der sie auf allen

Seiten einschloss. Vance jedoch trat zwischen ihren Reihen hindurch, als wäre dies ganz normal. Nd nach allem, was ihnen der Kapitän erzählt hatte, stimmte das wohl auch. Der Wolf bemühte sich also, es ihm gleich zu tun. Einer der Wächter, der neben der grauen Uniform, die er auch schon bei Andres Truppen gesehen hatte, noch eine auffällige, blaue Schärpe trug, hielt Cyrus jedoch an. Als er an ihm vorbei wollte, streckte der Mann eine Hand vor und packte ihn an der Schulter. Ein Offizier, vermutete der Gejarn und wusste eine Moment nicht, ob er noch abwarten, oder dem Mann ein Messer in den Bauch rammen sollte. Seine Hand

hielt die Klinge umklammert, während sein Gegenüber ihn eine gefühlte Ewigkeit lang musterte. Eden tat das gleiche und wurde langsamer. Geh weiter, dachte er innerlich. Mochte sein, das er Aufgeflogen war, aber das hieß noch nicht, das sie gescheitert waren. Die Anderen waren nach wie vor sicher. Er nickte ihr kaum merklich zu und zu seiner Erleichterung ging sie tatsächlich weiter. Den Göttern sei dank... ,,Vance !“ , rief der Offizier nach dem Kapitän, der den Korridor aus Soldaten bereits fast durchquert hatte. Mit einem nervösen Blick machte er sich nun daran, den ganzen Weg wieder, gegen den

Strom seiner Männer, zurück zu gehen. ,, Was ?“ , fragte er ungehalten, als hätte er keine Ahnung, was vor sich gehen könnte, oder weshalb man ihm zumutete, den Spießrutenlauf hier zweimal zu absolvieren. ,, Gefällt euch seine Visage nicht ? Dann ab mit ihm ins Hafenbecken wenn es sein muss. Der wird sich über ne Gelegenheit zum Waschen freuen. Wir waren drei Wochen auf See, falls ihr das vergessen habt.“ ,, Was ist mit dem passiert ?“ , überging der Offizier Vances Worte. Natürlich. Ihm mussten die Narben in Cyrus Gesicht aufgefallen sein. Verdammt... Er hätte daran denken müssen, bevor er von Bord ging. Vielleicht ein Schal, oder...

,, Und warum seit ihr überhaupt schon zurück ?“ , fuhr der Mann misstrauisch fort. ,, Vielleicht ist euch das Loch in der Immerwind aufgefallen.“ , brummte Vance, weiterhin eine Maske aus Wut und Frustration beibehaltend. ,, Das kommt nicht von ungefähr. Wir sind draußen an den Westklippen einem Verband Garde-Schiffe begegnet. Habe sie alle versenkt, aber eben nicht ohne eigene Verluste.“ Einen Moment befürchtete Cyrus, der Mann würde Vance Geschichte nicht schlucken. Dan jedoch nickte er und ließ den Wolf los. ,, Nichts für ungut.“ , meinte er und

klang nun beinahe freundlich. ,, Imperiale Hunde, was ? Glauben sie könnten uns ewig Vorschriften machen. Eure Leute wissen das ja besser, als alle anderen. Aber ihr habt es ihnen gezeigt, wie ?“ ,,Ja.“ , gab Cyrus knapp zurück, bevor er sich wieder in Bewegung setzte. Tatsächlich hätte er genug Gründe, auf das Kaiserreich wütend zu sei. Aber er hatte dem Mann, der sein damaliges Leben zerstört hatte vor langer Zeit verziehen... so schwer das gewesen war. Vance führte ihn, Eden und die anderen schließlich Weg vom Hafen, wo sie sich von er regulären Crew trennten. Die Männer des alten Kapitäns würden sich

in Bereitschaft halten, falls sie gebraucht wurden, aber für den Moment mussten sie sehen, wie es überhaupt weiterging. Cyrus sah sich erstaunt und beunruhigt zugleich um, während sie durch die Straßen Lasantas gingen. Der Eindruck, den er bereits im Hafen gewonnen hatte, setzte sich auch hier fort. Es gab kaum Menschen auf der Straße, und dort wo sie welchen begegneten, sprangen diese beim Anblick der bewaffneten Truppe auseinander. Die Geschäfte waren zwar geöffnet, aber wo sich ansonsten Ströme von Schaulustige umsahen, spiegelte sich heute nur die Sonne auf dem Glas der Fensterscheiben. Es war ein durch und

durch trostloser Anblick. Auf den offenen Marktplätzen boten weitere Händler ihre Waren feil, aber die einzigen Kunden, die sie anzogen, waren Fliegen. ,, Götter, das ist ja die reinste Geisterstadt geworden.“ , bemerkte Erik und sprach damit genau seine Gedanken aus. ,,Jormund ist mittlerweile vermutlich einfach ur völlig Paranoid.“ , erklärte Vance ,, Wäre ich auch, wenn ich mich mit dem Herrscher der halben Welt anlegen wollte. Ihr habt ja gesehen, wie er die Stadt befestigt und jeden Beäugen lässt. Das ist nicht gut fürs Geschäft und die Bewohner bleiben auch lieber

drinnen, so weit es geht.“ Vance führte sie mittlerweile durch eine Gegend, die Cyrus entfernt Vertraut vorkam. Einfache Gebäude aus Holz gezimmert, reihten sich zusammen mit Lagerhäusern und Türmen. Und am Ende der Straße stand ein Gebäude, das der Gejarn sofort wiedererkannte. Nur waren die Fenster nun mit Brettern vernagelt und die Tür mit einer starken Kette verschlossen. Rost, begünstigt durch die salzige Seeluft, hatte bereits begonnen das Schloss zu zerfressen. ,, Eure alte Taverne ?“ , fragte Eden. ,, Nur habe ich sie leider dicht machen müssen. Nicht wegen der ganzen Admiralssache, sondern weil die Kunde

bei dem Klima hier einfach weg bleiben. Und damit meine ich nicht die Hitze. Wer will schon beim Trinken ständig von der Stadtwache beäugt werden ?“ Vance zog einen ebenso verrosteten Schlüssel aus der Tasche und begann, sich am Schloss zu schaffen zu machen. Schließlich sprang die Tür auf und die zwanzig Männer und Frauen betraten das verlassene Gasthaus. Nur einzelne Lichtbalken drangen zwischen den Brettern hindurch und enthüllten das trostlose Innere. Verstaubte Tische, umgestürzte Fässer und leere Kerzenhalter. Auf der Theke an der Rückwand standen noch leere Flaschen und Krüge herum. Normalerweise war

hier, nach allem was Eden Cyrus erzählt hatte, immer etwas los gewesen. Vor allen dank Vances alter... Berufung, war es ein Treffpunkt für die Zwielichtigsten und die Abenteuerlustigsten Gestalten gewesen. ,, Ich hoffe Wiedereröffnen zu können, sobald Jormund Geschichte ist.“ , meinte der alte Kapitän aufmunternd zu ihr, während er einige Kerzen unter der Bar herauszog und entzündete. Rasch platziere er diese in den Halterunge und schuf so eine spärliche, aber ausreichende Beleuchtung. ,, Das,“ , meinte Eden, ,, setzt voraus, das wir an ihn herankommen. Also, wie wollt ihr uns in Lasantas Herrenhaus

hereinbringen ?“ Vance grinste. ,, Dachte mir, das ihr gleich danach fragt. ,, Zufälligerweise habe ich mich bei meinem letzten Besuch dort etwas umgehört und umgesehen. Zufälligerweise hab ich dabei auch ein paar Dinge gesehen, die man nicht sehen sollte.“ ,, Und was ?“ ,, Das Haus ist eine Festung, wie schon gesagt. Aber auch eine Festung braucht nun... beispielsweise eine Wasserversorgung. Es gibt eine einzigen Kanal, der aus der Anlage herausführt. Und zufälligerweise weiß ich, das der Zugang davon direkt im Schatten der Südlichen Geländemauer liegt.

Zufälliger weise, weiß ich auch, das dieser Gang eine zweiten Zugang im Keller des Hauses hat. Leider weiß ich jedoch nicht, ob der Kanal komplett durchlässig ist, mein Bein hat mich daran gehindert es selbst einmal auszuprobieren, aber es ist unsere beste Chance, bevor wir uns etwas anderes Überlegen müssen.“ ,, Wann können wir es am ehesten Versuche ?“ ,, Heute Abend, im Schutz der Dunkelheit. Es ist zwar noch Offiziell Verboten, sich dem Herrenhaus zu nähern aber eine Gruppe von zwanzig Bewaffneten, die niemand kennt, fällt wohl auf. Bis es Dunkel wird jedoch,

können wir uns hier sicher Verstecken.“

Kapitel 69 Der geheime Durchgang


Kurz nach Tagesende konnte man gut zwei duzend Gestalten sehen, die sich durch die finsteren Straßen in Richtung eines Prunkbaus bewegten, der auf einem kleinen Hügel über der Siedlung aufragte. Selbst aus der Entfernung konnte Eden erkennen, das der Bau nach wie vor eine gewisse Eleganz besaß, obwohl er inzwischen, wie Vance bereits angekündigt hatte, in eine Festung umgebaut worden war. Durch ein großes, stabiles Eisengittertor konnte sie einen Blick in einen großzügigen Hof werfen, in dem Statuen aus , im Mondlicht

glitzerndem, Granit und Marmor standen, zusammen mit Gruppen aus zerborstenen Säulen und Steintafeln. Selbst die Ruinen des alte Volkes besaßen noch ihre ganz eigene Schönheit. Verwilderte Grasflächen ragten dazwischen auf und begrenzten einen gepflasterten Pfad, der zu einem rechteckigen, mehrstöckigen Bau führte. Was einstmals eine Villa gewesen war, die sich wohl leicht mit jedem Herrschersitz in Canton messen konnte, sah in der Nacht nur noch Trostlos aus. Einen Balkon im Obergeschoss hatte man komplett mit eisernen Gittern umgeben. Die einstmals großzügigen Fenster und offenen Säulengänge waren mit roten

Ziegelsteinen zugemauert oder ebenfalls vergittert worden. Das untere Geschoss, das wohl einstmals weiß getüncht worden war, war noch dazu mit einer zusätzlichen Wand verstärkt worden, so das es eher an ein modernes Gefängnis erinnerte. Licht fiel durch die Schießscharten auf das Grundstück und erhellte es so weit, das die Gejarn die Bewegungen dort ausmachen konnte. Mindestens fünf Wächter partroulierten durch die Gärten auf dieser Seite des Gebäudes und das nur in dem Teil , den sie Überblicken könnte. Auch um das Grundstück zog sich eine, offenbar frisch errichtete, Ziegelsteinmauer. Der Mörtel war noch

feucht und es wäre wohl ein leichtes gewesen, herüberzuklettern, hätte irgendjemand nicht alle paar Fuß eiserne Dornen in die Wand geschlagen, deren scharfkantige Oberfläche keinerlei Halt bot... Auch auf der Mauerkrone glitzerten metallene Zacken. Anders, als durch das Tor, kam man hier wohl wirklich nicht rein. Und über den Kanal, dachte sie bei sich, während sie Vance weiter folgten. Der alte Kapitän führte sie, so gut es eben für ihn ging in die Schatten geduckt, um das Gebäude herum zur Südmauer. Hier führte ebenfalls eine Straße von Lasanta herauf, das , scheinbar friedlich, zu ihren Füßen

schlief. Normalerweise war es eine Stadt, die auch Nachts nicht zur Ruhe kam, achte Eden. Auch Abends liefen durchaus noch Schiffe ein, Matrosen vergnügten sich in de zahlreichen Gastwirtschaften am Hafen oder in den Straßen. In den besser betuchten Bezirken kamen die Menschen Nachts manchmal erst auf die Straße, um zu reden, zu tanzen oder schlicht, zu trinken, zu rauchen und die Nacht zu genießen. Auf den ersten Blick war die glatte, mit Dornen besetzte, Wand hier genau so undurchlässig wie auf der anderen Seite des Herrenhauses. Dann jedoch entdeckte die Gejarn, weswegen sie gekommen

waren. Sie hörte das Rauschen des Wassers, bevor sie das Gitter überhaupt sah, das , kaum sichtbar, in den Boden direkt vor der Mauer eingelassen war. Sie ignorierte de plötzlichen, stechenden Schmerz in ihren Kochen, als sie sich hinhockte und den Durchgang begutachtete. Wenigstens das hier wollte sie noch zu Ende bringen, bevor die Krankheit sie... nutzlos machte. Der Gedanke war erschreckender als alles andere. Cyrus, Erik und die anderen stellten sich in einem Halbkreis um sie. Die Gejarn rüttelte an den Eisen, die erstaunlicherweise einfach nachgaben und sich aus ihrer Fassung löste.

Durchgetrennt, dachte sie, als sie die scharfkantige Ecken betrachtete, die an den ändern des Gitters zurück blieben. ,, Ich habe mir die Freiheit genommen, mich bereits darum zu kümmern.“ , beantwortete Vance de Fragenden Blick der Gejarn. Eden nickte. Sie hatte schon halb befürchtet, sie würden sich erst darum bemühen müssen, das Gitter möglichst geräuschlos zu entfernen. Nun jedoch standen sie vor einem ganz andere Problem. Der Schacht, den das Gitter bedeckt hatte, war bei weitem zu Schmal für sie. Und fast jeden anderen hier, dachte Eden. ,, Wir habe ein Problem.“ , stellte Erik fest. Der Arzt war nicht besonders groß

und praktisch eine Vogelscheuche, trotzdem würde selbst er kaum hindurchkommen. Und ob der Tunnel am Boden des Abstiegs dann genug Raum bot, war wieder eine ganz andere Frage... ,, Irgendwelche Freiwillige ?“ , wollte Cyrus gedämpft wissen. Ihm war wohl klar, das er von vornherein ausschied. Gejarn hatten allgemein meist einen etwas höheren Wuchs als Menschen... ,, Ich kann hindurch.“ , meinte da eine entschlossene Stimme. Eden schloss die Augen, ohne sich zu ihm umzudrehen. Sie hatte Zachary nur mitgenommen, weil es ohnehin unmöglich wäre, ihn daran zu hindern. Einen Zauberer

einzusperren war recht sinnlos und der Junge hatte schon einiges an Erfindungsgabe bewiesen und sie selbst aus magisch abgeschirmten Zellen herausgebracht. So wusste sie wenigstens, wo er war. Bis jetzt. Ihr war selber klar, dass er Klein genug wäre, vielleicht als einziger. Und viel Zeit zu verschwenden hatten sie nicht. Mit Sonnenaufgang musste alles gelaufen sein... ,,Nein.“ ,, Wer sonst, Eden ?“ , fragte Vance da. ,, Wir finden einen anderen Weg.“ , erklärte sie gedämpft, aber eindringlich. ,,Eden...“Cyrus setzte zum Sprechen an, verstummte dann jedoch wieder.

Zögerlich versuchte er es erneut: ,, Es gibt keinen anderen Weg, Eden. Du hast es doch selbst gesehen. Die Tore sind zu, das Grundstück bewacht und der Bau die reinste Festung. Ohne jemanden, der uns zumindest die Türen öffnet, sind wir verloren.“ Eden zögerte nach wie vor. Sie hatten alle Recht. Das änderte jedoch wenig daran, dass sie am liebsten erklärt hätte, sie würden sich zurückziehen und etwas anderes versuchen. ,, Also gut.“ , seufzte sie schwer und fügte, noch bevor sich ein Grinsen auf Zacharys Gesicht ausbreiten konnte hinzu : Aber nicht mehr. Du gehst rein, schleichst dich bis zu den Türen, öffnest

diese und verschwindest dann im gleichen Moment nach draußen. Den Rest übernehmen dann wir. Verstanden?“ Der Junge Zauberer nickte lediglich, schon auf halbem Weg zum offenen Schacht.“ ,, Ich meine das ernst. Alles hier hängt von dir ab. Mach keine Dummheiten.“ Eden musste sich abwenden um sich daran zu hindern, doch noch einen Rückzieher zu machen. ,, Vance, ich will, das ihr eure Leute aus dem Hafen hierher holt. Wir werden Verstärkung brauchen.“ ,, Dann wären wir gut und gerne zweihundert Mann.“ Der alte Kapitän grinste. ,, Das könnte klappen. Ich

denke, ich kann es in den Hafen und wieder zurück schaffen, bevor Zachary auf Position ist. Der Weg ist recht weit.“ ,, Gibt es irgendetwas, worauf er achten muss ?“ , wollte Eden wissen. ,, Vom offensichtlichen abgesehen…“ ,, Nun, er wird ein gutes Stück unter der Erde sein. Und da gibt es kein Licht, also…“ Bevor Vance den Satz beendet hatte, hatte Zachary bereits eine Hand vorgestreckt, über der ein silbernes Licht aufstieg, nur um wenige Herzschläge später in einem Funkenregen zu verlöschen. ,, Wie gesagt, ich komme durch.“ , bemerkte er entschlossen und machte

sich bereits daran, die Absätze hinabzuklettern, die man in der Wand des Schachts eingelassen hatte. ,, Zachary…“ Der Junge blickte aus den gleichen, seltsam Verständigen Augen zu ihr auf, die sie seit jeher kannte. Dieses Mal jedoch zitterte seine Stimme leicht, als er sprach: ,, Ma… ich liebe dich… aber du machst dir zu viele Sorgen.“ Sie konnte es in der Dunkelheit kaum sehen, aber Zac lächelte einen Moment wieder, bevor er endgültig im Schatten verschwand. Jetzt begann das, was Eden am meisten hasste… Warten, darauf, dass irgendetwas

passierte. Das silbrige, magische Licht wurde von der niedrigen Tunneldecke zurück geworfen. Zachary kam nur geduckt vorwärts und selbst so berührten seine Schultern immer wieder die mit Moos und Algen überzogenen Wände. Der junge Zauberer musste aufpassen, um auf dem glitschigen Tunnelboden nicht auszurutschen. Darauf, in dem schmutzigen Wasserlauf zu Landen, der zwischen seinen Füßen hindurch floss, konnte er getrost verzichten. Vance hatte ihn scheinbar zu Recht gewarnt. Der Weg war weiter, als er gedacht hatte und die Enge machte ihm trotz des Lichts

bald zu schaffen. Über ihm musste Zentnerweise Erde auf dem gemauerten Durchgang lasten. An einigen Stellen hatten sich Wurzeln von Büschen und Bäumen durch die Ritzen zwischen den Ziegeln gegraben und die Steine aus ihren Fassungen gedrückt. Ein Zurück jedoch gab es nicht. Er hatte seinen Entschluss gefasst. Die Tore öffnen und die anderen herein lassen würde kaum mehr Mühe bereiten, als den Tunnel zu durchqueren und dann, in einen Tarnzauber gehüllt, durch das Haus zu schleichen, bis er den Ausgang zu den Gärten fand. Ein Versteckspiel… nur ging es hier um sein Leben, sollte er bemerkt werden. Zachary konnte das

Blut in seinen Ohren rauschen hören, oder war das nur das Wasser? Er hatte Eden sein Wort gegeben, nichts sonst zu versuchen und er hatte vor, sich daran zu halten… Schon alleine, um eine Gelegenheit zu haben, sich an einer Heilung zu versuchen. Egal, was Erik oder sie sagten… Sie konnten doch nicht wirklich alle von ihm erwarten, dass er einfach zusah, wie Eden starb? Nicht nach all dem, was sie schon hinter sich hatten. Und wenn Erik auch glaubte, das nur das alte Volk jemals dazu in der Lage gewesen wäre… Endlich konnte er vor sich eine weitere Lichtquelle erkennen, die nicht durch Reflektionen seiner Zauber erzeugt

wurde. Oben in der Tunneldecke war ein ähnliches Gitter eingelassen, wie es schon den Einstieg draußen gesichert hatte. Vorsichtig ging er weiter, bis er fast direkt darunter stand. Alles, was er erkennen konnte, war eine hölzerne Decke, aber nichts, was sonst oben auf ihn warten könnte. Einen Moment lauschte er auf Schritte oder Worte. Nichts. Was immer dort oben war, er war alleine, wenn er sich nicht irrte… Und wenn er das tat… Zachary holte tief Luft. Dann war es sowieso zu spät. Er streckte eine Hand nach dem Gitter aus und rüttelte daran. Es saß fest. Nichts war jemals einfach,

oder? Der junge Magier schloss kurz die Augen, die Hand nach wie vor an den Stahl gelegt und konzentrierte sich. Er konnte spüren, wie die Energie aus dem Stein um seinen Hals in seine Finger strömte. Das Gitter begann, an den Ecken rötlich zu glühen, bis sich das massive Metall biegen ließ, als wäre es Wachs. Zachary drehte es schlicht aus dem Gestein und ließ es dann auf den Boden des Tunnels zu seinen Füßen fallen. Wenn nötig, konnte er es auch auf die gleiche Art wieder anbringen. Dann packte er den Rand der Öffnung und zog ich nach oben. Eine einzelne,

fast heruntergebrannte, Kerze beleuchtete den Raum, in dem er sich wiederfand. Offenbar befand er sich im Keller des Anwesens. Moose wuchsen auch hier in den Fugen der Steinfliesen, die den Boden bedeckten. Kisten lagen aufgestapelt übereinander und in drei Regalen, die eine ganze Wand für sich einnahmen, standen Gläser mit Vorräten, Kräutern und weiteren Dingen, die er im schummrigen Licht nicht erkennen konnte. Sobald er nach oben geklettert war, hatte er den Lichtzauber verlöschen lassen, damit dieser ihn nicht sofort verriet. Am anderen Ende des Raumes führte eine Treppe nach oben zu einer niedrigen

Tür. Zachary schenkte dem Keller keine Aufmerksamkeit mehr und stieg rasch das halbe Dutzend Stufen hinauf. Dieses Mal war der Durchgang unverschlossen und die Tür schwang auf, sobald er den Griff nach unten drückte. So weit so gut. Vor ihm lag ein langer Flur, dessen Boden aus kunstvoll gemeißeltem Sandstein bestand. An den Wänden wiederum hingen Ölgemälde nebeneinander, manche davon beinahe in Lebensgröße, wie es schien. Bilder von Männern und Frauen, Gejarn, Menschen, aber auch von Schlachten, historischen Momenten… Zachary besah sie sich einen Moment, bevor er schließlich einen Tarnzauber

murmelte. Völlig Unsichtbar zu werden war selbst für erfahrene Zauberer eine Herausforderung. Selbst ein kaum ausgebildeter Magier konnte leicht durch diese Art von Tarnung hindurch sehen. Für normale Menschen jedoch wäre Zachary nicht mehr wie Luft. Ein Windhauch, der an ihnen vorbeiging. Und genau denen wollte er ja ausweichen. Um auf Nummer sicher zu gehen, lief er jedoch nach wie vor geduckt und hielt sich in der Nähe der Wand. Er musste den Ausgang finden… Vor ihm jedoch, konnte er Stimmen aus einem erleuchteten Zimmer hören. Es gab keine Türen, sondern nur einen schweren Samtvorhang, der jedoch an

der Seite des Durchgangs, zusammengelegt an einem Haken befestigt war. Neugierig, und weil er ohnehin nicht wusste, in welche Richtung er gehen sollte, trat er näher. Mittlerweile konnte er auch verstehen, was gesprochen wurde. ,, Eine Seele an einem fremden Körper zu binden, hat sich als Schwieriger erwiesen, als ich anfangs dachte. Mit einer künstlichen Hülle hat man dieses Problem nicht. Das alte Bewusstsein einfach auszulöschen, löst das Problem leider ebenfalls nicht. Im Gegenteil, sie sterben direkt bei… Kontakt. Nun, ich versuche mich an einem neuen Ansatz. Statt einen von beiden auszulöschen,

verschmelze ich sie stattdessen. „ Zachary wusste nicht, worum es ging, aber die Thematik kam ihm… Vage vertraut vor. Als hätte er bereits gesehen, worüber sich der Mann unterhielt. ,, Aha.“ Der zweite Sprecher klang eher gelangweilt. ,, Wie ich jedoch sagte, ich brauche mehr Unterstützung durch Lord Andre. Das Kaiserreich wird bald vor meiner Tür stehen.“ Zachary trat, in Vertrauen auf seinen Zauber in die Tür und wusste augenblicklich, das er einen Fehler gemacht hatte. Exotische Pflanzen standen an den Wänden des Raumes in großzügigen Töpfen beisammen und

erfüllten die Luft mit ihrem Duft und dem Geruch von verrottenden Blättern. Der Ausgang lag direkt vor ihm. Am Ende des Raumes führte eine, mit Metallstreben verstärkte, Tür in die Gärten. Nur wusste er auch, dass er es nicht schaffen würde… Der zweite Sprecher trug eine auffällige, orangefarbene Jacke über seiner Kleidung. Jormund Einnarson. Die andere Gestalt, die dem Fürsten Lasantas gegenüberstand, jedoch, hätte ihn fast dazu gebracht, wieder Rückwärts aus dem Raum zu stolpern. Der Mann trug einen schwarzen Umhang, der seine Gestalt vollständig verbarg. Zac jedoch

wusste nur zu gut, wen er vor sich hatte. Wie die anderen hatte er das Gesicht des Meisters gesehen, die Wahrheit über den letzten Erzmagier des alten Volkes… Ohne erkennbare Eile trat Ismaiel an Jormund vorbei und sah direkt in Zacharys Richtung. Der Zauber konnte ihn freilich keine Sekunde lang täuschen… ,, Zachary, nehme ich an, ja ?“

Kapitel 70 Zac und der Meister


Zachary war erstarrt, wo er war und konnte nur mit Mühe weiterhin den Tarnzauber aufrechterhalten, den er um sich gelegt hatte. Seine Gedanken rasten. Den ersten Impuls, wegzurennen, unterdrückte er grade noch rechtzeitig. Fliehen war in diesem Fall nichts, das Erfolg haben könnte… Sein zweiter Einfall jedoch war es, den dunkel gekleideten Zauberer vor sich zu überrumpeln. Es war seine einzige Chance. Wenn er an ihm vorbei in die

Gärten entkam, hätte er vielleicht eine Chance. Dieser jedoch kam ihm zuvor, in dem er erneut zu sprechen begann. ,,Dein Vater hat mir einiges über dich erzählt…“ , meinte Ismaiel und klang dabei beinahe… freundlich ? Zachary stockte. Grade noch hatte er einen Blendzauber, von dem er nicht sicher war, ob er mehr Wirkung als sein magischer Schleier zeigen würde, entfesseln wollen. Nun jedoch verlor er, ohne es zu wollen. die Konzentration und lauschte stattdessen, ob der Mann vor ihm noch etwas sagen würde. ,, Da ist niemand.“ , erklärte Jormund derweil und starrte ins Leere, dem Blick des Meisters folgend. Er wirkte, als

befürchtete er, Ismaiel wäre schlicht verrückt geworden. Oder Wahnsinniger, als er ohnehin schon war… Natürlich konnte er Zachary nach wie vor nicht sehen. Der Junge ließ den Zauber um sich herum zerfallen. Das Versteckspiel war ohnehin vorbei und er befürchtete, gleich alle Kraft zu brauchen, die er hatte. Für Jormund musste es so aussehen, als trete Zachary plötzlich hinter einem Vorhang heraus, den er erst jetzt überhaupt sehen konnte. Der Herr Lasantas gab ein erschrecktes Keuchen von sich. Zac ignorierte ihn. Sein eigentliches Problem stand nach wie vor

ruhig da und wartete einfach ab. Die gesamte Gegenwart Ismaiels verwirrte ihn. Nicht nur die Frage, was er überhaupt hier suchte, sondern auch das, was außer ihm wohl keiner wahrnahm. Es war, als würde man in die Sonne sehen, wo man bisher nur Funken gespürt hatte. Ströme aus magischer Energie wirbelten um ihn wie ein ständiger Wind, bereit, auf einen Gedanken hin Form anzunehmen. Und sich ohne Zweifel auf Zachary zu stürzen. Er konnte sich unmöglich einfach hier heraus reden… Aber der Junge Zauberer war selber nicht wehrlos. Keinen Herzschlag später hatte er sich wieder soweit gefangen,

dass er einige einfache Zauber ausprobieren konnte. Ein Speer aus Eis formte sich direkt vor ihm in der Luft und jagte auf die schwarz gewandete Gestalt zu. Der Meister hob schlicht eine Hand und das Projektil erstarrte, ach wie vor eine Handbreit von ihm entfernt. Dann ballte er eine Faust und das Eis zersplitterte. Fragmente landeten auf dem Boden oder schlugen klirrend gegen die Tür und die Wände. Zachary hatte nicht wirklich erwartet, irgendetwas zu bewirken. ,, Ist das alles, was du kannst ?“ Sein Gegenüber klang geradezu enttäuscht und schob Jormund mit einer Hand beiseite.

Dieser machte nur allzu gerne Platz und wich bis an die Wand des Raumes zurück. Niemand wollte in der Schusslinie zwischen zwei Zauberern stehen. Ismaiel strich sich die Kapuze aus dem Gesicht. Einige Strähnen langen, weißen Haares fielen ihm ins Gesicht. ,, Dann erlaube, das ich das hier beenden.“ Flammen sammelten sich in der Hand des Magiers. Flüssiges Feuer, das über seine Finger rann, auf den Boden tropfte und dort kleinere Brände entfachte, die sofort wieder verloschen. Das Feuer veränderte langsam seinen Farbton von gelb über Orange nach tiefrot, während es in die Höhe Wuchs, ein loderndes

Inferno, nur in Zaum gehalten, durch den Willen Ismaiels. Zachary wich zurück und auch Jormund hob die Hand um sein Gesicht vor der Hitze abzuschirmen. Einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Dann brach die Wand aus Feuer zusammen und ergoss sich wie Wasser über den Boden des Raums. Die teuren Pflanzen in ihren Keramiktöpfen vergingen in einem Augenblick allesamt zu Asche. Jormund sprang auf einen der Töpfe um sich zu retten. Und dann formte sich das wilde Feuermeer zu einer Welle, die sich drohend über Zachary aufbäumte… und dann über ihm zusammenschlug. Draußen im Garten malte das Licht des

Zaubers scharfe Konturen und Schatten auf das Gras und die Bäume. Einige der Wächter, die daraus aufmerksam wurden, wichen angstvoll vom Gebäude zurück. Andere riefen Warnungen in die Nacht, oder starrten einfach nur Gebannt auf das Schauspiel. Dann erlosch es wieder und ließ Herrenhaus wie Gärten erneut in Dunkelheit zurück. Zachary wankte, als das Feuer ihn umspülte und nach seiner Kleidung griff. Einen Moment fürchtete er, der Schild, den er erschaffen hatte, würde nicht ausreichen. Trotz des magischen Schutzes spürte er die Hitze auf seiner Haut und wie sie die Härchen auf seinem

Armen versengte. Eingeschlossen in dem tiefroten Inferno, konnte er nicht erkennen, was sonst vor sich ging. Die Flammen bildeten einen Strudel um ihn. In regelmäßigen Abständen schlugen Feuerzungen aus dem Chaos, fast, als seien sie lebendige Wesen und brachten den Schild um ihn zum Erzittern. Aber er hielt stand, seine ganze Konzentration darauf gerichtet, am Leben zu bleiben. Der blaue Edelstein, den er um den Hals trug, leuchtete im Einklang mit seinem Herzschlag auf. Wie lange konnte der Meister diesen Zauber aufrechterhalten? Ein normaler Zauberer wäre längst vor Erschöpfung zusammen gebrochen. Aber er hatte es

hier nicht mit einem normalen Hexer zu tun… sondern mit dem letzten lebenden Mitglied des alten Volkes. Demjenigen, der Überlebt hatte, wo alle anderen gestorben waren. Er durfte nicht darauf vertrauen, dass sein Gegner irgendwann aufhörte. Der Schild musste nur einmal kurz nachgeben und er wäre tot… Das einzige, was ihm sonst blieb jedoch, war äußerst gefährlich. Er hatte einmal gesehen, was geschah, wenn zwei Zauber von derartiger Macht sich gegenseitig auflösten. Er war von einer Wand aus magisch verstärktem Feuer umgeben. Also brauchte er… Wasser. Zachary murmelte ein paar Worte, um

sich besser konzentrieren zu können. Der Fliesenboden unter ihm wurde genau wie sein Körper durch den Schutzzauber bewahrt. Mit einem Spruch brachte er den Stein unter sich zum Bersten. Tiefe Spalten, die sich nicht nur durch die Fliesen, sondern auch durch die Fundamente und den Fels und die Erde unter dem Haus gruben. Dann zog er. Zachary wusste, dass er Erfolg hatte, als Wasser aus dem Erdreich unterseinen Füßen drang und seine Schuhe durchweichte. Rasch stand es kniehoch um ihn herum, füllte die kleine Blase an, die er um sich erschaffen hatte. Es musste ausreichen. Zachary ließ den Schild

zusammenbrechen und gab dem Wasser im gleichen Augenblick eine neue Form. In glitzernden Kaskaden schäumte es nach oben, dem über ihn hereinbrechenden Flammen entgegen. Feuer und Wasser trafen in einem Mahlstrom aufeinander. Dampf stieg auf, dort, wo sie in einander flossen. Hitze und Magie vergingen in einem einzigen, Ohrenbetäubenden Schlag. Luft wurde Orkanartig in das entstehende Vakuum gesogen, brachte Zacharys Kleider zum Schlottern und wirbelte Asche aus den toten Pflanzenkübeln auf… Der Meister stolperte tatsächlich zurück und Jormund schrie erschreckt auf. Zachary hingegen klopfte sich Asche und

Staub aus den Kleidern, ungläubig tastete er nach Verletzungen. Er war völlig unversehrt. Ismaiel atmete schwer, immer wieder unterbrochen von etwas, das wohl ein Lachen sein sollte. Der Mann stützte sich mit einer Hand an der Tür zu den Gärten ab, gegen die er gestolpert war. ,, Gut… sehr gut.“ Bildete er sich das nur ein schwang da ein Hauch von Furcht in seiner Stimme mit. Es war ein Abtasten gewesen, nicht mehr. Zachary war nur zu klar, dass ein mächtigerer Zauber ihn, wenn nicht sie beide, vernichtet hätte, hätte er Versucht, ihn auf diese Art

aufzuheben. ,, Gebt ihr auf, oder müssen wir das hier zu Ende bringen ?“ , fragte Zachary. Ismaiel reagierte mit einem neuerlichen, schauerlichen Lachen. ,, Du bist in der Tat sehr mächtig geworden, kleiner Magier. Aber nein. Einer von uns wird dieses Haus nicht mehr Lebend verlassen. Es sei denn…“ Zachary spannte sich an, auf alles gefasst. ,, Es sei denn ?“ ,, Es sei denn wir finden eine zivilisiertere Lösung.“ Jormund begehrte auf. ,, Ihr denkt doch nicht wirklich darüber nach…“ ,, Schweigt… „ Der Herr Lasantas verstummte mitten im Satz. Zwar öffnete

er den Mund und bewegte die Lippen, aber es kam kein Ton mehr heraus. ,,Es ist unhöflich ein Gespräch derartig zu unterbrechen, findest du nicht auch Zachary ?“ ,, Was meint ihr mit zivilisierter Lösung ? Wir…“ Zachary stockte. Ismaiel wusste nichts von Eden oder den anderen und das sollte besser auch so bleiben. ,, Ich bin wegen Lasanta hier.“ ,, Du alleine ? Eure… Kaiserin muss großes Vertrauen in dich haben. Natürlich nur, wenn ich nicht wüsste, das Vance in den Kellern und an den Mauern des Anwesens herumgeschnüffelt hat. Wie viele seit ihr?“ ,,Genug.“ , antwortete Zachary

nur. ,, Ich kann nicht alleine gegen eine ganze Armee kämpfen. Und um ehrlich zu sein, du könntest mich vielleicht tatsächlich etwas aufhalten, Zachary. Vielleicht würde es dir sogar gelingen, Jormund zu töten und der ist im Augenblick alles, an dem ich interessiert bin. Lasanta interessiert mich nicht. Andre mag die Stadt brauchen. Aber auch dein Vater interessiert mich grade so weit, wie ich ihn brauche. Wozu also Blut vergießen? Wir können beide bekommen, was wir wollen.“ Jormund war mittlerweile rot angelaufen und vermutlich war es besser, das er für den Moment verstummt war, den von der

Art her, wie er die Faust ballte, war er nicht grade begeistert davon, das Ismaiel plötzlich über die Zukunft seiner Stadt verhandeln wollte. ,, Kein Interesse. Wir bekommen die Stadt auch so.“ , antwortete Zachary. ,, Und wie ihr schon gesagt habt… vielleicht töte ich euch ja.“ ,, Die Möglichkeit besteht immer, was ?“ Der Meister drehte ihm den Rücken zu, trotzdem war Zachary sich sicher, keine Sekunde unbeobachtet zu sein. ,, Aber bist du dir ganz sicher ? Wenn Lasanta dir nicht genug ist… nun wir finden doch sicher etwas, das du brauchst?“ Der Ausdruck auf Zacharys Gesicht musste ihn wohl verraten haben. Und ob

es etwas gab, das er brauchte. Etwas, das ihm nur der Mann geben konnte, der hier vor ihm stand, wenn es überhaupt möglich war… Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Meisters aus. ,,Ich höre also…“ ,, Wisst ihr, was Knochenstarre ist ?“ ,, Ja.“ Er klang nun ernsthaft neugierig, worauf Zachary damit hinaus wollte. ,, Könnt ihr sie heilen ?“ ,, Du bist nicht krank.“ ,, Beantwortet die Frage oder vergesst es.“ , erwiderte Zachary ruhig. Er würde ihm ganz sicher nicht mehr verraten, als er wissen

musste. ,, Ich kann sie heilen. Eigentlich… ist es sogar sehr einfach. Für mich. Für euch… eher nicht.“ Ismaiel zog einen klaren, weißen Edelstein aus seiner Tasche und legte einen Finger darauf. Im nächsten Moment leuchtete das Juwel grünlich auf und verfärbte sich allmählich. Als das Licht verlosch, hielt der Zauberer etwas in der Hand, das Ähnlichkeiten mit einem Smaragd hatte. Zachary wusste jedoch was er vor sich hatte. Einen kristallinen Zauber. Magie, der man eine Form gegeben hatte, so dass sie von jedem Benutzt werden konnte. Die Leichtigkeit, mit der Ismaiel den Zauber erschaffen hatte,

jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Selbst der Orden brauchte dutzende Magier und Tage der Vorbereitung um seine mächtigeren Zauber zu manifestieren. Und er hatte auch Angst. Zachary könnte es unmöglich vorher ausprobieren. Das war ein einmal oder nichts- Spruch. Genauso gut könnte Ismaiel grade einen Zauber erschaffen haben, der Eden töten würde, in dem Moment, wo er ihn nutzte, ,, Wenn ihr das schadet.“ ,,Ihr ?“ Zachary schwieg jedoch beharrlich, worauf der Zauberer fortfuhr : ,, Ich habe es im Moment absolut nicht nötig, zu Lügen, Zachary. Es ist mir

egal, wenn sie, wer auch immer, noch etwas länger lebt. Ihr Leben interessiert mich schlicht nicht. Da kann ich es ihr auch schenken. Aber Fürst Jormund hier ist wichtig für meine Pläne. Ich kann es mir also nicht erlauben, ihn zu verlieren.“ Ismaiel hielt den Stein Zachary hin. Das grün schimmernde Juwel war mit einem Mal zum Zentrum all seiner Hoffnungen geworden. Wenn es tat, was Ismaiel ihm versprach… dann gab es eine Heilung für Eden und er hatte sie grade direkt vor sich. Aber konnte er das wirklich? Es ging hier um nichts weiter, als darum, Jormund entkommen zu lassen. Lasanta würde ihnen gehören, so oder so. Wenn

ihr Anführer plötzlich verschollen war, würden die übrigen Soldaten sicher ihre Waffen niederlegen. Notfalls konnten sie sogar behaupten, den Fürsten festgesetzt zu haben… Er versuchte sich einzureden, das er absolut nichts zu verlieren hatte, wenn er den Stein nahm. ,, Was habt ihr vor ?“ , wollte Zachary wissen. ,, Wofür braucht ihr Jormund so dringend ?“ ,, Das wiederum werde ich dir nicht sagen. Das ist schlicht und ergreifend das Risiko wenn du ,, ihr“ helfen willst, Zachary. Aber lass es dir durch den Kopf gehen. Du meins, was Andre tut ist falsch ja? Töten ?“ Er nickte

lediglich. ,, Und doch, du bist genau aus demselben Grund hier. Denn was hättest du mit Jormund getan, wäre ich nicht hier? Und Andre selbst, der Mann der dich nach wie vor seinen Sohn nennt ? Wenn ihr gewinnen wollt, muss er sterben. Du siehst die Frage ist... nicht so einfach wie du glaubst.“ ,,Sie ist einfach genug für mich. Gebt mir den Stein und verschwindet.“ ,, Und doch… Was wir zusammen erreichen könnten, das Potential das du hast, dein Vater ist ein Nichts dagegen.“ ,,Kein Interesse. Gebt mir was ich brauche und ich bin weg. Strapaziert meine Geduld nicht. Ich halte mich an unsere

Abmachung. Ein Gegebenes Wort zu brechen ist... nicht gut fürs Geschäft“, zitierte er unfreiwillig Eden. Zachary streckte die Hand vor. ,, Das heißt, wenn ihr keinen Rückzieher macht.“ ,,Nein.“ Ismaiel ließ das Juwel in Zacharys ausgestreckte Hand fallen. ,,Wie Schade… Du kannst gerne deine Freunde holen. Warte nur, bis ich und Jormund hier uns ein Stück… entfernt haben.“ Der Zauberer packte den Fürsten an der Schulter und zog ihn mit sich, hinaus aus dem Raum. Zachary schloss derweil die Finger um den glühenden Stein… Es musste funktionieren, oder er würde Ismaiel finden, bevor dieser Krieg sein

Ende fand, schwor er. Und dann würde tatsächlich einer von ihnen nicht Überleben.

Kapitel 71 Heilung


Die Tore zu erreichen war einfach gewesen, nachdem der Weg einmal frei war. In die Schatten von Hecken und Pflanzen geduckt, musste er nur den wenigen Stadtwachen ausweichen, die nicht nach wie vor wie gebannt zum Haus zurück sahen. Zwar war das Farbenspiel der Magie dort seit einer ganzen Weile verloschen, aber keiner der Männer wollte der erste sein, der seinen zugewiesenen Posten verließ. Und vermutlich wollte auch keiner der erste sein, der in das, für sie , verhexte Herrenhaus

hineinstolperte. Zachary indes hatte erneut einen Tarnzauber um sich gelegt, der ihn für jeden normalen Beobachter eins mit der Dunkelheit werden ließ. Die Nachtluft war erfüllt vom Duft mehrerer, ausladender Orangenbäume, die den Zugang zum Grundstück umgaben und Mond stand nach wie vor hoch am Himmel und beleuchtete die Freifläche zwischen den Gärten und dem schmiedeeisernen Tor, das die Mauer durchbrach. Die zerbrochenen Marmorsäulen, die in einer Ecke des Grundstücks zu einem Kreis angeordnet waren schimmerten, ansonsten jedoch rührte sich nichts

mehr. Der Junge lauschte einen Moment, ob er nicht doch eine Wache übersehen hätte, aber es blieb ruhig. Das Juwel in seiner Tasche hielt er dabei fest umklammert. Der Stein war überraschend kalt, fast so, als würde alle Wärme um ihn herum aufgesogen, ohne ihn jedoch aufheizen zu können. Und doch bedeutete dieses kleine Stück Kristall all seine Hoffnungen… Er würde Eden nicht sagen, was er getan hatte, entschied er. Sie würde doch nur protestieren, ihm vielleicht sogar den Stein abnehmen, anstatt ihn zu nutzen. Und vielleicht hätte sie damit sogar recht. Konnte er Ismaiel wirklich so

einfach vertrauen? Jetzt, wo er ihm nicht mehr gegenüberstand verloren auch seine Worte langsam ihren einlullenden Effekt auf ihn. Dieser Mann hatte die ältesten der Clans und den Obersten Zauberer des Sangius-Ordens getäuscht, woher sollte er da die Sicherheit nehmen, das es ihm nicht genau so erging? Die Antwort war einfach: Zachary wusste es nicht. Nur das er einen Preis für diesen Zauber bezahlt hatte…. Er hatte gar keine andere Wahl, als ihn jetzt auch zu nutzen. Alle Gedanken über Bord werfend, setzte er sich endlich in Bewegung und überquerte rasch das letzte Stück Weg zwischen ihm und den Toren. Aus den

Augenwinkeln nahm er bereits eine in rot gekleidete Gestalt wahr, die direkt hinter den eisernen Stäben wartete. ,, Zachary !“ Die Gejarn trat aus ihrem improvisierten Versteck, direkt an der Mauerecke vor die Tore. ,, Es muss irgendwo einen Riegel geben , Junge. Such danach.“ , wies Vance ihn hastig an und Zachary zögerte nicht lange. Es gab tatsächlich ein Schloss. Ein gewaltiger Eisenklotz, der das einflüglige Portal sicher verschlossen hielt. Das Material war so dick, das es wohl selbst mit einem Zauber Minuten dauern dürfte, sich durch das Schloss zu fressen. Und es von außen zu entfernen, ohne aufzufallen, wurde damit erst recht

nicht möglich. Zum Glück jedoch, erwies sich das als unnötig. Ein ebenso schwerer Riegel lief direkt durch den Block und ließ sich einfach anheben. Von außen war das Tor so nicht zu öffnen, von innen jedoch war es beinahe etwas… zu einfach. Als hätte jemand gewusst, dass sie kamen und wollte, dass sie es schafften. Sobald das Tor aufschwang, stürmten Eden und die anderen herein. Vance hatte es offenbar geschafft, seine restliche Crew zu informieren, den mit den zwanzig ursprünglichen Männern, die Eden ausgesucht hatte, folgten mindestens vier Mal so viele fremde Gesichter. Sofort flammten im und um das Anwesen

Lichter auf. Fackeln und Öllampen wurden entzündet, als die nach wie vor abgelenkten Wächter bemerkten, was sich tat. Es würde ein kurzer Kampf werden, wenn sie sich nicht ohnehin sofort ergaben. Sie waren weit in der Überzahl… Eden zog ihn derweil mit sich, weg von dem Tumult, der nun in den Gärten ausbrach. Vereinzelt hallten Schüsse durch die Nacht. ,, Alles in Ordnung ?“ , wollte sie wissen. ,, Mir geht es gut.“ Nur, das sie Jormund hier nicht finden würden. Einen Teil der Wahrheit zumindest musste er ihr wohl sagen, bevor sie das komplette Anwesen

auf den Kopf stellten. ,, Aber Jormund ist mir entwischt.“ ,, Du hast ihn alleine gestellt ?“ Eden klang zu gleichen Teilen stolz wie wütend auf ihn. Zumindest für den Augenblick blieb ihr wohl keine Zeit, ihm das lange Übel zu nehmen. ,, Er… stand mir nur zufällig im Weg. Aber als er mich gesehen hat, ist er einfach weggelaufen. Ich glaube, er ist geflohen…“ ,, Wirt sollten das vielleicht später klären.“ , schlug Vance vor, der ihnen gefolgt war. ,, Vor Morgengrauen sollten wir das Haus gesichert haben. Ob nun geflohen oder gefangen, ich schätze, seine Männer werden keinen großen

Wiederstand mehr leisten, wenn ihnen erst einmal klar wird, das ihr Anführer sie im Stich gelassen hat.“ Eden nickte, bevor sie sie sich in Richtung Haus aufmachten. Die letzten Soldaten Lasantas waren mittlerweile festgesetzt worden und hockten entweder entwaffnet am Boden oder wurden grade durch Vance Männer zu Boden gezwungen. Die Eingangstüren zum Herrenhaus standen weit offen und von drinnen konnte Zachary weiteren Tumult hören. Das Klirren von Stahl und aufgeregte Rufe… Ein paar Minuten noch und das Haus gehörte ihnen. Cyrus wankte unterdessen, von Erik gestützte aus dem Gebäude. Der Gejarn

rang sich ein schwaches Lächeln ab, während der Schiffsarzt ihm half, sich an die Wand neben der Tür zu lehnen. Ein sich ausbreitender roter Fleck zeichnete sich auf seiner Brust ab. Der dunkle Mantel den er trug wies ein eindeutiges Loch auf. ,, Cyrus…“ ,, Das wird wieder. Erik kümmert sich darum. “ , wehrte der Wolf sie ab. ,, Seht ihr nur zu, das Jormund uns nicht entkommt.“ ,, Er ist uns schon entkommen, fürchte ich.“ , antwortete Eden

nur. Weniger als eine Stunde nach Sonnenaufgang, war alles vorbei. Vereinzelt hing noch Pulverdampf in der sich erwärmenden Luft über dem Anwesen, doch der nächste Tag sollte einer der friedlichsten werden, die Lasanta seit langem erlebt hatte. Ohne Anführer und ihrer Organisation beraubt, ergaben sich weite Teile von Jormunds verbliebenen Streitkräften ohne jede Gegenwehr. Die , die weiter Wiederstand leisteten, wurden rasch durch Vance Männer und die

eintreffende restliche Flotte des Kaiserreichs festgesetzt. Hafen wie Innenstadt waren endgültig wieder unter der Kontrolle des Kaiserreichs. Nicht alle nahmen das Positiv auf. Einige fürchteten wohl, das selbst mit Jormunds Fall die Blockade von nun an lediglich einen neuen Namen haben würde. Doch der weitaus größere Teil der Bevölkerung traute sich, zum ersten Mal seit Wochen, wieder auf die Straßen. Händler und Reisende, die seit Beginn des Konflikts im Hafen festgesessen hatten, nutzten die Gelegenheit, löschten endlich ihre Waren oder zogen weiter zu ihrem eigentlichen Ziel. Die Tage der Unsicherheit hatten

noch nicht so lange gedauert, das Lasanta den alten Trott verlernt hätte und bald war es zumindest auf den Markplätzen und Gassen der Metropole wieder so geschäftig wie eh und je, wenn Marktschreier und Händler auch noch eher zurückhaltend waren. Cyrus bekam von dem neuen Trouble jedoch nicht viel mit. Erik versorgte nach wie vor die Schusswunde, die er sich bei den Kämpfen in der Nacht zugezogen hatte. Eine Narbe mehr, dachte er sarkastisch, während er sich in einem Sessel fallen ließ, der in einem Zimmer des Anwesens stand. Jormund würde sich wohl nicht mehr über die Blutflecke auf dem Polster aufregen. Der

Wolf grinste leicht bei dem Gedanken. Zwar war der Fürst Lasantas ihnen entwischt, wie Zachary bereits gefürchtet hatte, aber wenigstens hatten sie eine bequeme Unterkunft gewonnen. Immer alles positiv sehen. Der Raum, in dem er sich befand war wohl so etwas wie ein privates Besprechungszimmer gewesen. Die Möbel waren allesamt noch ein Stück exklusiver, als im Rest des Hauses, den der Wolf bisher gesehen hatte. Schwere Polster, die teilweise aus Bärenfell bestanden. Ob aus Wildtieren oder sogar aus dem von Gejarn… Cyrus traute dem Adel Cantons mittlerweile einfach alles

zu. Mehrere schwere Sessel ordneten sich um einen kleinen Nuss-Holztisch an, auf dem mehrere Karaffen und Gläser standen. Cyrus nahm eines der Gefäße, das eine klare Flüssigkeit enthielt, vom Tisch, roch kurz am Inhalt und verzog das Gesicht. Was immer es war, die Flasche war offenbar teurer als der Inhalt. Da Erik jedoch vor einer guten Stunde einfach verschwunden war, setzte er die Flasche im nächsten Moment doch an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck. Wenn der Arzt aus dem Haus war, kurierte er sich eben selbst… Durch ein Fenster konnte er in die Gärten sehen, wo sich bereits ein Teil

der übrigen Truppen niedergelassen hatte. Eden und Vance hatten beide nicht zugelassen, das sich die Männer nach dem Anwesen noch auf die Stadt stürzten. Sie wollten diesen Ort wieder herrichten, nicht, ihn plündern. Dafür jedoch hatten Edens alter Kapitän und seine Leute allzu bald den Schlüssel zu den Schatzkammern des Anwesens gefunden. Vermutlich badet der Alte jetzt irgendwo in Gold, dachte Cyrus. Er hatte ihn zumindest seither nicht mehr gesehen. Wenigstens wusste er jedoch, wo Eden war. Die Gejarn war nach den kurzen Kämpfen und der durchwachten Nacht müder gewesen, als selbst er sich fühlte

und lag jetzt schlafend in einem der Zimmer im oberen Stockwerk des Hauses. Cyrus würde es gerne auf schlichte Erschöpfung schieben, aber… Nun wo er die Wahrheit kannte, konnte er nicht mehr umhin festzustellen, dass es Eden nicht gut ging. Und fragte sich, wie er das in den letzten Monaten überhaupt hatte übersehen können. Endlich jedoch, hörte er Schritte auf dem Gang draußen, die ihn gnädiger Weise aus seinen Gedanken rissen. Es war tatsächlich Erik, der, unter einem gewaltigen Sack fast verschwindend, zur Tür herein stolperte. Mit dem Mann wehte auch der Geruch von Heu und Kräutern in den

Raum. ,, Erik ?“ Cyrus musterte den Beutel skeptisch, den der alte Arzt mit einem schnaufen Absetzte. ,, Was ist das ?“ ,, Alles was die Vegetation um Lasanta hergibt.“ , verkündete er stolz. ,, Ich hatte wie gesagt noch kaum Gelegenheit, die Heilwirkung der Pflanzen in dieser Gegend zu untersuchen.“ ,, Und wen bitte musstet ihr umbringen um das alles zu bekommen ?“ , fragte Cyrus lachend, während Erik begann, einzelne Pflanzen aus dem Paket zu ziehen. Palmblätter, ein paar Kräuter, die ihm vage bekannt vorkamen, aber auch mehr als genug Pflanzen, die er bisher nicht einmal gesehen hatte. Ein

seltsames Geflecht aus violetten, scheinbar wild in alle Richtungen wachsenden Wuzeln sah nicht einmal wie etwas aus, das überhaupt irgendwo wachsen sollte. ,, Ist die Pflanze angemalt ? Ich glaube wer immer euch das verkauft hat, hat euch ausgetrickst.“ ,, Ich glaube nicht.“ , gab der Arzt zurück und brach eine der violetten Wurzeln ab. ,, Es ist auch keine Pflanze, Cyrus, es ist ein Pilz. Offenbar irgendwas aus den Höhlen hier in der Gegend. Und eigentlich habe ich gar nichts hierfür bezahlt. Ich war im gleichen Laden, wie bei meinem letzten Besuch. Seltsamerweise schien der

Besitzer ziemlich geschockt mit wiederzusehen. Er hat mir das hier tatsächlich alles geschenkt… nur um mich dann zur Tür hinaus zu schieben… So gewinnt man keine Kunden.“ ,, Wieso Erik habe ich nur das Gefühl, das ihr diesen Eindruck öfter auf Fremde habt ? Und was nützt euch das ganze jetzt? Ihr sagtet ja ihr wüsstet nicht, wozu das ganze Überhaupt gut ist.“ ,, Korrigiere. Ich werde es herausfinden. Und dazu habe ich ja jetzt euch.“ ,, Moment, ihr…“ ,, Die Blutungen hab ich zwar gestillt, aber ich will sehen, ob irgendwas hier nicht die Schmerzen lindern kann. Oder vielleicht die Verletzung schneller

verheilen lässt.“ ,, Und ich habe dabei kein Mitspracherecht, ja ?“ ,, Wenn ihr nicht den Rest des Monats stattdessen mit einem Faden von der Schulter bis zum Herz herumlaufen wollt… nein. Zufälliger weise habe ich nämlich all meine sonstigen Vorräte auf der Windrufer zurück gelassen. Und die ist noch Unterwegs hierher.“ ,, Spiele ich halt Versuchskaninchen… Oder besser, Wolf… Was kann schlimmstenfalls schon passieren?“ ,, Der letzte der das gesagt hat, ist bis zum heutigen Tag nicht wieder aufgetaucht. Deshalb hat mich die Universität in Vara auch

rausgeworfen.“ ,, Beruhigend.“ , kommentierte Cyrus, dem plötzlich ganz und gar nicht mehr Wohl in seiner Haut war. ,, Kann aber wenigstens kaum schlimmer werden als das.“ ,, Wenn ihr wüsstet.“ , antwortete Erik nur und brach ein weiteres Stück von dem seltsamen Gewächs ab, das angeblich ein Pilz sein sollte. ,, Probieren wir mal das…“Rasch zermahl er die Einzelteile zwischen dein Fingern und gab das entstandene Pulver dem Wolf. ,, Seht einmal was passiert, wenn ihr das für… sagen wir drei Tage jeden Tag auf die Wunde gebt.“ Cyrus besah sich die Schwarz-Violetten

Krümel skeptisch. ,, Wenns hilft…“ ,, Das will ich herausfinden, alter Freund.“ In diesem Moment schwang die Tür erneut auf und Zachary trat herein. Cyrus war sich nicht sicher, aber der Junge schien über irgendetwas schrecklich nervös. Nachdem er sich in der Nacht alleine durch das Anwesen geschlichen hatte, um sie hereinzulassen, war der junge Zauberer zunehmend schweigsamer geworden. Ein Umstand, der für ihn wohl recht normal zu sein schien. Seit Cyrus Zachary kannte, war der Junge immer wieder für eine Weile seltsam schweigsam geworden. Nur das so etwas seit mehreren Monaten schon

nicht mehr vorgekommen war. Nein, Zachary beschäftigte irgendetwas. ,, Wo ist Eden ?“ , wollte er wissen und versuchte dabei seine Anspannung zu verstecken. Cyrus bemerkte es trotzdem. ,, Oben, soweit ich weiß, schläft sie.“ Vielleicht war es nur die Angst um die Gejarn, die Zac beschäftigte. Da hätten sie zumindest etwas gemeinsam. ,, Dann… werde ich einmal nach ihr sehen.“ ,, Tu das und… ist bei dir alles in Ordnung ?“ Der Junge hatte sich bereits halb umgewandt und eine Hand in der Tasche verschwinden lassen. ,, Ja.“ , meinte er nur, bevor er

endgültig nach draußen trat und die Tür wieder hinter sich zuzog. Eden wusste später nicht, ob sie noch immer träumte, als sie bemerkte, wie sich die Tür zu ihrem Zimmer geräuschlos öffnete. Sie hatte wohl Fieber bekommen. Es konnte ihre Situation ohnehin kaum verschlimmern… Ihre Träume waren vorher schon verworren gewesen. Und dieser hier schien dabei keine Ausnahme zu bilden. Mit nur halboffenen Augen verfolgte sie, wie eine Gestalt in den Raum trat, nur erleuchtet vom schwachen Schimmern eines grünlichen Steins in ihrer Hand. Eden hatte die Vorhänge zugezogen, um

die Sonne auszuschließen. Jetzt bereute sie es… Die Gestalt zögerte einen Moment, dann jedoch löste sich der Stein in ihrer Hand in einen grünlichen Funkenregen auf, der auf Eden zutrieb und sich einen Moment um ihre Gestalt legte. Die Gejarn schlummerte wieder ein, sobald das Licht verlosch. Der Junge jedoch blieb noch einige Minuten an seinem Platz an der Tür stehen und lachte auf ihren gleichmäßigen Atem. Schließlich nickte er zufrieden und ging genauso geräuschlos wieder davon. Es musste

funktionieren…

Kapitel 72 Heilung


Eden erwachte, als die Sonne grade begann, unterzugehen. Der schwache rötliche Schein, der durch den Stoff der Vorhänge drang, erlaubte es ihr, sich etwas umzusehen. Der Raum war wohl eines der Gästezimmer des Herrenhauses. Ein schmales Bett stand neben einer Kommode und einem Durchgang, der in ein privates Schreibzimmer führte. Sie hatte am Morgen nicht mehr darauf geachtet, wo sie sich hinlegte, sondern sich nur noch ihres Mantels entledigt und praktisch das Bewusstsein verloren. Das beginnende Fieber und die

zunehmende Erschöpfung, die das lange Wachen und die Schmerzen mit sich brachten, waren nun jedoch bloß ferne Erinnerungen. Die paar Stunden Ruhe schienen Wunder gewirkt zu haben. Sicher, ihr war leicht schwindlig, ansonsten jedoch ging es ihr besser, als seit Tagen, mindestens, seit sie die Windrufer verlassen hatten. Eden war jedoch nur zu klar, dass es wohl nur eine Frage der Zeit war, bis sich sämtliche Gelenke in ihrem Körper wieder schmerzhaft bemerkbar machten. Die Gejarn stand auf und streckte eine Hand nach den Vorhängen aus. Sie hatte seltsame Träume gehabt, vielleicht ausgelöst durch das Fieber, die nun

jedoch bereits verblassten. Als Eden die Vorhänge aufzog, blendete das Licht sie einen Moment. Lasanta hatten den ersten neuen Tag hinter sich gebracht, dachte sie. Und es wäre hoffentlich nur der erste von vielen. Das war teilweise ihr zu verdanken… Ein seltsamer Gedanke. Sie war stolz darauf. Auf irgendeine Art, war Lasanta über die Jahre vielleichtgenau so sehr zu einer Heimat geworden, wie die Windrufer. Und ob sie es nun wirklich gerettet oder der Stadt nur eine Atempause verschafft hatten, es war gut, dass sie zumindest das noch zu Ende gebracht hatte. Eden hob ihren Mantel vom Teppich auf, wo sie ihn fallen gelassen hatte. Sie warf

sich das Kleidungsstück in einer lockeren Bewegung über die Schultern und trat auf die Kommode zu, auf der eine silberne Waschschüssel stand. Bevor sie jedoch auch nur die Hälfte der Entfernung überbrückt hatte, erstarrte sie. Was hatte sie grade getan? Eden zog sich den Mantel wieder von den Schultern. Keine Schmerzen. Normalerweise würde das von einem scharfen Stechen in ihrer Schulter begleitet. Ungläubig bewegte sie die Finger ihrer linken Hand. Sie spürte sie wieder… Das gab es nicht… Rasch trat die Gejarn an die Wasserschüssel, legte die linke Hand hinein. Lauwarm. Träumte sie einfach

noch? Eden spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht. Einzelne Tropfen fielen aus ihrem Fell auf den Boden. Nein, sie war definitiv Wach. Aber die einsetzende Knochenstarre war weg. Daran gab es für sie keine Zweifel. Die mittlerweile eigentlich jede Bewegung begleitenden Schmerzen und Stiche fehlten. Eden stieß die Tür zum Flur auf und hastete in das Erdgeschoss des Anwesens hinab. Sie wäre beinahe in einem Tisch mit Kristallvasen hineingelaufen, bremste ihre Schritte aber grade noch rechtzeitig und stolperte die Treppe hinab. Unten fand sie die anderen in einem luxuriös eingerichteten

Besprechungszimmer sitzen. Cyrus hatte sich in einem Sessel zurückgelegt, einen weißen Verband um Schultern und Brust und notierte offenbar irgendetwas auf einem Bogen Pergament. Erik sah ihm dabei neugierig zu, während er mehrere Pflanzen zerkleinerte, die er vor sich auf dem Tisch aufgestapelt hatte. Mit geübten Bewegungen zerkleinerte der Arzt Moose und Kräuter und gab einen Teil davon in kleine Phiolen, die dem Geruch nach zu urteilen mit reinem Alkohol gefüllt waren. Andere Teile des entstehenden Pflanzenpulvers gab er in Umschläge aus Papier und faltete sie sorgsam zusammen. Ab und an reichte er Zachary

einen davon und dieser trocknete den Inhalt über einer magisch am Leben erhaltenen Flamme, die mitten im Raum schwebte. ,, Eden. Endlich seit ihr Wach.“ Vance, der am Fenster saß, sprang aus seinem Sessel auf, so gut das mit seiner Krücke eben ging. ,, Erlöst mich. Euer Schiffsarzt spannt uns noch alle ein, damit wir seine… botanische Sammlung hier vorbereiten.“ ,, Ich kann ja unmöglich alles trocknen wie es ist und mitnehmen.“ , gab Erik zurück, während er ein Büschel Moos mit einem Mörser zerrieb. Rötliche Fäden wuchsen aus dem grünen Büschel und gaben dem Gewächs das aussehen,

als würde es Bluten. ,, Und Cyrus darf für mich Buch führen, wie seine Wunden verheilen. Wir sind schon den ganzen Morgen dabei.“ ,, Morgen ?“ Eden sah sich verwirrt um. ,, Du hast den ganzen gestrigen Tag durchgeschlafen.“ , erklärte Cyrus, der den Pergamentbogen bei Seite legte. ,, Wir… Nun ja, ich habe mir schon Sorgen gemacht. Erik meinte selbst er wüsste nicht, was los sei. Dich konnte nichts wecken.“ Er grinste schelmisch. ,, Du siehst gut aus, übrigens.“ ,, Kaum ist man wieder auf den Beinen, will er mich wieder ins Bett kriegen.“ Eden grinste selber. Es war einfach Cyrus Art, ihr Mut zu machen. Und

vielleicht auch sich selbst. Aber das war vorbei, dachte die Gejarn. So unglaublich das nach wie vor auch für sie selbst klang. ,, Erik…“ Der Arzt hob den Kopf und gab ein kurzes Brummen von sich, das nach einem ,,Ja“ klang. ,, Ihr sagtet mir einmal gesagt, es sei möglich, das Knochenstarre einfach… verschwindet.“ ,, Eden… dafür ist es fürchte ich, ein paar Monate zu spät.“ , seufzte er. ,, Ich will eure Hoffnungen nicht zerstören, aber…“ ,, Es ist Weg.“ Ein Scheppern folgte, als Zachary

aufsprang und dabei den Stapel aus Umschlägen, der sich vor ihm auftürmte, umstieß. Der Mörser, den der Arzt verwendet hatte rutschte ebenfalls vom Tisch und zerschellte am Boden. ,, Was ?“ , fragte Erik ungläubig. ,, Ich habe keine Schmerzen mehr. Es geht mir… besser, nein es geht mir gut wie selten.“ Sie sah von einem zum anderen und sah dort, was sie bereits halb erwartet hatte. Zweifel. ,, Eden.“ Cyrus musterte sie mit einem Ausdruck von Hoffnung und dem gleichen Unglaube. Natürlich vermuteten sie, sie hätte es vielleicht doch bereut, die Wahrheit gesagt zu haben und wollte es jetzt wieder verstecken. Nur Zachary

nicht. Der Junge schien sich jede Mühe zu geben, sich überhaupt nicht anmerken zu lassen, was er davon hielt. Aber darüber konnte sie sich später Gedanken machen. Eden wusste nicht mehr, wann sie sich das letzte Mal so Befreit Gefühlt hatte. So Überschwänglich… Statt einer Antwort hielt sie nur die Hand hoch und war einen Moment selbst fasziniert von der Leichtigkeit, mit der die diese wieder Bewegen konnte. ,, Götter…“ Aus Cyrus unsicherem Gesichtsausdruck wurde plötzlich ein Verschüchterter. ,, Und ich wollte dir grade noch nicht glauben.“ ,, Ich glaube es selbst nicht.“ , gab Eden nur zurück. ,, Vielleicht könnte ihr euch

das ansehen, Erik ?“ Der Arzt nickte sofort. ,, Das wollte ich sowieso.“ Einige Minuten später jedoch trat Erik sichtbar ratlos zurück. Er verzog skeptisch das Gesicht, bevor er langsam den Kopf schüttelte. ,, Ihr seid, soweit ich das jetzt beurteilen kann, mit Abstand die gesündeste Gejarn, die mir je untergekommen ist.“ , stellte er fest und ließ ihre Hände los. Eden hatte beobachtet, wie die Mine des Arztes sich beständig verändert hatte, während er Finger Abtastete, sie bat die Hände anzuwinkeln und sie hatte nur darauf

gewartet, das er sie bat, ein Stück zu laufen. Cyrus, saß praktisch auf der Kante seines Stuhls und musterte die kurze Prozedur mit einer Mischung aus Hoffen und Bangen. ,, Das heißt… ?“ , wollte er wissen. ,, Das heißt, das die Knochenstarre weg ist. So seltsam das ist Eden.“ ,, Vielleicht habt ihr euch von Anfang an geirrt ?“ , mutmaßte die Gejarn. Allerdings schien das kaum möglich. Erik erlaubte sich bei so etwas sicher keine Fehler, wenn es auch nur den geringsten Hinweis darauf gäbe. ,, Ist nicht bloß wichtig, das sie gesund ist ?“ , warf Zachary da ein. Der Junge

brach sein Schweigen und die unleserliche Mine zeigte ein breites Lächeln. Für Eden hatte es den Anschein, als würde er tief aufatmen. Sie wusste nur zu gut, wie sehr ihm das alles zu schaffen gemacht hatte. ,, Ich muss mich wohl bei dir Entschuldigen.“ , erklärte die Gejarn. ,, Du hast vorgestern gute Arbeit geleistet und…“ ,, Und vielleicht solltest du wirklich einsehen, dass ich kein Kind mehr bin ?“ ,, Darauf kannst du lange warten Kleiner.“ , lachte Cyrus. ,, Oder ?“ Eden jedoch blieb ernst. ,, Ab jetzt.“ , antwortete sie und überging damit den Wolf, der erneut einige Notizen machte.

Erik wollte wohl wirklich, dass er alles möglichst genau dokumentierte. Wenigstens würde sie nicht so bald als unfreiwilliger Testpatient für den Schiffsarzt enden. ,, Bleibt die Frage, was tun wir jetzt ?“ Lasanta war erst der Anfang, das war Eden klar. Und jetzt würde sie nichts daran hindern, auch weiterzumachen, bis sie sich Andres Kopf holen konnten. Es gab jetzt zumindest eine Stadt weniger, auf die der Herr von Silberstedt setzen konnte, auch wenn Jormund davon gekommen war. ,, Wir werden nach Vara zurück müssen, schätze ich.“ , meinte Cyrus. Eden schüttelte den Kopf. ,, Du glaubst

doch nicht ernsthaft, das Jiy so lange einfach auf uns wartet ? Ich glaube, sie hat das Warten genauso satt wie wir. Wir sollten versuchen, direkt nach Erindal zu ziehen. Wenn sie noch nicht da ist, taucht sie früher oder später dort auf. In der Zwischenzeit könnten wir einen Boten nach Vara schicken, nur für den Fall, dass sie tatsächlich noch dort ist.“ Cyrus schien einen Moment darüber nachzudenken, bevor er ihr mit einem Nicken zustimmte. ,,Gibt es eigentlich eine Spur von Jormund ? Wenn wir den Landweg nehmen, können wir nach ihm Ausschau halten. Weit kann er noch nicht sein.“ ,, Leider nichts.“ , antwortete Vance. ,,

Wir haben Lasanta auf den Kopf gestellt. Er hat die Stadt mittlerweile also garantiert verlassen. Jormund hatte schon immer gute Kontakte in alle Provinzen und es würde mich nicht wundern, wenn er dort eine Weile untertaucht. Und irgendetwas ausheckt. Ich zumindest würde mir diese Stadt nicht ungestraft wegnehmen lassen. Gefällt mir viel zu gut hier, dafür.“ ,, Ihr werdet uns also nicht begleiten ?“ ,, Irgendjemand muss die Stadt ja fürs erste verwalten, oder ?“ Er lachte herzhaft. ,, Auf meine alten Tage werde ich nochmal Fürst Cantons ehrenhalber. Wenn mir der Posten gefällt, könnt ihr ja bei der Kaiserin ein gutes Wort für

mich einlegen. Vielleicht bekomme ich dann auch einen Titel. Vance Livsey, Herrscher über die gesamte West-Sonnensee. König des Ozeans. Haha.“ ,, Und euer Plan hier die Schatzkammern zu plündern ?“ , fragte Erik. ,, Kaum der Rede wert, um ehrlich zu sein. Jormund hat sprichwörtlich den letzten Silberpfennig für seine… Sicherheit rausgeschmissen. Götter, ich werde erst einmal sehen, wo ich überhaupt Geld hernehme um diese Stadt am Leben zu erhalten. Vielleicht knöpfe ich fürs erste jedem Händler ein paar Zölle extra ab. Ist ohnehin nur legale Piraterie. Und damit habe ich

Erfahrung.“ ,, Dann ist es also entschieden.“ , stellte Cyrus fest. ,, Ihr bleibt hier und Sichert die Stadt und wir suchen Jiy, sofern sie nicht uns findet. Alles in allem… ich glaube das hätte alles viel schlimmer ausgehen können.“ Eden lachte, bevor sie den Wolf am Kragen packte und zu sich zog. Ihre Lippen fanden sich. Dem konnte sie nur zustimmen. ,, Könnt ihr zwei euch vielleicht wenigstens ein Zimmer nehmen ?“ , protestierte Vance. ,, Das kann sich ja keiner antun.“ ,, Der ist nur neidisch.“ , meinte Eden. ,, Pah. Soweit kommts noch. “ Der alte

Kapitän stelzte aus dem Zimmer. Wie wäre es damit : Vance Livsey, Schutzherr und Erlöser Lasantas, klingt das gut ?“ , rief er noch über die Schulter. Eden schüttelte nur den Kopf. Dieser Mann würde in der Tiefe seines Herzens immer der gleiche bleiben. Ob das etwas Gutes war, war wohl Ansichtssache. Zumindest würde Lasanta in den nächsten Monaten wohl eine interessante Zeit erleben. Ihr Ziel jedoch lag jetzt weiter im Südosten. Erindal lag an der Küste der östlichen Sonnensee und die Stadt zu erreichen würde einiges an Zeit in Anspruch nehmen. Doch darüber wollte sie jetzt grade nicht nachdenken.

Für den Moment fühlte sie nur unendliche Erleichterung. Sie zwinkerte Cyrus einen Moment zu, bevor sie ebenfalls aus dem Zimmer verschwand. Der Wolf folgte ihr bald. Sie hatte es vermisst seine Hände auf ihrem Körper zu spüren. Zwar hatten sie nach wie vor in einem Bett geschlafen, aber zusammen gewesen… Eden hatte versucht genau das zu vermeiden um die Wahrheit auch weiterhin zu verbergen. Jetzt nicht mehr…

Kapitel 73 Quinns Reise


Quinn betrachtete den Stein, der vor ihm auf der schmutzigen Oberfläche des Holztischs lag. Das goldene Auge auf dem Edelstein funkelte im Licht der Kerzen, welche das heruntergekommene Gasthaus erleuchteten, in dem der Magier die Nacht verbringen wollte. Außer ihm gab es nicht viele Gäste. Etwa ein halbes Dutzend Reisende, die sich auf die Tische in dem weitläufigen Schankraum verteilten. Eigentlich nicht mehr, als ein umgebauter Stall, dessen Boden nach wie vor mit Stroh gedeckt war und manche der Tische waren

ebenfalls nicht mehr, als umfunktionierte Fässer.. Hoffentlich gab es wenigstens Zimmer zum Übernachten. Die letzten drei Tage hatte er bereitsauf dem Boden einiger Scheunen übernachten müssen. Und einmal mitten im Wald im Laub, nachdem er einer Patrouille von Andres Männern sein Zelt und einen Großteil seiner Ausrüstung überlassen musste. Das war einer der Momente gewesen, wo wieder mehr sein altes Selbst zu Tage trat und in jeder anderen Situation hätte er es zugelassen… aber das letzte, was er brauchen konnte war, dass er die Aufmerksamkeit von Andres Männern auf sich zog. Und eine Patrouille, die

von einem Zauberer in Stücke gerissen worden war, würde genau dafür Sorgen. Die Söldner des Lords zogen über das Land wie Heuschrecken, darauf aus, ihren Sold noch durch Plünderungen aufzubessern. Und weder Erland noch Andre de Immerson schienen etwas dagegen zu tun. Wozu auch… Sie wollten einschüchtern. Hasparen jedoch war ein karges Land und gab ohnehin nicht viel her. Auch jetzt, im beginnenden Herbst und mit der näher rückenden Erntezeit stieß man nur selten auf bestellte Felder. Hier draußen überlebten nur Rentiere, die Flechten von denen diese sich ernährten und die Krüppelfichten, die sich aus den

felsigen Böden nährten. Und Pferde. Quinn hatte in den letzten Wochen seiner Reise mehr Pferde gesehen als in seinem ganzen Leben davor. Vielleicht gab es hier draußen nicht viel, aber auf ihre gewaltigen Herden bildeten sich die Bewohner der Provinz etwas ein. Die Tiere wurden ins ganze Kaiserreich verkauft und bildeten auch für viele Bauern die Lebensgrundlage. Manche wurden auch geschlachtet und dienten als Ersatz für Rinder und andere Nutztiere. Quinn hoffte jedoch inständig, das die wässrige Suppe, die ihm der Wirt bringen ließ, Schwein oder etwas Ähnliches enthielt. Er hätte nie gedacht, dass er mal Sympathie mit einem Tier

haben würde, aber in der Zeit, seit er aus Vara aufgebrochen war, war ihm sein Pferd ans Herz gewachsen. Er mochte das störrische Vieh mittlerweile. Wenn man derart darauf angewiesen war, wie er im Augenblick wohl nicht zu verwunderlich. Er bereute es jetzt sich beim Händler, der ihm das Tier verkauft hatte, nicht nach dessen Namen erkundigt zu haben, aber in der Zwischenzeit hatte er es Irae getauft. Es hörte wenigstens darauf. Meistens. Und jetzt saß er hier, in der finstersten Absteige am Ende der Welt und Überlegte, wie es weiter gehen sollte. Es war ihm gelungen, eine Handvoll der

Zauberer aufzutreiben, die aus der Ordensburg entkommen waren und sie zu Jiy zu senden. Sie würden die Gejarn schon finden, wenn sie nicht mehr in Vara war. Hinzu kam ein dutzend Magier, die sich in den Ordenshäusern und den Niederlassungen in den Städten des Reichs ausgeharrt hatten. Offenbar sah Andre sie nicht mehr als genügend große Bedrohung an und hatte sie einfach unter Hausarrest gestellt. Allerdings gab es auch Gerüchte, dass einige der Ordenshexer nach Silberstedt verschleppt worden waren… Wenn das stimmte, dann konnte er ihnen nicht mehr helfen. Die Stadt war für ihn unerreichbar, ohne eine starke

Streitmacht. Oder mindestens zweihundert Magier. Und selbst im Herbst könnten die Pässe bereits tückisch werden und damit zur Falle. Sie hatten so Andres Streitkräften im Frühjahr bereits schwere Verluste zugefügt und er war sicher schlau genug, daraus zu lernen. Er stupste die Träne Falamirs mit dem Finger an, über seinem Essen brütend. Das Zeichen, das Kiara ihm gegeben hatte. Zusammen mit dem Rang, den er nicht mehr wollte. Selbst im Tod schien diese verrücke, närrische alte Frau noch Kontrolle über ihn zu haben, wie es aussah. Aber war sie wirklich tot? Er hatte sie nicht sterben sehen, dennoch,

wie hätte sie entkommen wollen? Wenn aber nur die geringste Chance bestand, dann musste er das wissen…. Dazu aber, brauchte er Informationen. Quinn machte den Wirt mit einem Pfiff auf sich aufmerksam und zog dabei eine Silbermünze aus dem Beutel an seinem Gürtel. Mehr als einen kurzen Moment Konzentration brauchte es nicht, und das Silber begann, Golden zu schimmern. Ein Illusionszauber, der in ein paar Tagen nachlassen würde. Draußen hatte es mittlerweile begonnen zu Regnen und Wasser schlug gegen die kleinen, verglasten Fenster des Gebäudes. An manchen Stellen tropfte es auch durch die Decke und Quinn setzte

sich einen Platz weiter, um nicht Nass zu werden. Der Wirt, ein spindeldürrer, aber hochgewachsener Mann, kam hinter der Theke hervor. Die Haare standen ihm wie widerspenstiges Stroh von Kopf ab, als sei er tatsächlich eine zum Leben erwachte Vogelscheuche. Mit einem Seufzer ließ er sich an Quinns Tisch nieder. ,, Alles in Ordnung, Herr ?“ , fragte er höflich, sobald Quinn ihm die Münze zuschob. Mit dem Gold, das Quinn ihm bereits gegeben hatte, hatte er vermutlich an dem Zauberer schon mehr verdient, als im gesamten restlichen Jahr. Selbst wenn es sich später in Silber

zurück verwandelte…. ,, Sicher ja. Aber verzeiht einem Fremden, wenn er einige… seltsame Fragen hat.“ Quinn schob ihm die falsche Goldmünze zu. ,, Und was für Fragen währen das ?“ Die knochige Gestalt lehnte sich vor, während sie die Münze in einer Faust verschwinden ließ. ,, Lord Andre kontrolliert diese Provinz. Seine Truppen ziehen doch sicher auch hier durch?“ ,, Und ob sie das tun.“ Die Mine des Wirts wurde düster. ,, Man kann über die Gardisten der kaiserlichen Garde sagen, was man will, aber die Zahlen

wenigstens, wenn sie vorbeikommen. Meistens. Andres Männer hingegen… Die lassen sich auf meine Kosten volllaufen, wenn sie wieder einmal einen Spähtrupp in die Gegend schicken. “ ,, Und könnt ihr mir vielleicht etwas über sie verraten ?“ ,, Wenn sie erstmal Blau sind, Plaudern sie über alles. Ich kann euch beispielsweise sagen, dass sie letzten Monat eine Art… Spezialkommando losgeschickt haben. In Richtung Südosten. Keine Ahnung wieso, aber die Kerle haben selbst mir Angst gemacht, und das obwohl manche von ihnen nah dem zehnten Krug ohnehin nicht mehr laufen konnten, also habe ich nicht

weiter gefragt.“ Das war zwar nicht, was er wissen wollte, aber es machte ihn stutzig. Das bedeutete, das Andre einen Trupp durch die Herzlande und damit das Gebiet schleuste, das nach wie vor unter der Kontrolle der Kaisertreuen lag. ,, Das ist allerdings interessant. Ist ja praktisch Selbstmord. Ich meine, Vara wird immer noch von der Kaiserin gehalten.“ ,, Ihr seid offenbar besser informiert als ich.“ Der Wirt zuckte mit den Schultern. ,, Nach allem was ich weiß, haben wir einen Kaiser.“ ,, Der ist… verschollen. Ich war zufällig in Vara und habe davon

gehört.“ ,, Aha. Ich tue einfach mal, als würde ich euch das glauben ja?“ Quinn verstand schon und zog eine zweite Münze aus dem Beutel an seinem Gürtel. Ein kurzer Magiestrom und auch diese verfärbte sich schließlich Golden. ,,Wenn ihr mir nicht glaubt, dann vielleicht dem hier.“ Er schob dem Wirt das Geldstück zu, der es mit einem hohen Brummen an sich nahm. ,, Also, noch irgendetwas über diesen Trupp ?“ ,, Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass einer von ihnen ziemlich auffällig gekleidet war. Die anderen trugen alle diese grauen Uniformen. Der Kerl jedoch nicht, deshalb kann ich mich auch noch

so gut daran erinnern. Der hatte eine orange gefärbte Jacke an.“ Quinn kannte nur einen Mann, auf den diese Beschreibung passte. Aber warum sollte Jormund mit einer Gruppe Elitesoldaten von Andre hier durchziehen? Seltsam… Wenn er doch nur Nachricht von Jiy oder den anderen hätte, dann wüsste er vielleicht, was vor sich ging. So jedoch konnte er nur mit seinem Ursprünglichen Plan weitermachen. ,, Und macht Andre viele Gefangene ?“ , fragte der Zauberer. Der Wirt hob fragend eine Augenbraue. ,, Versteht ihr…“ Quinn zog die dritte Münze hervor. ,, Ich bin Händler vieler

Dinge. Und das eine woran in Krisenzeiten wie diesen kein Mangel herrscht sind… günstige Arbeitskräfte, wenn ihr versteht.“ Er wpürde ganz sicher nicht offenbaren, das er der Oberste Zauberer des Sanguis-Orden war. Aber irgendeine Tarnung brauchte er, um seine Fragen zu rechtfertigen. ,, Ihr seid ein Sklavenhändler.“ ,, Ich weiß Gelegenheiten zu nutzen.“ , gab Quinn zurück. Er würde sich jetzt ganz sicher nicht für eine Tarnung rechtfertigen. ,, Beantwortete einfach die Frage.“ Oder er würde sich die Antwort auf andere Art holen. Der Gedanke kam so

schnell wie er wieder verflog. Aber dieses ganze Verdeckte vorgehen zehrte schon jetzt an seinen Nerven. Er war ein Zauberer verdammt. Und nicht nur irgendein Zauberer… Der Mann sollte seine Fragen eigentlich schon aus Respekt beantworten. Und wovon träumst du sonst noch? , dachte er sarkastisch. ,, Andre lässt keinen Wiederstand zu.“ , fuhr der Wirt schließlich fort. ,, Deshalb ja auch die ganzen Patrouillen und Spähtrupps. Der Herr Silberstedts hält uns alle an der kurzen Leine, soweit das in einem Land wie Hasparen möglich ist. Und wer sich auflehnt ist ganz schnell weg vom Fenster. Kaisertreue, Rebellen,

Aufwiegler und auch die, die zur Falschen Zeit am falschen Ort sind. Viele werde direkt getötet, aber ja, seine Männer nehmen auch immer wieder Gefangene.“ ,, Und wo werden sie hingebracht ?“ ,, Offenbar gibt es ein großes Heerlager weiter Richtung Norden. Fast schon an den Bergen. Andre zieht nach wie vor mehr Truppen zusammen, würde ich sagen. Ich würde sagen, wenn, dann hält er seine Gefangenen dort fest, den ich habe nicht gehört, das man sie in die Städte bringen würde. Und wo wären sie besser bewacht, als im Herzen einer Streitmacht?“ Das war es, was er hatte wissen müssen.

Quinn stand auf und zog noch eine weitere , verzauberte Goldmünze hervor, die er dem Wirt zuwarf. In diesem Fall heiligte der Zweck schlicht die Mittel. Wenn Kiara noch lebte und damit in Andres Gefangenschaft geraten war, würde man sie dort festhalten. Es gab keine andere Erklärung für ihr fernbleiben… es sei denn, sie war wirklich tot. Doch selbst wenn… Er musste dorthin. Vielleicht wurden auch einige der Zauberer aus der Burg dort festgehalten. Quinn dankte dem Wirt, bevor er sich aus dem Weg aus dem Raum machte. Er würde sofort aufbrechen. Je länger er zögerte, desto größer wurde die Gefahr,

dass man die Gefangenen vielleicht wo anders hin brachte. Und er hatte endlich wieder ein Ziel, anstatt nur in der Gegend umherzustreifen und Hinweise auf verborgene Zauberer zu suchen. Als er nach draußen in den Regen trat, schlug er die Kapuze seines Gewands hoch. Die auffällige, türkisfarbene Robe des Ordens hatte er schon lange gegen einfachere Kleidung in Schwarz und Brauntönen getauscht. Hier draußen wäre dieses Rangzeichen mehr ein Todesurteil, als das es ihm half. Irae war an der Tränke im Zentrum des Dorfs angebunden und stampfte aufgeregt, beinahe kritisch wie er fand, mit den Hufen, als er sich

näherte. ,, Ist ja gut Mädchen.“ , sprach er beruhigend auf das Pferd ein, bevor er es sattelte und sich aus seinen Rücken schwang. ,, Ich weiß, du magst keinen Regen, aber in diesem ganzen Ort gibt es keinen freien Stall mehr.“ Vermutlich würde sich das Wetter sogar noch verschlechtern, wenn er weiter nach Norden kam. Die Berge… Normalerweise wäre ihm diese Reise wie eine Heimkehr vorgekommen, aber das Jahrhunderte alte Zuhause des Ordens lag jetzt in feindlichem Gebiet. Eigentlich, war sein Vorhaben blanker Wahnsinn. Er ritt direkt ins Zentrum von Andres Eroberungsbemühungen…. Um was zu

tun? Darauf zu hoffen, das sich das Risiko lohnte. Er wusste noch nicht, wie er überhaupt hinein gelangen wollte. Aber da würde sich schon eine Möglichkeit finden. Quinn lenkte das Pferd auf die Straße hinaus, welche die kleine Ortschaft von Norden nach Süden Durchschnitt. Ein breiter, mit Kies befestigter Weg. Vermutlich erst vor kurzem angelegt, dachte der Magier. Eine Marschroute für Andres Armeen. Wenn ja, dann musste er ihr bloß folgen und würde früher oder später unweigerlich auf das Hauptlager stoßen. Bei dem Gedanken stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Aber wenn er

erwischt wurde… Er berührte den schwarzen Stein in seiner Manteltasche. Wenn er erwischt wurde, würde er einen guten Teil von Andres Männern mitnehmen.

Kapitel 74 Das Heerlager


Quinn sattelte das Pferd in einem kleinen Hain ab. Um ihn herum ragten die Zwergfichten grade einmal Mannshoch auf, aber es reichte hoffentlich, um ihn vor Neugierigen Blicken zu verbergen. Wie er gehofft hatte, führte die Straße direkt zum Heerlager des Aristokratenbunds. Von seinem Versteck aus, war das Meer aus Zelten, das sich im Schatten der Berge erstreckte, nicht zu übersehen. Laternen, Kochfeuer und Fackeln erhellten das Land in weitem Umkreis und zeichneten die Silhouetten

von tausenden Gestalten, die um die Feuer herum saßen, eilig hin und her liefen oder regungslos am Rand des Lagers Wache hielten. Es würde schwer werden, sich ungesehen zu Bewegen. Zuerst einmal, musste er herausfinden, ob es Gefangene gab und wenn ja wo und wie diese Festgehalten wurden. Ketten konnte er durchtrennen, aber ein dutzend Käfige mit einem Zauber aufzulöten würde deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen. Mittlerweile war es dunkel geworden, so dass er keine Angst haben musste, entdeckt zu werden, bis er sich näherte. Trotzdem zögerte er, während er Irae das Halfter

abnahm. Er würde das Pferd hier zurück lassen. Frei, für den Fall, dass er nicht zurückkam. Er brauchte einen Plan. Einfach hereinspazieren und erklären, er wolle sich Andre anschließen wäre mehr als Dreist. Und er würde darauf hoffen müssen, das ihn nicht einer der Männer zufällig erkannte. Einmal mochte er mit dieser Strategie ja Erfolg gehabt haben, aber zu hoffen, dass man zweimal darauf hereinfiel… Nein. In den Schutz der Bäume geduckt, beobachtete er eine Weile das Lager, während der letzte Silberstreif am Horizont verschwand und das Land endgültig der Nacht überließ. Er hatte

keine Ahnung, wie man sich irgendwo einschlich, ohne bemerkt zu werden. Normalerweise war das auch nichts, worum sich ein Zauberer Gedanken machen musste. Es gab keine Tür, die man vor ihm verschließen konnte. Normalerweise. Aber es waren keine normalen Zeiten und er alleine. Was Syle und die anderen grade taten… sofern sie noch Lebten? Zum ersten Mal wünschte er sich, wenigstens Lucien war bei ihm. Der kaiserliche Agent hätte sicher gewusst, wie er in das Lager hineinkam. Auch wenn ein Teil von ihm den Mann nach wie vor verabscheut, grade könnte er ihn wirklich gebrauchen. Vor allem dessen seltsam

fröhlich-aufgedrehte Art . Lucien war ein Narr, ein Clown ein… Quinn stockte in seinen eigenen Gedanken. Er hatte die Lösung. Das war so verrückt, dass es tatsächlich funktionieren könnte. Als sich der Zauberer wenig später dem Lager näherte, war er angespannt wie selten. Doch damit sein Plan, oder besser sein Irrsinn, Erfolg haben könnte, musste er sich so verstellen, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Vor ihm näherten sich gut ein Dutzend weitere Männer den Posten, die auf der Straße wache hielten. Dem schweren Gepäck und der Winterkleidung, die sie trugen, nach zu urteilen, dass sie mit sich

trugen, offenbar Neuankömmlinge, die grade erst aus den Bergen herab gekommen waren. Andre vergrößerte seine Armee also nach wie vor. Irgendwie musste er die Verluste, die sie ihm bereits beigebracht hatten ja ausgleichen. Und vermutlich mangelte es nicht grade an jungen Männern, die sich für einen geringen Sold verpflichten ließen. Die Garde besaß strikte Aufnahmebedingungen und Voraussetzungen, wenn man es in ihren Reihen zu etwas bringen wollte. Andre hingegen brauchte nur eines. Mehr Kämpfer. Die Gruppe junger Männer wurde einfach kurz kontrolliert, nachdem einer

von ihnen einen Bogen Papiere hervorholte. Offenbar Passierscheine. ,, Name ?“ , fragte einer der Wächter, ein bulliger Mann, dem sich eine breite Narbe über die Stirn zog. Die Wunde war jedoch bereits alt und stammte daher wohl nicht aus den Kämpfen im Sommer. Offenbar der Anführer des Vorpostens. Im Licht der großen Feuer, die man direkt neben der Straße entfacht hatte, studierte er die erhaltenen Papiere aufmerksam. ,,Finn, Sir.“ Der Junge bekam den Schein zurück gereicht. ,, Sucht nach General Erland. Er wird euch einen Posten zuweisen.“ Der Mann wurde durchgelassen, bevor

man den nächsten aufrief und bald war die komplette Gruppe zwischen den Zelten verschwunden. Nur Quinn blieb auf der Straße stehen und war plötzlich alleiniges Ziel der Aufmerksamkeit der Posten. ,, Ihr da, tretet ins Licht.“ , rief ihm der bullige Wächter zu, während seine fünf Gefährten die Hände zu ihren Schwertern wandern ließen oder Gewehrmündungen in die Richtung des Zauberers schwenkten. Quinn tat wie geheißen und verstand nun auch den Zweck der überall um das Lager brennenden Feuer. Es wäre so unmöglich, sich einfach im Schutz der Dunkelheit anzuschließen, oder sich

heimlich im Schatten einer Gruppe Späher zu verbergen, die zurückkehrten. ,, Ihr seht nicht aus wie ein Rekrut.“ Was du nicht sagst, Genie, dachte Quinn . Obwohl grade einmal Mitte zwanzig hatte die Magie von seinem Körper bereits einen Preis gefordert, der ihn mindestens zwanzig Jahre älter wirken ließ, als er war. ,, Nein, Herr, das bin ich nicht.“ Was er jetzt tun müsste, war nach all den Demütigungen, die er schon hatte hinnehmen müssen jedoch schlicht die Krone von allem. Er verbeugte sich einen Moment, bevor er weitersprach: ,, Verzeiht es einem alten Gaukler wenn er es wagt bei euch nach Arbeit zu

suchen.“ ,, Götter, ein Possenreißer, Männer.“ Der Soldat lachte. ,, Und wie der aussieht kann er nicht mal über seine eigenen Witze lachen. Was meint ihr Männer, jagen wir ihn weg oder nutzen wir ihn gleich als Zielscheibe?“ Quinn seufzte innerlich, behielt aber nach außen einen hoffentlich eingeschüchtert wirkenden Gesichtsausdruck bei. Dann eben so. Er beugte sich verschwörerisch zu dem Wachposten herüber. ,, Vielleicht hört ihr mich nur nicht richtig …“ Er ließ eine der verbliebenen Silbermünzen in seiner Handfläche auftauchen und sorgte dafür, dass nur

der Soldat sie sah, nicht aber seine Untergebenen. ,, Bitte, der Herr , ich habe nichts mehr, außer dem hier. Und ich fürchte in diesem Land findet sich sonst nirgendwo eine Chance auf Lohn und Arbeit…“ Der Mann ignorierte die Münze, brummte missmutig… und trat dann Beiseite. ,, Geht eben durch. Aber beeilt euch, bevor ich es mir anders Überlege. Und wir haben alle ein Auge auf euch, Narr. Wenn sich nachher jemand beschwert, dass ihm ein paar Wertsachen abhandengekommen sind… durchsuchen wir zuerst eure Eingeweide. Vielleicht haben wir dabei wenigstens was zu

lachen.“ Keiner der Posten sah, wie Quinn erleichtert aufatmete. Die Idee war wirklich so verrückt, dass sie funktionierte… Er hatte sein Glück grade wirklich über strapaziert, dachte er, während er die Münze wieder in seiner Tasche verschwinden ließ. Aber offenbar hatte man ihm den verzweifelten Landstreicher abgenommen. Niemand würde vermuten, dass ein einzelner, heruntergekommener Reisender viel Schaden anrichten konnte. Langsam ging er an den restlichen Wachfeuern vorbei und zwischen den Zelten entlang. In der Ferne konnte er das Grölen von Betrunkenen hören. Hier

festzusitzen bekam den Männern sicher nicht, aber im Augenblick schien Andre keine weiteren Vorstöße zu wagen. Quinn wusste nicht, ob das nur hieß, das er weitere Truppen sammeln wollte, bevor er wieder in die Herzlande einrückte oder vielleicht wirklich, dass sie ihn empfindlich getroffen hatten. Der Zauberer passierte ein Pferch mit Schweinen und Ziegen. Die Tiere liefen unruhig innerhalb der kleinen Umzäunung umher. Vermutlich würden in den nächsten Tagen viele davon unters Messer wandern. Wieder einmal zeigte sich, dass Andre vor allem eines besaß und das waren beinahe unerschöpfliche Goldreserven. Eine Armee Wochenlang

ohne Eroberungen zu versorgen würde die Kassen der meisten niedereren Adeligen komplett leeren. Und hier deutete nach wie vor nichts auf Aufbruch hin. Vielleicht war er auch deshalb Erfolgreich gewesen, überlegte Quinn. Die Männer wurden irgendwann Träge vom Herumsitzen. Jetzt jedoch musste er herausfinden wo die Gefangenen festgehalten wurden. Und wie viele. Er würde höchstens eine Handvoll Unerkannt aus dem Lager schmuggeln können. Wenigstens würde es ihm nicht schwer fallen, den Weg wiederzufinden. Erland achtete offenbar penibel auf Ordnung. Die Zelte waren allesamt so

angeordnet, dass sie ein Schachbrettmuster bildeten, zwischen denen es breite, leicht passierbare Wege gab. Jeweils vier oder fünf Zelte zusammen bildeten eine Kreuzung. Und über allem wehte auf Standarten und Feldzeichen das Spinnenwappen von Silberstedt. Mehrere tausend Männer derartig zu organisieren musste einiges an Nerven erfordern, überlegte der Zauberer. Und es waren nicht nur Soldaten. Vor allen in den Außenbereichen des Heerlagers stieß er auf Schmiede, die ihre Essen direkt unter freiem Himmel aufgeschlagen hatten und Händler, die alles von einfachen Lebensmitteln bis zu

Schmuck und teurer Kleidung anboten. Und warum auch nicht. Die Männer konnten während des Feldzugs nichts anderes mit ihrem Sold anfangen, als es genau hier zu lassen. Vermutlich machten viele der Kaufleute das Geschäft ihres Lebens. Die Armeen der kaiserlichen Garde hielten es ähnlich, auch wenn die Zahl an Händlern und das Warenangebot, das diese den Soldaten anboten, von den Offizieren streng begrenzt wurden. Dafür beschützten diese die Kaufleute allerdings auch, wenn diese sich einem Heereszug anschlossen um in die entlegeneren Gebiete Cantons zu

gelangen. Quinn begann sich genau umzusehen. Irgendwo hier musste ihm doch jemand sagen können, was er wissen musste. Er trat an ein besonders auffälliges Zelt heran, das aus grünen und schwarzen Stoffbahnen bestand. Quasten und lose Stoffstreifen wehten in einer sanften Windböe. Das ganze hatte etwas südländisches, auch wenn Quinn bisher selten in Risara oder Erindal gewesen war. Und im offenen Zelteingang stand ein dunkelhäutiger, hochgewachsener Mann in einem offenen Gewand. Trotz Quinns Aussehen wurde er mit einem herzlichen Grinsen begrüßt. ,, Tretet ruhig näher. Anschauen kostet nichts…“

Wie mir scheint habt ihr genauso eine lange Reise hinter euch wie ich.“ Der Händler deutete mit sichtlichem Stolz auf eine Reihe von Hölzernen Regalen und Tischliegen, in denen sich die unterschiedlichsten Waren übereinander stapelten. Und über allem lag der Geruch von einem seltsamen Durcheinander an Gewürzen. Zimt, Nelken, Mohn… ,, Was verkauft ihr denn ?“ , wollte Quinn wissen und tat so, als würde er sich tatsächlich dafür interessieren. ,, Alles, was der Süden hergibt, mein Freund. Tee, Gewürze, was das Leben schön macht. Leider scheint ihr einer der wenigen hier, die Sinn für so etwas

haben. Entgegen dem, was ich gehofft hatte, werde ich meine Waren nur langsam los.“ ,, Auch Informationen ?“ Quinn wusste nicht wieso, aber er mochte den Mann. Vielleicht sollte er das als gutes Zeichen werten. ,, Was ich nicht habe… kann ich besorgen.“ , antwortete er unverfänglich. ,, Mich interessiert eigentlich nur eines. Ich bin ebenfalls eine Art Händler, könnte man sagen.“ Besser, er übertrieb es nicht, mit den falschen Identitäten, die er sich zulegte. ,, Ihr wisst nicht zufällig, ob es in diesem Lager Gefangene gibt, die man… abgeben könnte

?“ ,,Ein Sklavenhändler, also, ja ? Ich kann nicht sagen, dass ich ein großer Freund eurer Zunft bin. Aber ich fürchte ihr kommt ein wenig spät.“ ,, Wie das ?“ Quinn befürchtete das schlimmste und hatte Mühe, eine ruhige Mine zu bewahren. ,, Es gibt hier keine Gefangenen mehr. Einige hat man hingerichtet, nachdem man nichts von ihnen erfahren konnte. Den Rest hat Lord Andre de Immerson für sich selbst veranschlagt, wie man hört. Sie wurden schon vor Wochen in Richtung Silberstedt getrieben. Wie mir scheint, braucht der Lord eine Unzahl an

Arbeitern.“ Und ob er die brauchte, dachte der Zauberer. Diese Arme finanzierte sich nicht alleine und die Erz-Minen Silberstedts waren weit davon entfernt, erschöpft zu sein. Und wenn Kiara und die anderen hier gewesen waren… dann waren sie jetzt unerreichbar für ihn geworden. Andre würde die oberste Zauberin sicher nicht töten, dafür war sie zu wertvoll. Das änderte jedoch nichts. Die Enttäuschung wog schwer. Dort konnte er sie nicht befreien. Das wäre Wahnsinn. Das hier war eigentlich schon fast Unmöglich… Es sei denn, er sammelte genug Magier um einen Rettungsversuch Wagen zu

können. Verdammt… Quinn bedankte sich kurz bei dem Händler, bevor er auf dem Absatz kehrt machte und sich auf den Weg zurück durch das Lager machte. Bevor er jedoch weit kam, stolperte eine Gruppe Soldaten vor ihm aus einer der Straßen. Die Männer waren ganz offenbar betrunken und einer machte eine Schwankenden Schritt auf ihn zu. ,, Hey… ihr… da. Ihr habt doch sicher…“ Quinn wartete erst gar nicht ab, bis der Mann den Satz beenden konnte. Ein rascher Blick sagte ihm, das er und die Männer alleine waren.

,, Dafür habe ich jetzt wirklich keine Zeit.“ Mit einer Handbewegung des Zauberers stolperte der Mann zurück und griff sich an die Kehle Blut lief ihm aus den Mundwinkeln, bevor er in sich zusammenbrach. Die anderen zuckten zurück, bevor sie auch schon das gleiche Schicksal ereilte. Quinn hatte der Enttäuschung und seinem aufgestauten Zorn Luft gemacht. Es änderte nichts, meinte die Rationale Stimme in ihm. Doch, antwortete er in Gedanken. Er fühlte sich besser… Es war ein Rückfall in etwas, das er längst hinter sich

gelassen zu haben glaubte. Was sollte er jetzt bloß tun? Rasch entfernte er sich von den Toten, die mitten auf der Straße zurück blieben. Flackernde Feuer, Zelte und Standarten… er achtete kaum darauf, wohin genau er lief. Nur das ihn der Weg hoffentlich wieder in die Außenbezirke des Lagers zurück bringen würde. Etwas jedoch, brachte ihn schließlich wieder zurück in die Realität. Sein Herzschlag hatte sich beruhigt. Doch etwas anderes zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Leise Stimmen, die aus einem Zelteingang keine zehn Schritte vor ihm drangen. Es unterschied sich nicht

besonders von den übrigen, tausenden von Planen, die über das ganze Feld verteilt standen. Trotzdem trat er vorsichtig näher und spähte hinein. Quinn wäre beinahe wieder zurück gestolpert. Erland stand mit dem Rücken zu ihm, aber den weißen Pelzumhang des Mannes hätte er überall wiedererkannt. Er unterhielt sich gedämpft mit jemand, der grade außerhalb des Sichtfelds des Zauberers stand. Quinn duckte sich in den Schatten der Zeltplane und versuchte mehr zu erkennen. ,,Jormund wird sich mit unseren Verbündeten um die Kaiserin kümmern.“ , antwortete die Gestalt, die Quinn nicht

sehen konnte. Aber die Stimme… Seltsam melodisch und klar. Er kannte sie. Aber woher ? ,, Der Mann ist wertvoll in dieser Hinsicht. Er kann… Kontakte knüpfen, wo es mir verwehrt bleibt. „ ,, Aber ist er auch eine Stadt wert ?“ , fragte Erland. ,, Andre wird das nicht so sehen. Ich… halte mich mit meinem Urteil zurück, aber wenn euer Plan nicht aufgeht…“ ,, Was kümmert mich Andre. Jiy wird den Winter nicht mehr erleben. Und damit sind unsere Probleme bald Geschichte. Wenn ihr nicht weiter kommt… muss ich die Dinge eben selbst in die Hand nehmen. Das Schwert, das

sie tötet wird genau aus der Richtung kommen, die sie am wenigsten erwartet.“ Er musste sie warnen, dachte Quinn. Auch wenn er noch nicht wusste, was genau vor sich ging, es war gegen Jiy gerichtet. Und die Sicherheit mit der Erlands gegenüber sprach, jagte ihm eine Gänsehaut über den Körper. ,, Und eure… andere Arbeit ?“ Plötzlich wurde Quinn auch klar, woher er die Stimme kannte. Aus der Ordensburg. Aber es war nicht die Stimme eines der Zauberer… ,, Wir werden belauscht.“ , meinte Ismaiel, als er ins Licht trat. Für einen kurzen Moment traf sich der Blick des Hochmagiers mit dem des letzten

Lebenden Mitglieds des alten Volkes. In den goldenen Augen des Mannes schimmerte bereits das Feuer, das wenige Sekunden später aus dem Eingang des Zelts heraus schlug. Quinn kam grade noch dazu, einen Schild zu errichten, bevor der Feuerball ihn einhüllte und die Stoffbahnen des Zelts in Brand gerieten. Die magische Barriere knisterte unter dem Strom der Magie, die die Luft um ihn herum in ein Inferno verwandelte. Solch eine Macht… Kellvians Berichte über diesen Mann waren definitiv nicht übertrieben gewesen. Trotz der zusätzlichen Kraft, die er aus der Träne schöpfte… Quinn wusste, er hätte keine

Chance. Rasch wich er zurück, während Erland und der Meister ihm ins freie Folgten. Er musste hier weg. Ein weiterer Flammenpfeil jagte dicht an ihm vorbei und setzte ein weiteres Zelt in Brand, während der Zauberer vor sich endlich die Wachfeuer erkennen konnte. Seltsamerweise schickte Ismaiel ihm keine zusätzlichen Zauber hinterher. Vermutlich wollte Erland nicht riskieren, das er das komplette Lager in Brand steckte. Quinn jedoch hatte diese Bedenken nicht, als sich die Posten auf der Straße zu ihm umwendeten. Mit einem Gedanken erschuf er einen Sog kochender Luft vor

sich und jagte diese auf die Männer zu. Sie fielen Schreiend zu Boden, während ihre Haut anfing Blasen zu werfen. Und dann war der Zauberer auch schon draußen in der Nacht und stolperte eine Böschung hinab, hin zu dem kleinen Wald, wo er sein Pferd angebunden hatte. Er musste zurück nach Vara und Jiy warnen.

Kapitel 75 Der Hinterhalt


Jiy betrachtete die bunten Blätter, die um sie herum zu Boden segelten. Ein stetiger regen aus Gold, Rot und Brauntönen, der den Heereszug begleitete und die Straße vor ihr bedeckten. Das Kopfsteinpflaster der großen Handelsstraßen, die Canton durchzogen, war teilweise Älter als das Kaiserhaus Belfare und manche Abschnitte hatten vielleicht sogar schon existiert, bevor es das Imperium in seiner jetzigen Form gab. Nun jedoch verschwand der verwitterte Stein zunehmend unter einer goldenen Schicht

aus Blättern. Jiy fühlte sich unweigerlich an ihre Kindheit erinnert. Wenn im Herbst die Blätter in Lore zu fallen begannen, war das das Zeichen für sämtliche Dörfer in der Umgebung gewesen, das das große Fest der brennenden Bäume kurz bevor stand. Der obere Süd-Osten Cantons war eine eher spärlich besiedelte Region, aber in einem Abend im Jahr waren fast sämtliche Bewohner im Umkreis Lores dort zusammen gekommen. Es waren schöne Erinnerungen. Die langen Nächte, in der sich auch niemand darum scherte, wenn die Kinder ständig etwas von den reich gedeckten Tischen stibitzte und generell für einige Stunden die

Konflikte und die Härten des vergangenen Jahres vergessen waren. Das war natürlich alles bevor der Ort vor nun fast zwei Jahren bis auf die Grundmauern niedergebrannt worden war. Seit gut einem Monat zogen sie nun durch das Land, über das sich langsam der Herbst ausbreitete und die Wälder entflammt hatte. Es war ein weiter Weg bis nach Erindal und irgendwann hatte Jiy tatsächlich zugestimmt, die restliche Strecke zu reiten. Sie traute dem Tier unter sich zwar nach wie vor nicht ganz, aber mittlerweile hielt sie sich sicher genug im Sattel um auch mit Roland und Falvius mithalten zu können. Zyle

hingegen hatte sich beim besten Willen nicht davon überzeugen lassen, auf ein Pferd zu steigen und lief zu Fuß neben ihnen her. Allerdings war es für einen ausgeruhten Gejarn auch keine große Sache, mit einem Pferd mitzuhalten. Mittlerweile war ohnehin dichter Nebel aufgezogen, der es schwer machte, weiter als ein paar Schritte zu sehen und die Gruppe Reiter wurde langsamer. Erindal war immer noch einige Tagesreisen entfernt, aber wenn es ihnen gelang, die Stadt zu erobern, hätten sie damit wieder den wichtigsten Seehafen an der gesamten Ostküste unter Kontrolle. Und nicht nur das. Mittlerweile gab es immer wieder

Berichte über Kellvian oder zumindest einem Mann, der ihm unglaublich ähnlich sehen musste, aus der Gegend. Vielleicht würden sie ihn endlich, nach all den Wochen wiederfinden. Ihr Herz schlug schneller bei dem Gedanken. Gedankenverloren strich sie über den Goldring an ihrer linken Hand, der nun jedoch unter einem Panzerhandschuh verborgen war. Roland war es, der darauf bestanden hatte, das sie wenigstens während der Reise eine leichte Rüstung trug. Wobei leicht es nicht wirklich traf, dachte die Gejarn. Sie mochte das Gewicht des Stahls überhaupt nicht, das ihr auf die Schultern drückte und schnelle

Bewegungen fast unmöglich machte. Mochten die Geister wissen, wie Zyle es anstellte, aber sie wüsste nicht mal, ob sie darin rennen konnte. Noch ein Grund, aus dem sie sich doch langsam mit dem Pferd anfreundete. Wenn sie bisher wirklich einmal in einen Kampf geraten war, hatte sie sich lieber auf ihre Beweglichkeit verlassen. Nur nützte einem das natürlich nicht viel gegen Kugeln, damit hatte der General wohl Recht. Die Pferde schnaubten nervös, als sie weiter durch den stillen Herbstwald ritten. Vor ihnen beschrieb die Straße eine Kurve und mehrere hohe Bäume versperrten ihnen die Sicht. Ohnehin

konnte Jiy nicht viel erkennen. Durch den nach wie vor dichter werdenden Nebel hatte sie vielleicht ein Sichtfeld von wenigen hundert Schritten. Die Armee hinter ihr wurde bereits verschluckt und vor ihr gab es nur die offene Straße, die halb hinter einem weißen Vorhang verborgen war. Irgendwo hinter ihr in der Kolonne aus Soldaten waren die Magier, die Quinn zu ihnen geschickt hatte. Sie fragte sich, was der seltsame Zauberer grade tun mochte. Es war eine Weile her, das die letzten seiner Schützlinge zu ihnen gestoßen waren. Jeder einzelne jedoch würde ihnen bereits eine große Hilfe sein. Gut zwei Dutzend Männer und

Frauen des Ordens, die die auffälligen , türkisfarbenen Roben mit neuem Stolz trugen. Das sie einmal froh sein würde, die Magier zu sehen hätte sie sich auch nicht träumen lassen. Roland musterte das Stück weg, das vor ihnen lag misstrauisch. ,, Das gefällt mir gar nicht.“ , meinte er düster. Falvius zuckte mit den Schultern. ,, Was soll passieren ?“ ,, Genau...“ , gab Roland zurück. ,, Genau das frage ich mich grade.“ Jiy konnte sehen, wie er die Waffen überprüfte, die er trug. Ein schwerer Kavalleriesäbel und zwei Steinschlosspistolen, die in einem

Holster am Sattel befestigt waren. ,, Ich und Falvius reiten voraus. Ihr folgt uns in ein paar Minuten. Wenn es nicht sicher ist… Nun ich schätze, das werdet ihr hören.“ Jiy nickte. ,, Klingt nach einem Plan.“ ,, Ich komme mit.“ , erklärte Zyle da. Der Gejarn prüfte ebenfalls den Sitz des Schwerts, das er trug. Dabei fielen ihm einige Blätter von den Schultern, die sich in seinem Umhang verfangen hatten. Es wäre wirklich leicht, sich hier irgendwo im Laub zu verbergen, überlegte Jiy. Vermutlich machten sie sich jedoch unnötig Sorgen Roland schüttelte jedoch den Kopf. ,,Verzeiht… Hochgeneral, aber wir

können auch euch nicht einfach so verlieren.“ Diese Worte von dem Mann zu hören hatte Jiy eigentlich nicht erwartet. Aber spätestens seit der Erdwacht schien Roland echten Respekt vor Zyle zu entwickeln. ,, Also gut. Wir geben euch fünf Minuten Vorsprung, das sollte reichen, damit ihr die Gegend sichern könnt. Dann folgen wir euch. Wenn es Ärger gibt, gebt uns irgendein Signal. Ein Schuss in die Luft sollte ausreichen.“ Roland nickte, bevor er dem Pferd die Sporen gab und auch Falvius ihm nachsetzte. Die beiden Männer waren bald im Nebel verschwunden. Jiy lauschte, ob sie etwas hörte, oder auch

wittern konnte, aber da waren nur dumpfe Hufschläge, die sich bald verloren und der Geruch von Laub und Harz um sie herum. Zusammen mit Waffenöl und Schwefel, die Fährte, welche die Armee mit sich zog. Nichts Ungewöhnliches. Oder doch ? Da war etwas, das jedoch harmlos schien. Irgendwo waren fremde Gejarn in der Nähe. Aber es konnten nicht mehr als einer, vielleicht zwei sein. Das war kaum eine Bedrohung für sie. Trotzdem, auch Jiy tastete kurz nach dem Griff des Degens, den sie trug. Eine leichte Waffe, aber sie hatte nie wirklich gelernt, mit einem Schwert umzugehen. Jetzt bereute sie das. Vielleicht konnte

sie Zyle später darum bitten, ihr ein paar Kniffe zu zeigen. ,, Folgen wir ihnen.“ , sagte sie schließlich, als alles so ruhig wie eh. Sie zogen langsam weiter. Zyle an ihrer Seite sah sich nach wie vor misstrauisch in alle Richtungen um. Aber nichts rührte sich. Eine Windböe ließ lediglich einen neuerlichen Schauer aus goldenen und roten Blättern über sie nieder gehen. Wenn sie die Küste erreichten würde davon nichts mehr zu sehen sein, wie Jiy gehört hatte. Die Bäume dort blieben immer Grün, selbst im Winter, der sich ohnehin meist nur Milde bemerkbar

machte. Sie dachte noch darüber nach, was sie tun sollten, wenn sie Erindal schließlich erreichten, als der Wald um sie herum mit einem Schlag zum Leben erwachte. Wo eben noch nichts weiter als Laub, Erdreich und Zweige gewesen waren, wühlten sich plötzlich Gestalten aus dem Grund und schüttelten die Überreste von Netzen und Fellen ab, unter denen sie sich verborgen hatten. ,, Überfall!“ Zyle reagierte sofort und riss das Schwert aus der Scheide. Der Gejarn rief mehrere Befehle über die Schulter, worauf sich die nach ihm folgende Gruppe Soldaten in Bewegung setzte. Sie kamen jedoch nicht weit, als

auch der Wald hinter ihnen plötzlich in Bewegung geriet. Ein Ohrenbetäubendes Krachen und aufsteigender Pulverdampf aus Büschen und Hecken folgte und dutzende der Männer fielen verwundet oder Tod zu Boden. Die Überlebenden schossen aufs Geratewohl in die Zweige, ohne ihre Gegner auch nur sehen zu können. Und der Nebel machte es nicht unbedingt besser. Im Gegenteil. Er isolierte sie von der restlichen Truppe, die nur langsam nachrückte und ebenfalls bereits mit Gewehrsalven begrüßt wurde. Innerhalb weniger Herzschläge waren Waldboden wie Straße rot verfärbt. Jiy sah sich nach allen Richtungen um. Das Chaos war vollkommen. Und das obwohl

sie doch damit gerechnet hatten. Wo waren Falvius und Roland? Die beiden mussten den Lärm doch mittlerweile auch gehört haben und schon auf dem Rückweg sein… Und da näherten sich auch endlich Hufschläge, die sich über die Straße vor ihnen näherten. Im nächsten Moment kam auch schon Falvius in Sicht, das Schwert in der Hand und die Lage nur mit einem kurzen Nicken zur Kenntnis nehmend. ,, Wo ist Roland ?“ , rief Jiy ihm zu. ,, Ich habe keine Ahnung.“ , antwortete der General aufgebracht. ,, Eben war er noch neben mir und dann… keine Spur mehr von ihm. Im nächsten Moment höre

ich auch schon Schüsse.“ ,, Was ?“ ,, Er ist einfach verschwunden…“ Falvius blickte sich fassungslos um. Zyle war es mittlerweile gelungen, zumindest eine kleine Truppe Gardisten zu organisieren, die sich nun mit allem was sie hatten gegen die Angreifer zur Wehr setzten. Da diese sich jedoch weiterhin halb verborgen hielten, war das nicht viel. Immer wieder brachen Männer getroffen zusammen, während ihre Gegner noch kaum Verluste erlitten hatten, wie es schien. ,, Ich fürchte beinahe, er hat uns verraten.“ Falvius sah bei den Worten zu Boden. ,,Vielleicht ist es nur Zufall.“ ,

versuchte Jiy ihn zu beschwichtigen. Aber sie konnte sich jetzt nicht darum kümmern. Es gab wichtigeres. Sie mussten vor allem erst einmal Überleben. Mittlerweile stürmten die ersten Angreifer, Schwerter und Keulen schwingend aus dem Wald und stürzten sich auf die vereinzelten Gardisten, die sich plötzlich in einem Handgemenge wiederfanden. Die Angreifer trugen graue Uniformen. Jiy hatte bereits damit gerechnet. Einfache Banditen griffen keinen Konvoi aus Soldaten an. Allerdings wirkten die Männer um einiges wilder, als Andres reguläre

Söldner. Vernarbte Gesichter, die bereits die Geschichte zahlreicher Kämpfe erzählten… Das waren nicht irgendwelche Kämpfer. Langsam befürchtete die Gejarn, das Falvius Recht hatte und jemand sie verraten haben musste. Sonst hätte Andre ihnen kaum derartig auflauern können. ,,Verdammt.“ , fluchte sie laut und versuchte sich durch das Durcheinander aus Einzelkämpfen zu Zyle durchzuschlagen. Und dann geschah es. Sie drehte sich grade noch einmal um, um sich einen Überblick zu verschaffen, als sie irgendetwas direkt vor die Brust trat. Der Schlag presste ihr den Atem aus den

Lungen und warf sie rückwärts vom Pferd. Der Sturz kam ihr viel zu tief vor und als sie auf dem Boden aufschlug, nahm es ihr nochmal den Atem. Einen Moment blieb sie Betäubt liegen. Der Schock saß tief… Sie war tatsächlich getroffen worden. Erleichtert stellte sie jedoch fest, dass es mehr Überraschung als Schmerz war, der sie lähmte. Die Gejarn sah leicht zitternd an sich herab und entdeckte eine gewaltige Beule in der Brustplatte. Ein sauberes, kreisrundes Loch war in das Metall gestanzt worden. Die Wunde jedoch war nicht sehr tief. Jeder japsende Atemzug tat weh, aber die Panzerung hatte sie offenbar gerettet und die meiste Wucht

der Kugel abgefangen. Jiy schüttelte einmal kräftig den Kopf und riss sich zusammen. Sie konnte unmöglich hier im Staub sitzen bleiben, selbst wenn um sie herum keine Schlacht toben würde. Nach wie vor mussten sie irgendwie aus dieser Falle entkommen. Mit einem Satz, der ihr noch einmal den Atem nahm und sie kurz taumeln ließ, kam sie auf die Füße und nahm grade noch rechtzeitig eine Bewegung an ihrer Seite war. In einem Bogen wirbelte sie herum, das Schwert bereits zu einem Streich erhoben. Die Waffe wurde ihr jedoch aus der Hand geprellt und landete weit außer Reichweite irgendwo auf dem Blutüberströmten Boden. Jiy schlug

sofort mit einer Krallenbewährten Hand nach dem Punkt, wo das Gesicht des Angreifers sein musste, doch erneut war sie zu langsam. Das ganze Metall war noch ihr Tod, fürchtete sie. Normalerweise wäre kein Mensch schneller wie sie… Ihre Faust wurde im Flug abgefangen und mit einem Ruck verdrehte ihr jemand das Handgelenk. Sie sank auf die Knie, als sie spürte, wie das Gelenk knackte und Übelkeit erregende Schmerzen alles andere Ausblendeten. Und dann warf sie endlich einen Blick auf das Gesicht ihres

Gegners. Falvius…

Kapitel 76 Relinas Rückkehr


Jiy starrte ungläubig in das mittlerweile fast vertraute Gesicht, das nun jedoch von Siegesgewissheit und düsteren Absichten verzerrt war. Nicht Roland hatte sie Hintergangen, wie ihr schlagartig klar wurde. Nicht Roland hatte sie verkauft und an Andres Männer ausgeliefert… ,, Was habt ihr getan ?“ , brachte sie hervor. ,, Was ist mit Roland ?“ Falvius lachte kopfschüttelnd. ,, Roland dieser Narr hat euch bis zum letzten Atemzug treu gedient. Ich habe noch versucht ihn zur Vernunft zu bringen.

Am Ende ließ er mir jedoch keine Wahl.“ ,,Vernunft…“ Jiys Verstand raste. Die verbeulte Panzerung machte das Atmen schwer und die verdrehte Hand hing nutzlos an ihrer Seite herab. Sie war langsam und verletzte, aber wenn sie Falvius überraschen konnte… Bevor sie den Gedanken auch nur weiterspinnen konnte, legte sich ihr jedoch kalter Stahl an die Kehle und machte auch den letzten Gedanken an Flucht zunichte. ,, Man hat mir ein bei weitem besseres Angebot gemacht, als weiter als euer Schatten zu dienen.“ ,,Wer ? Andre ? Ihr könnt nicht

ernsthaft glauben, dass er euch nicht einfach Beseitigen wird, wenn ihm danach ist.“ ,, Das dachte ich auch schon.“ , meinte der General nur. Der Lärm der Schlacht war für Jiy mittlerweile in den Hintergrund gerückt. Niemand würde ihr so schnell helfen können. Und im Augenblick konnte sie es auch nicht wagen, selber Etwas zu wagen, ohne dabei den Kopf zu verlieren. Hinter Falvius jedoch, bewegte sich etwas und ein Mann, der so gar nicht zu den grau gewandeten Soldaten passen wollte, trat auf die Straße hinaus. Und zu ihrem eigenen Entsetzen, erkannte Jiy ihn wieder. Die auffällige,

orangefarbene Jacke war nicht zu verkennen. Jormund Einnarson strich sich eine Strähne des länger gewordenen Haares aus der Stirn. Er wirkte ungehalten, während er sich umsah und zu Falvius und der in die Knie gezwungenen Jiy trat. ,, Deshalb kam er auch als erstes zu mir.“ , sagte der Herr Lasantas. Hinter ihm folgten fünf der verwildert aussehenden Soldaten, die sie angegriffen hatten. ,, Wer weiß, vielleicht wird Andre nicht mehr sehr lange der Anführer über seine Armeen bleiben…“ Jiy musste ein bitteres Lachen Unterdrücken. Glaubten diese beiden

wirklich, sie könnten erst sie töten und dann noch Andre de Immerson hintergehen? Ihr fiel eigentlich nur eine Person ein, die ihnen diesen Irrsinn eingeredet haben konnte. Von selbst war Jormund sicher nicht darauf verfallen, plötzlich die Aufständischen anführen zu wollen. Vielleicht war der Meister Andres langsam überdrüssig, oder er wollte sehen, ob er sich nicht unterwürfiger Gefolgsleute verschaffen konnte… So oder so. Jormund wendete sich ab. ,, Zumindest habt ihr in dieser neuen Welt keinen Platz mehr.“ Er ging gemächlich davon, während die Kämpfe auf der Straße immer noch andauerten. Selbst wenn

jemand sah, was hier geschah, die Söldner würden wohl nicht zulassen, dass sich jemand einmischte. ,, Tötet sie endlich… Wir müssen weg, bevor die Garde sich wieder organisieren kann.“ Mit diesen Worten verschwand er auch schon aus Jiys Sichtfeld. Die Gejarn zwang sich, Falvius wenigstens in die Augen zu sehen. ,, Was immer man euch versprochen hat, ich sterbe mit der Gewissheit, dass es eine Lüge war.“ , erklärte sie und war überrascht, wie ruhig ihre eigene Stimme klang. ,, Ihr wisst nicht, wer hinter Andre steht… oder Jormund was das angeht.“ Zyle würde weitermachen, davon war Jiy

überzeugt. Egal, was Jormund oder Falvius glaubten, sollten sie doch versuchen sich gegen Andre zu stellen. Wenn sich der Aristokratenbund jetzt gegeneinander wandte, war das gut… Nur das sie Kellvian nie wieder sehen würde, jetzt wo sie ihm schon so nah gekommen waren, das bereute sie. Falvius erwiderte nichts, sondern holte nur mit dem Schwert aus. Jiy sah die Klinge aufblitzen, bevor sie auf ihren Halsansatz zu jagte… und nie dort ankam. Ein zweites Schwert zuckte durch die Luft und durchtrennte den Schwertarm des Generals direkt am Handgelenk. Es war Roland, der, sich die Seite

haltend, direkt hinter Falvius aufgetaucht war. Blut lief ihm aus einer tiefen Wunde und tropfte zwischen den Fingern seiner linken Hand zu Boden. ,, Nächstes Mal, stellt sicher, dass ich wirklich tot bin.“ In den Augen des Mannes blitzte nur nackte Wut. Kein Verständnis oder gar Entsetzen wegen des Verrates seines Freunds. Heulend taumelte der Verwundete General zurück, während Jiy ihr Glück noch kaum fassen konnte. Erneut sauste die Klinge durch die Luft und grub sich dieses Mal tief in die Brust des Verräters. Falvius Schrei verstummte mit einem gurgelnden Geräusch, bevor er

zusammenbrach und regungslos auf dem Weg liegen blieb. ,, Wie habt ihr…“ , setzte Jiy an, als Roland sie unsanft auf die Füße riss. ,, Ich war nicht so tot, wie er gedacht hatte.“ , antwortete er nur. ,, Als wir grade die Kurve passierten, hat er mir seinen Plan erläutert… als ich ablehnte hat er dann auf mich geschossen. Und ich dachte ich kenne ihn….“ Er versetzte dem toten Körper am Boden einen tritt. ,,Ich bin eben einfach in Glückspilz.“ Ein seltenes Grinsen stahl sich auf das Gesicht des Mannes, doch es wirkte grimmig genug, das Jiy lieber nicht nachfragte, wie es ihm ging. Die Antwort konnte sie

sehen. ,, Sehen wir zu, das wir Andres Männer zurück treiben.“ , sagte sie stattdessen. Das hier war noch nicht Überstanden. Nach wie vor wurde die Garde von den Soldaten, die sich im Nebel verbargen unter Beschuss genommen und die, die sich bisher gezeigt hatten fielen über die wenigen Gruppen her, die versuchten sich zu sammeln um geschlossen gegen die Bedrohung vorzugehen. Pulverdampf lag über allem und verschlechterte die Sicht noch zusätzlich, vermischte sich mit dem Blutgeruch… Jiy folgte Roland durch das Chaos, der rasch einige Befehle rief und den nachströmenden Soldaten zuwinkte,

vorsichtig zu sein, damit sie nicht ins Kreuzfeuer gerieten. Endlich entdeckte Jiy auch Zyle, der sich im Zweikampf mit einem der Söldner befand, der einen Beidhänder nach dem Schwertmeister schwang. Das gewaltige Schwert war schwer genug, das Jiy den Boden unter ihren Füßen zittern spüren konnte, als Zyle dem Angriff auswich und seinem Gegner die Klinge in die ungeschützte Kehle trieb. Wenige Augenblicke stürzte der Mann genauso schwerfällig wie seine Waffe zu Boden. ,, Wir sind Verraten worden.“ , rief Jiy ihm zu. ,, Es hätte auch nicht einmal einfach

sein können…“ Zyle stürzte sich, ohne zu zögern, sofort dem nächsten Gegner entgegen. Bevor er ihn jedoch erreichte, geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Als erstes stürzte Jormund, mindestens dreißig weitere Söldner hinter sich, aus den Wäldern. Der Fürst Lasantas wurde während des Ansturms zwar langsamer und blieb so am Rand des Schlachtfelds, aber seine Gefolgsleute verwickelten die Gardisten sofort in neuerliche Gefechte, um zu verhindern, dass sie sich geschlossen ihrem Gegner stellten. Jiy fürchtete langsam, das Falvius Tod nichts geändert hatte. Wenn das so weiterging, würden ihre Verluste noch größer werden. Bereits jetzt wollte sie

gar nicht wissen, wie viele Männer bereits auf dem blätterbedeckten Pflaster der Handelsstraße zurück geblieben waren. Dann jedoch gab es einen roten Lichtblitz, der direkt zwischen Garde und Söldnern aufleuchtete. Blätter wurden von einer plötzlichen Windböe aufgewirbelt, während sich eine einzelne Gestalt in dem Licht manifestierte. Sie trug einen schlichten, weiten Wollmantel, dessen Kapuze sie sich ins Gesicht gezogen hatte. Tatsächlich wirkte die komplette Gestalt unter dem schweren Mantel etwas unförmig, dachte Jiy bei sich. Wenigstens war es also nicht der Meister. Aber wer dann

? Die Söldner jedenfalls interessierte nicht, wer sich zwischen sie und ihr Ziel stellte und stürmten mit erhobenen Waffen weiter. Jedoch nur, bis der erste auf Höhe des Fremden war. Die Gestalt streckte eine Hand an ihrer Seite aus und der Mann, der an ihr vorbei wollte, ging in Flammen auf. Schreiend stürzte er zu Boden und versuchte die rubinfarbenen Flammen zu ersticken, die nun seinen Körper verzehrten. Die übrigen Söldner wurden sofort langsamer und bildeten einen Halbkreis um den Fremden. Dieser setzte sich jetzt in Bewegung. Ein Soldat hieb mit dem Schwert nach ihm, das jedoch in seinen Händen schmolz, bevor

es auch nur den Umhang des Zauberers berührte. Heißes Metall versengte dem Mann Hände und Arme. Der nächste machte einen Satz auf die Gestalt zu und stürzte mitten im Sprung mit knochenbrechender Gewalt zu Erde. Jiy und die anderen sahen gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen zu, wie die Fremde Erscheinung sich langsam aber sicher eines Söldners nach dem anderen entledigte, bis nur noch einer am Leben war. Jormund… Der Mann breitete die Hände zu einer Geste aus, die wohl bedeuten sollte, dass er sich ergab. Erst da wendete die Gestalt den Kopf in Richtung der erstarrten

Gardisten. Jiy traute ihren Augen nicht. Und Zyle offenbar auch nicht, den der Schwertmeister ließ glatt die Waffe fallen. Mittlerweile hatten sich die meisten von Andres Männern ohnehin zurückgezogen oder streckten sogar die Waffen jetzt, wo ihr Plan gescheitert war. Und ihre Gegner auch noch Verstärkung durch einen Magier erhielten. Oder besser eine Magierin. Eine, die es nicht geben sollte. Relina blickte mit ruhigem Blick zu ihnen und musterte erst Jiy, dann Zyle einen Moment. Die schwingen förmige Brandnarbe auf ihrer linken Wange war kurz zu sehen

und machte jeden Irrtum endgültig unmöglich. ,,Zyle ?“ , flüsterte Jiy. Was wollte sie hier? ,,Ich würde schätzen, mich nochmal umbringen“, antwortete Zyle , als hätte er ihre Gedanken erraten. Relina trat derweil auf Jormund zu, der nach wie vor die Hände vor sich gestreckt hatte, wie um sich zu ergeben. ,, Ihr braucht ihn noch ?“ , fragte die Zauberin nüchtern. ,,Nein, aber…“ Weiter kam Jiy nie, denn in diesem Moment brach der Herr Lasantas ohne einen weiteren Ton in sich zusammen und blieb regungslos im Laub

liegen. Jiy wendete sich ab. Vermutlich hätte sie ohnehin nicht zugelassen, das der Mann noch einmal in seinem Leben das Tageslicht sah… Aber sie hatten Andre grade unfreiwillig schon zwei potentielle Verräter vom Hals geschafft. Allerdings bezweifelte die Gejarn wirklich, das der Lord das zu schätzen wissen würde. ,, Wir hätten ihn vielleicht als Druckmittel gebrauchen können.“ , bemerkte Roland finster, der sein Schwert an der Kleidung eines toten Söldners sauberwischte, bevor er sich zu ihnen gesellte. Jiy erwiederte nichts und Zyle schien es offenbar die Sprache verschlagen zu

haben. Er folgte mit den Augen nur Relinas Bewegungen. Die Gejarn-Hexerin drehte sich derweil endgültig zu ihnen um und kam die Böschung wieder herab. Die Körper der toten Söldner und des Fürsten blieben hinter ihr zurück. ,,Herrin ? Wer ist das ?“ , wollte Roland wissen, während er die fremde Magierin nicht aus den Augen lies, bereit, zuzuschlagen, sollte sie sich als feindselig erweisen. ,, Relina.“ , antwortete sie, da Zyle nach wie vor scheinbar keinen Ton heraus brachte. ,, Sie ist… eine Verbündete.“ Zumindest hoffte Jiy das. Irgendetwas an der Gestalt der Gejarn war seltsam. Das

hatte sie vorhin schon gedacht. Aber als es ihr endlich auffiel, was nicht stimmte, wurde ihr auch klar, wieso Zyle nichts mehr sagte. Entweder Relina hatte in den letzten Monaten ein gutes Stück zugenommen oder… Das gab es doch einfach nicht ,,Könnten wir das vielleicht woanders besprechen ?“ , quittierte die Magierin ihre Blicke ungehalten. ,, Aber… ihr seid…“ ,,Hört zu. Es war nicht ganz einfach euch zu finden, nachdem ich nach meiner Ankunft hier erst einmal erfahren habe, was überhaupt vor sich geht. Ich bin seit Tagen unterwegs und Müde. Ist es zu viel verlangt, das wir wenigstens erst aus

diesem Wald rauskommen?“ Jiy gab ihr Schweigend Recht. Und vermutlich hätte Zyle bis dahin auch seine Sprache wiedergefunden. Die beiden hatten ganz sicher einiges zu erklären…. ,,Roland, gebt Befehl an die übrigen Offiziere. Sie sollen die Verwundeten so gut es geht versorgen und dann mitnehmen. Schickt ein paar Späher, die eine offene Fläche suchen sollen. Ehrlich gesagt, ich habe auch fürs erste genug vom Wald.“ ,,Ja, Herrin.“ Der General salutierte kurz. ,, Und Danke. Lasst auch jemand nach euren Verletzungen

sehen.“ ,,Herrin ?“ , fragte Relina. ,,Ich… bin mittlerweile Kaiserin.“ ,, Das habe ich zwar gehört, es aber nicht ganz geglaubt. Ich habe auch gehört das Kellvian tot ist.“ ,, Das glaubt keiner von uns.“ , warf Zyle ein, der endlich seine Stimme wieder fand. ,, Nur warum hat keiner von uns Jormunds Männer gewittert ?“ ,, Tannenpech.“ , antwortete Jiy , während um sie herum entlaufene Pferde wieder eingefangen und Verwundete versorgt wurden. Sie beugte sich umständlich vor und zog eine kleine Metalldose aus der Brusttasche eines der toten Söldner. ,, So nah riecht man es,

wenn man weiß, worauf man achten muss." Nur kam diese Erkenntnis natürlich zu spät. Zyle jedoch hatte nach wie vor andere Sorgen. ,, Relina…“ ,, Später. Bitte.“ Relina war ganz offensichtlich Schwanger….

Kapitel 77 Verluste


Endlich ließen sie die Halbschatten des Waldes hinter sich. Zyle trat ins Sonnenlicht, wo der Spähtrupp, den sie vorausgeschickt hatten, bereits damit begann, ein Lager zu errichten. Vor ihnen lag eine große Wiese, die zum Ufer eines Flusses hin leicht abfiel. Das musste wohl der große Grenzstrom sein, der einst Canton und die lange untergegangenen freien Königreiche getrennt hatte. In den letzten Wochen hatte er mehr Karten des Kaiserreichs zu sehen bekommen, als in den ganzen Jahren davor zusammengenommen. Und

vermutlich hatte er auch mehr Tote gesehen… Wie viele von ihren Leuten heute ihr Leben gelassen haben wollte er gar nicht wissen. Roland hatte die Verluste jetzt schon auf weit über zweihundert Mann geschätzt. Zweihundert zu viel für seinen Geschmack. Keiner von ihnen hätte mit dem Verrat rechnen können, den der zweite General an ihnen verübt hatte, trotzdem… Er war der Hochgeneral der Garde. Diese Männer unterlagen jetzt seiner Verantwortung und Zyle wurde das Gefühl nicht los, sie im Stich gelassen zu haben. Und doch auch der Schock des Tages konnte seine größte Sorge nicht

beschwichtigen. Er musste Relina sehen. Die Rückkehr der Zauberin war vielleicht das Seltsamste, was ihm heute passiert war. Überall auf der Wiese wurde bereits gearbeitet. Männer errichteten Zelte, hoben Gruben aus oder legten pferche an, damit man die Pferde dort unterbringen konnte. Unten am Fluss wiederum wurden die Verwundeten abgeladen, damit man ihnen gleich Wasser geben und die Verbände auswechseln konnte. Die Verletzungen mancher waren schrecklich und Zyle wusste, das nicht einmal die Ordensmagier manchen davon würden helfen

können. Das dutzend Magier, das hier war, war ohnehin völlig damit überfordert, für beinahe zwanzigtausend Mann einzustehen, die sich auf sie verließen. Blumen und Gräser wurden unter den Stiefeln der Gardisten rasch plattgetreten und bildeten so erste Wege. Roland hatte sich bereits aus dem Sattel geschwungen und erteilte weitere Anweisungen, während Jiy einige Heiler abwehrte, die sich die Schussverletzung ansehen wollten, die sie sich zugezogen hatte. ,, Mir geht es gut.“ , erklärte sie aufgebracht. ,, Kümmert euch um die, die eure Hilfe wirklich brauchen. Das war ein Befehl, wenn ihr einen

braucht.“ Die Heiler zerstreuten sich. Zyle amtete auf. Offenbar kamen der General und sie im Moment auch gut ohne ihn zurecht. Jetzt musste er Relina in dem ganzen durcheinander nur finden. Er hätte ohnehin keine Ruhe, bis er nicht wenigstens kurz mit ihr gesprochen hätte. Das heißt, wenn ihm nicht wieder die Worte im Hals stecken blieben. Er sah sich einen Moment um und lenkte seine Schritte dann hinab zum Fluss. Es war ein warmer Herbsttag und nicht nur ihn zog es, nachdem die Zelte aufgeschlagen waren, erst einmal zum Wasser. Einige vereinzelte Bäume, deren

Blätterwerk sich ebenfalls bereits Bunt verfärbt hatte, spendeten etwas Schatten und ragten am Flussufer entlang auf. Auf der anderen Seite des Wassers stand ein weiterer Baum, im Gegensatz zu denen auf dieser Flussseite , war dieser jedoch tot und verdorrt oder wirkte auf den ersten Blick zumindest so. Die Rinde war längst abgefallen und hatte nur ausgebleichtes, beinahe schneeweißes Holz zurück gelassen und in den dürren Zweigen hingen kleine Windspiele und Amulette, die bei jeder Brise leise Klimperten. Obwohl Zyle noch über hundert Schritte vom Wasser entfernt war, konnte er das seltsame Glockenspiel hören, fast so, als würde es überhaupt

nicht durch anderen Lärm überlagert werden, sondern eher alles durchdringen. Ein Geisterbaum. Zyle hatte zwar davon gehört, aber noch nie einen gesehen. Nun vermutlich gab es überall welche. In der Ferne, den Fluss hinauf konnte er wiederum eine eingefallene Brücke erkennen, die den Abgrund zwischen zwei hoch aufragenden Felsklippen überspannte. Offenbar war der Grenzfluss, Keel wenn er sich richtig an den Namen erinnerte, an über einhundert Stellen über Brücken überquerbar. Viele waren bereits uralt und wurden selten repariert. Diese hier jedoch sah aus, als sei sie schon vor Jahrhunderten

zusammengebrochen. Also wohl nichts, worum er sich Sorgen machen musste. Zyle hatte im Augenblick ganz andere Gedanken. Mehrere Gardisten schleppten bereits Eimer und Feldflaschen voll Wasser hinauf zum langsam Gestalt annehmenden Lager, aber nach wie vor keine Spur von Relina. Laos, wenn sie einfach wieder gegangen war, nachdem sie ihn gesehen hatte ? Er beruhigte sich damit, dass sie das nicht tun würde. Aber die Relina die er kannte… Die Relina die er kannte, brachte auch nicht eiskalt Menschen um. Oder ? Er liebte sie, nach wie vor. Die kurze Begegnung hatte ausgereicht um ihn

wieder daran zu erinnern, waren seine Gefühle in den letzten Monaten doch wenigstens etwas in den Hintergrund getreten. Schließlich jedoch, fand Relina ihn, bevor er sie finden konnte. Zyle war bis ganz hinab ans Flussufer gegangen, wo das Wasser einen Kiesstrand überspülte. Ab und an blitzten die Schuppen eines Fischs in den klaren Fluten auf. Es war seltsam ruhig hier geworden, nachdem die ersten Soldaten wieder abgezogen waren. Nur weiter Stromabwärts, wo man die Verwundeten unterbrachte, ging es nach wie vor alles andere als ruhig zu… Er konnte aus der Ferne nur schemenhafte

Gestalten erkennen, die weitere Zelte aufschlugen und geschäftig hin und her eilten. Aber mehr musste er auch nicht sehen. Bevor die Nacht hereinbrach, würden sich ihre Verluste vielleicht noch einmal Verdoppelt haben. Zyle hockte sich ans Ufer und schöpfte selber etwas Wasser mit der Hand. Er fühlte Durst bestenfalls als Unannehmlichkeit, aber im Augenblick war ihm danach, irgendetwas zu tun, das ihn wenigstens kurz auf andere Gedanken brachte. ,, Was machst du hier ?“ Die Frage wurde ohne sonderliche Neugier gestellt, sondern klang einfach nur kühl. Trotzdem erschreckte sie ihn genug, das

er einen Moment das Gleichgewicht verlor und mit dem Gesicht voran im flachen Wasser landete. Die plötzliche Kälte war wie ein Schock und der Schwertmeister war praktisch sofort wieder auf den Beinen. Wasser troff ihm aus den Haaren und der Kleidung. Das kurze Lachen hinter sich, entging ihm jedoch trotzdem nicht. Ein glockenheller Klang, der jedoch so schnell wieder verstummte, wie er gekommen war. Relina versuchte es hinter einem Räuspern zu verstecken. Aber das war wieder mehr die Gejarn gewesen, die er zu kennen geglaubt hatte. Zyle drehte sich erst zu ihr um, als er sicher war, seine eigenen Züge wieder

unter Kontrolle zu haben. Genauso nichtssagend, wie Relina ihn musterte, sah er auch zurück. Er fürchtete, es könnte vor allem seine Schuld sein, das sie sich so verändert hätte. Aber… hatten sie sich letztendlich nicht beide verändert? Sie saß auf einem Baumstumpf, keine zwanzig Schritte vom Ufer entfernt und hatte die Hände in den Schoß gelegt. Den dunklen Wollmantel den sie trug, hatte sie dicht um den Körper und die deutlich erkennbare Rundung ihres Bauchs geschlungen. Zyle schmunzelte innerlich, als er sie so sah, auh wenn ihm nach wie vor tausend Fragen durch den Kopf schossen.

Ihm war anfangs ebenfalls furchtbar kalt gewesen, als er das erste Mal in Canton gewesen war. Ein Land, das für die Bewohner der Steppen und Wüsten in Laos wohl in jeder Hinsicht und Jahreszeit Winterlich war. ,, Nun, warum bist du hierhergekommen ?“ , erwiderte Zyle. Es waren die ersten klaren Worte, die er ihr sagen konnte und gleichzeitig fürchtete er schon, sie wären genau falsch. ,, Ich habe Kellvian ein Versprechen gegeben, wenn du dich erinnerst…. Und ich glaube den anderen Grund kannst du sehen, oder?“ ,, Und du…“ , setzte er zu einer Frage an.

Relina kam ihm zuvor. ,, Mindestens drei Monate. Vielleicht vier.“ ,, Moment, heißt das…“ Er rechnete rasch nach und das Ergebnis war eindeutig. Vor vier Monaten war er noch… durchaus lebendig durch die Straßen Helikes gewandert. Und zwar mit Relina. ,, Ich war mir erst nicht sicher. Zuerst schob ich es auf Seekrankheit, dann auf was auf Maras geschah nur… Ich war mit keinem anderen Mann zusammen, Zyle.“ ,, Das habe ich auch nicht behauptet…“ Zyle versuchte seinen Gedanken zu ordnen. Er hatte damit gerechnet, oder? Dass das Kind von ihm war, war nur

logisch gewesen. Aber nach und nach wurde ihm klar, dass das Wirklich der Fall war. Es kam selten genug vor, das Gejarn verschiedener Stämme ein Kind zeugten. Und wenn es doch einmal der Fall war, überwog ohnehin die Art der Mutter. Und dann traf es ausgerechnet sie. ,, Das ist doch Wunderbar.“ Auch wenn sich ein Teil von ihm bereits fragte, ob ein solches Kind auch Relinas ungewöhnliche Begabung erben würde… Natürlich hatte er wieder das Falsche gesagt, dachte Zyle sofort, als er Relinas Gesichtsausdruck sah. Für sie ganz sicher nicht. ,, Nein Zyle, das ist überhaupt nicht wunderbar.“ , rief die Gejarn. ,, Du hast

mich hintergangen. Deine Freunde mögen das vergessen haben. Ich nicht. Hast du eine Ahnung wie oft ich in den letzten Wochen darüber nachgedacht habe, dieses Kind einfach los zu werden? Wenigstens bevor ich dir wieder gegenüberstehe? Und doch habe ich es nicht getan. “ Sie schloss einen Moment die Augen. ,, Hör zu… das war dumm. Vergiss das. Ich… ach verdammt.“ ,, Wir haben beide in den letzten Monaten einiges durchgemacht.“ ,, Heuchle jetzt bloß kein Mitleid.“ , erwiderte Relina. Trotzdem nickte sie. ,, Die Machtkämpfe auf Maras sind nach eurer Abreise nicht wirklich abgeflaut.

Bis vor wenigen Wochen habe ich darum gekämpft die Kontrolle zu behalten. Es gab weitere Tote. Verletzte… Wir hatten endlich Häuser für alle errichtet, als ein Feuer wieder über ein Dutzend Zerstört hat.“ ,, Und doch bist du gekommen…“ ,,Nachdem sich die Dinge etwas beruhigt hatten, ja. Ich habe seit meiner Abreise einige Nachrichten erhalten. Von den Magiern, sowie von den… normalen Bewohnern. Sie lernen es langsam Zyle. Zusammenzuleben. Aber unser Überleben hängt von dem Cantons ab. Vielleicht kann ich, wenn das hier alles vorbei ist, endlich in etwas zurückkehren, was den Namen Heimat

verdient.“ ,, Du hast hart genug dafür gearbeitet.“ ,, Und du beinahe alles ruiniert. „ Erneut schüttelte sie hastig den Kopf. ,, Verzeih, das wollte ich nicht sagen, ich… Ich habe in den letzten Monaten Dinge getan, die ich von mir selbst nie erwartet hätte. Auf weniger als die Hälfte bin ich wirklich stolz. Der Rest… Und jetzt Sitze ich hier und erzähle ausgerechnet dir das alles. Ich weiß im Augenblick wirklich nicht, was ich für dich empfinde Zyle. Und ich rede viel zu viel.“ Das war immerhin noch mehr, als er erwartet hatte, dachte er. Auch wenn es nichts bedeutete. Er musste sich

zusammenreißen um diese seltsam entschlossene Frau nicht einfach in die Arme zu schließen. Das hätte ihm vermutlich selbige gekostet. ,, Du hilfst uns immerhin.“ Zyle wusste nicht wirklich, was er sonst sagen sollte. Relina schaffte, was sonst kaum etwas fertig brachte. Sie verunsicherte ihn zu tiefst. Und das nicht einmal absichtlich, dachte er. Aber so wie sie nicht wusste, was sie für ihn empfand, wusste er das selber noch immer viel zu gut. Bewunderung war noch das Geringste. Sie hatte sich verändert. Aber irgendwo unter der abgehärteten Mine war sie immer noch die Frau, die er so einfach lieben gelernt hatte. Und umso schwerer

loslassen konnte. Vielleicht wenn einige Jahre vergangen wären, dachte er und wusste gleichzeitig, dass es eine Lüge war. Relina nickte. ,, Wie gesagt , das Überleben von Maras… ist von eurem Abhängig. Deshalb bin ich hier Zyle. Genau dafür.“ ,, Und du bist sicher, dass du in deinem Zustand wirklich noch kämpfen solltest ?“ ,, Was genau ist den mein Zustand Zyle ?“ , knurrte sie plötzlich wieder aufgebracht. ,, Ich bin nicht krank, falls dir das entgangen sein sollte.“ ,,Ich…“ Konnte er denn auch einmal das richtige sagen? Wie es schien

nicht… Relina winkte ab. ,, Verzeih. Götter helft mir ich hab keine Ahnung was ich eigentlich sage. Ich will mich grade wirklich nicht streiten. Ich bin nur schrecklich müde, Zyle.“ ,, Dann suchen wir dir besser ein Zelt.“ Zyle hielt ihr eine Hand hin. Er wusste nicht, ob das schon wieder verkehrt war, aber die Gejarn zögerte. Einen Moment lang fürchtete er, sie würde den Angebotenen Arm einfach ignorieren. Dann jedoch nahm sie die Hand und ließ sich auf die Füße helfen. ,, Das wäre nett, ja…“ Es bedeutete überhaupt nichts, sagte Zyle sich. Und um sich davon zu

überzeugen musste er nur Relina betrachten, die ihn nach wie vor misstrauisch beäugte, wann immer sie glaubte, er sähe nicht hin. Es bedeutete nichts… und doch war es wenigstens ein winziger Schritt in die richtige Richtung. Was er getan hatte, war nicht wieder gut zu machen. Und Relina würde es nie vergessen. Aber vielleicht konnte sie irgendwann darüber hinwegsehen. So oder so…

Kapitel 78 Rache an den Toten.


Jiy ging mit gesenktem Kopf an den Zelten der Verwundeten vorbei. Sie hatte einmal wirklich gehofft, nie wieder so etwas sehen zu müssen? Es schien ihr jetzt wie ein ferner Traum. Das weiße Hemd, das sie trug wies einen breiten Blutfleck direkt auf der Brust auf. Die Wunde, die der Überfall bei ihr hinterlassen hatte war letztendlich doch versorgt worden und einen Moment war es erleichternd gewesen, die schwere Panzerung loszuwerden. Auch wenn sie ihr wohl das Leben gerettet hatte Roland folgte ihr in einigem Abstand,

war aber klug genug, fürs erste zu Schweigen. Vermutlich würde er ihr ohnehin nur erzählen, es sei nicht ihre Aufgabe, Anteilnahme mit den Verwundeten zu nehmen. Doch für den Moment blieb der General auf Abstand, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Die Toten hatte man in einigem Abstand zum Lager, unter den kühlen Schatten der Bäume aufgebahrt. Zwar hatten einige Freiwillige bereits damit begonnen die ersten, flachen Gräber auszuheben aber es würde wohl noch bis weit in die Nacht hinein dauern, bis man genug Gruben hätte. Im Augenblick stand die Sonne noch hoch am Himmel

und machte die Sache dadurch kaum besser. Der Blutgeruch war hier praktisch überall. Nichts hätte Jiy lieber getan, als dem Lazarett zu entkommen und sich in das eigentliche Heerlager ein Stück Abseits vom Fluss zu retten, aber sie stemmte sich nach wie vor mit aller Macht gegen den Impuls. Sie wollte das hier sehen und es schürte bei ihr nur eines. Wut. Auf Andre, auf Jormund, auf Falvius…. Normalerweise war es ein Gefühl, dem sie nur selten nachgab. Genau diesen Augenblick nutzte Roland jedoch um zu fragen : ,, Was soll mit Falvius und dem Körper von Jormund geschehen ?“ ,, Ihr fragte die falsche, wenn ihr eine

politische Antwort wollt. Ich schätze, Jormunds Haus will den Leichnam wiederhaben…“ ,, Sobald sie erfahren, das er in der Schlacht gefallen ist, ja.“ ,, Dann sollen sie ihn bekommen.“ , erklärte die Gejarn ruhig. Aber in ihrem inneren brodelte es. ,, Ich werde einem Balsamierer…“ Jiy schüttelte den Kopf. ,,Lasst ihn am Waldrand liegen. Seine Familie kann holen, was die Tiere übrig lassen.“ ,, Herrin ?“ ,, Ihr habt mich gehört, Roland. Für Falvius Körper… gilt das gleiche. Ich will nicht, das er mit den Männern bestattet wird, die er ans Messer

geliefert hat.“ ,, Ich… verstehe.“ So viele Tote gingen heute aus die Kosten dieser beiden Männer. Und er hatte nicht gehandelt, weil er es vielleicht für das Beste für alle hielt. Vielleicht konnten sich einzelne tatsächlich irgendwie davon überzeugen. Jiy konnte keine Gedanken lesen. Aber Falvius hatte sich gegen sie gewandt, nur um sich selbst einen Vorteil zu sichern. Noch mehr wie Jormund… Der Herr Lasantas war in die unendlichen Fehden und Intrigen des Adels Cantons hineingewachsen. Falvius hingegen hatte sich freiwillig dafür entschieden. ,, Ich habe genug gesehen.“ , entschied

sie und machte sich daran, den mittlerweile ausgetretenen Pfad über die Wiese zurück zu den Zelten der regulären Truppe zu folgen. Roland schloss sich ihr schweigend an, nachdem er ihre Befehle an die Totengräber weitergegeben hatte. Die Zelte waren nach einer genau festgelegten Ordnung angelegt. Die Unterkünfte der Offiziere und Generäle befanden sich genau in der Mitte, während die übrigen in einem konzentrischen Kreis darum angeordnet waren. Dies schützte die Befehlshaber gleichzeitig vor einem Überraschungsangriff von außen und gleichzeitig konnte ein feindlicher

Kavallerieangriff nicht so einfach weiter in das Lager vordingen, ohne zu riskieren, dass ihre Pferde in dem Gewirr aus Seilen und Pflöcken stolperten. Es war die beste alternative, wenn man keine echten Befestigungswerke anlegen wollte. Nur einen flachen graben gab es, der die Zelte umlief. Dieser diente jedoch eher der Entwässerung, nicht als Verteidigungslinie. Banner mit dem Doppelwappen Cantons wehten am Zugangsweg und über den Offizierszelten im Zentrum. Als die Gejarn grade die Hälfte des gewundenen Wegs hinter sich gebracht hatte, kam ihr und Roland bereits eine Vertraute

Gestalt entgegen. Zyle hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und schien so tief in Gedanken, dass er sie erst bemerkte, als sie fast direkt vor ihm standen. Ein paar Soldaten, die im Schatten der Zelteingänge ihre Ausrüstung warteten oder ihr Mittagessen zu sich nahmen, sahen dem Hochgeneral fragend hinterher. ,,Zyle ?“ Jiy wusste nicht zu sagen, ob der Mann niedergeschlagen oder aufgeregt war. ,,Verzeiht, Hochgeneral, aber ihr seht schlimmer aus wie einige der Toten draußen auf dem Feld.“ , erklärte Roland seinerseits. ,, Kann sein.“ , murmelte der Gejarn. ,,

Ich… habe mich eine Weile mit Relina unterhalten.“ ,,Heißt das ihr redet wenigstens wieder miteinander ?“ ,, Es heißt gar nichts, Jiy. Sie hat mir von Maras erzählt. Offenbar… beruhigen sich die Dinge erst jetzt wirklich. In all den Monaten, die ich jetzt fort bin, gab es weitere Tote. Aber das wird mich auch nicht ablenken, falls ihr das befürchtet. Dennoch … sie ist die Frau die ich liebe… immer noch, Jiy . Mit meinem Kind wie es aussieht. Das ist schon verrückt.“ ,, Und wo ist sie jetzt ?“ , wollte Jiy wissen, während sie und Roland Zyle wieder aus dem Lager hinaus folgten.

Der Gejarn schien selbst nicht wirklich zu wissen, wo er hin wollte und Jiy wollte besser in seiner Nähe bleiben. Das war wohl wirklich das seltsamste aller Wiedersehen. Und sicher nicht nur für Zyle. ,, Sie schläft jetzt. Ich habe ihr fürs erste mein Zelt gegeben. Da sollte sie es fürs erste bequem genug haben. Ich suche mir später irgendwo einen neuen Platz.“ ,, Und wir können ihr trauen ?“ , fragte Roland. ,, Immerhin, ihr habt sie praktisch…“ ,, Ja. Können wir.“ , unterbrach Jiy ihn einfach. ,, Ich will nur nicht gleich wieder eine

böse Überraschung erleben. Ihr habt auch gesehen, was sie anrichten kann.“ Sie hatten mittlerweile den Rand der Wiese erreicht und gingen am Waldrand entlang. Das Laub lag unter den überhängenden Zweigen bereits knöcheltief und raschelte bei jedem Schritt. Der Winter konnte nicht mehr allzu fern sein, dachte Jiy. Und wenn erst der erste Schnee die Straßen weiter im Landesinneren bedeckte würden vielleicht auch die Kämpfe bis aufs erste zur Ruhe kommen. Hoffentlich. Sie hätte nie vermutet, dass sich all das fast ein Jahr lang hinziehen würde. Und wenn Andre in diesem Jahr nicht bezwungen wurde, wie dann im nächsten, wenn er

wieder Truppen sammeln und sich neu organisieren konnte ? Ihr schauderte bei dem Gedanken, dieser Krieg könnte sich noch über Jahre hinziehen, ohne eine Entscheidung zu finden. Unter ihnen erstreckte sich sanft abfallend das Land bis zum Ufer des Flusses. Einige hartnäckige Blumen, die vom Sommer übrig geblieben waren, stachen als bunte Flecken aus dem Gelbgrün der Halme. Jiy war stehen geblieben. Roland und Zyle taten es ihr gleich. Und trotzdem raschelte das Laub nach wie vor. Zuerst dachte die Gejarn an den Wind. Aber die Luft war völlig

reglos… Ihren zwei Begleitern viel es ebenfalls sofort auf und sie wirbelten in Richtung Wald herum. Zwei Schwerter flogen aus den Scheiden, während Jiy weiter auf das Geräusch lauschte. Es waren Schritte. Irgendjemand näherte sich aus dem Wald. Die Bäume standen jedoch einen guten Steinwurf von der Lichtung entfernt so dicht, dass selbst die Gejarn nur Schatten erkennen konnte. ,, Ihr habt keine Späher ausgeschickt, oder ?“ , fragte sie leise. ,, Nein.“ Roland starrte angestrengt ins Zwielicht. ,, Wer immer da draußen ist , gehört nicht zu uns.“ Gespannt warteten sie darauf, während

die Geräusche näher kamen. Bis auf die wogenden Schatten der Blätter rührte sich eine Weile nichts. Dann jedoch stolperte eine Gestalt ins Licht, die Jiy sofort wiedererkannte. Der rote Mantel, den sie trug wirkte zwar etwas abgetragen und wenn sie sich bis hierher durchgeschlagen hatten, war das wohl kein Wunder, aber Eden grinste, als sie ebenfalls erkannte, wer am Waldrand auf sie wartete. Hinter ihr folgten bereits Erik, Cyrus und Zachary. Sie mussten tatsächlich zu Fuß bis hierhergekommen sein, dachte Jiy bei sich. ,, Jiy.“ Die Kapitänin zog in einer theatralischen Geste den Hut. Sie war sich nicht sicher, ob sie Eden schon mal

eine so schwungvolle Bewegung vollführen hatte sehen. ,, Ich glaube ihr könnt eine gute Nachricht gebrauchen, wie ?“ Edens Blick wanderte zu dem Blutfleck auf Jiys Brust, dem ebenfalls verletzten Roland und Zyle, der nach wie vor nicht ganz auf der Höhe war. Auch wenn das bei ihm andere Gründe hatte. ,, Das könnt ihr glauben. „ , meinte Roland. Der Schock war ihm nach wie vor anzusehen. Falvius war vor allem sein Freund gewesen. Einer, der ihn letztendlich töten wollte. Die anderen hatten ihn kaum so gut gekannt, aber auch Jiy ließ das ganze nach wie vor zutiefst beunruhigt zurück. Das sie

jemand derartig hintergehen konnte tat weh. ,,Wir sind Verraten worden, Eden. Es war Falvius… Er hat uns an Andres Männer verkauft. Zusammen mit Jormund.“ ,, Verdammt.“ , fluchte Cyrus hinter ihr. ,, Und ausgerechnet der ist uns in Lasanta entkommen.“ Jiy konnte sehen, wie sich Zacharys Mine bei diesen Worten verfinsterte. Irgendwie schien der junge Zauberer Älter zu sein, als noch bei ihrem letzten Treffen. Auch wenn er nach wie vor die alte Schweigsamkeit und Zurückhaltung an den Tag legte. ,, Nun jetzt nicht mehr.“ , antwortete Zyle. ,, Er ist tot. Aber durch ihn haben

mehr als zweihundert Mann ihr Leben verloren. ,, Und wir haben die Stadt zurück.“ , meinte Cyrus, ,, Das wären dann wohl zumindest zwei gute Nachrichten.“ ,, Nicht, wenn ihr Lasanta lange Vance überlasst.“ , fügte Eden hinzu. ,, Ist sonst noch etwas passiert, während wir weg waren ? Es gab ab und an Gerüchte, ihr wärt schon in Erindal und würdet das Gebiet um die Stadt unsicher machen.“ Jiy runzelte die Stirn. ,, Bisher haben wir nicht einmal Späher, die so weit voraus wären. Erindal ist immer noch ein gutes Stück südlich von hier. Aber…“ Die Antwort fiel ihr wie Schuppen von den Augen. Kellvian.

Natürlich. Er war dort irgendwo… Und wenn Stimmte, was Eden aufgeschnappt hatte, dann sogar ganz in der Nähe Erindals. ,, Ob etwas passiert ist ?“ fragte Zyle. ,, Relina ist hier.“ Die Rückkehr von Eden und den anderen hatte ihn offenbar auch endlich dazu gebracht, sich wieder zusammenzureißen. Dieser Mann konnte ohne mit der Wimper zu zucken sein Leben riskieren und eine Armee befehlen, aber wenn es um Relina ging zeigte sich eine ganz andere Seite an ihm. Und so erzählte der Schwertmeister gleich alles, was Eden und die anderen verpasst hatten, von der Reise durch die Herzlande, dem Moment, wo sie

Überfallen wurden, wie Relina aus dem Nichts aufgetaucht war bis zu dem Moment, wo die Kapitänin aus dem Wald gestolpert kam. Eden wiederum Berichtete ihrerseits alles, was in Lasanta vorgefallen war, bis sie die Stadt schließlich in der Obhut von Vance Livsey zurück gelassen hatten um sich ihnen wieder anzuschließen. Als sie jedoch davon erzählte wie die Knochenstarre einfach verschwunden war, wurde Jiy stutzig. Sie hatte, wie Roland, bisher nicht einmal gewusst, dass die Gejarn krank gewesen war und der General wirkte nicht weniger überrascht. ,, Ihr meint ihr seid… geheilt ? Wie

?“ ,, Wenn ich das wüsste.“ , antwortete die Kapitänin. Die Luchsin strahlte beinahe und Jiy fragte sich, ob sie sie schon einmal so gut gelaunt gesehen hatte. Ein starker Kontrast zu Roland und Zyle, die beide nach wie vor düster dreinsahen, auch wenn zumindest der Gejarn ab und an wieder lächelte. Vielleicht sollte sie selber später einmal nach Relina sehen, dachte Jiy. Sie hatte bereits einmal versucht ein gutes Wort für Zyle einzulegen. Aber die Zauberin schien seltsam kalt geworden zu sein. Kein Vergleich zu der entschlossenen, aber immer auch herzlichen Frau, die sie für kurze Zeit in Helike gekannt hatte.

Oder geglaubt hatte zu kennen. Das alles wirklich nur wegen dem Laos-Schwertmeister, der ihr gegenüber saß ? Und über so etwas machte sie sich Gedanken… als jemand, die Rache an den Toten übte? Sie waren mittlerweile zurück im Lager, über das sich bereits die Dämmerung senkte. Kochfeuer wurden entzündet und die Rationen für das Abendessen verteilt. Jiy, Eden, Zyle und die anderen hatten sich derweil in eines der großen Zelte in der Mitte des Heerlagers zurückgezogen, jeder eine Schale mit Suppe vor sich. Die Offiziere bekamen die gleichen Rationen wie die übrigen Soldaten, etwas, auf das Roland bestanden und das

Zyle nur zu gerne übernommen hatte. Und Jiy hatte sich letztendlich ebenfalls dafür entschieden. Es war eine Geste, welche die Garde nur positiv auffassen konnte. Die Wahrheit war jedoch, das ihr dieses Essen ohnehin mehr zusagte, als die überladenen Tafeln, die manche Adeligen sogar noch auf weiten Reisen mit sich führten.

Kapitel 79 Der Abend


Man hatte ihnen eine Unterkunft fast ganz am anderen Ende des Lagers gegeben. Cyrus jedoch störte es nicht. Für ihn hatte die Atmosphäre im Heerlager der Garde durchaus etwas vertrautes. Wie viele Jahre seines Lebens hatte er schon in ähnlichen Zelten oder unter dem Sternenhimmel verbracht? Die schwarze Garde war immer unter den letzten gewesen, die ihre Planen aufschlugen und wenn der jeweilige Befehlshaber das mitten in der Nacht nicht mehr gestattete, waren ihnen eben

nur eine Decke und die Hoffnung geblieben, dass es nicht regnete. In diesem Sinne hatte er es diesmal wohl noch gut getroffen. Feuer flackerten in der Dunkelheit und beleuchteten ihren Weg, an den Zeltreihen vorbei. Es war ein seltsames Wiedersehen gewesen, vor allem, nachdem sie endlich erfahren hatten, was während ihrer Abwesenheit alles geschehen war. ,, Armer Zyle. Oder doch Arme Relina ?“ , fragte er halb ernst an Eden gewandt. Erik und Zachary waren schon vor einer Weile zurück zu ihrer jeweiligen Unterkunft. Irgendetwas hatte vor allem dem Jungen zu schaffen

gemacht, nachdem Jiy ihm vom Angriff Jormunds Berichtet hatte. Hoffentlich gab er sich nicht die Schuld. Er hätte es Unmöglich verhindern können. Wer von ihnen hätte vermutet, dass der Herr Lasantas bereits geplant hatte, gegen sie vorzugehen? Und dann noch auf so eine Heimtückische weise. Sie kamen an ein paar weiteren Feuern vorbei, wo sich kleinere Gruppen zusammen gefunden hatten und sich leise Unterhielten. Irgendjemand ließ eine Flasche Mondschein kreisen und es wurde auf dutzende von Namen angestoßen. Die Namen der Toten, die ihre letzte Ruhe auf dem nach wie vor wachsenden Gräberfeld finden

würden. Eden antwortete derweil : ,, Beide.“ Für die Kapitänin war die Frage damit beantwortet. Eine einfache Lösung, die es aber wohl ganz gut traf. ,, Hast du denn schon mal selber darüber nachgedacht ?“ , fragte der Wolf stattdessen. ,, Über was ?“ Eden war langsamer geworden und drehte den Kopf halb in seine Richtung. Vor der Dunkelheit und den Feuern sah sie vermutlich kaum mehr als einen Schatten, dessen Augen schwach glühten. Das war wohl der Eindruck, den er auf die meisten Fremden machte. Und er war ganz froh, dass die Gejarn seine Mine im

Augenblick nicht sehen konnte. Es war auch kein Thema, das er Bewusst anschnitt, mehr ein Gedanke… ,, Kinder.“ Eden schwieg einen Moment, während sie ihren Weg fortsetzten. Allerdings konnte Cyrus sehen, das sie lächelte. Er wusste nicht, wie lange genau sie durch das Lager liefen, für den Moment einfach nur die Gegenwart des anderen genießend. Er hätte sie verlieren können. Der Gedanke war immer noch schwindelerregend. Sie waren beide Kämpfer, nach wie vor. Ihnen war beiden klar, dass jederzeit einer von ihnen hinweggerissen werden konnte. Und doch war das etwas anderes als die

Vorstellung, er hätte mit ansehen müssen, wie Eden langsam einfach verfiel, während ihm nur blieb, dabei zuzusehen… Welches Wunder auch immer dieses Schicksal abgewendet hatte, er war nur dankbar dafür. ,,Nicht wirklich.“ , meinte Eden schließlich. ,, Ich meine… einen Teil meine Lebens habe ich nie gedacht, auch nur je alt genug dafür zu werden. Den anderen habe ich mit Überleben verbracht. Und den Restlichen kennst du. Ich hatte immer Zachary. Und du ?“ ,, Du wirst vermutlich lachen.“ , erwiderte Cyrus. ,, Wenn du mir keine Antwort gibst lach ich in jedem

Fall.“ ,, Also, eigentlich habe ich immer von so etwas geträumt, weißt du. Eine kleine Familie, irgendwo ein Farmhaus in der Nähe von Vara oder vielleicht auch in den Weinbergen von Risara…“ Sie versetzte ihm einen sanften Stoß in die Seite. ,, Also… der große böse Wolf will den Rest seines Lebens als Farmer verbringen, wenn man ihm die Wahl lassen würde ?“ ,, Du nicht ?“ , fragte Cyrus und wusste sofort, das er ins Schwarze getroffen hatte. ,, Nur mit dir.“ , erklärte sie grinsend. ,, Und wenn du schon das Haus planst, Risara, und zwar mit Seeblick. Und ich

müsste die Windrufer irgendwo unterbringen können. Ewig halte ich es doch nicht an Land aus.“ Cyrus sagte gar nichts, sondern legte nur den Arm um sie, während sie weiter gemeinsam durch die Nacht gingen. Jiy zögerte einen Moment vor dem dunklen Zelteingang, eine Kerze in der Hand. Die schwache Flamme schimmerte auf dem blauen Stoff der Leinwand. Für den Herbst, war es eine warme Nacht, in der das Gemurmel von tausenden Stimmen zu hören war. Niemand schlief nach den Ereignissen des letzten Tages besonders gut und in der Ferne konnte die Gejarn auch das Geklapper von

Waffen und Ausrüstung hören. Die eingeteilten Wachen machten sich offenbar bereit, ihren Dienst anzutreten und würden regelmäßig ihre Runden um und durch das Lager drehen. Jiy schlug die Plane im Eingang des Zelts zurück und trat, die Kerze vor sich haltend ein. Fast genau in der Mitte der kleinen Zeltstadt gelegen, waren die Unterkünfte des Hochgenerals nicht zu verfehlen. Etwas größer gehalten, als die Zelte der regulären Truppe, reichte das Licht der Kerze nicht aus, um alles auszuleuchten. Vorsichtig stieg die Gejarn über ein paar Sitzkissen am Boden und an einem niedrigen Kartentisch vorbei. Sie wollte

Relina nicht wecken, aber sie musste auch mit ihr reden und wollte damit ungern bis Morgen warten. Wenn es nach ihr ging, würden sie vor dem nächsten Mittag bereits wieder unterwegs sein. Erindal wartete und jetzt wo sie wusste, das Eden Erfolg gehabt hatte… Ihre Aufgabe kam ihr nicht mehr ganz so drückend vor, wie noch am Vortag. ,,Relina ?“ Jiy hielt es für das Beste, die Zauberin vorzuwarnen. Vor ihr stieg ein einzelner Lichtfunke auf und blieb unter der Decke des Zelts hängen. Das magische Licht tauchte alles in einen silbrigen Schein. ,, Was macht ihr den hier ?“ Relina saß aufrecht auf der Liege, als hätte sie

überhaupt nicht geschlafen. Vielleicht war sie auch schon aufgewacht, als sie das Zelt betreten hatte, überlegte Jiy. Relinas Mine jedenfalls verriet nicht, was sie von diesem nächtlichen Besuch hielt. Jiy stellte die Kerze auf dem Kartentisch ab, bevor sie antwortete: ,, Wir wollen Morgen weiterziehen und ich wollte nur nach dem Rechten sehen… Und um zu wissen, ob ihr mitkommen werdet, vor allem.“ Die Gejarn-Magiern schüttelte den Kopf. ,, Ihr habt mit Zyle gesprochen, oder ?“ , sagte sie ruhig. ,, Vielleicht habe ich das. Darf ich mich setzen

?“ Relina zuckte nur mit den Schultern und rückte ein Stück beiseite, so das Jiy neben ihr Platz fand. ,, Wenn ihr hier seid, um ein gutes Wort für ihn einzulegen, habt ihr den Weg umsonst gemacht. Und ja, ich werde euch morgen begleiten. Falls Zyle euch gebeten hat, mir das auszureden… Vergesst es.“ Das würde wirklich nicht einfach, dachte Jiy. ,,Hat er nicht. Ich wollte euch noch danken, wegen heute. Das hätte anders ausgehen können, wenn ihr nicht aufgetaucht wärt. Aber ja, ich bin auch wegen Zyle hier. Ich werde euch auch sicher nicht bitten ihm zu

verzeihen.“ Relina gab ein bitteres Lachen von sich. ,, Ihr wisst nicht einmal wovon ihr sprecht.“ ,, Dann sagt es mir.“ , meinte die Gejarn, die Arme vor der Brust verschränkt. ,, Wenn ihr nicht mit mir reden wollt gehe ich wieder. “ ,,Nein.“ Ihr gegenüber schüttelte den Kopf, wobei ihr einige lockige, braune Haare ins Gesicht fielen. Jiy sah sie nur fragend an. Nein was ? Das sie gehen sollte oder grade, das Relina doch mit ihr reden würde? Schließlich jedoch meinte sie : ,, Würdet ihr mir vielleicht zuerst t eine Frage beantworten ? Was wurde aus dem Mann,

der euch an Andre ausliefern wollte. Ja, ich habe davon gehört.“ Jiy fluchte innerlich. Ihr war durchaus klar, worauf die Magierin hinaus wollte, aber das war doch überhaupt nicht vergleichbar. Oder ? ,, Ich habe ihn im Wald aufhängen lassen. Die Tiere werden ihn fressen.“ Eine Entscheidung, die sie im Zorn getroffen hatte und bereits jetzt bereute. Er war tot. Damit sollte die Sache eigentlich erledigt sein. ,, Aber ihr könnt unmöglich glauben, das sei das selbe… Falvius war auf seinen eigenen Vorteil aus, nichts sonst. Er hat es mir ins Gesicht gesagt, als er drauf und dran war, mich umzubringen. Für Zlye ist es

ist schrecklich schief gelaufen, aber zählen gute Absichten denn gar nichts? Ich weiß auch, dass das nichts wieder gut macht, aber er wollte nur das Beste für alle Relina.“ ,, Und ihr glaubt, das wüsste ich nicht längst…“ Die Schakalin schien plötzlich ein Stück in sich zusammenzufallen. Ihre Augen glänzten feucht. ,, Ich verstehe es schon sehr lange, Jiy. Ich hatte Wochen und Monate darüber nachzudenken, nachdem er einmal Weg war. Er hat mich verletzt. Aber ja, Absichten zählen auch etwas. Er war immer auf unserer Seite. Obwohl er wusste, was ich davon halten würde… selbst wenn er Erfolg gehabt hätte.

“ ,, Aber ihr könnt es nicht verzeihen.“ Jiy war sich nicht sicher, ob sie das nachvollziehen konnte. So oder so… es passte weder zu dem Bild, das sie in den letzten Stunden von Relina gewonnen hatte, noch zu der Frau, die sie einmal geglaubt hatte zu kennen. Helike hatte einiges für sie alle verändert. ,, Und ich weiß nicht wieso.“ , antwortete Relina. ,,Ich liebe ihn noch immer. Habt ihr eine Ahnung, wie schwer es ist, ihm das nicht einfach sagen zu können? Obwohl ich sehe, wie es ihm dabei geht? Ich kann Zyle nur nicht vergeben. Und das sollte nicht sein. Und solange ich das nicht kann…

ist es besser, er weiß nichts davon. Wir haben beide genug durchgemacht, als das ich ihm falsche Hoffnungen machen wollte. Er kommt nicht darüber hinweg, Jiy. Und jetzt nochmal alte Wunden aufreißen, wenn ich mir nicht sicher bin…“ Jiy legte ihr vorsichtig eine Hand auf die Schulter. ,, Also seid ihr gar nicht so kalt, wie wir alle glauben sollen.“ , stellte sie fest. ,, Ich wünschte es aber Jiy. Das würde es viel einfacher machen. So… bin ich gezwungen den Vater meines Kindes in dem Glauben zu lassen, ich würde nichts mehr für ihn empfinden.“

Aber die Wahrheit konnte kaum anders aussehen, dachte Jiy für sich. ,, Und das Kind ?“ ,, Da fragt ihr wirklich noch ?“ Der ferne Anflug eines Lächelns huschte über das Gesicht der Magierin. ,, Ich habe nur einmal wirklich darüber nachgedacht es… loszuwerden, Jiy. Auf Maras, ihr wart keine Woche weg. Wie hätte ich dort und in meiner Position ein Kind aufziehen sollen? Mal davon abgesehen, dass sein Vater nie wiederkommen würde. Am Ende habe ich mich dagegen entschieden. Ob das das Beste war… ich glaube, das weiß ich im Frühjahr.“ Jiy stand von ihrem Platz auf.

,, Wenn ihr irgendwelche Unterstützung braucht… Erik ist wieder hier und es gibt wohl genügend Ärzte in der Armee. Oder wir können welche Benachrichtigen, damit sie sich uns anschließen.“ ,, Danke. Ihr werdet Zyle aber nichts verraten, oder?“ Sie schüttelte den Kopf. ,, Nein. Das ist eure Sache, Relina. Aber wenn ich eines mittlerweile gelernt habe dann das: Die Wahrheit, egal wie schwer richtet weniger Schaden an, als eine Lüge.“ ,, Ich… werde darüber nachdenken.“ Jiy schlug die Plane am Eingang wieder zurück und verließ das Zelt. Das war ein

seltsames Gespräch gewesen, dachte sie. Aber wenigstens wusste sie jetzt ein paar Dinge besser. Relina tat, was sie glaubte tun zu müssen. Und doch, die ständigen Lügen und Versteckspiele hatten langsam nur noch einen traurigen Beigeschmack. Die Wahrheit mochte am Ende weniger Schaden anrichten, als Gedacht. Aber sie versuchten immer, andere selbst noch davor zu schützen. Gute Absichten führten wirklich immer wieder zu den schlimmsten Folgen. Ein düsterer Gedanke, den hoffentlich die Morgensonne vertreiben würde. Sie wollte eigentlich zu ihrem eigenen Zelt, nun jedoch lenkte sie ihre Schritte weiter. In Rolands Unterstand brannte

noch Licht. Für Jiy zumindest stand weiterhin fest, wohin ihr weg sie führen würde. Sie würde Kellvian finden und dann Lord Andres restliche Truppen zurück über die Berge jagen. Wenn sie Erindal einnahmen, hatte der Herr Silberstedts seine letzte große Bastion diesseits des Gebirges verloren. Und vielleicht könnten auch Relina und Zyle ehrlich zueinander sein, wenn das alles vorbei war und sie wieder die Ruhe dafür fanden. Und je früher es dazu kam, desto besser für alle. Sie trat ohne sich Anzukündigen in das Zelt, wo Roland von einigen Karten aufsah. ,, Wir verlegen unseren Aufbruch vor.“ ,

erklärte sie. ,, Morgen früh will ich, das die Zelte gepackt werden und wir uns wieder auf den Weg machen.“ Der General nickte nur.

Kapitel 80 Ismaiels Pläne


Dieser verrückte Zauberer hatte Lasanta doch tatsächlich einfach ausgeliefert. Und nun erreichte ihn auch noch die Nachricht, das Jormund versagt hatte. Das Ismaiel das alles hinter seinem Rücken geplant hatte, war schon schlimm genug, aber diese Verluste würden einen empfindlichen Schlag bedeuten. Die Kaiserin lebte noch und stand wie es schien schon fast vor Erindal. Er hatte sie unterschätzt, dachte Andre grimmig. Irgendwie hatte es diese Niemand geschafft, seine Truppen weit zurück zu

schlagen… Der Herr Silberstedts lenkte seine Schritte auf den Eingang einer großen Halle zu, die sich dort erhob, wo einstmals sein altes Herrenhaus gestanden hatte. Nach wie vor waren die alten Grundmauern zu erkennen und der Wind trieb Reste von Ruß und Asche mit sich, die Schnee und Eis eine gräuliche Farbe verliehen. Der Bau war der erste Schritt, das Anwesen wieder aufzubauen, so dass er nicht mehr gezwungen wäre, wie irgendein Händler in einem Stadthaus zu leben. Doch es gab einige Schwierigkeiten. Baumaterial zu besorgen war in diesen Zeiten ohnehin nicht einfach und im Boden des Plateaus

klaffte ein gewaltiger Abgrund, der vor einigen Monaten mehrere Gebäude verschluckt hatte. Die Höhlen und alten Minen unter dem Herrenhaus hatten sich bei dem Brand aufgetan und jetzt mussten sie sehen, dass sie das Loch irgendwie wieder versiegelten. Schon alleine, weil Andre wusste, was in den Tiefen lauerte. Er würde ungern erleben, dass es ans Tageslicht kam. Eine Treppe, deren Stufen aus dem Stein bestanden, der beim Brand übrig geblieben war, führte hinauf zum Eingang des Gebäudes. Geschwärzte Holzbalken stützten das Dach. Man hatte auch hier Zwangsweise wiederverwendet, was vom alten Anwesen übrig geblieben

war. Die großen Balken waren einmal Säulen gewesen, die das Dach der Eingangshalle gestützt hatten. Die kunstvollen Schnitzereien waren teilweise noch sichtbar. Zwei Männer in grauen Uniformen hielten an der Flügeltür Wache und öffneten diese sofort, als sie sahen, wie sich der Lord näherte. Im inneren der Halle sorgten mehrere Kohlebecken wie eh und je für Wärme. In den Seitenflügeln wiederum hatte man fürs erste einen Speisesaal, Schlafzimmer und einige Quartiere für Bedienstete untergebracht. Es würde noch eine ganze Weile dauern, bis dieser Ort seine ganze ehemalige Pracht zurück

hätte. Es gab noch eine große Änderung im Aufbau der Halle. Eine Treppe, die im hinteren Bereich nach unten führte, in die Gänge, die das Anwesen einst mit den Minen verbunden hatten. Nun jedoch hatte man die alten Schächte dort ausgebaut und erweitert. Nicht zuletzt auf Anweisung Ismaiels. Außer Andre wagte es offenbar niemand, dem Zauberer die Stirn zu bieten. Nicht einmal Erland, der am Morgen mit den Berichten über den Vorstoß der kaiserlichen Garde zurückgekehrt war. Lord Andre raffte den dunklen Mantel den er trug fester um sich, stieg rasch die aus dem Fels gehauenen Stufen

hinab und ließ die behagliche Wärme der Eingangshalle hinter sich. Zwar isolierte der Stein, aber es war nach wie vor Kühl und an mehreren Stellen tropfte Schmelzwasser von der Decke oder lief in einem kleinen Rinnsal am Boden entlang. Leicht abschüssig, musste man vorsichtig sein, auf dem Moos bewachsenen Felsen nicht auszurutschen. Warum Ismaiel unbedingt hier runter wollte, war Andre ein Rätsel, außer vielleicht, um ungestört zu sein. Der Mann schien sich jedoch eher wenig darum zu kümmern, was andere von seiner Arbeit hielten. Woraus auch immer die Bestand. Andre war nicht zum ersten Mal hier unten, aber bisher hatte

er nur eines gesehen… Leichen. Was immer Ismaiel tat, es war tödlich für die meisten. Und warum musste er sich überhaupt weiterhin mit diesem Mann einlassen ? Alles weil ihm ein paar kaiserliche Agenten durch die Maschen geschlüpft waren. Sein eigener Sohn bekämpfte ihn sogar… Der Gedanke war Andre bitter. Alles wendete sich gegen ihn, wie es schien. Und Ismaiel hatte versagt. Nach wie vor wusste er nicht einmal, wozu der alte Zauberer überhaupt seine Unterstützung brauchte. Außer, das Andre ihm Zauberer, ob nun Gefangene oder einige seiner wenigen verbliebenen Söldner, zur

Verfügung stellte, schien diesen Mann nichts zu kümmern. Er hatte ihm eine Waffe versprochen, stattdessen bekam er einen Dolchstoß… Am Ende des Gangs, dem Andre folgte, stand eine weitere Wache an einer schweren Gittertür. Der Posten zog die Barriere mit sichtlicher Anstrengung auf, bevor der Lord hindurchtreten konnte. Vor ihm lag ein weiterer, großer Saal, direkt aus dem umgebenden Stein gehauen. Einzelne Granitsäulen standen noch und hielten das gewaltige Gewicht der Decke über ihnen. In mehreren, steinernen Becken, die in die Säulen geschlagen waren, brannten bläuliche Flammen und erfüllten den

Raum mit einem unsteten Licht. Andres Schatten tanzte neben ihm die Stufen einer grob behauenen Treppe hinab. ,, Ismaiel ? Wo seid ihr ?“ Andre trat an eine der Lichtquellen und wollte seine Hände an den Flammen wärmen. Allerdings strahlten sie nicht die geringste Hitze ab. Magische Feuer… Natürlich. In Boden jedes der Steingefäße war ein grüner Kristall eingelassen, der sie mit Energie versorgte. Warum konnte dieser Irre nicht Fackeln nutzen wie jeder andere auch? Alleine die Steine mussten ein vermögen Wert sein, auch wenn er sie selber herstellte. Zwischen den schweren Granitsäulen

bewegte sich etwas. ,,Ismaiel ?“ , rief der Herr Silberstedts ungehalten. Warum antwortete er nicht einfach… Andre machte einen Schritt zwischen den Säulen hindurch und fand sich damit im Zentrum der Höhle wiede. Hier war der Boden nicht aus grobem Felsgestein, sondern glattpoliert und mit gewaltigen Platten aus Marmor ausgelegt. Keine simplen Rechtecke, wie sie meist Verwendung fanden, sondern die unterschiedlichsten geometrischen Formen. Dreiecke, Quader, Octaeder und das Material, das in den Fugen dieses verwirrenden Mosaiks glänzte, konnte kaum etwas anderes als reines Gold sein. Ab und an stiegen gelbliche Funken aus

den Lücken auf und lief an den Linien entlang. Magie, die Andres Füße zum Kribbeln brachte und dafür sorgte, dass sich die Haare an seinem Körper aufstellten. Die goldenen Linien liefen alle in unterschiedlichen Winkeln auf die Mitte des Platzes zu, wo sie unter dem Sockel einer großen Kristallschale verschwanden. Die Schale stand auf einem Sockel aus Urgestein, der scheinbar genauso gewachsen war, wie er dort stand. In dem Kristall bewegte sich etwas. Eine silbrige Flüssigkeit, die Andre an Quecksilber erinnerte. Allerdings hatte er noch nie so viel auf einmal gesehen. Normalerweise wurde es von Alchemisten und manchen Ärzten

verwendet, aber immer mit äußerster Vorsicht… Und irgendwie bezweifelte Andre, das das hier wirklich Quecksilber war. Er trat vorsichtig näher an die Kristallschale und spähte hinein. Obwohl es völlig ruhig war, zitterte die Flüssigkeit darin leicht. Es gab kein Spiegelbild auf der Oberfläche, wie Andre fasziniert feststellte. Zwar konnte er die Höhlendecke und alles andere um sich herum darin erkennen, aber seine eigene Gestalt bildete sich nicht auf der silberhellen Oberfläche ab. Er streckte eine Hand aus und tatsächlich wich die Flüssigkeit vor seiner Berührung zurück, formte sich um, um seinen Fingern

auszuweichen… Götter, was war das? ,, Ich würde es nicht berühren, wenn euch euer Leben etwas bedeutet. Und eure Seele.“ , bemerkte eine Stimme hinter ihm. Ismaiel stand ruhig im Schatten einer Säule. Eine zweite Gestalt, die Andre nur schemenhaft erkennen konnte, stand etwas hinter ihm versetzt und zitterte unkontrolliert. ,, Was ist das ?“ , fragte Andre. ,, Man könnte es ein Tor nennen.“ Ein Tor für was, dachte Andre sofort. ,, Sehr schwer zu erschaffen, sehr instabil und… nicht wirklich dafür Gedacht, das ein Sterblicher, noch dazu einer ohne magische Begabung daran herumspielt.

Eine Falsche Geste und eure Seele wird aus eurem Körper gerissen und von den Schatten verschlungen. Ein falscher Gedanke und ihr stürzt vielleicht die ganze Welt ins Chaos.“ Jetzt trat auch die Gestalt hinter Ismaiel ins Licht und Andre erkannte mit Schrecken , das es sich um einen der Magier handelte, die er einst angeworben hatte. Eigentlich waren auch die freien Magier, die als Söldner arbeiteten, Ehrfurcht gebietende Gestalten. Nun jedoch schüttelte sich der grauhaarige, junge Mann vor Angst, während er Ismaiels Schritten folgte. Unfreiwillig und schleppend, aber gegen den Willen dieses… Wesens konnte er sich nicht stellen. ,,

Tretet ans Becken. Und ihr… zurück, Andre.“ Eigentlich wollte er aufbegehren, aber die Kälte in Ismaiels Stimme ließ Andre doch einen Schritt beiseite machen. Und dann noch einen… Weg von den goldenen Linien und dem Kristallbecken voller Quecksilber. Ismaiel wartete, bis der Hilflose Zauberer direkt vor dem Becken stand, bevor er selber, ohne einmal auf eine der Fugen zu seinen Füßen zu treten, hinter die Schale trat. Plötzlich sprangen nicht mehr nur vereinzelte Funken über das goldene Netz, sondern ein wahrer Lichtersturm, der sich von den Granitsäulen her bis zur Schale

ausbreitete. Im gleichen Moment erwachte das Quecksilber erneut zum Leben. Ismaiels Hände bewegten sich mit der Sicherheit eines Schlafwandlers. Jede Geste zeichnete exakte Winkel und Formen in die Luft, während die Flüssigkeit im Kristallglas scheinbar versuchte, die Bewegungen nachzuahmen. Dann plötzlich erstarrte das Silber zu einer festen Form, wie erkaltender Stahl. Völlig klar und ohne Unreinheiten auf der Oberfläche fing es das Licht der Feuerbecken ein. Und nun konnte Andre auch sein eigenes Spiegelbild darin erkennen. Er hatte keine Ahnung, was das

bedeutete, Ismaiel aber wohl umso mehr. Der alte Zauberer war nach der Beschwörung etwas in sich zusammengesunken. Nun jedoch hob er den Blick wieder, ein schwaches Lächeln auf den Lippen. ,, Vielleicht werdet ihr mehr Glück haben als der letzte.“ , meinte er , bevor das Quecksilber wieder flüssig wurde. Andre konnte nichts sehen, aber spüren konnte er es. Es wurde noch ein Stück kälter in der Kammer. Frost breitet sich von der Schale ausgehend ringförmig über den Marmorboden aus. Die Luftfeuchtigkeit gefror um Ismaiel zu kleinen kristallen, die hinab auf seine Kleidung segelten.

Andre stand noch mehrere Schritte entfernt und musste trotzdem zurück weichen. Ie Temperatur müsste jeden normalen Menschen sofort töten. Aber der Zauberer vor ihm bemerkte es kaum. Seine Augen blieben auf den anderen Magier gerichtet. Mittlerweile zitterte der Mann nicht mehr, sondern starrte nur ins Leere. Andre sah zufällig hin, als es geschah. Eine Veränderung, so winzig, aber so grundlegend, das ihn nicht nur wegen der Kälte fröstelte. Die Augen des Mannes verfärbten sich. Waren sie zuvor von einem unauffälligen Braunton gewesen, schlugen sie plötzlich in ein

dunkles Grün um. Einen Herzschlag lang stand der Mann noch regungslos da, dann hob er eine Hand, hielt sie sich vors Gesicht. ,, Nicht möglich.“ , murmelte er abwesend. ,, Kann gar nicht sein. Was…“ Der Zauberer sprang plötzlich zurück, der Blick in seinen Augen wurde gehetzt. ,, Ruhig Bruder… es ist vorbei.“ Ismaiel ging mit ausgebreiteten Armen auf den Mann zu und klang dabei zum ersten Mal geradezu… Freundlich ? . ,,Hörst du mich ?“ ,,Ihr…“ Ohne Vorwarnung riss der Mann eine Hand hoch, aus der eine Feuerlanze

hervorbrach. Ismaiel wehrte den Zauber ab. Das Feuer teilte sich vor dem Zauberer und prallte gegen die Granitsäulen hinter ihm. Der Fels verfärbte sich unter der Hitze schwarz und begann Blasen zu werfen, während sein Gegner keine Anstalten machte, dem Inferno Einhalt zu gebieten. Andre sah, was er eigentlich für unmöglich gehalten hatte. Ismaiel strauchelte einen Moment, bevor er sich doch wieder fing und einen eigenen Zauber anbrachte. Eine Welle aus verdichtete Luft, die den anderen Magier von den Füßen holte und ihn mit knochenbrechender Gewalt gegen eine

der Säulen schleuderte. Betäubt rutschte der Mann zu Boden und blieb liegen, nach wie vor, vor sich hin murmelnd. ,, Wieder versagt…“ Ismaiel schüttelte enttäuscht den Kopf, während er sich vor den Bewusstlosen Zauberer kniete. ,, Ihr tötet unsere Zauberer… für das hier ? Seit ihr eigentlich komplett Wahnsinnig?“ ,, Unsere… Zauberer ja ? Nein. Für die Grundlagen habe ich die Gefangenen genutzt. Die ersten sind direkt gestorben.“ Andre sah den Wahnsinn in den Augen seines Gegenübers aufblitzen. ,, Ich habe eine Weile gebraucht um herauszufinden wie ich es auch ohne

Schmiede und vorgefertigte Konstrukte anstellte… Es braucht nur noch etwas mehr Forschung.“ ,, Es wird keine weiterte Forschung geben.“ , rief Andre. ,, Wovon redet ihr überhaupt ? Seelen ? Was ihr hier tut ist bestenfalls Irre… Was für Seelen ?“ ,, Das Alte Volk.“ , antwortete Ismaiel nur. Diesen Mann interessierte ohnehin nicht, was Andre davon hielt. ,, Ihr seid völlig Irre. Und schlimmer, was ihr hier tut, ist völlig Nutzlos für uns. Ihr habt mir eine Waffe versprochen.“ ,,Und die sollt ihr bekommen.“ , antwortete Ismaiel als er sich schließlich erhob und einen weiteren Zauber über

der zusammengesunkenen Gestalt murmelte. ,, Sie liegt vor euch. Meine… Schöpfungen sind noch nicht perfekt. Sie werden alles angreifen, was sich ihnen in den Weg stellt, fürchte ich. Dennoch, sie haben die Macht des alten Volkes in sich, zumindest teilweise und ich kann ihre Macht unter Kontrolle bringen und ihr könnt sie dann loslassen, wann es euch beliebt. Ich glaube, ich weiß auch schon, an wem ihr eure neue Waffe… erproben könnt.“ ,, Und an wem ?“ , fragte Andre skeptisch. Jetzt verstand er, wieso der Mann die Kontrolle über den Orden hatte haben wollen. Eine endlose… Versorgung mit neuen Zauberern für

seine Arbeit. Andre wurde leicht schlecht. Aber was kümmerte ihn das Schicksal der Magier? Allerdings… bot ihm das hier vielleicht eine günstige Gelegenheit, etwas Kontrolle über Ismaiel zurück zu gewinnen. ,, Nun, ich dachte da an den Ordensobersten. Diesen Quinn. Wie euch Erland sicher bereits Berichtet hat, ist er vor nicht allzu langer Zeit in unser Lager eingedrungen. Was immer er dort wollte… ich habe die Gelegenheit genutzt, ihm einen Spürzauber anzuhängen.“ ,,Und das sagt ihr mir jetzt ?“ , fragte Andre aufgebracht. Der Magier antwortete nicht und das war

auch nicht nötig. Er hatte den Zauber nicht unbedingt dafür nutzen wollen um Quinn an ihn auszuliefern. Wieso hatte Andre das Gefühl, das der Mann grade wieder genau das bekam, was er wollte… ,, Wenn eure… Schöpfung da ihn besiegen kann, kann sie wohl alles Überwinden.“ ,, So ist es gedacht. Und es wird nicht bei der einen Bleiben. Meine Arbeit braucht mehr… Material. Ihr könnt haben was… abfällt.“ ,, Und das nennt ihr ein faires Abkommen ?“ , fragte Andre. Jetzt saß er Ausnahmsweise einmal wieder am längeren Hebel. Es war an ihm, Ismaiel mehr Magier für seine Zwecke zur

Verfügung zu stellen. Und wenn er ihm dies verweigerte, müsste er Aufgeben. Der Zauberer hatte gemeint, er hätte Zeit, aber Andre wusste, jetzt, wo er so weit war, wurde auch ein Wesen wie Ismaiel ungeduldig. Und damit… Kontrollierbar. ,, Ihr bekommt, was ihr wollt.“ ,, Im Tausch für meine letzten Magier.“ , antwortete Adre ungehalten. Es gab eine Sache, die ihm wichtiger waren als Zauberer und dieser ganze Krieg. Ismaiel schloss einen Moment die Augen. ,, Sprecht. Was wollt ihr im Austausch dafür von mir ?“ ,, Ihr werdet mir Zachary hierher bringen. Ihr persönlich. Und zwar

Lebend und unversehrt.“ ,, Was wollt ihr mit einem Sohn, der sich von euch losgesagt hat ?“ ,, Ihn zur Vernunft bringen.“ Der alte Zauberer lachte. ,, Wenn ich ehrlich bin, ist er das Bereits. Vernünftiger als ihr in einiger Hinsicht, das war der Eindruck den ich hatte, als ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe.“ ,,Ihr habt was ?“ ,, Ein ehrliches Geschäft. Abgewickelt. Ich brauchte Jormund, auch wenn er versagt hat… er brauchte die Heilung für eine Krankheit. Und die Übergabe Lasantas. Sagt mir, Andre, hätte ich die Stadt immer noch mit allen Mitteln

verteidigen sollen, selbst wenn das bedeutet hätte, euren Sohn zu weniger als Staub zu verbrennen?“ Dieses Mal war es Andre, der schwieg. ,, Aber ich stimme euch zu,“ , fuhr Ismaiel fort. ,, Zachary wer ein unglaublich wertvoller Verbündeter bestenfalls und ein Verlust für unsere Gegner schlimmstenfalls. Jedoch, der Junge kann auch mir unter Umständen gefährlich werden. Wenn ich ihn euch bringe, brauchen wir eine List.“ ,, Und an was dachtet ihr genau ?“ ,, Etwas, das ein zu guter Köder ist, als das sie daran vorbeilaufen könnten.“

Kapitel 81 Fragen an einen Seher


Der Herbst machte sich auch in den nördlicheren gebieten um Erindal bemerkbar. Nach der Entscheidung der Ältesten, waren sie stetig weiter nach Südosten gezogen, weg aus den Herzlanden und bis fast an die Ostküste Cantons. In der Ferne konnte Kellvian sogar die Brandung hören, wenn der Wind richtig stand. Auf einer Baumbestandenen Klippe hatten die Gejarn eines ihrer Dörfer aufgeschlagen. Vielleicht einhundert aus leichtem Holz und Stroh erbaute Hütten, die aber überraschend standfest waren und mit

dem Laub, das sich auf den Dächern sammelte fast mit der Umgebung verschmolzen. Über die gesamte Provinz u verteilt, musste es mittlerweile ähnliche, kleine Lager geben auch wenn selbst Kellvian nicht genau wusste, wo alle davon waren. Dafür waren es einfach zu viele, aber in kleinen Gruppen konnten sie ihre Anwesenheit hoffentlich so lange wie möglich vor Andres Spähern verbergen. Ein paar Gejarn würden ihn kaum beunruhigen, aber wenn tausend oder mehr davon durch das Land um Erindal zogen würde er sofort reagieren. Der Herr Silberstedts unterhielt eine überraschend starke Truppenpräsenz in

der Gegend. Zwar hatte Kellvian Gerüchte gehört, das Lasanta und auch Erindal an den Aristokratenbund um Andre gefallen waren, aber erst jetzt begann er sie auch zu glauben. Und damit waren wohl auch die übrigen Berichte war, die ihn aus Vara erreicht hatten. Jiy war Kaiserin… Er lächelte bei dem Gedanken. So hatte sich wohl keiner von ihnen den Ausgang ihrer Hochzeit vorgestellt, aber allein das endgültige Wissen, das sie lebte und es ihr gut ging war erleichternd. Und auch sie machten Fortschritte. Im letzten Monat hatten sie damit begonnen, Andres Männer regelmäßig zu

Überfallen. Für eine offene Feldschlacht reichte ihre Anzahl schlicht nicht, aber sie taten alles, was ihnen sonst blieb. Nachschubtransporte überfallen, Angriffe auf Späher und vereinzelte Soldatentruppen oder Männer, die sich zu weit von ihrer Einheit entfernt hatten. Mittlerweile schickten Andres Offiziere nur noch mindestens Dreiergruppen los, egal um was es ging und nachts erzählten sich die Männer Geschichten über Geister, die die Wälder in der Dunkelheit heimsuchten um Unvorsichtige mit sich zu nehmen. Andres Truppen schwanden genau wie ihre Moral, während nach wie vor immer

noch Gejarn zu ihnen stießen, einzeln oder in Gruppen. Die Nachricht über die Entscheidung der Ältesten hatte sich wie ein Lauffeuer unter den Clans verbreitet. Ob aus dem Norden, noch aus den Herzlanden oder aus den südlichen Gegenden in der Nähe, Kellvian schätzte, das sich mittlerweile mehr als fünftausend bewaffnete Gejarn in der Provinz eingefunden haben mussten. Allerdings waren nicht alle davon Kampferfahren. Für diesen Tag waren für die Gejarn, die Kellvian unterstanden keine Überfälle geplant und so gönnten sich die erschöpften Männer und Frauen eine seltene Pause. Zumindest, die

meisten. Kell hatte sich in den Schatten eins fast schon kahlen Baumes gelegt, währen die Mittagssonne die letzten verbliebenen Blätter ausbleichte. Es war überraschend warm hier, obwohl der Winter nur noch ein, zwei Monate entfernt sein konnte. Ein salziger Geschmack, der von der nahen See stammen musste, lag ihm auf der Zunge. Melchior saß ein paar Schritte entfernt auf einer Bank, die man vor einer großen, mit Steinen ausgelegten Feuerstelle errichtet hatte. Der Seher starrte in die Asche, als könnte er dem verkohlten Holz noch irgendwelche Hinweise entnehmen. Die Pfeife, die er

sich angezündet hatte, brannte unangetastet in seiner Hand. Kellvian stand lautlos auf, klopfte die Blätter aus seiner Kleidung und setzte sich dann zu ihm. Der Seher hatte seinen Bernsteinstab neben der Bank abgestellt. Die Knochentalismane, der an einer Kette daran hing, schlugen in der leichten Brise wie ein makabres Windspiel aneinander. Die Gebäude, die sich an die umstehenden Bäume schmiegten, waren selbst, wenn man sich mitten im Dorf befand mehr zu erahnen, als das man sie direkt erkennen konnte. Lediglich die ausgetretenen Spuren im Laub zeigten einem, wo sich Eingänge oder

Kreuzungen zwischen Hütten befanden. Derweil Lucien hatte um sich einige der jüngsten Neuankömmlinge versammelt und jedem einen einfachen Holzstab in die Hand gedrückt. Passende Äste ließen sich hier draußen schnell finden und passend zurechtschnitzen. Der kaiserliche Agent hatte das Kinn und die Arme auf einen Stab gestützt und musterte die kleine Gruppe vor sich, beinahe gelangweilt, wie es schien. Syle stand dabei und hatte eine Hand auf den Griff des Messers gelegt, das er jetzt immer zu tragen schien. Kellvian hatte die Waffe zum ersten Mal in Vara gesehen, eine rituelle Waffe und ein Geschenk des Ältesten der

Wölfe. ,, Also, wer von euch hat schon einmal eine Waffe in der Hand gehabt ?“ , fragte Lucien. Mehrere Hände hoben sich. ,, Mit Waffe, meine ich nicht, das ihr einmal mit einer Pistole geschossen habt, oder Steinspeere oder Bögen. Die mögen zur Jagd taugen, aber gegen eine gepanzerte Kavallerieeinheit sind sie etwa so wirkungsvoll, wie ein Stöckchen darin, einen rollenden Felsblock aufzuhalten. Übrigens seht ihr danach auch genau so aus, als wenn ihr das versuchen würdet.“ Genauso viele Hände, wie sich eben noch gehoben hatte, senkten sich wieder, was

Lucien mit einem nicken quittierte. ,, Na bitte.“ ,, Ihr braucht sie nicht gleich ganz zu entmutigen.“ , meinte Syle neben ihm. ,, Ein Bogen kann euch nützen wenn euer Ziel nicht gepanzert ist, oder nur einen Kürass trägt, wie die meisten Offiziere und Musketiere. Leider können wir nicht davon ausgehen, dieses Glück immer zu haben.“ ,, Deshalb werdet ihr auch lernen, richtig zu kämpfen und nicht nur wie aufgeschreckte Hühner herumzulaufen. Du !“ Lucien warf einem verdutzten Löwen seinen Stab zu, der die Waffe grade noch Auffangen konnte. Der kaiserliche Agent nahm derweil einen

zweiten Stock von einem Stapel, der unter einem nahen Baum lag. Einen Moment ließ er die improvisierte Waffe elegant ums Handgelenk kreisen. ,, Passt auf, das ihr euch nicht gleich selbst die Nase brecht.“ , mahnte Syle. Mittlerweile war auch Fenisin dazu gekommen und betrachtete das Schauspiel. Lucien stoppte die Drehbewegung des Stabs mit dem Fuß. ,, Wenn ihr nachher Zeit habt, könnt ihr es ja stattdessen Versuchen.“ ,,Lucien…“ , brummte Syle nur. ,, Wolltet ihr nicht irgendetwas tun ?“ ,, Richtig.“ Der kaiserliche Agent wendete sich wieder dem jungen Löwen

zu. ,, Ich will, das ihr mich angreift und dabei versucht, mich zu treffen. Wenn es euch gelingt, gut. Wenn nicht… werde ich euch später erklären, was ihr falsch gemacht habt.“ Der Gejarn nickte und trat, die Waffe verkrampft haltend, auf den kaiserlichen Agenten zu. Der erste Hieb war stümperhaft und geriet beinahe zu kurz, um Lucien auch nur zu treffen. Er parierte den Schlag und statt der Brandung tönte nun das Geräusch von Holz, das in rascher Folge auf Holz prallte durch den Wald. Luciens Gegner wurde offenbar mutiger. Er wagte sich weiter vor, griff weniger zögerlich an. Einmal machte er einen Ausfallschritt

zur Seite und versuchte, in die ungeschützte Seite des Agenten zu kommen. Dieser bemerkte jedoch, was der Löwe vor hatte und ließ ihn ins Leere stolpern. Ein sanfter Stoß mit dem Übungsstab in den Rücken und sein Gegner landete, das Gesicht voran, im Laub. ,, Euch macht das scheinbar Spaß.“ , bemerkte der Löwe. ,, Ich darf mal ohne Scheu auf anderen Herumhacken, was soll mir daran keinen Spaß machen ?“ , auf Luciens Gesicht zeigte sich ein breites Grinsen, während er seinem Gegner aufhalf. ,, Das war schon gut. Ein bisschen Übung und bald fallt ihr nicht mehr so schnell auf die

Nase.“ Der kaiserliche Agent drehte sich wieder zu den übrigen Gejarn um, stockte jedoch, als er eine bekannte Gestalt sah, die mit einem Stab in der Hand unter die Wartenden trat. ,, Mhari ?“ Lucien musterte die Frau unsicher. Die grauhaarige Gejarn-Älteste ihrerseits legte den Kopf auf die Seite, die Hände entspannt auf die Übungswaffe gestützt. Kellvian stand wie Melchior von der Bank auf. Spätestens seit seinem seltsamen… Erlebnis unter den Seelenbäumen, war er sich sicher, dass sie mehr war, als sie vorgab zu sein. Und vor allen die Löwen, wie der, den

Lucien grade besiegt hatte, behandelten sie mit ausgesuchtem Respekt, den sie scheinbar nicht einmal den anderen Ältesten zukommen ließen. ,, Jetzt sagt bloß, ihr wollt in eurem Alter noch kämpfen lernen ?“ , fragte Lucien leicht spöttisch. ,, Ich kann es wohl zumindest versuchen.“ Ihr Gesicht zeigte keine Regung, aber irgendetwas in ihren Augen leuchtete auf, wie stummes Gelächter. Lucien zuckte mit den Schultern. ,, Ich will euch aber wirklich nicht verletzen.“ Mhari grinste nun tatsächlich. ,, Das könnt ihr gar nicht.“ ,, Ach

? ,, Versucht es, wenn ihr mir nicht glaubt. Ihr könnt mich nicht täuschen.“ Damit, dachte Kell, während er gespannt zusah, könnte sie allerdings sogar Recht haben. Wen er eines wusste, dann das die Gejarn Lügen sehr leicht durchschaute. Ob das jedoch einfach eine Angeborene Eigenschaft war, oder etwas, das sie gelernt hatte, darüber konnte er nur spekulieren. Und natürlich darüber, ob das auch auf einen Kampf zutraf. Der kaiserliche Agent zuckte erneut mit den Schultern, bevor er einen schnellen, unvorhersehbaren Stoß auf Mharis Schulter führte. Kell fürchtete bereits, das sich gleich jemand um die verletzte

Älteste kümmern musste, doch statt einem Schmerzensschrei hörte er nur den dumpfen Schlag von Holz, das auf Holz traf. Mhari hatte den Angriff scheinbar ohne Mühe abgewehrt. ,, Wie gesagt…“ , meinte sie. ,, Reines Glück.“ Lucien sprang zurück und wollte nun offenbar ernst machen. Der kaiserliche Agent griff wiederholt an, versuchte, ebenfalls in die Seite der Gejarn zu gelangen, oder sie vielleicht wenigstens am Fuß zu erwischen. All dies führte nur dazu, das er nach mehreren Minuten schwer atmend da stand. Schweiß lief ihm übers Gesicht, während die Gejarn nach wie vor völlig

entspannt war. Kellvian hatte keine Ahnung, wie sie das machte, aber eines war ihm aufgefallen. Mhari bewegte sie nur, wenn sie musste. Statt ihrem Gegner zu folgen, oder sich wenigstens etwas mi der Waffe zu schützen, wartete sie bis zum letzten Moment um dann genau im richtigen Moment zu parieren. Es war seltsam mit anzusehen… ,, Na wartet…“ Lucien stürzte erneut vor. Dieses Mal jedoch, schlug Mhari zu. Der Angriff des kaiserlichen Agenten lief ins Leere und er bekam einen Schlag in die Kniekehle. Er klappte mit einem kurzen Aufschrei

zusammen. ,, Und ?“ , wollte Mhari wissen, als sie ihm wieder auf die Füße half. ,, Ich bin grade von einer alten Gejarn verdroschen worden, Mhari. Ich wäre jedem hier sehr verbunden, wenn er das sofort wieder vergisst…“ Syle lachte. ,, Ich fürchte, das behält hier niemand für sich. ,, Das ist nicht lustig.“ , beschwerte der Agent sich, stimmte dann aber doch mit ein. ,,Aber vielleicht schicken wir die Ältesten in Zukunft als eigene Gruppe los. Was glaubt ihr wie Andres Offiziere reagieren, wenn sie eine kleine Streitmacht aus Graupelzen vor sich

sehen?“ Fenisin, der allem schweigend gefolgt war, schüttelte nur ungläubig den Kopf. Später am Abend, als in der Feuergrube im Dorf ein kleines Feuer brannte, wollte Kellvian von Melchior erfahren: ,, Wisst ihr eigentlich… wer sie ist?“ Abends wurde es schnell ruhig in dem Nomadendorf. Die meisten waren froh, eine Nacht in Ruhe verbringen zu können und Luciens Rekruten wohl erleichtert, dem kaiserlichen Agenten fürs erste zu entkommen. Nach Mharis Denkzettel war das Training nicht mehr ganz so verlaufen, wie Lucien sich das vorgestellt

hatte. Kellvian und der Seher waren für einen Augenblick alleine am Feuer und er wollte die Zeit nutzen, um vielleicht etwas in Erfahrung zu bringen. Mhari selbst irgendwie dazu zu bewegen, vielleicht etwas zu erzählen, hatte dabei wenig Sinn. Sie hatte, wie angekündigt, demonstriert, dass man sie schwer täuschen konnte. Und Kellvian bezweifelte, dass sie all zu viel von sich aus verraten würde. ,, Sie ist gar nichts.“ , antwortete Melchior. ,, Wie meint ihr das ?“ ,, Genau, wie ich es meine. Ich kenne sie nicht. Man sollte doch denken können,

ihr hättet euch langsam an die Gesellschaft seltsamer Leute gewöhnt.“ ,, Trotzdem.. ihr wisst einmal etwas nicht?“ Kell glaubte ihm dieses Mal zumindest. Wenn der Seher ihm etwas verschwieg, hatte es bisher noch nicht geschadet. Egal, wie es anfangs ausgesehen haben mochte. ,, Junge…“ Der Seher lächelte. ,, Ich sehe die Zukunft. Die Vergangenheit von jemand ist etwas völlig anderes. Wenn ihr eine Lebensgeschichte haben wollt… fragt sie oder jemanden, der sie kennt“ Kellvian musste selber lachen. ,, Ich hole noch etwas Feuerholz.“ , erklärte er. Die anderen würden sicher auch bald zurückkommen. Und Morgen wären sie

vielleicht bereits wieder Unterwegs, wenn Fenisins Späher ein lohnendes Ziel gefunden hatten.

Kapitel 82 Wortbruch


Zwei Wochen später, fand Kellvian sich erneut im Laub liegend wieder. Diesmal jedoch unter einer Schicht aus Blättern verborgen, die sich wie ein Mantel über ihn legten. Es hatte geregnet und ab und an tropfte Wasser in den Halsausschnitt seines Hemds. Wenn das die einzige Unannehmlichkeit wäre, hätte er sie wohl ohne einen Gedanken ertragen. Aber sie warteten jetzt seit über einer Stunde und das war schon schwer genug, wenn einem nicht irgendwelche Insekten durch die Kleidung oder die Haare

krochen. Aber es würde sich lohnen. Sie hatten erfahren, dass Andre offenbar regelmäßig Transporte über diese Straße sandte und die tiefen Wagenspuren, die sich in die aufgeweichte Erde gegraben hatten, gaben dem Recht. Wasser hatte sich in den Furchen gesammelt und die Straße praktisch unpassierbar gemacht. Vielleicht würde heute gar kein Wagen mehr vorbei kommen, überlegte Kellvian. Es sei denn, was immer sie transportierten, war Andre wichtig genug. Nur hatten sie eben keine Ahnung, was das sein könnte… Oder wann. Und so blieb ihnen nur, sich auf die Lauer zu legen und abzuwarten. Wenn es

ihnen gelang, eine dieser Lieferungen abzufangen, würden sie ihre Antworten bekommen. Kellvian sah sich nach den anderen um, konnte sie aber nicht entdecken. Die Tarnung war fast perfekt, obwohl Syle irgendwo direkt neben ihm am Hang liegen musste, der Oberhalb der Straße entlang führte. Ein weiterer Teil der Männer hatte sich hingegen auf der anderen Weg-Seite eingegraben, wo sich ein kleiner Bachlauf zwischen den Bäumen hindurchwand. Die erneuten Regenfälle hatte den Bach über seine Ufer treten lassen und weiter die Straße entlang, überspülte er sie sogar, dort, wo eine kleine Mühle stand,

die Kell und die anderen auf dem Weg hierher passiert hatten. Kellvian bezweifelte immer stärker, das sie heute Glück haben würden. Niemand wäre so verrückt, einen Transport bei diesem Wetter und Straßenzustand auf den Weg zu schicken, es sei denn es ließ sich nicht vermeiden. Dann jedoch hörte er etwas. Nicht das Rascheln von Laub, wenn sich einer der Männer, mit denen er sich Verborgen hatte, sich bewegte, sondern schwere Schritte, die langsam nähert kamen. Zusammen mit den Schritten hörte er auch das Platschen von Schmutz und Schlamm und das Knarren von Wagenrädern. Und dann sah er sie

auch. Es waren insgesamt drei, mit Fellen und Planen abgedeckte, Karren, die von Pferden über die Straße gezogen wurden. Kellvian konnte das Silberspinnen-Wappen erkennen, das auf den Decken aufgestickt war. Die Tiere hatten sichtlich Mühe, sich durch den aufgeweichten Boden voranzukämpfen und die Soldaten, das sie begleiteten, schienen auch nicht grade begeistert. Die grau uniformierten Männer waren nass bis auf die Haut und ihre Stiefel mit Schlamm verkrustet, der jeden Schritt mühseliger machte. Es waren vielleicht Fünfzehn Stück und Kell sah sich beunruhigt um, ob ihnen

nicht noch mehr folgen würden. Aber es blieb ruhig. Offenbar war das da unten wirklich alles, was Andre zum Schutz dieses Transports abgestellt hatte. Und wenn ein Magier darunter wäre, würde Kell ihn wohl spüren. Zumindest hoffte er das. Seine Gabe war seit Helike nicht mehr besonders verlässlich gewesen. So oder so, sie würden es riskieren. ,, Lasst sie näher kommen, bis sie genau zwischen uns sind.“ , flüsterte Kell. ,, Es sind zu wenige.“ , antwortete Syle irgendwo rechts neben ihm. Er konnte zwar ungefähr abschätzen, wo der Gejarn sich befand, aber sehen konnte er bestenfalls ein paar Umrisse und das glitzern zweier Augen, die den Zug

unten auf der Straße verfolgten. Genau das hatte Kellvian auch schon gedacht. Das war geradezu eine Einladung. Oder aber Andres Befehlshaber hofften, dass der Transport bei dem Wetter ohnehin unbemerkt bleiben würde. Das änderte seinen Entschluss jedoch nicht. ,,Ich weiß. Aber wir wagen es trotzdem. Ich will wissen, wofür Andre den ganzen Aufstand veranstaltet. Jetzt !“ Mit diesen Worten sprang er auf und die anderen taten es ihm gleich. Hatten Andres Wächter eben noch geglaubt, sich auf einem leeren Straßenabschnitt zu befinden, mussten sie schreckensstarr

zusehen, wie gut dreißig bewaffnete Gejarn und Menschen wie aus dem Nichts um sie herum auftauchten. Syle sprang die Böschung hinab, das Schwert schon in der Hand und streckte den ersten Posten nieder, bevor dieser auch nur dazu kam, die Waffe zu heben. Schüsse hallten durch den Wald, als die Soldaten endlich reagierten. Einige gingen hinter den Wagen in Deckung, andere stellten sich den von zwei Seiten auf sie eindringenden Gegnern. Kellvian fand sich in einem kurzen Schlagabtausch mit einem der Soldaten wieder, der jedoch ein plötzliches Ende fand, als ein Bolzen den Hals des Mannes durchbohrte. Er sah sich einen Moment

um und entdeckte Lucien. Der kaiserliche Agent saß in einer Astgabel, die etwas über den Weg hinausragte und machte sich bereits wieder daran, die Armbrust zu spannen. Er nickte dem Mann kurz zu. ,, Nehmt Gefangene !“ , rief er über das kleine Schlachtfeld hinweg. Mittlerweile waren die meisten Soldaten entweder tot oder verletzt. Die wenigen, die noch Wiederstand leisteten, hatten sich hinter den letzten Wagen in der Kolonne geduckt und schossen über die Planen hinweg. Fenisin, der sich mit einigen Gejarn bisher im Wald verborgen gehalten hatte, rief ein paar Anweisungen und die

letzten Überlebenden wurden Eingekreist. Im nächsten Moment warfen sie auch schon die Waffen weg. Alles in allem hatte der Angriff keine zehn Minuten gedauert und alles war vorbei gewesen. Das Wasser in den Furchen hatte sich mit Blut vermischt und verfärbte sich langsam rot. Der Anblick hatte für Kellvian schon lange jeden Schrecken verloren. Dafür hatte er es mittlerweile zu oft gesehen. Auf ihrer Seite gab es nur wenige Verletzte, welche rasch von der Straße weg und in den Schutz der Böschung gebracht wurden, wo sich die Heiler der Clans um sie kümmerten. Er sah sich rasch nach seinen Gefährten

um, die jedoch alle Unverletzt schienen. Lucien kletterte grade vom Baum, den er sich als Beobachtungsposten ausgesucht hatte, während Fenisin und Mhari die Versorgung der Verwundeten überwachten. Jeder hier kannte seine Aufgabe schon lange. Kellvian winkte Syle zu sich und trat auf den mittleren der Wagen zu. Die Zugpferde waren mittlerweile abgespannt worden, um sie laufen zu lassen, bevor man die Wagen in Brand setzte. Was immer hier drauf war, sie konnten sich so oder so nicht damit abmühen. Kell streckte eine Hand nach der Plane aus, die das Gespann bedeckte und schlug sie beiseite. Er wusste nicht genau, was er

erwartet hatte. Das was er hier vor sich sah zumindest nicht. Es war Holz. Sauber zugeschnittene und geschliffene Bögen, Bretter und Stöcke, auf denen man bereits Markierungen für weitere Arbeiten angebracht hatte. Für Bögen oder Gewehre war es wohl nicht gedacht, Waffenschmiede gab es überall, da brauchte man nichts weit transportieren… Kell schloss die Plane wieder und ging zum ersten Wagen in der Reihe. Dieses Mal war es Syle, der den Wagen öffnete. Glas…. Linsen aus gut daumendicken Scheiben in den unterschiedlichsten Größenlagen, in Samt geschlagen um sie vor Schäden zu schützen, auf den

Brettern im Innern. ,, Habt ihr eine Ahnung was das ist ?“ Kellvian schüttelte den Kopf, während er eine der Linsen in die Hand nahm. Aber er hatte ein ungutes Gefühl. Als ob ihm das hier etwas sagen müsste. Der Blick durch das Glas vergrößerte alles etwas, so wie die Mikroskope, die in Vara benutzt oder die Brillen und Okulare , die von manchen , vor allen reicheren, Menschen mit schlechten Augen getragen wurden. Am dritten Wagen schließlich, wo die Gefangenen warteten, fanden sie einen ganzen Stapel von Spiegeln, manche nur Handtellergroß, während andere die gesamte Lagefläche einnahmen. Warum

nur kam ihn das alles hier so bekannt vor? Kellvian starrte die Spiegel an, als würde ihm das irgendeine Antwort bringen. Er war sich mittlerweile sicher, es schon einmal gesehen zu haben. Nur Wo ? Vara. Die Antwort fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Die Lichtwaffe, die Andre dort eingesetzt hatte, bestand aus genau den Teilen, die er hier vor sich hatte. Nur waren es wohl zu viele, als das sie nur für eine einzige Waffe bestimmt sein konnten… Lord Andre baute also mehr. ,, Das ist Material für eine Waffenschmiede.“ , murmelte

er. ,, Eine Waffenschmiede ?“ Syle sah ihn ungläubig an. Kell nickte und deutete auf die Spiegel. ,, Wir haben beide schon einmal unangenehme Erfahrungen damit gemacht .Ihr erinnert euch ?“ Verstehen zeigte sich auf dem Gesicht des Bären. ,, Und ob. Andre muss vorhaben eine ganze Schiffsladung voll mit Spiegelwaffen zu bauen.“ ,, Und wir wissen beide, wie Effektiv die sein können.“ Sie mussten unbedingt herausfinden, wohin die Lieferung gebracht werden sollte. Mit so einer Schlagkraft könnte Andre ganze Armeen auslöschen, wenn ihm danach war.

Kellvian trat an dem Wagen vorbei auf die Gefangenen zu. Die Männer saßen am Boden, bewacht von einem halben Dutzend Gejarn, die Gewehre und Degen auf sie gerichtet hielten. Er bedeutete einem Mann in einem schmutzigen Uniformrock, aufzustehen, bevor Syle ihn bei den Schultern packte und etwas abseits von den anderen führte. ,, Wofür ist das alles bestimmt ?“ , wollte Kellvian wissen. ,,Ich verrate euch garantiert nichts, Bandit.“ Offenbar hielt der Mann sie tatsächlich für eine Gruppe Räuber. Genau

genommen konnte Kellvian ihm das nicht einmal verübeln. Nach Wochen in der Wildnis sah hier niemand aus, als stelle er die momentane Leibwache des Kaisers. Und er selber wirkte mit Laub und Erde verdreckt wohl auch nicht wie der Herrscher der Welt. Sofern dieser Titel überhaupt noch zutraf. Allerdings war er auch nicht in der Stimmung, den Fehler des Mannes zu korrigieren. ,, Sagt mir nur, wohin diese Lieferung gebracht werden sollte und ich lasse euch und eure Männer laufe. In die andere Richtung wohlgemerkt.“ Er wollte sich nicht mit ihnen Abmühen und sie auch nicht töten. Aber er konnte auch nicht zulassen, dass sie zu schnell

Bericht erstatteten. Sobald er seine Antwort hatte, würden sie zur Waffenschmiede des Aristokratenbundes aufbrechen. Das Zeitfenster wäre kurz, wenn sie herausfinden wollten, womit sie es zu tun hatten. ,, Als ob ich euch glaube.“ Der Soldat versuchte sich frei zu strampeln und trat nach Kellvian. Syle jedoch hielt ihn weiter fest umklammert und nahm den Arm des Mannes in einen Hebel. ,,Schön ruhig bleiben Freundchen.“ , rief der Gejarn. Ein schmerzerfülltes Keuchen beendete den Fluchtversuch schließlich. Mut hatte der ja, das musste Kellvian ihm lassen. ,, Ihr habt mein Wort.“ , erklärte er und

kniete sich etwas hin, so das er wieder auf Augenhöhe mit dem Gefangenen war. ,, Das Wort eures Kaisers.“ Plötzlich schien der Mann zu verstehen, wen er vor sich hatte. ,,Ihr geltet als Tod… Ihr…“ ,, Also, was ist jetzt ? Es ist das einzige Angebot das ich euch machen werde. Wenn nicht, werden wir euch an einen Baum binden und hier zurück lassen. Ich glaube jedoch nicht, dass hier oft jemand vorbei kommt… Und ganz sicher nicht mehr heute.“ Der Mann zögerte. ,, Alle von uns kommen frei ?“ Aus seiner Stimme sprach echte Sorge um die Leute, die ihn

begleiteten. Kellvian nickte. ,, Um die Verletzten kümmern wir uns und werden sie in Gewahrsam nehmen, bis wir wissen, ob ihr die Wahrheit sprecht. Seht es als Rückversicherung meinerseits. Aber ihr und eure Leute könnt gehen.“ ,, Ihr seid… ein seltsamer Feldherr, so ein Angebot zu machen.“ ,, Und ihr wärt ziemlich dumm, es auszuschlagen. Also ?“ ,, Es gibt eine große Lichtung, südlich von hier. Dort haben wir auf Befehl von Lady Kathrin und Lord Andre eine Waffenschmiede errichtet, damit er seine neue… Waffe auch in größerem Umfang nutzen

kann.“ Kathrin. Kellvian kannte den Namen, hörte ihn aber grade zum ersten Mal in Zusammenhang mit Andre. Die Herrin Erindals… Eigentlich war abzusehen gewesen, dass die komplette Stadt sich dem Aristokratenbund verschrieben hatte. Jetzt hatte er die Bestätigung. ,,Folgt dem Weg, bis ihr an eine Gabelung kommt, biegt dort nach links.“ , fuhr der Soldat mittlerweile fort. ,, Wendet euch dann nach Südosten und lauft, bis ihr die Hammerschläge hört. Von dort, ist es nicht mehr zu verfehlen.“ Der Mann seufzte. ,, Also, was jetzt ?“ ,, Ich halte mein Wort. Syle, lasst ihn

los. Die anderen auch.“ Der Gejarn lockerte seinen Griff um den Mann und versetzte ihm einen Stoß, weg von sich. Währenddessen durchtrennten ihre Bewacher die Fesseln der übrigen Gefangenen, insgesamt drei Männer, die sich einen Moment verwirrt umsahen. ,, Geht, lauft !“ , wies Syle sie an. Das ließen sie sich nicht zweimal sagen und gefolgt von dem Mann, mit dem Kellvian sich unterhalten hatte, brachen sie rasch auf. ,, Und kommt ja nicht auf die Idee, umzudrehen, bevor ihr das nächste Dorf erreicht !“ , rief der Gejarn ihnen hinterher. ,, Wir merken das.“ Kellvian überlegte, ob es vielleicht klug

wäre, ihnen ein paar Späher hinterherzuschicken, die ein Auge auf sie hatten. Es wäre in jedem Fall sicherer, als ihnen Blind zu vertrauen. Bevor er jedoch eine Entscheidung treffen konnte, riss ihn ein Schuss aus seinen Gedanken. Zuerst fürchtete er, das einer der Gefangenen eine Waffe verborgen hatte. Dann jedoch strauchelte stattdessen eine der laufenden Gestalten, einen Blutfleck im Rücken, der sich rasch ausbreitete. Einen Moment strauchelte der Soldat noch, dann schlug er in den Schlamm. Kellvian hatte keine Ahnung, was grade geschehen war, aber es lief ihm Eiskalt den Rücken herunter. Er wirbelte herum

und sah grade noch eine Gruppe von Gejarn, die auf die Flüchtigen anlegten, die nun zu rennen begannen. Unter ihnen war auch eine Gestalt, die Kellvian erkannte. Der Löwe, mit dem Lucien vor einigen Wochen trainiert hatte. ,,Nein , ihr Wahnsinnigen !“ Kell war zu langsam. Ein zweiter Schuss löste sich und kurz darauf ein dritter, bevor er die Gejarn erreicht hatte. ,, Ihr habt uns euer Wort gegeben.“ Die Stimme des Mannes, der ihnen die Position des Lagers verraten hatte, erreichte ihn noch. Dann ging sein Ruf in einem vierten Schuss, dieses Mal aus der Muskete des Löwen unter.

Syle war schneller als Kellvian, aber auch er war letztendlich nicht schnell genug. Der Bär setzte an ihm vorbei und schlug einen der Schützen nieder, als dieser grade ein zweites Gewehr vom Boden aufhob. Der Mann stürzte und blieb, sich die verletzte Schnauze haltend, am Boden liegen. Es war allerdings ohnehin zu spät, wie Kellvian mit einem Blick über die Schulter feststellte. Alle vier gefangenen lagen hingestreckt auf der Straße. Keiner war besonders weit gekommen… Die Männer wichen derweil von Syle zurück, während auch der Rest ihrer Truppe mittlerweile gemerkt hatte, was

vor sich ging. Ein kleiner Ring aus fragenden und verständnislosen Gesichtern schloss sich um Syle, Kellvian und die drei noch stehenden Schützen. Irgendwo konnte er Lucien etwas rufen hören. Vermutlich kam der Agent schlicht nicht mehr durch. ,, Herr ?“ , fragte der Löwe verständnislos. Erst jetzt bemerkten die drei offenbar, dass etwas nicht stimmte. ,, Was habt ihr euch dabei gedacht ?“ Kellvian raste vor unterdrückter Wut. Götter, hätte er noch einen Funken Kontrolle über diesen Teil seiner Magie, der Mann wäre bereits Asche. ,, Ich..“ ,, Was ihr euch dabei gedacht habt ,

habe ich gefragt !“ ,, Ihr… Das ihr sie gehen ließt war doch sicher nur ein Vorwand, oder?“ ,, Und ihr seid keine Sekunde auf die Idee gekommen, mich einfach zu Fragen, bevor ihr unbewaffneten Männern in den Rücken schießt ?“ Seine Stimme war leise geworden, tödlich leise. Statt vor Wut zu zittern, klang er plötzlich ganz ruhig. ,, Ich habe ihnen mein Wort gegeben ihr Narr…“ Syle versuchte ihn bei Seite zu ziehen, aber er schüttelte die Hand des Bären einfach ab. Sicher, der Gejarn könnte ihn aufhalten, wenn er wollte, aber dafür war er zu loyal. Und die blendende Wut, die ihn befallen hatte, würde sich im

Augenblick auch gegen Syle richten, würde er sich Kellvian in den Weg stellen. Götter… Er hatte sein Wort gegeben. Der Löwe seinerseits antwortete gar nicht mehr. ,, Was ist passiert ?“ Fenisin drängte sich, Melchior und Mhari im Schlepptau, durch die Menge. Der Älteste erfasste die Situation scheinbar blitzschnell. Die vier Männer, von denen einer grade erst wieder auf die Füße kam, sich nach wie vor die Nase haltend, den vor Zorn zitternden Kellvian und Syle, der nicht minder angespannt zwischen ihm und den vier Gejarn stand. ,, Jeder von ihnen hat grade einen Mann

getötet, dem ich die Freiheit geschenkt habe.“ Nach wie vor klang Kellvians Stimme viel zu ruhig. ,, Sagt mir, Fenisin, welche Strafe steht bei eurem Volk auf offenen Mord ?“ ,, Ein Toter mehr oder weniger…“ , setzte der Löwe an, der scheinbar endlich seine Sprache wieder gefunden hatte. ,, Sie hätten nicht sterben müssen. Fenisin ? Ich warte…“ ,, Was wollt ich tun, sie hinrichten ?“ , fragte Mhari kühl. Irgendwie drangen ihre Worte etwas durch den dunklen Schleier, der sich über seinen Geist gelegt hatte. ,, Das hätte eine gewisse

Ironie.“ Jetzt verteidigten diese beiden sie auch noch. Kell war kurz davor, einfach gar nichts mehr zu sagen und den ersten der Männer niederzustrecken, aber Mharis Worte rührten wieder an dem rationalen Teil seines Verstandes. Langsam, ganz langsam wurde er sich Bewusst, was er grade fast im Begriff war, zu tun… ,,Nein.“ Er nahm die Hand vom Schwert und spürte erst jetzt, dass sich seine Hände praktisch in das Heft gegraben hatten. ,, Wir werden über sie Urteilen.“ , erklärte Fenisin beschwichtigend. ,, Nein.“ , sagte Kellvian wieder. ,, Es sind unsere Leute.“ , protestierte

der Älteste. ,, Kellvian…“ Syle schien einen Moment hin und her gerissen, nicht wissend, auf welche Seite er sich hier stellen sollte. Kellvian hatte die Augen geschlossen. ,, Dieser Krieg richtet schon genug Schaden an, Fenisin. Wir werden nicht unseren Teil dazu beitragen, ihn zu verschlimmern. Auch nicht durch die Hand offensichtlicher Idioten !“ Die Worte waren heraus, bevor er sie abwägen konnte und taten ihm im selben Moment auch schon Leid. Was tat er hier eigentlich… Die ganze Anspannung der letzten Wochen schien sich grade jetzt Bahn brechen zu wollen und die Wut ließ kaum einen rationalen Gedanken zu. Es

war beinahe, als wäre die Seele des alten Volks, die er einmal getragen hatte, wieder da, stiftete ihn zum Chaos an. Doch dieses Mal war er es selber. Die Erkenntnis war wie ein kalter Guss Wasser und kühlte den Zorn wieder etwas herab. Ruhig. Beherrsch dich. Es war Tyrus Stimme, die die Worte zu sprechen schien und ohne es zu merken, driftete sein Geist etwas ab, zum ruhigen Zentrum seiner selbst. Sein Puls ging wieder langsamer… ,, Aber ihr werdet verstehen, wenn ich diese Entscheidung treffen werde. Fenisin. Ich will diese Männer nie wieder sehen. Sie werden den Platz der

vier einnehmen, die sie getötet haben.“ ,, Das heißt ?“ ,, Nehmt ihnen ihre Waffen ab und schickt sie nach Hause. In die Herzlande oder wo hin auch immer. Wir können sie hier nicht gebrauchen… Sie sind aus unseren Reihen verbannt.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und achtete erst gar nicht darauf, ob man seinen Befehlen auch folgte. Syle begleitete ihn unsicher. ,, Das war… eine überraschend weise Entscheidung.“ , meinte er nach einer Weile. ,, Sicher ?“ , fragte Kellvian. Sie hatten sich auf die andere Seite des kleinen Transports zurückgezogen, während die

Gejarn die Wagen bereits in Brand steckten und irgendwo auf der Straße Richtung Norden konnte er vier Gestalten ausmachen, die sich mit gesenktem Kopf entfernten. ,, Ich habe mich noch nie Gefühlt wie heute, Syle. Oder zumindest nicht mehr seit… einiger Zeit. Und das macht mir Angst.“ Der Gejarn schien nicht recht zu wissen, was er darauf erwidern sollte. ,,Verständlich.“ , meinte Syle schließlich. ,, Ein Drache hat mich einmal davor gewarnt. Ich glaube, jetzt verstehe ich es endlich.“ Dieser ganze Konflikt dauerte schon zu lange. Und sie waren schon zu lange

weg. Von Jiy, Zyle, einer zivilisierten Stadt… von allem. Oder, er hatte schon zu viel gesehen. Man gewöhnte sich nicht nur daran, dachte er düster. Es veränderte einen schleichend…

Kapitel 83 Gefangennahme


Lucien blickte auf die die fünf Gebäude, die sich am Waldrand entlang erstreckten. Drei der Bauten waren nicht mehr, als offene Scheunen, mit zwei Seitenwänden unter denen Fackeln für unstetes Licht sorgten. Obwohl es längst dunkel war, drang nach wie vor der Klang von Sägen und Hämmern zu dem Agenten. Die Wegbeschreibung hatte gestimmt. Und offenbar wurde dort unten bereits eifrig gearbeitet. Dutzende Wagen, denen ähnlich, die sie abgefangen hatte, standen aufgereiht

neben einer stabilen Blockhütte, die jedoch dunkel war. Vermutlich die Unterkünfte für die Handwerker. Der fünfte Bau schließlich war ein niedriges Steinhaus, das sich zwischen den Hallen und der Blockhütte befand. Hier waren die Fenster trotz der späten Stunde noch hell erleuchtet und im Lichtschein, der durch eine offen stehende Tür fiel, konnte Lucien mehrere Gestalten in grauer Uniform erkennen. Natürlich gab es eine Garnison… Und nicht grade klein, dachte der Agent. Jetzt, wo er sie einmal erspäht hatte, konnte er immer mehr Gestalten im Halbschatten ausmachen. Sie standen bei den Scheunen, den Blockhäusern oder

zwischen den Bäumen des Waldrands. Mindestens fünfzig. Und das waren nur die, die momentan Wachdienst hatten… Noch ein Grund, , sich die Schmiede erst einmal alleine anzusehen. Es hatte zwar etwas Überzeugungsarbeit gebraucht, bis man ihm erlaubt hatte, alleine loszugehen, aber wenn ihn jemand begleitete, würde das nur das Risiko erhöhen, entdeckt zu werden. Er war für genau so etwas ausgebildet worden. Die anderen nicht. Kellvian, Syle und der Rest warteten eine halbe Wegstunde entfernt. Weit genug, um nicht zufällig von einer Patrouille entdeckt zu werden, aber nahe genug, um im Notfall schnell wieder

dort sein zu können. Lucien war sich nach wie vor unsicher, was er von den Geschehnissen am Mittag halten sollte. Sicher, es war Feige, jemanden derartig in den Rücken zu schießen, wie es die vier getan hatten, aber so etwas kam eben vor. Wie Kellvian darauf reagiert hatte jedoch… Der Agent hatte nicht genau beobachten können, was vor sich ging, aber der kurze Blick, den er auf das Gesicht des Kaisers erhascht hatte, war auch genug gewesen. Er war kurz davor gewesen, die vier Schützen umzubringen. Es war… beängstigend. Und genauso beängstigend war, wie schnell sich der Mann wieder gefangen

hatte. ,, Verrückte Zauberer, eben.“ , murmelte Lucien, während er weiter die Waffenschmiede beobachtete. Noch hielt er sich weit genug im Schatten der Bäume, das keiner der Wachposten ihn entdecken würde. Schon jetzt war Lucien klar, dass der Ort viel zu gut bewacht war, als das sie einen Angriff wagen könnten. Kellvian hatte vielleicht zweihundert Mann bei sich, die übrigen Gejarn verteilten sich über die ganze Provinz. Niemand hatte damit gerechnet, dass sie die Gelegenheit bekommen würden, Andre einen wirklich empfindlichen Schlag zuzufügen. Sie würden sich erst sammeln

müssen. Lucien bewegte sich wie einer der Schatten, in denen er sich verbarg. Den Blick immer wieder zu Boden gerichtet, um nicht ausversehen auf einen trockenen Ast zu treten, schlich er langsam näher. Seine Kleidung hatte er mit mehreren Riemen gesichert und den dunklen Umhang den er trug, unter seinen Gürtel geklemmt. So konnte ihn nicht einmal das flattern des Stoffs im Wind verraten und er käme noch jederzeit an seine Ausrüstung: Die Armbrust und mehrere Wurfmesser. Vor ihm ragte plötzlich ein grau-schwarzer Schatten auf. Ein Gewehr ruhte neben den Füßen der

Gestalt. Lucien zwang sich ruhig zu atmen. Er hätte den Posten im Dunkeln beinahe übersehen. Zum Glück galt das gleiche für den Mann, der mit dem Rücken zu ihm stand. Gegen das schwache Licht, das von den Scheunen über die Wise herüberdrang, konnte er nur die Silhouette seines Gegenübers ausmachen. Dann jedoch bewegte er sich plötzlich. Lucien erfuhr nie, ob der Posten sich wirklich umdrehen oder nur weitergehen wollte. So oder so, der kaiserliche Agent war schneller. Mit einer Bewegung hatte er eines der Messer aus seinem Gürtel gerissen und stieß es dem Mann in den Hals.

Der Schrei des Postens ging in einem gurgelnden Laut unter. Lucien fing den sterbenden Körper auf, bevor er auf den Boden aufschlagen konnte und zerrte ihn mit sich ein Stück zurück ins Unterholz. Wenn jemand den Toten entdeckte, würde sofort Alarm gegeben werden. Und bis dahin war er besser längst wieder zurück bei Kellvian und den anderen. ,,Tut mir echt leid, aber heute ist einfach ein mieser Tag.“ , murmelte der kaiserliche Agent, während er rasch etwas Laub und Äste über den Leichnam häufte. Solange es Dunkel blieb, würde die Tarnung wohl

ausreichen. Einen Moment zögerte Lucien noch, dann trat er aus dem Schutz der Bäume heraus. Nach wie vor geduckt, überlegte er, wie er weitergehen konnte. Die Scheunen und Gebäude befanden sich auf der anderen Seite der Wiese. Wenn er sich näher umsehen wollte, müsste er sie überqueren. Die Wachen am Waldrand würden ihn nicht entdecken. Die waren wohl mehr darauf konzentriert, dass sich niemand der Waffenschmiede näherte, nicht, wer längst hier war. Die Handwerker konnten ja schlecht die ganze Nacht in den Hallen bleiben. Mehr Sorgen machten ihm da schon die Soldaten, die er bei den Gebäuden

entdeckt hatte. Er würde schnell sein … und sich ein wenig auf sein Glück verlassen müssen. Es war seltsam, das überhaupt noch so viel Betrieb herrschte. Das man Wachen aufstellte, konnte er verstehen, aber Andre schien beinahe darauf aus zu sein, jedem Mitzuteilen, was hier vor sich ging. Tagsüber mochte ein Reisender, der zufällig in die Nähe kam, die Geräusche von Sägen , dem stetigen Klopfen der Hämmer und der vereinzelten Rufe ja noch ignorieren, aber Nachts ? Vielleicht fühlte der Herr Silberstedts sich so weit in dem von ihm kontrollierten Land auch bloß

sicher. Nun, er würde wohl feststellen müssen, wie Unrecht er damit hatte. Noch einmal atmete Lucien tief durch, dann rannte er los. Seine Schritte wurden vom Taunassen Gras geschluckt, das sich sofort wieder aufrichtete, wenn er den Fuß weiterzog. So würden auch seine Spuren nicht mehr zu sehen sein. Das Blut rauschte ihn in den Ohren und jeden Moment rechnete er damit, dass ihn jemand entdecken würde. Aber alles blieb ruhig und schließlich verschwand er in der Lücke zwischen einer der Scheunen und dem Steinbau, in dem er die Garnison vermutete. Eigentlich hätte er schon zu den anderen

zurückkehren können. Er wusste alles, was er wissen musste. Aber wenn er noch einen Blick in die Konstruktionshallen werfen konnte und dabei vielleicht etwas Schaden anrichten, umso besser. Einen Augenblick lang blieb er noch Versteckt zwischen den zwei Gebäuden. Mittlerweile war der Mond aufgegangen und tauchte alles in silbriges Licht. Es war gefährlich, sich noch einmal vorzuwagen, aber die Neugier war letztendlich stärker. An die hölzerne Wand der Scheune geduckt, trat er um die Ecke und auf das große, offen stehende Tor zu. Die hohen Türen auf der Vorder-und Rückseite nahmen fast die gesamte Vorderseite ein und

erweckten aus der Ferne die Illusion, das Gebäude hätte nur zwei Wände. Er konnte die Stimmen der Arbeiter in der Halle jetzt schon deutlich hören, war aber immer noch ein Stück vom Eingang entfernt. Die Waffen, die Andre hier herstellte, bestanden zum Großteil aus Holz, überlegte der Agent. Ein Feuer würde wohl gewaltigen Schaden anrichten. Und das unstete Licht, das aus der Halle heraus drang, ließ drauf schließen, dass sie mit Fackeln beleuchtet wurde. Und er hatte ein Stück Zunder und einen Feuerstein dabei. Wenn er einen Brand legte, würde jeder es für einen Unfall halten. Wäre ihm die Idee nur früher gekommen, er hätte sich

Öl oder vielleiht sogar Drachenfeuer besorgen können. Die Gejarn hatten von beidem nicht grade viel, aber ein paar Tropfen wären auch alles, was er bräuchte… Nun musste es wohl so gehen. Viel das Feuerwerk eben etwas kleiner aus, dachte er, bevor er Stein und Zunder aus der Tasche zog. Ein Schritt noch und er würde um die Tür herum sein und direkt im Scheunentor stehen. Es würde schnell gehen müssen. Unbemerkt rein, etwas anzünden und wieder verschwinden. Bevor er jedoch dazu kam, drückte sich ihm plötzlich der kalte Lauf eines Gewehrs in den

Nacken. ,, Aufstehe und umdrehen. Und zwar langsam.“ , befahl eine Stimme. Verdammt… Lucien zögerte nicht. Für den Augenblick, blieb ihm nur, zu tun was man von ihm verlangte. ,,Heute ist wirklich wieder einer dieser Tage…“ , murmelte er, als er sich zu seinem neuesten Problem umdrehte. Drei Männer, alle in den grauen Uniformen des Aristokratenbunds, die die Waffen auf ihn gerichtet hielten. ,, Waffen fallen lassen.“ , befahl der mittlere. Lucien verdrehte die Augen in Richtung des Feuersteins in seiner Hand. ,, Vielleicht ist euch das entgangen, aber

das ist nur ein Stück Fels.“ Der Mann sah ihn irritiert an, dann wiederholte er nur: ,,Fallen lassen.“ Er ließ den Stein los, der irgendwo im Gras landete und außer Sichtweite verschwand. ,, Durchsucht ihn.“ , wies der Mann seine zwei Begleiter an, die auch sofort damit begannen, Lucien Armbrust und Messer abzunehmen. Ein Köcher Bolzen folgte, sowie sein Mantel, in den der Anführer der kleinen Truppe die gefundenen Waffen sorgsam einschlug. ,, Ich glaube wirklich, ihr habt jetzt alles.“ , bemerkte Lucien nur. Einen Moment überlegte er, ob er es wagen sollte, einfach loszurennen. Aber… an

den drei kam er nicht vorbei und die Wiese bot keine Deckung. Mal davon abgesehen, das die Wachen unter den Bäumen sofort alarmiert währen, wenn ein Schuss fiel. Es wäre Selbstmord. ,, Wer seit ihr und was hattet ihr vor ?“ , wollte derweil sein Gegenüber wissen. ,, Also, das ist eine wirklich verrückte Geschichte… Seht ihr, eigentlich wollte ich erst nur einen Spaziergang machen, aber dann…“ ,,Wollt ihr mich verarschen ?“ , unterbrach ihn einer der Soldaten. ,, Ganz ruhig. Offenbar ist unser Freund hier nicht nur ein Saboteur sondern auch noch ein Spaßvogel. Ihr wisst ja, die mag der Heerführer besonders. Ich denke

wirklich, Erland wird sich sehr dafür interessieren, das wir einen kaiserlichen Spion Gefangen haben. Und sich selber darum kümmern wollen.“ Erland war hier? Das war definitiv keine gute Nachricht, dachte Lucien, während man ihm einen Stoß in den Rücken versetzte. Zwei Bewacher hinter sich und den Soldaten, der bisher schon mit ihm gesprochen hatte vor sich, gab es für ihn kaum die Aussicht, einfach entkommen zu können. Er glaubte bereits zu wissen, wohin man ihn bringen würde. Das Garnisonsgebäude war nach wie vor hell erleuchtet und war nicht zu übersehen. Bestimmt gab es irgendwo Zellen. Wenn man ihn irgendwo einsperrte, kam er

schon heraus. ,, Ihr könnt Erland gerne einen Gruß von mir ausrichten, ich freu mich schon, dass wir uns mal wieder sehen. Wir sind alte Bekannte.“ Die Reaktion seiner Bewacher war ein Schlag mit dem Gewehrlauf in die Seite ,, Spart euch das. Wir bringen euch direkt zu ihm. Und noch ein gut gemeinter Rat, einfach weil ich später nicht die Sauerei aufwischen will : Provoziert ihn nicht noch mehr. Der Kommandant ist recht aufbrausend geworden, seit er von Andre hergeschickt wurde. Und ihr wärt in dem Fall die einzige Ablenkung, die er hat, während wir

warten.“ ,,Seit Wochen tun wir nichts anderes.“ , beschwerte sich ein zweiter Soldat ungehalten. ,,Ich habe aber auch wieder ein Glück.“ , brummte Lucien, während er über die Worte der Männer nachdachte. Götter, dachte er bei sich, waren die so dumm oder rechneten sie wirklich damit, dass er das Gespräch mit Erland ohnehin nicht Überlebte? Und worauf genau warteten sie bitte? Darauf, dass die Waffen fertig wurden? Er wünschte wirklich, er hätte einen Blick in die Hallen werfen können. Dann wüsste er, wie viel Zeit ihnen überhaupt noch blieb. Andre könnte noch Monate

brauchen, um eine ganze Armee mit Spiegelwaffen zu versorgen oder ein paar Tage… So oder so, er musste eine Möglichkeit finden, zu entkommen. Wenn man ihn nur kurz alleine lassen würde, wäre das genug. Das Schloss, das er nicht aufbekam, musste erst noch erfunden werden. Bevor er sich jedoch weiter darüber Gedanken machen konnte, hatten sie ihr Ziel auch schon erreicht. Die Tür des grauen Steinbaus wurde aufgezogen und er unsanft hineinbugsiert. Er erhaschte einen Blick auf wenig einladende, enge Räume, die von einem Gang abzweigten, vermutlich die Unterkünfte der Soldaten,

dann ging es auch schon eine Treppe hinab , an deren Ende eine schwere Tür aus Eisenstreben wartete. Im nächsten Moment wurde auch dieses aufgezogen und Lucien hindurchgedrängt.

Kapitel 84 Verhör


Lucien stolperte in die karge Steinzelle, während die Tür hinter ihm auch schon geräuschvoll zugezogen wurde. Der Klang, mit dem die schwere Gitterpforte ins Schloss viel, ging ihm durch Marck und Bein. Eine einzelne Kerze, die auf einem Tisch in der Raummitte stand, flackerte im Luftzug und drohte auszugehen, während sich die Flamme bläulich verfärbte. Die einzig andere Lichtquelle, stellte ein vergittertes Fenster dar, das sich etwa einen Kopf über Lucien in der Mauer befand. Nur einzelne Strahlen Mondlicht drangen

herein. Das meiste jedoch wurde vom Gras ausgeblendet, welches die Luke fast völlig überwuchert hatte. Die jetzt im Herbst gelblich verfärbten Halme wuchsen sogar durch die Gitter hinein und stellten den einzigen wirklichen Farbfleck da. Lucien ging einmal um den Tisch herum, auf dem die Kerze nun wieder heller brannte. Er hatte nicht viel Zeit. Erland war niemand, der lange zögerte. Sobald man ihm Berichtete, das man einen Fremden bei dem Versuch Aufgegriffen hatte, die Waffenschmiede auszuspähen, würde er sofort hierher kommen. Der kaiserliche Agent schnappte sich die Kerze um Licht zu haben und ging

zurück zur Tür. Das Schloss war ein massiver Block aus grau-schwarzem Metall, in den ein Schlüsselloch eingestanzt war. Vermutlich kein zu komplizierter Mechanismus, aber stabil. Er brauchte irgendetwas, womit er die an die Federn in Inneren der Tür herankäme. Ein Stück stabiler Draht wäre mit etwas Glück schon genug. Wobei Glück wohl etwas war, auf das er sich nicht mehr verlassen konnte. Seine Waffen hatte man ihm alle genommen und hier drinnen gab es nichts, womit er arbeiten konnte, außer dem Tisch… Und der war aus massivem Holz. Zum ersten Mal in seinem Leben fürchtete Lucien tatsächlich, fest zu

sitzen. Es gäbe Möglichkeiten, herauszukommen. Er könnte den Mörtel aus den Fugen um die Gitterstäbe des Fensters kratzen, aber das würde Tage dauern. Zeit, die er nicht hatte. Und nun hörte er bereits Schritte, die rasch näher kamen. Dem Klang nach, war Erland nicht alleine. Wenige Augenblicke später wurde die Gittertür geöffnet und fünf Personen traten ein. Die ersten drei waren die Soldaten, die Lucien zuvor gefangen genommen hatten. Ohne ein Wort nahmen zwei Männer links und rechts von der Tür Aufstellung, während der dritte zum Tisch trat. Mit einer Geste bedeutete er dem Agenten, ebenfalls herzukommen.

Es nützte ja nichts, dachte Lucien. Spielte er das Spiel eben fürs erste mit. Ohne groß auf seine Bewacher zu achten, ließ er sich auf einen Holzschemel fallen und legte die Füße auf den Tisch. Der erste, der beiden Neuankömmlinge war Erland… Und er sah wirklich nicht sonderlich gut gelaunt aus, dachte Lucien. ,,Ihr…“ Die eisblauen Augen des Mannes verengten sich zu Schlitzen. ,, Ich habe euch schon einmal gesehen.“ ,, Vielleicht als ein paar hundert eurer Männer verschüttet wurden ? Ihr solltet wirklich mal darüber nachdenken, wie ihr eure Gäste behandelt. Ich dachte ja auch, Andre hätte sich mittlerweile

einen vernünftigen Heerführer…“ Lucien kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Eine Faust traf ihn mitten im Gesicht. Er verlor auf dem Hocker das Gleichgewicht und schlug auf dem Boden der Zelle auf. Erland trug nietenbesetzte Handschuhe die tiefe Schrammen auf seiner Wange hinterlassen hatten. ,,Warum schlägt mich in letzter Zeit jeder ?“ , murmelte er vor sich hin, als er sich wieder aufrichtete. Erland hatte derweil ein Stück Stoff vor ihm auf den Tisch gelegt und schlug es Beiseite. Es war Luciens alter Umahng. Und vor ihm lagen sauber Aufgereiht die Waffen, die man bei ihm gefunden hatte. Messer, Bolzen, die

Armbrust… ,, Das wurde bei euch gefunden. Also, was genau hattet ihr bitte vor? Warum seid ihr hierhergekommen?“ ,,Oh ich bin nur zufällig hier vorbeigekommen, ehrlich. Versteht ihr, ich mache um diese Uhrzeit immer meinen Abendspaziergang. Nur habe ich mich wohl etwas Verlaufen. Ihr wisst nicht zufällig wie ich von hier zurück nach Erindal komme?“ Lucien zwang sich zu einem spöttischen Grinsen, das ihm mit der verletzten Lippe jedoch nicht ganz gelingen wollte. Im nächsten Moment traf ihn bereits wieder die Faust. Der Schlag fiel weniger heftig aus, als der zuvor.

Vermutlich wollte Erland nicht riskieren, ihm den Kiefer zu brechen. Er musste noch reden können. Lucien spuckte etwas Blut, während der Heerführer ihm am Kragen packte. ,, Ihr werdet meine Fragen beantworten. Nicht mehr Wenn ich von euch sonst irgendetwas hören will, erfahrt ihrs. Wir wussten schon eine Weile, das ihr hierherkommt, also…“ ,, Woher…“ Woher wusstet ihr, das ich herkomme, hatte er Fragen wollen, aber bevor er den Satz beendet hatte, bekam er einen Schlag in die Magengrube. Sein Blickfeld verschwamm, trotzdem richtete er sein Augenmerk zum ersten Mal wirklich auf den zweiten

Neuankömmling. Es war ein Gejarn. An sich wäre das schon seltsam genug gewesen, das ein Gejarn einem erklärten Sklavenhalter so offen diente, aber schlimmer, sobald er wieder klar sehen konnte, erkannte er den Mann sogar. Es war ein Löwe… Götter, er hatte den Mann vor ein paar Wochen zusammen mit einigen anderen Ausgebildet. Und Kellvian ihn keinen Tag zuvor verbannt. ,,Oh Großartig.“ , stöhnte Lucien auf. Der Kerl war doch tatsächlich direkt zu Andre gerannt… Jetzt hatte er allerdings ein Problem… ,, Wo sind eure Verbündeten ?“ , wollte Erland nun

wissen. ,, Sie können nicht weit sein.“ , antwortete der Löwe. ,, Wenn ihr die Gegend absucht werdet ihr sie schnell finden.“ ,, Euch habe ich nicht gefragt.“ , antwortete der Heerführer kühl, während er Lucien wieder gefährlich nahe kam. ,, Ehrlich ich habe keine Ahnung.“ , antwortete dieser. ,, Aber hey, vielleicht erwischt ihr wenigstens noch Melchior, der kann euch dann vielleicht die ungefähre Richtung sagen… Wenn ihm grade danach ist…“ Der erwartete dritte Schlag blieb aus. Lucien hatte die Augen bereits wieder halb geschlossen. Als er sie öffnete,

starrte er direkt in Erland wutverzerrtes Gesicht. Der Mann hatte eine Hand gehoben, an dem ein einzelner Ring, mit einem darin eingelassenen Amethysten glitzerte. Den Handschuh hingegen hatte er ausgezogen und ließ ihn achtlos zu Boden fallen. ,, Ich habe wirklich versucht, zivilisiert zu bleiben. Aber ihr wolltet ja nicht… Vielleicht bringt euch das zum Sprechen. Ein kleines Geschenk von Ismaiel, nachdem ich das letzte…verloren habe.“ Lucien konnte die Magie, die davon ausging spüren. Er schluckte heftig. Der Tag wurde einfach nicht besser. ,, Also, wie sieht es aus, antwortete ihr mir jetzt

?“ Im nächsten Moment leuchtete das Juwel grell auf. Er wollte die Augen schließen, doch eher er dazu kam, brannte sich das Licht bereits bis in sein innerstes. Es war, als hätte man ihm glühende Nadeln in den Körper gerammt. Blind vor Schmerz sackte er in sich zusammen und spürte nicht einmal, wie er erneut auf dem Boden aufschlug. Zum Schreien fehlte ihm der Atem… Lucien wusste nicht, wie lange es dauerte. Vielleicht nur Sekunden, vielleicht auch Stunden. Nur, das ihm Blut in den Mund stieg, merkte er… Langsam aber sicher kam der Agent zu der Überzeugung, das Erland ihn einfach

töten würde. Wenn er sich dabei wenigstens beeilen würde, wäre das grade sogar willkommen… Dann, so plötzlich wie er gekommen war, riss der Schmerz ab. Erland ließ die Hand mit dem Ring sinken, während Lucien einfach im Staub liegen blieb und wieder Atem schöpfte. Mit dem Atem kehrte auch die Vernunft zurück. Erland wollte Antworten. Er würde weit gehen, aber er würde Lucien nicht töten. Und er brauchte nur eine einzige, kleine Gelegenheit um zu fliehen. Schon alleine um Kellvian davor zu warnen, die Waffenschmiede einfach anzugreifen. Dafür hatte er zu wenige Männer mit

sich… ,, Also gut… ich glaube ich überlege es mir nochmal.“ ,, Wo sind die anderen ? Wir wissen, das Kellvian noch lebt, also wo steckt er?“ ,, Was habt ihr ihm noch alles verraten ?“ , Lucien ignorierte Erland und richtete den Blick auf den Löwen, der an der Rückwand des Raumes stand. Offenbar war er dorthin zurück gewichen, als Erland den Ring eingesetzt hatte… Der Heerführer seufzte entnervt. ,, Wie es aussieht, komme ich hier nicht weiter…. Ihr werdet sehr bald feststellen, das ihr mit mir noch die einfachere Alternative hattet. Es gibt ein

paar Leute hier, die mir garantieren können, das ihr morgen früh redet.“ Mit diesen Worten drehte sich der Mann um und winkte seine drei Wächter mit sich aus dem Raum. Als der Löwe ihm folgen wollte, bedeutete Erland ihm jedoch, zu warten. ,, Es dauert nur einen Moment. Wir werden bald zurück sein. Ihr… habt ein Auge auf den da.“ Im nächsten Moment verschwanden die vier Gestalten auch schon durch die Tür und die Treppe dahinter hinauf. Erlands Schritte verhallten rasch. Lucien blinzelte nur verwirrt, während er sich langsam neben dem Tisch hochstemmte. Die Tür blieb offen… Er

konnte sein Glück kaum fassen. Konnte Erland wirklich so ein Fehler passiert sein? Oder verließ er sich darauf, dass eine einzige Wache ausreichen würde? Lucien wurde misstrauisch, es war beinahe, als wollten sie dass er entkam, aber die Gelegenheit war auch zu gut. Vor ihm landete eine Pranke auf dem Mantel mit den Waffen darauf. ,,Denkt nicht einmal daran.“ , warnte ihn der Gejarn. ,, Ich kann im Augenblick grade mal stehen, denkt ihr wirklich ich will versuchen mit euch zu kämpfen ?“ Es war nicht einmal eine glatte Lüge. Seine Muskeln zitterten, als er endlich mühsam auf die Beine kam. Ein Kampf war

ausgeschlossen, wenn er nachher noch laufen wollte. Allerdings hatte er auch nicht vor, sich auf einen fairen Kampf einzulassen. ,, Vielleicht solltet ihr euch mehr Sorgen darüber machen, das Erland die Tür offen gelassen hat.“ Der Kopf des Gejarn zuckte nur für einen einzigen Herzschlag herum, aber das war mehr Zeit, als der Agent brauchte. Sofort schlug er mit den Händen auf die Ohren des Löwen. Dieser stolperte darauf heulend zurück. Der Hieb hatte ihn vermutlich halb Taub gemacht. Zumindest, für die nächsten paar Minuten. Lucien jedoch, wartete erst gar nicht ab, wie schnell sich der Mann erholen würde, sondern versetzte

ihm mit aller noch verbliebenen Kraft einen Schlag vor die Brust, der ihn zurückstolpern ließ. Die Hand des Gejarn riss den Mantel mit den Waffen mit sich. Klirrend verstreuten diese sich über den Boden. Sofort fing Lucien eines der Messer auf und stieß Blind damit zu. Er hatte nur diese eine Chance. Oben hatte man den Lärm, den sie hier veranstalteten sicher schon gehört. Die Klinge bohrte sich ohne großen Wiederstand in die Brust seines Gegenübers, das wieder bis zu seinem angestammten Platz an der Wand zurück getaumelt war und nun daran zu Boden rutschte… Der Agent nahm ein anderes Messer an

sich, warf sich den Mantel wieder um und hob seine Armbrust auf, dann hechtete er bereits nach oben. Er würde hier heraus kommen oder bei dem Versuch sterben… Noch einmal Erlands Gastfreundschaft genießen, darauf konnte er gut und gerne verzichten. Am oberen Ende der Treppe tauchte eine Gestalt in grauer Uniform auf. Lucien legte mit der Armbrust an und schoss. Der Bolzen bohrte sich mit einem dumpfen Schlag in den Körper des Soldaten, der vorwärts die Treppe hinab stürzte. Lucien wich rasch zur Seite aus und erreichte endlich den oberen Flur. Ohne den Räumen links und rechts mehr Aufmerksamkeit als beim letzten Mal,

rannte er weiter und stieß endlich die Tür nach draußen auf. Mittlerweile drangen hinter ihm bereits Aufgeregte oder Wütende Rufe aus dem Gebäude. Der kaiserliche Agent wollte sich nicht vorstellen, welcher arme Tropf Erland später seine Flucht erklären musste. Das heißt, wenn er es hier weg schaffte. Das Gras dämpfte zwar erneut seine Schritte, aber dieses Mal stand der Mond hoch am Himmel und erleuchtete die komplette Wiese, die er überqueren musste. Jeden Moment rechnete er damit, das letzte Geräusch seines Lebens zu hören. Den lauten Knall einer Muskete, die abgefeuert wurde… Schließlich jedoch erreichte er die

Schatten unter den Bäumen am Waldrand und verschwand zwischen den dunklen Stämmen. Als er eine gute Stunde später endlich die Stelle erreichte, an der er Kellvian und die anderen zurück gelassen hatte, trat Syle ihm bereits, ein Gewehr in der Hand, in den Weg. Sobald er Lucien erkannte, ließ der Bär die Waffe jedoch sinken. ,, Geister, was ist denn mit euch passiert ?“ , fragte er und winkte die anderen heran. Kellvian, Melchior, Fenisin und Mhari. Selbst bei Dunkelheit musste Luciens Gesicht wohl einen abschreckenden Eindruck machen, das konnte er ihnen

ansehen. ,, Ich hatte einen netten Plausch mit Erland. Das war Spaßig.“ , erklärte der Agent grinsend. Syle schüttelte nur den Kopf. ,, Ihr habt eine sehr seltsame Auffassung von Spaß, kann das sein, alter Freund ?“

Kapitel 85 Treffen

Jiy war nicht mehr in Vara gewesen, als er die Stadt schließlich erreichte. Wie es aussah, war die Gejarn schon vor Wochen in Richtung Erindal gereist um die Stadt zu sichern. Wussten die Götter, wieso Roland zugelassen hatte, das Jiy persönlich dabei war, aber ihm war nichts anderes übrig geblieben, als ihnen hinterher zu reisen. Ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen. Er hatte in Hasparen schon viel riskiert, als er sich einfach in das Heerlager des Aristokratenbundes gestohlen hatte. Jetzt würden Andres

Männer wohl auf der Hut sein. Da er nichtwusste, welcher Teil des Landes mittlerweile überhaupt unter wessen Kontrolle stand, reiste er bereits seit Vara wieder unter falschen Namen und ohne die Insignien des Ordens, die ihn sonst zu einem leichten Ziel machen würden. Und auch, wenn er vor allem daran interessiert war, Jiy rechtzeitig zu finden, hörte er nicht auf, sich nach Gerüchten über Magier umzuhören, die es eventuell in den Süden verschlagen hatte. Genau ein solches Gerücht war auch der Grund, aus dem er an diesem Tag ein kleines Dorf an der östlichen Küste , oberhalb von Erindal, aufsuchte. Ein Dutzend Gebäude, die sich direkt an

den Strand schmiegten. Wellen spülten beständig Muscheln und Seetang an, der sich zwischen den Planken eines kleinen Piers verfing. Mehrere Boote trieben in Sichtweite zur Küste. Vermutlich lebte die komplette Siedlung vom Fischfang, denn Felder hatte Quinn auf seinen Ritt hierher keine gesehen. Ein schmaler Pfad führte zwischen Felsen hindurch zum Dorfeingang. Die wenigen Leute, die nicht auf den Booten waren und sich draußen aufhielten, verschwanden rasch im inneren der Häuser, als er näher kam. Ein nun schon fast vertrauter Anblick. Die Menschen hier hatten Angst und das wohl mit Recht… Auf dem Weg hierher hatte er mehrere Siedlungen passiert, die

völlig geplündert worden waren. Und in mehreren hatte er Zeichen von Andres Truppen gefunden. Die Überreste einer Uniform, eine zurückgelassene Flagge mit dem violetten Wappen Silberstedts oder auch mal eine Leiche wenn die Bewohner Wiederstand geleistet hatten. Andre nahm alles, was er bekommen konnte um seinen Feldzug fortzusetzen… Die Gegend hier unterschied sich deutlich vom Norden Cantons. Büsche und Pflanzen entlang der Küste waren trotz des nahen Herbstes noch immer grün und die Temperaturen nach wie vor sommerlich warm. Weiter Richtung Süden sollte das Land sich sogar zu einer Steppe öffnen, in der angeblich nie

Schnee fiel. Und die sich fast bis zu den Bergendahinter fortsetzte, bevor sie in Regenwälder und unwegsame Sümpfe überging. Aber soweit würde er hoffentlich erst gar nicht gehen müssen. Dann könnte er auch gleich nach Kalenchor ziehen… In der Mitte des Dorfes angekommen, saß er von Iraes Rücken ab und ah sich abermals um. Die meisten Gebäude hier waren in schlechtem Zustand, das Holz vom Wetter angegriffen oder mit Algen bewachsen. Auf einigen Dächern fehlten einige Ziegel, andere waren lediglich mit Stroh gedeckt. Schließlich jedoch entdeckte er, was er suchte. Dieser Ort besaß tatsächlich ein Gasthaus. Eine

genauso angeschlagene, windschiefe Hütte, die nur durch das Schild über der Eingangstür als Herberge zu erkennen war. Wenn es in der Gegend einen Zauberer gab, lebte er entweder in der Wildnis oder musste irgendwo untergekommen sein. Und so wie die Bewohner hier auf seine Ankunft reagiert hatten, würde wohl niemand hier einfach so einen Fremden aufnehmen. Die Stufen, die zur Tür des Gasthauses hinauf führten, knarrten bedenklich unter seinen Schritten, hielten aber. Das Pferd lies er einfach im Dorfzentrum zurück. Irae lief nicht fort und wenn doch, blieb das Tier in der Nähe. Zuerst überlegte er, anzuklopfen, dann

jedoch trat er einfach ein. Das Innere des Hauses war in erstaunlich gutem Zustand, verglichen mit der äußeren Fassade. Zwar waren die Fenster, die wohl einstmals tatsächlich Glas enthalten haben mochten, nur noch leere Löcher, die man mit Stoff verhängt hatte, um den Wind draußen zu halten, aber der Boden war sauber und dutzende von Kerzen sorgten für unstetes, aber gemütliches Licht. Es gab eine kleine Rezeption, die wohl auch als Tresen diente, offenbar war jedoch niemand hier. Nur eine einzige, im Halbdunkel kaum erkennbare Gestalt saß daran und brütete über einen Becher mit einer dampfenden

Flüssigkeit. Beim Näherkommen konnte Quinn graue Haare erkennen, die ihr über den Rücken fielen. Irgendwie kam ihm der Besucher überraschend vertraut vor. Und dann traf es ihn wie der Blitz. Sie kam ihm nicht nur bekannt vor… ,, Kiara ?“ Es schien unmöglich, obwohl er nie ganz geglaubt hatte, dass sie tot war. Also war sie die Magierin aus den Gerüchten, die er gehört hatte Spätestens jetzt, wo sich die Gestalt zu ihm umdrehte, gab es keine Zweifel mehr. ,, Ihr seid spät.“ , bemerkte die Ordensoberste nur, während sie eine Geste machte, die Quinn wohl bedeuten

sollte, sich zu ihr zu setzen. ,, Ich bin spät ?“ Quinn spürte Wut in sich auflodern. ,, In all den Monaten, wo ich geglaubt habe, ihr wärt in der Ordensburg gestorben, habt ihr es nicht für nötig befunden auch nur einen von uns Wissen zu lassen, das es euch gut geht… Und alles, was ihr mir zu sagen habt ist, ich wäre spät?“ ,,Vielleicht ist spät das falsche Wort. Ich hatte euch in jedem Fall früher hier erwartet, nachdem ich erfuhr, das ihr in der Gegend seid.“ ,, Ihr habt es erfahren…“ Quinn war Wochenlang alleine gewesen, oder? Außer ein paar vereinzelten Reisenden war ihm niemand mehr begegnet. Krieg

hin oder her, die meisten Leute wollten die kalten Monate abwarten, bevor sie auch nur darüber nachdachten, aus den Grenzgebieten zu fliehen. Woher bitte konnte Kiara wissen, wann genau er hier angekommen war ? ,,Ihr habt mich beobachtet, kann das sein ?“ Seine Stimme klang nur noch erschöpft, nicht mehr wütend. Er hatte genug von diesen Spielen… ,, Was macht ihr dann noch hier ?“ ,, Wie gesagt, auf euch warten, Quinn.“ Die Magierin nahm einen Schluck aus dem Becher vor sich und lächelte dabei leicht in sich hinein, als sei es das normalste der Welt. ,,Ist euch eigentlich klar, dass ich

tatsächlich Schuldgefühle wegen euch hatte ?“ Allerdings begannen die grade zu verschwinden, dachte er düster. ,, Gut, das war auch die Absicht dahinter.“ ,,Ist das das Alter oder wart ihr schon immer so gemein und es ist mir vorher nie aufgefallen ?“ Kiara sah tatsächlich nicht grade Gesund aus. Die ZAuberinw ar blass und tiefe Ringe unter ihren Augen sprachen von Müdigkeit , trotzdem hielt sie das nicht von einer gewohnt schlagfertigen Erwiderung ab . ,, Ich glaube nicht, Quinn, das ich mir von einem Schwarzmagier Vorhaltungen machen lassen muss. Was das Alter

angeht… ich schätze ihr habt euer Leben schon so weit verkürzt, das ihr euch darum sicher keine Sorgen mehr machen braucht. Das heißt, wenn ihr diesen Krieg überlebt.“ ,, Und ich nehme an ich kann euch nicht überzeugen, wieder euren Posten als Ordensoberste einzunehmen ? Ich gebe zu… ich habe es jetzt schon satt.“ ,, Das macht es aus, wenn man Versucht, etwas richtiges zu tun. Tyrus hat euch einst als Ordensoberster empfohlen, Quinn. Damals hielt ich das nicht für klug. Heute jedoch… Seht euch nur einmal an. Ohne euch wäre der Orden endgültig zerfallen. Aber ihr wart es, der die Überreste wieder zusammen

gesucht hat, die jetzt für das Kaiserreich kämpfen. Ich gebe offen zu, ich habe mich geirrt, was euch betrifft.“ Quinn rang sich ein schwaches Lächeln ab. ,, Ein Lob von euch ? Und wozu jetzt das Ganze ? War euer… Tod nur eine weitere Prüfung ?“ ,,Nein Quinn, das war durchaus ernst und ihr habt euch bewährt. Während der letzten Monate habe ich euch nicht aus den Augen gelassen, ob ihr das wusstet oder nicht. Der Mann, den ich einmal kannte, wäre nicht ohne auf seine eigene Sicherheit zu achten in die Höhle des Löwen gegangen um andere zu retten.“ ,,Und ihr haltet es wirklich für nötig Menschen derart auf die Probe zu

stellen, Kiara ? Die Reise nach Silberstedt war euch offenbar nicht genug.“ Nicht in seinem bisherigen Leben hatte ihn so sehr verändert und er wusste immer noch nicht genau wieso. Nur dass es so war, unmerklich schloss sich seine Hand um die Träne Falamirs, den er in der Manteltasche trug, obwohl man ihm praktisch in die Hand gegeben hatte, was er immer wollte. ,,Und wenn unsere Rollen vertauscht wären, Quinn, würdet ihr nicht dasselbe tun ?“ ,, Vielleicht. Aber nicht so. Ihr behandelt Menschen, als wären sie Schachfiguren, die ihr auf einem Brett

hin und her schieben könnt. Und mich habt ihr mit irgendeinem Zauber praktisch umgekehrt…“ Zwar wollte Quinn nicht einfallen, mit welcher Magie so etwas möglich sein sollte, aber Kiara war Älter, als es den meisten Magiern je vergönnt war. Wer wusste schon, was sie sich in den zusätzlichen Jahrzehnten an Wissen angeeignet hatte. Genug um irgendwie an eine Träne Falamirs zu gelangen und sie zu kontrollieren. Ein Kunststück, das selbst Quinn nur mit Mühe fertig brachte. Es bestand ständig die Gefahr, das einen der Energiestrom dazu antrieb, über die eigenen Grenzen hinaus zu gehen… und sich damit praktisch

umzubringen. ,, Nein Quinn, und das könnt ihr mir glauben. Ich habe gar nichts getan, außer euch loszuschicken… und euch damit die Gelegenheit zu geben, zu zeigen, wer ihr letztendlich wirklich seid.“ ,,Nett gesagt, aber mein… altes ich, war so sehr ich selbst wie jetzt. Vielleicht kann sich jeder ändern, wenn er die Möglichkeit bekommt, Kiara, das entbindet ihn aber nicht von dem, was er zuvor war. Es ist immer noch da.“ Bevor Kiara darauf antworten konnte, drangen plötzlich aufgeregte Rufe und dann Schreie ins Innere des kleinen Gasthauses. Quinn war sofort auf den Beinen und sprang in Richtung Tür. Was

war da los ? Die Magierin folgte ihm auf dem Fuß, leise murmelnd. ,, Warum jetzt…“ Quinn war sich später nicht mehr sicher, ob er die Worte wirklich gehört hatte, aber spätestens, als er die Tür aufzog, war es auch nicht mehr wichtig. Das Dorf brannte. Zwei Gebäude auf der dem Meer zugewandten Seite der Siedlung hatten bereits Feuer gefangen. Jahre in der Hitze und dem Salz ausgesetzt hatten das Holz der Bauten trocken wie Zunder werden lassen und die Flammen fraßen sich mit atemberaubender Geschwindigkeit über Dächer und Wände. Dicke, ölige Rauchschwaden stiegen auf und verdunkelten die Sonne

am Himmel. Quinn versuchte noch herauszufinden, was eigentlich passiert war, als er auch schon das Wiehern eines Pferds und dann Hufschläge hörte. Im nächsten Moment tauchte Irae aus einer Rauchwolke auf und preschte an dem Zauberer vorbei. Götter, was hatte das Tier in solche Panik versetzen können? Normalerweise ließ das Pferd sich durch nichts aus der Ruhe bringen… Er konnte es spüren. Die Atmosphäre in dem Dorf war umgeschlagen und das nicht nur wegen den Feuern und den kreischenden Menschen, die Eimer heranschafften und Schwung um Schwung Seewasser auf die Brände

schütteten. Die Feuer jedoch brannten ungehindert weiter, fast, als hätten sie einen eigenen Willen… Und den hatten sie auch, wie Quinn klar wurde. ,, Magie.“ , bemerkte Kiara und kam ihm damit zuvor. Nicht ein außer Kontrolle geratenes Herdfeuer. Quinn konnte die Spannung in der Luft, wie kurz vor einem Gewitter spüren. Und dann sahen sie die einsame Gestalt, die teilnahmslos zwischen den brennenden Gebäuden stand. Der erstickende Rauch hatte sie fast vollständig eingehüllt, schien ihr aber nicht das Geringste auszumachen. Ein weiterer Feuerball formierte sich in seinen Händen, wusch zu einer

Wagenradgroßen Miniatursonne heran, die er dann ohne Rücksicht auf ein weiteres Gebäude schleuderte. Der Ball aus flüssigem Feuer zerplatzte auf dem Dach, entzündete das Stroh und troff als glühende Lava auf die Erde. ,, Hört sofort damit auf !“ Quinn wusste nicht, wer der Kerl war, oder was er glaubte, hier zu tun, aber er würde ganz sicher nicht dabei zusehen. Kiara musterte die Gestalt einen Moment, als sie endlich aus den Rauchschleiern trat. Der fremde Zauberer trug eine zerschlissene, braune Robe, die ihn wie einen Bettler wirken ließ. Aber das seltsame Feuer, das in den tiefgrünen Augen des Mannes loderte, war kaum zu

übersehen. ,,Alles hier ist Verkehrt…“ , murmelte er und ignorierte die beiden Zauberer dabei völlig. Als wären sie gar nicht da. Der Mann war offenbar verrückt. Und unglaublich mächtig… Nun, Quinn hatte nicht vor, ihn einfach zu ignorieren.

Kapitel 86 Der Besessene

Der Rauch brachte seinen Augen zum Tränen, trotzdem kam er keinen Augenblick auf die Idee, den Blick von seinem Gegner zu nehmen. Dieser interessierte sich offenbar nach wie vor nicht für die zwei Magier, die inmitten der brennenden Siedlung standen und nur zusehen konnten. Der Wind trieb Sand und Glutpartikel heran, die sich in Quinns Kleidung und seinen Haaren verfingen. Kiara rührte sich nach wie vor nicht, sondern musterte weiterhin ihren Gegner. Die Zauberin nahm das Inferno

scheinbar genau so wenig wahr, wie der Fremde. ,, Wir haben ein Problem.“ , erklärte sie schließlich. ,, Das ist mir auch schon aufgefallen.“ , antwortete Quinn angespannt. ,, Das Dorf brennt.“ ,, Das meine ich nicht. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht.“ Sie nickte in Richtung des Zauberers, der erneut einen Feuerball heraufbeschwor. Dieses Mal jagte die Flammenlanze dicht an ihnen vorbei und durchbrach die Wand des Gasthauses, in dem sie zuvor noch gesessen hatten. Und ob mit diesem Mann etwas nicht stimmte, dachte Quinn. Aber auch das

meinte die Zauberin nicht. Es war, als hätte sich ein ständiger Schleier aus Magie um die einsame Gestalt gelegt. Magie, die um ihn herum tobte und sich ab und an in Gestalt einzelner Lichtbögen entlud, die Staub aufwirbelten. Und dann wurde ihm klar, dass er so etwas schon einmal erlebt hatte. Vor fast zwei Jahren. In der Universitätshalle von Vara. Seelenträger, schoss es ihm durch den Kopf. Aber das war unmöglich. Kellvian sollte der einzige sein, der ihnen durch die besonderen Umstände seines Lebens einfach entgangen war. Zum ersten Mal spürte Quinn einen Hauch der Angst bei der Gegenwart dieses Wesens vor ihm.

Wenn stimmte, was er befürchtete, war der Zauberer dort mächtiger, als selbst er und Kiara zusammen. Vielleicht sogar dann, wenn er bereit wäre, die Träne Falamirs erneut einzusetzen. ,, Ich fürchte das ist ein Seelenträger.“ , warnte er Kiara. Die Zauberin nahm die Botschaft überraschend Gelassen auf. ,,Ich habe es schon befürchtet. Wir können dieser Kreatur nicht erlauben weiter zu existieren, Quinn. Er mag einmal etwas anderes gewesen sein, jetzt ist er nur noch eine Hülle für einen tobenden Geist.“ Quinn nickte. Auch das war Aufgabe des Ordens. Der Schutz der Magie und

Gegebenenfalls der Schutz der Menschen vor der Magie. Seelenträger waren Magier, in denen eine Seele des alten Volkes halt gefunden hatte. Normalerweise waren sie sehr selten. Nur ein Kind, dessen Eltern beide das Blut des alten Volkes trugen konnte überhaupt in Frage kommen und dann war selbst unter diesen längst nicht jeder betroffen. ,,Keine Sorge. Ich kenne meine Aufgabe.“ Nur würden sie beide alleine dafür auch ausreichen? Er rief einen Blitz herbei, der zwischen seinen Händen Gestalt annahm. Funken und Lichtbögen sprangen zwischen seinen Fingerspitzen hin und her, bis die

unter Kontrolle gehaltene Elektrizität langsam die Form einer Sphäre annahm. Jetzt endlich schien ihn der fremde Magier endlich zu bemerken. Der Blick in den Augen des Mannes klärte sich plötzlich, während das grüne Feuer darin noch einmal an Intensität annahm. War sein Gesichtsausdruck eben noch ratlos gewesen, wurde er jetzt düster. Kiara ihrerseits ließ die Luftfeuchtigkeit vor ihr zu dünnen, messerscharfen Eisnadeln gefrieren, die eine schwebende Mauer vor ihr bildeten. Zusammen hätten sie beide wohl mehr Macht als weite Teile des Ordens zusammen genommen, aber dem Wesen vor sich waren sie so vielleicht grade einmal

ebenbürtig. Wenn überhaupt. Der besessene Magier jedenfalls reagierte auf die Bedrohung nur mit einem schwachen Lächeln. Ob es die verstörte Seele in seinem Inneren war oder nur eine Erinnerung an ein früheres Leben, die wieder zu Tage trat, es jagte Quinn einen Schauer über den Rücken. Je eher er dieses Ding vernichtete, desto besser. Mit einem Gedanken entfesselte er den Blitz, der als grell leuchtende Linie durch die Luft schnitt. Gleichzeitig jagten die Eisschneiden vor Kiara auf ihren Gegner zu. Dieser rief mit einer Handbewegung einen dritten Feuerball herbei, der, heulend losflog, einen

Schweif aus grün-gelben Flammen hinter sich herziehend. Die drei Projektile trafen gleichzeitig aufeinander. In einem plötzlichen Mahlstrom aus Energie wirbelten die Zauber durcheinander, überschlugen sich, Eis schmolz nur um sofort wieder zu gefrieren, Flammen verloschen zischend, entflammten aber sofort wieder. Elektrizität band alles zusammen und zuckte zwischen Feuer und Eis hin und her. Dann, mit einem gewaltigen, hallenden Donnerschlag war alles vorbei. Die Druckwelle deckte die noch intakten Hausdächer ab, brachte morsches Holz zum Bersten und trieb die Feuer, die um sie herum wüteten zu neuer

Höhe. Quinn spürte die Bewegung in der Luft, als hätte ihn eine Faust getroffen und er stolperte zurück. Die Zauber hatten sich gegenseitig ausgelöscht. Dabei hätte einer von ihnen es doch schaffen müssen, die Verteidigung ihres Gegners zu umgehen dachte er entsetzt. Kiara neben ihm war ein Stück in sich zusammengesunken. Götter, sie hatte vorher schon nicht gut ausgesehen. Nun jedoch schien sie sich grade noch auf den Beinen halten zu können. ,, Alles in Ordnung ?“ , fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte. Bevor Kiara etwas erwidern konnte, hatte ihr Gegner bereits einen weiteren

Zauber heraufbeschworen. Von einer Sekunde auf den anderen entflammte sich die Luft um Quinn herum. Er reagierte sofort. Bevor die Flammen ihn völlig einschlossen, griff er nach der Macht des Kristalls, den er mit sich trug. Und die Träne Falamirs beugte sich abermals seinem Willen. Die Wand aus Feuer, welche die beiden Zauberer sonst zu Asche verbrannt hätte, prallte an ein unüberwindbares Hindernis. Flammenzungen schlugen daran empor, suchten einen Weg an dem Schild vorbei… Quinn wich vor der Hitze, die immer noch durch die hastig errichtete Barriere drang zurück. Jeder Magier, mit etwas Verstand hätte

seinen Angriff nach einigen Momentan abgebrochen, um Kraft zu sparen. Nicht so das verdrehte Wesen, das ihnen hier gegenüberstand. Quinns ausgestreckte Arme begannen nicht mehr nur vor mentaler sondern auch physischer Anstrengung zu zittern, als das Inferno Minute um Minute bestehen blieb und drohte, sie alle zu verschlingen. Diesem Ding war es egal, wenn es auf einen Schlag Jahrzehnte seines Lebens aufgab. Und die Träne würde sie nicht ewig schützen. Schon jetzt konnte Quinn spüren, wie die Macht, die seine Zauber stützte langsam schwand.

Kellvian besah sich die Rauchwolke die am Horizont aufstieg mit einem mulmigen Gefühl. Das war kein einfaches Lagerfeuer, dafür waren die öligen Schleier zu massig. Nein, irgendwo in ihrer Nähe brannte etwas Großes. Vielleicht ein weiteres Dorf, dessen Güter man für Andres Feldzug beschlagnahmt hatte. Nachdem Lucien ihnen Berichtete, was er an der Waffenschmiede gesehen hatte, war klar, dass sie nicht einfach angreifen konnten, wie bisher. Wenn sich dort eine ganze Garnison zum Schutz der

Hallen und Arbeiter befand, mussten sie zuerst ihre eigenen Leute sammeln. Fenisin hatte bereits Boten an die übrigen Clans geschickt, damit sie sich auf den Weg nach Erindal machten. Die Stadt mochte feindliches Territorium sein, aber sie war auch einfach genug für alle zu finden und wenn sie vorsichtig waren, hoffte Kellvian darauf, vielleicht auch ihre Vorräte dort etwas ergänzen zu können. Grade in diesen Zeiten musste es genug Händler geben, die bereit waren für etwas zusätzlichen Gewinn auch ein paar Waren außerhalb der Stadtmauern zu verstecken, so dass die Gejarn sie nur noch holen brauchten. Zwar protestierte Syle dagegen, das Kellvian

sie in die Stadt begleitete, aber er hoffte, das wohl die wenigsten Wächter dort überhaupt wüssten, wie er aussähe. Davon abgesehen, das wohl niemand ihn ausgerechnet dort vermuten würde. Aber die Rauchwolke machte ihn wütend. Sie waren nur knapp über hundert, aber wenn sie etwas tun konnten... Dann würden sie das auch. ,, Wir folgen dem Rauch.“ , erklärte er entschlossen und bedeutete den anderen, sich ihm anzuschließen, während er bereits loslief. Quinn konnte den Schild nur noch mit Mühe aufrechterhalten. Die Energie der

Träne war fast verbraucht und er konnte nicht hoffen, ohne den Stein auch nur einen Herzschlag länger zu Überleben. Er konnte sich nicht mehr darauf verlassen, dass seinem Gegner vorher die Luft ausging. Was immer der Seelenträger einmal an Vernunft besessen haben mochte war fort, ersetzt durch Wahnsinn, der nur ein Ziel kannte… Sie zu vernichten. Es reichte ihm… Er war der Ordensoberste und einer der mächtigsten Zauberer der letzten hundert Jahre. Er würde nicht einfach abwarten, bis er starb. Doch das hieß, dass er den Schild auflösen musste, der ihn und Kiara vor dem Inferno schützte. Es war gewagt.

Aber er hatte den Entschluss längst gefasst. ,, Ich werde gleich etwas furchtbar dummes tun.“ , erklärte er und machte sich bereit. Es würde alles brauchen, was er noch hatte und vielleicht wäre nicht einmal das genug. ,, Das wäre dann nichts neues, Quinn.“ Kiara wirkte nach wie vor ausgelaugt, lächelte aber kurz. In ihren Augen blitzte etwas auf, das Quinn nicht ganz zu deuten wusste. War es Verzweiflung, oder hatte sie selber eine Idee? So oder so, für den Moment musste er sich auf sich selbst verlassen. Quinn ließ den Schild zusammen fallen, den er erschaffen hatte. Im selben

Augenblick stürzten die Flammen mit der Wucht einer Flutwelle auf sie ein. Kurz bevor das Feuer die beiden Magier erreichte, rief Quinn einen letzten Zauber herbei, dem er die letzte Energie opferte, die noch im Leerenstein verblieben war. Erneut tauchte einen schimmernde Barriere zwischen ihnen und dem Inferno auf, doch dieses Mal lenkte Quinn den Zauber gezielt. Als die Flammen auf den Schild trafen, wurden diese nicht bloß aufgehalten. Die magische Barriere selbst setzte sich, Stück für Stück in Bewegung und drängte die Feuer zurück. Langsam aber sicher gewann er die Oberhand über den besessenen Magier.

Und dann, endlich, erloschen die Feuer, genauso schnell, wie sie entstanden waren. Von einem Moment auf den anderen war die Sengende Hitze fort, die sie eben noch bedroht hatte. Aber der komplette Landstrich zwischen Kiara und Quinn und dem Seelenträger war dunkel verbrannt. Wo zuvor die brennenden Häuser gewesen waren, lagen nun höchstens noch einige glühende Dachbalken. Einige wenige Bewohner der Siedlung, die mutig genug waren, sich nach draußen zu wagen, starrten fassungslos auf den zu Obsidian verschmolzenen Sand, der einmal den Strand bedeckt hatte. Quinn gab seine Konzentration auf,

worauf auch der Schildzauber sich wieder auflöste. Erschöpfung und Kälte schlugen wie eine Woge über ihm zusammen. Einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen. Er wusste später nicht, was ihn überhaupt noch auf den Beinen gehalten hatte. Der Anblick seines Gegners sicher nicht. Der Mann hatte den Kopf auf die Seite gelegt, das Grün seiner Augen loderte unübersehbar und blieb unbeeindruckt auf Quinn fixiert. Offenbar hatte der gewaltige Feuerzauber dem Besessenen kaum Mühe bereitet. Wo Quinn sich grade noch auf den Beinen halten konnte, wirkte er nach wie vor frisch und ausgeruht… und ohne ein Zeichen,

das noch ein Funken Vernunft in der leeren Hülle zurück geblieben war, die sie bekämpften. Und dann war es Kiara, die plötzlich vortrat. Die Magierin war trotz ihrer Erschöpfung zu schnell für Quinn. Bevor er ganz begriff, was vor sich ging, war sie auch schon an ihm vorbei und schleuderte einen Blitz in Richtung ihres Gegners. Dieser sah den Angriff jedoch kommen, und wehrte den Zauber mühelos ab. Dafür jedoch, hatte Kiara jetzt seine volle Aufmerksamkeit. Eine Feuerlanze brach aus der Hand des Mannes hervor und traf sie, ohne das Kiara noch den Versuch machte, sich zu Verteidigen.

,,Nein !“ Quinn konnte nur zusehen, nicht mehr fähig, einen Zauber zu wirken, der die Ordensoberste retten könnte. Die Magierin wurde von den Füßen gerissen und landete sich überschlagend im Staub. Quinn wollte zu ihr laufen, aber dann wäre die Chance, die sie ihm grade gegeben hatte zu Nichte. Der besessene Zauberer stand jetzt mit dem Rücken zu ihm . Quinn hatte keine Reserven mehr, aber für diesen einen Zauber musste seine eigene Lebenskraft noch ausreichen. Wenn nicht, wer wusste, wie viele dieses Wesen noch töten würde, bevor ihm

jemand Einhalt gebot. In den vom krieg zerrissenen Landen könnte es Monate dauern, bis jemand die Zeichen erkannte und Jagd auf den Seelenträger machte. Ein Bolzen aus Licht drang aus seinen Fingerspitzen hervor und durchbohrte die Brust des nun schutzlosen Mannes. Mit einem rauchenden Loch im Körper brach er zusammen… Das konnte er nicht überlebt haben. Zumindest hoffte Quinn das. Im gleichen Moment gaben auch seine eigenen Beine unter ihm nach und die Welt begann, dunkel zu werden. Sah so aus, als hätte er sich dieses Mal endgültig überschätzt. Das Prasseln der Feuer und die Rufe der Dorfbewohner

verklangen zu einem fernen Flüstern, bis auch dieses schließlich verstummte.

Kapitel 87 Die Gefallenn


,, Quinn ?“ Quinn blinzelte ins Licht der Mittagssonne, die direkt über ihm stand. Dann jedoch wurde die blendende Helligkeit von einem irgendwie… vertraut wirkenden Schatten ausgeblendet. Die Gestalt grinste, als sie bemerkte, dass der Zauberer die Augen wieder öffnete.` Götter, was war passiert ? Seine Glieder fühlten sich an, als hätte jemand Bleigewichte daran gebunden und seine Kehle war so trocken, das er einfach kein Wort herausbringen wollte. ,, Wasser, bitte…“ , brachte er endlich

hervor. ,, Geister, ihr habt auch schon einmal besser Ausgesehen.“ Der Schatten verschwand kurz und kehrte wenige Augenblicke später mit einem Wasserschlauch und einem Zinnbecher zurück. Vorsichtig goss er einen Schluck klarer Flüssigkeit in den Becher und hielt ihn Quinn an die Lippen. Dieser trank gierig, fühlte er sich doch, als wäre er grade von den Toten zurückgekehrt. Was der Wahrheit vermutlich näher kam, als ihm lieb war. Seine Erinnerung war genauso verschwommen wie seine Wahrnehmung, aber langsam kehrten die einzelnen Puzzleteile an ihren Platz zurück. ,,Syle…“

Endlich viel ihm auch wieder der Name des Gejarn ein, der neben ihm hockte und den Becher nachfüllte. ,, Hätte nicht gedacht, das wir uns nochmal wiedersehen… Bin ich tot?“ ,,Nah dran, aber nein. Und ich hätte nie gedacht, dass ich mal froh wäre euch zu sehen. Meint ihr, ihr könnt aufstehen?“ Quinn nickte, war sich jedoch alles andere als sicher. Der Bär streckte ihm eine gewaltige Pranke hin und der Zauberer packte zu. Langsam und unter Protest seiner schmerzenden Gelenke, ließ er sich auf die Beine ziehen. Syle bereitete es kaum Mühe. Vermutlich, dachte der Zauberer bei sich, könnte der Gejarn ihn sogar tragen ohne es zu

merken. Der Gestank von verbranntem Fleisch lag in der Luft, zusammen mit dem salzigen Geschmack des Meers… und der allgegenwärtigen Asche. Quinn entdeckte Kellvian, der sich zusammen mit einer Gruppe Gejarn, darunter einen, den er als den Ältesten Fenisin erkannte, in den ausgebrannten Ruinen des Fischerdorfs umsah . Er lebte also wirklich noch. Und am Felspfad konnte er zwei weitere vertraute Gestalten ausmachen. Lucien und Melchior. Wie es aussah, hatten die Feuer kaum etwas von der Siedlung übrig gelassen, außer geschwärzte Balken und Glut.

Flammen hingegen gab es keine mehr. Götter, wie lange war er Bewusstlos gewesen? Offensichtlich lange genug, das sämtliche überlebenden Bewohner geflohen waren. Stunden… ,, Was ist hier nur passiert ?“ , fragte eine grauhaarige Gejarn, die sich genau wie die anderen nur Fassungslos umsah. Quinn könnte es ihr sagen, aber ihm schwirrten selber so viele Fragen im Kopf herum und seine Erinnerungen nach wie vor getrübt… ,, Nichts gutes, Mhari.“ , meinte Syle an seiner Stelle und trat ein Glutnest aus, das vor seine Füße geweht wurde. Die Löwin nickte nur resigniert. ,, Ihr wolltet doch, das ich nach der Zauberin

sehe. Es geht ihr… nicht gut. Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, das sie die nächsten Stunden Überlebt.“ Zauberin… Etwas in Quinns angeschlagenem Gedächtnis schlug Alarm. Kiara… ,, Sie lebt ?“ , fragte er aufgeregt. ,, Sture alte Hexe.“ ,,Noch.“ , antwortete Mhari. ,, Folgt mir. Vielleicht könnt ihr ihr ja helfen. Auch wenn ich keine Ahnung, wieso sie überhaupt noch lebt.“ Die Gejarn führte ihn etwas Weg von den ausgebrannten Gebäuden und zu einer Stelle, die im Windschutz einiger Felsen lag. Man hatte eine Zeltplane über den Felsen gespannt, so das ein

provisorisches Zelt entstand, in dem jedoch nur eine einzige Person auf einer strohgepolsterten Bahre lag. Kiara sah schrecklich aus. Der Feuerzauber hatte sie getroffen, ohne dass sie sich irgendwie davor geschützt hatte. Ihre linke Gesichtshälfte hatte am meisten abbekommen. Selbst unter Binden und Umschlägen konnte Quinn den Schaden sehen, den der Zauber angerichtet hatte. Obwohl die Schmerzen unvorstellbar sein mussten, war sie wach. Ihre Augen folgten ihm, als er sich ratlos neben die Liege setzte. Mhari wartete in Sichtweite draußen. Er konnte sie nicht heilen. Da war keine

Magie mehr übrig, auf die er zurückgreifen könnte. Zumindest nicht für den Augenblick. Quinn wollte etwas sagen, fand aber keine Worte. Kiara war selber viel zu realistisch, als das sie die Wahrheit nicht selber wüsste… Sie würde sterben Und das durfte nicht sein. ,,Melchior hat mich gewarnt, das so etwas passieren könnte…“ Das Sprechen bereitete ihr offenbar Mühe, aber die Worte waren klar und deutlich. ,,Sieht aus, als würde er recht behalten.“ Also hatte der Seher hierbei seine Finger im Spiel ? ,, Ihr kommt wieder auf die Beine.“ , antwortete

Quinn. Kiara lachte, ein kurzer Laut, der in ein schmerzerfülltes Stöhnen überging. ,, Selbst vor dem Ende bringt ihr mich noch zum Lachen. Ihr seid nicht dumm Quinn. Ich will, das ihr mir etwas versprecht.“ Sie packte sein Handgelenk, erstaunlich kräftig und hielt ihn fest. Für Quinn war klar, Kiara würde es fertig bringen, ihm ein letztes Mal zu befehlen… ,, Was ?“ , fragte er daher nur. ,,Bringt es für mich zu Ende.“ Mit diesen Worten fielen ihre Augen zu, ihre Hand nach wie vor in Quinns. Der Zauberer saß einen Augenblick nur da und lauschte dem schwächer werdenden

Atem der Ordensoberen. Er wusste nicht, wie lange genau, nur das die blendende Helligkeit draußen vor dem Zelt bereits in den rötlichen Schimmer des Nachmittags übergegangen war. Mhari war ebenfalls verschwunden, vermutlich zurück zu den anderen in der Siedlung. ,,Kiara ?“ Sie antwortete nicht mehr und nur langsam wurde ihm klar, dass sie längst nicht mehr atmete. Die Magierin musste sich wirklich nur noch mit reiner Willenskraft ans Leben geklammert haben. Für ein letztes Wort… Dieses Mal gab es nicht die Hoffnung, dass sie doch irgendwie davon gekommen war. Kiara war fort.

Endgültig. Irgendwie fühlte er sich plötzlich leer. Ein Gefühl, das ihm mittlerweile bekannt vorkam. Verlust… Früher wäre der Gedanke für ihn schon unvorstellbar gewesen. Trotzdem bereute er es nicht, zugelassen zu haben, das andere für ihn eine Bedeutung bekamen. Der Schmerz war da, aber auch das war in Ordnung. Vorsichtig ließ er die Hand der toten Zauberin los. ,,Verrückte, närrische, alte Frau…“ , murmelte er , auch wenn er wusste, dass es niemand mehr hören konnte. Eigentlich wusste er so gut wie nichts über Kiara, wie ihm klar wurde. Und nun nahm sie so viele Antworten wohl

für immer mit sich… Und dennoch, einen letzten Dienst konnte er ihr noch erweisen. Quinn stand entschlossen auf. Er hatte ein Versprechen gegeben und das würde er halten. Jetzt, wo er Kellvian wieder gefunden hatte konnte sich einiges ändern. Als er ins Dorf zurückkehrte, warteten die anderen dort bereits. Mittlerweile hatten sich offenbar auch einige Dorfbewohner wieder zurück gewagt, denn Kellvian unterhielt sich mit einigen aufgeregt wirkenden Menschen. Andere suchten bereits in den Trümmern nach ihren verbliebenen Habseligkeiten oder Angehörigen. Diese Leute hatten

tatsächlich alles verloren außer das, was sie am Körper trugen, dachte Quinn. Vielleicht konnten sie etwas für sie tun, wenn dieser Krieg sein Ende fand. Irgendwann… Das Land war vielerorts auf den Kopf gestellt worden und wie viele Ortschaften noch völlig zerstört waren, würde sich erst zeigen müssen. Der Zauberer ging mit gesenktem Kopf über den Strand, bis er zu der Stelle kam, wo er sich sein Duell mit dem besessenen Magier geliefert hatte. Der Boden war schwarz verfärbt durch die Hitze des magisch erzeugten Feuers und stellenweise zu einer glasartigen Substanz geschmolzen. Aber wo war die Leiche des

Mannes? Quinn konnte sie nirgendwo entdecken. Nur eine dunkle Fläche. Hatte vielleicht einer von Kellvians Männern den Körper bei Seite gebracht? Aber da schien unwahrscheinlich. Der Kaiser hatte wohl im Augenblick genug mit den Lebenden zu tun, die langsam in die Siedlung zurückkehrten. Und dann entdeckte er die Schleifspuren. Dort, wo der Sand nicht mehr geschmolzen war, zog sich eine breite Furche durch den Grund, als hätte sich jemand kriechend dort entlanggeschleppt. Darauf gefasst, sich jeden Moment wieder verteidigen zu müssen, folgte Quinn der Spur weg vom Dorf. Es war

dumm, die anderen nicht zu rufen, aber der Mann hätte tot sein müssen… Auch ein Seelenträger starb, wie alles andere auch, wenn man ihn nur schwer genug traf. Und Quinn hatte ihm einen Blitz durch den Brustkorb gejagt. Selbst wenn die Energie seine Organe nicht direkt verbrannt hatte, dass er sich noch Bewegen konnte war ein Wunder. Die Spur führte den Strand hinab, bis zu einer Stelle, wo eine verbrannte Gebäudewand direkt an die See Grenzte. Quinn konnte sehen, wie sich etwas hinter den lückenhaften Balken bewegte. Ihm fehlte nach wie vor die Kraft, für einen wirklich gefährlichen Zauber. Aber nun war es zu spät, umzudrehen.

Der Zauberer machte einen Satz um die Wand herum und spürte, wie seine Knochen bei der Bewegung leise protestierten, immer noch angeschlagen von seinem vorherigen Duell. Sobald er seinen Gegner jedoch sah, wurde Quinn klar, dass er sich darum keine Sorgen zu machen brauchte. Der Seelenträger war in noch schlechterer Verfassung als er selbst. Schwer atmend lehnte der Mann an der Wand und sah mit trübem Blick zu dem Ordensoberen auf. Das grüne Feuer in seinen Augen war erloschen, ersetzt durch etwas, das nur Furcht sein konnte. Quinn wollte dem Ganzen ein Ende

machen. Ein Zauber, der den ohnehin schon ersterbenden Lebensfunken des Besessenen auslöschte. Aber irgendwie brachte er es nicht über sich, das schwer verletzte Wesen zu erlösen. Stattdessen trat er näher und kniete sich vor die Gestalt. Es schien unmöglich, dass der Mann immer noch atmete, aber so war es. Quinn konnte die Stelle sehen, wo der Lichtbolzen die Brust des Besessenen durchdrungen hatte. Der Pfad der Energie hatte ein kreisrundes Loch erschaffen, durch das er die Holzwand hinter dem Mann erkennen konnte. Ihm wurde bei dem Anblick leicht übel. ,,Ihr…“ Die Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, weshalb Quinn sie beinahe

für einen weiteren, rasselnden Atemzug gehalten hätte. Aber es war auch nicht mehr die verzerrte Stimme eines Wahnsinnigen, die da sprach. In seinen letzten Momenten so schien es, lichtete sich der Schleier, der sich über den Geist der beiden Seelen gelegt hatte, die sich diesen Körper teilten. ,,Ihr seid schon tot.“ , erwiderte Quinn . So wie eure ganze Art, fügte er in Gedanken hinzu.. ,, Ich kann euch nur anbieten, euer Leben sofort zu beenden.“ ,,Ich fürchte mich…“ Der Blick des Mannes brach, während sich grüne Funken und die normale, bräunliche Augenfarbe miteinander abwechselten. Ein seltsames Schauspiel, das Quinn auf

eine Art abstieß und faszinierte. ,, So lange in der Dunkelheit und dann nur die Rückkehr in einen Alptraum…“ ,, Der Traum ist vorbei.“ , antwortete Quinn. Zwei Personen an einem Tag langsam sterben zu sehen war selbst für ihn nicht grade angenehm. Dass eine von ihm ihm etwas bedeutet hatte, machte es nicht besser. Und dieses Ding mit dem er sich nun unterhielt klang so verzweifelt und verängstigt… ,,Ja. Aber vielleicht bin ich letztlich… frei. Am Ende hat er uns damit einen Dienst erwiesen…“ ,, Wer ?“ Die Worte des Seelenträgers ergaben für Quinn kaum einen Sinn. ,, Endlich

schlafen…“ ,, Oh nein, das könnt ihr gleich vergessen . Von wem sprecht ihr? Wer hat euch am Ende vielleicht einen Dienst erwiesen?“ Quinn hätte den Mann am liebsten geschüttelt, aber das würde wohl kaum Erfolg haben. Er war ohnehin so gut wie tot. ,,Ismaiel.“ Diesmal war es kein Flüstern, sondern ein letztes, klares Wort, bevor der Zauberer plötzlich in sich zusammensank und ruhig liegenblieb. Seine Augen wurden endgültig leer und das grüne Feuer verschwand mit einem letzten, kurzen Aufflackern. Quinn stand schwankend auf, während er

sich auf den Weg zurück zu den anderen machte. Also steckte der Meister dahinter. Nach allem, was Kellvian ihm über den Mann erzählt hatte, hatte dieser seine Pläne, das alte Volk zurück zu bringen noch immer nicht aufgegeben. Mit fatalen Folgen wie es schien. Wer bei klarem Verstand käme auf die Idee, einen Seelenträger zu erschaffen? Es war völliger Irrsinn, sie ließen sich weder Kontrollieren noch konnte man sie Überzeugen. Er würde die anderen darüber informieren und dann… Ihm schwirrte der Kopf vor Erschöpfung, Trauer… und nun auch einem Hauch von

Angst. Später am Abend, als die Sterne am Himmel standen, konnte man Flammen sehen, die am Ufer der östlichen Sonnensee aufstiegen. Quinn hatte den Holzstapel mit einem Zauber entzündet und nun fraßen sich die magisch verstärkten Flammen rasch nach oben und hüllten die beiden Gestalten, die man in ölgetränkte Leinentücher gewickelt hatte, ein. Das Öl fing sofort Feuer, das eine tiefrote Farbe annahm, als es Haut, Kleidung und Knochen verzehrte. Und im Licht des Scheiterhaufens standen sieben Gestalten, die alle ihren

eigenen Gedanken nachhingen. ,, In meinem ganzen Leben bin ich nur einmal zuvor etwas so mächtigem begegnet.“ , meinte Quinn, als die ersten Äse zu Asche zerfielen und die Körper, die sie trugen in die Tiefe rutschten. ,, Es war auch nicht eure Schuld.“ , meinte Syle. ,, Niemand hätte das verhindern können. Und nach dem was ihr erzählt habt… vielleicht hat Ismaiel euch den Magier sogar hinterhergeschickt.“ ,, Das macht es nicht wirklich besser.“ , antwortete Quinn betrübt. ,, Erland plant irgendetwas. Keine Ahnung was, aber ich weiß, dass es dabei um Jiy geht. Sie ist schon auf dem Weg nach

Erindal…“ ,, Und genau da werden wir auch tun.“ , mischte Melchior sich ein. ,, Bevor wir euch gefunden haben , waren wir ohnehin auf dem Weg in die Stadt.“ ,, Melchior, wenn ihr wirklich glaubt, nach allem, was wir jetzt wissen, mache ich weiter einen Bogen um Jiy, könnt ihr das vergessen.“ Kellvians Stimme hatte plötzlich einen drohenden Unterton angenommen, während er in die Flammen starrte. ,, Ich werde sie nicht in eine Falle laufen lassen.“ ,, Eigentlich, wollte ich sogar das Gegenteil vorschlagen.“ Der Seher legte Kellvian eine Hand auf die Schulter. ,, Es gibt Dinge, die ich nicht verraten

darf, mein Freund, aber hört euch meinen Rat an. Wenn wir nach Erindal gehen, können wir uns dort auch umhören. Eine Armee, wie die, die Jiy begleitet fällt auf. Dann wissen wir, wo wir sie suchen müssen.“ ,,Das sind ja ganz neue Töne von euch. Warum der Sinneswandel ?“ , fragte Lucien. Doch der Seher antwortete nicht, sondern wendete sich nur wieder dem Scheiterhaufen zu, der mittlerweile schon halb heruntergebrannt war. Also war ihr nächstes Ziel klar, dachte Quinn. Erindal. Die Stadt war vielleicht noch einen Tagesmarsch entfernt, wenn sie sich

beeilten und keine Pause einlegten.

Kapitel 88 Erindal


Erindal war eine der wichtigsten Hafen und Handelsstädte des Ostens und das sah man bereits aus der Ferne. Einstmals Sitz eines der Könige der freien Reiche, thronte die Stadt wie ein Juwel in seiner Fassung aus Mauersteinen. Das Honigfarbene Gestein ragte mehrere hundert Schritte in die Höhe und manche der einzelnen Blöcke wirkten so gewaltig, das Kellvian sich fragte, wie man sie überhaupt an ihren Platz gebracht hatte. Im Licht der Abendsonne schienen die

schwarzen Banner auf den Zinnen von innen zu Leuchten. Jede der Flaggen zeigte das Wappen der Stadt, einen roten Widder, der sich auch auf den Uniformen der Stadtwache fand. Die Stadt lag auf einer Halbinsel, die nur über einen kleinen Landstreifen zu erreichen war. Auf drei Seiten vom Meer geschützt, war der Ort ein ehrfurchtgebietender Anblick, auch ohne einen Blick auf das Häusermeer und den uralten Palast im Stadtzentrum geworfen zu haben, einem Bau, der noch aus der Zeit der alten Reiche stammte. Auf der Landbrücke drängte sich eine nicht enden wollende Kolonne von Händlern und Reisenden, die unbehelligt

an den Stadtwachen vorbei zogen. Die Tore Erindals standen weit offen, trotzdem mussten sich die Leute drängen, um hineinzukommen. Es war ein heilloses Durcheinander aus gackernden Hühnern, schnaubenden Pferden, dem klappern von Karren und Fuhrwerken und den Stimmen tausender Menschen und Gejarn, die sich unterhielten, drohten oder einander zuriefen. Und es bot die perfekte Deckung für eine Gruppe von sieben Reisenden, die nicht auffallen wollten. Die restlichen Männer hatte Kellvian außer Sichtweite der Stadt zurück gelassen. Je weniger Aufmerksamkeit sie erweckten, desto

besser. Die Befehlshaber der übrigen Clans würden auch noch hinein gelangen müssen und wenn über mehrere Tage dutzende von bewaffneten Fremden in die Stadt kamen, würden die Wachen wohl schnell misstrauisch werden. Nun mussten sie warten, dass sich die Schlange vor ihnen auflöste, so dass sie überhaupt erst in die Stadt gelangen konnten. Zwar winkten die Wächter fast jeden Händler ohne ein Wort oder eine Überprüfung durch, trotzdem kam der Zug nur langsam voran. Erindal musste aus allen Nähten platzen. Etwas, das in Zeiten wie diesen für die Schlüsselrolle der Stadt sprach. Kellvian machte das Warten nichts aus.

Der Gedanke, dass er mit jedem Schritt endlich wieder ein Stück näher zu Jiy kam, machte ihn geduldig. Jetzt noch etwas zu überstürzen, das würde er nicht riskieren. Allerdings war ihm auch klar, das Andre Erindal kontrollierte, etwas, das spätestens jetzt nicht mehr zu leugnen war. Zwischen den in rot-schwarzer Livree gekleideten Stadtwachen tauchten auch immer wieder grau uniformierte Gestalten auf. Die Pelzbestickten Mäntel der Soldaten passten nicht in diese Gegend, aber das machte sie nicht weniger gefährlich. Zum Glück jedoch waren sie kaum an ihnen interessiert. Im allgemeinen Strom der Reisenden fielen auch sieben etwas

ungewöhnlichere Gestalten nicht auf. ,, Es geht doch nichts darüber, ein paar Stunden in der Sonne zu stehen.“ , meinte Lucien, der sich außerhalb des Blickfelds des Besitzers auf einem Karren niedergelassen hatte. Versteckt hinter ein paar Kisten konnte der kaiserliche Agent vermutlich die ganze Menschenschlange überblicken. ,, Wie weit ist das Tor noch entfernt ?“ , wollte Quinn wissen. Der Zauberer war während des letzten Tages meist in sich gekehrt und Schweigsam gewesen. Nach allem was geschehen war, konnte Kellvian das vielleicht verstehen… aber er hätte nie damit gerechnet, das Quinn so etwas wie Trauer empfinden konnte.

Offenbar hatte er sich gründlich in dem Mann getäuscht und das nicht nur einmal. Das Ismaiel jetzt tatsächlich so weit ging, Seelenträger irgendwie zu erschaffen, das war beunruhigend. Und wenn er sie jetzt auf sie hetzte… Quinn hatte der Kampf gegen einen fast umgebracht und der Orden war zu geschwächt. Und er selber hatte seine Magie fast völlig verloren, dachte er bitter. Sie wären beinahe Schutzlos. ,, Weit.“ , rief Lucien vom Karren zurück, während er aufstand und über die Kisten spähte. ,, Sehr weit…“ ,, Danke. Genauer ging es wohl nicht.“ Quinn ging mit gesenktem Kopf weiter,

Kellvian konnte ihn jedoch ganz deutlich murmeln hören : ,, Irgendwann bringe ich ihn um.“ Ohne den kühlenden Schatten der Bäume gab es nichts, was die Hitze abhielt, die trotz der späten Jahreszeit in diesem Land einfach nicht weichen wollte. Langsam aber sicher näherten sie sich dann aber doch dem Stadttor Erindals. Die gewaltigen, aber von Jahrhunderten in der Sonne ausgebleichten Flügeltore waren in eisernen Haken in der Mauer befestigt, damit sie nicht zufielen. Allerdings hatte sich mittlerweile so viel Sand und Erde vor den Toren angesammelt, dass es wohl fraglich war, ob sie sich überhaupt noch schließen

ließen. Seit dem Fall der freien Königreiche hatte hier Frieden geherrscht, genau wie im Rest des Kaiserreichs, sah man von kleineren Unruhen und den Grenzgebieten einmal ab. Jetzt jedoch war diese Zeit endgültig vorbei. Und er könnte am Ende der Kaiser sein, der Canton verlor und ein Reich zerbrechen ließ, das nun seit mehr als zweihundert Jahren bestanden hatte. ,, Hier hat sich wirklich nicht viel verändert, seit ich das letzte Mal hier war.“ , bemerkte Mhari, die mit Syle und Fenisin die Nachhut der kleinen Gruppe bildete. ,, Wann genau war das ?“, wollte Syle

wissen. ,, Vor… einer ganzen Weile.“ ,, Und wie lange ist eine ganze Weile für euch ?“ , rief Lucien seinerseits. ,, Sagen wir einfach, ich war sehr viel Jünger.“ ,, Sechzig oder siebzig Jahre ?“ ,, Werdet nicht frech oder ihr könnt gleich nochmal ausprobieren ob ihr es mit diesen sechzig Jahren aufnehmen könnt „ Tut euch bitte keinen Zwang an.“ , meinte Quinn. ,, Vielleicht bekommt ihr ihn irgendwann einmal zum Schweigen.“ Es war Syles Vorschlag gewesen, das die Gejarn unter sich bleiben würden. So würde auch niemand, der sie zufällig

sah, eine Verbindung zwischen den vier Menschen und den drei Gejarn herstellen können. Falls Andre überhaupt wusste, wer genau ihm in den letzten Wochen so viel Ärger bereitet hatte. Seit Luciens Rückkehr jedoch, war Kellvian sich nicht mehr sicher, ob sie sich darauf verlassen konnten. Wie viel der Verbannte verraten hatte, konnte keiner von ihnen Wissen. Vielleicht war es seine Schuld gewesen, dachte er, als sie an den Stadtwachen vorbeigingen, die außen vor dem Tor warteten. Er hatte nicht aufgepasst. Oder er hätte doch dem Drang nachgeben und die Vier töten lassen sollen? Der Gedanke erschreckte ihn, aber seine

Entscheidung war ein Fehler gewesen… Und hätte er das vorher Wissen können? Sobald sie das Tor passiert hatten, mussten sie feststellen, das auch in der Stadt ein gewaltiges Gedränge herrschte. Die kleine Gruppe wurde praktisch fofort vom Strom der Menschen erfasst und um nicht aufzufallen, führte Kellvian sie einfach in die nächste Straße. Die meisten Gebäude hier bestanden aus Sandstein oder Holz, das sich teilweise zwei oder sogar drei Stockwerke über die Straßen erhob. Zum Schutz vor der Sonne hatte man zwischen diesen Wohntürmen Segeltücher gespannt, die wenigstens die schlimmste Hitze des

Tages abhielten. Kellvian war ganz froh, dass der Winter nah war. Er wollte sich nicht vorstellen, wie es hier im Sommer sein mochte. In der Menge schien es dutzende von Leuten zu geben, die Krüge mit Wasser verkauften und verteilten. Vermutlich die einzige Möglichkeit für die fremden Händler und Reisenden, länger draußen zu bleiben. In Helike hatte er sich irgendwann an die Hitze gewöhnt, doch jetzt wünschte er sich nichts mehr, als irgendwo vielleicht einen überdachten Brunnen zu finden. Die meisten Bewohner Erindals trugen mehr oder weniger auffällige, luftige Gewänder. Manche davon waren in schlichten Erdtönen gehalten, andere

jedoch wiesen die verschiedensten Farbtöne von blau rot und grün auf. Die immer wieder in der Menge auftauchenden Stadtwachen hoben sich in ihren Livreen zum Glück deutlich davon ab, so das Kell und die anderen ihnen einfach ausweichen konnten. Zumindest meistens. Als sie jedoch grade in eine weitere Gasse einbiegen wollten, um einer größeren Patrouille zu entgehen, hob einer der Männer plötzlich den Arm und deutete in ihre Richtung. Dann rief er etwas nach hinten in die Gruppe der Stadtwachen. Kellvian wusste später nicht, ob er sie wirklich entdeckt hatte oder ob es um etwas anderes ging. Die Entfernung war zu

groß, als das er einzelne Worte hätte verstehen können. Auf sein Wort jedoch, traten einige der Männer plötzlich beiseite um einer Frau mit langen schwarzen Haaren Platz zu machen. Irgendetwas an ihr erregte sofort Kellvians Aufmerksamkeit. Sie trug ein mit silbernen Ziernähten besticktes, dunkles Kleid. Und wenn er ehrlich zu sich war, war sie durchaus Schön zu nennen. Aber da war noch etwas anderes. Ihre Blicke trafen sich. Einen Moment starrte er direkt in ein paar eisblauer, heller Augen, die in ihrer Härte so gar nicht zu der ansonsten eher zierlichen Gestalt passen wollten. Sie drehte den Kopf wieder weg, worauf

Kellvian erleichtert aufatmete und wechselte ein paar Worte mit den Wachen, dann drehten sich alle langsam wieder um und verschwanden über den Weg, den sie gekommen waren. Was war das denn bitte gewesen? Wenn man sie wirklich entdeckt hätte, wären sie wohl längst tot, trotzdem war er sich plötzlich nicht mehr sicher, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, sich einfach so in die Stadt zu wagen. Mittlerweile hatte Mhari die Führung der kleinen Gruppe übernommen. So zielsicher, wie die Gejarn sich durch die Straßen bewegte, konnte sich wirklich nicht viel verändert haben, seit sie das letzte Mal hier gewesen war. Erindal war

eine der wenigen Städte Cantons, die Kellvian bisher noch nicht einmal von der fliegenden Stadt aus gesehen hatte. Sie Bogen von der belebten Hauptstraße in eine ruhigere Gasse ein, in der sie sich endlich auch wieder freier Bewegen konnten. Die Gebäude hier waren größtenteils aus ausgebleichtem Holz gezimmert und alt, wirkten aber ordentlich und sauber. Eines davon wies ein Schild als Gaststätte aus und Mhari trat ohne zu zögern ein. Als Treffpunkt war es so gut wie jeder andere Ort, dachte Kellvian, als er der Löwin folgte. Wenn nicht sogar besser. Fremde vielen hier um einiges weniger auf. Vielleicht könnte er später Fenisin

zurück zu den wartenden Gejarn schicken, damit diese den Ältesten der übrigen Clans mitteilen konnten, wo sie sie fanden. Das Innere der Taverne war nur schwach beleuchtet, bestätigte aber noch einmal den Eindruck, den Kellvian schon von außen gewonnen hatte. Die Tische und Stühle waren schlicht, teilweise aus Holz gezimmert, das wohl beim Bau übrig geblieben war, aber stabil und der Boden sauber. Wie zu erwarten, waren die meisten Plätze besetzt. Händler und Reisende aus ganz Canton saßen entweder zusammen in kleinen Gruppen oder einzeln am Tisch, redeten über ihre Geschäfte, Politik und alles,

was sie sonst noch beschäftigte. Darunter natürlich den Krieg. Auch wenn Erindal sich offenbar alle Mühe gab so zu tun, als sei alles wie immer, die Leute wussten natürlich, dass vor ihren Toren bereits Schlachten ausgetragen wurden. Kellvian lauschte ob er vielleicht etwas über Jiy aufschnappte, während die anderen sich an einen der wenigen, freien Plätze niederließen und Mhari an der Theke mit dem Besitzer des Hauses sprach. Dieser war ein stämmiger, leicht untersetzter Mann. Hoffentlich gab es bei dem Andrang überhaupt noch Zimmer, dachte Kellvian, als er sich zu den anderen setzte. Sie würden eine Weile hier bleiben, entweder, bis sie

wussten, wo Jiy sich aufhielt oder die übrigen Gejarn-Ältesten eintrafen. Nach einer Weile kam auch Mhari zurück. ,, Wir haben offenbar Glück.“ , antwortete sie. ,, Die letzten Sieben Zimmer.“ Die Gejarn legte eine Handvoll Schlüssel auf die graue Holzoberfläche des Tisches. ,, Gut.“ Kellvian ordnete seine Gedanken. ,, Allerdings müssen die übrigen Ältesten dann wohl auf andere Gasthäuser ausweichen. Vermutlich ist es sowieso besser, wenn wir nicht alle an einem Ort sind. Aber…“ Bevor er den Satz beenden konnte, schwang die Tür der Taverne erneut auf

und eine Gestalt in schwarz-roter Livreee trat ein. Der Mann trug keine sichtbaren Waffen, sah sich jedoch suchend in der Menge um. Kellvian tastete sofort nach dem Griff der Pistole, die er zusammen mit Degen und Messer unter seinem Mantel verborgen trug. Hatte man sie doch entdeckt gehabt? Wenn ja, würden sie es gleich erfahren. Der Mann hatte sie entdeckt und kam zielstrebig auf den kleinen Tisch zu. Kellvian spannte sich an, während der Fremde vielleicht noch drei Schritte entfernt war. Zwei…. Einen… Offenbar war er nicht der einzige, der Nervös war, den sie alle standen

zeitgleich auf. Pistolen, Schwerter, Messer und das unmissverständliche Kribbeln der Magie tauchten gleichzeitig auf. Gesichter drehten sich zu der kleinen Gruppe um, wandten sich aber sofort wieder ab, als sie das Funkeln des Stahls und die einzelne Stadtwache sahen. Dabei wollte sich niemand einmischen. ,, Friede.“ Der Wächter breitete die Hände aus und langsam wurde Kellvian klar, dass er tatsächlich unbewaffnet war. ,, Was wollt ihr ?“ , fragte Kellvian, ohne die Waffe runter zu nehmen. Auch die anderen blieben Wachsam, bereit, sich jeden Moment zu

verteidigen. ,, Ich komme als Bote von Lady Kathrin Garin , Herr…“ ,, Herr ?“ ,, Wenn euch Kaiser lieber ist.“ Der Bote verbeugte sich kurz. ,, Ihr wisst also wer ich bin.“ Kellvian blieb weiter misstrauisch. ,, Und wie lautet die Botschaft von Lady Garin ?“ ,, Auch wenn euer Besuch hier und grade in diesen Zeiten überraschend ist, Herr, so sind uns doch die guten Manieren hoffentlich noch nicht abhandengekommen. Lady Garin lässt ausrichten, das sie euch als Gast im Stadtpalast willkommen heißt und euch zum Essen

erwartet.“

Kapitel 89 Die Einladung.


Kellvian wusste nicht, was er erwartet hatte. Vielleicht, das man ihn der Stadt verwies, wenn man nicht gleich versuchte, sie alle zu töten. Das jedoch ganz sicher nicht. Einen Moment musterte er den Boten nur stumm und suchte nach einem Zeichen dafür, dass der Mann log… Nichts. Langsam wurde der Mann nervös und trat von einem Bein auf das andere. ,, Herr ? Stimmt etwas nicht? Ich kann Lady Garin ausrichten lassen, das ihr

euch nicht wohl fühlt und…“ ,,Nein.“ Kellvian hob beschwichtigend eine Hand. ,, Das wird nicht nötig sein.“ Aber er musste Zeit gewinnen. Die Einladung einfach auszuschlagen käme einer tödlichen Beleidigung gleich. Und in ihrer momentanen Situation wohl umso mehr. Wussten die Götter, warum Lady Garin sie nicht einfach festsetzen ließ. Klar war nur, dass hier noch etwas ganz anderes vorging und Kellvian wollte wissen was. ,, Ich darf also ausrichten, das ihr erscheinen werdet ?“ , fragte der Bote, weiterhin ungeduldig. Wahrscheinlich wollte er der Fürstin nur möglichst rasch eine Rückmeldung geben, aber Kellvian

wollte nichts überstürzen. Er atmete tief durch. Das war ein Risiko, das wusste er selber. Aber er würde nicht erfahren, was eigentlich vor sich ging, wenn er hier blieb, nicht? Hilfesuchend sah er zu den anderen. Fenisin zuckte mit den Schultern. ,, Ihr Menschen habt seltsame Bräuche.“ , merkte er an. ,, Aber irgendetwas stimmt nicht.“ Das wusste Kellvian auch. ,, Gebt mir zwei Stunden.“ , meinte er schließlich an den Boten gewandt. ,, Ich und meine Begleiter sind erschöpft , ich werde jedoch gerne heute Abend dort sein.“ Das würde ihm hoffentlich genug Zeit

geben, sich etwas auszudenken. ,, Wie ihr wünscht.“ Der Bote verneigte sich noch einmal und machte sich dann wieder auf den Weg aus der Taverne. Kellvian sah ihm nach, bis die Tür hinter ihm zu viel. Mittlerweile hatte sich der kleine Tumult, den das Auftauchen des Mannes verursacht hatte wieder gelegt, trotzdem spürte er nach wie vor die Blicke der anderen Gäste, die immer wieder in ihre Richtung wanderten. Hoffentlich hatte niemand zu Aufmerksam mitgehört. Das die Fürstin Erindals wusste, wer und schlimmer wo er war, reichte ihm. ,, Melchior, was haltet ihr davon ?“ , wollte er wissen, als er sich sicher war,

das der Bote nicht mehr zurück kehren würde. ,, Schwierig.“ Der Seher starrte vor sich auf die Tischplatte, wo nach wie vor die Schlüssel lagen. Mit einer Bewegung hatte er eine Pfeife aus den Falten seiner Kleidung gezogen und begann, diese mit Tabak zu Stopfen. ,, OB ihr hingeht oder nicht, auf beiden Wegen lauert das Chaos. Ihr könnt nicht einfach ablehnen, oder?“ ,, Nein. Wir haben keine Ahnung, was Lady Garin eigentlich will… Und ich will nicht herausfinden, was passiert wenn sie merkt, das sie es so nicht bekommt.“ ,, Nun ich würde sagen, sie ist hinter

euch her.“ , warf Syle ein. ,, Wenn sie euch Andre bringt wird der vermutlich keine kleine Belohnung springen lassen.“ ,, Oder sie will Verhandeln.“ , warf Mhari ein. ,, Sie weiß, das Andre im Augenblick dabei ist, zu verlieren. Wir haben ihm viel Schaden zugefügt. Noch ist nichts sicher, aber sie könnte doch versuchen, sich mit Beiden Seiten gut zu stellen.“ ,, Ehrlich gesagt, darauf würde ich hoffen. Wenn Lady Garin uns Schaden wollte, hätte die Stadtwache die Taverne längst umstellt und uns nach draußen gezehrt.“ ,, Oder sie will euch nur alleine erwischen um sicherzugehen, dass man

euch Lebend gefangen nimmt.“ , bemerkte Quinn. Der Magier hatte die Arme vor der Brust verschränkt. ,, Ob für Andre, oder um sich selbst zu retten, wenn sie euch in der Hand hat, kann es ihr nur nützen. Wir wissen zu wenig.“ Kellvian seufzte. Das war ja grade das Dilemma. ,, Allerdings habe ich auch nur zwei Stunden, mir zu überlegen, was ich tue, wenn nicht und man mir plötzlich ein Schwert an die Kehle hält.“ , Dann begleiten wir euch.“ , schlug Lucien vor. ,, Ich gehe alleine.“ , erwiderte er entschieden. ,, Mit einem hat Mhari recht. Wenn sie darauf aus ist, sich selbst zu retten, dann wird sie um

Friedensverhandlungen bitten. Das will ich nicht gefährden.“ ,, Also gefährdet ihr lieber euer eigenes Leben.“ , meinte Syle düster. ,, Kellvian, jeder von uns könnte an eurer Stelle gehen. Ihr könntet ausrichten, das ihr verhindert seid, aber eine Vertretung geschickt habt.“ ,, Das könnte ich. Ich glaube aber nicht, dass man uns das abnimmt. Und wie gesagt, wir wissen auch nicht, was Lady Garin tut, wenn ich nicht auftauche. “ ,, Aber wenn ihr…“ , setzte der Bär zu einem Protest an. ,, Für genau diesen Fall, Syle, will ich, das ihr mit Fenisin zurück zu den Gejarn geht, die wir am Waldrand zurück

gelassen haben. Sucht die fünfzig besten Männer aus, die, denen ihr euer Leben anvertrauen würdet. Bringt sie in kleinen Gruppen in die Stadt, damit es nicht auffällt und wartet.“ ,, Eine Rückversicherung.“ , stellte Melchior fest. Syle wirkte nicht überzeugt. ,, Die nützt uns aber nichts, wenn man euch wirklich gefangen nimmt.“ ,, Wenn das passiert, habt ihr die Mittel, mich wieder rauszuholen. Allerdings habe ich nicht vor, es dazu kommen zu lassen. Und die anderen… hört euch weiter nach Jiy um und wartet auf die übrigen Clanältesten. Wenn Fenisin sie informiert werden viele wohl noch heute

eintreffen. Ich gehe in der Zwischenzeit… und treffe mich mit der Fürstin. Vielleicht haben wir Glück und es kommt wirklich etwas dabei heraus.“ ,, Oder wir können Jiy erklären, wieso ihr Mann einer fremden Frau hinterhergelaufen ist und sich dabei auch noch hat festsetzen lassen.“ , meinte Lucien mit einem breiten Grinsen. ,, Vielleicht solltet ihr es nicht ganz so formulieren.“ , schlug Syle vor. Kellvian stand auf und schüttelte den Kopf. ,, Wieso, Lucien, wundert mich eigentlich nicht mehr, das Eden euch eine Ohrfeige verpasst hat ? Ich bin wieder da, bevor ihr mich vermisst.“ Er nickte jedem der anderen noch einmal

zu, dann machte er sich auf den Weg zur Tür. Draußen auf der Straße, hatten sich die Menschenmassen mittlerweile etwas verlaufen und Kellvian kam schneller voran, als ihm lieb war. Er hatte damit gerechnet, noch eine gute Stunde Zeit zu haben, sich Gedanken zu machen, wie er hier wieder Heil rauskam. Nun jedoch schien es, würde er sein Ziel ohne Probleme erreichen, auch wenn die Straßen nach wie vor belebt genug waren, das er nicht auffiel. Der Palast im Herzen Erindals war nicht zu übersehen. Das Gebäude ragte selbst noch über die Dächer der Wohntürme und mehrstöckigen Bauten hinaus, die

das Stadtbild in den ärmeren Vierteln zu prägen schienen. Eine Unzahl an aus Sandstein in den unterschiedlichsten Farbtönen gefertigten Ziertürmen ragte aus den Mauern der Anlage auf. Fensterbögen aus rötlich, gelblich oder grünlich schimmerndem Gestein, Wände, die wie aus erstarrtem Honig gegossen schienen und ein Dach aus grauem, vom alter teilweise verwitterten Schiefer bildeten scharfe Kontraste zueinander und schienen in ihrer Farbenpracht die Stadt selbst wiederspiegeln zu wollen. Dieser Ort musste wohl selbst den Vergleich mit dem Kaiserpalast in der fliegenden Stadt nicht scheuen. Um den Palast selbst hatte man eine gewaltige

Freifläche angelegt, die nach der stickigen Enge der Straßen und des Gedränges der Menschen beinahe Schwindelerregend wirkte. Eine kurze Prachtstraße führte weiter durch eine Reihe von großzügig angelegten Gärten in Richtung einer zweiflügligen Tür in der Mauer des Palastes. Davor war auf einem Platz ein gewaltiges Mosaik aus buntem Glas eingelassen worden. Ein dutzend oder mehr Springbrunnen, die sich in regelmäßigen Abständen die Straße entlang zogen, kühlten die Luft und sorgten für einen ständigen, leichten Sprühregen, der es wohl erst möglich machte, hier Gärten anzulegen. Kellvian

trat zielstrebig auf das offen stehende Tor des Palastes zu. Zwei Männer der typischen rot-schwarzen Kleidung der Stadtgarde hielten daran Wache und stellten sich ihm in den Weg, als er näher kam. ,, Halt, Bürger. Es ist jedem Bewohner Erindals gestattet, die Gärten um den Palast zu betreten, aber ohne eine Einladung zur Audienz darf ich euch nicht weiter lassen.“ ,, Ehrlich gesagt, bin ich nicht wegen einer Audienz hier.“ , antwortete Kellvian. Er wollte den beiden Wächter nicht unbedingt mitteilen, mit wem sie es zu tun hatten. ,, Man hat mich allerdings Eingeladen heute Abend bei

einem Bankett anwesend zu sein. Lady Garin erwartet mich vermutlich bereits.“ Einer der Wächter kicherte leise. ,, Was ist so lustig ?“ , fragte Kellvian angespannt. Nach wie vor wusste er nicht, wie er hier bloß wieder herauskommen sollte, wenn etwas schief ging. Und je mehr er darüber nachdachte, desto überzeugter war er davon, dass er einen Fehler gemacht hatte. ,, Nur für den Fall, das ihr die Wahrheit sagt, wünsch ich euch jetzt schon viel Glück.“ , erwiderte der Mann. ,, Könnte durchaus eure letzte Mahlzeit sein. Wenn ihr uns auch mitteilen würdet, wer ihr

seid?“ Einfach Großartig, dachte Kellvian. Nicht nur hatte er keine Ahnung, was der Mann damit meinte, das könnte seine letzte Mahlzeit sein, er konnte auch schlecht weiterhin darauf hoffen, dass man ihn einfach durchlassen würde. ,,Kellvian Belfare. Würdet ihr jetzt endlich bei Seite treten?“ , ,, Der Kaiser ist tot.“ , behauptete die zweite Wache, die sich nach wie vor nicht von der Stelle rührte. In den Augen des Mannes wechselte sich jedoch Unsicherheit mit Verwirrung ab. ,, Nun heute ist er mein Gast.“ , meinte eine Gestalt, die soeben im Gang hinter dem Tor aufgetaucht war. Die Halle,

deren Zugang die beiden Männer bewachten, wurden von zwei Reihen hoher Säulen durchzogen, die ein teilweise verglastes Dach trugen. Die einzelnen Glaselemente waren in dunklen Farbtönen gefärbt und ließen breite Lichtbahnen in den Saal fallen. Einer dieser farbigen Lichtbalken viel direkt auf die Gestalt der Fürstin von Erindal. Sie trug immer noch ein silberdurchwirktes Kleid, dessen Farbton so perfekt an ihre Haare angepasst war, das diese damit zu verschmelzen schienen. Kellvian erkannte sie sofort als die Frau wieder, die er gesehen hatte, nachdem sie die Tore passierten. Das zumindest

beantwortete die Frage, woher sie wusste, dass er hier war. Sie hatte ihn gesehen. Der Blick zweier hellblauer, beunruhigend faszinierender, Augen wanderte von einem Wachmann zu anderen, während die Soldaten rasch bei Seite traten, und blieb dann an Kellvian hängen. Sie wirkte Klein in dem gewaltigen Saal mit seiner schwindelerregend hohen Decke, trotzdem war Kellvian plötzlich noch weniger wohl in seiner Haut, als wenn die beiden Posten ihn abgewiesen hätten. Zögerlich trat er unter dem Tor durch und war bemüht, überall hinzusehen, nur

nicht zu ihr. ,, Wenn ihr mir folgen würdet…“ Kellvian riss sich zusammen. Er war nicht hier, um den Eingeschüchterten zu geben, auch wenn er das Gefühl hatte, bereits den Boden unter den Füßen zu verlieren. ,, Es wäre mir ein Vergnügen, Lady Garin.“ , meinte er und brachte tatsächlich eine halbwegs überzeugende Verbeugung zu Stande. Die Fürstin lächelte, etwas, das so gar nicht zu dem berechnenden Ausdruck in ihren Augen passen wollte und bevor Kell ganz wusste, wie ihm geschah, hatte sie sich bei ihm Untergehackt. Offenbar hatte sie irgendein starkes

Parfüm aufgelegt. Veilchenduft vermischt mit dem seltsamen Geruch nach Gewürzen stach Kellvian in der Nase. ,, Kathrin reicht völlig, Herr.“ , meinte sie derweil. Eine weitere Tür am Ende der Halle wurde geöffnet, durch die sie in einen weiteren Saal gelangten. Dieser bestand aus einer Reihe großer, offener Fenster, durch die frische Luft hereinströmen konnte. Die Decken und Wände bestanden hier völlig aus rötlichem Sandstein, der dem ganzen Raum einen warmen Glanz verlieh. Wohl der Empfangssaal, wie Kellvian mit einem Blick zu einem kunstvoll verzierten Stuhl feststellte, der etwas

erhaben auf einem Podest stand. Aber wirklich in dem Raum umsehen, tat er sich nicht. Es war schwer genug, seine eigenen Gedanken zu Ordnen. Viel zu schnell bogen sie wieder in einen anderen Gang ein. Der Palast war offenbar noch weitläufiger, als er von außen wirkte. ,, Ich nehme an eure übrigen Gäste sind noch nicht eingetroffen ?“ , wollte Kellvian wissen. Der Versuch, ihren Arm loszuwerden, hatte er mittlerweile ohnehin aufgegeben. Aber er wollte so sicher nicht in einen voll besetzten Speisesaal stolpern. Götter, er bräuchte weniger etwas zu Essen, als frische Luft. Er sehnte sich bereits nach dem

Thronraum mit den offenen Fensterbögen zurück. Wenigstens hatte er dort klarer Denken können, als in der Duftgefüllten Luft um die Fürstin. Nach der Warnung des Wachmanns war ihm der Appetit ohnehin endgültig vergangen. ,, Welche anderen Gäste ?“ , fragte Kathrin und Kellvian konnte nur hoffen, dass sie den kurzen Ausdruck des Entsetzens in seinen Augen nicht bemerkte. Worauf genau bitte hatte er sich hier eingelassen?

Kapitel 90 Verzaubert


Kathrin führte ihn schließlich in einen Raum, der, im Vergleich zum Rest des Palastes schon klein zu nennen war. Nach wie vor hätte wohl ein normales Wohnhaus, wie man es draußen in den Straßen Erindals fand, ohne Probleme unter die Decke gepasst, aber man fühlte sich von der Weite des Baues nicht mehr so eingeschüchtert. Kellvian wusste natürlich, das genau das die Absicht der Architekten gewesen war, Ehrfurcht zu erwecken. In der fliegenden Stadt hielt man es genauso. Trotzdem hatte er sich

dieses Effekts nicht ganz erwehren können. Was vielleicht damit zusammenhing, das er bereits damit beschäftigt war, etwas ganz anderes mit aller Macht zu ignorieren. Kathrin löste sich endlich einmal von seiner Seite und trat in den Raum. Es war ein kleiner Speisesaal mit einem Tisch, an dem wohl leicht zehn Personen Platz gefunden hätten. Wie die Fürstin Erindals jedoch bereits angekündigt hatte, waren nur zwei der Plätze gedeckt. Auf der aus weißem Stoff gefertigten Tischdecke standen neben zwei Silbertellern und Besteck auch dutzende von Platten mit den unterschiedlichsten Gerichten. Über Käse

und Obst bis zu Braten und Geflügel. Und Kellvian stellte erleichtert fest, dass es ein Fenster im Raum gab, das schon wie die im Thronsaal keine Glasscheiben besaßen und so ständig Luft herein strömen ließen. Das seltsame Parfüm nicht mehr einatmen zu müssen, war bereits eine Wohltat und erlaubte ihm, sich zumindest wieder etwas darauf zu konzentrieren, weshalb er hier war. Dazu kamen mehrere Pflanzen, die in großen Tonkübeln im Raum verteilt standen und so fast den Eindruck erweckten, man befände sich im Freien. Kathrin hatte sich mittlerweile am Tisch niedergelassen. Kellvian setzte sich zwar zu ihr, machte aber keine Anstalten,

irgendetwas anzurühren. ,, Ich würde gerne sofort zum Punkt kommen.“ , erklärte er. Die Fürstin hob Fragend eine Augenbraue, was einen Moment den immerzu kalt und berechnend Wirkenden Blick ihrer Augen aufhob. ,,Bitte. Sagt was ihr wünscht.“ Sie hatte zwei Becher vom Tisch genommen und befüllte diese nun aus einer Karaffe mit Wein. Kellvian nahm den Kelch mit gemischten Gefühlen entgegen, während Kathrin ihn genau zu beobachten schien, ohne selber einen Schluck zu nehmen. Er würde hier nichts anrühren, wenn es sich vermeiden ließ, sagte er sich. Und schon gar nicht, wenn sie es nicht zuerst tat.

Er musste Zeit gewinnen. Wieder einmal. ,, Also eigentlich wollte ich euch erst einmal meine Bewunderung aussprechen.“ , erklärte er und vollführte eine Geste mit dem Becher, als wolle er ihr zuprosten und deutete mit der freien Hand in Richtung Fenster. . ,, Ein wunderschönes Gebäude.“ Sie drehte einen Moment den Kopf. Kellvian nutzte die Gelegenheit und schüttete den Wein rasch in einen der Pflanzenkübel, die an der Wand standen. ,, Danke.“ , meinte sie, als sie sich wieder ihm zuwendete. ,, Aber ich habe nichts hiervon bauen lassen. Die Gebäude stammen noch aus der Zeit der

freien Königreiche, Herr.“ ,, Du trotzdem sind sie fast so schön wie ihre Besitzerin.“ Verflucht, das hatte er gar nicht sagen wollen. Hastig fügte er hinzu: ,, Da ihr allerdings mit Andre im Bund steht, werde ich im Zweifelsfall nicht zögern, die Mauern bis auf die Grundmauern einzureißen.“ Das klang wiederum viel zu hart. Ihr musste klar sein , dass er nur bluffte. Wenn Kathrin halbwegs über seine Situation Bescheid wusste, dann wusste sie auch, dass er kaum genug Leute hatte, um auch nur eine offene Schlacht zu riskieren. Halb rechnete er bereits damit, dass sie erklären würde, seine Drohung wäre

leer. Doch sie blieb ganz ruhig. ,, Nur weil ich mit Andre im Bund stehe, kann ich mir doch meine Optionen anhören.“ ,, Ihr wollt also, das ich euch ein Angebot mache.“ , stellte Kellvian fest. Er konnte wieder klarer Denken, wofür er allen Göttern dankbar war. Diese Frau war auf mehr als eine Art gefährlich. Doch langsam kam er mit der Ausstrahlung klar, die sie hatte. Faszinierend, aber… es gab nur eine Frau in seinem Leben, wie weit weg diese sein mochte. ,, Das kommt darauf an, was ihr anbieten könnt, nicht ?“ , fragte Kathrin. Sie hatte sich leicht über den Tisch gebeugt

und musterte ihn, wie einen Käfer, der etwas Ungewöhnliches tat. Mit einer Hand pflückte sie derweil eine Weintraube aus einer der Schalen auf dem Tisch. Kellvian atmete tief durch und nahm dabei noch einen Hauch des Parfüms war, das die Fürstin trug. Es war nach wie vor faszinierend, aber es schien sich nicht mehr direkt in seinen Verstand einzuschleichen. ,, Es ist einfach.“ , meinte er und nahm auch eine Weintraube, wartete jedoch, bis Kathrin zuerst aß. Es gab nur eine Lösung, die er akzeptieren würde. ,, Ihr übergebt die Stadt wieder unter die Kontrolle des Kaiserreichs und schwört

erneut die Treue. Dafür verspreche ich euch im Gegenzug, dass niemanden innerhalb dieser Mauern etwas passieren wird. Keine Belagerung, keine Vergeltung, keine Handelseinschnitte. Ihr behaltet alle eure alten Rechte und, nachdem Andre in seine Schranken verwiesen ist, dürft ihr auch wieder euren Titel als Fürstin Erindals annehmen. Bis dahin jedoch würde die Stadt jemanden unterstehen, dem ich… mehr vertrauen kann.“ ,, Das ist alles ?“ Kathrin klang enttäuscht und stand auf. ,, Eure Bürger bleiben unbehelligt und ihr erspart euch eine Wochenlange Belagerung und behaltet euren Titel…“ ,

führte Kellvian weiter aus, während die Fürstin mit gemäßigten Schritten um den Tisch herum gelaufen kam. ,, Was wollt ihr mehr?“ ,,Vielleicht eine etwas verlässlichere… Rückversicherung.“ Bevor Kellvian wusste wie ihm geschah, hatte sie sich auf seinen Schoß gesetzt. Ihre Gesichter waren sich plötzlich fiel zu nahe und er atmete erneut den seltsam würzig-süßen Duft ein, den Kathrin mit sich trug. Die Überraschung machte ihn einen Moment unfähig etwas zu erwidern. Diesen kurzen Augenblick nutzte sie bereits um ihre Lippen auf seine zu drücken. Kellvian wehrte sie mit einer Hand ab. Hätte sie das gleiche zu Beginn versucht,

er wusste nicht, wie er darauf reagiert hätte. So jedoch, musste er sich zwar zusammenreißen, schob sie aber entschlossen von sich fort. Er hatte keine Ahnung, was mit ihm, losgewesen war. Sie war schön sicher, aber das alleine reichte nicht aus, zu erklären, wie er derart… geblendet sein konnte. Das Parfüm viel ihm ein … Irgendein Trick vielleicht? Jetzt wo er einmal darüber nachdachte, suchte er nach einer Spur von Magie… und fand sie schließlich auch. Kleine Funken lagen wie ein Schleier um Kathrin. Jetzt wo er es einmal als das erkannte was es war, verlor der Zauber gänzlich seine Wirkung auf

ihn. ,,Nicht, das ich mich nicht geehrt fühlen würde. Und es tut mir wirklich leid, wenn ich euch… irgendwie Hoffnungen gemacht haben sollte, “ , erklärte er und versuchte dabei so höflich wie möglich zu Klingen. ,, Aber erstens bin ich Verheiratet. Und Glücklich dabei, wenn man von ein paar unglücklichen Umständen absieht… und zweitens, selbst wenn nicht, es geht hier um mehr als euch und mich.“ Egal, ob sie das hier ernst meinte oder nur als einen Weg sah, sich einen Vorteil zu verschaffen… Es funktionierte nicht mehr. Ihm war jedoch klar, dass er Glück gehabt hatte. Entweder war der Zauber, den sie nutzte

schon fast verbraucht oder von einem abtrünnigen Zauberer ohne richtige Materialien erschaffen worden. Einem wirkungsvollen Bann entkam man nicht so einfach. Götter, das hätte durchaus damit enden können, das er seinen freien Willen verlor. Kellvian stand langsam auf. ,, Ich werde jetzt gehen. Mein Angebot steht. Mehr, werdet ihr nicht bekommen, es tut mir leid.“ ,, Ihr hättet es euch einfach machen können.“ , meinte die Fürstin, während er sie schon nicht mehr beachtete. Bevor Kellvian die Tür erreichte, nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung war. ,, Er meinte es würde funktionieren.“ Kellvian musste gar nicht Fragen, wen

sie mit ihm meinte. Es gab nur einen wichtigen Zauberer, der Andre unterstand. ,, Dann sterbt eben…“ Grade noch Rechtzeitig drehte er sich herum und sah das Aufblitzen von Metall. Kathrin hielt ein Messer über den Kopf erhoben. Kellvian riss die Arme hoch, um die Klinge abzuwehren, spürte jedoch, wie ihm der Stahl über den Handrücken Schnitt. Glücklicherweise war die Fürstin jedoch keine geübte Kämpferin und setzte nicht sofort nach. Stattdessen legte sie viel zu viel Schwung in den Angriff und sie beide gingen zu Boden. Das Messer wurde ihr aus der Hand geschleudert und landete fast in Kellvians Reichweite.

Bevor er jedoch danach greifen konnte, erschütterte ein schwerer Schlag die Mauern des Palastes. Die Klinge machte einen Satz über den Boden und schlug gegen die Wand des Raums. Was war jetzt wieder schiefgegangen? Zyle konnte die Mauern Erindals bereits aus der Ferne sehen. Die hohen Wälle aus Sandstein erinnerten ihn etwas an Helike. Nur das sie sich wohl nicht so einfach hätten Übertölpeln lassen. Bis zuletzt war es ihnen gelungen, sich der Stadt fast unerkannt zu nähern. Etwas, das sie Roland zu verdanken hatten. Der Mann war auf die Idee gekommen, sich der Stadt nicht auf dem direkten Weg zu

nähern, sondern einen Bogen nach Osten zu schlagen, so dass sie nun aus einer Richtung auftauchten, aus der Andre sie sicher nie erwartet hatte. Aus dem von ihm besetzten Gebiet. Bis zuletzt war es ihnen so gelungen, sich der Stadt unerkannt zu näheren. Nun jedoch, wo Erindal in Sichtweite war, wurden dort hastig Vorkehrungen getroffen. Zyle konnte den endlosen Strom der Händler und Reisenden vor de Toren sehen, die plötzlich ausgesperrt wurden, als Stadtwachen und Soldaten die gewaltigen Haken lösten, welche die schweren Holzflügen in Position hielten. Mit einem donnernden Schlag, der selbst

über die grasbewachsene Steppe vor Erindal hinweg noch zu hören war, fielen die Tore ins Schloss. Die Reisenden wiederum, die sich plötzlich eingekeilt sahen zwischen einer fremden Streitmacht auf der einen und der versperrten Stadt auf der anderen Seite, ergriffen hastig die Flucht nach Westen, um wenigstens ihr Hab und Gut zu retten. Zyle ließ sie gewähren, während Roland vom Pferderücken aus Befehle gab, damit niemand auf die Händler feuerte. Ihr Ziel war nur die Stadt. Er und Roland hatten sich an die Spitze des Zugs aus Gardisten gesetzt, der nun, noch außer Reichweite der Schützen, die

sich auf den Mauern Erindals verbergen mochten, ausfächerte und sich über die Ebene verteilte. Mehr als Zwanzigtausend Mann. Aber ob es auch ausreichen würde, das wusste Zyle nicht sicher zu sagen. Jiy und Eden würden jeweils einen eigenen Abschnitt der Truppen übernehmen. Und Relina… Zyle schüttelte den Gedanken sofort ab. Er konnte es sich jetzt nicht erlauben, schon wieder darüber nachzugrübeln. Allerdings hatte er die sich auch auf dem Weg hierher kaum gegönnt. Es war einfacher, sich nicht damit zu beschäftigen. Und wozu sollte es führen… Sie hasste ihn. Das hatte sie

deutlich gemacht. Auf den ersten Blick war Erindal beinahe zu Friedlich. Aber wenn man bedachte, dass sie die Verteidiger völlig unvorbereitet erwischt hatten, war das nicht zu verwunderlich. Auf Rolands Zeichen wurden hinter den Reihen der Soldaten die schweren Geschütze bereit gemacht. Sie hatten nicht vor, sich auf eine lange Belagerung einzulassen. Schon alleine, weil ihnen dafür schlicht die Vorräte fehlten. Sie hatten sich weit vorgewagt… Nur wenn Erindal ihnen auch in die Hände fiel, konnten sie hoffen, sich hier auch zu halten. Die Mauern würden dem Beschuss wohl

eine Weile standhalten, aber diese waren auch gar nicht ihr Ziel. Zyle trat zu Roland, der mittlerweile bereits den Schützen Anweisungen gab. ,, Das Tor ist alt.“ , bemerkte er zufrieden. Der Gejarn nickte. ,,Mit etwas Glück gehört die Stadt vor heute Abend uns.“ Es war ein weiter Weg gewesen. Und jetzt, gab es kein Zurück mehr. Bevor er oder Roland jedoch den Befehl an die Kanoniere geben konnten, tauchte die Gestalt aus den Reihen der Gardisten auf, die Zyle hier am allerwenigsten erwartet hatte. Relina trug einen weiten Wollmantel,

wie an dem Tag, an dem sie zu ihnen gestoßen war. Im Augenblick zumindest konnte der Umhang ihren Zustand noch recht gut verbergen. Zyle seufzte. Er hatte sie bis jetzt nicht gebeten, sich herauszuhalten. Einmal weil er einen weiteren Konflikt mir ihr scheute… und weil er sie ohnehin zu gut kannte. Jetzt jedoch sah es so aus, als wollte sie es genau darauf ankommen lassen. ,, Entschuldigt mich nur einen Moment.“ , wendete er sich an Roland. ,,Entscheidet bis dahin selbst wann der Angriff beginnen soll.“ Der Mann nickte, während Zyle sich abwandte und Relina

entgegenging.

Kapitel 91 Durch die Tore


Eine Windbriese bewegte das hochstehende Gras auf der Ebene und trieb Wolken aus Staub mit sich, die in der Sonne glitzerten. Ein viel zu schöner Tag, dachte er, für das, was auf sie alle warten würde. Erindal harrte hinter ihm nach wie vor der Dinge, die da kommen mochten. Zyle jedoch konnte nicht einfach abwarten, während er auf Relina zuging. Die Schakalin hatte ihn sicher längst bemerkt und war stehen geblieben, weit genug von der Armee und den anderen

entfernt, das sie wohl niemand hören würde. Der Wind wehte ihr die Haare um den Kopf und Zyle musste einen Kloß im Hals hinunterschlucken, wie er sie so sah. Nach allem was auch gewesen sein mochte, er konnte seine Gefühle schlicht nicht verleugnen. Und das machte es umso schwerer. Relina hob nur den Kopf, als er schließlich vor ihr stehen blieb und nach Worten suchte. ,, Ich weiß schon, dass dir das nicht gefallen wird. Aber auch auf die Gefahr hin, dass du mich… noch mehr hasst als ohnehin schon… bitte bleib hier. Das dir etwas passiert… Egal was du von mir halten magst, ich könnte die Vorstellung

nicht ertragen. Wir greifen eine befestigte Stadt an. Jeder von uns könnte sterben bevor er auch nur eine Chance hat zu kämpfen. Vor einer Kugel schützt dich auch Magie nicht.“ Es hatte keinen Sinn, das wusste er jetzt schon. Und Befehlen konnte er ihr bei weitem nichts. Innerlich wappnete der Gejarn sich bereits für ihre Antwort. Doch die ließ auf sich warten. Relina zögerte, als sähe sie ihn grade zum ersten Mal wieder. ,, Zyle, das hatten wir schon.“ , meinte sie schließlich. Ihre Stimme jedoch klang dabei überraschend sanft. ,, Was würdest du mir antworten, würde ich dich um das gleiche bitten

?“ ,, Das ich der Hochgeneral Cantons bin und bei meinem Leben geschworen habe, alles zu tun, was nötig ist um das hier ein für alle Mal zu beenden ?“ ,, Nicht ganz, was ich erwartet hatte.“ Der Anflug eines Lächelns tauchte auf ihrem Gesicht auf. ,, Aber gut, vielleicht habe ich nicht mein Leben auf Canton eingeschworen, aber… Maras ist genauso davon abhängig.“ ,, Ich kann es dir also nicht ausreden.“ , stellte Zyle schlicht fest, innerlich jedoch freute er sich darüber, dass sie wenigstens einmal ein paar ruhige Worte miteinander wechseln konnten. Es war nichts, nach wie

vor. ,, Genau so wenig wie ich dir.“ , entgegnete die Gejarn-Zauberin, mit einem leisen Hauch des Bedauerns. Oder bildete er sich das nur ein. ,, Warum würdest du das tun wollen ?“ Relina antwortete nicht, sondern legte ihm nur einen Moment die Hand auf den Arm. ,, Pass einfach auf dich auf, ja ?“ Mit diesen Worten war das Gespräch für sie offenbar beendet, den sie machte demonstrativ einen Schritt zurück. ,, Du auch.“ , murmelte Zyle. ,, Geh.“ ,erwiderte sie nur. ,, Geh endlich. Ich glaube Roland wartet auf dich.“ Er nickte, so schwer ihm das fiel. So

seltsam und vertraut dieser kurze Moment gewesen war, es war nichts im Vergleich zu dem, was sie jetzt tun mussten. Zyle wünschte sich, es gäbe irgendeinen Weg, die Stadt ohne eine Schlacht einzunehmen, wie in Lasanta, aber Erindal war nicht nur eine Festung, sondern die Fürstin der Stadt hatte nicht die Fehler Jormunds gemacht. Wo der Herr Lasantas sich Paranoid verkrochen und jeden Angestellt hatte, der ihm Schutz bot, verließ sie sich auf ihre eigene Stadtwache… und Andres Söldner. Roland wartete genau dort, wo Zyle sich zuvor von ihm verabschiedet hatte. Ruhig und mit dem geübten Bick des

Feldherrn, ließ der General den Blick über die Zinnen der Stadtmauer schweifen. ,, Es sind nicht viele Verteidiger. Vermutlich ist unser Plan aufgegangen und wir haben sie ziemlich überrascht.“ ,, Ihr meint euer Plan.“ Die Stadt nicht direkt anzugreifen, war allein Rolands Idee gewesen. Ohne ihn hätten sie es heute wohl mit deutlich mehr Gegnern zu tun. Andre würde es nicht riskieren, seine letzte große Bastion vor Silberstedt zu verlieren. ,, Das könnte aber auch einfach nur heißen, das ihnen schon klar ist, das sie die Mauern nicht halten können. Wenn sie alle ihre Truppen auf die Zinnen

schicken, wird das für die Kanoniere ein Zielschießen.“ ,, Wir müssen also mit mehr Wiederstand in der Stadt selbst rechnen.“ Roland nickte. ,, Und das schlimmste ist, das sie dann den Vorteil haben uns nach ihren Regeln zu bekämpfen. Ich weiß, wie Erindal gebaut ist. Viele schmale, verwinkelte Gassen.“ ,, Wir laufen also durch einen Irrgarten in dem man uns jeden Augenblick ein Messer in den Rücken rammen kann. Sehr positiv.“ ,, Allerdings sind wir ihnen zahlenmäßig überlegen.Wenn wir es durch die Tore schaffen.“ ,, Dann Sorgen wir besser dafür. Roland,

gebt den Befehl.“ Der Mann nickte und riss im selben Moment das Schwert hoch. ,, Kanoniere, vorwärts. Zielt auf das Tor.“ Auf das Zeichen hin teilten sich die Reihen der wartenden Gardisten und machten mehreren schweren Geschützen Platz, die , von Pferden gezogen auf das Freiland zwischen Armee und Stadt gebracht wurden. Dutzende von Soldaten sprangen sofort herbei, machten letzte Vorbereitungen, schafften Pulver und Kugeln heran… Und dann füllte der Donner aus über dreißig gleichzeitig abgefeuerten Kanonen die Luft , zerschmetterte die bisherige Stille und ließ den Erdboden

unter ihren Füßen zittern. Zyle musste sich zusammennehmen, um sich nicht die Ohren zu zuhalten. Rolands Pferd scheute kurz, aber der General brachte es geschickt wieder unter Kontrolle. Mehrere der Eisenkugeln verfehlten ihr Ziel und fliogen entweder ein Stück über die Mauer hinweg oder schlugen in die Zinnen und Steine ein, wobei sie gewaltige Trümmerstücke heraussprengten und den Männern auf den Wällen teilweise den Boden unter den Füßen nahmen. Zyle sah, wie mehrere Schatten durch die Luft gewirbelt wurden, als wären sie Spielzeuge. Und doch waren es

Menschen… In diesem einen Augenblick verstand er zumindest das Verbot der Feuerwaffen, das die Archonten erlassen hatten. Wieder einmal. Darin lag nichts Ehrenhaftes mehr. Einige Projektile fanden schließlich auch ihr Ziel. Das uralte Holz der Tore zersplitterte beim Aufprall der Geschosse ohne jeden Wiederstand. Der erste Treffer riss ein Loch so groß wie zwei ausgewachsene Männer hinein. Der zweite brachte die verrosteten Torangeln dazu, sich zu verbiegen, so dass die Überreste des Portals nun schief hingen. Und der dritte schließlich riss es endgültig aus seiner Verankerung. In einer Wolke aus Staub und Holzsplittern,

die sich überall verstreuten, schlug das Holztor auf der Straße auf, die in die Stadt führte. Sobald Zyle sah, wie das Portal sich neigte, gab Roland auch schon den Befehl zu Angriff. Eine einzige Geste reichte und die eben noch ruhig wartenden Gardisten setzten sich fast zeitgleich in Bewegung. Gewehre wurden Geschultert, Schwerter gezückt und die Kanonen bereits nachgeladen, falls man sie erneut brauchen sollte. Zyle versuchte, im Strom aus Soldaten und Belagerungsgerät die Übersicht zu behalten, stellte aber bald fest, dass das Unmöglich war. Vielleicht hätte er zu Pferd eine bessere Aussicht gehabt, aber

diese Erkenntnis kam zu spät. Roland übernahm bereits die Führung des Heeres und verschwand in einer Staubwolke, der Zyle nur Kopfschüttelnd hinterher sah. Eines Tages, dachte er, würde sich dieser Mann noch einmal in seinen eigenen Tod stürzen. Der Gejarn hingegen suchte in der Menge nach Relina, während er gleichzeitig versuchte, nicht weiter zurück zu fallen, als ohnehin schon. An den Toren Erindals tauchten bereits die ersten Stadtwachen auf, um sich der kaiserlichen Garde entgegenzustellen und im nächsten Moment jagten die ersten Kugeln durch die Luft. Zyle konnte spüren, wie eine Kugel knapp an ihm

vorbeiflog und den Mann hinter ihm traf. Der Gardist stolperte zurück, eine blutende Wunde im Brustkorb. Einige wurden langsamer und erwiderten das Feuer und wieder andere versuchten rasch, die letzten Schritte bis zur Mauer hinter sich zu bringen. Zyle konnte Roland sehen, der eine kleine Gruppe Kavalleristen um sich geschart hatte, die nun in einem Bogen auf das Tor zuritten. Jiy, Cyrus und die anderen mussten ebenfalls irgendwo sein. Aber sie würden schon aufeinander achten, dachte er. Nur wo war Relina? Endlich entdeckte er sie, zwischen den Nachzüglern der Garde und den Verletzten, die man in Sicherheit

brachte. Sie war langsamer als der Rest von ihnen und Zyle atmete erleichtert auf. Das bedeutete wenigstens, sie wäre nicht ganz so gefährdet… Vielleicht hätten sie die Tore schon längst gesichert, bevor Reina zu ihnen stieß. Aber das hieß auch, dass er sich nicht einfach in ihrer Nähe halten konnte. Roland war mittlerweile bereits am Tor angekommen und lieferte sich, zusammen mit einigen Gardisten, die es bereits soweit geschafft hatten, einen erbitterten Kampf mit der Stadtwache und Andres Männern. Der General war ein für Cantons Verhältnisse ein Beeindruckender Kämpfer. Obwohl um ihn herum das Chaos der Schlacht tobte,

blieb er scheinbar kühl und konzentrierte sich immer nur auf den Gegner vor sich. Langsam aber sicher trieben er und die anderen die Verteidiger weiter zurück. Erindals Wächtern war klar, wenn sie den Durchgang halten konnten, würde die Garde ihre Übermacht nicht so gut einsetzen können. Im Schlimmstenfalls kam ihr Angriff ganz zum Stocken und dann könnten die Verteidiger einfach einen Hagel aus Geschossen auf sie niedergehen lassen. Die Armee würde vor den Mauern Erindals zu Grunde gehen… Zyle war einen Moment hin und her gerissen. Er konnte nicht auf Relina achten und gleichzeitig mit den anderen

die Tore durchbrechen. Die Entscheidung jedoch, wurde ihm plötzlich abgenommen. Roland hatte sich zu weit vorgewagt. Seine übrigen Männer hinter sich lassend, schlug er eine Schneise in die Wand aus Verteidigern, wehrten die Bajonettklingen ab, mit denen man nach ihm stieß. Eine Kugel prallte Funkenschlagend von seinem Kürass ab. Dann jedoch bäumte sich das Pferd auf dem er saß plötzlich auf und warf ihn ab. Das Tier stürzte schwer zur Seite, selbst von mehreren Projektilen getroffen und begrub Gardisten wie Söldner unter sich. Zyle verlor Roland aus den Augen, als er

stürzte und im Gedränge der Kämpfer verschwand. Der Gejarn rannte das letzte Stück Weg, bis zu den Reihen der Nachrückenden Gardisten. ,, Bei Seite !“ , rief er , ohne darauf zu achten, ob ihn jemand hörte. Die Männer wichen jedoch beinahe instinktiv zurück, als sie ihren Hochgeneral erkannten und so stürmte er einfach weiter, bis er sich plötzlich mitten im Getümmel wiederfand, Die Garde hinter sich, die Stadtwache vor sich. Einige der rot-schwarz gekleideten Männer wichen zurück, als sie sich einem Krieger gegenübersahen, der so gar nicht in das Vertraute Bild der kaiserlichen Musketiere passen wollte. Ein schwerer

Stahlpanzer und ein Breitschwert in der Hand hatten einige von ihnen wohl das Gefühl, einem Geist gegenüberzustehen. Einem durchaus tödlichen Geist, den Zyle wartete nicht, bis sie sich aus ihrer Erstarrung lösten sondern Schnitt durch ihre Reihe, als seien sie nur Übungspuppen. Und im Vergleich zu einem Schwertmeister Helikes warn sie das auch. Ein Mann versuchte sich zu Verteidigen und riss die Klinge hoch um seinen Hals zu schützen. Zyle änderte sofort die Schlagrichtung und durchbohrte seine Brust. Ein anderer stieß mit dem Bajonett nach ihm, bevor er im nächsten Moment mit ersterbendem Blick zusammenbrach. Es machte keinen

Unterschied. Mit der Hilfe der restlichen Garde und der aufkeimenden Furcht der Stadtwachen und Söldner, räumte Zyle innerhalb weniger Herzschläge einen kleinen Platz in der Menge frei. Niemand wollte riskieren, sich etwas zu stellen, das nur ein rasender Dämon sein konnte. So trieb der Gejarn seine Gegner vor sich her, bis er endlich Roland entdeckte. Der Mann lag auf dem Rücken, schien ansonsten aber unverletzt. Das Schwert jedoch war bei seinem Sturz offenbar zerbrochen und er verteidigte sich mit dem gesplitterten Überrest gegen eine Gruppe von Andres Söldner. Mehrere von ihnen lagen bereits genau wie der

General im Schmutz. Nur rührten sie sich nicht mehr. Trotzdem kam Roland ohne Hilfe schlicht nicht wieder auf die Füße. Von allen Seiten bedrängt, konnte er die Füße nirgends absetzten und das Gewicht der Rüstung tat wohl sein Übriges. Zyle streckte den ersten der grau Uniformierten Kämpfer nieder, bevor dieser wusste, dass er da war. Die anderen wirbelten zu ihm herum und ein Mann, der einen Pelzmantel über der Uniform trug, hieb mit einer Axt nach ihm. Bevor er jedoch auch nur dazu kam, die Waffe richtig zu heben, segelte auch schon das Klingenblatt davon, als Zyle schlicht den Stil durchtrennte.

Ungläubig starrte sein Gegner noch kurz auf die zerstörte Axt, dann setzte Zyle nach. Ein anderer zog eine Steinschlosspistole und drückte ab. Der Treffer tat weh und ihn mehrere Schritte zurück. Einen Moment wurde ihm sogar schwarz vor Augen. Dann jedoch richtete er sich wieder auf. Die Wunde blutete kaum und würde sich wohl geschlossen haben, bevor er sich um den Schützen gekümmert hatte. Zumindest einen Vorteil hatte es, nicht mehr ganz am Leben zu sein. ,, Ihr braucht schon etwas mehr, um mich zu töten.“ , erklärte er nur bevor er unbeeindruckt den nächsten Mann niederstreckte. Nun bekamen es die

restlichen auch mit der Angst zu tun und wichen rasch zurück. Niemand hatte sie darauf vorbereitet, gegen jemanden zu Kämpfen, der mit einer Kugel in der Brust einfach wieder aufstand. Zyle schob das Schwert zurück an seinem Platz an seinem Gürtel und hechtete zu Roland. ,, Götter, ich sags nochmal, ihr könnt vielleicht kämpfen !“ , rief der Mannüberschwänglich, bevor Zyle ihm eine Hand hinstreckte und er sie ergriff. Mit einem Ruck zog er Roland wieder auf die Füße, der sich mit einem kurzen Salut verabschiedete. ,, Aber das sollte sich jemand ansehen.“ Zyle sah an sich herab. Das war

allerdings seltsam… Die Wunde war nicht komplett verheilt. Ein dünnes Blutrinnsal sickerte nach wie vor aus der Schussverletzung und durchtränkte allmählich seine Kleidung. Wenn das überhaupt Blut war… Er würde sich später darum Gedanken machen. Der Schmerz war erträglich. Vielleicht war einfach noch nicht genug Zeit vergangen. Rasch suchte er das Schlachtfeld nach Relina ab und stellte erleichtert fest, dass sie noch nicht ganz zu ihnen aufgeschlossen hatte. Und nun trieben die Gardisten auch die letzten Verteidiger durch den Torbogen und in die Straßen von Erindal. Ohne es zu wollen, hob er eine Hand und

machte sie auf sich aufmerksam. Die Gejarn schüttelte nur den Kopf, bevor sie an ihm vorbei ging und den übrigen Gardisten ins Innere der Stadt folgte. Aber war da nicht wieder ein kurzes Lächeln gewesen? Er wusste es nicht…

Kapitel 92 Der Tod der Fürstin


Kathrin machte einen Hechtsprung in Richtung ihres verlorenen Messers, während Kellvian ebenfalls versuchte, die Klinge zu fassen zu kommen. Sie versetzte ihm einen Ellbogenstoß in die Magengrube, der ihn zusammenzucken ließ. Taumelnd kam er endlich wieder auf die Füße… und sah sich plötzlich der Fürstin gegenüber, die erneut den Dolch in der Hand hielt. Durch die offenen Fenster drangen mittlerweile Rufe und der Klang von Schüssen zu ihnen herein. Irgendetwas ging in Erindal vor sich.

Allerdings hatte Kellvian im Augenblick andere Probleme. ,,Ich wollte euch euer Leben lassen…“ , meinte Lady Garin kalt, während sie einen Schritt auf ihn zu machte, ihr eigentlich anmutiges Gesicht wirkte enttäuscht. ,, Ich glaube ihr seid wirklich kein schlechter Mensch.“ Langsam wich er zurück und überlegte Fieberhaft, was er tun sollte. Syle und die anderen hatten den Lärm doch sicher auch gehört. Aber ob sie rechtzeitig hier sein würden… ,, Ein Leben als eine Marionette ? Es gibt einen Grund, aus dem selbst der Orden den Geist der Menschen nicht derart manipuliert. Dachtet ihr wirklich

etwas Magie reicht aus, damit ich einfach alles vergesse?“ Tatsächlich, dachte Kellvian würde er wohl niemals jemanden erzählen, wie kurz davor er gewesen war. Doch jetzt, wo er die seltsame Ausstrahlung der Fürstin als das erkannt hatte, was sie war, Magie, ein Zauber, der jeden der sich länger in ihrer Nähe aufhielt unweigerlich in den Bann schlagen musste, war sein Verstand wieder klar wie eh und je. Er hatte wirklich schon beinahe alles Vergessen gehabt. Normalerweise sofort danach suchen müssen, als er den Palast betreten hatte, aber da hatte in die Magie schon halb unter ihre Kontrolle

gebracht. ,, Wenn ihr das glaubt, dann legt das Messer weg. Es ist ganz einfach. Ihr habt mein Angebot gehört. Es gilt noch immer.“ Sie lachte bitter. ,, Selbst wenn ich euch abnehmen würde, das ihr nachdem was ich versucht habe keinen Groll gegen mich hegt… Glaubt ihr ich wüsste nicht, das es eure Armee ist, die dort draußen vor der Stadt lauert?“ ,, Ich habe keine Ahnung, ob das stimmt. Kathrin, ich habe seit Monaten keinen Kontakt mehr zu meinen eigenen Leuten…“ ,, Natürlich. Es tut mir leid Kellvian, aber es endet hier.“ Mit diesen Worten

stieß sie blitzschnell zu. Kell versuchte, das Messer zur Seite zu schlagen und tatsächlich jagte die Klinge dicht an seiner linken Seite vorbei. Bevor die Fürstin die Waffe zurückziehen konnte, packte er ihre Hand und versuchte, ihr das Messer zu entwenden. Sie trat nach ihm und er musste den Griff wieder lösen. Im gleichen Moment riss sie erneut das Messer hoch und ging mit einem Aufschrei auf ihn los. Kellvian bekam die Hand, die die Waffe hielt erneut zu fassen, bevor ihn die Klinge traf. Mit aller Macht hielt er den Dolch von seinem Hals fern, dafür Schnitt sie ihm in Arme und Handflächen, wenn er versuchte, irgendwie einen besseren

Griff zu bekommen. Dann ging auf einmal alles ganz schnell. Seine Hände waren rutschig von Blut aus einem Dutzend kleiner Wunde und er drohte, den halt zu verlieren. Die Spitze des Dolches hing vielleicht eine Handbreit über seiner Kehle. Seine Hand drohte endgültig abzurutschen. Mit dem Mut der Verzweiflung, warf er sich herum und legte sein ganzes Körpergewicht hinein. Und tatsächlich schaffte er es und stand plötzlich seitlich zu Kathrin. Diese schrie auf, als ihr Handgelenk verdreht wurde, ließ die Klinge aber nicht los. Verflucht konnte die Störrisch sein, dachte er noch, dann zuckte die Gestalt plötzlich zusammen. Warmes Blut

strömte über seine Hände, während er entsetzt zurück trat. Götter, warum hatte sie die Waffe nicht einfach losgelassen ? Als er ihr die Hand verdreht hatte, hatte die Klinge plötzlich nicht länger in seine Richtung gezeigt, sondern schräg nach oben. Und Kathrin war nach vorne gestolpert. Das Messer hatte sich ihr schief in den Brustkorb gebohrt, nicht tief, aber genau ins Herz. Die Fürstin machte einen unsicheren Schritt vorwärts, als wäre ihr noch gar nicht klar, was passiert war. Dann gaben ihre Beine plötzlich unter ihr nach und sie brach zu seinen Füßen zusammen. Der Dolch landete scheppernd auf dem steinernen Boden des

Saals. Sie hatte ihm keine Wahl gelassen, sagte Kellvian sich. Schlimmer, er hatte gar keine Kontrolle darüber gehabt. Sie war sich lieber ins eigene Messer gelaufen, anstatt Aufzugeben. Das war ein Versehen gewesen. Er hatte sie ganz sicher nicht töten wollen. Trotzdem sorgte nichts davon dafür, dass er sich besser fühlte. Er stand nur wie betäubt da, wie lange wusste er nicht. Ein Teil seines Verstandes wollte das schlechte Gewissen nur auf die Nachwirkungen des Zaubers schieben. Trotzdem hatte er den Eindruck, versagt zu haben. Vielleicht hätte sie sich ja zur Vernunft bringen lassen, wenn er sie nur

entwaffnet hätte… Schließlich jedoch riss er sich zusammen. Er musste hier Weg. Zum Glück waren sie nicht zu weit durch den Irrgarten aus Gängen und Sälen im Inneren des Palastest gegangen. Er war zuversichtlich, den Rückweg finden zu können. Rasch verließ er den Raum mit der toten Fürstin und dem nicht angerührten Essen auf dem Tisch. Der Weg durch die Flure zurück in das, was er für den Thronsaal hielt, dauerte jedoch länger, als er es in Erinnerung hatte. Möglicherweise immer noch eine Folge davon, dass er sich wie ein Anfänger hatte übertölpeln lassen… Als er den Raum schließlich wiederfand,

schenkte er der kostbaren Einrichtung sogar noch weniger Aufmerksamkeit, als zuvor. Wenn es wirklich die kaiserliche Garde war, die die Stadt angriff, dann bedeutete das auch…. Jiy wäre dort. Er musste die anderen finden und es dann irgendwie nach Draußen vor die Stadt schaffen, wenn die Garde nicht schon in den Straßen war. So oder so… Es sah so aus, als wäre die Zeit der Trennung vorbei, ob Melchior das Gefiel oder nicht. Rasch durchquerte er die Säulenhalle direkt vor dem Tor des Palastes. Die Wächter standen nach wie vor dort und wendeten sich um, als sie ihn bemerkten. Alleine, blutüberströmt und ohne ein

Zeichen von Lady Garin. Kellvian war klar, dass sie ihn nicht einfach passieren lassen würden. Der erste griff zum Schwert, doch bevor er die Waffe ganz gezogen hatte, schlug etwas mit einem dumpfen Laub in seinem Rücken ein. Die Spitze eines Bolzens trat aus seiner Schulter aus und die Waffe fiel ihm aus der Hand. Im nächsten Moment tauchte ein ungehalten wirkender Syle hinter ihm auf und streckte ihn mit einem Schwertstreich nieder. Der zweite Wachmann hatte noch gar nicht Verstanden, was vor sich ging, als seine Füße plötzlich vom Boden gehoben wurden und er mit knochenbrechender

Gewalt gegen eine der Säulen geschleudert wurde. Kellvian war selten so froh gewesen, Quinn , Lucien und die anderen zu sehen. Allesamt bewaffnet. Selbst Fenisin hob nun das Schwert auf, das der erste Wachmann verloren hatte. ,, Ich fürchte, wir haben ein Problem.“ , meinte der Älteste. ,, Nicht nur eines. Das da draußen ist offenbar die kaiserliche Garde.“ , antwortete Kellvian. ,, Wenn das stimmt, müssen wir irgendwie zu ihnen gelangen. Wir schlagen uns in Richtugn Tor durch. Über die Seitengassen. Auf den Hauptstraßen muss jetzt das blanke Chaos

ausbrechen.“ ,,Und Lady Garin ?“ , fragte Quinn. ,,Tot. Ich möchte nicht wirklich darüber reden.“ , erklärte er, während er der zweiten Wache das Schwert abnahm. ,,Natürlich, Herr.“ , entgegnete Syle, bevor jemand etwas anderes sagen konnte. Dieser Mann würde sich nie ändern, dachte Kellvian während er den anderen nach Draußen folgte. Auf der Straße, die durch die Gärten führte, warteten bereits mehrere dutzend Gejarn. Syle hatte sich offenbar beeilte, Verstärkung zu holen, nachdem Kellvian aufgebrochen war. Zu ihren Füßen lagen mehrere Gestalten, die er beim näher kommen als bewusstlose oder Tote

Stadtwachen erkannte. ,,Hatte ich nicht eigentlich gesagt, ihr sollt euch nur bereit halten ?“ ,, Eigentlich, Herr, habt ihr in dieser Hinsicht gar nichts gesagt.“ , meinte Syle nur, während der Bär die Führung über die Gruppe übernahm. ,, Nicht, das ich auf euch gehört hätte. Spätestens, als wir die Kanonen gehört haben, war klar, dass etwas nicht stimmt.“ ,, Eigentlich, gibt es dafür gar kein deutlicheres Zeichen.“ , bemerkte Lucien, der einen neuen Bolzen aus dem Köcher an seiner Hüfte zog. ,, Zumindest sieht es so aus, als hätte Jiy uns gefunden, bevor wir überhaupt nach ihr suchen

konnten.“ Kellvian nickte. Und alleine schon deshalb wollte er zu den Toren. Je eher er sie endlich wiedersah, desto besser. In den Straßen der Stadt herrschte das erwartete Durcheinander. Ob Melchior das damit gemeint hatte, als er meinte, auf jedem Weg wartete Chaos? Kellvian wäre nicht einmal überrascht, wenn es so wäre. Und es machte ihm klar, wie sinnlos seine Entscheidung eigentlich gewesen war. Hätte er dem treffen mit Kathrin nicht zugestimmt, nichts hätte sich geändert. Die Garde hätte die Stadt angegriffen, bevor die Fürstin irgendetwas anderes hätte tun können. Wieder einmal, würde der Seher ihnen

doch bloß sagen, was er wirklich wusste… Auch wenn Kellvian mittlerweile etwas besser Verstand, wieso er das nicht tat. Melchior half auf die einzige Art, die ihm möglich war. Hauptsache war jetzt, diesen Tag auch weiterhin heil zu überstehen. Menschen rannten, ohne scheinbar genau zu wissen, wohin, außer so weit wie möglich Weg von den Mauern ,andere hatten hastig ihre Habseligkeiten gepackt und machten sich auf Richtung Hafen. Und wieder andere duckten sich einfach in die Hauseingänge und warteten darauf, dass alles vorbei ging. Mehrere Geschosse waren über den Wall geflogen, der die Stadt umgab und hatten

Gebäude beschädigt oder komplett zerstört. Einer der Wohntürme, die Kellvian bei seiner Ankunft in Erindal gesehen hatte, war auf halber Höhe abgebrochen, die Trümmer in den Straßenschluchten aufgehäuft und mehrere Wege blockiert. Kellvian und die anderen hatten ihre liebe Mühe, sich an den unpassierbaren Stellen und dem Strom der Menschen, der ihnen entgegenkam, vorbei zu kämpfen. . Auch wenn viele bei dem Anblick der bewaffneten Gruppe rasch versuchten, bei Seite zu kommen, dadurch standen sich die Leute nur noch mehr Gegenseitig im Weg. Obwohl sie die Hauptstraßen mieden, kamen sie

kaum voran. Kell fürchtete schon, sie könnten irgendwann einfach gar nicht mehr weiter und würden wieder umdrehen müssen, um einen anderen Weg zu finden, doch das Gegenteil war der Fall. Plötzlich stolperten er und die anderen an den letzten Flüchtigen vorbei und hinaus auf eine völlig verlassene Straße. Die Türen vieler Häuser hatten die Bewohner bei ihrer Flucht einfach offen stehen lassen. Leere Beutel, Alltagsgegenstände, Schmuck, Essen und Unrat lagen auf dem Pflaster verteilt. Jeder hatte das in Sicherheit gebracht, was er konnte. Vermutlich hatten viele Berichte über

die geplünderten Dörfer im Umland gehört und fürchteten, das ihnen nun genau das gleiche Bevorstand. Aber die Garde waren nicht Andres Söldner, dachte Kellvian. Sicher, die Armee des Kaiserreichs konnte Brutal vorgehen, wie jede Streitmacht, aber weder Jiy noch Roland oder Falvius würden zulassen, dass man Erindal Plünderte. Das hier waren immer noch eigentlich Bürger des Imperiums. Eigentlich sollten diese Leute das doch wissen, oder? Es ergab für keine Seite einen Sinn, Erindal nachhaltig zu Schaden. Es sei denn natürlich, Andre hätte die Garde für die Zerstörungen seiner

Kämpfer verantwortlich gemacht. Kellvian wollte gar nicht weiter darüber nachdenken, sondern lief einfach weiter durch die nun gespenstisch leeren Straßen. In der Ferne konnte er Schüsse und das Klirren von Stahl hören. Offenbar war die kaiserliche Garde bereits in der Stadt, dachte er. Der Lärm kam näher, wurde gleichzeitig aber schwächer, so als sei der Kampf bereits entschieden. Vor ihnen endete die Straße auf einem kleinen Platz, auf dem wohl einstmals ein Springbrunnen erhoben hatte. Nun jedoch lag dieser als ein kleiner Trümmerberg da, um den sich eine Wasserlache ausbreitete. Wasser, das sich bereits rot verfärbt hatte.

Mehrere Tote, sowohl kaiserliche Gardisten als auch Männer in der schwarz-roten Kleidung der Stadtwache. Und in einer Ecke des Platzes zusammengedrängt, standen noch etwa vierzig der Soldaten in einem Halbkreis verteilt, als wagten sie sich nicht näher. Was ging denn da vor sich? So oder so, sie fanden es besser heraus. Kellvian zog das Schwert und die anderen taten es ihm gleich. Durch das Geräusch endlich auf sie aufmerksam geworden, drehten sich die ersten Stadtwachen zu ihnen um, einen Überraschten Ausdruck im Gesicht. Sie hatten sie schlicht nicht kommen gehört. Doch der Moment der Erstarrung hielt nur einige Herzschläge lang, dann

stürzten die zwei knapp gleichstarken Gruppen aufeinander los.

Kapitel 93 In der Falle


Zyle konnte den Palast im Herzen der Stadt bereits sehen, während er mit den übrigen Gardisten weiter in die Stadt Vordrang. Die Straßen waren fast völlig verlassen, die Bewohner der Häuser wohl erst Augenblicke vorher mit all ihrem Hab und Gut geflohen. Nur einige wenige, Kranke, Alte und die, die ihr Heim schlicht nicht verlassen wollten, waren geblieben. Villen wie ärmliche Hütten standen leer und sahen bereits aus, als wären sie geplündert worden. Ob von ihren eigenen Bewohnern oder

anderen Flüchtlingen, die hofften, in dem Chaos den Gewinn ihres Lebens zu machen, das konnte der Gejarn nicht sagen. Es war ein deprimierender Anblick. Erindal musste eine blühende Stadt sein, doch davon war hier nicht viel zu sehen. Manche Gebäude waren durch Geschosse getroffen worden und kaum mehr als Ruinen. Er versuchte sich, so gut es eben ging, in Relinas Nähe zu halten. Die Magierin hatte sich einigen Gardisten angeschlossen, unter denen Zyle auch kurz Cyrus entdecken konnte. Also hatten es die anderen auch in die Stadt geschafft, dachte er erleichtert.

Allerdings war das wohl erst der Anfang. Zyle beschleunigte seine Schritte, um zu Relina aufzuschließen, während er den Wolf bereits wieder aus den Augen verlor. Sie alle hatten das gleiche Ziel, den Palast im Zentrum der Stadt. Mit dem Gebäude hätten sie auch den Großteil Erindals unter Kontrolle. Zyle konnte die Architektur des Baus einen Moment nur bestaunen. Komplett aus Sandstein in allen Schattierungen gefertigt, wirkte der Palast, wie ein Wahrheit gewordenes Gemälde. Doch um ihn herum brannte die Stadt. Zyle schaffte es endlich, Relina wieder einzuholen, die kurz den Kopf in seine Richtung drehte. Sie nickte ihm

lediglich kurz zu. Was immer auch zwischen ihnen war, im Augenblick war es unwichtig. Zyle folgte ihr einfach und mit ihm mehrere Gardisten, die sich ohne zu zögern ihrem Hochgeneral anschlossen. Sie befanden sich mittlerweile auf einer der größeren Straßen der Stadt, die in grader Linie in Richtung des Palastes führte. Nach wie vor wirkte die gesamte Stadt wie ausgestorben. Die Hand am Schwertgriff sah Zyle sich um. Auch die Gebäude hier waren eilig verlassen worden. Offene Fensterläden schwangen in einer leichten Brise hin und her. ,, Wachsam bleiben.“ , wies er die anderen an. Das es ruhig wirkte,

bedeutete nicht, das sie in Sicherheit waren. Tatsächlich, dachte er, war es bemerkenswert, auf wie wenig Wiederstand sie gestoßen waren, seit die letzten Wächter an den Toren die Flucht angetreten hatten. Und dann sah er es. In einem der Fenster bewegte sich etwas. Ein Schatten, aber Zyle entging das kurze Aufblitzen von Metall nicht, als der Mann dort oben zu nah ans Fenster geriet. ,, Vorsicht…“ Der Schwertmeister stieß den Gardisten vor sich zu Boden. Im nächsten Moment löste sich auch schon ein Schuss. Die Kugel traf ihn in die Schulter, anstatt den Schädel des Mannes zu zerschmettern, und trat direkt wieder

aus. Zyle keuchte auf. Es konnte ihn vielleicht nicht töten, aber verflucht, es tat weh. Das war der zweite Treffer heute. Und der erste blutete immer noch, auch wenn er keine Schmerzen mehr hatte. ,, Das Fenster, erledigt ihn.“ Die Gardisten reagierten sofort. Wie auf ein stummes Zeichen legten die Männer an und drehten sich in Richtung des Fensters. Doch noch bevor sie dazu kamen, den verborgenen Schützen unter Feuer zu nehmen, schlug ein Blitz in das Haus ein. Das komplette obere Stockwerk implodierte keinen Herzschlag später. Balken und Ziegel sanken in den auflodernden Flammen

zusammen. Relina ließ die Hand sinken und die Feuer erloschen. Die Magierin schloss einen Moment die Augen, als hätte sie Kopfschmerzen. Zyle richtete sich derweil wieder auf und konnte ein schwaches Lächeln nicht unterdrücken. Warum genau machte er sich nochmal Sorgen um sie? Er sah einen Moment an sich herab und stellte fest, dass die Wunde am Arm sich bereits wieder geschlossen hatte. Nur der Einschuss in seiner Brust schien nicht heilen zu wollen… ,, Alles in Ordnung ?“ , wollte Relina wissen, als sie seinen besorgten Blick bemerkte. Vermutlich war das nur

Zufall, dachte er. Und er fühlte sich gut. Wie weit er seinen Körper auch belasten durfte, er würde es wohl merken, wenn er die Grenze erreichte. ,, Es geht mir gut.“ , antwortete er, während er die Straße hinauf sah. ,, Aber ich schlage vor, wir sehen zu, das wir von den Hauptstraßen runter kommen. Das war sicher nicht der einzige Schütze. Wenn Erindals Stadtwache auch nur einen halbwegs fähigen Kommandanten hat, hat er jedes zweite Haus auf den größeren Zugangswegen besetzen lassen. Das ist eine Todeszone. “ ,, Das heißt, wir versuchen den Palast über einen Umweg zu erreichen ?“ ,

wollte jemand wissen. Zyle nickte. ,, Der Palast befindet sich fast genau im Zentrum der Stadt. Und der Bau ist riesig. Ich schätze, jede Straße mündet irgendwann davor. Und wir können uns daran orientieren, als können wir uns auch nicht verlaufen. Besser, als in den sicheren Tod zu Laufen ist es allemal.“ ,, Dann sollten wir es versuchen.“ , meinte Relina ihrerseits. Damit war es entschieden. Zyle führte Relina und die Gardisten die Straße zurück bis zu einer Abzweigung, kaum mehr, als eine schmale Gasse, durch die kaum zwei Männer nebeneinander hätten gehen können. Es gefiel ihm zwar nicht,

das sie einen solchen Engpass passieren mussten, aber… die Alternative schien immer noch Gefährlicher. Trotzdem blieb er wachsam, als sie in die Gasse traten. Auch hier lagen verlorene Alltagsgegenstände, Kleidung und sogar einige Goldmünzen über den Boden verteilt. Zyle stieg darüber hinweg, ohne dem Durcheinander mehr Beachtung zu schenken. Rechts und links ragten die blanken, fensterlosen Wände zweier Gebäude auf. Wenigstens, würde man sie von dort nicht unter Feuer nehmen können, das beklemmende Gefühl, das sich seiner Bemächtigte, machte das jedoch nicht besser. ,, Zyle ?“ Relina ging direkt hinter ihm,

gefolgt von etwa dreißig Gardisten. Vielleicht auch mehr. ,, Ja ?“ Normalerweise hätte er sich selbst darüber gefreut, dass sie ihn einmal ohne Ärger in der Stimme ansprach. Im Augenblick jedoch galt seine ganze Aufmerksamkeit ihrer Umgebung. ,, Du kennst sicher ein paar schöne Namen ?“ ,, Du hast dir einen seltsamen Zeitpunkt ausgesucht, mich das zu Fragen.“ , antwortete er. Und er hatte eigentlich nicht geglaubt, dass sie ihn nach seiner Meinung fragen würde, wenn er ehrlich war.,, Für… das Kind ?“ Sie nickte. Er konnte es zwar nicht

sehen, aber ihr Schweigen war Antwort genug. ,, Du weißt aber nicht, was es wird, oder ?“ ,, Nein.“ Einen Moment folgte betretenes Schweigen, während sie das Ende der Gasse erreichten, ohne das etwas Geschah. Zyle atmete erleichtert auf, als sie auf eine ebenfalls schmale, aber nicht mehr erdrückende Straße hinaus traten. Die langsam untergehende Sonne tauchte das Pflaster unter ihren Füßen und die Gebäude in rotes Licht. Zyle gab den Männern ein Zeichen und sie verteilten sich, soweit es der Weg zuließ, in die Schatten der Gebäude

geduckt. Wenn wieder irgendwo ein versteckter Schütze lauerte, würden sie es ihm dieses Mal wenigstens nicht ganz so einfach machen. Sie waren alle so leise wie möglich und Zyle war ganz froh, eine kurze Denkpause zu bekommen. Relinas Frage war ernst gemeint. Aber alle Namen, die ihm einfallen wollten, gehörten Leuten, die er kannte oder gekannt hatte. Es schien irgendwie nicht richtig, einen Namen vorzuschlagen, den schon jemand anderes trug, den Zyle kannte. Vor ihnen tauchte ein kleiner Platz auf und der Schwertmeister konnte wieder die Umrisse des Palastes über den Dächern Erindals ausmachen. Sie hatten

gut die Hälfte des Weges hinter sich, wie er erleichtert feststellte. Der Platz vor ihnen wurde durch einen kunstvoll verzierten Springbrunnen geschmückt. Ein aus Marmor gehauener Wasserdrache wand sich um eine große Schale aus Metall. Ein stetiger Strom aus Wasser floss aus dem aufgerissenen Maul der Kreatur. Irgendwie, dachte Zyle, wirkte die Statue beinahe niedlich, wenn er an Feriakin zurück dachte. Die alten Drachen waren nicht umsonst als Götter verehrt worden. Als die Gruppe schließlich die Mitte des Platzes erreichte, blieb Zyle schlagartig stehen. Irgendetwas stimmte nicht. Das spürte er einfach. In der Luft lag ein

schwacher Hauch von Tannenharz, der schlicht nicht hierher zu gehören schien. Zuerst fragte er sich nur, ob es hier vielleicht einen Alchemisten gab. Dann jedoch viel ihm etwas anderes ein… Jiy hatte ihm davon erzählt. Tannenpech. Eine Substanz, die jeden Geruch überdeckte. Perfekt wenn man sich an eine Armee heranschleichen wollte, in deren Reihen Gejarn dienten… ,, Eine Falle !“ Zyle stieß die anderen die nach ihm folgten zurück, in Richtung des Ausgangs des Platzes. Im nächsten Moment wurden die Türen der Häuser aufgerissen, welche den Brunnen umgaben. Hinter und vor ihnen stürmten plötzlich dutzende von schwarz-rot

gekleideten oder grau uniformierten Gestalten heraus. Zyle versuchte erst gar nicht, sie zu zählen. In jedem Fall mehr als sie. Die Gardisten rückten einen Moment dichter zusammen, während die Stadtwachen und Söldner einen Kries um sie bildeten. Zyles Hand ruhte am Schwertgriff. Einige Herzschläge lang standen sich die zwei Gruppen nur regungslos gegenüber. Der Gejarn zögerte. Zu kämpfen bedeutete, dass sie vermutlich sterben würden. Sie alle. Einschließlich Relina… Nur er nicht, dachte er bitter. Und wenn sie sich ergaben, was dann ? Zyle wusste es nicht. Vermutlich war den

Verteidigern Erindals genau so klar wie ihnen, dass sie die Stadt nicht halten würden. Und damit hatte es für sie auch keinen Wert Gefangene zu machen. Er schloss kurz die Augen. Laos, es gab keine richtige Entscheidung. Wieder einmal. Aber er wusste, welche sich richtig anfühlte… ,, Jetzt !“ Zyle zog das Schwert und im gleichen Moment gingen die Gardisten auf die Knie und legten an. Innerhalb von einem Augenblick wurde aus den verunsicherten Männern eine Wand aus Gewehren und Bajonettklingen. Die Stadtwache Erindals war nicht einmal ansatzweise so schnell und bevor ihre Gegner es schafften, sich zu

organisieren, blitzte auch schon die Mündungsfeuer von dreißig Gewehren auf. Zyle atmete den beißenden Pulverdampf ein. Der Platz unterdessen verwandelte sich in ein Schlachtfeld. Jede Kugel traf ein Ziel, verletzte oder tötete einen Soldaten. Zyle löste aus den Reihen seiner Leute, noch bevor der Rauch sich ganz verzogen hatte. Die ersten Kugeln von Andres Soldaten sirrten an ihm vorbei, aber aufgrund der nun behinderten Sicht, verfehlten sie den Gejarn bei weitem. Dafür jedoch machte der Tod unter den Gardisten nun reiche Beute. Die äußere Reihe des Rings, den sie gebildet hatten, sackte zusammen. Verwundete wurden rasch von den hinter

ihnen stehenden Soldaten zurückgezogen, die Toten jedoch, blieben wo sie waren, während der Verteidigungsring langsam auseinanderbrach. Zyle konnte nicht sehen, ob es Relina gut ging, oder nicht. Für den Moment verbarg der Pulverdampf erneut seine Umgebung. Und erneut, bot er dem Schwertmeister Schutz, als dieser nun endgültig die Reihen seiner Gegner erreichte. Zyle streckte den ersten nieder, bevor einer der Männer merkte, dass er da war. Der nächste fiel, ohne sich verteidigen zu können. Die Stadtwachen und Andres Männer standen viel zu dicht, um sich im Nahkampf verteidigen zu können. Wenn der Gegner auf Distanz blieb, spielte das

wohl keine Rolle, aber so war es fast, als würde man Korn mit einer Sichel mähen. Er brauchte nur das Schwert schwingen und traf unter Garantie Arme, Schädel oder Beine. Der geschliffene Stahl drang durch Kleidung und Fleisch, ohne das es Zyle große Anstrengung gekostet hätte. Dann wehte plötzlich eine Welle aus kochender Luft über den Platz. Zyle drehte nur einen Moment den Kopf und sah Relina, die sich zusammen mit einigen überlebenden Gardisten hinter den Springbrunnen geduckt hatte. Nun jedoch zerschmetterte ein Feuerball aus den Händen der Zauberin die Marmorstatue und das Becken zu Scherben, die von dem Inferno

mitgerissen wurden und als glühende Schrapnelle in die Reihen der Stadtwache krachten. Ein weiterer Zauber in Form eines Blitzes folgte und sprang zwischen mehreren grau uniformierten Soldaten hin und her, die daraufhin von Krämpfen geschüttelt zu Boden gingen. Sie konnte auf sich aufpassen, dachte Zyle beruhigt. Mittlerweile hatte er genug Platz um sich herum geschaffen, das auch die Soldaten dazu kamen, endlich Gegenwehr zu leisten. Rasch wich der Schwertmeister zurück, um nicht von ihnen eingekesselt zu werden. Er entging knapp einer der Klinge eines Bajonett, mit der jemand nach ihm stieß. Ein

weiterer versuchte, ihm das Schwert in den Hals zu rammen. Zyle parierte den Hieb, machte sich aber nicht die Mühe, sich länger mit seinem Gegner aufzuhalten. Trat er zurück, folgte ihm die Schar der Wächter und Soldaten. Und schließlich geschah, was hatte geschehen müssen. Zyle machte einen letzten Schritt zurück und stieß an ein Hindernis. Er drehte den Kopf, die Klinge schon halb zum Schlag erhoben, bevor er Relina erkannte. Sie standen praktisch Rücken an Rücken, in eine Ecke des Platzes gedrängt. Wenn sonst noch jemand aus ihrer Gruppe am Leben war, so sah Zyle sie zumindest nicht. ,, Du kannst uns nicht zufällig hier

heraus bringen, oder ?“ , fragte er und versuchte sich dabei möglichst nicht anmerken zu lassen. Sie waren so gut wie erledigt. Er wich einer Klinge aus, nur damit sich ihm eine zweite zwischen die Rippen bohrte. Sehr zur Überraschung des Angreifers, ging der Gejarn jedoch nicht in die Knie, sondern streckte seinen Gegner mit einem gezielten Hieb nieder. ,, Ich hab es schon versucht.“ , antwortete Relina. ,,Tut mir leid… ich fürchte ich habe schon fast alles in die Zauber von eben gelegt. Ich könnte kein Staubkorn mehr teleportieren.“ ,, Ich verstehe.“ So allerdings hatte er sich sein Ende allerdings nicht

vorgestellt. Irgendwann würde wohl auch er unter Hieben und Stichen zu Grunde gehen. Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe, wenigstens Relian hier heraus zu bringen… ,, Nur…“ Die Magiern zögerte einen Moment. ,, Nur für den Fall, dass wir hier nicht mehr rauskommen, wollte ich noch etwas loswerden.“ Ihr Tonfall veranlasste Zyle, den Kopf in ihre Richtung zu drehen. Die Wachen Erindals blieben mittlerweile lieber auf Abstand zu dem Mann, der scheinbar einfach nicht sterben wollte. Zyle wich einer ,, Sag jetzt nichts, was du nachher ohnehin wieder zurücknimmst,

Relina.“ ,, Zyle, das ist ernst und vielleicht die letzte Gelegenheit die ich habe und…“ Bevor sie den Satz beenden konnte, geriet die Mauer aus Soldaten um sie herum plötzlich in Unruhe. Männer drehten sich um, andere lösten sich aus den Reihen. Der Klang von Stahl der auf Stahl traf erfüllte die Luft, während sich vereinzelt erneut Schüsse lösten. Hatten doch noch Gardisten überlebt? Dann jedoch wurden plötzlich ein dutzend Soldaten Zurück geschleudert und gaben den Blick auf einen Mann in dunkelblauer Gewandung frei, der einen Stab über den Kopf erhoben hatte. Schwarz-graue Haare fielen ihm bis

knapp auf die Schultern. Melchior… Zyle war sich einen Moment nicht sicher, ob er nicht einem Geist gegenüber stand, doch dann tauchten noch weitere bekannte Gesichter auf. Syle, Lucien, Quinn, der Magier, Fenisin und eine ihm nicht bekannte Gejarn-Löwin…und Kellvian. Der Mann hatte sich verändert, seit er ihm das letzte Mal in Vara gegenübergestanden hatte. Und das lag nicht nur an dem Blut, das seine Kleidung durchtränkte. Er wirkte… müde, dachte Zyle, während er sich selbst auf den Schwertgriff stützte. Er fühlte sich selber nicht besser. ,, Ihr wisst auch, was grade noch

Rechtzeitig bedeutet, oder ?“ Er bemühte sich um ein Grinsen, während mehrere dutzend Gejarn die restlichen Soldaten vertrieben. ,, Zyle… Ich hätte auch nicht gedacht, das wir uns noch einmal wieder sehen.“ Er streckte ihm eine Hand hin und der Gejarn schlug ein. ,, Und Relina ? Seid ihr das? Wie kommt ihr hierher?“ ,, Eine lange Geschichte.“ , antwortete sie. Zyle war froh, dass die Zauberin nach wie vor ihren Mantel trug. Das ersparte ihnen zumindest Vorerst weitere Erklärungen. ,, Sie hat allerdings mit dem Verrat eines eurer Generäle zu tun… und dem Tot des Fürsten von

Lasanta.“ ,, Dann ist Andres Plan bereits gescheitert.“ , stellte Quinn fest. ,, Die ganze Aufregung umsonst.“ ,, Jormund , der Herr Lasantas ist tot. Genau wie Falvius.“ , antwortete Zyle. Die Wunde in seiner Brust blutete immer noch, wo alle anderen längst verheilt waren. Ihm war schwindlig, aber er schob es auf die Erschöpfung nach dem Kampf. Dann jedoch gaben seine Beine unter ihm nach und die Welt wurde dunkel.

Kapitel 94 Wiedervereinigung


Als die Sonne sich an diesem Abend über Erindal senkte, brachen sich die Lichtstrahlen auf den Mauern des Palastes und brachte sie zum Leuchten. Rauchsäulen stiegen aus dem Häusermeer auf, das die Anlage umschloss. Besonders am Hafen, wo sich tausende von Menschen zusammen gedrängt hatten, war das Chaos nach wie vor vollkommen, auch wenn nur noch vereinzelt Schüsse und das Klirren von Schwertern zu hören waren. Die Bewohner Erindals, die keine Schiffspassage gefunden hatten, haarten

zusammengedrängt in den Straßen und Docks auf ihr Schicksal. Kellvian Belfare hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Durch einen der großen Fensterbögen im Thronsaal des Palastes, sah er zu, wie der rote Feuerball langsam am Horizont verschwand. Die Stadt war so gut wie in ihrer Hand, das wusste er. Ansonsten jedoch, schien für den Augenblick nichts sicher. Nachdem Zyle das Bewusstsein verloren hatte, hatte er es nicht mehr verantworten können, einfach weiterzugehen und sich zu den Toren durchzuschlagen. Und nach allem, was Relina ihnen erzählen konnte, war die

gesamte Armee Cantons mittlerweile ohnehin innerhalb der Stadt. SO hatten sie sich, den ohnmächtigen Schwertmeister auf einer Bahre tragend, zum Palast zurückgezogen. Die meisten Wachen hatten das Gebäude mittlerweile verlassen und somit war der Bau genau so leer, wie weite Teile der restlichen Stadt. Und nun saß Kellvian alleine mit Fenisin und Mhari in dem weitläufigen Saal, er auf einem verzierten Holzstuhl, der wohl vorher Lady Garin gehört hatte, die beiden Ältesten links und rechts von ihm an einem kleinen Tisch. Stoffbahnen, bedruckt mit dem Banner der Stadt, dem roten Widder auf schwarzem Grund,

wehten in dem Luftzug, der durch den Saal wehte. Kellvian hatte Lucien mit einer Nachricht ausgeschickt, damit er Jiy und die anderen Fand und hierher brachte. Jetzt, wo die Kämpfe in den Straßen endlich zum erliegen kamen, würde der Agent seinen Auftrag wohl einfach erfüllen können. Relina unterdessen, hatte er nicht überzeugen können, von Zyles Seite zu weichen. Kellvian hatte es auch gar nicht weiter Versucht und nur Syle und Quinn gebeten, ein Auge auf alles zu haben. Sie hatten den Schwertmeister in ein Zimmer einige Flure weiter gebracht. Er hatte das Bewusstsein immer noch nicht

wiedererlangt, auch wenn sie die Verletzung in seiner Brust so gut es eben ging versorgt hatten. Kellvian konnte nur raten, was ihm fehlen mochte. Eigentlich sollte ihn überhaupt nichts fehlen können, dachte er bei sich. Wenn Erik mit den anderen eintraf, würde der Arzt vielleicht etwas tun können. So lange aber, blieb Kellvian nur die Unsicherheit. Es war zum Greifen nah gewesen, dachte er bei sich und musterte dabei die Ringmuster im Holz des Tisches. Es erschien einfach nicht fair. Jetzt, wo sie endlich wieder alle zusammen finden konnten, könnte gleich einer wieder aus ihrer Mitte gerissen werden. Und dann

grade der, den sie schon einmal verloren glaubten… Kellvian stand mit einem Ruck auf, als er das Warten schlicht nicht mehr ertrug. Er hatte frische Kleidung angezogen und wieder den alten Degen mit den Silberbeschlägen angelegt, trotzdem hatte er das Gefühl, jeder müsste ihm nach wie vor das Blut ansehen. ,, Könntet ihr ihm nicht helfen ?“ , fragte er an Mhari gerichtet. Die Älteste zögerte zum ersten Mal, seit er sie kannte. ,, Ich wüsste nicht wie. Ich weiß ja nicht mal, womit ich es zu tun habe. Obwohl ihr mir davon erzählt habt, die Vorstellung ist… ziemlich fantastisch. Ein lebendes Konstrukt ? Ich

kann eine Wunde mit Kräutern behandeln und den Geist so beeinflussen, dass er den Körper zu heilen vermag. Aber das ist nichts, was man bei einer… Maschine anwenden würde.“ Kellvian nickte nur. ,, In diesem Fall, bleibt uns nichts anderes übrig, als auf Erik zu warten.“ Auch wenn er sich nicht sicher war, ob der Schiffsarzt mehr tun konnte. Relina hatte natürlich bereits Versucht, die Wunde zu heilen, aber entweder hinderte sie etwas daran oder ihre Fähigkeiten reichten schlicht nicht aus. ,, Das wird auch kein schönes Wiedersehen.“ , murmelte die Älteste

leise. Wiedersehen ? Kellvian war sich nicht sicher, ob er sie richtig verstanden hatte, so oder so, es spielte keine Rolle. Erik war leicht dreimal so alt wie er, vielleicht war er Mhari einmal begegnet. Und Kell wusste durchaus, welchen Eindruck der Mann bei manchem Hinterlassen konnte. Wüsste er es nicht besser, er würde selber sagen, Erik sei komplett Wahnsinnig. Manchmal war Kellvian was das anging selber nicht sicher. ,,Und diese… Relina ?“ , wollte nun Fenisin wissen. ,, Ich.. kann nicht ganz glauben, was ihr uns über sie erzählt. Es gibt keine Magier unter den

Gejarn.“ Kellvian zuckte mit den Schultern. ,, Es sieht so aus, als müsstet ihr das zu fast keine Umändern. Aber ich weiß nur, was sie mir darüber erzählt hat. Manche Dinge… sind einfach. Ein alter Lehrer von mir würde vielleicht sagen, das Magie einen unberechenbaren Willen hat.“ In diesem Moment ging die Tür des Raums auf und Lucien trat ein. Scheinbar war er den ganzen Weg gerannt, den er Atmete schwer und seine Haare glänzten schweißnass. ,, Herr, ich habe sie gefunden. Jiy, Roland, die anderen…“ , erklärte er atemlos. ,, Und wie. Götter, rennen

sollte in der Hitze verboten werden.“ ,, Wo sind sie ?“ Kellvians Herz machte einen kleinen Satz. ,, Keine Minute hinter mir. Ich habe mich beeilt und…“ Lucien kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden, als Kellvian auch schon an ihm vorbei lief, in Richtung der Zugangstore des Palastes. Einen Moment sah der Agent ihm nur verwirrt nach, dann zuckte er mit den Schultern und folgte ihm. Auch Fenisin und Mhari erhoben sich schließlich, allerdings machte sich keiner der drei die Mühe, Kellvian einholen zu wollen. Es war ein bittersüßes Wiedersehen, aber

für diesen einen kurzen Moment überwog für Kellvian nur unendliche Freude und Erleichterung. Als er die Eingangshalle erreichte, wartete sie dort bereits. Roland, in einem zerkratzen und mit Dellen übersäten Kürass, Melchior, der wohl schon die ganze Zeit hier gewartet haben musste , Eden, die ausnehmend gute Laune zu haben schien, Cyrus, der ihr wie ein Schatten folgte, der weißhaarige Erik , Zachary und… Jiy. Er konnte sehen, wie sich ihre Augen einen Moment weiteten, als sie ihn erkannte. Sie sah genau so aus, wie er sich fühlte. Abgekämpft, erschöpft, aber unendlich erleichtert. ,, Kell

?“ Kellvian brachte nur ein schwaches Lächeln zustande und die Gejarn wartete erst gar nicht ab, ob er irgendetwas erwidern würde. Mit wenigen Schritten hatte sie die Entfernung zwischen ihnen überbrückt und sie fielen sich in die Arme. Einen Moment war er versucht, das Ganze als einen bösen Trick abzutun. Sie nach all der Zeit wieder zu halten, zu riechen, zu küssen… Ihre Lippen fanden sich. Für wie lange sie einfach nur umschlungen, inmitten der gewaltigen Halle, dastanden, wusste er später nicht mehr. Es konnte nicht so lange sein, wie es sich später anfühlte. Eine glückselige Ewigkeit, die jedoch,

wie der Kuss zu früh endete. Ihm war zum Weinen und lachen gleichzeitig zumute. ,, Hast du eine Ahnung, wie lange wir schon nach dir suchen ?“ Es klang nicht vorwurfsvoll, sondern nur unendlich erleichtert. Statt darauf zu antworten, meinte er nur : ,, Ich habe schon gehört, ich kann dich jetzt Kaiserin nennen, ja ? Daran muss ich mich erst gewöhnen, glaube ich.“ ,, Geister, du kannst den Titel sofort wiederhaben.“ Sie küsste ihn erneut. ,, Und alles andere auch.“ Den letzten Teil flüsterte Jiy nur. Götter, er hatte sie vermisst wie sonst nichts. Alleine das sanfte Kitzeln ihres Atems wieder auf

seinem Gesicht zu fühlen, war alles Wert gewesen. Und doch, so schwer es ihm fiel, er löste sich wieder von ihr, ließ ihr Gesicht dabei jedoch keinen Moment aus den Augen. Erst dann wendete er sich an die anderen. ,, Erik. Zyle ist verletzt. Wir könnten eure Hilfe gebrauchen.“ , erklärte er. ,, Relina ist bei ihm.“ ,, Das bekommt auch nur dieser Dickschädel hin. Unverwundbar werden und es dann doch schaffen… Ich sehe einmal was ich tun kann und…“ Der Arzt stockte. Sein Blick war durch den Raum gewandert und an der grauen Gestalt einer Löwin hängen geblieben. Mhari blickte unerschrocken

zurück. Kellvian war sich nicht sicher, was hier eigentlich vor sich ging, aber er konnte die Spannung in der Luft spüren. Jiy mit sich ziehend, trat er sicherheitshalber aus dem Weg. ,, Es ist lange her.“ , meinte sie ruhig. ,, Und ob.“ ,, Ihr kennt euch ?“ , fragte Lucien. Erik musterte die Gejarn einen Moment. ,, Sie hat mich bei einer Gelegenheit mal Verprügelt. Unter anderem.“ ,, Das kenne ich.“ , meinte der Agent. ,,Glaubt mir, das ist noch gar nichts. Wenn ihr Melchior für einen manipulativen Besserwisser haltet, wartet einmal, bis ihr sie richtig kennen

lernt. Ich würde mich wirklich von ihr fernhalten.“ ,, Sagt der Mann, der mein Dorf einmal in Brand gesteckt hat.“ ,, Das war ein Unfall. Und wenn ihr einen Behälter mit Drachenfeuer nicht auch als solchen Beschriften könnt… woher hätte ich das den ahnen sollen?“ Mhari verschränkte nur die arme vor der Brust, obwohl ein leichtes Lächeln ihre Lippen kräuselte. ,, Schön zu sehen, das du dich kein Stück verändert hast, auch nach all diesen Jahren.“ ,, Auch schön dich einmal wiederzusehen.“ , gab der Arzt seinen grimmigen Ton schließlich auf nur um

hinzuzufügen : ,, Auch wenn ich mir gar nicht vorstellen will, was deine Anwesenheit hier bedeutet.“ ,, Wie wäre es mit : Ich helfe wo ich kann.“ ,, Apropos Hilfe.“ , mischte sich da Melchior ein, der die Beiden jedoch nun unsicher musterte. ,, Ich glaube Zyle braucht immer noch eure Hilfe, Erik.“ ,,Gut.“ Der Arzt wendete sich von der Ältesten ab. ,, Wo ist er ?“ ,, Den Gang hinab.“ Kellvian wies auf eine der Türen, die aus der von Säulen getragenen Eingangshalle führten. ,,Syle und Quinn halten an der Tür wache, ihr könnt sie eigentlich nicht verfehlen.“ ,, Es gibt vielleicht noch etwas anderes,

das unsere Aufmerksamkeit erfordert.“ , meinte Fenisin, als der Arzt aus der Halle verschwand. Seine Schritte hallten von den Steinfliesen wieder und verloren sich langsam. Kellvian wusste, was der Älteste meinte. Die Waffenschmiede wartete nach wie vor auf sie. Und wie lange es dauern mochte, bis Andres neue Waffen einsatzbereit waren, wusste keiner von ihnen zu sagen. Nach dem was Lucien ihnen Berichtet hatte, wurde dort Tag und Nacht gearbeitet. ,, Fenisin, wenn ihr Roland einen Bericht geben könntet. Wir werden das morgen besprechen.“ , entschied er mit einem Blick auf die letzten

Sonnenstrahlen, die durch das offene Palasttor hereinschienen. ,, Für heute, haben wir haben uns alle eine Pause verdient.“ ,, Die Stadt ist gesichert.“ , erklärte Roland. ,, Es gibt noch einige Unruhen am Hafen, aber wir sollten diese bis Sonnenuntergang unter Kontrolle haben.“ ,, Wir müssen den Leuten wohl erst klar machen, das wir nicht ihre Feinde sind.“ , meinte Jiy besorgt. Kellvian seinerseits hatte schon zuvor in den verlassenen Straßen befürchtet, dass Erindals Bewohner ihnen zu sehr misstrauten. Warum jedoch, das wusste er nicht. Bisher hatten sie ihnen keinen Anlass

dafür gegeben, sie weiter als Feinde zu sehen. ,, Ich werde den Männern befehlen, sanft vorzugehen.“ Roland salutierte kurz. ,, Und Herr, es ist gut euch zurück zu haben.“ Mit diesen Worten machte sich der Mann bereits auf in die Straßen der Stadt, wo sich immer noch der Großteil der kaiserlichen Garde aufhalten musste. ,, Das würde ich auch sagen.“ Jiy lehnte ihren Kopf einen Moment an seine Schulter. Für den Augenblick sah es gar nicht mehr so finster aus, dachte er. Wenn nur Zyle wieder aufwachte. Und er den Schatten los wurde, der nach wie vor an seinem Geist zu haften schien. Allein, das er Jiy wieder hatte schien jedoch

alles weniger schwer zu machen. Es würde schon einen Gott brauchen, damit er sich nochmal so von ihr Trennen ließ. ,, Gehen wir ?“ , fragte sie, ein seltsames Funkeln in den Augen. ,, Gerne, aber wohin ?“ Die Gejarn sah einen Moment zu den anderen. ,, Irgendwohin." Kellvian nickte kaum merklich. Es war nicht wichtig, solange sie zusammen blieben. Und er wollte ohnehin ungestört mit ihr reden. Und nicht nur reden. Sie festhalten, einfach nur spüren, Lieben. Es war egal solange sie da war und das alles hatte Zeit. Zum ersten Mal seit Langem hatte er nicht mehr das Gefühl, das alles gegen ihn arbeitete.

,, Suchen wir erst einmal was zu Essen.“ , meinte er daher, bevor sie sich auf den Weg aus der Halle machten.

Kapitel 95 Eine Maschine heilen


Man hatte Zyle in einem Gästezimmer des Palastes untergebracht. Draußen hatte sich mittlerweile die Nacht über Erindal gesenkt. In den wenigsten Häusern brannte Licht. Nur am Hafen, wohin sich die meisten Bewohner beim Angriff der Garde geflüchtet hatten, konnte man hunderte von flackernden Lichtpunkten erkennen. Fackeln von Leuten, die auf offener Straße übernachtete, anstatt in ihre Häuser zurück zu kehren, Positionslampen der verbliebenen Schiffe und die

erleuchteten Fenster der Wohngebäude. Der Raum im Palast wurde von Öllampen erleuchtet, die in Messinghalterungen an der Wand angebracht waren. Der rötliche Sandstein schien das Licht zu absorbieren und in einem sanfteren Schein wiederzugeben. Das Schattenspiel, das die unsteten Flammen erzeugten, schlug sich auf dem Gesicht des Schwertmeisters wieder, der ruhig und ohne zu atmen auf einer Liege gebettet ruhte. Hätte Syle es nicht besser gewusst, er hätte den Mann für tot gehalten. Aber Zyle brauchte wohl nicht atmen. Das einzige Lebenszeichen, wenn man es denn so nennen wollte, war der weiße

Verband, der sich quer über seine Brust zog. Der sich langsam ausbreitende, schwarz rote Fleck darauf schien zumindest zu bedeuten, dass der Mann noch so etwas wie einen Kreislauf hatte. Oder vielleicht hoffte der Bär das einfach nur. Er sah einen Moment zu Quinn, der sich in der Nähe der Tür hielt, die Arme vor der Brust verschränkt. Der Zauberer war gut darin, eine völlig ausdruckslose Mine zu bewahren, ganz im Gegenteil zu der Schakalin, die auf der anderen Seite der Liege saß. Syle wusste noch nicht, was er von Relina halten sollte. Die Frau hatte sich in einen grauen Wollmantel gewickelt,

ihre ganze Aufmerksamkeit auf den regungslosen Schwertmeister gerichtet. Erik seinerseits, hatte eine schwere Instrumententasche neben sich auf dem Boden gelegt und wühlte darin herum. Rollen mit Verbänden, Messer, braune Glasbehälter mit Tinkturen, der Arzt nahm alles kurz in die Hand, besah es sich und warf es dann achtlos über die Schulter. Das dabei nichts zu Bruch ging zeugte entweder von Geschick oder davon, dass der Mann einfach unverschämtes Glück hatte. ,, Was ist genau passiert ?“ , wollte er wissen, während er endlich fand, was er suchte, eine kleine Schere, die silbern im Licht glitzerte. Der Arzt war erst vor

wenigen Augenblicken eingetroffen und hatte sich ohne viele Worte direkt an die Arbeit gemacht. Worin auch immer diese Bestand. So viel vertrauen Kellvian ihm schenkte, wie wollte der Mann heilen, was Magie nicht vermochte? ,, Ich weiß es nicht genau.“ , antwortete Relina . ,, Er… Er ist verletzt worden, als wir durch die Tore gebrochen sind.“ ,, Normalerweise heilen seine Verletzungen ziemlich schnell. Genau wie bei Laos. Dem Mann musste praktisch erst ein riesiger Kristall auf den Kopf fallen, damit er… nun ja stirbt.“ Erik schnitt die Verbände mit der Schere auf, so dass die Wunde darunter zum Vorschein kam. Eigentlich

nicht mehr als ein kreisrundes Einschussloch. Erik griff wieder nach seiner Tasche und zog ein Vergrößerungsglas daraus hervor, das er sich vors Auge hielt. ,, Könnt ihr ihm helfen ?“ , wollte Relina wissen. ,, Das frage ich mich grade.“ , antwortete er. ,, Zumindest glaube ich zu wissen warum die Wunde nicht heilt. Seht selbst.“ Der Arzt trat Beiseite und ließ das Glas einfach dort liegen, wo es war, auf der regungslosen Brust des Gejarn. Relina schien sich nicht überwinden zu können, einen Blick hindurch zu werfen, Syle jedoch konnte von seiner Position

aus etwas ausmachen, das wie Metall schimmerte und ihn beinahe an ein Skelett erinnerte. Dazwischen waren goldene Zahnräder zu erkennen und etwas, das in einem bläulichen Licht glühte. Ein Kristall, eingelassen in das Metall, über das sich Fleisch und Blut zog. Nur war der Stein nicht mehr intakt. Die Kugel, die Zyle getroffen hatte, hatte ihn zersplittert und steckte jetzt halb in dem Juwel. ,, Das ist ein Problem, oder ?“ , fragte Syle. ,, Genau das, frage ich mich grade.“ , meinte Erik und klang dabei zum ersten Mal nicht energisch sondern unsicher.

,,Ich hatte in Helike keine Gelegenheit diese… Konstrukte genauer zu studieren. Wir hatten damals ganz andere Probleme… Jetzt bereue ich das. Nach allem was ich weiß, mag der Gute ja innerlich eine arkane Maschine sein, aber äußerlich ist er immer noch ein durchaus lebendiger Gejarn. Zumindest scheint klar, dass die Wunde nicht heilt, weil die Kugel noch drin ist. Bei einem Durchschuss sind seine Verletzungen ja auch verheilt.“ ,, Dann entfernt die Kugel.“ Relina klang resigniert und erschöpft. Die Gejarn konnte auch sehen, was sie sahen. So einfach würde es nicht werden, dachte Syle, sonst hätte Erik es schon

getan. Wenn der Mann schon Vorsicht walten ließ, konnte man anfangen, sich Sorgen zu machen. ,, Was meint ihr, was ich vor habe, meine Liebe ?“ Erik sah auf, ein dünnes Lächeln auf den Lippen und nahm das Vergrößerungsglas wieder an sich. ,, Leider habe ich nach wie vor keinen Schimmer, ob das nicht alles noch schlimmer machen würde. Tatsächlich habe ich überhaupt keine Ahnung ob oder wie ich ein beseeltes Konstrukt Operieren soll. Was es schlimmer macht, das Projektil hat einen Kristall erwischt. Wenn ich es jetzt einfach entferne und der Stein dabei zersplittert, könnte sonst was passieren. Das ist, was ihn am… nun

ja, Leben erhält.“ ,, Was schlagt ihr also vor ?“ , fragte Syle. ,, Das wir abwarten ?“ Er hatte nicht viele Worte mit Zyle gewechselt, aber ein Freund von Kellvian war auch jemand, dem er vertrauen würde. Und jemand, den er ungern verlieren würde. Relina sah beinahe flehentlich zu dem Arzt auf. ,, Irgendetwas muss es geben.“ ,, Ruhe.“ Erik hob eine Hand und schloss die Augen. ,, Einen Augenblick, ich muss nachdenken… Quinn, kommt einmal her.“ Der Magier löste sich von seinem Platz an der Tür und trat an die vom Lampenschein erhellte

Liege. ,, Kann ich helfen ?“ Er hatte wohl durchaus soweit mitgehört und auch wenn das Gesicht des Ordensoberen weiter ausdruckslos blieb, Syle wusste, dass er selber nachdachte. Ob darüber, wie dem Gejarn zu helfen war, oder etwas anderes, das konnte er jedoch nicht sagen. ,,Ihr könntet mir sagen, ob ihr es euch Zutraut, einen Speicherkristall alleine zu reparieren.“ Die ausdruckslose Maske wurde zu einer Mine, die beinahe erschrocken wirkte. ,, Das… Erik, der Orden findet öfter beschädigte Steine des alten Volkes, ja. Und wir können sie wieder

zusammenfügen. Aber dazu braucht man ein dutzend hochrangige Magier und selbst dann ist der Tod aller beteiligten nicht ausgeschlossen. Und hier reden wir davon, einen Kristall im… Körper eines Lebewesens zu reparieren. Wenn ich einen Fehler mache…“ ,, Ist Zyle tot.“ , beendete Erik den Satz. ,, Und von diesem Raum bleibt vielleicht nur ein Aschehaufen. Uns eingeschlossen. Ich weiß durchaus worum ich euch bitte aber mir will nichts anderes einfallen. Entferne ich die Kugel, zersplittert der Stein endgültig. Ihr müsstet ihn also im selben Moment wiederherstellen, in dem ich das Projektil

entferne.“ ,, Vielleicht kann ich helfen.“ , meinte Relina. ,, Sagt mir nur, was ich tun muss.“ Quinn strich sich nervös durch die Haare. ,, Zwei Magier haben höhere Erfolgschancen als einer. Also gut. Hört zu. Der Orden ist immer daran gescheitert, Speichersteine wie die des alten Volkes selber herzustellen. Unsere Kristalle zerfallen, wenn ihre Ladung verbraucht ist. Aber wir haben immer wieder welche in den Ruinen gefunden. Manche davon jedoch zersplittert, so dass man ihre volle Macht nicht nutzen konnte. Man kann sie jedoch wieder zusammen fügen, wenn man Vorsichtig

ist. Ein einfacher Heilzauber, wie man ihn auch bei einer Wunde anwenden würde. Das Problem ist, fügt man die Splitter dabei nicht langsam genug zusammen, nun, , die gesamte magische Energie würde sich auf einen Schlag entladen, was… ungesund wäre. Normalerweise würde man also nur die erfahrensten Magier mit so einer Aufgabe betrauen, die sich abwechseln. Die Konzentration, die man dafür braucht, ist enorm. Im Augenblick jedoch, gibt es nur mich. Und euch. Der Rest… ist zu unerfahren, fürchte ich. Traut ihr euch das zu?“ Quinn glaubte nicht wirklich daran, wie s sich anhörte. Und Syle bekam langsam

Zweifel, ob das eine so gute Idee war. Relina nickte entschlossen. ,, Glaubt mir, ich bin schon mit ganz anderen Herausforderungen fertig geworden.“ ,, Zum Beispiel ?“ Eine Spur Spott lag in der Stimme des Zauberers. ,, Ich habe einen neuen Staat erschaffen.“ Mit diesen Worten stand sie von der Bettseite auf und sah zu Erik. Quinn erwiderte nichts mehr, sondern verschränkte nur die Arme vor der Brust. ,, Bringen wir es hinter uns.“ Erik begann wortlos erneut in seiner Instrumententasche zu wühlen, bis er eine Mappe mit mehreren Pinzetten und kleinen Messern hervorzog. Mit Bedacht wählte er eine der kleinsten Zangen aus

und besah sie sich einen Moment prüfend. ,, Selbst wenn das funktionieren sollte, Relina… Es ist keine Garantie, das er wieder zu sich kommt.“ ,,Ich weiß Erik.“ , antwortete sie. ,, Aber wenn ich es nicht wenigstens versuche… Ich würde mir das nicht verzeihen können.“ ,, Und mich fragt natürlich niemand, ob ich das für eine gute Idee halte ?“ ,, Haltet ihr es für eine gute Idee ?“ , fragte Syle. ,, Nein.“ Quinn atmete tief durch. ,, Ich mache es aber trotzdem. Wenn es nicht funktioniert… Wird schon schief gehen. Vielleicht ist, was immer mit Lucien

nicht stimmt ja auch einfach ansteckend.“ Erik nickte, bevor er die Pinzette und das Vergrößerungsglas wieder an sich nahm und sich über die Wunde beugte. ,, Bereit ?“ , fragte er. Syle sah fasziniert zu, wie Quinn eine Hand ausstreckte, so dass sie knapp über der Brust des bewusstlosen Schwertmeisters verharrte. Relina tat es ihm nach kurzem Zögern gleich. Blaues Licht sammelte sich in den Handflächen der beiden Magier, während der Arzt sich an die Arbeit machte. So behutsam, das Syle nicht wusste, ob er sich überhaupt Bewegte, packte er die Kugel, die zwischen den Scherben des

Kristalls ruhte und zog sie ohne jegliches Zittern heraus. Der Bär konnte die Schweißperlen auf der Stirn des Mannes sehen, als er das Bleiprojektil schließlich ganz aus der Wunde entfernt hatte. Er ließ es achtlos in seine offene Handfläche fallen. ,, Wenigstens gibt’s ein Souvenir.“ , meinte er, klang jedoch nach wie vor nervös. Es war noch nicht Überstanden und das wusste auch Syle, als er Relina und Quinn musterte. Beide standen nach wie vor rechts und links der Liege, darum bemüht den Zauber aufrecht zu erhalten. Fasziniert sah Syle dabei zu, wie die Risse im Stein sich schlossen, wie Splitter und Fragmente von selbst an

ihren Platz zurück kehrten und mit dem blauen Kristall verschmolzen. Quinn ließ die Hände zuerst sinken und stolperte zurück, offenbar am Ende seiner Kräfte. Schwer atmend stützte er sich an der Wand in seinem Rücken ab. Relina hingegen erhielt den Zauber noch einen Moment länger aufrecht, während die letzten Fragmente an ihren Platz zurück fanden. Im gleichen Moment wurde aus dem zuvor schwachen Glühen des Kristalls ein blendendes Licht. Syle schirmte die Augen mit den Händen ab. Im nächsten Moment war die Helligkeit auch schon verschwunden und ließ die zwei Gejarn, den Arzt und den erschöpften Zauberer im Halbdunkel

zurück. Nur langsam gewöhnten sich Syles Augen wieder an das schummrige Licht der Öllampen und Kerzen. Was er jedoch sah, war genug. Die Wunde in Zyles Brust war nicht mehr da. Relina war auf ihren alten Platz zusammengesunken und hatte die Augen halb geschlossen, genau so müde, wie Quinn. Der Mann seinerseits hatte Mühe, sich überhaupt noch auf den Beinen zu halten. Die Schakalin jedoch weigerte sich, einfach einzuschlafen, wo sie war. ,, Und jetzt ?“ fragte sie. Erik zuckte mit den Schultern. ,, Mehr können wir nicht tuen. Es hat funktioniert, aber wie ich schon sagte… es ist keine Garantie. Wir können nur

abwarten, ob er aufwacht.“ Der Arzt packte seine Ausrüstung wieder zusammen und verstaute auch die Fläschchen und Tinkturen wieder, die er zuvor so achtlos beiseite geworfen hatte. ,, Wenn sich irgendetwas endet, sagt mir sofort Bescheid.“ Relina nickte nur, bevor sie sich an Syle und Quinn wandte. ,, Wenn es euch nichts ausmacht… würdet ihr mich alleine lassen ?“ Syle konnte sehen, das Quinn zu einer sarkastischen Erwiderung ansetzte. Bevor der Zauberer jedoch dazu kam, irgendetwas zu sagen, packte der Bär ihn nur an den Schultern und zog ihn mit sich in Richtung Tür, durch die grade

Erik verschwand. ,, Natürlich.“ , meinte er nur. ,, Ruft uns, wenn ihr irgendetwas braucht.“

Kapitel 96 Auf die Zuukunft


Quinn war zu Müde um zu protestieren, als Syle ihn aus dem Raum schleifte. Ohnehin nahm er die Welt nur verschwommen war. Entweder hatte ihn das Zusammentreffen mit dem Seelenträger nachhaltig Geschwächt oder es war schlicht keine gute Idee gewesen, seine Kräfte innerhalb von so kurzer Zeit mehrmals zu überbeanspruchen. So oder so, im Augenblick war Syles Griff alles, was ihn auf den Beinen hielt. ,, Hatte ich schon erwähnt, das ihr schwerer seid, als ihr ausseht ?“ , fragte

der Gejarn grinsend, während sie auf den Flur hinaus traten und er Quinn half, sich zu setzen. In regelmäßigen Abständen waren große Fenster in die Wände des Gangs eingelassen, vor denen sich ein stufenförmiger Absatz befand. Der Zauberer ließ sich mehr auf eine davon fallen, als das er sich hinsetzte. ,,Götter, ich werde zu alt für so was.“ ,, Ihr seid keine dreißig.“ , bemerkte der Bär. ,, Glaubt mir für einen Magier ist das schon Uralt.“ Zumindest für einen, der sich dem Willen des Ordens fügen musste und keine Ruhe fand um sich zu erholen. Vielleicht hatte Kiara sich auch

deshalb immer von der Ordensburg fern gehalten… bevor in Canton alles aus dem Ruder gelaufen war. Die alte Ordensobere schien trotzdem immer irgendwie gewusst zu haben, was sie tun musste. Quinn hingegen wusste es immer weniger. Was er grade getan hatte, war blanker Wahnsinn gewesen. Und doch hatte es funktioniert. Es war seltsam, im Nachhinein so ein Risiko eingegangen zu sein. Aber vielleicht gehörte das schlicht zu seinem neuen Leben dazu, dachte er. Der Magier stützte den Kopf einen Moment in die Hände. Es war das erste Mal seit einer Weile, das er wirklich Gelegenheit hatte, Atem zu schöpfen und über alles nachzudenken, was passiert

war. Vor allem Kiaras Tod. Er hatte es einfach ausgeblendet unter all den anderen Sorgen, die er noch mit sich trug. Andres Pläne aufzudecken, Jiy Rechtzeitig zu erreichen… und dann die neue Bedrohung durch die Magier, die Ismaiel irgendwie veränderte. ,,Vielleicht solltet ihr euch ausruhen.“ Quinn nickte abwesend, nach wie vor in Gedanken. ,, Kiara ist tot, Syle. Und im Augenblick fühle ich mich ziemlich verloren. Wenn mich jemand so hören würde…“ ,, Nun ich höre euch.“ , gab Syle zu bedenken. ,, Ihr zählt nicht.“ , antwortete der

Magier. ,, Ich gebe es ungern zu, aber ihr seid vielleicht noch das nächste, was ich im Augenblick zu einem Freund habe. Neben Lucien natürlich. Aber der… ihr kennt ihn doch. Der würde mir das ewig nachtragen, wenn ich so mit ihm rede.“ ,, Da habt ihr allerdings recht. Und keine Sorge, von mir erfährt Lucien nichts. Aber irgendwie geht es weiter, Quinn. Es ist noch nicht vorbei.“ ,,Nein. Ich fürchte sogar, dieser Krieg könnte noch lange nicht vorbei sein.“ Der Zauberer kam langsam wieder auf die Füße. ,, Andre wird uns sicher vergelten wollen, das wir seine letzten

Verbündeten ausgeschaltet haben.“ , stellte der Gejarn fest. ,, Und dazu wäre er nach wie vor in der Lage.“ ,, Und ich dachte ich bin der Zyniker hier.“ ,, Allerdings.“ , fuhr Syle fort. ,, werden wir ihm besser keine Gelegenheit dazu geben.“ Quinn schüttelte den Kopf. ,, Wisst ihr was… suchen wir Lucien und finden heraus, ob dieser Ort einen Weinkeller hat. Auf die Zukunft.“ ,, Auf das wir alle eine haben, mein Freund.“ Kellvian hatte nicht lange gebraucht, um

etwas Essbares aufzutreiben. In einem der zahlreichen Räume des Palastes, einem großen Gästezimmer, zu dem auch ein kleiner Essbereich gehörte standen nun noch die Überreste ihrer Mahlzeit auf einem Tisch. Mehrere Öllampen sorgten für genug Licht. Durch die glaslosen Fenster strömte kühle Nachtluft herein und setzte die Stoffbahnen, die als Vorhänge dienten in Bewegung. Jiy und Kellvian saßen sich derweil gegenüber, beide schweigend und einfach

nur die Gegenwart des anderen genießend. Es hatte genug zu erzählen gegeben, dachte Jiy, angefangen von dem Moment in Vara, wo sie bemerkt hatten, das Kellvian fehlte, bis sie schließlich vor den Toren Erindals angekommen waren. Aber Geister, dachte die Gejarn , sie hätte für den Rest ihres Lebens nichts anderes mehr getan, als das alles wieder und wieder durchzumachen, wenn das bedeutet hätte, das sie Kellvian am Ende wiederfand. Und wiedergefunden hatte sie ihn… Nach drei endlos erscheinenden Monaten. Eine Zeit, in der sie mehr Leid erlebt hatte, als in dem gesamten Jahr davor. Nun jedoch konnte sie nichts gegen das

Lächeln ausrichten, das sich auf ihrem Gesicht eingebrannt hatte, seit sie ihn in der Eingangshalle wiedergesehen hatte. Und das wollte sie auch nicht. Selbst als Lucien die Nachricht überbracht hatte, dass er auf sie wartete, hatte sie noch nicht wirklich daran glauben wollen. Dazu hatte sie sich schon zu sehr an die nagende Leere gewöhnt gehabt. Die Last diesen Kampf alleine führen zu müssen… Und auch wenn sich nun lediglich das Holz der Tischplatte zwischen ihnen befand, nahm sie den Blick kaum länger als nötig von seinem Gesicht. Kellvian wiederum tat es ihr gleich, während er versuchte, das Kunststück fertig zu bringen, sich ohne hinzusehen einen

Krug Wasser einzuschenken. Jiy lachte schließlich und erbarmte sich. ,, Keiner von uns wird gleich wieder verschwinden, oder ?“ ,, Nicht, wenn ich es verhindern kann, nein.“ Das Funkeln in Kellvians grün blauen Augen sprach Bände, aber er senkte den Blick schließlich auch. ,, Aber offenbar, bist du ja ganz gut ohne mich zurecht gekommen. Alleine Canton anzuführen und das bis hierher?“ ,, Ich hatte Hilfe.“, winkte Jiy ab, aber alleine die Worte machten die Mühen der letzten Monate erneut vergessen. Trotzdem gab es etwas, das sie wissen musste. Auch wenn sie sich nichteinmal vorstellen konnte, was die Erklärung

dafür sein mochte: ,, Aber wieso bist du nicht zurück gekommen ? In all der Zeit gab es nie ein Zeichen von dir, keine Nachricht…“ ,, Ich konnte nicht, Jiy.“ , erklärte er unsicher. Jiy wurde das Gefühl nicht los, das ihn noch etwas anderes zu schaffen machte. Aber was das sein konnte… Sie kannte diesen Mann inzwischen so gut, dass es ihr schwer fiel, nicht zu bemerken, wenn etwas nicht stimmte. Nur seine Gedanken erraten konnte sie dadurch noch lange nicht. ,, Melchior befürchtete, wir würden verlieren, wenn ich die Truppen befehligen würde. Ich weiß nach wie vor nicht, ob er damit Recht hätte, aber… Jiy ich konnte dieses

Risiko nicht eingehen. Mir ist auch klar, dass das keine Entschuldigung ist, aber…“ ,, Ich mache dir doch keine Vorwürfe, du Idiot.“ Bevor Kellvian noch etwas erwidern konnte, war sie schon um den Tisch herum und presste ihre Lippen abermals auf seine. Ein tiefer langer Kuss, nach dem sie beide gierten wie ein Verdurstender nach Wasser. ,,Niemals.“ , hauchte sie, während sie auf seinen Schoß sank. ,, Wir stehen das ab jetzt wieder zusammen durch.“ Kellvian ließ die Hände unter ihre Kleidung wandern und sie tat das gleiche, erforschte seinen Körper mit den Händen, ermutigte ihn… Eine seiner

Hände tastete sich tiefer über ihren Bach und jagte einen wohligen Schauer durch ihren Körper. Die andere fand ihre Brust, liebkoste diese… Jiy vergaß einen Moment das Atmen, dann jedoch hielt er plötzlich inne. ,, Was ist das eigentlich ?“ , fragte er und strich erneut über Fell und Haut, dieses Mal jedoch suchend. Kellvian hatte die Narbe ertastet, die Falvius Angriff hinterlassen hatte. Die Kugel hatte das Metall der Panzerung nicht ganz durchdrungen, aber trotzdem eine Wunde gerissen. ,, Das ist nichts.“ , meinte sie mit einem schwachen Lächeln. ,, Schau.“ Sie streifte ihr Hemd ab und ließ es

achtlos neben sich zu Boden gleiten. Dann stand sie auf und zog Kellvian mit sich, weg vom Tisch und hin zum Bett. Auf dem Weg verabschiedeten sich schließlich auch ihre restlichen Kleidungsstücke. Sie ließ sich auf die Kissen zurück sinken, Kellvian nach wie vor an den Händen führend. Jiy gab ihm einen neckischen Kuss auf die Wange, als er sich über sie beugte. Sie öffnete ihre Schenkel und spürte kurz darauf, wie er in sie eindrang. Langsam begann er sich in ihr zu bewegen und entfachte damit ein süßes Feuer in ihrem inneren. Jiy begann sich seinem Rhythmus anzupassen, das Gefühl

von Lust und Geborgenheit gleichermaßen genießend. Nach einer Weile wurde Kellvians Atem heftiger und sie spürte selber wie sie Kontrolle über ihren Körper verlor. Ihre Hüften bewegten sich wie von selbst, entfachten das Feuer noch mehr so dass sie fürchtete schlicht zu vergehen. Der erlösende Höhepunkt schließlich kam mit solcher Intensität, dass er sie überraschte. Die Gejarn stieß einen kurzen Schrei aus. Während sie beide langsam wieder zu Atem kamen, rollte Kellvian sich vorsichtig von ihr herunter und zog sie an sich. Eine Weile lagen sie einfach nur nebeneinander, auf den immer noch wilden Herzschlag des

anderen lauschend. Schließlich jedoch fielen Kell die Augen zu. Jiy beobachtete ihn noch eine Weile, bevor sie selber glückselig und zufrieden einschlief. Zum ersten Mal seit langem plagten sie keine düsteren Gedanken mehr. Als sie wieder erwachte war es noch dunkel. Die Öllampen waren heruntergebrannt und hätten den Raum in totaler Finsternis zurück gelassen, wäre da nicht das Mondlicht gewesen, das zumindest für etwas Helligkeit sorgte. Einen Moment war sie unsicher, was sie geweckt hatte, dann jedoch stellte sie fest, das Kellvian nicht mehr neben ihr lag. Die Kissen jedoch waren noch

warm. Er konnte also noch nicht zu lange weg sein. Ihre Augen gewöhnten sich schnell an das Halbdunkel und so entdeckte sie bald auch die einsame Gestalt am Fenster, die auf die schlafende Stadt hinaus sah. Noch immer glommen vor allem am Hafen einzelne Lichtpunkte und in den Vierteln in der Nähe des Tores brannten Feuer. Die meisten Brände waren zwar unter Kontrolle, aber es würde eine Weile dauern, bis alle Schäden behoben waren. Jiy stand auf, die Decke um ihre Schultern gelegt und trat zu ihm. Obwohl sie leise war, musste er sie doch bemerkt haben. Im Mondlicht konnte sie nur das glitzern seiner Augen erkennen

und das kurze aufblitzen eines Lächelns. ,, Wenn das alles vorbei ist Jiy, gibt es eine ganze Welt, die wir wieder aufbauen müssen.“ Sein Blick schweifte wieder ab, über die Dächer Erindals. ,, Und mehr, wie ich fürchte. Die Leute werden sich vor allem daran erinnern, dass wir es waren, die ihre Städte und Häuser zerstört haben.“ ,, Das ist weniger als das, was Andre getan hätte. Der Mann hat seine eigenen Dörfer niederbrennen lassen, Kellvian... Das wird niemand so einfach vergessen." Sie legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. War es das, was sie eben nicht zu deuten gewusst hatte ß Wenn ja warum machte er sich ausgerechnet jetzt

darum Sorgen? Kellvian seufzte. ,, Menschen erinnern sich immer nur an das, an was sie sich erinnern wollen. Oder an das, was man ihnen einredet.“ ,, Du klingst alt, wenn du so was sagst.“ Und es machte ihr Angst, dachte sie. Kell war nicht mehr der sorglose junge Mann, den sie einmal kennen gelernt hatte. Und auf der anderen Seite, hatte sie die gleiche Last getragen. Und würde es weiter tun, wenn nötig. ,, Seit wann kümmert dich, was andere von dir denken ?“ ,, Vielleicht, seit dem sich die Dinge… so verändert haben. Ich tötete jetzt Leute, Jiy. Nicht mehr nur, wenn mir

keine andere Wahl bleibt. Vielleicht fürchte ich mich einfach davor, dass ich mich… daran gewöhnen könnte. Das hier, das ist genau das was ich immer verhindern wollte. Das Kaiserreich mit dem Schwert zusammen halten zu müssen… Wäre Dagian noch am Leben, er würde mich auslachen. Und er hätte sogar recht damit. Ich tue genau das, wozu er mich immer gedrängt hat.“ ,, Aber du bist nicht er…“ Jiy wollte nichts einfallen, was sie sonst sagen könne, um seine Bedenken zu zerstreuen. ,, Das hier wurde uns aufgezwungen. Und wenn dieser Krieg vorbei ist, dann kannst du damit anfangen, genau das zu tun, was du dir vorgenommen hast. Die

Dinge ändern. Zum Guten. Und wenn du deinen Glauben daran verloren hast, Kellvian, dann schwöre ich, ich schleife dich notfalls persönlich bis nach Silberstedt mit.“ Kellvian drehte sich wieder zu ihr um. ,, Ich schätze du hast recht. Mir hat das gefehlt.“ ,, Was ?“ Er lachte leise. ,,Mich einfach mit dir unterhalten zu können, schätze ich. Komm. Gehen wir schlafen.“

Kapitel 98 Der Aufstand


Als Kellvian diesmal erwachte, war es bereits helllichter Tag. Die Sonne schien durch die Fenster des Raumes und tauchte alles in gleißende, fast surreale Helligkeit. Er spürte das angenehme Gewicht von Jiys Kopf an seiner Schulter. Die Gejarn hatte die Augen geschlossen und er konnte ihren ruhigen, gleichmäßigen Atem hören. Einen Moment spielte Kellvian mit dem Gedanken, einfach liegen zu bleiben, aber das war natürlich unmöglich. Er musste mit Roland und den anderen reden und je früher er das tat, umso

besser. Andre betrieb nach wie vor eine Waffenschmiede, keine Woche von Erindal entfernt. Sie mussten entscheiden, was sie deshalb Unternehmen würden. Vielleicht konnte er sich ja danach zurück stehlen, wenn sie bis dahin nicht ohnehin wach war. So leise wie möglich, um Jiy nicht zu stören, stand er auf und zog sich an. Der Wind, der durch die offenen Fester wehte trug nach wie vor Brandgeruch mit sich, aber bereits schwächer, als noch am Vortag. Die meisten Feuer mussten mittlerweile gelöscht worden sein. Einen Moment sah er auf die Stadt hinaus. Die düsteren Vorahnungen, die ihn noch gestern Geplagt hatten,

schienen mit der Nacht verflogen zu sein. Es war ein schöner Tag… und er hatte Jiy zurück. Nach all der Zeit konnte er es kaum glauben, so seltsam war ihr Treffen hier gewesen. Sie hatte tatsächlich getan, wozu er vielleicht nicht in der Lage gewesen wäre. Andre wieder bis fast hinter die Berge zurück getrieben. Er hatte keine großen Bastionen mehr, keine Festungen, keine Versteckmöglichkeiten… Er blickte noch einmal zurück auf die nach wie vor schlafende Gestalt, die sich in ihrer Decke zusammengerollt hatte. Hätte sie ihm nicht schon alles bedeutet, vielleicht hätte er sich spätestens in diesem Augenblick in sie verliebt. So

oder so, er konnte nicht bleiben. Zumindest nicht für den Moment. Er zog den Umhang um seine Schultern zu und nahm das Schwert an sich. Auch wenn das ein Tag werden sollte, an dem er die Waffe einmal nicht brauchte. So leise wie möglich, zog Kellvian die Tür des Zimmers auf und verschwand nach draußen, auf die Flure des Palastes. Der Weg durch die hellen Flure und offenen Galerien hob seine Stimmung noch mehr. Als er den Empfangsraum erreichte, entdeckte er dort allerdings eine seltsame Szene. Fenisin, Erik und Mhari saßen zusammen an einem Tisch im Licht eines der Fenster. Die beiden Gejarn saßen sich

gegenüber, ein Schachspiel vor sich aufgebaut, während Erik sich lediglich auf seinem Platz zurück lehnte. Mit einem Schmunzeln stellte Kellvian fest, dass er offenbar den Thron der Fürstin Erindals von seinem Platz geholt hatte. Die Füße auf einer freien Fläche auf dem Tisch abgestützt, schaukelte der Arzt bedenklich auf den Hinterbeinen des Stuhls. ,, Morgen Kellvian.“ Er hatte offenbar die Tür gehört, als Kellvian den Raum betreten hatte. Aber woher der Arzt wusste, dass er da war, war ihm ein Rätsel. ,, Wieso spielt ihr eigentlich nicht mit ?“ , wollte er stattdessen wissen und trat

an den Spieltisch heran. ,, Weil er jeden von uns schon drei Mal geschlagen hat.“ , antwortete Mhari und musterte den Arzt dabei, als wollte sie so herausfinden, wie er das Angestellt hatte. ,, Hintereinander.“ ,, Ihr habt nicht zu fällig Roland irgendwo gesehen, oder ?“ ,, Nein.“ , antwortete Erik, der das Spiel der beiden Gejarn konzentriert verfolgte. ,, Aber Syle. Ich hoffe, ihr braucht ihn in den nächsten Stunden nicht.“ ,, Was ist passiert ?“ , fragte Kellvian, als er den leicht schdenfrohen Ton des Arztes bemerkte. ,, Offenbar haben er, Lucien, Quinn Eden und Cyrus sich gestern Abend

einen Spaß daraus gemacht, die Weinkeller zu plündern. Der Zauberer zumindest ist noch nicht wieder aufgewacht. Und ich hoffe, die zwei Fässer, die jetzt leer sind wird keiner vermissen.“ ,, Ich bin sicher, das bereuen sie grade alle.“ ,, Alle bis auf Lucien.“ , antwortete Fenisin. ,, Der Mann ist offenbar schon wieder auf den Beinen. Er und Melchior wollten glaube ich zur Eingangshalle. Vielleicht findet ihr dort ja auch Roland.“ ,, Danke.“ Kellvian nickte dem Ältesten kurz zu, bevor er sich wieder auf den Weg machte. Das jedenfalls, dachte er,

war mal ein seltsamer Anblick gewesen. Allerdings sollte er sich langsam an so etwas gewöhnen. Vor sich, konnte er bereits Stimmen hören, von denen eine ganz klar Melchior gehörte. Also musste die andere wohl Lucien sein. ,, Versteht ihr Melchior, ich mag Chaos schlicht. Anders als ihr ziehe ich es einfach vor, wenn die Dinge keiner festen Ordnung folgen.“ , meinte er grade. ,, Das heißt für mich nämlich einfach, das ich meine eigenen Regeln schaffen kann. Und wenn ich ganz ehrlich bin, darin bin ich gut.“ ,, Ihr stellt euch dümmer, als ihr seid, Lucien.“ , bemerkte der Seher. ,, Ich glaube einfach nicht wirklich an

Schicksal Melchior.“ . Offenbar unterhielten die beiden sich schon länger, denn Lucien klang seltsam entnervt. ,, Eigentlich habe ich mir angewöhnt, ihm ins Gesicht zu lachen, wenn es etwas von mir will.“ ,, Seht ihr und genauso läuft man ihm in die Falle.“ Ein wissendes Lächeln huschte über das Gesicht des Sehers. ,, Davor wegzulaufen führt meist genau dazu. Hingegen… sich ihm zu stellen… man könnte sagen in all meinem Lebensjahren habe ich ein paar Mal erlebt, das man das Schicksal überraschen kann.“ Melchior und Lucien gingen nebeneinander den Flur entlang und

hatten ihn offenbar noch nicht bemerkt. Kellvian schloss ein Stück zu den beiden auf. ,, Wie gesagt, ich glaube erst gar nicht daran. Kellvian mag das anders sehen, aber ich hatte bisher immer damit Glück.“ ,, Das ist praktisch dasselbe. Glück und Schicksal, meine ich.“ ,, Götter, ihr verdreht einem ja die Worte im Mund.“ Der kaiserliche Agent schlug sich mit den Händen vor den Kopf. ,, Und warum rede ich mit euch überhaupt über so etwas ? Ich wünschte grade wirklich ich hätte noch Wein von gestern übrig.“ ,, Ich habe schon gehört, das wir wegen

euch die Keller auffüllen müssen.“ , machte Kellvian die beiden Männer schließlich auf sich aufmerksam. ,, Ihr habt nicht zufällig Roland gesehen ?“ ,, Nein, aber…“ Lucien stockte, als sich ihnen eilige Schritte näherten. Die Gestalt, die sich ihnen näherte, trug die Offiziersuniform der kaiserlichen Garde. Und unter der offenen Jacke gut sichtbar mehrere Verbände, welche die Wunden verdeckten, die er sich bei der Schlacht um Erindal zugezogen hatte. ,, Ich glaube das ist er.“ Der General sah aus, als wäre er den Großteil der Strecke gerannt. Schlitternd kam Roland zum Stehen, als er Kellvian und die anderen

erkannte. ,, Herr…“ Kellvian blinzelte, unsicher, was er von der Situation halten sollte. ,, Roland ? Ich habe euch gesucht, wir…“ ,, Verzeiht mir, aber ich fürchte wir haben ein Problem.“ , unterbrach ihn der Mann hastig. Er wirkte nicht nur so, als wäre er gerannt, stellte Kell fest, sondern aufs höchste alarmiert. Seine Hand ruhte sicher am Schwertgriff, als befürchte er, sich jeden Moment verteidigen zu müssen. ,, Was ist passiert ?“ , fragte Kellvian plötzlich angespannt. Natürlich hatte es nicht einmal friedlich bleiben können, oder? Seine gesamten Befürchtungen und

Ängste waren auf einen Schlag wieder da. ,, Roland, was ist los ?“ ,, Erindal… sie…“ Der Mann holte tief Luft und sammelte sich, dann fuhr er mit der altgewohnten Ruhe und Disziplin fort : ,, Herr, die halbe Stadt muss auf den Beinen sein. Sie haben vor einer Stunde begonnen, sich in den Gärten und Straßen um den Palast zu sammeln. Ich habe es anfangs nicht weiter beachtet, aber mittlerweile… Sie rufen nach euch. Und ich meine das nicht im guten Sinne. Wir mussten die Tore schließen.“ Kellvian seufzte. ,, Ich verstehe. Wurde jemand verletzt?“ ,, Bisher nicht, ich habe allen Gardisten befohlen, sich in der Eingangshalle zu

sammeln. Nur für den Fall, das ir uns verteidigen müssen. Es gibt mit mir mindestens dreihundert Musketiere, die sich innerhalb der Palastmauern aufhalten und auf ein Zeichen kommt uns jederzeit der Rest der Armee zur Hilfe.“ ,, Ihr wollt sie also einfach vertreiben ?“ , fragte Melchior. Er sah besorgt von Kellvian über Lucien zu Roland. ,, Das werden sie sich sicher nicht einfach gefallen lassen.“ Nein, ganz sicher sogar nicht. Kellvian war genau so klar, dass man eine so große Gruppe kaum friedlich dazu bewegen konnte, wieder ihrer Wege zu ziehen.

,, Wenn es nötig wird werde ich diese Bauern nicht nur vertreiben, Seher. Mir ist ziemlich egal, ob ihnen das gefällt. Wenn sie uns attackieren, werden wir uns wehren.“ , gab der General zurück. ,, Ihr werdet nichts dergleichen tun.“ , unterbrach Kellvian ihn. Normalerweise war der Mann doch nicht so schnell, gleich zur Waffe greifen zu wollen? Er hatte ja schon damit gerechnet, das ihn bei weitem nicht alle Bewohner Erindals willkommen heißen würden, aber das? ,, Zuerst einmal, will ich mir selber ein Bild machen.“ ,, Wie ihr wünscht, ich kann und werde euch nicht aufhalten. Aber Herr… seit

Vorsichtig, egal, was ihr tut. Ich habe schon wütende Menschenmengen gesehen, Deserteure, Meutereien, Aufstände, aber das ist… anders, als das. Ich glaube kaum, das ihr sie mit Worten beschwichtigen könnt.“ Kellvian nickte nur. Das würde er schon selber beurteilen, dachte er bei sich. Aber Roland klang so nervös, wie er ihn noch nie erlebt hatte. Was konnte den sonst bedachten Krieger bitte in so einen Zustand versetzen? Kellvian wollte es gar nicht herausfinden. Und doch blieb ihm wohl keine Wahl. Dieses Mal kam ihm der Weg weiter durch die hellen Flure nicht mehr so heiter vor. Im Gegenteil. Seine Hand

schloss sich unwillkürlich um den Schwertgriff, während er und die anderen Roland folgten. Schon lange bevor sie die große Eingangshalle erreichten, stießen sie auf die ersten Posten. Roland hatte wirklich kein Risiko eingehen wollen wie es schien. Die Männer standen Anfangs noch weit auseinander, jeweils in Zweiergruppen beisammen. Je näher sie der Halle kamen, desto näher standen sie jedoch und unter dem von Säulen getragenen Dach des Palastzugangs schließlich, erwartete sie ein dichtes Spalier von Soldaten, die meisten davon in den dunkelblauen Uniformen der kaiserlichen

Leibgarde. Kellvian schätzte, das es gut hundert oder mehr sein mussten. Trotzdem war es beinahe totenstill in dem weiten Saal. Oder zumindest, dachte er, wäre es das gewesen, wenn da nicht die Schreie und Rufe gewesen wären, die aus hunderten, wenn nicht tausenden Kehlen zu kommen schienen. Die wütenden Rufe wurden durch die dicken Steinmauern und die geschlossenen Tore gedämpft, so dass er nicht viel verstehen konnte. Nur ein Wort, das immer wieder auftauchte, erkannte er ganz klar. Und das war sein Name… Ihm wurde leicht mulmig zu Mute, als er in Richtung der Tore sah. Roland hatte wirklich nicht übertrieben, was die Wut

der Leute draußen anging. ,, Wie viele sind da draußen ? , wollte Kellvian wissen. ,,Genau kann ich es nicht sagen.“ , antwortete Roland ernst. ,, Aber ich würde schätzen mindestens zweitausend.“ Zweitausend. Kellvian zögerte. Das waren viele. Sie würden nicht hier rein kommen, egal was sie versuchten, so viel war klar. Und vermutlich würden sie sich gegen Abend oder spätestens irgendwann in der Nacht davonstehlen, wenn ihre Wut verraucht war. Aber was dann ? Sie würden diesen Tag nicht vergessen, da war er sich sicher. Er zumindest würde es nicht. Der Tag an dem der Kaiser selbst es weder fertig

brachte, sie zu vertreiben, noch sich ihnen zu stellen. Er hatte sich noch nicht Entschieden, als Schritte die gedämpften Stimmen von draußen überlagerten. Jiy sah sich besorgt zwischen den Reihen der Gardisten um, bis sie ihn, Roland und die anderen entdeckte. ,, Kellvian.“ Sie war sofort bei ihnen. ,, Ich habe die Rufe draußen gehört. Was ist da los?“ ,, Genau das möchte ich herausfinden, Jiy. Irgendetwas hat die halbe Bevölkerung Erindals auf die Straße getrieben. Oder genauer, vor den Palast. Und ich will wissen, was. Lasst die Tore öffnen Roland. Ich gehe das Risiko ein

und rede mit ihnen.“ ,,Herr…“ ,, Die Garde kann jederzeit eingreifen, wenn ihr es für nötig haltet.“ , beschwichtigte er den Mann, bevor er seinen Protest vorbringen konnte. Aber auch Kellvian war klar, dass das keine wirkliche Sicherheit bot. Wenn diese Leute da draußen so aufgebracht waren, wie sie sich anhörten, konnten die Garde ihn im Zweifelsfall nicht einfach raushauen, bevor man versuchte, ihn in Stücke zu reißen.

Kapitel 99 Anschuldigungen


Als Kellvian zwischen den Toren des Palastes heraustrat, musste er sich einen Augenblick zusammen nehmen, um sich zu überwinden, weiter zu gehen. Obwohl die Garde einen schützenden Ring um ihn, Jiy und die anderen bildete, sah er doch mehr als genug. Ein Meer aus Köpfen erstreckte sich vor ihnen und ließ die gesamte Freifläche um den Palast verschwinden. Selbst die Gärten waren unter der Vielzahl nicht mehr zu erkennen, Beete und Blumen zertreten, die wenigen Stellen an denen das Gras zu erkennen war, aufgewühlt.

Die sanften Wasser Schleier, welche normalerweise von den Brunnen aus in der Luft mitgetrieben wurden, wurden von der Kleidung der Leute aufgenommen. Die die näher an den Wasserspielen standen, wirkten, als wären sie durch den Regen gelaufen. Trotzdem musste die Hitze für die meisten erdrückend sein. Wütende und aufgeregte Stimmen schlugen ihm entgegen. Es waren zu viele, die durcheinander Riefen, pfiffen oder einfach nur brüllten, als das Kellvian viel verstanden hätte. Aber der Ton war klar und eindeutig genug. Langsam begann er zu verstehen, wovor Roland ihn hatte warnen wollen. Das

hier war anders, als alles, was er bisher hinter sich hatte. Der Adel Cantons würde ihn in Ketten legen, verbannen vielleicht auch hinrichten. Aber diese Männer und Frauen hier, würden sich nicht damit zu Frieden geben, ihn einfach aus dem Weg zu wissen. Wenn er hier einen Fehler machte, würden sie ihn schlicht mit bloßen Händen töten. Vorausgesetzt sie bekamen die Gelegenheit dazu. So oder so… Ein falsches Wort und dieser Tag würde in einem Blutbad an seinem eigenen Volk enden. Oder mit einem an der Garde. Er sah über das Meer aus Köpfen hinweg, die sich bis zu den ersten Häusern tausend oder mehr Schritte

entfernt erstreckten. Hatte er schon mal, außer in einem Heer so viele Menschen auf einmal gesehen? Jiy neben ihm jedenfalls nicht, da war er sich sicher. Die Gejarn hielt sich an seiner Seite, doch genau wie er gab sie sich alle Mühe, sich keine Furcht anmerken zu lassen. ,,Uns wird nichts passieren.“ , erklärte er ihr und hoffte dabei, zuversichtlicher zu klingen, als er sich fühlte. Sie griff seine Hand ,,Ich habe keine Angst, Kellvian. Nicht mehr.“ Mittlerweile waren die versammelten Bewohner Erindals etwas vor den Gardisten zurück gewichen, die Platz vor

dem Tor schufen. Die Angst vor den Waffen der Soldaten und der gesunde Menschenverstand waren wohl doch noch stärker, als die blinde Wut, die diese Leute befallen hatte. Bis der erste plötzlich mit der Hand in Kellvians Richtung deutete. ,,Da ! Das ist der Kaiser !“ Noch bevor der Ruf ganz verhallt war, drängten mehrere Gestalten aus der Menge vor. Bevor sie den schützenden Ring aus Gardisten jedoch ganz erreichten, hoben diese in einer einheitlichen Geste die Gewehre. Der Donner der Gewehrsalve übertönte sogar den gemeinsamen Aufschrei der Menge und die nach wie vor aufgebrachten Rufe. Die Männer, die

sich vorgewagt hatten, stolperten zurück, die Hände schützend über den Kopf gelegt. Offenbar erstaunt, nicht verletzt zu sein, beeilten sie sich, wieder in der Masse zu verschwinden. Die Gardisten ließen daraufhin die Gewehre sinken, deren Läufe statt auf die Menge schräg auf den Himmel gerichtet waren. Die Warnende Savle zumindest hatte Wirkung gezeigt. Die Rufe verklangen zu leisem Gemurmel, bis selbst dieses verstummte. Innerhalb weniger Augenblicke war es Totenstill geworden. Kellvian beschloss, die Gelegenheit zu ergreifen. ,,Könntet ihr mir vielleicht verraten, wieso ihr euch alle hier

versammelt habt ?“ Seine Stimme war nicht laut, wie das Gebrüll der Menge, aber in der ansonsten völlig ruhigen Luft hörte ihn trotzdem jeder. ,,Habe ich irgendetwas getan, um euren gesammelten Zorn zu verdienen ?“ Einen Moment lang folgte nur schweigen auf seine Frage, dann jedoch trat er erste vor, ein Mann, der die bunte Kleidung eines reichen Händlers trug. ,,Ihr habt Lady Garin getötet und unsere Dörfer niedergebrannt. Und ihr fragt uns, wieso wir hier sind? Ihr habt unsere Stadt besetzt.“ Waren diese Leute nur naiv oder dachten sie absichtlich nicht nach? Was hatten sie erwartet, was geschehen würde, als

ihre Fürstin sich gegen Canton stellte? Dass er das ignorieren würde? Dass sie durch ein Wunder von den Folgen dieser Entscheidung verschont bleiben würden? Wie er befürchtet hatte, dachte Kellvian. Andre hatte diesen Menschen tatsächlich von langer Hand geplant etwas Vorgespielt. Er hatte seine Leute Dörfer Plündern lassen, um seine Streitkräfte zu versorgen und die Söldner bei Laune zu halten. Und dann das Imperium dafür verantwortlich gemacht. Er hasste solche politischen Winkelzüge. Und doch besaß es eine raffinierte Heimtücke, die beinahe faszinierend war. Und zu allem Überfluss vermuteten die Leute nun auch, dass er ihre Fürstin

heimtückisch ermordet hätte. Dass er sie tatsächlich getötet hatte, machte die Sache dabei ganz sicher nicht besser. Im Gegenteil. ,,Mit einer Sache, habt ihr Recht.“ , erklärte er. ,,Ich gebe es auch zu. Ich habe Kathrin Garin getötet.“ Der Händler kratzte sich am Kopf. Offenbar hatte er mit allem gerechnet, nur das Kellvian einfach einlenken würde, das überraschte ihn. Die Menge schien genauso verwirrt und blieb für den Moment ruhig. ,,Ihr gebt es also zu ?“ ,,Ich gebe zu, das ich mich Verteidigt habe, als sie versucht hat, mich umzubringen, nachdem ich ihr den

Frieden Angeboten habe. Und es waren Andres Söldner, die eure Dörfer überfallen haben, keiner meiner Soldaten.“ ,,Und das sollen wir euch einfach so glauben ?“ , begehrte eine weitere Stimme aus der Menge. Mehrere andere schlossen sich dem Sprecher an, erneut wurden Rufe laut. ,,Dann kommt doch und wir finden es heraus , Feigling ! Hört auf euch hinter euren Soldaten zu Verstecken !“ Kellvian war beinahe so weit. Er machte einen Schritt vorwärts und war schon drauf und dran, den Männern zu sagen, sie sollten ihn durchlassen. ,,Herr…“ Roland hielt ihn am Arm

zurück. ,,Das bringt nichts. Sie haben sich ihr Bild längst gemacht. Ein Wort von euch und wir zerschlagen diesen Aufruhr. Die sind alle ganz schnell zurück in ihren Häusern.“ Kellvian zögerte. Tatsächlich war er Versucht, genau das zu tun. Ein Teil von ihm war es Leid, gegen Leute anzureden, die ihn am Ende nicht einmal zuhörten. Erst der Adel Cantons, dann die Archonten… und jetzt das hier. Aber… er wollte nicht einfach so aufgeben. Und genau das würde er tun, wenn er jetzt einfach Roland überließ, sich hier um zu kümmern. Dann wäre er tatsächlich, was er nie sein wollte. ,,Nein. Das mache ich selbst.“ Kellvian

schloss einen Moment die Augen. ,,Ich rede mit ihnen.“ Mit diesen Worten, löste er die Schnallen, die den Degen an seinem Gürtel hielten und hielt die Waffe Roland hin. Die silberbeschlagene Klinge war nicht schwer, trotzdem nahm der General die Waffe nur wiederwillig und mit sichtbarer Anspannung entgegen. ,,Seid ihr verrückt ?“ , fragte er und sein Tonfall verriet Kellvian das er das nicht nur sagte. Diesmal fürchtete er ja selber, vielleicht zu weit zu gehen. Aber er hatte bereits zu viel riskiert um aufzuhören. ,,Wenn ich das mache, Roland, dann begegne ich ihnen auch auf Augenhöhe.

Ihr werdet eure Männer zurück halten.“ ,,Und ich werde mitkommen.“ , erklärte Jiy ohne zu zögern. ,,Nicht ihr auch noch.“ Roland seufzte schwer. ,,Wie ihr wünscht. Aber wenn einer dieser Leute hier auch nur eine Bewegung macht, die mir nicht gefällt, beende ich das hier. Danach könnt ihr mich dann gerne entlassen, Herr.“ Kellvian nickte lediglich. Er hatte eigentlich fast damit gerechnet. Und ein Blick in die Gesichter der wartenden Gardisten sagte ihm, dass sie Rolands Befehl in diesem Fall auch folgen würden. Loyalität von der er nicht wusste, womit er sie sich verdient hatte. Auf ein Zeichen hin, traten einige der

Soldaten zurück und machten einen Durchgang in dem Schutzwall frei, den sie bildeten. Er wusste selber, dass er ein Risiko einging, aber noch war er sicher nicht so weit, auf sein eigenes Volk schießen zu lassen. Jiy hielt sich dicht neben ihm, als er schließlich die letzten Gardisten passierte. Einen Moment kamen ihm doch Zweifel, als er nun, ohne jeden Schutz vor der endlos wirkenden Menschenmenge stand. In manchen Gesichtern sah er Unsicherheit darüber, was das hier wohl zu bedeuten hatte. Die meisten jedoch zeigten nach wie vor nur eines: Mühsam zurück gehaltene Wut… Und wenn die sich entlud würde es

nichts geben, das ihn jetzt noch davor bewahrte. ,,Was soll die Gejarn hier ? Ihr sagt ihr tretet uns alleine gegenüber und jetzt schleppt ihr doch eine Leibwache mit? Wollt ihr weglaufen, wenn ihr eure Verbrechen endlich zugebt ist es das ?“ , fragte der Mann in der Händlerkleidung. Offenbar hatte er sich endgültig als Sprecher etabliert, denn aus der Menge kam nur zustimmendes Gemurmel. Niemand wollte ihn übertönen und damit vielleicht Kellvians Antwort überhören. ,,Nein.“ Seine Stimme klang ruhiger, als er sich fühlte. ,,Aber ich befehle meiner Frau sicher nicht sich zu verstecken, wenn sie das nicht

will.“ Sein Gegenüber kniff misstrauisch die Augen zusammen und suchte scheinbar nach Anzeichen für einen Scherz. ,,Ihr widert mich an.“ ,,In diesem Fall hält euch niemand hier, oder ?“ Kellvian breitete die Arme aus. ,,Keinen von euch. Geht, wenn ihr gehen wollt, ich zwinge niemanden dazu, hier zu bleiben. Wenn ich offenbar so böse bin wie ihr sagt, solltet ihr sogar fliehen. Rennt zu Andre. Aber stattdessen taucht ihr hier auf, droht mir mit dem Tod, beschuldigt mich Verbrechen, die ich nicht begangen habe und gebt mir die Schuld an Dingen, die schlicht nicht in meiner Hand liegen.

Wisst ihr was ich glaube? Ihr wisst sehr genau, das nicht einmal die Hälfte eurer Anschuldigungen wahr ist, sonst hättet ihr kaum den Mut aufgebracht, euch hier zu zeigen. Wenn ich wäre, als was Andre mich darstellt, dieser Platz würde in eurem Blut ertrinken!“ Einige der umstehenden, die während seiner Worte etwas näher getreten waren, zuckten plötzlich zurück, als erwarteten sie, dass genau das passieren würde. Einige. Die meisten jedoch blieben starr wo sie waren. Kellvian beschloss, das er weit genug gegangen war. Trotzdem viel es ihm schwer, die Wut und die übrigen Worte hinunterzuschlucken. ,,Stadtessen stehe ich hier. Nun denn, sagt mir noch

einmal ins Gesicht, das ich ganze Dörfer mitsamt Bewohnern verbrannt, das ich euer Land geplündert, Alte und Kinder getötet habe. Und sagt es laut.“ ,,Aber genau deshalb tut ihr das ja nicht.“ , rief jemand und der eben noch sprachlose Händler griff es dankbar auf. ,,Genau das. Ihr seid nicht so dumm als das ihr eure Verderbtheit auch noch vor aller Augen Beweisen würdet. Wir wissen dass ihr es wart. Jeder hier kann euch davon erzählen.“ Kellvian schloss kurz die Augen. Götter, wie stur und dumm konnten diese Leute sein? Bevor er zu einer Erwiderung ansetzen konnte, lachte Jiy. Die Gejarn schüttelte den

Kopf. ,,Und gibt es einen hier unter euch, der persönlich dabei war ?“ , fragte sie kühl. ,, Ist hier jemand, der mir persönlich sagen kann, das er gesehen hat, was in diesen Dörfern passiert ist ? Zeigt mir diese Leute und wenn auch nur einer davon die Wahrheit sagt, gebe ich gleich hier auf. Ich lasse die gesamte Garde hier antreten und sie sollen mir sagen, wen genau sie in ihren Dörfern gesehen haben. Ich dulde keine Plünderungen durch meine Leute. Wenn eure Worte wahr sind, dann soll Andre das Kaiserreich haben, ich hindere ihn nicht mehr daran. Aber kann mir einer von euch ernsthaft sagen, dass er auch nur

einmal einen einzigen meiner Leute in der Nähre irgendeines dieser Dörfer gesehen hat? Ein einziges Mal nur ?“ Schweigen. ,,Nein ?“ ,,Das ist doch gar nicht...“ Jiy ließ den Händler erst gar nicht ausreden. Diesmal klang sie selber wütend. ,,Was ist das nicht ? Wer hat euch den bitte davon erzählt? Bringt diese Leute her und ich schwöre, bei allem, was mir etwas bedeutet. ich werde ihnen zuhören und das ihnen nichts geschehen wird. Ansonsten, würdet ihr vielleicht endlich die Möglichkeit bedenken, dass man euch von vorne bis hinten belogen hat.“ Sie holte tief Luft und fuhr mit leiserer Stimme fort: ,,Und

jetzt verschwindet. Tut was Kellvian euch gesagt hat. Flieht, wenn ihr glaubt wir würden so etwas tun. Oder bleibt und hört auf die Zeit derjenigen zu verschwenden, die euch genau davor schützen wollen.“ Mit diesen Worten drehte Jiy sich auf den Fuß um und Kellvian folgte ihr, ohne zu zögern. Alles was gesagt werden musste war gesagt. Roland, Lucien und Melchior atmeten alle erleichtert auf, als die beiden in die Schützende Mauer aus Gardisten zurückkehrten, die immer noch auf sie wartete und sie zum Tor des Palastes geleiteten. Langsam begann die Menge, sich zu zerstreuen. Zuerst nur die Leute am

Rand, die, die wohl ohnehin nur spät oder wiederwillig gekommen waren. Ihnen folgten jedoch rasch immer mehr, die sich in den Straßen Erindals verloren, bis nur noch eine kleine Gruppe Hartnäckiger zurück blieb, allen in allem vielleicht zweihundert Menschen. Kellvian beachtete sie schon nicht mehr. Das war knapp gewesen. Andre hätte es tatsächlich schaffen können, die Bevölkerung Erindals endgültig gegen sie aufzubringen. Und was dann gefolgt wäre… Er wollte nicht darüber nachdenken. Noch immer Brodelte es in ihm. ,, Manchmal hasse ich mein Volk, Jiy.“ ,

gestand er leise, als sie die Eingangshalle wieder betraten und die großen Tore hinter ihnen zu fielen. ,, Meines ist auch nicht unbedingt immer, Vernünftig, falls du dich erinnerst.“ Die Gejarn gab ihm einen kurzen Kuss. ,, Die Leute sind ebenso.“ ,, Dann müssen wir wohl beide damit klar kommen, wie ?“ Er rang sich ein gequältes Lächeln ab. Etwas anderes blieb ihnen auch gar nicht übrig…

Kapitel 100 Köder


Es dauerte eine Weile, bis Syle ganz Verstanden hatte, was Lucien ihm eigentlich sagen wollte. Sein Kopf fühlte sich an, als könnte er jeden Augenblick einfach zerspringen und der quirlige Agent machte die Sache nicht besser. Wie konnte es dem Mann bitte schon wieder so gut gehen? Er hatte mindestens genau so viel getrunken wie sie alle und Syle überragte ihn leicht um zwei Köpfe. ,, Ich habe noch nie gesehen, das so viele Menschen so wütend sind.“ , meinte Lucien grade, während er vor Syle auf und ab lief. Der Gejarn vermied

es , ihm mit den Augen zu folgen. Davon wurde ihm nur schwindlig. Stattdessen hielt er den Blick starr auf eine dampfende Tasse mit Tee gerichtet, die vor ihm auf dem Tisch stand. Noch war außer ihnen niemand hier. Der kleine Saal lag im zweiten Stock des weitläufigen Palastbaus und durch die Fenster konnte man fast ganz Erindal überblicken. Die Sonne stand bereits tief und tauchte das innere des Raums in einen rötlichen Schein. Die anderen würden sich wohl erst später einfinden und im Augenblick war Syle ganz dankbar dafür. Kellvian hatte ihn und Lucien gebeten, zusammenzufassen, was sie über Andres

Waffenschmiede wussten, so dass sie die anderen Informieren konnten. Das meiste davon hatte ohnehin der Agent im Kopf. Jetzt bestand Syles eigentliches Problem darin, wieder auf die Beine zu kommen. Er nahm einen Schluck Tee und spukte ihn beinahe wieder aus. ,, Lucien… Das Zeug riecht nicht nur, wie brennender Stroh, es schmeckt auch genauso. Bitte sagt mir nur, das alles wieder in Ordnung ist.“ ,, Nun, die Menschen vor dem Palast sind weg. Und keine Sorge, es schmeckt schrecklich, sollte euch aber halbwegs wieder auf die Beine bringen. Ihr müsstet es dafür nur

austrinken.“ Syle atmete erleichtert auf. Wenigstens das. Er hätte es sich nie verziehen, wenn Kellvian dabei etwas zugestoßen wäre. Er hatte seine Pflichten vernachlässigt, dachte der Gejarn düster. Aber in Anbetracht der Umstände zahlte er bereits dafür. ,, Gebt es zu, das hier ist überhaupt keine Medizin.“ ,, Natürlich ist es das.“ , begehrte der Agent auf. ,, Ein Rezept meiner Mutter.“ ,, Ich bin irgendwie ganz froh, dass ich die nicht kennen lernen muss.“ ,, Hey, meine Eltern waren in Ordnung. Soweit ich mich an sie erinnern kann. „ ,, Aber an das Teerezept erinnert ihr

euch ?“ Syle zwang sich, noch einen Schluck zu nehmen. Diesmal ging es schon etwas besser, aber Götter, er wollte gar nicht wissen, was Lucien ,, Zum Großteil.“ Er kratzte sich kurz am Kopf. ,, Ich hab den Zucker weg gelassen. Wusste ich doch, das etwas fehlt.“ ,, Das hilft jetzt auch nicht mehr viel.“ Der Bär stürzte den Rest Tee hinab. Im selben Moment schwang auch schon die Tür zum Raum auf und Kellvian trat, gefolgt von Quinn, Jiy, Roland und den anderen ein. Eden und ihre Leute folgten auf dem Fuß und Syle stellte beinahe erleichtert fest, dass wenigstens Cyrus auch etwas mitgenommen wirkte.

Der Bär ließ den Becher mit Tee rasch vom Tisch verschwinden und reichte sie außer Sichtweite der anderen an Lucien weiter. Er wollte ganz sicher nicht in die Verlegenheit kommen, zu erklären, wieso er rasende Kopfschmerzen hatte. Tatsächlich jedoch schien das Gebräu zu wirken, denn die Schmerzen wurden mit jedem dumpfen Pochen hinter seinen Schläfen etwas weniger intensiv. Was immer Lucien da rein gemischt hatte funktionierte. Auch Zyle schien wieder auf den Beinen. Der Gejarn wirkte nicht einmal mehr so, als wäre er je verletzt gewesen. Fast könnte man ihn darum beneiden, dachte

Syle. Wenn er den Tod so wenig zu fürchten bräuchte, wie Zyle… vielleicht wären ein paar Dinge anders gelaufen. Vielleicht… Es hatte keinen Sinn groß darüber nachzugrübeln, sagte er sich. Vergangen war Vergangen. Und noch etwas schien anders, auch wenn es Syle nur zufällig auffiel. Relina hielt sich nahe bei dem Schwertmeister und auch am Tisch nahmen sie nebeneinander Platz. Nach allem, was ihm die anderen über die Vorgeschichte der beiden erzählt hatten schien das irgendwie… ungewöhnlich. Aber es war auch nichts, um das er sich Gedanken machen musste. Der Gejarn wartete, bis alle saßen, dann sah er zu

Lucien. ,, Vielleicht macht ihr den Anfang…“ Weniger als eine Woche später, konnte man im Schutz der Dunkelheit und unter den Schützenden Zweigen der Bäume verborgen, mehrere Gestalten erkennen, die auf eine Reihe von Gebäuden hinab sahen. Die Silhouetten der Gebäude waren gegen die Nachtschwarze Umgebung leicht auszumachen, waren die meisten davon doch hell erleuchtet. Jiy war zuerst skeptisch gewesen, als Lucien erklärte, an der Schmiede würde Tag und Nacht gearbeitet. Sie hatten die

Hammerschläge und den steigen Singsang von Stahlzähnen, die sich durch Holz fraßen schon aus der Ferne gehört. Damit verrieten Andres Männer doch praktisch jedem sofort, wo sich das Lager befand. Grade jetzt, wo Erindal ihnen in die Hände gefallen war, sollte der Herr Silberstedts doch Vorsichtiger werden? Vielleicht war er mittlerweile aber auch einfach nur Verzweifelt, hoffte Jiy. Wenn hier tatsächlich die gleichen Spiegelwaffen hergestellt wurden, wie die, mit der er Vara angegriffen hatte, konnte es diesem Krieg tatsächlich noch eine neue Wendung geben. In dem Fall, war es ein Glück, das sie vorher darauf aufmerksam

geworden waren. Und trotz des beklemmenden Gefühls, das sich ihrer Bemächtigt hatte, war die Gejarn froh, Erindal hinter sich zu lassen. Bei ihrer Abreise vor fünf Tagen waren ihr die Feindseligen Blicke der Leute nicht entgangen, die man ihnen nachwarf. Auch wenn keiner mehr ein Wort sagte. Sie wussten, dass sie Unrecht hatten und Jiy hatte ihnen keine Möglichkeit gelassen, weiter das Gegenteil zu behaupten. Und das nahmen sie ihr jetzt Übel. Diese Leute hatten nicht damit gerechnet, zu Recht gewiesen zu werden. Und ganz sicher nicht von ihr… oder jemanden wie ihr. ,, Es wirkt alles so ruhig.“ , flüsterte

sie, grade so, das Kellvian und Lucien links und rechts von ihr, sie verstehen konnten. ,, Möglicherweise rechnen sie einfach nicht mehr mit einem Angriff.“ , meinte der Agent. ,,Immerhin, es ist schon einige Tage her, das ich ihnen… entkommen bin und bisher ist nichts passiert.“ ,, Erland wird kaum so dumm sein.“ Kellvian spähte wie sie in die Dunkelheit, aber natürlich fehlten ihm die scharfen Augen eines Gejarn. Sie hatten sich in drei Gruppen aufgeteilt, die sich um das Lager herum verteilten. Sie, Kell, Lucien, Melchior, Relina und

Zyle würden den langen Weg vom Waldrand über die offene Wiese nehmen, sobald sie das Zeichen bekamen, während eine zweite Abteilung bestehend aus Quinn, Roland Syle, den beiden Ältesten und den restlichen Truppen der Clans versuchen würde, sich direkt in die Waffenschmiede zu schleichen und dort so viele Wachen wie möglich auszuschalten. Je später man Alarm schlug, desto leichteres Spiel hätten sie. Unter Edens Führung schließlich würde sich eine dritte Gruppe näher heranschleichen um Rolands Leute wenn nötig zu unterstützen. Angestrengt spähte Jiy in die Dunkelheit und hielt nach einem Zeichen für ihre

übrigen Leute Ausschau. Im Lichterschein, der aus den Werkstätten und Gebäuden drang, konnte sie die Umrisse mehrerer Posten erkennen, die regungslos in Richtung Wald starrten. Es waren vielleicht zwei Dutzend bewaffnete, die sich über das Gelände verteilten. Merkwürdig, schon wieder. Es waren zu wenige, wenn man bedachte wie wichtig dieser Ort für Andre sein musste. Und dennoch konnte Jiy sonst nichts entdecken. Eine versteckte Streitmacht, die sich mit Tannenpech verbarg, hätte sie entdeckt. Dafür gab es hier zu wenige Nadelhölzer, als dass eine solche Maskierung funktionieren würde. Aber da war nur der Geruch der

Menschen bei ihr und der wenigen in der Waffenschmiede. Plötzlich verschwand einer der Schatten, die vor einem Schuppen wache gehalten hatte. Eben war der Mann noch da, dann verschwanden die Umrisse. Jiy blinzelte und erkannte eine zweite Gestalt, die sich über etwas beugte, das im Gras lag und ungefähr die Umrisse eines menschlichen Körpers hatte. Im nächsten Moment hielt die Gestalt etwas hoch, das kurz aufflackerte. Eine rötliche Flamme, kaum hell genug, um die Züge des Gejarn zu enthüllen, der dort im Gras hockte, über einen toten Wachmann gebeugt. Es war Syles Idee gewesen. Eine kleine Patrone mit Drachenfeuer.

Grade genug, damit es ein paar Herzschläge lang brannte, ohne den Benutzer zu verraten, wenn man nicht zufällig genau hinsah. Nun tauchten auch an anderer Stelle ähnliche Feuer auf, jedes einzelne markierte eine tote Wache. Jiy spürte, wie sich Kellvian neben ihr anspannte. Das war, worauf sie gewartet hatten. ,, Jetzt.“ , flüsterte er, worauf der Wald einen Moment in Bewegung zu geraten schien. Eben noch regungslos in den Schatten verharrend wurden nun hunderte von Gardisten sichtbar, die auf die Wiese hinaus strömten, immer noch geduckt gehend um so spät wie möglich entdeckt zu werden. Jiy lief ebenfalls

los, verlor aber die anderen in der Dunkelheit rasch aus den Augen. Wenigstens schien heute kein Mond und der Himmel war mit Wolken bedeckt. Ohne, das aus Richtung der Waffenschmiede ein Laut gekommen wäre, erreichten sie die großen Scheunen, aus denen immer noch das steige Geräusch von Sägen und Hämmern zu hören war. Dabei passierten sie auch die gut zwei Dutzend Gejarn, die mittlerweile die Plätze der beseitigten Wachen eingenommen hatten. Für einen flüchtigen Beobachter, der nicht zu genau hinsah, würde es so wirken, als seien die Wachen nach wie vor auf ihrem

Posten. Syle, Mhari Fenisin, Roland und Quinn warteten bereits an der Tür zum ersten Schuppen auf sie. Der Magier lehnte am der Wand des Schuppens, die Arme vor der Brust überkreuzt. ,, Das ist irgendwie alles viel zu einfach.“ , meinte er nachdenklich und sah dabei in Richtung Melchior. Der ältere Seher war bei weitem nicht so schnell, wie die restliche Truppe und so trat er erst jetzt ins spärliche Licht, das durch die Ritzen im Holz der Schuppentür nach draußen drang. Roland nickte, das Schwert bereits in einer Hand und die andere an der Tür zur

Halle. ,, Wenn sie uns eine Falle stellen wollen“ , meinte er leise, ,, Wäre die Halle perfekt. Ein paar Schützen direkt hinter der Tür und die ersten, die dumm genug wäre, hinein zu gehen, sterben. Ich gehe als erster.“ Bevor jemand etwas sagen konnte, hatte der General die Tür bereits aufgerissen und machte einen Satz nach drinnen. Jiy rechnete fast damit, im nächsten Moment einen Schuss zu hören, stattdessen drangen nur aufgeregte Stimmen heraus. ,, Wer bei allen Göttern seid ihr ?“ , fragte eine Stimme, gefolgt von einer weiteren : ,, Was habt ihr hier zu suchen ?

Und…“ Die Worte verstummten, als sie und die anderen Roland schließlich folgten. Das innere der Halle bot wohl leicht genug Platz für einige hundert Leute. Oder hätte es getan, wenn der Großteil des Raums nicht von Stapeln mit Holz und Glasteilen, halb fertigen Konstrukten und in einer Ecke, mit Decken verhängten Gegenständen. Vielleicht zwanzig Arbeiter in braunen Lederschürzen standen herum, Werkzeuge in der Hand. Zwar wären diese wohl durchaus als Waffen brauchbar gewesen, aber beim Anblick der bewaffneten Gardisten, die durch die geöffnete Tür hereinströmten, wichen

die meisten lediglich langsam zur anderen Seite der Halle zurück. Offenbar gab es dort eine zweite Tür, denn einer nach dem anderen verschwanden die Arbeiter. Einige Gardisten wollten ihnen bereits nachsetzen, aber Jiy hielt sie zurück. ,, Lasst sie. Wir sind nicht ihretwegen hier.“ Kleine Lampen in Glaskästen erhellten die Umgebung und den mit Stroh bedeckten Boden. Die getrockneten Halme knirschten unter ihren Füßen, als sie auf die abgedeckten Karren zuging. Das mussten die Waffen sein, die Andres Leute bereits fertig gestellt hatten. Vermutlich sah es in den anderen

Schuppen ähnlich aus. Sie sollten in Brand stecken was sie konnten und dann verschwinden. Mit etwas Glück kamen sie ohne irgendwelche Verluste hier raus. Einer Eingebung folgend, ergriff Jiy jedoch eine der Stoffbahnen und zog sie bei Seite. Was darunter zum Vorschein kam, war ganz sicher nicht, was sie erwartet hatte. Es war durchaus ein Karren wie der, auf dem sich auch Andres erste Lichtwaffe befunden hatte. Aber darauf war nicht etwa ein kompliziertes Konstrukt aus Linsen und Scharnieren angebracht, sondern nur ein leeres Holzgerüst. Das war nur eine Attrappe… Etwas, das genauso aussehen sollte, wie die Waffen nach denen sie

suchten. Götter… Jiy lief ein kalter Schauer über den Rücken, als ihr klar wurde, was das bedeutete… ,, Das ist gar nicht gut…“

Kapitel 101 Fenisins Tod


Erland war das Warten allmählich Leid. Seit über einer Woche legten sie sich nun schon jeden Tag auf die Lauer. Und jeden Tag war das Ergebnis nur, das sie übernächtigt und enttäuscht zurück kehrten. Seine Finger ballten sich um die Zügel seines Pferds zu Fäusten. Vor sich konnte er grade noch so die Gebäude der Waffenschmiede erkennen. Sie waren so weit entfernt, wie es grade noch ging, ohne nicht mehr verfolgen zu können, was dort geschah. Der Feldherr hatte ein Fernrohr in der Hand und versuchte, in

der Dunkelheit alles zu überblicken. Aber eigentlich rechnete er nicht wirklich damit, etwas zu entdecken. Hinter ihm drängten sich mehrere tausend bewaffnete Männer zusammen. Der Anblick der großen Menge Bewaffneter machte ihn jedoch innerlich nur wütend. Diese Leute hätten leicht Erindal halten können, hätte Andre nicht darauf bestanden, sie für diese… Unternehmung einzuteilen. Und zu allem Überfluss hatte der Lord noch auf weitere Verstärkung bestanden, nachdem Erland ihm die Nachricht geschickt hatte, das das Kaiserreich endlich auf sie aufmerksam geworden war. Eine äußerst unwillkommene

Verstärkung. Er wendete sich zu der in dunkle Roben gekleideten Gestalt um. Der Mann musste sich nicht irgendwie tarnen um mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Er wirkte selber bereits wie ein atmender Schatten. Ismaiel war der einzige von ihnen, der zu Fuß ging. Und er würde dafür sorgen, dass man sie nicht entdeckte. Erland konnte das sanfte Kribbeln in seinen Füßen spüren. Es machte die Pferde nervös. Und ihn auch, wenn er ehrlich war. Noch nervöser machte ihn nur das… Ding, das in Begleitung Ismaiels hier eingetroffen war. Was einstmals ein normaler Zauberer gewesen sein mochte, war nun

nur noch durch schwere, mit Bannen belegte Ketten zu bändigen. Grünes Feuer, das auch in der Nacht noch deutlich zu sehen war, hatte alles Menschliche oder sanfte aus dem Blick des Mannes vertrieben, der, von einem halben Dutzend Männern gesichert, ganz am Rand der kleinen Armee stand. Und das alles um einer einzigen Person habhaft zu werden . Erland wusste nicht, welcher Wahnsinn Andre zu dieser Verschwendung trieb, aber Götter, wenn es sich nicht auszahlte… Es gäbe noch dazu durchaus bessere Gelegenheiten, für die sie nicht eine ganze Waffenschmiede opfern mussten. Selbst wenn dort nur Attrappen zu

finden sein würden, sie setzten einen ihrer letzten Vorposten aufs Spiel. Aber sie brauchten eben einen Köder. Und offenbar mangelte es Andre schlicht an Fantasie, sich einen anderen auszudenken. Er mochte es schlicht nicht sehen, aber dieser Krieg hatte mittlerweile eine sehr ungünstige Wendung für sie genommen. Und statt zu Versuchen, wieder Boden gut zu machen, warteten sie hier. Wenn das so weiter ging, stand der, nach den Berichten aus Erindal , wieder aufgetauchte Kaiser spätestens im Frühjahr in Silberstedt. Erland fürchtete langsam, er könnte sich verschätzt haben. Am Anfang hatte es so ausgesehen, als würden sie leichtes Spiel

haben. Er hatte gehofft, sich Rang und Titel zurück verdienen zu können, aber das alles hier hatte nichts Ehrenvolles mehr. Es war nur noch ein seltsames Spiel zwischen Ismaiel und Andre, in dem der Krieg fast vergessen schien. Aber er hatte seine Befehle. Trotzdem, dachte Erland grimmig, würde das hier nicht funktionieren, dann schwor er sich, Andre zur Rede zu stellen. Er würde nicht zulassen, dass der Mann alles derart aufs Spiel setzte. Erland hob erneut das Fernrohr und suchte damit das Land um die Hallen und Gebäude ab. Tatsächlich bewegte sich dort etwas. Kaum wahrnehmbar huschten

mehrere Schatten zwischen den Gebäuden heraus… und auf die Postenkette zu, welche den gegenüberliegenden Waldrand im Auge behielt. Alles ging so schnell, das Erland dem Vorgang kaum folgen konnte. Die fremden Männer stürzten sich koordiniert auf die Wachen und rangen sie ohne einen Laut zu Boden. Dann entzündete jeder von ihnen ein Signallicht, das nur wenige Herzschläge lang zu sehen war. Endlich. Da waren sie also. Der Plan schien zumindest aufzugehen. Auf das kurze Signal hin, tauchte eine Unzahl Schatten zwischen den Bäumen auf und lief ohne viel Lärm zu verursachen in

Richtung. Ismaiel musste es auch bemerkt haben. Der Magier brauchte wohl kein Fernrohr um zu wissen, was sich in der Waffenschmiede abspielte. ,, Wenn ihr das klug anstellt, könnt ihr heute ihre ganze Armee vernichten, Erland.“ , bemerkte er lediglich. ,, Es sind viele…“ ,, Das sehe ich auch.“ , antwortete er kurz angebunden. Mittlerweile verschwanden die ersten Gestalten bereits im inneren der Scheunen. Die Gelegenheit war perfekt. Einen Moment noch zögerte er. Vielleicht war der Plan doch nicht so schlecht. Nur hätte er niemals damit gerechnet, dass der Kaiser

so viele schicken würde. Oder konnte es sein, das er selbst hier war? Wenn das stimmte, dachte Erland, stellte es ihr eigentliches Ziel bei weitem in den Schatten. Er fasste die Zügel mit einer Hand fester, während er mit der anderen das Schwert zog. Die Klinge war geschwärzt, genau wie die restlichen Waffen seiner Männer. Nichts würde ihre Anwesenheit verraten, außer dem Getrampel von tausenden Hufen… und dem Moment wenn die kaiserliche Garde merken würde, dass sie in der Falle saß. ,, Keinen Gefangenen, außer dem weshalb wir gekommen sind.“ Er riss das Schwert hoch und wie eine lebendig gewordene Flutwelle setzte sich das Heer

aus Reitern und den ihnen folgenden Fußsoldaten in Bewegung. Erland zögerte nur kurz, bevor er sich ihnen anschloss und sah, wie Ismaiel die Bande durchtrennte, die den besessenen Magier hielten. Der Mann schloss sich ihnen ebenfalls an, entweder nach wie vor durch irgendeinen Zauber unter Kontrolle gehalten oder, weil er noch so viel verstand besaß, sich nicht gegen die zu wenden, die einmal seine Verbündeten gewesen waren. Ismaiel war der einzige, der zurück blieb und ruhig auf die sich anbahnende Schlacht wartete. Am Horizont tauchte grade der erste, blasse Silberstreif auf, der den neuen Tag ankündigte. An

diesem Morgen, würde sich der Tau rot färben. Cyrus sah fassungslos auf die nutzlosen Holzattrappen Entweder, es hatte nie wirklich irgendwelche Waffen hier gegeben, oder aber man hatte sie längst an einen anderen Ort gebracht. So oder so, jemand hatte einen Köder ausgelegt, dachte er. Und sie hatten angebissen ohne zweimal nachzudenken. Einen Moment noch waren alle wie betäubt, dann jedoch drangen Rufe und der Klang von Schüssen von draußen herein. Der weitaus größere Teil ihrer Truppen hielt

sich immer noch vor den großen Scheunen auf, die als Konstruktionshallen genutzt worden waren. Eden war unter den ersten, die die Erstarrung abschüttelte. ,, Das ist eine Falle. Raus hier !“ Sie deutete auf die Tür in der Rückwand des Schuppens und trieb die Leute zur Eile an. Auch Kellvian reagierte endlich. ,, Sie hat recht. Lauft. Nach draußen. Hier drinnen sitzen wir fest. Los.“ Der Mensch zog bereits den Degen und wies einige Gardisten an, sich ihm anzuschließen. ,, Wir sichern die Tür auf der anderen Seite, bis alle draußen

sind.“ Cyrus legte eine Hand auf den Griff der Axt, den er trug und suchte die Menge nach Eden, Erik oder Zachary ab. Zumindest die Gejarn und den jungen Zauberer entdeckte er schließlich, bereits auf halbem Weg zum Ausgang und damit wenigstens so gut wie in Sicherheit. Er würde sie später schon wiederfinden, sagte er sich. Jetzt ging es erst einmal darum, zu verhindern, das aus dem organisierten Rückzug eine heillose Flucht wurde. . Die Gebäude boten keinerlei Sicherheit und solange sie hier drinnen waren, reichte es schon, den Bau in Brand zu stecken um sie alle zu töten. Wenn das

hier ein Abgekartetes Spiel war, würde wer immer dort draußen war, sicher versuchen, eine Flucht zu verhindern. Tatsächlich schien genau das der Plan, den bereits jetzt schlugen vereinzelt Kugeln durch das Holz der Vordertür. Es würde wohl nicht mehr lange dauern, bis sich Schützen davor positionierten und damit jede Flucht auf dem Weg, den sie gekommen waren, unmöglich machten. Kellvian rannte zu den Wagen mit den Attrappen herüber und bedeutete einigen seiner Leute, ihm dabei zu helfen, eines davon vor die Tür zu schieben. So würden sie wohl wenigstens verhindern, dass Andres Leute hier herein kamen. Und hätten etwas Deckung, dachte der

Wolf. Der Lärm von draußen wurde unterdessen schier Ohrenbetäubend. Gewehrsalven, Schreie, das Wiehern von Pferden und das Klirren von Stahl vermischten sich zu einem einheitlichen Inferno, das Cyrus in den Ohren hallte. Aber er kannte diese Geräusche nur zu gut und so vermied er es, nur Hals über Kopf den Anweisungen Folge zu leisten um irgendwie ins Freie zu gelangen. Fenisin unterdessen war einer der ersten, welcher den Hinterausgang erreichte. Der alte Wolf war nach wie vor erstaunlich flink wenn es sein musste. Er bedeutete den anderen mit erhobenen Armen zurück zu bleiben und tatsächlich

wurden die Leute langsamer. Schließlich blieben die meisten sogar stehen. Cyrus drängte sich unterdessen an den umstehenden Vorbei in Richtung Eden und Zachary. Die Kapitänin hatte dem Jungen eine Hand auf die Schulter gelegt und nickte ihm lediglich kurz zu. Es waren nur wenige Augenblicke, aber irgendwie hatte es der Älteste geschafft, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und die aufkeimende Panik zu beschwichtigen. Erst, als sich wieder so etwas wie Ordnung gefunden hatte, stieß Fenisin die Tür auf und trat als erster nach draußen. Cyrus konnte nur mit

Schrecken verfolgen, was danach geschah. Der graue Wolf war grade erst in die Dunkelheit hinaus getreten, als plötzlich mehrere dutzend Lichtpunkte aufflammten. Das Mündungsfeuer der Gewehre brannte sich ihnen ein, während der Gejarn getroffen zurück stolperte. ,,Nein…“ Cyrus glaubte, dass es Jiys Stimme war, die einen Moment über den Lärm der Schlacht hinweg zu hören war. Andere drängten an Fenisin vorbei nach draußen, während sich zunehmend Blutflecken auf seiner Kleidung ausbreiteten. Cyrus war bei ihm, bevor er stürzte und fing den schwer verletzten Gejarn auf. Weitere Schüsse hallten durch die

Dämmerung, als die Garde und die Schützen, die draußen auf der Mauer gelegen hatten, sich ein Gefecht lieferten. ,, Das hat schon eine gewisse Ironie, wie Cyrus ?“ , brachte der Älteste noch hervor. ,, Ihr habt eure Rache nie bekommen…“ ,, Weil ich sie nie gewollt habe.“ Der Kopf des Gejarn sank zurück, während seine Augen langsam trübe wurden. Cyrus blieb nur einen Moment über den Toten gebeugt sitzen. Dann hob er den seltsam leicht gewordenen Körper auf und rannte nach draußen. Wenn es ihm möglich war, würde er Fenisin nicht hier zurück lassen. Sobald er in hinaus

stolperte, befand er sich bereits mitten auf dem Schlachtfeld. Eine Kugel zischte knapp an ihm vorbei. Im silbrigen Morgenlicht, das langsam am Horizont auftauchte kämpften sich nur schwer einer Seite zuordnend lassende, Silhouetten gegeneinander. Cyrus erkannte einige graue Uniformen wie sie Andres Söldner trugen. An anderer Stelle entdeckte er das blau der kaiserlichen Leibgarde. Es gab keine erkennbare Ordnung, keine Schlachtlinien… Grade noch rechtzeitig drehte er sich herum, um zu sehen, wie hunderte von Reitern aus den umliegenden Wäldern auftauchten. Die Männer trieben ihre

Tiere zu einem rasenden Galopp an und streckten jeden Gardisten nieder, der vor sie geriet. Cyrus selbst warf sich als letzte Chance zu Boden um den trampelnden Hufen und durch die Luft schneidenden Schwertern zu entgehen. Etwas traf ihn schmerzhaft in die Seite und gab seinem Körper einen kräftigen Stoß, so dass er sich mehrmals Überschlug. Dann verstummte das Donnern der Hufe endlich und er sah den Männern nach, wie sie eine kleine Gruppe Gardisten einkreisten… Schwerfällig richtete er sich auf. Fenisins Körper war ihm bei seinem Sturz entglitten und unter den zahllosen Toten, die bereits das Gras um die

Bauten der Waffenschmiede bedeckten, konnte er ihn unmöglich rechtzeitig finden. Sie mussten hier weg. Diese Schlacht konnten sie nicht gewinnen, dachte er. Man hatte ihnen eine Falle gestellt und wenn kein Wunder geschah, würden sie alle darin zu Grunde gehen. Langsam und immer auf weitere Reiter lauschend, sah er sich um. Eden und Zachary mussten irgendwo sein. Und die anderen auch, hoffte er. Wenigstens die Gejarn entdeckte er schnell. Die ersten Sonnenstrahlen hatten bereits ihren Weg über den Horizont gefunden und Eden fiel mit ihrem roten Mantel mehr als auf. Etwas, das sie leider auch zu einem Ziel machte, wie Cyrus

erkannte. Zachary hielt ihr jedoch wenigstens den Rücken frei. Der junge Magier hatte einen ganzen Wall aus Zaubern um sich errichtet, der jedem, der ihm zu nahe kam, bei lebendigem Leib das Fleisch von den Knochen brannte. Cyrus hatte die beiden fast erreicht, als ihn plötzlich etwas von den Füßen hob. Einen Moment schwebte er hilflos in der Luft und sah unter sich eine seltsam abgerissen wirkende Gestalt mit grün leuchtenden Augen. Jeder Versuch, sich gegen den magischen Griff zu wehren, war Erfolglos. Bevor Cyrus wusste, wie ihm geschah, machte der fremde Magier eine wegwerfende Geste mit der Hand.

Als hätte ihn die Faust eines Riesen getroffen, flog der Wolf ein viel zu langes Stück durch die Luft und schlug dann unsanft im Gras auf. Hatten die Pferdehufe, die ihn getroffen hatten schon ihre Spuren hinterlassen, blieb er diesmal endgültig, von Schmerzen halb ohnmächtig, liegen. ,, Alles In Ordnung ?“ Er sah auf und entdeckte ein besorgtes, mit weißem Pelz bedecktes Gesicht. ,, Hätte schlimmer kommen können.“ Eden schüttelte den Kopf. Sie war sofort an seine Seite gestürzt, nachdem sie beobachtet hatte, was passiert war, das Schwert auf den regungslos wartenden Zauberer gerichtet. Dieser legte einen

Moment den Kopf schief, als wüsste er mit der drohenden Geste überhaupt nichts anzufangen. Mit einer weiteren Handbewegung des Mannes wurde der Gejarn der Säbel aus der Hand gerissen und schlug in den Stamm eines Baumes ein der ein paar Schritte entfernt stand. Langsam kam der Mann näher, während sich Feuer zwischen seinen Fingern sammelte. Bis Zachary sich ihm in den Weg stellte. Der junge Zauberer ballte die Hände zu Fäusten und Cyrus sah, das er zitterte. Angst… Trotzdem klang seine Stimme fest und klar. ,, Keinen Schritt weiter.“

Kapitel 102 Erlands letztes Gefecht


Syle stolperte, gefolgt von Kellvian und Jiy, aus der Scheune. Roland war bereits vor ihm gegangen und hatte mehrere, grau uniformierte Söldner niedergestreckt. Nach dem die letzten Gardisten die Scheune verlassen hatten, hatten auch sie sich beeilt, das Gebäude zu verlassen, das zunehmend zur Falle zu werden drohte. Das Chaos in das sie gradewegs hinein liefen war vollkommen. Syle hatte keine Ahnung, wer wo war, als er einen raschen Blick über die im Morgenlicht rötlich schimmernden

Wiesen warf. Gardisten, Söldner, reiterlose Pferde… alles lief durcheinander, ohne das er zu sagen gewusst hätte, ob ein Plan dahinter stand. Nur eines war klar. Sie waren bei weitem in der Unterzahl. ,, Wir müssen unsere Leute alle hier raus schaffen.“ , entschied Jiy, die dem Blick des Bären gefolgt war. ,, Die Frage ist wie.“ , erwiderte Roland, während sich die vierköpfige Gruppe einen Weg über das Schlachtfeld suchte. ,, Seht euch das Durcheinander nur einmal an. Es gibt keine Befehlskette mehr, nichts und wir können nicht jedem einzeln sagen, wo er hin

soll.“ ,, Ich weiß, gab sie zurück.“ ,, Wenn wir uns aufteilen erreichen wir zumindest mehr.“ , schlug Kellvian vor. Im gleichen Moment schlug eine Kanonenkugel in das Dach der Scheune, die sie soeben erst verlassen hatten. Holzbalken gaben mit einem splitternden Geräusch nach und das komplette Dach sackte ein Stück ab. Einen Moment lang hielt sich das Gebäude noch aufrecht, dann stürzte die gesamte Konstruktion langsam in sich zusammen. ,, Gut.“ Roland starrte einen Moment auf den zerstörten Bau, einen Moment wohl schlicht zu geschockt. Wären sie nur einige Augenblicke länger dort

geblieben, wären sie jetzt Tod. ,, Wenn Andres Leute auch noch Geschütze haben, sind wir erledigt. Retten wir, was zu retten ist. Syle ? Ihr kommt mit mir?“ Der Gejarn zögerte nicht. Zwar missfiel es ihm, das Kellvian und Jiy damit alleine losziehen würden, aber die beiden konnten auf sich achten. Und auf einander. Hier ging es nicht mehr darum, eine einzige Person zu schützen. Wenn sie nicht schnell handelten, würden sie alles verlieren. ,, Gehen wir.“ , erklärte er daher nur und folgte dem General, als dieser sich auf den Weg machte. Sie verloren Jiy und Kellvian rasch aus den Augen, als

diese sich auf den Weg in die entgegengesetzte Richtung machten. Zum Glück war es für zwei Leute recht einfach, Lücken in den Kämpfen zu finden, die überall auf der grasbewachsenen Ebene und zwischen den Gebäuden tobten. So kamen sie fast unbehelligt voran und Roland hatte Gelegenheit, sich gehör zu verschaffen. Die Hände zu einem Trichter geformt rief er: ,, Wir ziehen uns zurück. Alle, lasst euch zurückfallen und sammelt euch. Zurück !“ Sie waren noch nicht weit gekommen, als sich vor ihnen plötzlich eine Abteilung Reiter aus dem Wald löste. Die Männer fächerten aus und kamen als

ein Band aus grauen Uniformen und schwarzen Pferden auf sie zu. Syle brauchte nicht mehr zu sehen. Wenn sie blieben, würden sie einfach niedergetrampelt. Entweder, sie versteckten sich und warteten bis die Reiter vorbei waren, oder sie schlugen einen Bogen. ,, Weg hier.“ , rief er Roland zu, der sich jedoch nicht von der Stelle rührte. ,, Wir können nicht bleiben.“ Der Mann deutete nur nach vorne, auf einen der rasch näher kommenden Reiter. Syle folgte der Geste und entdeckte eine Gestalt, hinter der ein auffälliger, weißer Umhang wehte. Erland… ,, Ihr seid wahnsinnig, das wisst ihr,

oder ?“ , fragte Syle, als ihm klar wurde, was Roland vorhatte. ,, Wenn wir Andres Feldmarschall ausschalten, was glaubt ihr, wie viele Leben das heute retten könnte ?“ , fragte er. ,, Ohne einen Anführer verliert ihr Vorstoß an Wucht und wir können ihnen vielleicht entkommen.“ Syle nahm sich zusammen. ,, Also gut. Was schlagt ihr vor?“ ,,Wir warten genau hier.“ , erklärte Roland nur, und rammte das Schwert mit der Spitze in den Boden, so dass es von alleine stehen blieb. ,, Ich werde beide Hände brauchen. Ihr sorgt dafür, das die Reiter links und rechts von uns, mich nicht

erwischen.“ ,, Links und Rechts ? Wie wollt ihr…“ ,, Ich habe vor Erland auf den Boden zurück zu holen. Und ihn dann darin zu begraben…“ Roland blieb ganz ruhig stehen, während die Linie aus Reitern sie nun so gut wie erreicht hatte. Hoffentlich ging das gut und der General verschätzte sich nicht bloß unglaublich. Er konnte die Gestalt mit dem weißen Umhang mittlerweile deutlich erkennen. Und Erland musste sie ebenfalls sehen, denn er lenkte sein Pferd in einem leichten Bogen in ihre Richtung. Das Roland genau darauf setzte, würde er erst erkennen, wenn es zu spät war.

Zumindest hoffte Syle darauf. Er zog das eigene Schwert und hielt sich bereit. Einen Moment verfluchte er sich, dass er keine Muskete dabei hatte, oder wenigstens eine Pistole. Das würde ihr Vorhaben um einiges einfacher machen. Jetzt jedoch war es zu spät , um sich über so etwas Gedanken zu machen. Der erste Reiter erreichte sie und preschte link an ihnen vorbei. Syle sah das Aufblitzen der Klinge, die auf Rolands Hals zielte und stürzte vor. Stahl traf auf Stahl und der Reiter, zu schnell um einen zweiten Angriff zu machen, verschwand im Getümmel hinter ihnen. Und dann war auch schon Erland heran. Syle war sich sicher, dass der Mann ihn

wiedererkannt hatte. Zumindest reichte ihm die Aussicht, zwei scheinbar hilflose Gardisten niederzustrecken, um sich selber an die Spitze der übrigen Kavalleristen zu setzen. In dem Moment jedoch, wo Erland sie erreichte, sprang Roland vor. Er die Aussparung für den rechten Arm im Kürass des Mannes zu fassen und zog mit seinem ganzen Körper Gewicht daran. Erland versuchte noch, den Mann mit dem Schwert zu treffen, doch bevor er mit der Waffe zuschlagen konnte, verschob sich das Gleichgewicht endgültig zu Gunsten des Generals. Die beiden Männer stürzten vom Pferd und schlugen auf dem Erdboden auf. Das

Schwert wurde Erland aus der Hand geschleudert und landete einige Schritte entfernt. Roland beachtete es nicht, sondern schlug einfach blind nach seinem Gegner, der versuchte, irgendwie wieder auf die Füße zu kommen. Syle versuchte, zu ihnen zu gelangen, musste jedoch immer wieder Reitern ausweichen, deren Schwerthiebe ihn nur knapp verfehlten. Roland versetzte Erland einen Schlag direkt auf die Nase, woraufhin dieser aufheulte und kurz jegliche Gegenwehr vergaß. Der General nutzte die Pause um auf die Füße zu kommen und versetzte seinem Gegner einen Tritt, der ihn ein Stück über das Gras

trug. Syle wich unterdessen einen letzten Reiter aus. Offenbar hielt es keiner der Kavalleristen für nötig, ihrem gefallenen Anführer zu helfen. Das oder sie hatten gar nicht bemerkt, das Erland nicht mehr unter ihnen war. Die Männer ritten so schnell, das sie wohl kaum Zeit hatten, sich gründlich umzusehen. Roland stand mittlerweile schwer atmend über Erland, die Hände zu Fäusten geballt. ,, Das ist für alles, was ihr zerstört habt.“ Er holte erneut mit der Faust aus, dieses Mal wohl wirklich darauf aus, den verletzten Feldmarschall mit bloßen Händen zu töten. Bevor er jedoch traf, blitzte plötzlich ein Stück

Stahl zwischen ihnen auf. Das Schwert traf Roland in die Brust und trat ohne Wiederstand am Rücken wieder aus. Auf dem Gesicht des Mannes stand mehr Überraschung als Schmerz, während Erland das Schwert drehte und den toten Körper zur Seite fallen ließ… Syle sah wie erstarrt zu. Irgendwie hatte Erland seinen verlorenen Degen wieder zu fassen bekommen… und Roland getötet. Der Mann erhob sich, leicht schwankend bevor er sich Syle zuwendete. ,, Irgendwie hatte ich bereits das Gefühl, das wir uns noch einmal begegnen werden.“ Erland zog die Klinge aus dem regungslosen Leib des Generals. ,,

Vielleicht habt ihr ja was gelernt. Seit ihr eine größere Herausforderung als euer Heerführer?“ Mittlerweile hatten wohl auch seine Männer bemerkt, dass ihr Feldherr abhandengekommen war. Mehrere Reiter wendeten ihre Pferde und kamen mit gezogenen Waffen über die Ebene zurück auf sie zu. Erland jedoch hob eine Hand um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. ,, Bleibt zurück.“ Die Männer brachten ihre Pferde zum Stehen und bildeten einen Halbkreis um die beiden Männer, auf weitere Befehle wartend. Gegen so viele hätte er niemals eine

Chance. Aber wenn er hier sein Ende fand, würde er Erland mitnehmen. Sobald sich der erste der Reiter wieder in Bewegung setzte… Erland jedoch, kam ihm zuvor. ,, Wir machen das unter uns aus.“ Einen größeren gefallen hätte er ihm gar nicht tun können, dachte Syle. Er wusste durchaus, dass seine Chancen schlecht standen… Erland war ihm weit überlegen, das hatte er bereits bei einer Gelegenheit bewiesen. Syles Hand schloss sich fester um den Schwertgriff. Das würde ihn jedoch nicht davon abhalten, es zu Versuchen. Erland wischte das Blut weg, das ihm nach wie vor aus der Nase lief. Syle

nutzte den kurzen Moment und stürzte vor, das Schwert mit beiden Händen schwingend. Stahl prallte auf Stahl, als Erland den Angriff mühelos parierte. Leichtfüßig sprang der Mensch ein Stück zurück und stieß mit der Klinge nach Syle. Der Gejarn wich aus und griff sofort wieder an. Dieses Mal blieb seinem Gegner nur, sich vor dem wuchtigen Schlag in Sicherheit zu bringen. Erland machte einen Satz zur Seite, während Syles Schwert nur noch Erde traf. Bevor der Bär sich wieder aufrichten konnte, legte sich ihm bereits ein Stück kalter Stahl an die Kehle. ,, Ihr enttäuscht mich. Ich hatte wirklich gedacht, ihr hättet etwas

gelernt.“ Zu Syles Überraschung verschwand das Schwert von seiner Kehle und Erland trat wieder ein Stück zurück. Ein Fehler. Mit einem Ruck riss er die Waffe aus dem Erdreich und wirbelte zu Andres Feldherrn herum, die Klinge in einem Bogen schwingend. Erland parierte den Hieb ohne sichtliche Anstrengung und trat gleichzeitig nach den Beinen des Gejarn. Syle knickte mit einem Aufschrei ein und die Waffe wurde ihm aus der Hand geschleudert. Die Waffe landete viel zu weit entfernt, als das er sie hätte erreichen können… Aber eine Waffe hatte er noch… ,, Wirklich enttäuschend. Eure kleine

Freundin… wie hieß sie noch, Tamyra, war eine größere Herausforderung. Das man so etwas wie euch noch in die Garde lässt…“ Erland versetzte ihm einen zweiten Tritt, diesmal in die Seite, der den Gejarn endgültig zu Boden warf und hob erneut das Schwert um Syle endgültig auszuschalten. ,, Ich werde wohl nie verstehen, wie man Tiere für sich kämpfen lassen kann.“ Grade bevor der Mann zustoßen konnte, fand Syle was er gesucht hatte. Den Elfenbeingriff eines Messers, das er bereits halb vergessen hatte. Einen Moment wollte sich die Jagdklinge nicht aus ihrer Scheide lösen, während er schon die Klinge auf sich herabstoßen

sah… Dann ging alles ganz schnell. Syle stieß Erlands Waffe mit dem Dolch beiseite und warf sich mit aller Macht nach vorne. Die Klinge drang ohne jeden Wiederstand in die verwundbare Seite des Feldmarschalls und durchtrennte die Lederschnallen, die dessen Kürass hielten. Blut tropfte aus der Wunde und färbte den Umhang des Mannes langsam rot. ,, Das ist für Roland und Tamyra.“ Syle drehte die Klinge in der Wunde und riss das Messer dabei gleichzeitig nach oben. ,, Und das für alles andere, Bastard.“ Erlands sahen einen Moment ungläubig zu ihm hinauf, dann wurden seine Augen

trübe und der Körper des Mannes verlor jede Spannung. Syle stieß den Toten von sich, das Messer immer noch in dessen Seite vergraben. Er würde ihm bald folgen, dachte er, mit einem Blick in Richtung der Reiter. Blut troff aus seinen Fingern. Erlands und wohl auch seines. Worauf warteten die? Syle machte einen unbeholfenen Schritt in ihre Richtung. Er wollte es hinter sich haben. Zu seiner Überraschung jedoch, wichen die Männer vor ihm zurück. Angst und Unglaube spiegelte sich auf ihren Gesichtern. Dann eben nicht, dachte Syle, während er seine Waffe wieder aufhob und auch das Gejarn-Messer aus Erlands Körper

zog. Einen Moment überlegte er, ob er Rolands Leichnam mitnehmen sollte aber… irgendwie glaubte er, der Mann hätte es so gewollt: Im Kampf sterben und auf einem Schlachtfeld zu Ruhen. So oder so, noch waren sie nicht aus der Sache heraus. Aber wie immer es ausging… wenigstens hätte Andre einen hohen Preis für all das hier bezahlt. Er schob den Dolch wieder an seinen Platz an seinem Gürtel und bedankte sich innerlich noch einmal bei Fenisin. Auch wenn es dem Ältesten nichts mehr nützte, irgendwie hatte er ihnen heute zweimal das Leben gerettet.

Kapitel 103 Die Entführung


Cyrus verfolgte den fremden Magier mit dem verbliebenen Auge. Irgendetwas hatte der Mann an sich, das in seinem Kopf sämtliche Alarmglocken schrillen ließ. Die ganze Atmosphäre die ihn umgab schien irgendwie… falsch, so als sollte er überhaupt nicht hier sein. Als wehre sich die Natur selbst dagegen. Langsam zog der Wolf die Axt. Wenn er den Zauberer überraschen konnte… Eden legte lediglich eine Hand auf seine und schüttelte den Kopf. ,,Vergiss es, Cyrus. Wir müssen hier

weg.“ , erklärte sie. ,,Zachary !“ Der Junge stand nach wie vor auf halbem Weg zwischen den beiden Gejarn und dem Zauberer und versperrte der seltsamen Gestalt damit den Weg. Diese hatte immer noch den Kopf fragend zur Seite gelegt und musterte sein gegenüber aus grünlich schimmernden Augen. ,,Du… er sucht dich.“ , murmelte er schließlich, mehr zu sich selbst, als das er mit einem von ihnen Sprach. ,,Ja. Und vielleicht finde ich meine Ruhe, wenn ich dich ihm bringe. Das hat er gesagt.“ ,,Wer sucht mich ?“ , fragte Zachary, erhielt aber keine Antwort, als der Magier eine Hand hob. Gelb-blaue Flammen loderten darin auf und jagten

als magische Lanze auf den Jungen zu. ,,Zachary, weg da !“ Eden war aufgesprungen und Cyrus folgte ihr, obwohl er wusste, dass sie es niemals rechtzeitig schaffen würden. Selbst auf die Entfernung konnte er die Hitze des magisch ernährten Feuers spüren. Kurz bevor die Flammen Zachary erreichten, ließ dieser eine Wand aus Wasser vor sich entstehen. Der Boden riss auf, als ihm schlagartig sämtliche Feuchtigkeit entzogen wurde, um die Barriere zu nähren. Feuer und Wasser trafen aufeinander und löschten sich im gleichen Moment gegenseitig aus. Die entstehende Druckwelle riss Cyrus von den Beinen

und schleuderte ihn erneut ein Stück rückwärts. Eden hingegen hatte schnell genug reagiert und sich auf den Boden gekauert. Zachary und der Magier hingegen blieben stehen, jeder von einer eigenen, schimmernden Barriere geschützt. Langsam zerfielen die seifenblasenähnlichen Gebilde zu Funken, die rasch vom aufkommenden Wind davon getragen wurden. Zachary nahm derweil ohne sichtbare Eile die Silberkette ab, die er um den Hals trug. Das blaue Juwel, das daran hing, glühte mit einem inneren Licht, das vorher nicht dagewesen war. ,,Zurück.“ Die Stimme des Jungen klang nach wie vor ungewöhnlich Bestimmt.

,,Ich weiß, was du bist. Ich weiß auch wer dich Geschickt hat. Geh jetzt. Ich werde euch weder begleiten noch zulassen, dass ihr irgendjemanden etwas tut… Seelenträger.“ ,,Zachary…“ Eden rief wieder nach ihm, wagte es aber genau so wenig wie Cyrus den beiden Kontrahenten zu nahe zu kommen. Lichtbögen tanzten um sie herum durch die Luft und entfachten kleinere Feuer im Gras ,,Ich habe keine Wahl.“ , erklärte der besessene Magier nur und das grüne Feuer in seinen Augen flackerte auf. ,,Dann lasst ihr mir auch keine.“ Er drehte sich einen Moment zu Eden um. ,,Das hier ist, wofür Magier gebraucht

werden, Eden. Das ist wozu ich geboren wurde. Diese Kreatur wird nicht länger auf dieser Welt wandern. Ich erlaube es nicht, das sie irgendjemand verletzt.“ Erneut sprach der Junge mit einer untypischen Autorität und Selbstsicherheit. Genau mit der Stimme eines Mannes, der sein Schicksal gefunden hatte. Und Cyrus sah, das Eden das ebenfalls verstand. Sie hatten weder die Möglichkeit sich einzumischen, noch konnten sie es. ,,Pass auf dich auf.“ Ein schwaches Lächeln huschte über das Gesicht des jungen Magiers. ,,Du hast dir immer schon zu viele Sorgen um mich

gemacht.“ Im nächsten Moment wurde das Lächeln auch schon durch Entschlossenheit ersetzt, als er sich wieder dem Seelenträger zuwendete. Einen Moment faltete er die Hände vor der Brust zusammen, eine Geste, die Cyrus auch schon bei Andre de Immerson beobachtet hatte. Zwischen den Händen des besessenen Magiers wiederum loderten erneut Flammen auf, tiefrot und weißglühend wanderten die Feuer seinen Arm hinauf, bis es wirkte, als hielte der Mann eine Miniatursonne in der Hand. Grelle Lichtbögen schlugen daraus hervor, jagten in Richtung Himmel davon oder

wirbelten Erde auf, wenn sie vor seinen Füßen aufschlugen. Zachary besah sich das ganze scheinbar gelassen. Langsam nahm er die Hände von der Brust. Zwischen seinen Handflächen entstand ein kleiner Wirbel, erst so schwach, das Cyrus es nur als flirren in der Luft wahrnahm, dann jedoch immer stärker. Einzelne Blätter und Grashalme wurden aufgewirbelt und verschwanden im Sog der Magie, verdichtet zu etwas, das der Wolf nicht mehr sehen konnte. Den Blättern folgten kleinere Äste und Zweige, die sich aus den nahe gelegenen Bäumen lösten. Wind kam auf und zerrte an Cyrus Kleidung, trieb Staubfontänen und

kleinere Steine mit sich, die alle im nichts zu verschwinden schienen, wenn sie ihr Ziel zwischen den Händen des jungen Magiers erreichten. Mittlerweile war ein bläulich glühendes Licht dazwischen aufgetaucht, das sich um einen völlig dunklen, schwarzen Kern anordnete. Es war, als hätte der Junge ein Stück Nachthimmel herbeigerufen, das nun alles Verschlang, was in seine Nähe kam. Der Seelenträger beachtete gar nicht, was sein Gegner tat. Das nur noch mühsam unter Kontrolle gehaltene Inferno, das um seine Hände herum tobte, nahm noch einmal an Intensität zu, bevor er es mit einer Geste in

Richtung des jungen Zauberers schickte. Cyrus hatte einmal einen Lavastrom gesehen, der aus den Vulkanen im Gebirge des Hinterlands von Kalenchor austrat. Es hatte etwas Faszinierendes und Erschreckendes zugleich gehabt, zu sehen, wie alles im Weg des flüssigen Feuers verbrannte. Und genau das gleiche Gefühl beschlich ihn nun wieder. Nur das dieses Mal ein Mensch im Weg der Flammenwand stand. Bevor diese Zachary jedoch erreichte, streckte dieser die Hände vor, zwischen denen mittlerweile ein gut faustgroßer, dunkelblau glühender Ball rotierte. Das Projektil raste in die Flammenwand und wurde im nächsten Moment einfach von

dieser Verschluckt. Die Luft selbst entzündete sich, als die Feuer sich weiter ausbreiteten und auf Zachary zurollten. Und dann wurde das Inferno plötzlich rückwärts gezogen. Die Oberkante der Feuerwelle brach und wurde in grell leuchtenden Bahnen abgezogen. Der komplette Flammenkatarakt viel zunehmend in sich zusammen, begann zu rotieren und sich zu verformen, bis alles in einen bläulich glühenden Energieball gesogen wurde, der mittlerweile die Größe eines Amboss angenommen hatte. Und ungebremst auf den besessenen Magier zuraste. Dieser riss noch instinktiv die Arme hoch, jedoch ohne, dass ihn dies Schützen konnte. Das

Geschoss traf ihn und riss ihn mit sich, wobei sein gesamter Körper plötzlich instabil zu werden schien. Einen Moment war seine Gestalt noch klar erkennbar, dann wurde sie zu Staub zermahlen und der glühenden Sphäre einverleibt, bevor auch diese schließlich in sich zusammenfiel… und verschwand. Zachary atmete schwer, deutlich erkennbare, graue Strähnen waren in seinen Haaren aufgetaucht. Eden rannte sofort zu ihm und schloss ihn einen Moment in die Arme. Der Zauberer ließ es geduldig über sich ergehen. Cyrus konnte nicht anders, als einen Moment zu grinsen. Geschafft… Noch waren sie nicht aus der Sache draußen, aber sie

lebten alle noch. Mal wieder. Den Rest würden sie jetzt auch schaffen. Er ging über das verbrannte Gras, das die Magie hinterlassen hatte, auf sie zu. ,,Wir sollten…“ Bevor Cyrus den Satz beenden konnte, legte sich plötzlich ein Schatten über die Gegend. Es war keine wirkliche Dunkelheit. Die grade aufgehende Sonne stand nach wie vor am Himmel und gab allem scharfe, fast surreale Konturen und Schatten. Er hob den Kopf, konnte aber nichts erkennen. Und dann traf es ihn doch wie ein Schlag. In einem grellen Lichtblitz tauchte eine Gestalt hinter Eden und Zachary auf. Cyrus erhaschte grade noch einen Blick auf

schwarze Roben, silbrige Haare und zwei Augen, die ihn irgendwo direkt zu durchschauen schienen. Ismaiel… ,,Eden pass auf!“ Zachary drehte sich um und sah grade noch die Gestalt des Erzmagiers über ihnen. Er hob eine Hand, aus der sich ein kaum wahrnehmbarer Lichtblitz löste. Der Junge war nach seinem Kampf noch zu geschwächt um einen wirkungsvollen Zauber anzubringen. Cyrus begriff langsam, das Ismaiel genau darauf gesetzt haben musste. Eden wirbelte herum, erstarrte jedoch in der Bewegung, plötzlich gelähmt. ,, Ich glaube wirklich, Andre hat an

euch beiden Interesse…“ , murmelte der Meister. Cyrus wusste, dass er sie nicht rechtzeitig erreichen würde. Genauso, wie Ismaiel so plötzlich zu ihnen gelangt war, würde er auch wieder verschwinden. Und diesmal nicht alleine… Die Angst trieb ihm eiskalte Pfeile ins Herz, schärfte seinen Bick und Verstand auf fast schmerzvolle Weise. Er wusste, das was immer er tat vergebens war. Der Wolf griff nach seiner Axt und zielte. Seit er das Auge verloren hatte, war er nicht mehr gut im Schätzen von Distanzen. Aber er konnte auch nicht einfach nichts tun. Er holte aus, warf

und rannte gleichzeitig weiter. Die Waffe drehte sich in der Luft und hätte Ismaiel wohl zwischen die Augen getroffen, wäre dieser nicht einen Wimpernschlag zuvor in einem Lichtblitz verschwunden… und mit ihm Eden und Zachary… Die Axt grub sich lediglich ins Erdreich und blieb zitternd stecken. ,,Nein !“ Cyrus rannte trotzdem weiter, bis zu der Stelle, wo eben grade alle drei verschwunden waren. ,,Nein…“ Nichts… Sie waren weg. Er stand wie betäubt da, während immer noch der Lärm der um ihn tobenden Schlacht an seine Ohren drang. Eden war einfach so fort. Und

Zachary… Er war zu gelähmt, um irgendetwas zu empfinden. Es war mehr, als hätte ihm jemand Erneut eisige Nadeln in den Körper getrieben. Alles fühlte sich taub und weit weg an. Er spürte, wie seine Beine unter ihm nachgaben und er auf das dunkel verkohlte Gras sank. Von einem Moment auf den anderen war ihm alles genommen worden. Er hatte eine Familie gefunden, die seltsamste der Welt vielleicht. Und nun verlor er sie wieder. Stück für Stück. Wie viele seiner Gefährten waren noch auf diesem Schlachtfeld verloren gegangen? Wie viele würden entkommen? Es schien keine Rolle mehr zu

spielen. ,,Cyrus !“ Der Ruf riss ihn einen kurzen Augenblick zurück in die Realität und er sah Jiy, Zyle, Kellvian und die anderen, an der Spitze einer kleinen Gruppe Soldaten. Weitere Gardisten folgten ihnen, andere blieben etwas zurück und sicherten den Rückzug, in dem sie auf die sie verfolgenden Söldner feuerten. ,, Götter, gut, das wir euch gefunden haben.“ , meinte Kellvian, als er den sich langsam erhebenden Wolf erreichte. ,, Wir müssen weg. Wo sind Eden und Zachary?“ ,, Fort, Kellvian Sie…“ Er schüttelte den Kopf. So durfte er nicht denken. Keiner der beiden war tot. Aber was

wollte Ismaiel mit ihnen? Die Antwort schien so einfach wie Schrecklich zugleich. Es gab nur einen Ort, an den er sie bringen konnte. Und dank seiner Magie war er vielleicht schon dort. Nach Silberstedt. Zu Andre… Die Erkenntnis jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Andre würde Zachary sicher nichts tun. Der Mann war vielleicht Größenwahnsinnig aber nicht so verdreht, dass er seinen eigenen Sohn verletzen würde. Aber Eden…. Er würde sie ohne zu zögern töten. ,, Ihr… wir müssen sofort los, Kellvian. Ismaiel… er hat Eden und Zachary. Er wird sie nach Silberstedt bringen, versteht ihr das?“ Ohne es zu merken, hatte er den

Menschen bei den Schultern gepackt. Doch selbst der junge Kaiser wehrte ihn in diesem Augenblick mühelos ab. Cyrus fühlte sich kraftlos… und verzweifelt. ,, Wir müssen das verhindern. Andre bringt sie um !“ ,, Cyrus, erst einmal müssen wir Lebend hier heraus kommen.“ , mischte sich Erik ein. Der Arzt sah von ihnen allen noch am Unversehrtesten aus und stützte einen sichtlich angeschlagenen Syle. ,, Das wollte ich auch grade sagen.“ , meldete sich Zyle zu Wort, Relina an seiner Seite. ,, Aber…“ Der Wolf warf resigniert die Hände in die Luft. ,, Wir müssen etwas tun

!“ Nun war es an Jiy auf den Mann einzureden. ,, Wir holen sie in jedem Fall zurück, versteht ihr das ?“ Ihre Stimme klang entschlossen genug, dass niemand ihr wiedersprechen würde. ,, Nur nicht jetzt. Wir müssen erst selber Überleben. Sonst kann ihnen niemand mehr helfen. Wir ziehen nach Silberstedt.“ Kellvian nickte. ,, Wir haben heute viele Leute verloren. Und ich weiß beim besten Willen nicht, ob das was wir noch haben reichen wird. Aber wir werden uns auf den Weg machen. Andre hat keine Außenposten mehr. Das Lager hier hat er selber

zerstört.“ ,,Und wir kaum Reserven.“ , gab Zyle zu bedenken. Der Wolf zögerte nach wie vor. Erik sah einen Moment zu Cyrus., , Sieht so aus, als würde sich alles im Norden entscheiden müssen… Und wir werden sie finden, alter Freund. Kommt, gehen wir. Wie sagt ihr immer? Es hätte schlimmer kommen können?“ Cyrus schüttelte den Kopf. ,, Ehrlich gesagt, ich wüsste wirklich nicht wie es grade noch schlimmer kommen sollte…“

Kapitel 104 Rache muss sein


Eden blinzelte einen Moment, geblendet von der Sonne, die sich auf den weißen Schneeflächen spiegelte. Ihr war seltsam kalt und einen Moment wusste sie nicht, wo sie war… Alles in ihrem Kopf drehte sich. Aber irgendwie kam ihr dieses Gefühl viel zu bekannt vor. Es war Jahre her, fast ein Jahrzehnt… Sie lag im Schnee, der unter ihr schmolz und rasch als Eiswasser durch ihre Kleidung drang. Ihr Mantel bot vielleicht normalerweise Schutz vor Wind und Wetter, aber die schneidende

Kälte und den Wind hielt der Stoff nicht ab. Zachary… Sie tastete mit einer Hand durch den Schnee und fand die seine, während ihre Augen sich langsam an das irritierende Licht gewöhnten. ,,Geht es dir gut ?“ , fragte sie. ,,Ja…“ Die Antwort war gedämpft und sie spürte, das auch er vor Kälte schlotterte. Eis bildete sich auf ihrer Kleidung und verfing sich in Edens Fell. Die Gejarn versuchte aufzustehen. Dabei erhaschte sie einen Blick auf zwei dunkle Stiefel, die unter einem schwarzen Umhang hervorlugten. Langsam hob sie den Kopf weiter und

starrte bald in zwei bernsteinfarbene Augen, die auf sie und Zachary hinab sahen. Sie hielt es nicht für möglich, aber blitzte da einen Moment so etwas wie bedauern in den Augen dieser Kreatur auf. Ismaiel ließ sich erstaunlich elegant auf ein Knie herab. ,, Ich hoffe es geht euch gut.“ Eden lachte bitter, während sie Zachary aufhalf und sich den Schnee von den Schultern klopfte. Wenn sie Ismaiel angriff, würde er sie höchstwahrscheinlich beide töten, ermahnte sie sich. ,, Seit wann interessiert euch so etwas bitte…“ Der uralte Magier blieb die Antwort

schuldig, während er sich Zachary zuwandte. Eden sah sich derweil mit wachsendem Schrecken um. Sie kannte diesen Ort. Sie kannte ihn sogar sehr gut. Die düsteren Hallen, die sich beinahe wie ein Schmutzfleck in der ansonsten weißen Umgebung erhoben. Die rußgeschwärzten Balken, die man offenbar aus dem Feuer gerettet hatte. Oh ja, sie wusste genau wo sie sich befand. An genau dem Ort, an dem sie sich in ihren Alpträumen wiederfand… Sie waren auf dem Innenhof des Herrenhauses aufgetaucht. Das Gebäude hatte nur noch vage Ähnlichkeit mit dem Prunkbau, den Eden bei ihrer ersten Ankunft hier gesehen hatte. Offenbar

durch den Brand, den Syle und die anderen verursacht hatten schwer beschädigt, war das Gebäude vielleicht noch halb so groß wie zuvor und an vielen Stellen waren deutlich noch Bauarbeiten in Gange. Gerüste hüllten fast die komplette Westliche Fassade ein. Lange Baumstämme, die wohl erst noch zugeschnitten werden mussten, lagerten in einer Ecke des ummauerten Hofs. Und über eine lange Treppe, die durch ein eisernes Gittertor gesichert war, konnte Eden hinab in die Stadt sehen. Silberstedt selbst hatte sich zu ihrem letzten Tag hier noch am aller wenigsten verändert. Ismaiel griff derweil nach der Kette an

Zacharys Hals. Der Junge versuchte noch zurückzuweichen, doch zu spät. Der alte Zauberer war ein gutes Stück schneller und riss das Silberband einfach an sich. Das große, blaue Juwel hatte jeglichen Glanz verloren. Eden wusste durchaus, was das bedeutete. Die Energie von Falamirs Träne war erschöpft zumindest fürs erste. Und Zachary… ,, Ich glaube nicht, das du mir ohne das noch viel Ärger machen kannst. Oder entkommen wirst.“ , sprach Ismaiel Edens Befürchtungen aus. Zachary war eine wahre Koryphäe , ein Naturtalent, das die meisten Magier des Ordens bei weitem Übertraf, selbst ohne die zusätzliche Macht, die er durch den

Stein gewann. Aber gegen den Erzmagier des alten Volkes hätte er keine Chance… Und sie hoffte innerlich, dass er es auch nicht versuchen würde. Fieberhaft überlegte Eden, wie sie hier wieder rauskommen sollten. Einfach rennen war keine Option. Ismaiel würde sie mit einem Gedanken stoppen können, wenn ihm danach war. Und ob man sich vor ihm wirklich Verstecken konnte, war eine ganz andere Frage. Und dann kam der Moment, den sie gefürchtet hatte, seit sie wusste, wo sie sich befanden. Die Türen des Herrenhauses schwangen auf und eine in einen schweren, schwarzen Pelzmantel gekleidete Gestalt trat heraus, gefolgt

von mehreren bewaffneten Söldnern in grauen Uniformen. Ein violetter Schulterumhang wehte hinter ihr im Wind. Andre de Immerson musterte sie mit einem Ausdruck aus Hass und Wiedererkennen. Einen Moment fürchtete Eden fast, die Zeit hätte ich schlicht zurück gedreht. Und sie wäre schlicht wieder genau da, wo sie angefangen hatte. Aber da waren immer noch Ismaiel, die Söldner… und der gewaltige Abgrund, der neben dem Herrenhaus klaffte, umgeben von grauem, vom Ruß dunkel gefärbtem Schnee. ,, Wenn das keine Überraschung ist…“ Andres Stimme klang kalt, als er vor

Ismaiel und ihnen stehen blieb. ,, Seht es als zusätzliches… Geschenk.“ , meinte Ismaiel , während der Herr Silberstedts einen Schritt auf Eden zumachte. ,, Das sehe ich.“ Ohne Vorwarnung holte r mit der Hand aus und schlug zu. Doch Eden sah die Bewegung kommen. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte sie einen Schlag über sich ergehen lassen um den zwanzig, die sonst folgen zu entgehen. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte sie die Schmerzen in Kauf genommen und ihre Wut bezwungen. Aber das war eine andere Gejarn gewesen, in einem anderen Leben. Andre hatte es nicht mit einer verängstigten,

ausgehungerten Sklavin zu tun, dachte sie grimmig. Bevor Andres Schlag sie traf, wich sie zurück… und biss einfach zu. Ihre Zähne gruben sich in die Handfläche des Lords. Dieser schrie auf und wich zurück, offenbar überrascht von der plötzlichen Gegenwehr. Verzweifelt versuchte er seine Hand zu befreien und hieb mit der freien Faust nach ihr. Eden ignorierte die Schläge. Andre de Immerson war im Gegensatz zu ihr alt geworden. Sie hingegen hatte weit schlimmeres Überstanden, als ein paar Fausthiebe. Nach den letzten Monaten in denen sie gefürchtet hatte, das Gefühl in ihrem ganzen Körper zu verlieren, hieß sie die schwachen

Schmerzen sogar willkommen… Und dann stieß irgendetwas Andre zurück, während ihre Fänge sich noch immer in seine Haut gruben. Er schrie auf und landete einige Schritte von ihr entfernt im Schnee. Blut troff aus seiner aufgerissenen Hand und seine Augen starrten weit aufgerissen auf Zachary. Der Junge mochte gegen Ismaiel keine Chance haben. Andre hingegen war wie eine Puppe im Griff der Magie. ,, Hör endlich auf !“ Seine Stimme war laut genug um selbst Andres Wächter einige Schritte zurück weichen zu lassen. Eden spuckte Blut. Vor allem Andres. Ismaiel hingegen stand einfach schweigend dabei, scheinbar noch nicht

bereit, irgendetwas zu unternehmen. Er musterte den verwundeten Vater und den aufgebrachten Sohn lediglich neugierig. ,, Meinen eigenen Sohn gegen mich aufhetzen… das habt ihr gut hinbekommen Eden…“ Andre erhob sich schwerfällig, immer noch die blutende Hand stützend. Hoffentlich, dachte Eden, verlor er ein paar Finger. Es sah zumindest fast so aus. Sie hätte sicher gehen sollen… ,, Tötet sie…“ Zachary stellte sich schützend vor ihr. ,, Stirbt sie, sterbe ich… Vater.“ ,, Das glaube ich nicht…“ Andre faltete die Hände in der so typischen Geste zusammen. ,, Ich lasse dir keine Wahl.“ Das Feuer,

das in Zacharys Augen loderte war echt. Magie, die nur darauf wartete entfesselt zu werden. ,, Ich brenne hier alles nieder bis es mich umbringt.“ Zu Edens Überraschung war es ausgerechnet Ismaiel, der plötzlich dazwischen trat. Er machte eine beiläufige Geste in Richtung Andre, der plötzlich zusammenzuckte, nach wie vor seine Hand haltend. Das zerfetzte Fleisch fügte sich innerhalb weniger Augenblicke zusammen, während der Lord darum kämpfte, auf den Beinen zu bleiben und nicht laut zu Schreien. ,,Besser, schätze ich ?“ Ein schwaches Lächeln huschte über die Züge des Magiers. ,, Vielleicht könnten wir jetzt

auch vernünftig miteinander reden…“ ,, Hast du mir den nichts zu sagen ?“ , presste Andre zwischen halb geschlossenen Lippen hervor. ,, Lass Eden und mich gehen. Vielleicht eines Tages dann wieder. Wenn Kellvian dich nicht hinrichten lässt.“ ,, Dieser… Narr wird noch darum bitten, dass ich ihn verschone. Genau wie seine verfluchte Kaiserin.“ Eden lachte auf. ,, Euch ist wirklich nicht klar, dass ihr schon verloren habt, oder ?“ Tatsächlich war sie sich nicht einmal sicher, ob Kellvian noch lebte. Oder irgendeiner der anderen. Oder Cyrus… Aber darüber würde sie erst gar nicht

nachdenken. Es ging ihm gut. Und früher oder später würden sie hier auftauchen. Sollte Andre sie töten, daran änderte das nicht das Geringste. Auch nicht daran, das Zachary ihn für alle Ewigkeit Hassen würde… Der Gedanke war auf eine Weise befriedigend und traurig zugleich. Vielleicht war es teilweise ihre Schuld aber… Nein Andre hatte das selbst zerstört. Er hatte die Chance gehabt. ,, Ismaiel, nennt mir einen guten Grund, warum ich sie mir nicht vom Hals schaffen soll !“ ,, Und was genau erhofft ihr euch davon, Immerson ?“ Der Zauberer klang nur noch gelangweilt. Es interessierte ihn

wohl schlicht nicht, wie das hier ausging. Er sprach jedoch so leise, das Zachary ihn wohl nicht hören würde. Eden jedoch hatte bei weitem bessere Ohren. Hatte er das vergessen oder war das Absicht? ,, Meinen Sohn zurück.“ , murmelte Andre, ebenfalls unhörbar für den jungen Zauberer. ,, Ich bin sein Vater.“ ,, Dann geht ihr es falsch an. Glaubt ihr das wäre so einfach? Nach was ? Mehr als acht Jahren, die die beiden zusammen verbracht haben ?“ Ismaiel klang amüsiert. ,, Ihr redet praktisch davon seine Mutter zu töten.. Zum zweiten Mal, wenn ich richtig liege. Sehr

Intelligent“ Der Magier schien den Lord tatsächlich zu verspotten. ,,Ihr wagt es…“ ,, Ich sage euch nur, was jeder, der kein Narr ist erkennen müsste. Ihr seid kein Narr oder?“ ,, Rache muss sein. Habt ihr eine Ahnung, was diese Frau alles zerstört hat ? Sie hat ihn doch bloß manipuliert, all diese Jahre…“ ,,Vielleicht.“ Ismaiel zuckte mit den Schultern. ,, Vielleicht auch nicht. Es kümmert mich auch nicht. Aber es verbessert eure Lage trotzdem nicht.“ ,, Ich sollte sie einfach töten.“ ,, Und da wären wir wieder beim Punkt.

Ganz sicher nicht. Sie ist grade euer Schlüssel. Der Junge würde alles tun, soviel weiß ich sicher…“ Den letzten Teil des Satzes verstand Eden nicht mehr, aber sie ahnte bereits nichts Gutes. Vor allem, weil sich Andres Mine plötzlich aufhellte. ,, Also gut.“ , meinte er schließlich und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Er nickte einem seiner Wächter zu. ,, Aber bringt sie mir aus den Augen. Zu den Minen. Aber tötet sie nicht. Außer sie versucht zu fliehen… Tut mir einfach den Gefallen Eden!“ Die Männer machten einen Schritt auf die Gejarn zu. Sie hatte nichts, mit dem sie sich noch wehren konnte. Selbst

wenn… wären es zu viele, sagte sie sich. Jetzt zu kämpfen würde nur bedeuten, dass sie jede Hoffnung auf Flucht fürs erste Begraben konnte. Noch war es nicht vorbei. Trotzdem keimte beim Gedanken an die Silberminen leichte Panik in ihr auf. Sie war nie dort gewesen, aber die Diener in Andres Haushalt hatten sich Geschichten darüber erzählt. Selbst wenn nur ein Bruchteil davon wahr wäre, lebendig begraben unter den Gebirge bis sie an Schwäche oder Alter starb… Eden schüttelte den Kopf. Soweit würde es nicht kommen. ,,Nein !“ Zachary Stimme klang mühsam beherrscht und erneut konnte niemand das bedrohliche glitzern in seinen Augen

missverstehen. Zu Edens Überraschung, war es Ismaiel, der den jungen Zauberer mit einem Blick Richtung Eden beschwichtigte. ,, Sie wird Leben.“ , erklärte er ruhig. ,, Mehr wirst du nicht bekommen, wenn ihr nicht beide sterben wollt. Sei nicht dumm.“ ,, Warum interessiert euch das ?“ Zachary klang nach wie vor nicht überzeugt, aber nicht mehr wütend. Verdammt, selbst Eden musste Ismaiel innerlich recht geben. Dieser Mann konnte unglaublich überzeugend sein, wenn er es für nötig hielt. ,, Vielleicht, weil ich im Gegensatz zu deinem Vater verstehe, dass du nicht bluffst. Du würdest bereitwillig sterben,

sollte Eden etwas passieren. Daran habe ich keinerlei Zweifel. Den Beweis hast du längst geliefert.“ Eden musterte das uralte Gesicht des Zauberers. Wovon bitte sprach er grade? Was wusste Ismaiel, das sie nicht wusste? ,, Und ich habe kein Interesse an deinem Tod.“ Bevor Zachary etwas erwidern konnte, wurde Eden bereits an den Schultern gepackt. Wiederwillig und dem Drang wiederstehend ihren Bewachern einfach die Finger zu brechen, ging sie mit. Das letzte, was sie hörte, bevor sie vom Hof geführt wurde waren Andres Worte. ,, Und wir werden uns unterhalten.“ , meinte er an Zachary gerichtet. Die Gejarn warf einen letzten Blick

zurück, der sich mit Zacharys traf. Dann drehte auch er sich um und folgte Andre langsam in Richtung Herrenhaus. Der einzige, der auf dem verschneiten Platz zurück blieb war Ismaiel, die Hände in den Ärmeln seiner Robe verschränkt. Die Kälte schien er nicht zu spüren. ,, Interessant.“ , murmelte er leise. ,, Äußerst… interessant.“

Kapitel 105 Unterredung


Andre betrachtete den Saphir in seiner Hand mit gerunzelter Stirn. Das Matte Juwel in seiner Silberfassung wirkte überhaupt nicht so besonders, dachte er. Kaum wie eines der tausenden anderen Schmuckstücke, die er jederzeit anfertigen könnte. Und doch hielt er einen der vielleicht wertvollsten Gegenstände in ganz Canton in Händen. Aber sein Feuer war erloschen… und Ismaiel bereits so mächtig, das Andre immer mehr fürchtete, die Kontrolle über ihn zu verlieren. Falls er die überhaupt hatte. Der alte Zauberer

schien sein ganz eigenes Spiel zu spielen und die Götter wussten, er hatte keine Ahnung, wie das nun schon wieder aussah. Nur das er sich direkt wieder in seine Labore im Untergrund unter dem Anwesen zurückgezogen hatte. Er hatte seinen Teil der Abmachung eingehalten… und nun lieferte Andre den seinen. Jeden Magier, der ihm noch geblieben war. Eigentlich ein geringer Preis, dachte er, als er die Träne Falamirs in ein kleines Stahlkästchen fallen ließ, das er gleich darauf verschloss. Ismaiel selbst hatte die Schatulle abgeschirmt, so dass es niemandem außer Andre möglich sein

würde, sie zu öffnen, sei es mit Gewalt oder Magie. Erst, als der Deckel des Kästchens mit einem leisen Klicken einrastete, sah er auf, zu der Gestalt, die ihm gegenüber an einem Tisch stand. Die schweren Holzmöbel schienen das Licht des Feuers, das in einem großen Kamin brannte, zu schlucken. ,, Willst du dich nicht setzen ?“ Der Junge überging die Antwort. ,, Was habt ihr mit Eden vor ?“ ,,Es geht ihr gut.“ , log er. Tatsächlich hatte er keine Ahnung, wie es der Gejarn ging und es interessierte ihn auch nicht. Am besten wäre es, sie würde tatsächlich versuchen zu fliehen und dabei einfach

sterben. Zachary jedenfalls würde sie nicht zurückbekommen. Und es wurde langsam Zeit, das der Junge wieder verstand, wo der Platz einer Sklavin war und wo seiner. Dazwischen befand sich ein bodenloser Abgrund. ,, Aber wenn das so bleiben soll, hörst du gefälligst auf mich. Ich bin dein Vater, verdammt. Setz dich.“ Andre wendete sich ab und einem kleinen Holzstand zu, auf dem mehrere Gläser und angebrochene Flaschen standen. Er öffnete eine, die Weinbrand enthielt und füllte eines der Gläser bis zur Hälfte. Dann überlegte er es sich scheinbar und füllte noch ein zweites. ,, Versuch mich doch dazu zu

zwingen.“ Durch ein Fenster konnte Andre auf die verschneite Stadt hinaus sehen. Mittlerweile war es dunkel geworden. Der Winter war mittlerweile schon sehr nahe und die Tage hier oben wurden immer kürzer. Die grauen Quellwolken, die den Himmel bedeckten taten ihr Übriges. Vermutlich würde es heute Nacht einen weiteren Schneesturm geben. Andre entschied so zu tun, als hätte er die letzten Worte nicht gehört. Aber der Junge strapazierte seine Nerven. Götter, was hatte diese Gejarn bitte mit seinem Sohn gemacht? Er stellte das zweite Glas vor Zachary

ab. ,, Es ist so lange her, das wir uns unterhalten konnten.“ , meinte er schließlich. ,, Was ist dir zugestoßen ? Warum bist du nicht nach Silberstedt zurückgekommen? Du musst mir alles erzählen.“ ,, Was ? Das ich gesehen habe wie deine Männer ganze Dörfer verbrennen, weil sie deine Truppen nicht unterstützen? Das du einen Krieg vom Zaun gebrochen hast aus keinem anderen Grund als deinen persönlichen Ehrgeiz zu befriedigen? Das dein einziger verbliebener verbündeter eine bedauernswerte wahnsinnige Kreatur ist, die ich bemitleiden würde, hätte sie

nicht versucht uns alle zu töten?“ Zacharys Blick wurde hart. Andre hätte nie gedacht, dass der oft abwesende Ausdruck in diesen türkisfarbenen Augen sich einmal in blanken Hass verwandeln könnte. Aber das war vor acht Jahren gewesen… ,, Oder möchtest du hören, das ich gelernt habe, dich zu verabscheuen und mich dabei nicht schlecht zu fühlen ? Ich habe nichts von dir geerbt. Und es ist nicht meine Verantwortung was du tust. Aber ich kann dich dafür verurteilen… Vater.“ Selbst das laute Krachen von splitterndem Kristall schien den Jungen nicht erschüttern zu können. Andre sehr wohl. Er hatte überhaupt nicht gemerkt,

wie er den Kelch wieder genommen hatte… und sein griff das Glas schlicht zerdrückt hatte. ,, Du wagst es…“ Der Geruch von Alkohol mischte sich mit dem Duft von brennendem Tannenholz und dem von Blut, das aus mehreren kleinen Schnitten in Andres Hand tropfte. Verflucht , dafür würde jemand zahlen… Aber nicht Zachary. ,, Wenn du die Wahrheit nicht erträgst, kann ich vielleicht Lügen. Wenn du Eden gehen lässt.“ Es war beinahe, als unterhielt er sich irgendwie durch den Jungen hindurch mit Eden. Den seltsam ruhigen Trotz, den er ihm entgegenbrachte… das war sicher nichts, was Andre ihm je hätte

durchgehen lassen. Aber diese Verfluchte Gejarn schon. Acht Jahre hatte sie ihm gestohlen, in denen er nicht an dem ihm zugewiesenen Platz gewesen war. ,, Ich werde nicht zulassen, dass du in so einem Ton mit mir sprichst. Und was Eden angeht… Sie gehört rechtlich nach wie vor mir. Das hat sie immer. Sie ist also grade genau da, wo sie hingehört. Ich werde ihr jedoch nichts tuen Solange du endlich vernünftig bist.“ Zachary lachte bitter, ein laut der ihn ebenfalls viel zu sehr an die Gejarn erinnerte. Und diesmal lies seine Stimme selbst den letzten Rest Respekt vermissen. ,, Bist du so dumm, Vater oder verblendet ? Was willst du machen?

Mich für alle Ewigkeit anketten und einsperren?“ Die Vorstellung schien ihn mehr zu amüsieren, als Angst zu machen. Und tatsächlich war die Idee, einen Magier einsperren zu wollen Lächerlich. Etwas, das Andre auch verstanden hatte. Zachary war aufgestanden und trat um den Tisch herum. Für einen Moment fragte Andre sich, wann der Junge bitte so groß geworden war… was ihm plötzlich viel zu nahe gegenüber stand, war kein Kind mehr, sondern ein junger Erwachsener… der immer noch die Macht hatte, ihm jeden Knochen im Körper einzeln zu brechen. ,, Eine Gelegenheit, Andre. Mehr

brauche ich nicht und ich bin weg. Und ich werde Eden mitnehmen selbst wenn das heißt, dass ich deine Minen einreißen muss.“ Er schloss einen Moment die Augen und schien nachzudenken. ,, Ich würde dir nichts tun… So bedauerlich das ist, du bist mein Vater und daran kann ich nichts ändern. Aber ich garantiere für niemanden sonst wenn er mir in die Quere kommt. Noch einmal. Lass uns gehen. Noch hast du die Chance das hier ohne Blutvergießen zu beenden. …“ Andre sammelte sich. Was hatte Ismaiel ihm gesagt…. Eden war der Schlüssel. Nun offenbar hatte er damit Recht. Der Junge wusste ja nicht, wovon er

sprach. ,, Nein, das werde ich nicht tuen..“ , erkläre er und die Selbstsicherheit in seiner Stimme schien auch durch die Wut und den Hass des Zauberers zu dringen, den der finstere Ausdruck auf seinem Gesicht wurde durch einen Fragenden ersetzt. ,, Edens Leben liegt in meiner Hand. Ich habe bereits Anweisungen erteilt… solltest du ohne meinen Segen bei den Minen auftauchen oder nur auf dem Pass entdeckt werden , stirbt sie. Und solltest du auf die Idee kommen, ohne sie fliehen zu wollen, nun, Zachary, sollte ich dich einmal einen Tag lang nicht antreffen… stirbt sie

genauso.“ ,, Du scheinst die Liste der Dinge, die ich dir nie verzeihen kann oder werden verlängern zu wollen.“, stellte der Junge resigniert fest. Ihm war auch klar, dass er in der Falle saß. Das System war so einfach wie Lückenlos. Solange Andre nicht nachlässig wurde und das hatte er nicht vor, hinge Edens Leben an einem dünnen Faden. Einen, den nur er kontrollierte. Andre lehnte sich auf seinem Platz zurück, während Zachary in sich zusammenzusinken schien. Den Kopf gesenkt ging er zurück zu seinem Stuhl und setzte sich tatsächlich hin. Andre lächelte sanft. Ein kleiner erster Schritt, aber Zachary würde seinen

Platz schon noch kennenlernen…. Ein lautes Krachen machte diesen Gedanken jedoch zu Nichte. Der Junge hatte eine einfache Geste mit der Hand gemacht, die das Glas vor ihm mit unvorstellbarer Wucht gegen die Wand geschmettert hatte. Die Splitter hatten sich tief in das Holz gebohrt und waren teilweise sogar komplett darin versunken. Hätten ein Mensch dort gestanden, vermutlich hätte ihn nicht einmal eine Rüstung geschützt. ,, Du denkst wirklich du hast irgendetwas gewonnen, oder ? Götter bist du ein Idiot.“ Zachary hatte die Augen geschlossen und wieder lag in seiner Stimme eine Ruhe, die so gar

nicht zu seinem Auftreten passen wollte. ,, Weißt du bis jetzt habe ich Gedacht, du wärst zumindest klug, wenn auch sonst nichts. Scheinbar verstehst du einfach nicht, dass du keine Familie zweimal auseinanderreißen kannst und hoffst, das dann wieder eine ganze daraus wird…. Ich habe Eden nicht gerettet, um sie jetzt sterben zu sehen… Andre.“ Irgendwie befürchtete Andre, das er ihn so schnell nicht wieder Vater nennen würde. ,, Aber das wird dich nicht retten. Letzen Endes nicht. Ich will zu ihr. Jetzt.“ ,, Du wirst sie nicht wieder sehen.“ , erklärte Andre kalt. So weit käme es noch. Es würde so schon schwer genug

werden, seinen Sohn zurück zu bekommen. Die Gejarn konnte unter den Bergen seinetwegen verrotten. ,, Dann ist dein Wort alles, was ich habe, das sie überhaupt noch lebt.“ Zachary sah auf. ,, Und das ist nichts Wert.“ ,, Das nimmst du zurück…“ Andre war nun selber aufgestanden. Eine Hand zur Faust geballt. Aber… nicht so. Er würde dem Jungen nicht erlauben, ihn so zu provozieren. Zachary würde schon sehen, das er ein falsches Bild von ihm hatte. Eines, das ihm ohne Zweifel der Kaiser und Eden eingeredet hatten. Und der restliche Pöbel mit dem sich dieser Irre umgab. Natürlich musste der Junge da

verwirrt sein. Sein Stand sollte normalerweise verhindern, dass er die Existenz von so… niederem Volk überhaupt wahrnahm. ,, Die Wahrheit tut weh ? Nun das tut mir Leid für dich. Vielleicht solltest du dann das nächste Mal darüber nachdenken wie weh es tut, wenn einem das Leben zerstört wird. Wenn wahr ist, was du sagst, würde sie jemand töten, bevor ich Gelegenheit habe zu ihr zu gelangen. Ich muss sie nur sehen, Andre. Ich werde nicht versuchen sie zu befreien. Da hast du mein Wort. Und im Gegensatz zu dir, bedeutet mir das noch etwas. Also was sagst du?“ ,, Du wirst spätestens morgen wieder

hier sein. Dann reden wir weiter. Ansonsten stirbt sie. Daran ändert sich nichts. Solange das klar ist… geh wenn du musst. Ich werde einen Boten vorausschicken. Wenn die Wachen dich sehen, ohne dass du dort sein solltest… stirbt die Gejarn ebenfalls.“ Je früher der Junge sich von Eden verabschiedete, desto besser vermutlich. Lange würde sie in den Minen jedenfalls nicht überleben. Länger als ein Jahr überstand keiner. Aber dafür konnte Zachary ihm dann keine Schuld geben. Ein Felssturz, ein Wassereibruch… oder eine entzündete Wunde, das konnte jederzeit passieren. Und genau darauf hoffte er. Wenn so etwas geschah… nun

Zachary würde es zumindest nie erfahren. Er würde ihn Eden schlicht nicht mehr besuchen lassen. Wenn er es überhaupt mehr als einmal zulassen würde… Der Krieg machte ihm im Augenblick ohnehin mehr Sorgen. Erland war tot… Das war durchaus ein herber Rückschlag. Aber wenn der Mann vor seinem Ableben alles richtig gemacht hatte, dann hatte er seine Pflicht ohnehin getan. Er hätte den Feldherrn sowieso loswerden müssen. In Andres neuer Welt wäre kein Platz für jemanden mit Macht neben ihm. Und wenn alles geklappt hatte, musste er sich ab jetzt um Kellvian jetzt keine Sorgen mehr machen. Eden und Zachary

schienen das noch nicht verstanden zu haben, aber der Kaiser lag jetzt sicher Tod in einem namenlosen Massengrab… zusammen mit dem Rest seiner Garde . Genauso, wie er es verdient hatte. Andre lächelte versonnen. Am Ende würde er immer alles bekommen, was er wollte, mochte es ihn auch ein wenig Geduld kosten. Auch Zachary würde das früh genug verstehen. Und Eden ebenfalls. Die Gejarn müsste die Minen mittlerweile erreicht haben. Die uralten Gänge waren schon von seinen Urahnen in die Felsen und Gipfel der Berge getrieben worden, die Silberstedt in einem Halbkreis umschlossen. Und

manche dieser Tunnel waren vielleicht noch älter. Nur eines war klar, es gab keinen Fluchtweg hinaus. Daran hatte er keine Zweifel. Der letzte Aufstand lag über ein Jahrzehnt zurück und damals hatten seine Wächter am Ende tausend ertrunkene Minenarbeiter ans Tageslicht gefördert… und zu Asche verbrannt.

Kapitel 106 In die Tiefe


Eden konzentrierte sich nur darauf, einen Schritt nach dem anderen auf den steilen Bergpfad zu setzen. Zu ihrer Rechten gab es nur ein endloses Geröllfeld, das bis zu den fernen, schneebedeckten Gipfeln anstieg. Einzelne Flocken tanzten durch die Luft und legten sich in einer feinen Schicht auf ihre Kleidung. Hinter und vor ihr liefen jeweils drei mit Musketen und Schwertern bewaffnete Soldaten. Selbst wenn sie es irgendwie geschafft hätte, einen der Männer zu entwaffnen, dachte sie düster, würde das wohl bestenfalls

dazu führen, das die übrigen sie rasch in die Enge treiben und töten würden… und dann säße Zachary erst Recht in Silberstedt fest. Sie musste einen anderen Weg finden, zu entkommen. Zu ihrer linken fiel das Land fast senkrecht zu einer Talsenke ab, in die sich die traditionellen Holzhäuser schmiegten, die Silberstedt zu großen Teilen prägten. Direkt am Tor der Stadtmauer, die sich in einem Halbkreis um die Stadt zog und an den steilen Berghängen endete, standen die ärmlicheren Gebäude. Je weiter man jedoch in die Stadt hinein gelangt und sich dem nördlichen Ortsende näherte, desto prächtiger wurden die Häuser. Die

Bauten der Silberschmiede und Händler schließlich wurden nur noch dem dem düster über allem thronenden Anwesen in den Schatten gestellt, das sie vor wenigen Stunden verlassen hatte. Die einzige Absicherung gegen einen langen Sturz in die Tiefe war ein modriges Seil das, zwischen mehreren ebenfalls nicht sehr stabil wirkenden, Pfosten aufgespannt war. Vor ihnen jedoch, weitete sich der Pfad schließlich zu einem Plateau, das genau zwischen zwei Berggipfeln lag. Hier oben schien es kein Leben mehr zu geben. Selbst die Gräser, die auf dem Pfad hinauf immer wieder durch den Schnee zu sehen waren, waren verschwunden. Stattdessen

konnte Eden nichts, außer grauen Felsen erkennen, zwischen denen sich Pfützen mit Eis sammelten. Und dann war da noch der gewaltige Schlund, der sich direkt vor ihnen öffnete. Der dunkle Abgrund war so hoch, wie ein Stadttor und wurde von Fackeln erleuchtet, die trotz des Tageslichts kaum alle Schatten vertreiben konnten. Und war der Pfad noch verlassen gewesen, herrschte hier geschäftiges Treiben. Dutzende von Wächtern standen herum und wärmten sich die Hände an Kohlebecken, die man unter dem schützenden Felsüberhang des Minenzugangs aufgebaut hatte. Andere gingen Listen durch, vermutlich

Aufzeichnungen über Fördermengen und Qualität, sprachen mit Händlern und Schmieden, die herauf gekommen waren um das eine zu erwerben, vom dem ganz Silberstedt lebte: Edelmetalle und Roherze. Die wenigen bezahlten Arbeiter und Aufseher brachten das Gestein in großen Körben nach oben oder holten es von einem weiteren Trümmerfeld, direkt neben den Minen ab. Dort standen weitere Soldaten wache und behielten eine Gruppe Gestalten im Auge, die trotz der Kälte mit kaum mehr als Lumpen bekleidet waren und zwischen dem Tauben Gestein noch nach den letzten Resten Silber suchten, das die Arbeiter

unten übersehen haben mochten. Sklaven… Eden hatte einen Moment nur Mitleid mit ihnen bis ihr wieder bewusst wurde, dass sie ihr Schicksal bald teilen würde… Früher, als ihr lieb war. Ihre Bewacher trieben sie rasch an den Händlern Wachen und Arbeiten vorbei und hinein in den schlecht ausgeleuchteten Abgrund. Bisher hatte sie immer nur Gerüchte über diesen Ort gehört. Und das hätte eigentlich auch so bleiben sollen, dachte sie bitter. Götter, sie war wieder genau da, wo sie angefangen hatte. Nur das es diesmal sogar noch schlimmer kam… Vor ihnen öffnete sich der

Höhleneingang noch einmal zu einer großen Kammer, in der man wohl ohne Probleme einen Flügel des Kaiserpalastest hätte unterbringen können. Und trotzdem stand die Höhle fast leer. Lediglich das ferne Licht einer Glaslaterne zeigte, dass jemand hier war. Neben der Laterne jedoch gab es hier praktisch kein Licht und Eden musste sich bald darauf verlassen, das ihre Bewacher schon wussten, wo es lang ging, während sich ihre Augen noch an die ewige Finsternis gewöhnten. Das stetige Plätschern von Wasser drang an ihr Ohr und spätestens jetzt verstand sie auch, wieso die Kammer so leer war. Sie standen am Rand eines gewaltigen Sees,

der auf drei Seiten von massivem Fels eingefasst wurde. Weiter vorne jedoch, dort wo das Ufer etwas abfiel und zu einem weiteren Tunneleingang führte, gab es eine große, hölzerne Barriere. Die Lampe, die Eden schon zuvor bemerkt hatte, hing direkt an einem Haken im Damm und beleuchtete eine seltsame Konstruktion aus Getrieberädern und Schläuchen, die über eine große Winde angetrieben wurde. Mindestens vierzig Menschen und Gejarn arbeiteten schweigend an den Hebeln, sorgsam beobachtet von mehreren bewaffneten Söldnern. Langsam verstand Eden, was sie vor sich sah. Das hier war eine Wasserpumpe, die

die tieferen Ebenen der Mine trocken hielt. Aber… normalerweise würde da Wasser aus den Schächten heraus geleitet und nicht irgendwo gesammelt. Noch schlimmer, direkt am Eingang zu den eigentlichen Minen gestaut. Vermutlich gab es eine zweite Pumpe, die regelmäßig Wasser nach draußen schaffte, sonst würde hier schon alles überflutet sein. Tatsächlich kam ein hoher Stahlkessel in Sicht, als sie weiter gingen. Eine Dampfmaschine, jedoch offenbar nicht in Betrieb. Schwere Kohlesäcke waren in einer Felsnische auf einem kleinen Podest aufgestapelt, so dass sie nicht nass wurden. Der Zweck des ganzen war nur teilweise

der, zu verhindern, dass die Schächte vollliefen, wie Eden langsam klar wurde. Es hatte durchaus noch eine perfidere Seite. Nur der Holzdamm verhinderte, dass die komplette Minenanlage wieder geflutet wurde. Und ein Damm ließ sich schnell einreißen wenn nötig. Bei einem Aufstand würden Andres Leute sich nicht die Mühe machen, den Wiederstand zu brechen. Sie brauchten nur die Barriere zu entfernen und jeder, der nicht rechtzeitig an die Oberfläche kam ertrank unweigerlich. Simpler Mord. Wie oft Andre genau das wohl schon getan hatte? Eden wollte nicht darüber nachdenken, während sie gezwungenermaßen weiter in die

Dunkelheit hinab stieg, nach wie vor ihre Bewacher im Nacken. Die Felsgänge wurden beständig niedriger, so dass sie stellenweise nur Gebückt gehen konnte. Die Gejarn meinte, die Felslasten, die über ihr lag spüren zu können. Besonders wenn sie sich die in regelmäßigen Abständen angebrachten Stützbaken ansah. Zwar wirkte das Holz stabil, Andre mochte sie alle ertränken, wenn es ihm gefiel, die Minen selber gefährden würde er wohl nicht, aber das änderte wenig daran, dass sie sich bereits wie lebendig begraben fühlte. Die Gänge erschienen zu eng, die Luft stickig… Es war, als wäre sie in einem Käfig aus Stein

gefangen. Ruhig blieben, sagte sie sich. Wenn sie jetzt die Nerven verlor, wäre alles vorbei. Eden konnte ihre Bewacher mittlerweile gut erkennen, wohingegen diese wohl nach wie vor mit der Dunkelheit kämpften. Die Männer hatten die Finger bereits an den Abzügen der Gewehre liegen. Wenn sie einen Fehler machte, würde sie sterben. Den gefallen würde sie Andre nicht tun. Alleine schon wegen Zachary. Als sie schon glaubte, der Tunnel würde einfach ewig so weitergehen, weiteten sich die Felswände zu einer dritten, überraschend gut beleuchteten Kammer. Größer, als selbst das Sammelbecken

weiter oben, hätte man einem Moment sogar glauben können, sich an der Oberfläche zu befinden, wäre da nicht die gewaltige Steinsäule im Zentrum des etwa kreisförmigen Raums. Im Licht hunderter Fackeln, die sich auf den glitzernden Silberadern im Gestein wiederspiegelten, zweigte eine unübersichtliche Anzahl weiterer Tunnel und Schächte in alle Richtungen ab. Schienen für Loren führten über den von tausenden Füßen glatt geschliffenen Boden der Kammer und zu einem großen Schmelzofen hin, aus dem sich ein stetiger Strom aus geschmolzenem Metall in Formen für Barren ergoss. Ein gutes Dutzend Aufseher beaufsichtigten die

Arbeit der Silberschmiede dort. Wohl einige der wenigen Arbeiten, die man nicht den Sklaven anvertrauen wollte. Eine endlose Kolonne derselben zog entweder Karrenladungen Erz aus den Tunneln heraus oder mache sich unter den Rufen und vereinzelten Hieben der Aufseher wieder schnellstmöglich dorthin zurück. Eden ballte eine Hand zur Faust. Sie ermahnte sich erneut, dass es sinnlos wäre, jetzt die Nerven zu verlieren. Es würde niemanden helfen. Aber Ahnen, sie würde sich besser fühlen. Ihre Bewacher trieben sie derweil auf die Schmiede zu. Neben den Arbeitern und Aufsehern fiel ihr Blick auf eine

weitere Gestalt dort, die an einem heruntergekommenen Holztisch saß. Ein rundlicher Mann mit einem vernarbten Gesicht und einem kahlen Schädel. Trotz seines rauen Aussehens trug er jedoch hochwertige Kleidung. Vor sich auf dem Tisch stapelten sich mehrere Barren, die noch leicht glühten und damit frisch aus den Gussformen stammten. Der Mann nahm sich jeweils einen und besah ihn sich einen Moment, bevor er ihn bei Seite legte, in einen großen Wagen, in dem bereits Dutzende weitere Warteten. Während sie sich näherten, zog der Mann jedoch einen Barren zu sich, der ihm wohl nicht ganz gefiel. Eden konnte auf die Entfernung nichts entdecken, aber er

wohl schon, denn plötzlich sprang er auf, das schwere Stück Silber noch immer in der Hand. ,, Es ist wohl noch zu viel erwartet, das man von euch für euer Leben ordentliche Arbeit erwartet !“ Er holte aus und schleuderte den Metallblock nach einem unglücklichen Sklaven, der zufällig in der Nähe stand. Das Geschoss traf ihn direkt am Schädel und das widerliche Geräusch, mit dem sich Knochen verschoben und brachen, sorgte dafür, das Eden leicht schlecht wurde. Der Sklave war tot, bevor er auf dem Boden aufschlug, der Barren Silber, nun Blutverschmiert, schlug einige Schritte neben ihm auf dem Fels

auf. Es schien jedoch niemanden zu kümmern. Lediglich einige der Schmieden-Arbeiter drehten kurz den Kopf. Allerdings auch nur, bis der Mann am Tisch den Blick in ihre Richtung drehte. ,, Jetzt muss ich auch noch Ersatz anfordern.“ , brummte er ungehalten. Irgendwie bezweifelte Eden, das er das Silber meinte… Für diese Leute hier warn ein Leben nichts wert. ,, Oberster Aufseher…“ Selbst ihren Bewachern hatte es wohl beinahe die Sprache verschlagen, denn der Sprecher klang nach wie vor unsicher. ,, Was ? Hat Andre nichts Besseres zu

tun, als mir euch Pappnasen hier runter zu schicken? Er bekommt sein Silber. Jede Unze. Und jetzt verschwindet.“ ,, Malik. Wir…“ Der Blick des als Malik angesprochenen verfinsterte sich wieder. ,, Spuckt es endlich aus. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“ ,, Andre überstellt euch einen neuen Sklaven.“ , brachte einer von Endens Bewachern schließlich hervor. ,, Und das kümmert mich in wie fern ?“ Sein Blick wanderte zu Eden. ,, Schafft sie halt zu den anderen, dann kann sie sich gleich an die Arbeit machen. Sieht ja gar nicht so schlecht aus, wie der Rest, den ihr immer hier runter schleift.

Vielleicht überlebt sie sogar ein paar Wochen. Wobei vielleicht wäre es auch besser für sie wenn sie hässlich und halbtot wäre.“ ,, Malik, Andre hat einige besondere Anweisungen, was sie angeht. Sie soll nicht…“ ,, Dann kann er mir das selber sagen.“ Malik machte eine ausholende Geste. ,, Glaubt ihr Hohlköpfe wirklich ich kümmere mich um einzelne Sklaven ? Hier unten sind fast tausend davon.“ Er sah erneut in Edens Richtung, dann zu der Stelle wo der tote Sklave und der Silberbarren lagen. Mittlerweile hatte sich eine kleine Blutpfütze um den Körper gebildet. ,,

Aufheben.“ ,, Und wenn nicht ?“ Eden wusste, dass sie diese Worte früher oder später bezahlen würde. Der Mann hatte schon klar gemacht, was er von der Idee hielt, sie hier unten zu haben. Ob Andre noch Pläne mit ihr hatte oder nicht würde ihm nichts bedeuten. Was der Herr Silberstedts oben war, das war dieser Kerl offenbar hier unten. Grund genug für Eden, sich gegen ihn aufzulehnen. Ihre Wächter rückten nervös von ihr ab, als der Mann erneut von seinem Tisch aufstand. ,, Normalerweise wärst du jetzt schon tot. Aber ich will mir nicht die Mühe machen, Andre das erklären zu müssen.

Noch nicht. Also… Lord Andre mag oben seine Kriege führen und Ränke schmieden, aber hier unten bin ich das Gesetz. Und dieses Gesetz kennt nur eine Strafe. Also noch einmal : Aufheben. Das Silber. Den Kerl könnt ihr verrotten lassen. Vielleicht sammeln ihn nachher ein paar der anderen ein. Aber an dem ist ja kaum was dran…“ Eden lief ein Schauer über den Rücken, als ihr klar wurde, worauf der Mann anspielte. Dafür allerdings, war sie selbst in ihren schlimmsten Tagen nie hungrig genug gewesen. Götter, was machte dieser Ort aus den Leuten? Eigentlich sollte sie wohl in Panik ausbrechen, aber ihr Geist war ganz

ruhig, als sie auf den Toten zutrat und die Hand nach dem Silber ausstreckte. Was geschah, geschah. Es war einfacher nicht darüber nachzudenken. Nüchterne Objektivität über die eigene Situation war das einzige, was einen vor dem Wahnsinn retten konnte. Der Barren war schwer und das Blut färbte das Fell an ihren Armen Dunkel. Mit wenigen Schritten war sie wieder am Tisch und ließ das Silber auf seine Oberfläche fallen. ,, Offenbar kannst du ja doch hören.“ Malik wendete sich an ihre Bewacher.. Gebt ihr ne Hacke und schafft sie in einen der Tunnel. Und wenn ihr es wagt, Andre Bescheid zu geben, sagt ihm auch

gleich, er soll sich beeilen mir seine… Anweisungen schriftlich zu geben. . Mit dem Auftreten macht die es keinen Monat. Vielleicht auch keine Woche…“

Kapitel 107 Kein Tageslicht


Eden begann das Tageslicht bereits zu vermissen. Alles andere machte ihr noch kaum zu schaffen. Aber die ständige, drückende Dunkelheit… Sie konnte sich perfekt orientieren, aber trotzdem konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, nicht bloß Gefangen sondern zusätzlich noch begraben zu sein. Wie das diejenigen aushielten, die bereits Tage und Wochen hier unten waren, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Oder wie sie das tun sollte, sollte es nötig werden. Aber

ihr blieb gar keine Wahl. Eines war Eden während ihres Abstiegs klar geworden. An eine rasche Flucht war hier nicht zu denken. Ganz im Gegenteil. Wenn sie hier heraus wollte, musste sie ganz genau Planen oder würde scheitern. Das einzige, was sie im Augenblick besaß, eine Spitzhacke, ein stumpfes, verrostetes Stück Metall, das wohl nicht mal als improvisierte Waffe taugte und ihre Kleidung. Zusammen mit mehreren Dutzend anderen Sklaven arbeitete sie in einem der Stollen, welchen genau wusste sie nicht, und trieb den Gang weiter durch das unnachgiebige Gestein. Sich mit den den übrigen Arbeitern unterhalten zu

wollen, hatte sie bald aufgegeben. Ob es sich bei manchen um gejarn oder Menschen handelte, war nur noch schwer auszumachen. Manche waren kaum mehr als Haut, Knochen und Stoff, manchen der Gejarn ging das Fell Büschelweise aus. Und während sie weiterarbeiteten, gab es mehr als einen, der sich schließlich einfach hinsetzte, die Hände über den Kopf zusammennahm und die Schläge der der Aufseher über sich ergehen ließ… bis diese Gestalten schließlich endgültig Tod in sich zusammensanken. Völlig am Ende… Eden schauderte alleine bei dem Gedanken, irgendwann so Enden zu können. So zermürbt und gänzlich

zerstört, dass der Tod ein willkommener Ausweg zu sein schien. Das würde nicht geschehen, sagte sie sich. Und selbst wenn, dann würde sie ein paar dieser Kerle mitnehmen. Ihre Wächter mochten sie für eine von vielen verängstigten Gefangenen halten… Aber ihr Verstand war nicht gebrochen. Und ihr Körper nicht geschwächt und abgemagert. Eden wüsste genau, wie sie ihnen Ärger machen könnte. Allein der Gedanke daran, machte ihre Situation etwas erträglicher. Für den Augenblick spielte sie mit. Aber sie hatte ein klares Ziel. Nicht bloß Flucht, sondern Rettung. Sie würde Zachary finden… und sie würde mit ihm zu Cyrus

zurückkehren. Sie wusste nicht sicher, dass der Wolf noch lebte, aber das Gegenteil war für sie ohnehin unvorstellbar. Sie würde es schaffen. Was immer es dafür brauchte. Ein klares Ziel. Etwas, das den anderen Sklaven hier unten fehlen mochte… Die meisten beachteten sie nicht, zu beschäftigt damit, selber einfach nur am Leben zu bleiben. Und , noch wichtiger, zu verhindern, dass die allgegenwärtigen Aufseher sie bemerkten. Etwas, das meist mit unangekündigten Stößen und Schlägen quittiert wurde. Malik mochte der Herr über all das sein, dachte Eden, aber nach allem was sie in den letzten Stunden bereits gesehen hatte, waren

seine Untergebenen kaum freundlicher. Eden begnügte sich für den Moment, sich äußerlich nicht anmerken zu lassen, was sie dachte und die Hacke nur wieder und wieder auf den widerspenstigen Felsen krachen zu lassen. Bald taten ihr die Arme weh, aber langsamer zu arbeiten war natürlich nicht möglich. Von einer kurzen Pause ganz zu schweigen. Erst , als sie bereits fürchtete, sich doch noch den Schlägen eines Aufsehers aussetzen zu müssen, nur um das Gewicht der Spitzhacke einen Moment absetzen zu können, rief einer der Männer plötzlich : ,, Also gut, ihr habt euch grade einen weiteren Tag unter den Lebenden

verdient.“ Bei diesen Worten setzten die meisten erleichtert die Werkzeuge ab. Eden ließ die Spitzhacke ebenfalls sinken und lehnte sich einen Moment gegen das kalte Gestein, durch das sich glitzernd die Silberadern zogen. Einen Moment später jedoch fragte sie sich bereits, was das jetzt wieder bedeutete. Die Aufseher gingen einfach den Schacht entlang zurück, aber keiner der anderen machte Anstalten ihnen zu folgen. Sollten sie etwa einfach hier bleiben und was? Warten bis zum nächsten Morgen ? Sie wollte bereits aufbegehren, als sie sich wieder erinnerte, dass sie sich vorgenommen hatte, sich zurückzuhalten.

Es brachte nichts, diesen Leuten ihren Wahnsinn an den Kopf zu werfen. Ein Blick in die Runde der Sklaven, die sich bereits einfach dort, wo sie eben noch gestanden hatten, zusammenkauerte reichte, damit selbst dem letzten Idioten klar wurde… ein Teil von ihnen würde den Morgen nicht mehr erleben. Wenn es den der Morgen war. Vielleicht auch den Abend… Hier unten verlor man schnell jegliches Zeitgefühl. Es hätte auch Mittag sein können. Schließlich jedoch kehrte ein einziger Aufseher zurück, einen schweren Topf gefüllt mit irgendeiner Flüssigkeit zurück. Eden konnte nur vermuten, dass es sich bei der wässrigen Brühe, in der

Kartoffelschalen und andere Küchenabfälle schwammen wohl um ihr Essen handelte. Die Gejarn überwand sich und nahm eine Schale davon. Seltsamerweise, hatte sie dabei kaum Konkurrenz und ihr wurde auch schnell klar wieso. Der Aufseher, der den Topf gebracht hatte, stand nach wie vor daneben und wartete. Eden entschied, dass es das Risiko wert war und schöpfte eine der neben dem Kessel liegenden Holzschalen voll. Bewusst langsam und den Wächter dabei völlig ignorierend. Sie würden ihr keine Angst machen. Diese Zeiten waren ein für alle Mal vorbei. Schon seit beinahe einem

Jahrzehnt. Eden zwang sich, beim Essen einfach nicht zu genau hinzusehen und das zähe etwas zu kauen, das wohl Fleisch sein sollte. Von welchem Tier es stammte jedoch, wollte sie besser gar nicht wissen. Danach rollte sie sich, dem Beispiel der anderen folgend auf die Seite und versuchte, möglichst so zu liegen, dass der raue felsige Untergrund ihr nicht jegliche Ruhe verwehrte. Echte Ruhe würde sie nicht viel finden, dachte Eden. Aber sie würde es überstehen, so lange es eben sein musste. Mit diesem Gedanken driftete sie dann doch irgendwann in einen seltsamen

Zustand zwischen Träumen und Wachen ab. Dunkle Schatten, teilweise das Ergebnis ihrer wirren Gedanken und teilweise dem flackernden Licht einiger weniger Lampen zuzuschreiben, suchten sie heim. Der Fels selbst vibrierte leicht unter den Schlägen der Arbeiter, die in den angrenzenden Tunneln arbeiteten und ab und an lösten sich kleinere Gesteinssplitter. Vielleicht würden sie morgen früh erst gar nicht mehr aufwachen, sondern von einem plötzlichen Felsrutsch verschüttet. ,, Eden…“ Ein Flüstern, aber es kam ihr vertraut vor. ,, Eden, wach auf.“

Sie erwachte in beinahe vollkommener Finsternis und konnte sich einen Moment beim besten Willen nicht erinnern, wo sie sich befand. Die willkommene Unwissenheit jedoch hielt nur einen Moment, als sie die Schemen der schlafenden oder toten Gestalten um sich herum bemerkte. Eines zumindest war klar, dachte die Gejarn missmutig. Sie hatte entschieden zu wenig Schlaf bekommen… Warum waren die anderen nicht längst auf den Beinen? Ihr kam der Gedanke, das sie alle während der Nacht gestorben sein könnten aber… das war Irrsinn, selbst für die verdrehten Verhältnisse, die hier unten herrschen

mochten. Und einige der auf dem Boden zusammen gerollten Gestalten regten sich unruhig im Schlaf. ,, Eden !“ Diesmal war die Stimme schon etwas lauter und sie drehte schließlich den Kopf und blickte in ein ihr nur zu gut bekanntes Gesicht, aus dem sie zwei türkisfarbene Augen besorgt musterten. ,, Zachary ? Was machst du bloß hier?“ Der junge Magier kniete neben ihr und sah einen Moment zu Boden. In sicheren Abstand von ihm standen mindestens vier wenn nicht mehr bewaffnete Söldner, die Gewehre genau auf Eden gerichtet. Sie verstand durchaus. Versuchte sie irgendetwas, wäre sie tot… Aber das galt

nicht für Zac. Der Junge schüttelte jedoch bloß den Kopf. ,, Andre hat die Träne , Eden. Ich kann mich unmöglich durch die ganze Stadt und die Minen kämpfen. Selbst wenn ich bereit wäre, dafür dein Leben wegzuwerfen.“ ,, Was heißt hier wegwerfen ?“ , fragte sie, für den Augenblick nur froh zu wissen, dass es wenigstens Zachary gut ging. ,, Du musst einfach nur selber entkommen. Es reicht, wenn einer von uns geht. Finde die anderen. Sie leben noch, das weiß ich einfach. Dann könnt ihr mich befreien… Ich überstehe das hier schon.“ ,,Andre tötet dich, wenn ich länger als

einen Tag weg bin. Und ohne den Stein… ich glaube nicht, das ich mich irgendwohin teleportieren kann. Zumindest nicht weit genug. Ismaiel würde es merken. Und wir nichts erreichen. Tut mir leid.“ Er schloss die Augen. ,, Ich habe keine Idee, wie wir hier raus kommen sollen.“ ,, Ich schon. Du gehst einfach.“ , erklärte sie gedämpft und mit einem Blick in Richtung der Wachen. Die Männer schienen sich jedoch nicht sonderlich für das Gespräch zu interessieren. Eden wusste nicht, wie spät es war, aber vermutlich begleiteten die Männer Zachary nur ungern bis

hierher. Der Junge schüttelte entschieden den Kopf. ,, Vergiss es. Das werde ich nicht tuen. Egal was… Nein.“ ,, Und ich schätze, es hätte nicht viel Sinn, es dir einfach Befehlen zu wollen.“ Eden setzte sich auf und ließ sich resigniert gegen die Felswand sinken. ,, Was ist passiert, seit ich… weg bin ?“ ,, Ich habe mit Andre gesprochen.“ , antwortete er schlicht. ,, Er ist dein Vater…“ ,, Nenn ihn noch einmal so… Ich hasse diesen Mann, Eden. Und das sage ich nicht nur so. “ Der Magier klang

plötzlich nicht mehr nur deprimiert, sondern bedrohlich. Wie jemand, den man unter keinen Umständen Grund geben wollte, seinen Zorngegen einen zu richten. ,, Ich habe es bis jetzt nie verstanden, weißt du. Wie du über ihn denkst… Ich meine, ich weiß, was er getan hat. Aber bis vor kurzem dachte ich wenigstens noch, er könnte vielleicht irgendwie… anders sein, wenn man ihm die Gelegenheit gibt. So dumm bin ich nicht mehr.“ Für Eden klang es so, als würde jemand sehr viel Älteres zu ihr sprechen. Nicht Zachary, der Junge, der noch keine zwanzig Winter erlebt hatte, sondern Zachary der Magier, der Mann, der er

vielleicht einmal werden würde. Es tat irgendwie weh, ihn so sprechen zu hören, obwohl es doch nur ihre eigenen Gefühle Andre betreffend wiederspiegelte. Zachary saß in der Falle, weil er sie nicht opfern wollte. Eines wurde Eden damit klar. Zeit, sich einen großen Plan auszudenken oder auf eine günstige Gelegenheit zur Flucht zu warten, hatte sie nicht. Diese Hoffnung machten Zacharys Worte bereits zu Nichte. Sie wollte, nein sie durfte einfach nicht zulassen, dass er länger hier blieb, als absolut notwendig. Offenbar war Andre wirklich überraschend stumpfsinnig, wenn es um seine eigene Familie ging.

Sie musste nach wie vor zuerst entkommen, wenn Zachary eine Chance haben wollte Es hatte sich nichts geändert. Nur dass die Zeit jetzt gegen sie lief, dachte Eden. Wenn es ihr nicht schnell gelang, eine Möglichkeit zur Flucht zu finden… dann gäbe es eine zweite Möglichkeit, Zachary frei zu bekommen. ,, Das reicht jetzt.“ Die Stimme riss Eden aus ihren Gedanken. Die vier Wächter waren zurückgewichen um einer vernarbten Gestalt in weinroter Kleidung Platz zu machen. Malik. Zachary stand langsam auf. ,, Sagt wer

?“ ,, Ich. Du kannst dich gerne bei Andre beschweren Kleiner, aber ich glaube kaum, dass es ihn großartig kümmern wird. Jetzt geht.“ Der Aufseher verschränkte die Arme vor der Brust. Eden legte Zachary eine Hand auf die Schulter. Ihr war bereits jetzt klar, das Malik versuchen würde, sie dafür zahlen zu lassen, dass sie seinen gewohnten Ablauf durcheinanderbrachte, aber für den Moment war es ihr egal. ,, Geh.“ , meinte sie ruhig aber bestimmt. ,, Ich komme klar.“ ,, Eden… mach bitte nichts dummes.“ ,, Keine Sorge.“ Sie holte tief Luft und erzählte die größte Lüge ihres Lebens. ,,

Wir kommen bald hier raus. Wir beide. Und jetzt los.“ Zachary zögerte noch immer, scheinbar nicht bereit, einfach so zu gehen. Aber jeder Moment den er blieb, würde es nur schwerer machen, dachte Eden. Sie gab ihm einen kleinen Schubs und endlich setzten seine Füße sich in Bewegung. Sie sah ihm nach, während er, die Wachen und Malik langsam in den Schatten verschwanden. Eine Weile lang, saß Eden noch gegen die Felsen gelehnt da. Wie hatte innerhalb eines Tages alles so schrecklich schief gehen können? Was sie sich über Jahre aufgebaut hatte, war praktisch in sich zusammengebrochen. Sie war wieder in Silberstedt. Und

diesmal wollte Andre sie nicht nur töten. Er wollte sie benutzen. Als Leine für Zachary. Was wäre es doch für eine Überraschung für den Herrn Silberstedts, wenn ihn diese Leine plötzlich erwürgte…

Kapitel 108 Fluchtversuch


Den Plan zu fliehen zu fassen war einfach, ihn auch umzusetzen freilich etwas ganz anderes. Eden wusste durchaus, was sie zu tun hatte, aber ohne Verbündete und ohne eine gute Gelegenheit würde es bei dem Wissen bleiben. Die anderen Sklaven dazu zu bewegen, ihr zu helfen hatte sie nach der ersten Woche bereits aufgegeben. Die meisten hatten zu viel Angst vor den Aufsehern um auch nur mit ihr zu reden und selbst die, mit denen sie ein paar Worte wechselten erklärten sie für verrückt, wenn sie von Flucht anfing.

Sie würde lediglich alle ertränkt werden. Ein Problem, über das Eden auch schon nachgegrübelt hatte. Man müsste die Becken in der oberen Mine irgendwie kurz vor einem Aufstand leeren, dann stünden ihnen zumindest nur noch die Aufseher und die Soldaten im Weg. An denen vorbei zu kommen würde schon schwer genug werden. Aber es waren ohnehin alles nur fixe Ideen, ohne eine Möglichkeit, sie auch umzusetzen. dachte Eden, als sie erneut mit der Hacke auf den unnachgiebigen Fels schlug. Zachary war seit jenem Tag, an dem sie erfahren hatte, das sie als Andres Pfand diente nicht mehr hier

aufgetaucht. Vermutlich hielt Andre ihn schlicht davon ab. Der Gedanke, das Zachary sich jetzt jeden Tag mit ihm auseinandersetzen musste, machte sie wütend. Wusste dieser Narr einfach nicht, wann er verloren hatte oder tat er das bloß, um ihr zusätzlich eines auszuwischen? Der nächste Schlag mit der Hacke geriet etwas zu heftig und Steinsplitter rieselten auf sie herab. Eden ignorierte es. Sie war ein Stück abgemagert aber nach wie vor ein gutes Stück kräftiger als die meisten anderen Sklaven, selbst die Neuen, die von Zeit zu Zeit in die Tunnel geworfen wurden, in denen sie arbeitete. Eden hatte längst

die Übersicht verloren, wie viele seit ihrer Ankunft hier dazu gekommen und wie viele gestorben waren. Die Zahl war auch nicht wichtig. Nur das es zu viele waren. Ihr Eindruck von Malik hatte sich auch nicht wirklich gebessert. Ganz im Gegenteil. Der Mann mochte es offenbar, aufmüpfige Sklaven mit den bloßen Händen halb tot zu prügeln. Ein Grund mehr für Eden, sich so bedeckt zu halten, wie es ihr Stolz grade zuließ. Kleinkriegen würde sie dieser Ort nicht, da brauchte es schon noch etwas Schlimmeres. Aber es hatte keinen Sinn, ihre Kraft zu verschwenden, wenn sie sie noch für wichtigere Dinge brauchte. Trotzdem konnte sie ihre Wut einen

Augenblick nicht bezähmen. Die Hacke traf erneut mit mehr Wucht als Beabsichtigt auf den Fels. Die Metallene Spitze gab ein hohes, metallisches Klingen von sich und Splitterte im selben Moment. Einzelne, kleine Fragmente rieselten zu Boden und eines, scharfkantig wie ein Messer und knapp so lang wie Edens Unterarm, segelte an ihrem Kopf vorbei und prallte an der Wand des Schachts ab. Die anderen Arbeiter drehten sich zu ihr um, genau wie die Aufseher. Einige, darunter Malik, schoben sich mit Drohungen und Schlägen an den umstehenden Sklaven vorbei in ihre Richtung. Eden jedoch beachtete sie

nicht, immer noch die zerstörte Spitzhacke in der Hand. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Stück Stahl keine fünf Schritte von ihr entfernt. Sie ließ das nutzlos gewordenen Werkzeug fallen und riss stattdessen einen schmalen Stoffstreifen aus dem Ärmel ihrer Kleidung. Das Material war so spröde geworden, das es einfach nachgab, aber um ihre Finger vor den scharfen Rändern des Splitters zu schützen würde es hoffentlich ausreichen. Ihr Blick wanderte zu Malik und seinen Aufsehern, die mittlerweile schon gefährlich nahe waren. Vermutlich würde man es ihr nicht verzeihen, dass sie die Hacke zerstört hatte. Sie würde

schnell handeln müssen. Vielleicht war das genau der Moment, auf den sie gewartet hatte. Zumindest aber, war es die einzige Chance, die sie seit einer gefühlten Ewigkeit sah, irgendetwas auszurichten. Wenn alles gut ging, wäre Malik ihr Schlüssel hier heraus. Unbemerkt ballte sie das Stück Stoff in ihrer Hand, während sie auf den obersten Aufseher wartete. Die Zeit der Zurückhaltung war vorbei, entschied sie still. ,, Was habt ihr…“ , setzte einer von Maliks Begleitern an. Eden handelte, bevor er den Satz beendete. Sie schlug einfach zu. Offenbar waren diese Männer keine Gegenwehr gewohnt, den der

Aufseher machte nicht einmal Anstalten, sich zu verteidigen, bevor ihn Edens Faust traf und seine Nase zertrümmerte. Der Mann stolperte mit einem Aufschrei zurück und riss dabei beinahe seine Gefährten zu Boden. Einige der Sklaven sprangen ebenfalls zurück, völlig unsicher, was der plötzliche Aufruhr zu bedeuten hatte. Das Chaos war vollkommen und damit hatte Eden genau das erreicht, was sie erreichen wollte. Schneller, als die Aufseher wieder für Ordnung sorgen konnten, packte sie das Stahlfragment mit der umwickelten Hand. Eine absolut primitive Waffe, aber für ihre Zwecke reichte es. Mit einer schnellen Bewegung ließ sie das

Metall in ihrem Ärmel verschwinden. Dann spuckte sie nach dem immer noch blutenden Aufseher. ,, Wisst ihr, das wollte ich schon ziemlich lange mal machen.“ , erklärte sie, die Arme vor der Brust verschränkt. Aufseher wie Sklaven musterten sie, als hätte sie den Verstand verloren. Im Schein der Fackeln konnten sie ihre Mine erkennen, auf der jetzt ein Lächeln spielte. Vielleicht würde es nicht funktionieren. Aber egal, wie der heutige Tag ausging, Zachary wäre danach frei. Andre konnte ihren Tod im Zweifelsfall nicht für sich behalten. Aber noch hatte sie nicht vor zu sterben. Malik trat vor, sein Gesicht nun nicht

nur durch Narben sondern auch von Wut entstellt. Außer sich riss er einem seiner Begleiter das Gewehr aus der Hand. Einen Moment fürchtete Eden, er würde sie erschießen. Dann wäre ihr Plan gescheitert, bevor sie überhaupt dazu kam, ihn auszuführen. Stattdessen jedoch schlug er mit dem Gewehrkolben nach ihr. Hätte der Hieb sie erwischt, vermutlich hätte er ihr die Knochen zerschmettert. Aber Eden war ein gutes Stück schneller und noch dazu vom Mut der Verzweiflung getrieben. Sie duckte sich blitzschnell unter der Waffe weg und stürzte zeitgleich nach vorne. Sie erreichte Malik, bevor dieser Begriff was geschah. Nach wie vor, diese Leute

waren es nicht gewohnt, dass ihre Gefangenen sich ernsthaft wehrten. Nun, das würde sich ab sofort ändern. Das improvisierte Messer wanderte zurück in ihre Hand. Die Gejarn packte Malik und riss den massigen Körper des Aufsehers herum. Im gleichen Moment wanderte die Klinge an seine Kehle. Sie hielt den Mann fest und verstärkte den Druck auf die Klinge, als er versuchte, sich zu wehren. Ein feines, rotes Rinnsal ließ seinen Hals hinab und färbte seine Kleidung dunkel. ,, Ich denke, ich habe eure Aufmerksamkeit ?“ , fragte Eden spöttisch. Niemand rührte sich mehr. Die Sklaven

waren so weit es ihnen möglich war in die Schatten zurück gewichen und die Aufseher schienen unfähig auf diese neue Situation zu reagieren. Ihr Anführer in der Hand einer ganz offenbar nicht besonders gut gelaunten Gejarn. ,,Ihr kommt hier nicht lebend raus.“ , knurrte Malik, ein bösartiges Grinsen auf seinem Gesicht. Zumindest war er klug genug, sich nicht mehr zu wehren. Für den Moment brauchte sie ihn noch lebend. ,,Ich glaube wirklich, das entscheidet grade nicht mehr ihr.“ , erwiderte Eden bevor sie sich den umstehenden Aufsehern zuwendete. Die meisten schienen mit der Situation völlig

überfordert. Etwas, das sie sich hoffentlich zu Nutze machen konnte. ,, Also gut, vielleicht ist es euch entgangen, aber ich habe euren Anführer hier. Und ehrlich gesagt hätte ich kein Problem damit, seine Seele in die Dunkelheit zu schicken. Ich werde jetzt gehen und wenn sie mir jemand in den Weg stellt, ist das hier…“ Sie verstärkte den Druck auf das Messer erneut und die Klinge drang ein Stück in Maliks Hals. Nicht tief genug, als das die Wunde ihn töten könnte, aber das zusätzliche Blut würde hoffentlich seinen Zweck erfüllen. ,, Das letzte, was euer oberster Aufseher spürt.“ Eden schob Malik vorwärts, nur darauf

wartend, das einer der übrigen Wachen etwas Dummes tat. Doch die Männer wichen vorsichtig zurück und machten ihr Platz. Götter, es konnte funktionieren. So verzweifelt sie gewesen war, das war vielleicht genau das, womit sie nie gerechnet hätten. Das jemand keine Angst vor ihnen hätte. Das jemand, den man nach hier unten brachte weiterkämpfte. Sie hatte bereits die große Kammer mit dem Schmelzofen für das Silber erreicht, als Malik sich erneut gegen ihren Griff wehrte. ,, Ihr werdet sie nicht entkommen lassen, oder ich töte euch höchstpersönlich !“

Die Gejarn beachtete es nicht. Die Aufseher waren nach wie vor unentschlossen während sie ihnen in sicherem Abstand folgten. Und auch die Arbeiter und Sklaven an der Schmelze ließen alles stehen und liegen, als ihnen klar wurde, dass irgendetwas nicht stimmte. Normalerweise hätte es niemand beachtet, wenn einer der Aufseher einen Sklaven vor sich her stieß, das es nun genau umgekehrt war jedoch, das war für die meisten etwas völlig unerwartetes. Es war das, das nicht passieren sollte, nicht passieren durfte. Eden konnte vor allem den Gefangenen ansehen, das sie mit so etwas

niemals gerechnet hätten. Dass einer von ihnen sich wehrte. Und damit Erfolg hatte. Jetzt kam es darauf an, was stärker sein würde. Die Angst der Aufseher vor ihrem Anführer oder die Vernunft ? Sie konnte den Gang bereits sehen, der sie zurück an die Oberfläche bringen würde. Und nach wie vor rührte sich niemand. Ahnen, sie würde es schaffen… Dann jedoch tat Malik etwas, mit dem sie wiederum nie gerechnet hätte. Der Mann wehrte sich nicht mehr gegen sie, sondern warf lediglich den Kopf in einer scharfen Bewegung zur Seite. Genau in die Messerklinge hinein. ,,

Nein….“ Die Klinge drang ohne Wiederstand in seinen Hals und trat auf der gegenüberliegenden Seite aus. Blut sprudelte aus der Wunde, während sie den tödlich verwundeten Mann von sich stieß. Nicht jedoch, ohne das Messer wieder aus seinem Körper zu ziehen. Götter, er hatte alles ruiniert… Einen Moment standen die Aufseher noch unentschlossen um sie herum, ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Leiche ihres Anführers geheftet, um die sich eine rasch größer werdende Blutlache bildete. Maliks simpler Hass auf alles und jeden hier unten war offenbar sogar stärker

gewesen, als sein Wille am Leben zu bleiben. Sein Tod war nicht wirklich eine Erleichterung. Ja, er hatte genau das verdient, dachte sie. Aber er hatte damit auch grade ihren Schlüssel zur Freiheit vernichtet. Eden warf einen raschen Blick zum Ausgang der Minen, doch dort sammelten sich bereits weitere Aufseher. Noch waren sie zu geschockt um etwas zu tun, aber sie würde nicht mehr einfach entkommen können. Ihre Gedanken rasten. Noch war sie nicht bereit, einfach zu sterben. Sie würde es riskieren, entschied die Gejarn. Sie schätzte die Distanz

zwischen sich und dem Ausgang. Wenn sie nur an den Wachen dort vorbei käme wäre der Rest ein Kinderspiel. ,, Helft mir.“ Sie brauchte nur eine kleine Ablenkung. Wenn nur ein paar der übrigen Sklaven ihre Angst jetzt überwanden. ,, Das ist die eine Chance, die ihr haben werdet !“ Sie konnte nicht darauf warten, ob jemand auf sie hörte. Eden überbrückte die Entfernung zwischen sich und ihrem ersten Ziel-. Der Aufseher riss noch eine hölzerne Keule hoch, um seinen Hals vor ihrer Klinge zu schützen. Doch darauf zielte sie überhaupt nicht. Diese Kerle waren Schläger, keine Soldaten. Das Messer

bohrte sich ihm zwischen Rippen und durchdrang seine Lunge. Die Verletzung war nicht sofort Tödlich, aber er würde ihr zumindest nicht ehr gefährlich werden. Sofort wirbelte sie herum und hoffte, durch die entstandene Lücke entkommen zu können, doch die übrigen Aufseher hatten sich endlich aus ihrer Erstarrung gelöst und strömten jetzt von allen Seiten auf sie zu. Keiner der anderen Sklaven rührte sich auch nur. Und Edens letzte Hoffnung zerfiel zu Staub. Aber wenn das hier wirklich ihr Ende sein sollte, nun, dann würde sie wenigstens ein paar von ihnen mitnehmen. Wenigstens Zachary wäre in

jedem Fall frei. Sofern er jemals von ihrem Tod erfuhr… Sie schüttelte den Kopf. Andre konnte das unmöglich ewig geheim halten. Irgendwann musste er ihm die Wahrheit sagen oder der Junge käme von selbst darauf, selbst wenn der Herr Silberstedts ihn nicht mehr hierher ließ. Da hatte sie ihr Leben erst vor ein paar Wochen wiederbekommen und jetzt musste sie es verlieren. Die Welt hatte einen seltsamen Sinn für Ironie. Es gab keinen Weg hier hinaus, zumindest nicht für sie. Ihr war völlig klar, was sie Zachary damit antat… und auch Cyrus. Aber diese Entscheidung war ihr abgenommen worden. Von Andre und

von Malik. Sie bat beide stumm um Vergebung. Ich hätte wirklich nichts lieber getan als meinen Lebensabend mit dir an einem Haus am Meer zu verbringen, Cyrus. Aber das ist leider nicht möglich, dachte sie bitter. Vergib mir. Der erste Aufseher erreichte sie und schlug mit dem Griff eines Gewehrs nach ihr. Eden duckte sich blitzschnell darunter weg und fing die Waffe ab. Mit einem Ruck verdrehte sie dem Angreifer die Hände und er ließ die Muskete los. Eden drehte sich sofort herum und rammte den Lauf dem nächsten Angreifer in den Bauch. Dann drückte sie den

Abzug. Dem dritten Aufseher, der ihr zu nahe kam, schmetterte sie das jetzt nutzlose Gewehr gegen den Schädel. Der Holzgriff der Waffe zersplitterte dabei… Dann schlug ihr jedoch selber etwas gegen den Kopf. Einen Moment verschwamm alles um sie herum, bevor sie merkte, dass sie am Boden lag. Eden versuchte, wieder auf die Füße zu kommen, doch jemand trat ihr in die Seite. Bevor sie auch nur wieder zum Liegen kam, traf sie ein weiterer Schlag an der Schulter, ein dritter in die Magengrube. Und dann zählte sie nicht mehr, als ihre Welt in Schmerzen

unterging.

Kapitel 109 Hilfe


Zachary wusste sofort, dass etwas nicht stimmte, als er die untere Kammer erreichte. Es hatte Zeit gebraucht, Andre zu überzeugen, ihn überhaupt noch einmal hierher kommen zu lassen, aber der Mann, der sich immer noch einbildete sein Vater zu sein oder es wieder werden zu können, konnte ihm letztendlich nur wenig ausschlagen. Darunter seine Freiheit. Und er würde Eden nicht hier unten alleine lassen, solange es in seiner Macht stand. Sie zu befreien war unmöglich, trotzdem, er würde nicht zulassen, dass sie die

Schrecken hier unten durchstand, während er im Herrenhaus in Silberstedt festsaß. Vier Soldaten begleiteten ihn mittlerweile überall hin, wenn er das Anwesen einmal verliest, so wie auch jetzt. Nicht, das die Männer ihn im Zweifelsfall aufhalten könnten. Etwas, das ihnen wohl auch klar war, aber eines musste er ihnen lassen, wenn sie der Gedanke daran nervös machte, ließen sie es sich nicht anmerken. Was sie jedoch erwartete, als sie die unterste Ebene der Minen Silberstedt erreichten, ließ die Männer nervös zurückweichen. Offenbar waren sämtliche Aufseher und Arbeiter in der weitläufigen Höhle

versammelt. Die Gefangenen und Sklaven wiederum waren bis an die Felswände zurück gewichen, kauerten dort oder starrten einfach ausdruckslos auf die Ansammlung an Wächtern. Diese hatten einen Kreis vor der großen Steinsäule geformt, die das Deckengewölbe trug, keine zwanzig Schritte vom Eingang der Minen entfernt. Das Licht, das vom Schmelzofen herüber drang, verlieh allem einen rötlichen Schein. Zachary runzelte die Stirn. Was war denn da los? Zuerst dachte er an einen Unfall, aber er bezweifelte wirklich, dass sich irgendjemand hier um einen verletzen kümmerte. Ein Aufstand

vielleicht ? Ein Blick in die verängstigten Gesichter der wartenden Sklaven sagte ihm, dass auch das eher unwahrscheinlich schien. Trotzdem hatte sich ein ungutes Gefühl in seiner Magengrube eingenistet, während er auf die Männer zuging. Er musste so wieso jemanden fragen, wo er Eden finden konnte. ,, Was ist hier los ?“ Einige der Aufseher drehten sich zu ihm um, einen Ausdruck zwischen entfesselter Wut und Unmut über die Störung auf ihren Gesichtern. Hände und Stiefel der meisten waren mit Blut bespritzt. ,, Was ist hier los ?“ , wiederholte

Zachary, als er keine Antwort erhielt und langsam wurde das ungute Gefühl zu einer schrecklichen Gewissheit. Er schubste einen der Männer aus dem Weg und lies einen zweiten dort zur Salzsäule erstarren, wo er stand. Der junge Zauberer merkte nicht einmal mehr, dass er den Zauber wirkte. Der Rest der Männer war zu ihrem Glück schnell genug zurück und gab den Blick auf eine am Boden liegende Gestalt frei. Selbst Zachary erkannte das regungslose Bündel nicht sofort. Das einst weiße Fell hatte sich mit Blut vollgesogen und einen roten, bis blassrosa Ton angenommen. Blut, das bereits eine kleine Lache um sie gebildet

hatte. ,, Eden…“ Zachary war sofort an ihrer Seite und drehte die schwer verletzte Gejarn so vorsichtig wie möglich auf den Rücken. Atmete sie noch? Sie musste einfach, dachte er. ,, Sie hat Malik getötet.“ , erklärte einer der Aufseher lediglich. Der Junge ignorierte ihn, als die Gejarn blinzelnd die Augen öffnete. Das Gesicht war mit Schnitten und blauen Flecken übersäht, die selbst das blutdurchtränkte Fell nicht verbergen konnte. ,, Du bist frei.“ , murmelte sie tonlos, bevor ihre Augen wieder zu vielen. Aber sie atmete noch… Zachary schüttelte den Kopf. ,, Nicht

so. Nicht so Eden…“ Er stürzte den Kopf in die Hände. Götter, was sollte er tun. Sie starb hier und ihm wollte nicht einfallen, was er dagegen tun konnte. Steht nicht bloß rum !“ , rief er seinen vier Begleitern zu. ,, Schickt die Leute weg. Wenn gleich noch irgendjemand hier ist…“ Dann konnte er für nichts mehr garantieren. Selbst jetzt konnte er Wut und Schmerz grade so unter Kontrolle halten. Er könnte versuchen sie mit Magie zu heilen… aber er hatte das erst einmal Versucht. Und das hatte mit Walters Tod geendet. Und sein Bruder war nicht einmal Ansatzweise so schwer verletzt gewesen, nicht? Was würde passieren, wenn er es wagte? Er

könnte alles nur schlimmer machen. Und das würde er nicht ertragen. So oder so, sie brauchte Hilfe… ,, Halt einfach durch.“ , murmelte er , bevor er Aufsprang. ,, Ihr vier, bleibt bei ihr. Wenn ihr irgendjemand zu nahe kommen will, ist mir völlig egal, wie ihr das anstellt, nur haltet ihn auf!“ Er würde nicht riskieren, dass die Aufseher ihr Werk zu Ende brachten, während er Weg war. Es widerstrebte ihm zu gehen, aber wenn er blieb, dann würde sie sterben. Zachary brauchte jemanden, der ihr wirklich helfen konnte, ohne sie dabei vielleicht umzubringen. Und wenn Eden starb… Nicht darüber nachdenken, sagte er sich

selbst. Das würde schlicht nicht passieren. Aber das bedeutete, er würde genau den einen Mann um Hilfe bitten müssen, den er ganz sicher nichts Schulden wollte. Und selbst das war egal, wenn es nur Eden rettete. Andre konnte ihm das nicht ausschlagen. Er brauchte einen Heiler und zwar innerhalb der nächsten Stunde. So schnell ihn seine Beine trugen, rannte er die unterirdischen Tunnel zurück zum Eingang und dann die schwindelerregenden Pässe hinab nach Silberstedt. Der Gedanke, dass er stolpern und in die Tiefe stürzen könnte, kam ihm erst, als er bereits die Straßen der Stadt erreichte und in Richtung des

dunklen Anwesens weiterlief, das darüber thronte. Zachary schlitterte über den vereisten Hof und in Richtung Tür. Noch bevor er die schweren Torflügel erreichte, flogen sie auch schon auf, von einem umgelenkten Zauber auseinandergerissen. Die komplette Halle erzitterte unter dem Schlag, als die Scharniere sich in ihren Fassungen im Holz zu befreien versuchten. Kohlebecken und Fackeln wurden von der entstehenden Druckwelle ausgeblasen, Die Rußschicht löste sich von mehreren Säulen und rieselte zu Boden. Einige Bedienstete und Wachen, die in der Halle standen wichen erschrocken zurück, als er an ihnen

vorbei ging. Oder duckten sich unter dem herabfallenden Ascheregen weg. Zachary beachtete es nicht. Ohne langsamer zu werden durchquerte er die Halle, vorbei an einer Treppe, die hinab in die Gewölbe unter dem Bau führte und ging weiter in Richtung von Andres Schreibzimmer. Sein… Vater… war die meiste Zeit des Tages dort, besonders, seit er von Erlands Tot während der Schlacht erfahren hatte. Ab jetzt musste er seine Truppen selber koordinieren. Dieses Mal hielt er sich zurück und öffnete die Tür mit den Händen. Andre saß an einem großen Schreibtisch, in dem holzgetäfelten Saal. Schwere Wandteppiche mit Darstellungen des

Wildlebens um Silberstedt isolierten die Wände gegen die Kälte draußen. Der Herr Silberstedts sah von einem Stapel Briefe auf, die vor ihm auf dem Tisch lagen, zusammen mit dem kleinen Kästchen, in dem er die Träne Falamirs verwahrt hatte. Zachary wusste nicht mehr, wie lange er versucht hatte, den Behälter zu öffnen, doch egal, was er auch probierte, ob Zauber oder physische Gewalt, das Schloss gab nicht nach und Magie blieb so wirkungslos, als würde die Schatulle gar nicht existieren. Zachary war sich ziemlich sicher zu wissen, wem Andre das zu verdanken hatte. Er hatte Ismaiel seit seiner Ankunft hier nur noch ein paar Mal

gesehen, was wohl auch gut war. Er wusste genau, wie gefährlich dieser Mann war. Andre unterschätzte ihn ganz offensichtlich gewaltig, dass er ihm derart freie Hand ließ. Die Wandteppiche schwangen in einer nicht spürbaren Brise hin und her, als Zachary an ihnen vorbei auf den Tisch zuging. ,, Warum ?“ , fragte er nur. Eigentlich hatte er wütend werden wollen, aber was in seinem Inneren brodelte schlug sich nicht in seiner Stimme wieder. Im Gegenteil. Seine Gedanken rasten, aber er hatte sich nie ruhiger angehört. ,, Warum was ?“ Andre legte einige Briefe bei Seite. Er merkte schlicht

nicht, was vor sich ging. Selbst die kleinen Risse, die im Holz der Vertäfelung auftauchten schien er einfach zu übersehen. Entweder, dachte Zachary, war sein Vater blind, oder er wollte es zumindest sein. ,, Warum tust du uns das an ?“ ,, Ich habe keine Ahnung, was du eigentlich willst.“ Andre lehnte sich auf seinen Platz zurück. ,, Ich habe mir fast zehn Jahre Sorgen um dich gemacht, Zachary.“ ,, Wenn das so wäre, bräuchtest du mich nicht entführen und hier festhalten.“ , erwiderte er heftig und schlug mit der Faust auf den Tisch. Ob von Wut getrieben oder wieder durch einen

unkontrollierten Ausbruch von Magie bewirkt, das Holz gab unter dem Schlag nach und splitterte. Zachary ermahnte sich, ruhig zu bleiben. ,, Aber das ist jetzt egal. Eden braucht Hilfe und zwar sofort. Einen Heiler. Und du wirst mir einen mitschicken, denn wenn sie stirbt, hält mich nichts mehr hier. Sie mag dir nichts bedeuten. Gut. Es sollte dir aber etwas bedeuten, dass sie für mich wichtig ist. Ich weiß ihr hattet eure… Differenzen. Aber wenn ich dir wenigstens noch irgendetwas bedeute, wenn ich nicht bloß hier bin, weil du einen Erben suchst oder einfach nur hoffst, damit Kellvian davon abhalten zu

können…“ ,, Der Kaiser ist tot !“ Andre war aufgestanden. ,, Es ist vorbei. Wir werden auch noch die restlichen Truppen finden, die uns entgangen sind und dann wird dieser Krieg bald Geschichte sein.“ ,, Glaub das ruhig. Aber es ändert nichts. Du wirst mir helfen. Dir bleibt keine Wahl.“ ,, Götter du klingst beinahe wie dieser verrückte alte Magier. Warum ist sie dir bloß so wichtig?“ ,, Ich bezweifle, dass du das verstehen kannst… Vater. Du musst nur eines wissen. Sollte sie nicht überleben… stirbt jeder einzelne deiner Aufseher. Das ist ein Versprechen. Und sollte

irgendjemand sie noch einmal verletzen… „ Er ballte die Faust. Gleichzeitig knarrten die Balken, welche die hölzerne Decke über ihnen trugen verräterisch. Er hatte keine Kontrolle mehr darüber. Die Magie handelte aus eigenen Antrieb, nur genährt und gelenkt von seinen durcheinanderwirbelnden Emotionen. Andre schien es kaum zur Notiz zu nehmen, oder vielleicht verließ er sich einfach darauf, das Zachary ihm nichts tun würde. Nun, zumindest im Augenblick war er kurz davor, dachte er. Und trotzdem schwieg Andre noch immer. ,, Ich warte. Eden hat keine Zeit mehr,

also? Entscheide dich.“ ,, Du bittest mich, diesem… Ding auch noch zu helfen.“ ,,Ich bitte nicht, Andre, ich fordere dich dazu auf oder der Alternative ins Auge zu sehen. Ich werde nicht zurückkehren und du mich nicht aufhalten. Und wenn Ismaiel mich zurück bringen wollte, müsste er mich dieses Mal schon töten. Das wiederum willst du nicht. Und er auch nicht.“ Er hatte genug. Jetzt, wo er seiner Wut einmal freien Lauf ließ, gab es wenig, was ihn noch zurück hielt. Nur ein letzter Funken Vernunft und der Wunsch Eden zu helfen. ,, Ich würde tuen, was er sagt.“ ,

bemerkte eine Stimme von der offen stehende Tür her. Ismaiel stand im Türrahmen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Die gelblichen Augen des Zauberers schienen die Situation sofort zu erfassen. Aber wie lange stand er schon da ? , fragte Zachary sich. Das Auftauchen des Mannes kühlte sein Gemüt ab, wie ein Guss kaltes Wasser. Wenn es eines gab, das ihm nach allem, was er bisher gesehen hatte noch Angst machen konnte, war es dieses Wesen. Uralt und irgendwie undurchschaubar. Warum bitte versuchte er ihm jetzt schon zum zweiten Mal zu helfen, Eden zu retten?

Ismaiel tat nichts, ohne das ihn das seinen eigenen Zielen näherbrachte und wie die Aussahen, das wusste Zachary nur zu gut. Aber in den Wochen, die er jetzt schon in Silberstedt festsaß, hatte er kein einziges weiteres Wort mit ihm gewechselt. ,, Und wer hat euch gebeten euch einzumischen ?“ , fragte Andre ungehalten. ,,Ich glaube, man nennt es gesunden Menschenverstand. Ihr glaubt, der Junge blufft, ja?“ ,,Woher...“ , setzte der Herr Silberstedt an. ,, Ein Narr kann im Augenblick erraten,

was ihr denkt. Tut was er sagt. Überlebt die Gejarn, überlebt sie eben. Wenn nicht“ , sein Blick wanderte zu Zachary, ,, Nun darüber werden wir reden, wenn es so weit ist.“ Andre schien nach wie vor unentschlossen und Zachary stellte sich schon darauf ein, alleine zurückkehren zu müssen um es doch mit einem Zauber zu versuchen. Eden hielt auf keinen Fall mehr lange ohne Hilfe durch. Schließlich jedoch nickte der Lord. ,, Also gut. Ich weiß, ich werde das bereuen. Es gibt einige Wundärzte in Silberstedt. Ich bestelle einen davon zu den Minen. Geh jetzt.“ ,, Ich werde ihn begleiten.“ , erklärte

Zachary nur. ,, Das ist…“ Ismaiel hob nur eine Hand und brachte Andre damit zum Schweigen. ,, Also gut.“

Kapitel 110 Leben


Eden wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit sie das letzte Mal wieder bei Bewusstsein gewesen war. Zeit war etwas, das keine Rolle mehr zu spielen schien, wenn man starb. Am liebsten wäre es ihr ohnehin wenn endlich alles vorbei wäre. Außer ihrem schmerzenden Körper schien ohnehin kaum etwas zu existieren. Nur den kalten Steinboden und die Schemen der vier Wächter, die Zachary hier zurück gelassen hatte, durchdrangen gelegentlich den Schleier der sich um ihre Wahrnehmung gelegt hatte. Und

selbst dann schien alles weit weg und im Halbdunkel verborgen. Nun jedoch hörte sie zum ersten Mal fremde Schritte, die sich näherten. Vielleicht hatten die übrigen Aufseher mittlerweile doch den Mut zusammenbekommen, es zu Ende zu bringen. Besser, als hier langsam auszubluten wäre es allemal… Ein helles Licht blendete sie einen Moment und sie blinzelte. Selbst das tat weh. Auch wenn sie instinktiv versucht hatte, wenigstens ihr Gesicht zu schützen, waren ihr Augen halb zugeschwollen und sie damit fast blind. Eden erkannte langsam, das das grelle Licht von einer Laterne stammte, in der

eine Öllampe brannte. Den Mann, der das Glasgehäuse hielt kannte sie nicht. Die Gestalt trug eine rote Robe und hatte ein bereits vom Alter gezeichnetes Gesicht. Dunkle Ringe unter den Augen zeigten, dass er in letzter Zeit wohl nicht sonderlich viel geschlafen hatte. ,,Ich bin hier…“ Eine zweite Person schob sich in ihr Blickfeld und sie erkannte Zachary. Eden wollte irgendetwas antworten, aber selbst das Suchen nach Worten war im Augenblick zu viel. Götter, sie wollte einfach wieder abdriften, in die ruhige Dunkelheit wo… ,,Wach bleiben !“ , herrschte der fremde Mann sie an und zu ihrem eigenen

erstaunen zeigte es Wirkung. Es machte nichts besser, riss sie aber vor dem Abgrund zurück, in den sie beinahe gefallen wäre. Schlaf… ohne jemals wieder zu erwachen. ,,Ihr könnt ihr doch helfen ?“ , fragte Zachary. Der Fremde brummte etwas unverständliches, während er nur weiter auf sie herabsah, wohl unsicher, was er mit dem blutverkrusteten, schmutzigen Bündel Fell anfangen sollte. ,, Normalerweise behandle ich nur Menschen. Aber ich kann wohl ihre äußeren Wunden versorgen. Säubern und vernähen, wo es nötig ist. Was innere Verletzungen angeht, kann ich jedoch

nicht viel tun. Wir müssen einfach hoffen, dass sie es so übersteht.“ Eden wollte etwas sagen, die Worte jedoch gingen ihr abermals verloren, als der Mann ein Stück Tuch mit irgendeiner Flüssigkeit tränkte und auf eine ihrer Wunden drückte. Der Schmerz verzehnfachte sich und obwohl ihr ganzer Körper dagegen aufbegehrte, wäre sie vielleicht aufgesprungen. Die Vernunft jedoch war grade noch stärker. Stattdessen Biss sie schlicht die Zähne zusammen und wartete auf den Moment, an dem die Pein nachlassen würde. ,, Alles wird wieder gut.“ , meinte Zachary, während er sich neben sie setzte. ,, Du wirst schon

sehen.“ Sie schüttelte den Kopf, bevor der Heiler dazu kam, die zweite Verletzung zu säubern. Wenn er sich wirklich um alle Schnitte und Blessuren einzeln kümmern wollte, würde das hier wohl eine Weile dauern. ,, Was soll das, Zachary ? Ich sterbe hier unten sowieso, das weißt du und das weiß ich. Wir…“ Sie beendete den Satz nicht, als der Heiler sich einer Schnittwunde an ihrer Schulter zuwandte. Ein scharfkantiges Stück Fels hatte dort eine klaffende Verletzung hinterlassen, aus der nach wie vor Blut strömte. ,, Das werde ich aber nicht zulassen, Eden.

Ich habe Andre erklärt, das ich nur bleibe, solange ich weiß, das du lebst.“ ,, Wehe du machst das mit. Ich…“ Die Gejarn wurde erneut unterbrochen, als der Arzt begann, die Wunde mit groben Stichen zusammenzunähen. Er schien sich nicht wirklich darum zu Schweren, wie es ihr dabei ging. Vermutlich war er mehr auf Androhung Andres hier als freiwillig. Er wollte es einfach hinter sich haben. Nun da war er nicht der einzige, dachte Eden. ,,Ich komme schon klar.“ , erklärte sie, als die Nadel endlich aufhörte, sich durch ihre Haut zu graben. ,, Bitte Eden. Ich habe dich in Lasanta nicht gerettet um dich jetzt hier sterben

zu sehen.“ Hatte er grade Lasanta gesagt? Ihr Verstand war nach wie vor nicht ganz klar, dachte sie. Oder ? In Lasanta war doch überhaupt nichts passiert. Sie waren alle halbwegs Unverletzt aus der Sache heraus gekommen. Und sie hatte sogar… Die Knochenstarre. Ahnen, das hatte er nicht getan, oder? ,, Zachary ?“ ,, ich wollte nichts sagen. Aber offenbar willst du mir genau so wenig zuhören wie Andre !“ , er klang jetzt zum ersten Mal mehr wütend als verzweifelt. ,, Ismaiel hat mir dabei geholfen. Nicht ohne einen Preis natürlich. Jormund ist nicht einfach nur entkommen, Eden. Ich

musste ihn gehen lassen. Dafür habe ich bekommen, was nötig war um dich zu heilen.“ ,, Du hast was getan ?“ ,, Mir ist durchaus klar, dass das keine gute Idee war. Später hat er immerhin Jiy und die anderen Überfallen. Aber bitte, Eden… Ich werde dich jetzt genau so wenig einfach sterben lassen wie damals.“ Sie schwieg einen Moment. Auf was hatte sich dieser Junge da bloß eingelassen? Und doch kam ihr dieses Wort jetzt schon falsch vor. Zachary war kein Kind mehr. Das hatte er durchaus bewiesen. Aber er war auch weit davon entfernt, vernünftig zu sein, wenn es

nach ihr ging. War das vielleicht der Grund, aus dem Ismaiel sie seltsamerweise in Schutz genommen hatte? Wenn ja, wollte sie gar nicht wissen, was der alte Magier plante. Nur eines war klar. Vielleicht konnte Zachary fliehen, aber wenn Ismaiel hinter ihm her war würde er nicht entkommen. ,, Also gut.“ , antwortete sie schließlich. Es war besser, sie hatte ein Auge auf ihn und war wenigstens noch… da falls sie eingreifen musste. Wie immer sie das auch anstellen würde. ,, Versprich mir nur, das du auf dich aufpasst.“ ,, Solange du in Zukunft dasselbe tust.“ Und mit schüchterner Stimme, die Eden

wieder mehr an den Jungen erinnerte, den sie kannte fragte er : ,, Du bist mir also nicht böse?“ Sie musste wieder nachdenken, während der Arzt unbeteiligt ihre letzten Wunden versorgte. Sie fühlte sich nicht wirklich viel besser. Aber das Gespräch hielt sie wenigstens davon ab, wieder das Bewusstsein zu verlieren. ,, Böse ist nicht das richtige Wort. Geschehen ist nun mal geschehen, Zachary. Aber du weißt nicht, worauf du dich einlässt… Ich weiß es auch nicht. Und das macht mir Angst. Was immer Ismaiel dir anbietet… schlag es aus, verstehst du das?“ Zachary lachte bitter. ,, Nichts anderes

hatte ich vor. Ich bin nicht si dumm zu glauben, er würde mir irgendetwas geben, ohne davon selber etwas zu haben.“ ,, Ich meine das ernst, Zachary. Egal was. Der Preis den du zahlst wäre zu hoch. Schwör es mir. Egal was.“ Und wenn es ihre Freiheit war. Genau das fürchtete sie letztlich. Das war das eine, das Zachary nie ausschlagen würde. Genau deshalb musste sie ihm das Versprechen abnehmen. ,, Ich verspreche es.“ , antwortete Zachary schließlich. ,,Gut.“ Der Wundarzt hatte derweil seine Arbeit beendet. Eden fühlte sich mittlerweile

wie ein lebender Flickenteppich, aber wenigstens blutete sie nicht mehr. Es war ein Witz. Sobald sie wieder n die Arbeit müsste, würden die meisten Wunden ohnehin wieder aufreißen. Allein der Gedanke, aufstehen zu müssen schien ihr schon wie ein Unüberwindbares Hindernis. Zachary wendete sich an seine vier Wächter, die die ganze Zeit über im Hintergrund gewartet hatten und jeden, der die große Hauptkammer passierte davon abhielten zu nahe zu kommen. ,,Können wir sie irgendwo hinbringen wo sie erstmal… sicher ist ?“ Er warf einen Blick in Richtung eines Aufsehers, der grade die Höhle in Richtung

Silberschmelze passierte. ,, Lord Andres Anweisungen sind eindeutig. Sie muss hier bleiben. Es gibt aber einige verlassene Tunnel.“ , bemerkte einer der Männer. ,, Dort wird nicht mehr gearbeitet.“ Eden konnte beinahe am eigenen Leib spüren, wie Zachary sich anspannte. Dann jedoch wurde er wieder ruhiger. Er könnte noch einmal zu Andre gehen, sicher. Aber der würde niemals zulassen, dass man sie an einen weniger gut bewachten Ort brachte. Das war grade das eine, auf dem die Zwickmühle beruhte, in die er Zachary gebracht hatte. ,, Glaubst du, du kannst aufstehen

?“ Eden hätte am liebsten Nein gesagt. Aber ihr war selber klar, dass sie nicht schlicht hier liegen bleiben konnte, also nickte sie. ,, Aber ich glaube, du musst mir aufhelfen.“ Obwohl erneut eine Welle aus Schmerzen über sie hinwegspülte, ergriff sie Zacharys Arm und kam langsam wieder auf die Füße. Einen Moment schwankte sie und die Welt begann sich zu drehen. ,, Alles in Ordnung ?“ ,, Ich brauche nur einen Moment.“ , antwortete Eden. Tatsächlich bräuchte sie mindestens ein paar Wochen absolute Ruhe, dachte sie. Die Schläge hatten

nichts gebrochen, da war sie sich sicher, trotzdem war sie ein einem erbarmungswürdigen Zustand. Nach wie vor war ihr Tod wahrscheinlich. Doch sie hatte sich jetzt dagegen entschieden, dachte sie. Sterben war nicht länger eine Option. Sie musste auf Zachary achten, falls Ismaiel den Magier benutzen wollte. Viel würde sie nicht tun können, aber sie wollte wenigstens da sein. Sich mehr voran schleppend, als wirklich laufend, folgte sie einem von Zacharys Wächter in Richtung der leer stehenden Tunnel. Sobald sie den Schacht betraten war auch Eden klar, das hier schon lange niemand mehr gewesen war. Die

Schienen am Boden waren verfallen und Brocken Geröll lagen über den Boden verteilt. Wasser lief die Wände herab und sammelte sich in Pfützen am Boden. Irgendwie weckte dieser Ort bloß ungute Erinnerungen in ihr. Aber für den Moment wäre es die einzige Zuflucht, die sie hatte. ,, Kommt niemand hierher =“ , fragte Zachary. ,, Warum sollten sie ? Der Tunnel ist eine Sackgasse und außerdem nicht mehr sonderlich stabil.“ Der Wächter der gesprochen hatte deutete auf eine morsche Stützstrebe. Moos und Algen hatten sich auf dem Holz festgesetzt. ,, Ich denke, wir sollten uns nicht weiter

vor wagen als nötig. Das ist weit genug.“ Zachary protestierte nicht, sondern half Eden lediglich sich zu setzen. Mit dem Rücken an die Felswand gelehnt ging es ihr schon etwas besser. ,, Ich will, das sich jemand dem ihr vertrauen könnt darum kümmert, das sie etwas zu Essen bekommt. Zusammen mit allem, was sie sonst braucht.“ Und mit einem Blick in Richtung des Arztes, der ihnen schweigend gefolgt war fügte Zachary hinzu. ,,Ihr werdet regelmäßig nach ihr sehen. Andre wird euch dafür entlohnen. Wenn nicht… sagt ihr mir das.“ Eden konnte nicht anders, als einen

Moment Stolz auf den jungen Magier zu sein. Er wusste, was er tat, das schien klar. Und vielleicht war er reifer, als sie das immer wahr haben wollte. Sie spürte bereits, wie ihr die Augen zufallen wollten. Doch diesmal war sie sich sicher, dass es nicht der Schlaf der Toten sein würde. Nein. Sie würde wieder zu Kräften kommen. ,,Ich muss gehen.“ , meinte Zachary beinahe entschuldigend. ,, Andre wird mich nicht zu lange hier bleiben lassen und wenn er jemanden schickt um nach mir zu suchen…“ Sie nickte. ,, Ich komme ab jetzt schon klar. Pass auf dich auf.“ Statt einer Antwort legte er sanft einen

Arm um sie und sie erwiderte die Umarmung, soweit ihre Schmerzenden Knochen das zu ließen. ,, Man wird uns nicht vergessen haben.“ , flüsterte sie, so leise das die anderen es unmöglich hören konnten. ,, Cyrus gibt uns nicht auf, genau so wenig wie Erik oder Jiy und Kellvian. Wenn auch nur einer von ihnen noch lebt, erden sie uns finden.“ Zachary löste sich mit einem Nicken von ihr, bevor er seinen Begleitern bedeutete, ihm zu Folgen. Eden sah ihnen eine Weile nach und bis ihre Schritte in der Ferne verhallten. Dann schlief sie den Kopf an die Wand gelehnt

ein. Als sie wieder erwachte, stellte sie jedoch fest, dass sie nicht mehr alleine war. Und das sie die Kälte des Steins nicht mehr spürte. Irgendjemand hatte eine Decke über sie gelegt. Ein zerrissenes und Schmutzfleckiges Stück Stoff, aber für die meisten hier unten wertvoller als das Silber, das sie aus dem Berg brachen. Ein dutzend abgerissener Gestalten, Sklaven, hatten sich um sie versammelt. Es musste wohl eigentlich Ruhezeit sein, sonst hätte es wohl keiner von ihnen gewagt, hier zu erscheinen. Warum waren sie hier? ,, Das Wasser.“ , begann einer zu

sprechen, ein junger Gejarn, dessen leere, ausgebrannte Augen tatsächlich so etwas wie Ehrfurcht zeigten. ,, Wir haben euch nicht geholfen. Sie hätten uns alle getötet. Aber…“ Er brach ab und Eden sah sich in der versammelten Runde um. Und in allen Augen sah sie denselben seltsamen Ausdruck. Eine Mischung aus Hoffnung, Verzweiflung…. Und Respekt. Diese Leute hatten sie kämpfen sehen, wie ihr klar wurde. Etwas, das sie immer für unmöglich gehalten hatten. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten hatte so etwas wie Hoffnung in ihre Herzen Einzug gefunden. Und Eden würde nicht diejenige sein, die diese Flamme

erstickte. ,, Da findet sich eine Lösung.“ , antwortete sie. ,, Es gibt immer einen Ausweg.“ Und ihr war durchaus klar, was das hieß. Mit diesen einfachen Worten hatte sie sich grade zur Anführerin gemacht. Zur Anführerin eines angerissenen Haufens von Arbeitssklaven. Männer und Frauen, die bis grade keine Hoffnung mehr hatte. Eden lächelte schwach. Es würde Vorbereitungen brauchen. Aber grade eben hatte eine Revolte ihren Anfang genommen…

Kapitel 111 Die Macht der Alten


Zachary war grade erst in das Anwesen zurückgekehrt, als ihm bereits einer von Andres Söldnern entgegenkam. Zahlreiche Bedienstete waren immer noch dabei Asche und Ruß zusammenzukehren, die aus den erloschenen Kohlebecken und den verbrannten Balken gewirbelt worden war. ,, Herr,“ , setzte der Mann an, weshalb er ihn fast ignoriert hätte. Er konnte mit der Anrede nichts anfangen und war in Gedanken immer noch bei Eden. Sie würde es überstehen. Da war er sich

einfach sicher. Trotzdem wäre er am liebsten dort geblieben, aber das war natürlich unmöglich. ,, Was ist den los ?“ , fragte er schließlich, als er sich dem Soldaten zuwendete. Dass es überhaupt noch jemand wagte, ihn anzusprechen, nachdem er vor einigen Stunden in die Halle gestürmt war, begleitet von entfesselter Magie, wunderte ihn. Er hatte keine Kontrolle darüber gehabt. Trotzdem tat es ihm in keiner Weise Leid. Dieser Mann hielt ihn hier genau so fest wie Andre, wenn vielleicht auch nur auf dessen Anweisung. Eine Entschuldigung war das nicht. ,, Verzeiht. Der Zauberer… Ismaiel,

möchte euch sehen.“ Zachary wurde hellhörig. Also war es so weit, dachte er bei sich. Das war es wohl, was Eden gefürchtet hatte. Er zögerte. ,, Weiß mein V… weiß Andre davon ?“ , fragte er. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Andre zulassen würde, dass er sich alleine mit dem Zauberer traf. Dazu traute wohl selbst er ihm zu wenig. Aber Zachary war auch klar, dass es keine Rolle spielte, ob Andre davon wusste oder nicht. Die Wache antwortete nicht, was Zachary als Nein interpretierte. Der Mann wusste wohl nicht, vor wem er im Zweifelsfall mehr Angst haben sollte,

Ismaiel, weil er Andre etwas mitteilte, dass dieser nicht wissen sollte, oder Andre, weil er das genaue Gegenteil tat. ,, Also gut.“ War das ein Fehler? Vermutlich. Würde es ihn daran hindern, sich mit dem Zauberer zu treffen? Nein. Was immer Ismaiel wollte, Zachary würde es sich zumindest anhören. Er konnte es jederzeit ausschlagen. Ismaiel würde nicht wagen sich Andre zum Feind zu machen. Oder ? So oder so, die Entscheidung war gefallen. ,, Wo finde ich ihn?“ ,, Als ich ihn das letzte Mal sah, war er auf dem Weg in die Katakomben.“ Der Soldat nickte in Richtung einer Treppe am hinteren Ende der Halle. Die

gewundenen Steinstufen führten scheinbar endlos in die Tiefe und das Gestein, auf welchem das Herrenhaus stand. Zachary wusste, was sich in den Kellern des alten Anwesens befunden hatte, doch was seit dem Wiederaufbau daraus geworden war, wusste er nicht. Trotzdem nickte er dem Mann nur kurz zu und machte sich dann auf den Weg die Stufen hinab. Schon nach wenigen Schritten in die Tiefe wurde es merklich kühler. Die Halle oben war durch Kohlefeuer und Kamine geheizt, doch hier unten gab es nur nackten, mit Moos bewachsenen Fels, der keine Wärme abgab. Am Ende der Treppe schließlich

führte ein leicht abschüssiger Gang weiter in die Tiefe. Ab und an waren Fackeln in die Wände eingelassen und sorgten für genug Licht, trotzdem machten Schmelzwasser und Moose den Boden tückisch. Zachary wusste nicht, wie lange er einfach geradeaus ging, ohne etwas anderes zu entdecken, als Stein und das nächste Stück Korridor. Dann jedoch sah er es. Ein Gitter, dessen schwere, eiserne Streben den Weg blockierten. In die Seite war eine Tür eingelassen. Zachary versuchte sie aufzuziehen. Selbst mit größter Anstrengung bewegte sich das Hindernis nur mühsam vorwärts und schleifte über

den Steinboden. Als er es jedoch etwa halb geöffnet hatte, war der Wiederstand plötzlich weg und er stolperte halb auf den Absatz einer weiteren, grob aus dem Felsen gehauenen Treppe hinaus. Vor ihm lag eine gewaltige Grotte, deren Decke von mehreren Granitsäulen getragen wurde. Blaues Feuer, dessen magischen Ursprung er bis zu sich spüren konnte brannte in mehreren Becken, die aus dem Gestein der Säulen herausgeschlagen worden waren. ,, Hallo ?“ Seine Stimme hallte unheimlich von den in der Dunkelheit verborgenen Wänden der Höhle wieder. Zachary wusste, dass es dumm war, Angst zu haben, trotzdem bereute er auf

einmal, sich so leichtfertig hierauf eingelassen zu haben. Götter, er hätte warten sollen, bis er noch einmal mit Eden sprechen konnte… Langsam um nicht doch noch zu stolpern stieg er die zweite Treppe bis zum Boden der Höhle hinab. Sein Schatten wurde dabei vom Licht der unsteten Feuer verzerrt und begleitete ihn als riesenhafte Erscheinung. Dunkelheit inmitten von Finsternis. Auf den ersten Blick schien niemand hier zu sein. Dann jedoch viel Zacharys Blick auf die von Säulen flankierte Mitte des Raumes. Dort, etwas über den unebenen Höhlenboden erhoben, befand sich eine Fläche aus Marmorplatten in den

unterschiedlichsten Formen. Geometrische Muster, die er nicht einmal benennen konnte fügten sich zu einem Gewirr aus Linien zusammen, das ganz offenbar mit reinem Gold ausgegossen worden war. In den unterschiedlichsten Winkeln, sich manchmal zu Bündeln sammelnd und manchmal einzeln, liefen alle Goldadern auf die Mitte der Marmorfläche zu, wo sie im Sockel einer großen Kristallschale verschwanden. Dieser bestand, im Kontrast zum hellen, im Licht der Feuer bläulichen Glanz der Schale aus dunklem Granit. Zachary war, als müsste er die allgegenwärtige Magie an diesem Ort aus

der Luft greifen können. Und in diesem Fall kam sie nicht nur von der Gestalt, die regungslos neben der Schale stand. Man hätte meinen können, Ismaiel bestünde aus demselben Material wie die Schale und die Steine. Zachary war sich einen Moment nicht einmal sicher, ob er Atmete. Dafür jedoch brodelte der Inhalt der Schale geradezu. Quecksilberne Flüssigkeit stieg auf, warf Wellen, die über den Rand des Gefäßes zu Schappen drohten, nur um dann doch vorher zu stoppen und zurückzusinken, fast wie ein lebendiges Wesen. Eine Schlange, die sich zum Angriff bereit machte und dann doch wieder zurück

schreckte. ,, Ihr wolltet mich sprechen ?“ Ismaiel regte sich. Gleichzeitig beruhigte sich das aufgewühlte Quecksilber und formte eine ruhige, vollkommen Ebene Fläche innerhalb der Schale. Zachary stellte fasziniert fest, das sich zwar der Raum, aber weder er noch Ismaiel darin spiegelten. Selbst wenn er keinerlei Begabung dafür besessen hätte, spätestens jetzt wüsste er, das er es mit Magie zu tun hatte. Und was für eine… Zachary hatte keine Ahnung, welchem Zweck dieser Raum diente, aber er beunruhigte ihn zutiefst. ,, Dein Vater weiß nicht, das du hier bist ?“ Ismaiel schien endlich völlig aus

seiner Trance aufgetaucht zu sein. ,, Nein.“ , antwortete er. ,, Wie ihr wohl wisst.“ Der Zauberer nickte, als hätte er genau diese Antwort auch erwartet. ,, Andre ist Schwach.“ , stellte er trocken fest. ,, Er ist klug wenn er will, aber ihm fehlt es an der nötigen Selbstbeherrschung. Wie dir, möchte ich hinzufügen. Nur das du über weit mehr angeborene Macht verfügst, als dein Vater je hoffen könnte zu besitzen. Ungelenk und ungestüm, ja. Aber mächtig.“ ,,Und doch habt ihr einmal befürchtet, ich könnte euch töten.“ , stellte Zachary fest. ,, So sehr, das ihr unbedingt einen Kampf vermeiden wolltet. Was ist daraus

geworden?“ Zachary wusste nach wie vor nicht, was hier gespielt wurde, aber er war entschlossen, es möglichst bald herauszufinden. ,, Ich wollte nicht gegen die kämpfen, weil du Lebendiger wertvoller bist. Und doch bist du von deinem wahren Potential so weit entfernt, wie ich und Andre davon, echte Verbündete zu sein.“ ,, Ihr habt ihn erst so weit gebracht.“ Der Zauberer schüttelte den Kopf und Schritt um das Quecksilberbecken herum. ,, Er ist für mich Mittel zum Zweck. Aber sein Krieg interessiert mich nur insofern, als das er meine Ziele

nährt.“ Ismaiel machte eine Handbewegung über der silbrigen Flüssigkeit, die sich daraufhin wie flüssiges Wachs verformte. Bizarre Formen und Figuren stiegen aus der Oberfläche auf und sanken mit einem Geräusch, das beinahe wie ein Seufzten klang wieder zurück. ,, Was ist das ?“ , wollte Zachary wissen und trat einen Schritt näher, jedoch nach wie vor darauf bedacht, einen gewissen Abstand einzuhalten. Und irgendetwas hielt ihn davon ab, auf eine der vergoldeten Linien zu seinen Füßen zu treten. ,, Man könnte es ein Portal nennen. Eine Stelle, an der sich Tot und Leben

überschneiden. Sag mir, was siehst du darin ?“ ,, Nur diese Höhle. Abgesehen davon, dass man uns nicht darin sieht, meine ich. Das heißt… was ich sehe ist gar kein Spiegelbild?“ ,, In gewisser Weise ist es beides. Ein Spiegelbild und doch auch ein teilweiser Einblick in das was… dahinter liegt. Deshalb kann man sich selbst nie darin sehen. Das würde immerhin bedeuten, man wäre tot. Ob es auf der anderen Seite jedoch wirklich so aussieht wie hier… Ich glaube mittlerweile, was man dort drin sieht, hängt immer ein wenig von der Person ab. Das Totenreich ist unendlich und hat viele mögliche

Facetten.“ ,, Und was seht ihr dann ?“ Ismaiel antwortete nicht, aber der Zauberer schien einen Moment in die Ferne zu Blicken. ,, Zu viel. Komm näher und sieh selbst.“ Zachary traute der Sache nicht. Trotzdem merkte er, wie er beinahe ohne es zu wollen einen Schritt nach vorne machte und dann noch einen, bis er direkt vor dem Becken stand. Das Quecksilber hatte sich inzwischen wieder beruhigt und bildete eine glatte Fläche, in der sich nach wie vor alles außer ihm selbst spiegelte. Irgendwie zogen ihn die Lichtreflektionen auf der silbrigen

Oberfläche in ihren Bann. Als müsste er nur die Hand ausstrecken und durch den flüssigen Spiegel hindurchgreifen um… Ja um was eigentlich zu tun ? Etwas zu suchen, oder zu holen vielleicht. Etwas, das in seinem Inneren flüsterte, im Zentrum seines Geistes, wo auch die Magie saß. Eine Stimme, obwohl unverständlich leise, der er sich nicht entziehen konnte. Und mit der Stimme kam ein seltsames Verständnis. Ein Gedanke und das Quecksilber nahm neue Formen an, unterwarf sich seinem Willen… Es wäre so einfach, die Grenze dort vor sich einzureißen, ja es war geradezu intuitiv simpel. Und doch war nie

jemand darauf gekommen, warum? Zachary hob eine Hand und Flammen sammelten sich auf seinen Fingerspitzen. Er kannte diese Macht, obwohl er nicht wusste, woher sie kam. Es war die gleiche Energie wie auch in der Träne. Unbändige Magie, der nur eine Form gegeben werden musste. Und die leise Stimme in seinem Verstand wusste wie… ,,Genug !“ Jemand riss ihm vom Becken zurück, weg von der Stimme. Macht und Wissen waren auf einen Schlag zu Nichte, ersetzt durch eine beinahe erschreckende leere und Schwäche. Götter, was sie Magie nannten, es war erbärmlich im

Vergleich zu dem, was das Ding hinter der Spiegelung wusste. Eine Weile stand Zachary wie erstarrt da, darum kämpfend, die Kontrolle zurück zu gewinnen. Er war immer noch er. Beinahe hätte ihn dieses Etwas so weit gehabt, das er es bereitwillig angenommen hätte. Und dann ? Er schüttelte die grenzenlose Verachtung ab, die nicht die seine war. Die wirren, von Jahrhunderten im Nichts chaotisch gewordenen Gedanken. Ismaiel musterte ihn neugierig und scheinbar selber überrascht. ,, Das war schon mehr, als jeder Mensch ertragen sollte.“ , stellte er ruhig fest. ,, Du bist mehr wie ich, als alle Zauberer

die mir bisher untergekommen sind. Wir könnten sie befreien, Zachary. Wenn du mit mir zusammen arbeiten würdest… Du könntest der Schlüssel zur Rettung meines Volkes sein. Das, was ich schon so lange suche. Aber ich kann dich weder töten, noch dazu zwingen.“ Zachary hielt inne. In seinem Kopf schrillte eine ferne Alarmglocke. Genau das wollte er. Eden befreien. Und diese entsetzliche Schwäche wieder loswerden, die ihm grade offenbar geworden war. Es war, als hätte jemand eine Augenbinde abgenommen, von der er gar nicht wusste, das er sie getragen hatte. Aber der Preis dafür… Er hatte ein Versprechen gegeben. Eines, das ihm

seltsam unbedeutend vorkam. ,, Wenn ich dir dein volles Potential eröffne…“ Ismaiel ergriff seine Hand und erneut war da dieser fremde Strom aus Wissen und Macht, in den er nur eintauchen, aus dem er nur Schöpfen müsste, was er brauchte, wenn er es den wagte. ,, Dir den Pfad zeige…was würdest du damit tun ?“ Zachary sah auf und sein Blick traf die gelblichen, alterslosen Augen des Magiers. Er kannte die Antwort, die er geben musste. Und er fand, dass es ihm gleichzeitig unmöglich war zu Lügen. ,, Ich weiß es nicht sicher.“ , antwortete er. ,, Aber ich schätze ich würde euch

vernichten.“ Er sah nicht weg, sah weiter in die Augen des Wesens, das so viel Zerstörung über diese Welt gebracht hatte, das ihm und Eden wenn auch in Andres Auftrag so viel Leid zugefügt hatte. Es gab nichts, das Ismaiel ihm noch bieten konnte, das das wieder gut machen könnte. Der Zauberer ließ seine Hand los, als hätte er sich verbrannt und tatsächlich trat ein schmerzverzerrter Ausdruck auf sein Gesicht. ,, Geh…“ Er deutete zur Treppe, die aus der Höhle führte, während er sich mit der anderen Hand an einer der Säulen abstützte. ,, Verschwinde von

hier…“

Kapitel 112 Unerwartete Verbündete


Eine Ansammlung Zelte schmiegte sich an den Rand eines kleinen Fichtenhains. Eiskristalle hatten sich auf den gespannten Leinen gebildet und klirrten im Wind. An manchen Stellen ragten Baumstümpfe aus der zugeschneiten Landschaft, dort, wo die Lagernde Armee Holz für Feuer und eine Reihe noch im Aufbau befindlicher von Hütten geschlagen hatte. Cyrus saß unter einer einfachen Plane und sah den träge fallenden

Schneeflocken zu. Der Wolf hob sich als dunkler Schatten aus der ansonsten weiß getünchten Landschaft ab. Unruhig trommelten seine Finger auf das Holz der grob gezimmerten Bank auf der er saß. Sie waren in den letzten Wochen stetig weiter nach Norden gezogen, trotz aller Verluste und dem näher rückenden Winter. Silberstedt war praktisch zum Greifen nahe gewesen, auch wenn niemand wusste, ob sie überhaupt noch genug Leute hätten, um die Stadt einzunehmen. Cyrus war das ohnehin egal gewesen. Hauptsache, sie kämen Eden näher. Ihre Verluste kamen mittlerweile nicht

mehr nur von der Schlacht an der Waffenschmiede und der Falle, der sie dort grade noch entgangen waren. Vor allen die Gejarn hatte Fenisins Tod entmutigt und einige waren nach dem Verlust ihres Ältesten nach und nach in die Herzlande zurückgekehrt. Und als wäre das nicht genug, war der erste Schnee gefallen, bevor sie die Berge auch nur sehen konnten. Der Weg der Armee war damit zu Ende gewesen. Cyrus wusste, dass es Wahnsinn wäre, den Versuch zu wagen, die Pässe im Winter mit tausenden Männern samt Ausrüstung zu passieren. Vermutlich würden sie alle nur dabei erfrieren. Und Andre kannte und

kontrollierte die Gegend… Diese Erkenntnis nützte ihm aber nur wenig. Er würde nicht bis zum Frühjahr warten. Mit stummer Wut und Ungeduld sah er auf das zunehmend mehr befestigte Lager hinaus. Am Anfang hatte er noch Hoffnung gehabt, das Wetter könnte noch einmal Umschlagen und ihnen damit die so dringend benötigte Zeit erkaufen. Doch das war nicht passiert. Stattdessen war die Welt endgültig unter einer dicken Schicht Weiß verschwunden. Sie saßen hier fest… Einige der Soldaten hatten bereits damit begonnen, sich feste Hütten zu bauen um sich vor der Kälte zu schützen. Wenigstens

Holz gab es hier genug und in den Wäldern fand sich noch reichlich Wild um ihre schwindenden Vorräte aufzubessern. Davor, entdeckt zu werden mussten sie wohl auch keine Angst mehr haben. Im Winter würde auch Andres Feldzug ins Stocken kommen müssen, es sei denn er wollte riskieren, noch mehr Männer zu verlieren. ,, Ihr habt doch nicht etwa aufgegeben, oder ?“ , fragte eine Stimme vertraute Stimme und kurz darauf tauchte auch die dürre, hochgewachsene Gestalt Eriks im Zelteingang auf. ,, Das wäre dann nämlich wirklich ein Grund sich Sorgen zu

machen.“ Unaufgefordert setzte sich der Arzt zu ihm auf die Bank, in der einen Hand eine brennende Pfeife. ,,Nein. Noch nicht zumindest.“ Aber der immer noch fallende Schnee trug nicht dazu bei, seine Laune zu heben. ,,Ich frage nur ,weil ihr ausseht, als hätte euch jemand gezwungen ein Glas Essig zu trinken.“ ,,Erik…“ Er seufzte. ,, Eden ist da draußen. Und Zachary auch. Und ich habe keine Ahnung, wie es ihnen geht, bis wir Silberstedt erreichen. Wenn das Wetter sich nicht bessert…“ ,, Ihr denkt nicht wirklich darüber nach alleine zu gehen, oder

?“ ,, Welche andere Möglichkeit habe ich den ?“ ,, Keine die euch überzeugen würde, Cyrus.“ , stellte der Arzt fest und nahm einen Zug aus der Pfeife. ,, Ich warte noch drei Tage.“ , erklärte der Wolf. ,, Diese Zeit brauche ich um Vorräte und Ausrüstung zusammen zu packen. Dann breche ich auf, egal was irgendjemand sagt.“ ,, Nun ich halte euch bestimmt nicht auf. Eigentlich dachte ich sogar daran mitzukommen.“ ,, Im Winter über die Berge ? Das ist Wahnsinn, Erik.“ Der Mann war immerhin nicht mehr der Jüngste.

Trotzdem rang Cyrus sich ein Lächeln ab. ,, Schön, das ihr das auch endlich zugebt.“ ,, Bei mir ist das etwas anderes. Ich… kann nicht einfach hier herumsitzen und nichts tun. Selbst wenn das heißt, dass ich irgendwo auf einem Fels-Grat erfriere…“ ,,Genau so wenig wie ich, alter Freund. Und Eden reißt mir vermutlich ohnehin den Kopf ab, wenn ich zulasse, dass ihr euch wegen ihr in euren Tod stürzt, wenn ich das bemerken darf. Ich bin also im gleichen Dilemma wie ihr.“ ,, Und ich kann euch vermutlich auch nicht zum Bleiben überreden, wie

?“ Der Arzt lachte. ,, Nein, das könnt ihr nicht. Die einzige Person die…“ Weiter kam er nicht. Aufgeregte Rufe drangen vom Lager her zu ihnen. Nicht das übliche Durcheinander aus Stimmen und dem Klang der Werkzeuge, sondern das Rasseln von Metall und das Geräusch von Soldatenstiefeln, deren Besitzer Aufstellung nahmen. Cyrus war sofort aus dem Zelt, die Axt in der Hand. Zwar schneite es mittlerweile weniger dicht, doch weit sehen konnte er nach wie vor nicht. Erik folgte ihm, genau so angespannt. So schnell sie konnten liefen sie auf den Ursprung des Lärms zu, vorbei an den

Zelten und noch im Bau befindlichen Hütten. Diese waren plötzlich verlassen worden, Werkzeuge und Ausrüstung dort in den Schnee gefallen, wo ihre Besitzer sie fallen gelassen hatten. Cyrus erkannte, dass sich mindestens dreihundert Mann am Südlichen Ende des Winterlagers versammelt hatten, alle in voller Linien-Uniform und bewaffnet. Aber was der Grund für die Aufregung war, konnte er nach wie vor nicht erkennen. Er sah sich um und entdeckte Kellvian, Jiy, Lucien, Zyle und die anderen, die sich um einen Mann in Botenuniform versammelt hatten. Der Späher atmete schwer und redete so abgehakt, dass

Cyrus Mühe hatte, alles zu verstehen. ,, Im Wald… müssen direkt hinter mir sein. Eine ganze Armee…“ Kellvian, wie die anderen in schwere Winterkleidung gehüllt, beugte sich zu dem Mann herab und legte ihm eine Hand auf die Schulter. ,, Ganz ruhig. Was habt ihr genau gesehen?“ ,, Ich glaube, ich weiß es.“ , bemerkte Syle und deutete mit der Hand auf etwas, das sich im Schneegestöber über den Wipfeln eines nahen Walds bewegte. Irgendjemand war dort draußen. Kellvian sah in die Richtung, in die Syle wies. Und was er dort sah, erschreckte ihn. Lanzenspitzen, an denen farbige

Wimpel wehten, tanzten im Takt mit den Schritten ihrer Träger über den Bäumen. Einen Moment fürchtete er, Andre hätte sie doch irgendwie gefunden, aber… wenn seine Söldner nicht ihre Bewaffnung geändert hatten, war das eigentlich Unmöglich. In dem Fall sollten sie Musketen sehen, keine Hellebarden… Er gab den versammelten Männern ein Zeichen, sich zurück zu halten. Wer immer dort draußen war, er wollte ihn erst sehen können. Und dann tauchte die erste Gestalt aus dem Wald auf. Ein Mann in einem schweren, gegen die Kälte mit Wolle gefütterten, Plattenpanzer. Ein roter Umhang mit

goldenen Ziernähten fiel ihm über den Rücken und sein Gesicht wurde von einem geschlossenen Helm verborgen. An seinem Gürtel zwei seltsam anmutende Schwerter, eine Mischung aus Degen und Breitschwert, die Kellvian schon einmal irgendwo gesehen hatte. Zwei ähnlich gekleidete Gestalten flankierten die erste, nur das ihre Mäntel keine Verzierungen aufwiesen und sie statt mit Schwertern mit Hellebarden bewaffnet waren. Kellvian merkte, wie Zyle neben ihn trat. Das waren weder Truppen der Garde noch des Aristokratenbundes. Das hier… waren Paladine. Aus Helike. Und der Mann in dem Goldumhang war wohl

ihr Anführer. Relina erkannte das offenbar auch, denn die Gejarn wich misstrauisch ein Stück zurück. Verständlich, dachte Kell. Das letzte Mal, als sie Kriegern wie diesen gegenüber gestanden hatte, waren diese drauf und dran gewesen, sie und alle anderen Abtrünnigen zu töten. Aber seit dem die Hälfte des Archontenrats ein recht unrühmliches Ende gefunden hatte, hatten sich die Dinge in Laos wohl geändert. ,, Canton heißt euch willkommen.“, rief Kellvian ihnen zu. Mittlerweile waren dutzende weitere Kämpfer zwischen den Bäumen aufgetaucht und weitere näherten sich über die schneebedeckte

Ebene. ,, Es gibt keinen Streit zwischen uns und Helike. Was wünscht ihr also?“ Zumindest hoffte er dass seine Worte der Wahrheit entsprachen. Die Situation war nach wie vor angespannt und noch war nichts entschieden… Der Anführer hob eine Hand und bedeutete seinen Männern damit, zurück zu bleiben, bevor er durch den Schnee auf sie zukam. Mit einer Hand griff er unter den Rand seines Helms und zog das schwere Stück Metall aufatmend von seinem Kopf. Es war ein Gejarn. Das graue Fell war im Farbton beinahe identisch mit Zyles und hätten die beiden nebeneinander gestanden, hätte man sie wohl nur

Aufgrund ihrer Kleidung unterscheiden können. ,, Laos, es ist kalt hier.“ , erklärte Wys und sah sich in der Runde um. ,, Und ich sende euch Grüße von Jona, Kellvian. Leider hat er mich nicht begleitet, trotzdem bin ich hier. Wie versprochen. Wir haben bereits gehört, was vor sich geht.“ Der Archont zog das Schwert und bot mit der Waffe einen kurzen Salut. ,, Wir sind fast zweihundert der Besten Kämpfer, die Helike zu bieten hat und uns folgen noch einmal mindestens siebentausend Lanzenträger. Zusammen mit etwa zwanzigtausend Hilfssoldaten. Sie unterstehen alle euch…“ ,, Hallo Bruder.“ Wys geriet ins

Stocken, als sein Blick zu dem Sprecher wanderte. Zyle stand mit versteinerter Miene da, die Worte klangen weder freundlich noch böse. ,,Du lebst…“ Der Archont ließ das Schwert fallen, das daraufhin lautlos im Schnee verschwand. ,, Aber wie ?“ Einen Moment standen sich die beiden Brüder schweigend und wie festgewachsen gegenüber, jeder offenbar darauf wartend, dass der andere zuerst wieder etwas sagen würde. Dann jedoch fielen sie sich fast gleichzeitig in die Arme. ,, Wo hast du gesteckt, verflucht ?“ , fragte Wys lachend. ,, Ich dachte wirklich du… Laos, wie hast du

Überlebt? Ich habe den ganzen Hafenbezirk nach dir absuchen lassen, noch bevor die Asche ganz kalt war, aber…“ ,, Ich war tot.“ , Zyles Stimme klang unsicher. ,, Oder bin es noch. Aber das ist jetzt nicht wichtig, Wys. Du hattest keine Wahl. Und du bist immer noch mein Bruder, daran wird sich nie etwas ändern… auch wenn du in Zukunft etwas besser aufpassen könntest, auf wessen Seite du stehst.“ Relina räusperte sich hörbar, doch für den Moment achtete keiner der beiden darauf. Die Brüder hatten wohl noch etwas mehr nachzuholen und zu verzeihen, als Zyle und die

Magierin. ,, Ich danke dir.“ Wys beugte den Kopf. Jetzt erst wendete sich Zyle der Schakalin zu. ,, Ich darf also vorstellen, Archont Wys Carmine. Mein Bruder. Falls du mir das bisher nicht glauben wolltest.“ ,, Ein Archont… dein Bruder.“ Relina schüttelte den Kopf, dann jedoch lächelte sie nur. ,, Ich bezweifle, dass du mich noch mit etwas überraschen kannst, Zyle.“ Wys musterte die fremde Gejarn offenbar genau so unsicher und neugierig wie diese ihn. Vielleicht auch mehr. Auch der schwere Wintermantel, den sie trug konnte die zunehmenden Rundungen

ihres Körpers nicht mehr verbergen. Er wusste wohl, wer sie war, aber nicht, was er von der Situation halten sollte. ,, Sieht so aus, als hätte ich einiges verpasst.“ , stellte der Archont schließlich fest. ,, Und ich wünschte wirklich, ich könnte sagen, dass ich nie hinter dem stand, was die übrigen Archonten taten, aber das wäre eine Lüge. Ich habe eure Situation schlicht nicht verstanden, bis es zu spät war. Sonst hätte ich es… vielleicht verhindert.“ Zyle wartete sichtlich angespannt darauf, was Relina erwidern würde. Kellvian war sich ebenfalls nicht sicher. Nach allem, was er gesehen und gehört hatte, konnte

sie ihn entweder ignorieren oder gleich in einen lebenden Feuerball verwandeln. Doch nichts dergleichen geschah. ,, Schon gut.“ , meinte sie. ,, Wie mir scheint, seid ihr wirklich sehr wie euer Bruder. Wenn ich ihm vergeben kann… dann auch euch.“ Der Archont deutete erneut eine leichte Verbeugung an. ,, Ich danke euch . Er ist ein guter Mann.“ Ob er bereits erraten hatte, was zwischen Zyle und Relina war, oder ob es allgemein gedacht war, die Magierin nickte. ,,Ja… Ich habe das nur zu spät wieder erkannt.“ Kellvian wollte sich ungern einmischen,

aber er konnte sie auch nicht alle Ewig in der Kälte herumstehen lassen. ,, Verzeiht. Wys, ich denke euren Leuten wird etwas Ruhe ganz recht sein. In der Zwischenzeit könnten wir euch die Lage erörtern. Es gibt wohl so einiges, das ihr immer noch wissen solltet.“ Der Archont nickte und mit Zyle und den anderen im Schlepptau machten sie sich auf den Weg zurück ins Lager.

Kapitel 113 Aufbruch


Wys Ankunft änderte alles. Mit der Verstärkung aus Helike wären sie nicht länger eine geschwächte Streitmacht auf einem Weg, der vielleicht ihren Untergang bedeutete. Auch wenn es wohl etwas Überzeugungsarbeit brauchen würde, bis Paladine und kaiserliche Garde wirklich zusammenarbeiten und einander vertrauen würden, da machte Zyle sich keine Illusionen. Aber er hatte durchaus vor, genau diese Arbeit zu leisten, wenn es nötig wurde. Doch in der Zwischenzeit hatte er noch

etwas anderes zu erledigen. Der Gedanke brachte ihn zum Lächeln, als er, eine schwere Tasche in der verschiedene Werkzeuge klimperten auf dem Rücken, durch den Schnee stapfte. Wys war hier… und Relina hatte ihm in Erindal tatsächlich verziehen… Auch wenn es jetzt schon eine Weile her war, ihm war nach wie vor, als könnte er auf Wolken gehen. Ihre Zukunft war noch unsicher. Aber was immer vor ihm lag konnte es kaum mit all dem Aufnehmen, das er schon hinter sich hatte. Wys beriet sich nach wie vor mit Kellvian und den anderen, er jedoch hatte sich frühzeitig verabschiedet. Heute würde ohnehin nichts entschieden

werden, es ging nur darum, fürs erste einen sicheren Platz für die Männer aus Helike zu finden. Zyle stapfte durch den Schnee auf eine halb fertige Hütte zu. Zwei Seitenwände und ein Teil des Dachs standen bereits, wenn auch noch durch ein Geflecht aus Tauen und Stützbalken aufrecht gehalten. Das war nicht ganz einfach gewesen, aber er hatte ja auch etwas Hilfe gehabt, dachte Zyle. Es hatte durchaus seine Vorteile, Hochgeneral zu sein. Auch was Werkzeuge und ähnliches anging, waren die Schmiede der Armee sofort bereit, ihm zu helfen. Es war nur eine simple Blockhütte und selbst wenn es fertig war würde der Bau

wohl grade bis zum Frühjahr halten, aber es war die Arbeit seiner eigenen Hände. Selbst für ihn gab es solange sie festsaßen nicht viel zu tun und so hatte er schon bald wie so viele begonnen, sich einen etwas komfortableren Unterschlupf, als die kaum isolierten Zelte zuzulegen. Schon alleine wegen Relina. Mit etwas Glück wäre er in einigen Tagen fertig. Sie wusste nichts davon und wenn es nach ihm ging, sollte das erst einmal so bleiben. Auch wenn das bedeutete, das er langsamer voran kam. Anfangs hatten er sich noch von einigen der erfahreneren Baumeister in dem ständigen Zug, der die Garde begleitete,

helfen lassen, doch mittlerweile war das wichtigste Erledigt und er müsste sich nur noch an ihre Vorgaben halten, wenn er neue Balken für Wände oder Böden einsetzte. Mit bereits geübten Bewegungen schlug er einige neue Bretter als Verschalung an die bereits stehenden, groben Wände. Das würde den Wind abhalten. ,, Also hier schleichst du dich in letzter Zeit herum, wenn dich niemand finden kann ?“ ,, fragte jemand hinter ihm. Relina stand, in einen schwarzen Wollmantel gehüllt, vielleicht zwanzig Schritte von ihm entfernt. Er hatte weder ihre Schritte gehört, noch gemerkt, wie sie die Versammlung kurz

nach ihm verlassen haben musste. Eine grade Spur im Schnee führte von ihr aus zurück zu den Zelten. ,, Das sollte eigentlich eine kleine Überraschung werden.“ , erklärte er unsicher, was sie davon halten würde. Nach wie vor behandelte er das was zwischen ihnen war wie etwas unglaublich zerbrechliches. Und vielleicht hatte er auch allen Grund dazu, dachte der Schwertmeister bei sich. Die Magiern schüttelte den Kopf, während sie zu ihm trat. ,, Du bist völlig verrückt, weißt du das ?“ Bevor er etwas erwidern konnte, hatte sie ihm bereits einen Kuss auf die

Lippen gedrückt. ,, Aber du solltest hier draußen wirklich nicht alleine in der Kälte stehen.“ ,, Nun das bin ich ja jetzt nicht mehr.“ Ihre Lippen fanden sich erneut. Vielleicht würde es noch eine Weile dauern, bis alles wieder so wie früher werden würde. Möglicherweise ein Leben lang. Aber die alte Vertrautheit kehrte bereits wieder zurück. ,, Ich hoffe nur, es geht Eden gut.“ , meinte Relina plötzlich, während sie sich in der Nähe auf einem umgestürzten Baumstamm niederließen. Das Stück Holz war alles, was an dieser Stelle von dem kleinen Wäldchen geblieben war, aus welchem die Gardisten Feuer und

Bauholz holten. ,, Wenn nicht bezweifle ich, das Andre noch jemand den Prozess machen kann, wenn Cyrus mit ihm fertig ist.“ ,, Du glaubst wirklich, er würde sich gefangen nehmen lassen ?“ ,, Ich weiß es nicht. Dafür kann ich glaube ich zu wenig nachvollziehen, wie dieser Mann denkt. Er stirbt, so oder so. Jetzt wo Wys hier ist… Wenn wir es über die Berge schaffen, ist er erledigt. Entweder, Kellvian lässt ihn hinrichten oder für den Rest seines Lebens in irgendeinem Verließ vermodern. Es ist bald vorbei.“ , erklärte er und versuchte dabei zuversichtlicher zu klingen, als er sich fühlte. Andre war vielleicht ihr

geringstes Problem. Schließlich war da immer noch Ismaiel und was der Erzmagier des alen Volkes tun würde, wenn sie ihn in die Enge trieben… Zachary wusste nicht, ob sie ihn im Zweifelsfall überhaupt aufhalten konnten. ,, Und wie geht es dir ?“ Relina öffnete den Mund, wie um zu antworten, dann jedoch hielt siewieder inne. Zyle wusste nicht, was in ihr vorging, aber er konnte spüren, dass sie lange nachdachte. ,, Eine ehrliche Antwort ? , fragte die Magiern schließlich und legte eine Hand auf ihren Bauch. ,, Ich habe mich in meinem Leben selten so unsicher gefühlt.“ Sie lächelte trotz des besorgten

Ausdrucks auf ihrem Gesicht. ,, Kann man etwas Lieben, das man noch nicht einmal gesehen hat ? Zyle wusste die Antwort nicht, so gerne er selbst diese flüchtigen Bedenken ihrerseits zerstreut hätte Stattdessen jedoch legte er nur einen Arm um sie und zog sie an sich. Relina ließ es geschehen und vergrub das Gesicht einen Moment an seiner Schulter. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, wie ausgerechnet er einmal so viel Glück haben konnte. Was immer auch geschehen würde, e wusste, das er eher noch einmal sterben würde, bevor Relina etwas Geschah… oder dem Kind. Nein er hatte keine Antwort auf ihre Frage. Aber

er wusste genau, was sie fühlte. Wenn Andre endlich in seine Schranken verwiesen worden war, könnten sie vielleicht nach Maras gehen. Zumindest bis das Kind auf der Welt war. Und wenn es vorher geboren wurde ? Es war nur ein diffuser Gedanke, aber er ließ ihn nicht wieder los. Mitten im Winter… Nun wenigstens wäre Erik in der Nähe. Er vertraute darauf, dass der Mann im Notfall schon wusste, was er tat. Und Mhari… die Älteste hatte bereits bewiesen, dass sie zumindest ein paar Dinge über Heilung wusste…Es würde schon alles gut werden, sagte er sich. Kellvian war alleine in dem großen Zelt

zurück geblieben, nachdem sich die Anderen zerstreut hatten. Eiserne Kohlebecken, in denen kleine Feuer brannten sorgten dafür, dass es unter der bläulich schimmernden Stoffplane fast unangenehm warm war. Trotzdem hatte er Handschuhe und Mantel anbehalten. Einen Arm auf der Oberfläche eines aus übrig gebliebenen Bauholz gefertigten Tischs gestützt besah er sich noch einmal die Karten. Die Berge waren vielleicht noch ein paar Tagesreisen entfernt. Trotzdem saßen sie hier fest, mindestens, bis Tauwetter einsetzte. Trotz Cyrus Eile und seinem eigenen Wunsch, diesen Konflikt endlich zu Ende zu bringen… er würde nicht

riskieren, seine Leute auf eine tödliche Hatz durch die Wirren der Pässe zu schicken. Wenn sie den direktesten Weg nahmen, würde dieser sie wohl weit entfernt von der Ordensburg nach Norden und damit nach Immerson hinein führen. Wenigstens also, mussten sie nicht damit rechnen, dass ihnen eine schwer bewachte Festung den Weg blockierte. Aber Andre war nicht dumm. Selbst wenn ihnen Eis und Schnee nicht im Weg wären, er hatte sicher sämtliche größeren Bergpfade bewachen lassen. Und er hatte Eden und Zachary. Götter, was sollte er denn tun? Weiter hier bleiben und auf das Frühjahr warten… oder weitere Leben riskieren um zwei zu

retten? Es gab keine richtige Antwort. Er wusste, die Garde würde tun, was immer er Befahl. Die unerschütterliche Loyalität seiner Männer machte die Entscheidung aber auch nicht unbedingt leichter. Nach Rolands Tod lag die Entscheidung jetzt alleine bei ihm und Zyle. Vielleicht sollte er Jiy um Rat fragen. Wenn jemand noch eine Idee hatte, die ihm entgangen war, dann sie. Die Gejarn war bereits mit Wys und den anderen nach draußen gegangen um mit ihm einen Lagerplatz für die Paladine aus Helike zu suchen und alles zu organisieren. Mit der Ankunft dieser unerwarteten Hilfe war ihre gesamte

Logistik plötzlich in Gefahr. Vermutlich würden sie in den Dörfern in der Nähe sämtliche Vorräte erwerben müssen, die man ihnen anbieten konnte. Und das nur um über den Winter zu kommen. Für die Reise über die Berge würden sie spätestens dann wieder eine Versorgungsader in die Herzlande organisieren müssen. Es gab so viel zu bedenken, so viel, das ihnen nach wie vor einen Strich durch die Rechnung machen konnte. Kellvian wendete sich vom Tisch ab. Im Augenblick sollte er sich erst einmal auf das Naheliegende konzentrieren. Alles andere würde sich hoffentlich ergeben. Er spürte einen kalten Luftzug, als die

Zeltplane zurück geschlagen wurde und rechnete halb damit, Jiy oder vielleicht Wys zu sehen, die zurückkamen. Die Gestalt, die jedoch eintrat war eine ältere Gejarn mit ergrautem Pelz und hellen, bernsteinfarbenen Augen. Kellvian war Mhari bis jetzt ein kleines Rätsel. Manchmal erinnerte ihn ihr Auftreten nicht nur entfernt an Melchior. Dann wieder diskutierte sie mit Erik, manchmal so lautstark, dass die Gardisten dazwischen gingen. Offenbar brachte sie fertig, was sonst nur selten geschah, sie brachte die Geduld des Arztes an einem empfindliche Grenze. ,, Kellvian ? Ich dachte nicht, das ihr

noch hier seid.“ ,, Nun wo sollte ich sonst sein…“ Er machte eine Geste in Richtung der Karten und Papiere auf dem Tisch. ,, Nach allem, was mir unsere Späher sagen, hält sich Andre mittlerweile recht bedeckt. Vermutlich riskiert er selber nicht, unnötig Truppen zu verlieren, wenn er sie in die Kälte schickt.“ ,, Und er glaubt , er wäre uns los.“ Kellvian wurde hellhörig. ,, Seit ihr euch da so sicher ? Er wird sicher nicht Ruhe geben, bis er meine Leiche hat. Ich meine, er hat uns schwer getroffen, aber… wenigstens wir haben alle Überlebt. Oder zumindest… fast alle.“ Mhari nickte. ,, Fenisins Tod bedeutet

einen schweren Schlag für die Clans.“ ,, Und für euch ?“ ,, Für uns alle.“ , antwortete die Löwin ausweichend. ,, Und doch werden die Clans euch bis zum Ende zur Seite stehen. Und darüber hinaus. Im Gegensatz zu Andre habt ihr bereits bewiesen, dass ihr keine Willkür gegen uns dulden werdet. Ihr seid kein Tyrann, so viel kann ich über euch sagen.“ ,,Vielleicht.“ Aber manchmal war er in den letzten Monaten kurz davor gewesen, Dinge zu tun, die er bereut hätte, nicht? ,, Aber ohne Jiy würde ich vielleicht genau das werden. Sie… hält mich auf dem Boden, schätze

ich.“ Bevor die Gejarn darauf etwas antworten konnte, wurde die Plane vor dem Zelteingang erneut zur Seite geschlagen. Diesmal war der Neuankömmling jedoch nicht alleine. Cyrus trat, gefolgt von Erik in das Zelt, auf dem Rücken einen gepackten Rucksack. Auch der Arzt schleppte eine Tasche mit sich herum, in der sich vermutlich seine übliche Ausrüstung befand. ,, Ich breche auf.“ , erklärte der Wolf ohne zu zögern. ,, Jetzt, wo wir nicht mehr auf jeden Mann angewiesen sind, hält mich nichts mehr hier.“ ,, Und ich werde ihn begleiten.“ , fügte Erik

hinzu. Kellvian hatte damit gerechnet, seit sie aus Andres Falle entkommen waren. Nur das die beiden sie so plötzlich verließen war überraschend. ,, Ich kann euch nicht aufhalten.“ , meinte er. ,, Und das werde ich auch nicht. Aber könnt ihr nicht noch eine Woche warten? Vielleicht bessert sich das Wetter wieder, dann können wir alle gemeinsam gehen. Eden ist zäh und Andre wird Zachary doch nichts tun…“ ,, Ihr bittet mich darum, die Frau die mir mein Leben bedeutet länger als unbedingt nötig in der Hand eines… Monsters zu lassen, dem ihr Leben weniger als nichts wert ist, Kellvian.“ ,

stellte Cyrus kühl fest. ,, Ich hatte es nicht…“ Der Wolf hob beschwichtigend eine Hand. ,, Schon gut. Nein. Ich gehe alleine.“ ,, Ihr wisst, das das Wahnsinn ist.“ , stellte Mhari mit einem Blick in Richtung Erik fest. ,,Selbst wenn ihr beide sie wiederfindet, was wollt ihr tun ? ,, Ich weiß es nicht.“ , gab Cyrus offen zu. ,, Und das ist auch erst einmal nicht wichtig. Wahnsinn hin oder her, ich bringe sie und Zachary zurück, euren Segen brauche ich dafür nicht.“ ,, Und eigentlich wollte ich das du mitkommst.“ , fügte Erik noch hinzu.

,, Du hast einen Plan ?“ , wollte die Gejarn wissen. ,, Ich habe nie einen Plan. Zumindest den Großteil der Zeit nicht. Das solltest du doch langsam wissen. Aber du kannst vergessen,d as ich dich alleine hier lasse, damit du hier alles auf den Kopf stellst. Es reicht grade schon wenn du Kellvian irgendwelche Flausen in den Kopf setzt.“ ,, Ich dachte dafür wärst du zuständig.“ Mittlerweile sahen sowohl Cyrus als auch Kellvian verwirrt zwischen den beiden hin und her. ,, Lage Geschichte.“ , meinte Erik schließlich nur. ,, Also

?“ ,, Also brechen wir auf.“ , erwiderte die Älteste.

Kapitel 114 Abschied


Cyrus war vielleicht der einzige, den Wys Ankunft nicht in Hochstimmung versetzt hatte und sich bis jetzt nicht von der Begeisterung hatte anstecken lassen. Sicher, im Frühjahr gab es damit neue Hoffnung für sie, aber es änderte nichts an der Tatsache, dass sie Silberstedt nach wie vor keinen Schritt näher kamen. Er musste gehen. Er warf einen letzten Blick zurück über das Schneebedeckte Lager. Offenbar waren fast alle hier um ihn, Erik und Mhari zu verabschieden. Warum die Älteste sich plötzlich entschieden hatte

sie zu begleiten, war ihm zwar nach wie vor ein Rätsel, aber je mehr sie waren, desto besser waren wohl auch ihre Erfolgschancen. Drei Leute würden Andres Spähern wohl nicht auffallen, falls er auf den Straßen die sie benutzen würden überhaupt welche hatte. Auch der Herr Silberstedts konnte nicht alle Wege über die Berge bewachen lassen und ohne eine Armee im Schlepptau konnten sie sich sogar einfach durch die Wildnis schlagen. Sie würden es schaffen, dachte er mit einer Spur des alten Optimismus. Und mit einem hatte Kellvian wohl Recht. So schnell ließen sich weder Eden noch Zachary klein kriegen. Es würde, musste, ihnen gut

gehen. Jetzt, wo er wusste, das hier alle in Sicherheit waren, dank Wys Leuten, gab es für ihn kein Halten mehr. Cyrus hatte nicht vor sich lange zu verabschieden. Aber etwas musste er doch wissen, wenn es möglich war. Melchior stand am Rand der kleinen Gruppe bestehend aus Kellvian, Jiy, Relina, Zyle und Wys. Syle, Quinn und Lucien hingegen standen etwas abseits. Cyrus wusste, die meisten würden ihn begleiten, wenn er fragen würde. Manche würden ihn wohl auch so folgen wollen, wenn sie nicht andere Verpflichtungen hier halten würden. Und er würde es auch nicht zulassen, dachte der Wolf.

Sie würden alle hier gebraucht. Aber er musste mit Melchior sprechen. Cyrus ging mit wenigen großen Schritten auf den Seher zu, der scheinbar überrascht eine Augenbraue hochzog. ,,Ich kann nicht wissen, ob ihr zurück kommen werdet, noch ob ihr Erfolg haben werdet, Cyrus.“ , erklärte er ruhig. ,,Deshalb bin ich nicht hier, Melchior. Und ihr wisst, dass ich gehen würde, selbst wenn ihr es mir verraten könntet. Aber sagt mir wenigstens eins… Lebt sie noch? Melchior, sagt mir nur das…“ Der Seher zögerte, auf seinen Stab gestützt. Seine weißen Augen schienen in weite Ferne und an Cyrus vorbei zu

blicken. ,,Sie lebt.“ , sagte er schließlich in einem Tonfall, der Cyrus nicht gefallen wollte. Aber er wusste auch, das er sonst keine Antworten bekommen würde. Und dieses Wissen reichte ihm schon. Sie lebte noch. Und wenn sie noch lebte, ging es Zachary hoffentlich auch gut. Er würde nicht ohne ihn und Eden zurückkehren. ,,Ich danke euch.“ , sagte er schließlich und wendete sich zum Gehen. Cyrus wollte das verbliebene Tageslicht so gut wie möglich nutzen. Vielleicht würden sie vor Einbruch der Nacht bereits die Berge sehen können. Bevor er jedoch dazu kam, trat Zyle

einen Schritt vor. ,,Erik, wartet einen Moment bitte. Ihr auch Mhari. Bitte, auf ein Wort. Ihr werdet uns beide verlassen?“ Die Gejarn und der Arzt nickten. ,, Keine Sorge, ich habe durchaus vor, ebenfalls zurück zu kehren.“ , meinte Erik mit einem kurzen grinsen. ,,Das hoffe ich… aber eigentlich wollte ich zumindest einen von euch bitten, hier zu bleiben.“ Zyle warf einen Blick zurück über die Schulter in Richtung Relina. ,, Wegen ihr, oder ?“ , fragte Erik, so dass es niemand außer ihnen hören würde. ,,Ich mache mir einfach Sorgen um sie.“

, gestand der Gejarn leise. ,, Ich weiß ich… sollte den Kopf voll mit anderen Dingen haben, grade als Hochgeneral, aber…“ Mhari brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. ,, Ihr meint nur weil ihr die Truppen befehligen sollt, dürftet ihr euch nicht um eure Freunde und Lieben sorgen ?“ ,, Das nicht, aber… Ich werde euch nicht befehlen zu bleiben. Ich bitte euch nur.“ ,, Zyle, es gibt genug andere hier, die sich genauso um sie kümmern werden, wie jeder von uns. Soweit ich das sagen kann, geht es ihr gut. Und ehrlich gesagt ich habe von Geburten wenig Ahnung. Nun, da war einmal diese Sache in

Kalenchor, aber das zählt nicht wirklich… Das soll einfach heißen: Ganz ruhig.“ Erik tätschelte Zyle die Schulter, bevor er seinen Rucksack nahm und sich wieder Cyrus anschloss. ,, Gehen wir. Ich wird hier sonst noch rührselig.“ ,, Wir sehen uns spätestens im Frühjahr.“ , rief der Wolf noch, bevor er sich ebenfalls umdrehte und den ersten Schritt einer Reise mit ungewissem Ausgang machte. ,, Ich hoffe es sehr.“ , hörte er noch Jiys Stimme, dann konzentrierte er sich ganz auf den Weg. Mhari und Erik folgten ihm Schweigend und langsam aber sicher blieb das Lager hinter ihnen zurück. Zuerst verschwanden einzelne Personen

im weißen Dunst, dann die Zelte und schließlich gerieten selbst die Blockhütten außer Sicht. Auf allen Seiten umgab en sie nun nur noch Wälder und schneebedeckte Ebenen. Cyrus atmete die kalte Luft tief ein. Endlich aufgebrochen zu sein, nicht noch mehr Zeit verschwendet zu haben, das hatte etwas befreiendes, als hätte ihm jemand einen Teil der Last, die er seit Edens Entführung mit sich trug abgenommen. Und der Teil, der noch blieb behinderte ihn nicht mehr, sondern trieb ihn Vorwärts. Jeder Schritt brachte ihn endlich wieder näher daran, seine Familie wiederzufinden. Und vielleicht würde er am Ende dieses Pfads dem

Mann gegenüberstehen, der ihre Trennung zu verantworten hatte. Der Gedanke machte den Wolf nachdenklich. Er hatte Edens Wut auf Andre de Immerson nie geteilt, auch wenn er ihn durchaus nachvollziehen konnte. Jetzt jedoch hatte der Herr Silberstedts ihm selbst einen Grund gegeben, seinen Zorn auf sich zu ziehen. Etwas, das ihm durchaus nicht unbekannt war… Als der Nachmittag anbrach, erreichten sie einen zugefrorenen Bachlauf, der sich mitten durch eine schneebedeckte, jeglicher Konturen beraubte Ebene zog. Wie eine offene Wunde inmitten der unberührten weißen Decke über dem Land, Schnitt sich das Wasser tief in den

Grund und war dort zu bizarren Formen und Skulpturen erstarrt. Erik war der erste, der sich über den Bach wagte. Der Arzt warf zuerst seinen Rucksack auf die andere Seite, welcher sofort im Schnee versank, dann nahm er selber ein Stück Anlauf. Cyrus grinste unwillkürlich, als der Mann auf der anderen Seite landete und Schnee aufwirbelte. Plötzlich bis zur Hälfte im pulvrigen Weiß versunken, blieb Erik nichts anderes übrig, als sich erst einmal mit Händen und Füßen freizugeben und vorsichtig über den instabilen Schnee zu staksen. Irgendwie erinnerte er Cyrus in diesen Moment an einen seltsamen Storch. Einer, der

sichtlich mit dem Gleichgewicht kämpfte. ,, Ich will euch mal sehen !“ rief der Arzt zurück, als nun selbst Mhari kicherte. Cyrus ging vorsichtiger vor und trat mit Bedacht auf die zugefrorene Eisfläche hinaus. Mit zwei Schritten war er bereits am anderen Ufer und kletterte die Böschung herauf. Mhari tat es ihm gleich und folgte ihm auf dem Fuß. ,, Sieht so aus, als hätten wir es bald geschafft.“ , meinte sie, als sie sich weiter durch den Schnee kämpften. Die Löwin deutete auf etwas vor ihnen, dass noch größtenteils in Dunst und Wolken verborgen war. Cyrus erkannte es

trotzdem als das was es war. Graue, fast schwarze Felswände, die weit in den Himmel hinauf ragten wie die Zähne eines gewaltigen, lange toten Untiers. Die Berge. Das letzte große Hindernis auf ihrem Weg nach Silberstedt. Obwohl sie zum Greifen nahe aussahen, wusste Cyrus , das sie noch gut zwei Tage vom Beginn der Pässe entfernt waren. Es war schlicht der Höhe mancher Gipfel geschuldet, das sie näher wirkten, als sie eigentlich waren. Zumindest bedeutete das, dass er nach wie vor viel Zeit zum Nachdenken hätte… Fenisin hatte er verzeihen können. Die Zeit hatte ohnehin fast alles in weite

Ferne gerückt und so schwer es gewesen war, s zuzugeben, aber der Mann hatte sich verändert. Der Älteste war nicht mehr der gewesen, der ihn und seine Eltern einst an die Garde ausgeliefert hatte. Als es schließlich dunkel wurde, schlugen sie ihr Lager im Schutz eines kleinen Tannenhains auf, wo die dicht stehenden Bäume und Äste den Schnee abhielten und der Boden nicht völlig hart gefroren war. Erik entfachte ein Feuer aus einigen, trockenen Zweigen und schmolz etwas Eis für Koch und Trinkwasser ein, während er sich bereits daran machte, die Zelte aufzubauen. Zwar boten diese wenig Schutz vor der

Kälte, aber es war besser, als völlig schutzlos zu sein. Und mit den schwereren Planen und Decken hatte Cyrus sich nicht abmühen wollen. Er wollte so schnell wie möglich sein… ohne sie dabei umzubringen hieß das. Wenn sie es nicht schafften, müssten Eden und Zachary wirklich bis zum Frühjahr durchhalten. Sie konnten es sich nicht erlauben, schon auf dem Weg zu versagen, ohne einen der beiden Überhaupt gefunden zu haben. ,, Wart ihr schon einmal in Silberstedt ?“ , wollte Cyrus wissen, während Erik einige ihrer Vorräte in das mittlerweile kochende Wasser gab, hauptsächlich getrocknetes Gemüse, ein paar Streifen

Fleisch und Brot. Er hoffte, das er vielleicht so herausfinden konnte, worauf genau er sich einstellen musste. Auch wenn sich das Gesicht der Stadt sicher verändert hatte, vor allem nachdem ein Teil davon durch Syle und seine Leute niedergebrannt worden war. ,, ja.“ , antwortete Mhari. ,, Einmal, aber das ist schon eine ganze Weile her. Die Stadt liegt praktisch eingekeilt zwischen den Berggipfeln und die Seite, die nicht derart geschützt ist, ist durch eine Stadtmauer gesichert. Man kann sich unmöglich einfach hereinschleichen, falls ihr darüber nachgedacht haben solltet. Zumal Gejarn… dort nicht gerne gesehen sind. Oder besser, sie gehen

nicht hin.“ ,, Wieso nicht ?“ ,, Es gibt nirgendwo mehr Sklaven als in Silberstedt.“ , schaltete sich Erik ein. ,, Und ein Großteil davon sind Gejarn. Ein Clanhändler, der in der Stadt auftaucht, muss also damit rechnen, dass man ihn unter Umständen für einen Entlaufenen Zwangsarbeiter hält. Was… unangenehm werden kann. Ich brauche euch sicher nicht sagen, dass Andre nicht grade die personifizierte Gnade ist. Und was die Minenarbeiter angeht… Gerüchten Zufolge überlebt keiner von ihnen länger als ein Jahr. Aber… Es ist praktisch noch nie jemand aus den Minen entkommen, also weiß es keiner

genau.“ Hatte Cyrus sich bisher kein genaues Bild von dem Ort gemacht, so änderte sich das spätestens jetzt. Es klang wirklich nicht nach einer Stadt, die er jemals betreten würde, wenn es nicht unbedingt sein musste. So wie jetzt. Eine graue, von Eis und Schnee umgebene Zitadelle, die ihre Existenz dem Leid und dem Tod tausender Zwangsarbeiter verdankte. Natürlich wusste er, dass das wohl kaum der Realität entsprach. Silberstedt war wohl eine Stadt wie jede andere, kein düsteres, wenn auch vielleicht Kaltes, Gefängnis. Trotzdem fragte er sich, wie die Leute dort wohl bloß damit

umgingen… ,, Dann ist Eden eben die erste.“ , erklärte Cyrus entschieden. Es schien klar, das Andre die Gejarn irgendwo sicher wegschließen wollte, wenn er sie nicht tötete… und das würde Zachary einfach nicht zu lassen. Auf seinen Sohn würde der Lord ja hören. Zumindest hoffte er das. ,, Glaubt mir, wenn das jemand fertig bringt, dann sie. Und wenn nicht, helfen wir ihr eben dabei.“ ,,Genau das alter Freund, haben wir vor.“ , stimmte ihm Erik zu. ,, Aber einfacher wird es für euch beide so nicht, in die Stadt zu gelangen.“ Nein, dachte Cyrus. Das nicht. Aber er würde sich etwas ausdenken. Und

vielleicht viel auch Erik bis dahin etwas ein. Der Mann hatte ein Funkeln in den Augen, als schlummerte in seinem Kopf bereits eine Idee, die er lediglich noch nicht mitteilen wollte. Aber wie diese aussehen mochte, wollte Cyrus beim besten Willen nicht einfallen. Am nächsten mögen schließlich, klarte der Himmel auf und zeigte zum ersten Mal seit Tagen wieder etwas blau. Doch obwohl die Sonne schien, war es bitterkalt, als sie ihren Weg fortsetzten, immer weiter auf die dunklen Schatten der Berge am Horizont zu. Die Schneekappen, die sich auf den Gipfeln vom dunklen Gestein abhoben reflektierten das Licht und blendeten sie,

wenn sie zu lange hinsahen. Vermutlich würde die Kälte nur schlimmer werden, je weiter sie nach oben… und dabei auch nach Norden gelangten, dachte Cyrus. Hoffentlich hielt sich wenigstens das Wetter.

Kapitel 115 Silberstedt


Der Sturm schlug genau in dem Moment zu, in dem sie wieder die Ebene erreichten. Der Weg durch die im Winter tückischen Berge hatte sich als einfacher erwiesen, als Cyrus gedacht hatte. Zwar hatten sie beständig nach eventuellen Spähern Andres Ausschau gehalten, waren aber nur ein einziges Mal einer Patrouille gefährlich nahe gekommen. Sie waren nur entkommen, in dem sie er und Mhari sich im Schatten eines Felsüberhangs verborgen hatten, von dem beständig Schmelzwasser tropfte, das bald ihre

Kleidung durchtränkte. Währenddessen hatte Erik mit den Soldaten gesprochen, die zum Glück tatsächlich recht schnell weitergezogen waren. Nachdem einige Münzen den Besitzer gewechselt hatten. Es ging wohl niemand davon aus, dass ein einzelner Reisender eine große Bedrohung darstellen würde. Der Weg selbst stellte da schon die weitaus größere Gefahr da. Eis und Schnee machten die Passstraßen rutschig und an vielen Stellen war ihr Pfad gänzlich blockiert, so dass sie entweder einen weiten Umweg machen oder es wagen und über die steilen Felswände klettern mussten, bis die Straße wieder

passierbar war. Gipfel und tiefe Felsschluchten wechselten sich miteinander ab, ohne dass ein Ende in Sicht wäre, egal, wie viele Berge sie hinter sich ließen, es schien immer einen nächsten zu geben. Das war natürlich Blödsinn, das wusste Cyrus, aber seine eigene Ungeduld machte es schwer, nicht in diese Illusion zu verfallen. Zusammen mit seiner… ja was eigentlich ? Hoffnung, entschied er. Es war der kleine Funke Zuversicht, dass sie Eden finden würden. Das alles wieder gut werden konnte. Vielleicht war auch das eine Illusion, aber er wollte auch nicht darauf

verzichten. Und dann schließlich, erklommen sie eine letzte Anhöhe und starrten plötzlich hinaus auf eine endlos wirkende Ebene aus Eis und Schnee, in der einige Fichtenwälder die einzigen Farbflecke bildeten. Zugefrorene Ströme aus bläulich schimmerndem Eis zogen sich wie Straßen durch das Land , das irgendwo am Horizont mit dem von grau-weißen Wolken bedeckten Himmel zu verschmelzen schien. Das waren sie also. Die großen Eiswüsten des Nordens. Cyrus wusste nicht, wie in dieser lebensfeindlichen Einöde überhaupt etwas Überleben konnte, aber offenbar brachte es

Melchiors Volk fertig. Vereinzelt gab es kleinere Siedlungen, meist im Schutz der Wälder gelegen. Rauchsäulen stiegen von den Hütten auf und wurden alsbald vom aufkommenden Wind zerstreut. ,,Wir sehen besser zu, das wir ins Tal kommen.“ , schlug Mhari mit besorgtem Blick vor. ,, Es fühlt sich so an, als würde das Wetter umschlagen. Der Wolf konnte den Schnee in der Luft beinahe schmecken. Mit den Wolken hatte die beißende Kälte zwar etwas nachgelassen, aber das war auch schon das einzig Gute. Wenn der Sturm losbrach, bevor sie einen Unterschlupf für die Nacht gefunden hatten, wurde es gefährlich. Er ließ den Blick noch

einmal über die Ebene schweifen, weiter nach Westen. Dort, im Schatten weiterer Gipfel war etwas. Statt der vereinzelten Rauchsäulen über dem weitläufigen Land unter ihnen stieg dort eine ganze Ansammlung von dunklen Schwaden in die Luft. Gebäude aus mit Schnitzereien verziertem Holz reihten sich hinter einer hohen Stadtmauer aneinander. Wie Mhari gesagt hatte, einfach würde es nicht unerkannt hinein zu gelangen. Selbst wenn man zwei Gejarn und einen Menschen nicht bereits misstrauisch beäugen würde. Das Licht der Häuser drang durch die Hereinbrechende Dämmerung und verlieh der Stadt einen goldenen Schimmer. Hier oben wurde es

früh Dunkel. Cyrus ließ den Blick weiter über Häuser und Mauern schweifen, hinauf zu einer großen Anlage, die wie ein Vogel über seinem Nest an einem Hang über der Stadt thronte. Der Prunkbau musste wohl Andre gehören. Silberstedt, dachte er. Sie hatten es so gut wie geschafft. Noch verbargen die Entfernung und eine Senke ihm den Blick auf die Stadt. Aber dort unten war sie. Praktisch zum Greifen nahe. ,, Wie weit bis nach Silberstedt, was meint ihr ?“ , fragte er an Erik gerichtet. ,, Wenn wir uns beeilen sind wir vor Einbruch der Nacht dort.“ Der Arzt

richtete den Blick zum Himmel. ,, Und wenn der Schnee bis dahin aus bleibt.“ ,, Dann brechen wir besser auf.“ Je eher sie in der Stadt waren, desto besser. So machten sie sich auf den Weg die Bergflanke hinab. Cyrus behielt dabei immer die fernen Lichter im Auge, während die ersten Schneeflocken zu fallen begannen. Als die Stadttore schließlich in Sicht kamen, rieselten die Flocken bereits so dicht zu Boden, dass sie kaum mehr die Hand vor Augen sehen konnten. Etwas, das sich für sie als Glücksfall erwies, dachte Cyrus. Nach wie vor konnte er den Lichtschimmer Silberstedts durch die Nacht leuchten sehen, das Stadttor

selbst lag jedoch in Dunkelheit, sah man von den Fackeln ab, die zwei Stadtwachen in violett-grauer Livree in der Hand hielten und alle Reisenden rasch nach drinnen winkten. Vermutlich war auch ihnen bei diesem Wetter nicht danach zumute, jeden einzelnen Neuankömmling minutenlang zu überprüfen. Cyrus sah zu Mhari und Erik, die beide kurz nickten. Eine bessere Gelegenheit würden sie nicht bekommen. Aber zwei Gejarn würden den Wachen sicher auffallen. Der Wolf schlug die Kapuze des Wintermantels den er trug hoch und zog sie sich so tief wie möglich ins Gesicht. Mhari tat das gleiche und vor

dem Wind geduckt, teils um der schneidenden Kälte zu entgehen, die ihnen entgegenschlug, teils um ihre Gesichter noch besser zu verbergen, folgten sie Erik die Straße entlang. Tatsächlich beachtete sie kaum jemand. Nur einer der beiden Stadtwächter hob kurz die Fackel, als sie näher kamen, ließ sie aber beruhigt wieder sinken, als er in Erik einen auf den ersten Blick wohl recht harmlos aussehenden, älteren Herrn erkannte. Seine zwei Begleiter interessierten ihn da schon nicht mehr. Ahnen, sie hatten wieder mehr Glück als Verstand, dachte Cyrus und lächelte ein selten gewordenes Grinsen. Sie würden es

schaffen. Langsam folgte er Erik und Mhari durch die zunehmend im Schnee versinkenden Straßen. ,, Also gut, das hätten wir geschafft.“ , meinte die Löwin. ,, Was jetzt ?“ ,, Du meinst, was ich tun würde, wenn du mir nicht zufällig auf die Finger sehen würdest ?“ , fragte Erik. ,, Darüber macht man keine Scherze. Selbst du nicht.“ Cyrus konnte nur verwirrt zusehen. Irgendwann musste er Erik wirklich einmal bitten, ihm zu erzählen wo und vor allem wie er die Gejarn kennen gelernt hatte. ,, Wir sollten versuchen, herauszufinden,

wo Eden sein könnte.“ , überging der Arzt ihre Bemerkung. ,,Und wie stellen wir das am besten an ?“ , fragte Cyrus. Erik nickte in Richtung eines Gebäudes, das vor ihnen aus dem Sturm auftauchte. Wie bei vielen der Bauten hier bestand das Fundament aus dicht gefügten Steinen, während man darauf eine schwere Balkenkonstruktion aus Brettern und Baumstämmen gezimmert hätte. Durch einige gläserne Fenster drangen Licht und Lärm, der selbst über das Heulen des Winds zu hören war, auf die Straße hinaus. ,, Eine Taverne.“ , meinte Erik grinsend. ,, Mit etwas Glück finden wir

irgendwo einen von Andres Leuten der… Redselig ist.“ ,, Und mit Redselig meinst du betrunken.“ , stellte Mhari fest. ,, Wenn das euer Plan ist, hätte ich vielleicht etwas.“ Die Gejarn zog eine kleine Phiole, vielleicht so groß wie Cyrus Daumen aus ihrem Mantel hervor. Darin befand sich eine seltsam anmutende, violette Flüssigkeit.“ ,, Wenn das ist, was ich denke…“ , setzte der Arzt an. ,, Geisterwasser.“ ,, Weißt du wie lange ich versuche, herauszufinden, wie die Clans das Zeug herstellen ohne Magie zu benutzen ? Und

wie lange ich versuche, etwas davon in die Finger zu bekommen ?“ ,, Lange.“ Sie drückte ihm das Fläschchen mit einem bösartigen Grinsen in die Hand. ,, Und jetzt muss ich das auch noch an irgendeinem Wachmann verschwenden. Sicher, das ihn das nicht umbringt ?“ ,, Ziemlich. In der Dosierung und ohne… Vorbereitungen wird es genau das tun, was ihr beabsichtig… ihn redselig machen. Und vielleicht träumt er etwas seltsam, wenn sein Verstand stark genug ist.“ Erik steckte die Flasche mit einem Brummen ein und sie machten sich auf den Weg zur Tür des

Gasthauses. Wärme, Tabakdunst und der Geruch von verschüttetem Bier wehten ihnen entgegen, sobald sie eintraten. Zum Glück schien der Ort gut besucht, wie Cyrus feststellte. Da viel es nicht zu sehr auf, wenn zwei Gäste zufällig ihre Mäntel anbehielten. Trotzdem versuchte er den Kopf unten zu halten, was nicht ganz einfach war, überragte er viele Menschen doch immer noch um ein Stück. Beschwer dich nicht, sagte er sich selbst. Du könntest so groß wie Syle sein. Dann hättest du ein echtes Problem. Erik führte sie etwas zu zielstrebig an mehreren voll besetzten Tischen vorbei

zu einer freien Bank an einem der Fenster. Erleichtert darüber, sich setzen zu können, rückte Cyrus so weit wie möglich vom Raum weg an die Glasscheibe und strich sich dann erst die Kapuze aus dem Gesicht. Mhari tat es ihm gleich und Erik setzte sich, als weiterer Sichtschutz, mit dem Rücken zum Gastraum. ,,Ich glaube wir haben Glück.“ , meinte er und deutete auf einen Tisch ein Stück entfernt, an dem eine einzelne Gestalt saß, vor sich eine halb leere Flasche mit irgendetwas undefinierbarem. Nur das Cyrus den billigen Alkohol bis zu sich riechen konnte. Der Mann sah nicht aus wie ein Soldat,

trug aber etwas, das wohl als Uniform durchging. Und er schien nicht bewaffnet, sah man einmal von einem kurzen Eisenknüppel ab, der an einer Schlaufe an seinem Gürtel hing. Das war nicht die Waffe eines Kriegers, dachte Cyrus bei sich. Die Waffe wäre völlig nutzlos, wenn man es mit einem ordentlich bewaffneten Gegner zu tun hätte. Die Schlussfolgerung daraus wollte ihm gar nicht gefallen. Entweder, er trug die Keule nur zur Abschreckung… oder seine Opfer waren allesamt Unbewaffnet. Hoffentlich bereitete das Geistwasser diesem Kerl wenigstens ein paar Alpträume. Ohne Vorwarnung stand Erik auf, trat zu

dem Mann herüber und ließ sich unaufgefordert auf einem Stuhl ihm gegenüber Platz. Dieser schien seinen Gast erst gar nicht richtig wahrzunehmen, sondern döste anscheinend etwas, bis ihm klar wurde, dass er nicht mehr alleine war. ,, Ist das eine Art, sich einfach zu Leuten zu setzen, die keine Gesellschaft wollen ?“ , brummte er. ,, Auch nicht, wenn diese Gesellschaft ein paar Gläser springen lässt ?“ Erik stand auf und rief über die Köpfe der versammelten Hinweg. ,, Eine Runde für alle auf mich !“ , bevor er sich wieder setzte. ,, Ich habe heute den Abschluss eines sehr erfolgreichen Geschäfts zu

feiern.“ Cyrus fragte sich nur beiläufig, womit Erik das alles überhaupt bezahlen wollte. Viel wichtiger, was wollte er damit erreichen, das er so eine Geschichte spann? ,, Auch dann ganz sicher nicht. Schon gar nicht, wenn ihr mit so etwas da herumlauft. Ich kann mir jeden Tag ansehen, wozu das Pack gut ist…“ Er nickte in Richtung Cyrus und Mhari. ,, Ach die.“ Erik beugte sich verschwörerisch zu und zog gleichzeitig die Phiole aus seinem Ärmel. Mit einem Finger entfernte er den Stöpsel und lies den Inhalt ohne das es jemand merkte in das Glas des Mannes fließen. ,,Seht ihr,

das ist Teil des Geschäfts von dem ich gesprochen habe. Ich habe sie beide gekauft. Ich meine, der Wolf hat ein paar gebrauchsspuren und die andere macht es wohl nicht mehr lange…“ Cyrus konnte sehen, das Mhari sich eine bissige Bemerkung verkniff. ,, Aber wenigstens hören beide gut.“ Der Mann trank einen Schluck. ,, Ich wünschte wirklich, das wäre öfter der Fall. Ich bin Minenaufseher, verdammt, aber manchmal komm ich mir nur vor wie Andres Gefängniswärter. Der Abschaum den er dort runter wirft ist seit neuestem brandgefährlich. Eine von den verfluchten Gejarn hat sogar den obersten Aufseher getötet.

Abgestochen wie ein Schwein. Ich meine, Malik war nicht sonderlich beliebt, aber so zu Enden verdient keiner. Keine Ahnung, woher Andre die hat, aber sein Junge hat an der offenbar einen Narren gefressen.“ Cyrus zog eine Augenbraue hoch. Offenbar wirkte das Geistwasser schneller als gedacht. Aber wovon der Mann da sprach. Eden… Das musste sie einfach sein. Und Zachary. Er gab sich Mühe, sich seine Aufregung nicht anmerken zu lassen. ,, Ja ? Und er hält die also in den Minen fest?“ ,, Das müsstet ihr doch wissen, wenn ihr als Sklavenhändler hier seid. Aber

natürlich lassen sie auch nicht jeden in die Schächte. Da will auch niemand runter, wenn er nicht muss, glaubt mir.“ ,,Nun vielleicht bin ich ja an einigen… Spezialfällen interessiert.“ ,, Es gibt ein paar Sklaven, die noch im Anwesen arbeiten dürfen, aber das sind seit fast einem Jahrzehnt dieselben. Offenbar hat Lord Andre da mal schlechte Erfahrungen gemacht. Nein glaubt mir. In den Minen findet ihr nichts und niemand brauchbares. Und ohne Passierschein kommt ihr ohnehin nicht hinein.“ ,, Vielen Dank.“ Erik stad schwankend auf und stützte sich einen Moment an der Stuhllehne ab, als hätte er

Schwierigkeiten das Gleichgewicht zu halten. ,, Wenn das stimmt habt ihr mir viel Zeit gespart.“ ,, Ich habe ja keine Ahnung wieso ich euch das überhaupt erzähle…“ Der Aufseher kratzte sich am Kopf, während Erik sich mit einer Geste verabschiedete und zu ihnen zurückkehrte. ,, Gehen wir.“ , meinte er leise und Cyus folgte ihm nur all zu bereitwillig. Je eher sie hier wieder heraus waren, desto besser. Der Sturm hatte sich nach wie vor nicht gelegt, als sie wieder nach draußen traten und trieb Schnee durch die Straßen. Nur wenige Einwohner Silberstedts wagten sich bei diesem

Wetter auf die Straßen und wenn, dann sah Cyrus sie nur als unförmige, aus Pelzen und Decken bestehende Schemen, die sich durch die Dunkelheit bewegten. ,, Also gut, wir wissen, was wir wissen müssen.“ , meinte Mhari. ,, Jetzt müssen wir nur noch an so einen Schein heran kommen.“ ,, Oh, was das angeht…“ Erik zog ein etwa handtellergroßes, zusammengefaltetes Blatt Pergament aus seiner Tasche. ,, Darum habe ich mich schon gekümmert.“ Dieser Mann war einfach unglaublich. Jetzt war Cyrus auch klar wieso er so getan hatte als wäre er gestolpert. Er hatte die Gelegenheit genutzt, dem

Aufseher seine Dokumente abzunehmen. Mit etwas Glück würde der Mann sich morgen nicht mehr genau erinnern, ob oder wo er ihn verloren haben könnte. ,, Erik, wenn er dich erwischt hätte…“ , setzte Mhari an. ,, Frechheit siegt. Das hast du mir glaube ich sogar beigebracht.“ Die Gejarn verschränkte die Arme vor der Brust. ,, Das war dann aber ein sehr viel jüngeres ich…“ ,, Morgen suchen wir die Minen. So weit ich weiß, müsste der Zugang irgendwo in den Bergen über der Stadt liegen. Bis dahin muss ich mir nur noch eine Verkleidung besorgen.“ , sprach der Arzt weiter. ,, Eure Tarnung habt ihr ja

jetzt.“ ,,Nicht das ich sonderlich zufrieden damit wäre.“ , brummte Mhari. Cyrus hörte nur mit einem halben Ohr zu und selbst die Kälte spürte er kaum. Morgen… Morgen würde er Eden wiederfinde. Das wusste er einfach. Und doch schien es zu lange, jetzt, wo er so nah war…

Kapitel 116 Edens Pla


Cyrus konnte nicht anders, als sich vorzustellen, wie Eden den gleichen Weg gekommen sein musste wie sie. Einen steilen Bergpfad folgend, während die Stadt langsam unter ihnen zurück blieb, der dann vor einem gewaltigen Schlund mitten im Felsen Endete. Auch wenn sie nicht vorhatten, lange zu bleiben, selbst ihm gefiel die Vorstellung nicht, in diese Dunkelheit hinab steigen zu müssen. Und sie hatten wenigstens die Hoffnung, bald wieder zu entkommen. Aber sie wäre seit Wochen dort

unten… Bei dem Gedanken flammte heiße Wut in ihm auf, die sich noch steigerte, als er sich auf den Geröllfeldern und der großen Handelsfläche unter dem Felsüberhang umsah. Sklaven, die trotz des Winters und des immer noch nicht ganz abgeflauten Sturms kaum mehr als dünnes Sackleinen trugen, arbeiteten auf den Abraumhalden, suchten die winzigsten Klumpen Erz zusammen und brachten sie zu den Händlern und Aufsehern, die miteinander über Preise und Qualität feilschten. An anderer Stelle wurde ein großer Holzkarren voll mit Silberbarren aus der Tiefe gezogen und der wertvolle Inhalt sorgsam

geprüft, bevor man ihn auf Lastpferde umlud, welche das Silber ins Tal zu den Schmuckschmieden bringen sollten. Kunstschmiede, die wie Cyrus heute Morgen festgestellt hatte zunehmend von Waffe und Rüstungsmachern verdrängt wurden. Andres Krieg ließ keinen Raum mehr für das wenig Schöne, das der Schrecken hier oben hervorbrachte. Der Wolf ermahnte sich, möglichst teilnahmslos zu wirken, aber in seinem Inneren brodelte es nach wie vor, als Erik ihn und Mhari auf den Minenzugang zuführte. Der Arzt trug die typische graue Uniform von Andres Söldnern. Ein Mitbringsel, mit dem er im Morgengrauen aufgetaucht war.

Zusammen mit der Uniform würde der Passierschein hoffentlich dafür sorgen, dass sie ohne Probleme in die Minen gelangten. Erik jedenfalls schien davon überzeugt, den er trat ohne zu zögern auf einen Posten zu, der unter dem Felsgewölbe des Höhleneingangs stand und sich die Hände an einer Kohlenpfanne wärmte. ,,Ich habe zwei Ausreißer hier.“ , meinte er mit abfälligem Ton und setzte das Gewehr, das er sich ebenfalls besorgt hatte, auf dem Boden ab. ,, Hat mich zwei Tage gekostet, die wieder einzufangen. Andre will, dass ich sie nach unten schaffe. Offenbar hat er

keine Verwendung mehr für sie.“ Der Wachmann blinzelte gegen den Schnee, den der Wind in die Höhle trug. ,, Kenne ich euch ?“ ,, Nach zwei Tagen da draußen vielleicht nicht mehr.“ Erik lachte, aber Cyrus entging der nervöse Unterton in seiner Stimme dabei nicht. ,, Hier, den habe ich zum Glück nicht verloren. Er hielt den Atem an, als Erik das Blatt entfaltete und dem Wächter übergab. Genau jetzt würde sich entschieden, ob sie überhaupt dazu kamen, den Versuch zu wagen, Eden zu befreien. Wenn der Schwindel aufflog wären sie alle Tod oder zumindest genauso Gefangen wie

sie. ,, Und was ist dem da zugestoßen ?“ Der Mann behielt die Papiere und nickte in Cyrus Richtung. Offenbar war ihm sein fehlendes Auge aufgefallen. ,, Habe ich doch gesagt. Er hat versucht abzuhauen.“ ,, Na dann viel Glück.“ Endlich reichte der Posten Erik den Passierschein zurück. ,, Andre mag es normalerweise gar nicht, wenn sie zu verunstaltet sind. Nicht mal die, die er in die Minen schickt. Schafft sie einfach runter. Es gibt noch keinen neuen obersten Aufseher, aber irgendjemand übernimmt sie sicher.“ Und an Mhari und Cyrus gerichtet fügte er hinzu: ,, Willkommen

am letzten Ort eures Lebens.“ Wenn der wüsste, dachte Cyrus, versuchte aber weiterhin, sich von außen nichts anmerken zu lassen. Mit schleppenden, hoffentlich überzeugend wirkenden, Schritten folgte er Erik an dem Mann vorbei in die große Felskammer. Es gab einige Stände, an denen Silbererz gewogen, Barren verkauft und gehandelt wurde. Auf den ersten Blick schienen diese Leute geradezu unbekümmert über das, was unter ihren Füßen vorgehen mochte. Einzelne Fackeln und Kohlebecken sorgten für ausreichend Licht. Die Gänge, die weiter ins Innere der Minen führten, lagen jedoch in Finsternis. Aber

egal, was ihn dort erwartete, dachte Cyrus. Es gab kein Zurück. Und er wollte auch nicht zurück. Seine Hand wanderte unbewusst zu der unter seiner Kleidung verborgenen Axt. Der Weg in die Tiefe war lang und schien sich ewig zu ziehen. Genug Zeit für Cyrus, um sich weitere düstere Gedanken zu machen. Dieser Ort strahlte etwas aus, das er nur als bösartig beschreiben konnte. Und dabei hatte er noch nicht einmal viel gesehen. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sie eine Zweite große Kammer erreichten, die einen gewaltigen See beinhaltete. Lediglich ein schmaler Steg am Rand der Wasserfläche führte sie

weiter und dann leicht abschüssig an einem hölzernen Damm vorbei. Eine große Maschine, betriebe von einem Zahnrad, an dem dutzende von Sklaven Arbeiteten, pumpte ständig neues Wasser aus der Tiefe in den künstlichen See. Die Gestalten, die unter dem Blick einer Reihe von Aufsehern geduckt, ihre Arbeit verrichteten, wirkten kaum mehr Lebendig. Manche starrten nur vor ihre eigenen Füße auf den Boden, ohne jede Neugier, wer sich dort über den Steg am Wasser näherte. Andere waren abgemagert und so zerlumpt, das er auf die Entfernung nicht einmal mit Sicherheit sagen könnte, ob es sich um Gejarn oder Menschen

handelte. Erik beeilte sich, sie weiter zu führen und Mhari musste Cyrus einen Stoß versetzen, bevor er sich bewegte. Er hatte gewusst, womit er rechnen musste, oder? , dachte der Wolf. Natürlich würde man diese Leute nicht gut behandeln. Aber das hier ging sogar darüber hinaus. Wie konnte es irgendjemand hier unten aushalten, ohne schlich zu verzweifeln? Und er hatte Eden hier unten gelassen, anstatt ihr sofort zur Hilfe zu kommen. Für Wochen hatte er nichts getan. Sie erreichten eine zweite Kammer, so hoch, das die Felsdecke sich in der Dunkelheit verlor. Eine schwere Steinsäule in der Mitte des

Kreisförmigen Raums stützte das Gewölbe ab. Stellenweise glitzerten vereinzelte Reste von Silberadern im Gestein, welche den rötlichen Feuerschein eines großen Schmelzofens wiederspiegelten. Weitere Arbeiter beaufsichtigten, wie sich ein endloser Strom aus flüssigem Silber in Formen ergoss, die gleich darauf in kaltem Wasser abgekühlt wurden. Diesmal jedoch schien es sich nicht um Sklaven zu handeln, wie Cyrus feststellte. Die Männer trugen vernünftige Kleidung und schwere Lederschürzen um sich vor Funken und Tropfen geschmolzenen Metalls zu schützen. Die Sklaven hingegen sah man

bestenfalls als Schatten, die unter dem Blick dutzender, mit Eisenkeulen bewaffneter Aufseher dahinhuschten, Karren mit Erz und tauben Gestein aus den von der Kammer abzweigenden Schächten zogen oder sich beeilten, wieder dorthin zurück zu kehren. Einmal sah er sogar, wie eine der mitgenommenen Gestalten einfach in sich zusammenbrach und der leblose Körper von den Aufsehern einfach ignoriert wurde. Erst nach einer ganzen Weile befahlen sie einigen anderen Arbeitern, den Leichnam wegzuschaffen. Vielleicht in irgendeine Felsschlucht. Vermutlich machte sich niemand die Mühe, diesen Leuten ein Begräbnis

zukommen zu lassen. Langsam und sich immer in Eriks Nähe haltend, damit niemand sie für unbeaufsichtigt hielt, folgten sie dem Arzt auf einen der zahlreichen Tunnel zu. Es mussten weit über drei Dutzend Gänge sein, die von der Hauptkammer abzweigten. Und wer wusste schon, wie weit sich diese noch tiefer im Berg verzweigten? Es war ein Labyrinth. Wie sollten sie Eden hier unten bloß schnell genug finden um wieder zu entkommen, bevor jemand sie bemerkte? Und dann sah er sie plötzlich, wie sie aus einem der Tunnel trat. Zu seiner Schande, hätte er sie einen Moment lang fast nicht erkannt. Die

verschmutzte, abgerissene Kleidung war noch das geringste, aber ihre Arme und Beine schienen mit einer Unzahl noch nicht ganz verheilter Schnitte und Prellungen übersäht, genau wie das Gesicht. Das ansonsten weiße Fell hatte einen grauen Ton angenommen, mal abgesehen von den Stellen, wo Blut und Wunden rote Striemen hinterlassen hatten. Trotzdem trug sie den Kopf noch immer hoch erhoben und bewegte sich so zielstrebig wie eh und je. Mit Ausnahme dessen, das sie leicht Humpelte, als wäre ein gebrochener Knochen nicht wieder ordentlich zusammen gewachsen. Aber hätte ihr nicht schon sein Herz und seine Seele gehört, er hätte sich

vielleicht alleine deswegen noch einmal in sie verliebt. Dieser Ort hatte sie nicht gebrochen, das wusste Cyrus in dem Moment, wo er sie sah. Aber konnte sie darüber hinwegsehen, dass er schlicht zu spät war? Er hätte sie vor Wochen schon hier herausholen müssen, ob mit Hilfe oder ohne. Edens Augen sprachen all das aus, was auch in Cyrus Kopf vorging, als sie sie bemerkte. Trotzdem war sie klug genug erst einmal überhaupt nichts zu sagen um jegliche Aufmerksamkeit zu vermeiden. Stattdessen wich sie langsam in den Gang zurück, aus dem sie gekommen war. So lautlos wie ein Schatten. Cyrus, Mhari und Erik folgten ihr genauso

Schweigend. Die Decke des Felsgangs war so niedrig, das er das Gefühl hatte, gebückt gehen zu müssen um nirgendwo anzustoßen und das einzige Licht stammte von sporadisch an der Wand angebrachten Fackeln und dem Schein der Schmiedefeuer, die aus der großen zentralen Kammer drangen. ,, Was macht ihr den bloß hier ?“ , fragte sie schließlich, als sie weit genug gegangen waren. ,, Dich hier herausholen.“ , antwortete Cyrus. ,, Geht es dir gut ?“ ,, Ich lebe noch.“ , meinte sie. Das hatte er nicht gefragt und das wusste sie auch. Aber für den Moment gab Cyrus sich

damit zufrieden. Ihre Stimme klang erschöpft, wie die einer viel Älteren Person. Seine Schuld. Wieder einmal. Er hatte gezögert… Cyrus schlug die Augen nieder. ,, Ich hätte schon vor Wochen kommen sollen.“ Eden schüttelte den Kopf. ,, Dann hätte ich aber keinen Plan, wie ich uns wieder alle hier rausbringe.“ Ein schwaches Lächeln spielte über ihre Lippen und in ihren Augen glomm kurz ein verschwörerisches Funkeln. ,, Ihr habt schon eine Idee ?“ , fragte Erik. ,, Ich habe hier die ganze Zeit nicht bloß herumgesessen, Erik.“ ,, Und wie geht es Zachary ?“ , wollte

Cyrus nun wissen. ,, Wo ist er ?“ ,, Bei Andre. Er kontrolliert ihn auf Schritt und Tritt, nach allem, was er mir erzählt hat.“ Edens Stimme wurde düsterer. ,, Aber ich habe ganz sicher nicht vor, ihn zurück zu lassen.“ ,,Wir bringen euch alle hier raus.“ , meinte Mhari. ,,Genau das hatte ich vor. Wenn wir hier verschwinden, Cyrus, nehmen wir jeden einzelnen hier unten mit. Keine einzige Seele überlasse ich noch diesem Bastard… Aber es gibt ein Problem.“ Die Gejarn warf einen Blick den Gang zurück um sich zu überzeugen, dass sie nach wie vor alleine waren. Mhari nickte. ,, Ich glaube, ich habe es

schon gesehen. Der See oben…“ ,, Genau der. Ich habe die letzte Zeit genutzt, mich mit den übrigen Sklaven hier abzusprechen. Viele sind durchaus bereit, mit uns zu kämpfen, wenn wir uns auflehnen. Es gibt nicht einmal ein viertel so viele Aufseher wie Sklaven. Aber sie haben eben einen Trumpf. Verlieren sie die Kontrolle, fluten sie die Minen.“ ,, Und wir ersaufen alle wie die Ratten.“ , stellte Erik fest. ,, Aber der Mechanismus ist nicht perfekt.“ , fuhr Eden fort. ,, Es gibt ein zweites Pumpensystem, das das Wasser nach draußen schafft, sonst würde der Stausee irgendwann von selbst

überlaufen. Eine Dampfmaschine. Wir müssten sie nur anwerfen und warten, bis nicht mehr genug Wasser da ist, um die Schächte zu Fluten. Dann…“ Sie brauchte nicht erklären, was dann passieren würde. Cyrus war es klar. Und den anderen wohl auch. Es gab nur einen Weg hier heraus. ,, Warum habt ihr bis jetzt damit gewartet ?“ , wollte Erik wissen. ,, Es mangelt mir an einer guten Gelegenheit.“ , antwortete die Gejarn. ,, Normalerweise kommen Sklaven nicht ohne Aufsicht dort hoch. Oder überhaupt irgendwo hin. Aber ihr tragt die Uniform eines Soldaten. Was beim Reingehen klappt, sollte auch beim

rausgehen funktionieren.“ ,, Dann gehe ich also und werfe die Pumpen an.“ , schloss der Arzt. ,, Klingt einfach genug.“ ,, Wir.“ , korrigierte ihn Mhari. ,, Und das wird alles andere als einfach. Wenn man uns bemerkt…“ ,, Dann sehen wir uns alle in den goldenen Hallen wieder.“ , beendete Erik den Satz. Damit stand es fest, dachte Cyrus. Sah so aus, als würde ihr Aufenthalt hier unten so oder so von kurzer Dauer sein. Er sah wieder zu Eden. Geister, es tat einfach gut sie wiederzusehen. Auch wenn er noch nicht wusste, wie es ihr nach all dem wirklich ging. Nach der

ganzen Zeit hier unten. Erneut sagte er sich, dass er schlicht hätte schneller sein müssen. Am liebsten würde er sich allein deswegen um Verzeihung bitten… aber dafür war jetzt noch keine Zeit. Langsam begleiteten sie Erik und Mhari zurück durch die Tunnel bis zum Aufgang, der zur Oberfläche führte.

Kapitel 117 Der See


Eden lauschte dem stetigen Tropfen des Wassers, das sich an der Höhlendecke sammelte. In die Schatten geduckt würde sie niemand so schnell bemerken und wenn doch wäre sie eben nur ein weiterer, zusammengebrochener Sklave. Cyrus stand neben ihr, aber angesehen von r seinem guten Auge, das in der Finsternis leicht zu glühen schien, konnte sie den Wolf mehr erahnen, als wirklich sehen. Sie hatten sich wieder in die Sicherheit der dunklen Minenschächte

zurückgezogen, zumindest, bis sie ein Zeichen von Mhari und Erik bekamen. Solange es ihnen nicht gelang, den See zu blockieren, hatte es keinen Sinn, die übrigen Gefangenen zu einer Rebellion aufzustacheln. Wenn einer Ungeduldig wurde, konnte das dann alles ruinieren. Also blieb ihnen nur abzuwarten. Seit Ismaiel sie nach Silberstedt gebracht hatte, hatte sie auf diesen Moment gewartet… bald wäre es vorbei. Sie wäre wieder frei und Zachary genauso… Nach all den Monaten schien ihr das beinahe unwirtlich. ,, Eden…“ Cyrus Stimme klang unsicher, so als wüsste er nicht, was er sagen

sollte. ,, Ich bin noch immer hier.“ , meinte sie mit einem schwachen Lächeln. Zu spät viel ihr ein, das er das vermutlich kaum sehen konnte. Stattdessen tastete Eden sich durch die Dunkelheit und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Sie hatte ihn vermisst. Noch erlaubte sie sich nicht, zu viel Hoffnung zu schöpfen, aber schon nicht mehr alleine hier unten zu sein Tat einfach gut. ,, Ich weiß, das ist vielleicht eine dumme Frage, aber… nach all der Zeit...“ Er holte tief Luft. ,, Liebst du mich noch ?“ Hätte er die Frage in einem anderen Ton gestellt, hätte sie vielleicht gelacht, aber

der schwarze Wolf hatte selten so Ernst geklungen. Es war seltsam, dass er überhaupt Glaubte, das sei möglich. Das sie… was ? Der Aufenthalt hier so verändert hatte? ,, Warum fragst du ?“ Ein wenig würde sie ihn jetzt schon zappeln lassen. Alleine schon, weil er diese Frage nach allem scheinbar wirklich für nötig hielt. ,, Ich bin spät, Eden. Ich hätte schon vor Wochen hier sein können, aber ich wollte Kellvian und die anderen nach der Schlacht nicht einfach zurück lassen…“ Sie lebten also noch, dachte Eden. Das war die zweite gute Nachricht heute. Wenn jetzt nur noch alles glatt ging… ,, Cyrus…“ Sie hielt inne und konnte

sich den angespannten Ausdruck auf seinem Gesicht genau vorstellen. ,, Ich war bisher selten so weit, das ich Aufgeben wollte. Aber genau das ist mir hier passiert. Ich… wäre beinahe gestorben. Damit Zachary ohne mich fliehen kann. Aber das wollte er nicht zulassen. Ich glaube, das einzige, was mich wieder auf die Beine gebracht hat, was mich angetrieben hat, weiterzumachen, war die Hoffnung Zachary zu befreien…. Und dich irgendwann wiederzusehen.“ Sie lehnte sich vor und einen Moment später fanden sich ihre Lippen. Ein viel zu kurzer Kuss, aber für sie machte er so vieles wieder gut. Sie würde noch ein

Jahr hier unten verbringen, wenn sie genau das hier am Ende davon erwartete. Und Eden wusste, dass es Cyrus genau so ging. Doch jetzt wollte sie mehr… ,, Das beantwortet deine Frage, oder ? Aber wenn mein Plan nicht funktioniert…“ ,, Das wird er.“ , meinte Cyrus. ,, Aber wenn nicht…“ Sie entschied sich einfach auszusprechen, was sie dachte. ,, Ich würde mir nie verzeihen, die letzte Gelegenheit mit dir zusammen zu sein nicht genutzt zu haben.“ ,, Wir sind zusammen.“ ,, Du weißt was ich meine.“ Sie strich ihm über die Wange, während sich ihre Lippen erneut fanden. In der Dunkelheit

war weiterhin nichts als ihre Augen sichtbar. ,, Ich möchte dich. Solange wir noch Zeit haben. Wenigstens ein letztes Mal.“ Cyrus zögerte einen Moment, doch Eden konnte spüren, dass es ihn genau so sehr danach verlangte wie sie. Den anderen ganz nah wissen, die letzten Monate zumindest einmal für einen Moment vergessen… Sie brauchten das beide. Eden schlang die Beine um ihn und Cyrus stolperte zurück gegen die Wand. Langsam ließen sie sich daran hinabgleiten gingen umschlungen zu Boden. Sie konnte spüren wie seine Hände ihren Körper erkundeten und er erneut zögerte.

Ihr war selber klar, dass sie sich verändert hatte. Sie war abgemagert und nach wie vor mit Schnitten und kleineren Wunden übersäht. Aber das würde sie nicht aufhalten. ,, Und wenn du jetzt sagst, es könnte schlimmer sein, beiß ich dich.“ , murmelte sie, während sie an ihrer restlichen Kleidung herumnestelte um das letzte störende Stück Tuch aus dem Weg zu bekommen. Und tatsächlich vergrub sie ihre Zähne kurz in seiner Schulter, um einen Schrei zu ersticken, als er endlich in sie eindrang. Eine Weile lagen sie einfach so da, sie auf Cyrus Brust liegend und genossen das Gefühl ganz eins zu sein. Vielleicht

war es närrisch, dachte Eden, aber für diesen Mann konnte sie wirklich alles tun. Sie hatte nicht gelogen, als sie sagte, auch der Gedanke an ihn hätte sie am Leben erhalten. Schließlich richtete sie sich dann doch auf und begann sich langsam auf ihm zu bewegen. Ein stetiger Rhythmus, der sich den Stößen seiner Lenden anpasste und ein warmes Feuer in ihrem Inneren entfachte, gegen das selbst die Kälte dieses Ortes nicht ankam. Cyrus Hände wanderten erneut über ihren Körper, von ihren Hüften hinauf zu ihren Brüsten. Und dann war alles vorbei, mit einer letzten Welle aus Hitze und Lust, die

einen Moment alles andere Nebensächlich machte. Wenige Augenblicke später fühlte sie, wie auch er seinen Höhepunkt erreichte. Stille legte sich wie eine Decke über sie, nur durchbrochen von ihrem wilden Herzschlag und ihren immer noch aufgekratzten Atem. Cyrus legte einen Arm um sie, während er sich halb aufrichtete, um nicht mehr ganz auf dem kalten Steinboden zu liegen. ,, Was glaubst du, wenn das alles vorbei ist… haben wir dann Frieden ?“ , fragte Cyrus nach einer Weile. ,, Ich weiß es wirklich nicht.“ Eden schmiegte sich etwas dichter an ihn. Das hier würde früh genug vorbei sein, das

wusste sie. Dann hieß es, sich Andre erneut zu stellen. Und diesmal würde sie es beenden. Ein für alle mal. Doch für den Moment schob sie diese düsteren Gedanken wieder zurück in den hintersten Winkel ihres Verstandes. ,, Ich glaube nicht, das es so etwas wirklich gibt. Völligen Frieden. Aber vielleicht wenigstens für uns.“ Erik konnte das Wasser im Halbdunkel glitzern sehen. Das Licht mehrerer Fackeln spiegelte sich auf der vollkommen ruhigen Oberfläche. Die große Maschinerie, die sich in einer Nische der Höhle befand, stand mittlerweile Still und war

verlassen. Aus der Nähe betrachtet, konnte man fast meinen, der See könnte kaum knietief sein, aber diese Täuschung flog spätestens auf, wenn man vor dem großen Holzdamm stand, welcher es am Ablaufen hinderte. Zwei Aufseher , jeder eine Laterne in der Hand hielten daran und an den großen Dampfkesseln daneben Wache. Große Säcke mit Kohle lagen zu großen Stapeln aufgetürmt an der Wand der Kammer und dienten Mhari und ihm als Deckung. Der Weg aus der unteren Mine heraus war einfach gewesen, doch sicher würde jeder misstrauisch werden, wenn sie einfach so die Kohlenfeuer für die

Dampfmaschinen entfachten, die das Wasser nach draußen schaffen sollten. ,, Ich werde bei weitem zu alt für so was.“ , murmelte Erik, während er fieberhaft nach einer Lösung suchte. Etwas anderes, als die beiden Wächter auszuschalten, wollte ihm jedoch beim besten Willen nicht einfallen. ,, Wenn wir die Beiden nicht schnell ausschalten und einer Hilfe ruft…“ , setzte Mhari an. ,, Ich weiß.“ Aber was konnte er tun? In Lasanta hatten sie wenigstens noch etwas Spielraum gehabt. Und ein paar bewaffnete Verbündete. Hier stand er auf sich alleine gestellt, zumindest, bis der unterirdische See trocken gelegt war.

Lasanta… Götter, das war es. Hoffentlich hatte er es mitgenommen. Rasch zog er sich den Trageriemen seiner Instrumententasche über den Kopf und faltete das Lederetui auf. Messer, Pinzetten und Schweren kamen ans Zwielicht, aber davon suchte er jetzt nichts. In einer kleinen Schlaufe am Rand der Mappe steckten mehrere Glasviolen mit verschiedenen Flüssigkeiten. Manche enthielten zerstoßene Speicherkristalle, andere einfach nur getrocknete oder in Alkohol konservierte Kräuter. Rasch zog er eine davon heraus und hielt sie gegen das schwache Licht, das vom See aus an die Höhlendecke reflektiert wurde. Die

Flüssigkeit im inneren schimmerte leicht grünlich. Hoffentlich funktionierte es nach der ganzen Zeit auch noch. ,, Was ist das ?“ , wollte Mhari wissen. ,, Nun, du bist nicht die einzige, mit einem Ass im Ärmel. Das ist ein Gift, das aus der Gegend um Lasanta stammt. Ich hatte bis jetzt nicht mehr daran Gedacht, das ich noch etwas übrig habe. Der Händler, bei dem ich es erworben habe, war damals froh mich los zu sein. Das war noch bevor das alles hier anfing.“ ,, Und das hilft uns wie weiter ? Wenn du sie vergiften willst, interessiert mich wie. Die haben nichts Essbares dabei und wir auch nicht. Du wirst sie kaum

überzeugen, das einfach so zu schlucken.“ ,,Das habe ich auch nicht vor.“ Erik fischte einige Nadeln aus seiner Tasche hervor und entfernte gleichzeitig vorsichtig den Verschluss der Phiole. ,, Ein Tropfen davon in der Blutbahn reicht und man ist tot, bevor man überhaupt etwas merkt. Aber wenn man es isst passiert einem nichts.“ ,, Und das weißt du, weil…“ ,, Ich habe es ausprobiert.“ , antwortete Erik und tauchte zwei der Nadeln in die Flüssigkeit ein, bevor er die übrigen wieder in seiner Tasche verstaute und die Phiole versiegelte. ,, DU bleibst erst einmal hier. Ich bin mir nicht ganz

sicher, ob es funktionieren wird. Wenn nicht… findest du eine Möglichkeit Cyrus und den anderen zu helfen. Sie müssen entkommen, das ist was zählt.“ ,, Du magst die beiden, oder ?“ ,, Ich versuche nicht viele Freunde zu haben, Mhari. Du weißt selbst warum. Sie sterben alle irgendwann. Aber ja… Wenn ich ihnen helfen kann, werde ich es tun. Und wenn ich versage, dann bitte ich dich eben, es an meiner Stelle zu tun.“ Mit diesen Worten stand er auf und verbarg je eine Nadel in seiner Handfläche. Niemand würde merken, dass er eine Waffe mit sich trug, die tödlicher wäre, als jedes Schwert. Wenn

er dazu kam, sie auch einzusetzen. Er trug nach wie vor die gestohlene Uniform und so grüßten ihn die beiden Wächter ohne jedes Misstrauen. Nur einer von ihnen hob die Laterne etwas, damit er die Züge seines Gegenübers besser erkennen konnte. ,, Für die Ablösung ist es noch ein wenig früh.“, meinte der Posten mit der Laterne. Erik ließ die vergifteten Dornen aus seiner Faust rutschen. ,, Verzeiht, ich dachte nur ihr solltet vielleicht erfahren, das eure Ablösung vorverlegt wurde.“ Er bewegte sich schnell. Der erste Wachposten kam nicht einmal mehr dazu zu reagieren, bevor er ihm die Nadel in

den ungeschützten Arm rammte. Der zweite versuchte noch, den Schlag mit der Lampe abzuwehren, unwissend, das es dem Arzt bereits reichte, wenn er nur seine Handfläche anritzte. Das ganze dauere keine zehn Herzschläge, bevor die Männer in sich zusammenbrachen und mit einem dumpfen Schlag auf dem Höhlenboden aufkamen. Mhari schloss sich ihm wieder an, als er sich die stillgelegte Dampfmaschine besah. ,, Eines muss ich dir lassen, du bist ein gutes Stück geschickter geworden.“ Er überging die Bemerkung, während er bereits eine Gittertür im Boden der Konstruktion öffnete. Ruß und

Kohlenstaub hatten die Eisenstäbe schwarz gefärbt. ,, Besser wir beeilen uns.“ , meinte Erik, bevor er einen der aufgestapelten Kohlensäcke schulterte und zu der Luke herübertrug und den gesamten Inhalt hereinrieseln ließ. Sie mussten sicher gehen, dass die Glut auch lange genug ausreichte, um den See leer zu bekommen. Ehe sie sich versahen, loderte bereitsein Feuer unter den Kesseln der Pumpen, in denen das Wasser bald zu Kochen begann. Langsam und träge setzten sich die einzelnen Kolben und Zahnräder in Bewegung und im See entstanden Wellen, als die Maschinerie endlich

anlief. Oben würde sich niemand groß darüber wundern, dass man den Wasserstand im See wieder einmal korrigierte. Höchstens, wenn ihnen auffiel, das die Pumpen diesmal nicht nach kurzer Zeit abgeschaltet wurden. Aber bis dahin würde es bereits zu spät sein. Erik konnte dabei zusehen, wie der See dahin schwand. Zumindest dieser Teil ihres Plans schien aufzugehen.

Kapitel 118 Der Aufstand


Eden ließ den Blick über die etwa zwanzig Sklaven wandern, die sie heimlich hatte zusammenrufen können. Ein paar hatten irgendwie Fackeln organisiert, die für unstetes, aber ausreichendes Licht sorgten. In einem stillgelegten Tunnel und während der eigentlichen Ruhezeit, würde niemanden ihre Abwesenheit auffallen. Die Aufseher würden merken, wenn morgen früh jemand fehlte, aber Nachts begnügten sie sich damit, die Tunneleingänge zu bewachen, in die sie ihre Gefangenen sperrten. Zum Glück

jedoch, waren diese oft weit verzweigt und boten so durchaus Raum für ein heimliches Treffen. Sie konnte nicht alle Sklaven selber informieren, dafür waren es einfach zu viele und wenn einem Aufseher auffiel, was sie tat, wäre ihr Plan erneut zum Scheitern verurteilt. Aber wenn sich zwanzig Sklaven nach dem Weckruf im Morgengrauen in den Tunneln verteilten, würde das kaum so viel Aufmerksamkeit erregen, wie eine einzelne Gejarn, die sämtliche Schächte abging. Solange sie vorsichtig waren… Noch zögerte sie jedoch, den Leuten zu erklären, was sie vorhatte, das der Tag auf den sie gewartet hatten endlich da

war. Weder Mhari noch Erik waren bisher zurückgekommen, aber das musste nichts bedeuten. Trotzdem hoffte sie, dass die beiden bald auftauchen würden. Sie hatten nur Zeit, bis die Aufseher zurückkehren würden, bis dahin mussten die Boten Bescheid wissen. Wenn am Morgen entdeckt wurde, dass der Stausee abgelassen worden war, würde man sich beeilen, die Minen anderweitig zu sichern. Es gab ein kleines Zeitfenster und das mussten sie nutzen. Eden konnte die aufkommende Ungeduld der Leute spüren. Genau wie ihre eigene Ungeduld. Heute würde sich entschieden, ob sie frei sein würden… oder bei dem

Versuch starben. Cyrus stand neben ihr, an einen der Felsen gelehnt. Die meisten übrigen Sklaven machten einen Bogen um den Fremden in ihrer Mitte, auch wenn Eden sie da hätte beruhigen können. Wenn das hier alles vorbei war… Sie schüttelte die Gedanken ab. Dafür war im Moment kein Raum mehr. Aber früher hätte sie wohl nur ungern darüber nachgedacht, sich einmal irgendwo niederzulassen. Es war ein… schöner Gedanke. Wenn das hier vorbei war, wäre sie auf mehr als eine Hinsicht wahrhaft frei. Andre würde sein Ende finden. Der Gedanke an Rache war ihr nicht unvertraut. Und doch bekam er einen leicht bitteren Beigeschmack, wenn

sie an alles zurückdachte, was hinter ihnen lag. Sie hatte nie wirklich so etwas wie Frieden gefunden, außer vielleicht in einigen wenigen, kurzen Momenten. Und schuld daran war allein dieser Mann… oder nicht? Ging nicht auch Andre davon aus, alles sei ihre Schuld? Der Gedanke war seltsam. Es spielte keine Rolle, was dieses Monster dachte. Nur ob es sie für alle Ewigkeit verfolgen würde. Sie hatte einmal bereits geglaubt, zumindest ihren Hass auf den Herrn Silberstedts begraben zu können. Doch das war vor all dem hier gewesen. Bevor er die Welt in Feuer getaucht und sie in

einen Alptraum gestürzt hatte. Eilige Schritte, die durch den Tunnel hallten, rissen sie aus ihren Gedanken. Einen Moment hielt sie den Atem an, die Hand bereits auf den Griff eines weiteren, selbstgebauten Messers ruhend. Wenn doch jemand bemerkt hatte, was sie vorhatten… Eden atmete erleichtert auf, als zwei bekannte Gesichter aus der Dunkelheit auftauchten. Erik wirkte etwas erschöpft und seine ehemals graue Uniform war von Kohlestaub dunkel verfärbt, aber es schien ihm gut zu gehen, genau wie Mhari. ,, Der See ist kein Problem mehr.“ , erklärte die Clan-Älteste an Eden

gerichtet, als wären die anderen gar nicht da. Sofort brach aufgeregtes Gemurmel unter den Sklaven aus. Ohne es zu wollen, oder vielleicht auch beabsichtigt, hatte die Gejarn ihnen grade eröffnet, das ihre größte Angst, das eine, das sie mehr als alles andere unter Kontrolle gehalten hatte… fort war. Eden wusste, das jetzt der Moment gekommen war, aus diesem Hoffnungsfunken mehr zu machen. Und wenn das für diese Leute jemand konnte… dann wohl sie. Unbeabsichtigt hatte sie sich mit Maliks Tod zu ihrer Anführerin gemacht. Sie war immer die

gewesen, die sich nicht unter den Schlägen der Aufseher weggeduckt hatte, die es gewagt hatte, sich zu wehren, wo jeder Kampf zwecklos schien. Aber was sollte sie ihnen sagen? Rhetorik war etwas für Adelige und Fürsten. Aber als sie einmal anfing, kamen die Worte wie von selbst. ,, Es stimmt.“ , erklärte sie schließlich. ,, Diese beiden haben heute den Stausee in den oberen Höhlen abgelassen. Wenn die Wachen das nächste Mal dort sein werden, wird es kein Wasser mehr geben. Ihr Damm wird nutzlos sein. Jetzt ist unsere beste Gelegenheit, zu entkommen. Nutzen wir sie nicht… wer weiß, ob es jemals wieder so eine Chance

geben wird. Ich für meinen Teil habe nicht vor, so lange abzuwarten.“ ,, Wir auch nicht.“ , antwortete einer der Sklaven mit brüchiger Stimme. Wer wusste schon, wie lange es her war, seit er laut gesprochen hatte, doch nun, wo er es einmal gewagt hatte, schlossen sich ihm weitere Stimme an. Der Bann, der diese Männer und Frauen so lange festgehalten hatte bröckelte beim Klang der rauen Stimme eines von ihnen. ,, Niemals. Es ist genug.“ ,, Wir sterben hier unten sowieso.“ , stimmte ein weiterer zu. ,, Also können wir es genauso gut so tun. Selbst wenn wir nur eine kleine Chance hätten zu

entkommen.“ ,, Wir haben nicht nur eine kleine.“ , mischte sich Eden ein. ,, Nicht, wenn wir es richtig anfangen. Ich will das ihr sobald die Aufseher uns morgen wecken loszieht und euch unter den übrigen Sklaven verteilt. Sagt ihnen, was ich euch gesagt habe. Und sagt ihnen, sie sollen sich bereithalten. Noch bevor der nächste Tag zu Ende geht, werden wir wieder in der Sonne stehen. Und wir werden stattdessen Lord Andres Aufseher hier unten begraben.“ , erklärte sie grimmig. ,, Es ist egal, ob ihr sie mit einer Hacke oder einem Stein angreift, auch diese Bastarde sterben, wenn ihr ihnen den Schädel zerschmettert. Die

Zeit sich zu Ducken ist vorbei…“ Cyrus starrte in die Dunkelheit und betrachtete die schlafenden Bündel, die jetzt ihre ganze Hoffnung darstellten. Mit ihnen waren wohl leicht zweihundert weitere Sklaven in dem Abschnitt der Minen, den die Aufseher zum Schlafplatz für sie ausgewählt hatten. Oder besser, dort, wo die Männer ihre Arbeit beendet hatten, dachte der Wolf. Von ihnen zumindest schlief niemand. Cyrus konnte die Gestalten seiner drei Gefährten in der Dunkelheit sehen. Oder zumindest ihre Umrisse erahnen. Zwar hatte er bessere Augen als ein Mensch,

aber hier unten kam selbst er sich fast blind vor. Erik würde vermutlich gar nichts mehr erkennen können. Doch schließlich, er wusste nicht, wie lange es dauerte, tauchte ein schwacher Lichtschein aus der Dunkelheit auf. Laternen, nicht das unstete Licht der Fackeln. Er ermahnte sich, nicht zu früh zu handeln, als drei Aufseher aus dem Tunnel auftauchten und begannen, die am Boden schlafenden Sklaven unsanft zu wecken. Sie riefen nicht einmal, sondern traten nur nach den in verschmutzte Decken gewickelten Gestalten. Er bemühte sich, auf die Beine zu kommen, bevor ihn einer der Männer

bemerkte. Nach wie vor trug er seine Waffen in seiner Kleidung verborgen, aber wenn einer der Aufseher zufällig darauf stieß… Die Männer jedoch ignorierten ihn zum Glück. Vielleicht bemerkten sie ihn in der Dunkelheit auch gar nicht oder sie hatten Angst, sich mit jemanden Anzulegen, der auch so aussah, als könnte er sich wehren. Erik gesellte sich unauffällig zu den drei Wächtern, während nun auch die letzten Gefangenen hochschreckten. Jedoch mit deutlich weniger Angst in ihren Augen, als Cyrus erwartet hätte. Die Nachricht über ihr Vorhaben hatte sich zumindest hier bereits wie ein Lauffeuer verbreitet

und im Laufe der nächsten Stunden würde es alles und jeden, der hier unten gefangen gehalten wurde erreicht haben. ,, Los beeilt euch ein bisschen.“ , rief einer der Wächter, während die anderen sie hinaus durch die Tunnel und hinaus in die große Hautpkammer trieb. Die Männer schienen ebenso nervös, wie die Sklaven. Vermutlich hatten sie bereits den leeren See entdeckt, konnten sich wohl aber einfach nicht erklären, wie das möglich sein sollte. Würden sie etwas anderes, als ein Versehen dahinter vermuten, wären sie vermutlich nicht hier sondern immer noch eingesperrt in den leicht zu sichernden Tunneln. Cyrus hielt sich so gut wie möglich bei

den anderen, während er dabei zusah, wie sich ihre Boten unter die übrigen Sklaven mischten, bevor man diese Grüppchenweise in andere Tunnel brachte, in denen heute gearbeitet werden sollte. Nur heute, dachte er, würde man oben vergeblich darauf hoffen, das Soll zu erfüllen. Die Nachricht verbeiete sich leise, aber stetig, wie eine Welle und selbst die allgegenwärtigen Aufseher sahen sich unfähig, der kurzen Unruhe Herr zu werden, oder ihre Gefangenen, die sich immer wieder die gleiche Nachricht zuflüsterten zum Schweigen zu bringen. Jeder würde wissen, was bald geschehen musste. Und jeder würde sich dann

entscheiden müssen. Cyrus bezweifelte, dass jemand Untätig bleiben würde. ,, Was grinst du so dämlich, Großer ?“ Ein Schlag traf ihn ins Gesicht, aber selbst das konnte das düstere Grinsen nicht von seinem Gesicht fegen. Das hier nahm heute ein Ende. So oder so. Eden war es schließlich, die als erste Zuschlug. Cyrus sah, wie sie ein Messer aus ihrem Ärmel gleiten ließ und es dem erstbesten Aufseher in den Hals rammte. Bevor der Mann auch nur auf dem Boden aufkam, brach sich die angestaute Wut und Angst der übrigen Sklaven Bahn. Mit Spitzhacken, Steinen und Fäusten gingen sie auf ihre alten Peiniger los,

die sich plötzlich inmitten eines wütenden Mobs wiederfanden, der auch vor Stahlknüppeln und Keulen nicht mehr zurückschreckte. Mehrere Zwangsarbeiter gingen zu Boden, als einige der Wächter zu den Gewehren griffen und blind auf sie feuerten, aber andere Rücken sofort nach. Cyrus selbst zog sofort die Axt und schleuderte die Waffe nach einem Aufseher, der grade mit der Muskete anlegen wollte. Die Waffe traf ihn in die Brust und der Schuss, der sich aus der Flinte löste ging in die Luft. ,, Nach oben !“ , könnte er Mhari über den aufkommenden Lärm hinweg rufen hören. Und diese Worte waren den

meisten Sklaven genug. Einen beängstigenden Moment lang fürchtete Cyrus schlicht, von der Masse aus sich in Richtung Ausgang in Bewegung setzenden Sklaven mitgerissen zu werden. Die Männer ignorierten jetzt alles andere, ließen verwundete und zu Boden gerungene Aufseher zurück wo sie waren und stürmten los. Die wenigen Wächter, die sich ihnen in den Weg stellen wollten, mussten schnell herausfinden, dass man tausende Verzweifelte auch nicht mit Waffengewalt aufhalten konnte. Vor allem nicht, wenn diese absolut nichts mehr zu verlieren hatten. Einige versuchten noch,

zurückzuweichen, wurden aber lediglich von hunderten Armen zu Boden gerissen oder von der Masse der Körper zur Seite gedrückt. Sie hatten geplant, die Sklaven im Zweifelsfall zu ertränken. Doch nun erlebten sie eine ganz andere Art von Flut. Eine, von der Cyrus sich einfach mitnehmen ließ. Wo Eden, Mhari oder Erik waren wusste er nicht. Für den Moment musste er darauf hoffen, dass sie unverletzt waren und sie sich draußen wiederfanden. Denn dass sie es dorthin schaffen würden, daran zweifelte er nicht mehr… Schon hatten sie die Höhle mit dem nun trocken gelegten See erreicht. Manche

der Flüchtigen setzten über den hölzernen Damm und liefen durch das steinerne Becken, andere wagten den nun gefährlich hohen Balanceakt über das ehemalige Ufer. Und dabei sah er auch endlich die anderen wieder. Sie hatten es zumindest geschafft zusammenzubleiben. Erik, Mhari und Eden bahnten sich gemeinsam einen Weg weiter in Richtung des Aufgangs. Der letzte Abschnitt ihrer Flucht, bevor sie endlich Tageslicht sehen würden lag direkt vor ihnen. Rasch schloss er zu ihnen auf und gemeinsam erblickten sie den ersten Schwachen Lichtschimmer. Nicht das Licht von Fackeln oder Laternen, sondern echte Sonnenstrahlen, die durch

den Höhleneingang in die Tiefe drangen. Unglaublich, wie sehr man so etwas bereits nach nur einem Tag vermissen konnte. Die Kälte schlug ihm wie eine Welle entgegen, aber er genoss das Gefühl des Winds und der Schneeflocken, die sich in seinem Gesicht verfingen und Schmolzen. Händler und Wachen nahmen Reißaus, als sie die abgemagerten, zerlumpten und nun teilweise blutbesudelten Gestalten bemerkten, die aus der Tiefe hervortraten. Die Kälte schien den wenigsten etwas auszumachen. Dafür hatten sie schon zu viel Schlimmeres erlebt. Und nun einmal frei und dem Sonnenlicht seit wer wusste

schon wie vielen Jahren wieder ausgesetzt, würden sie lieber sterben, als noch einmal zurück zu gehen. Cyrus blieb mit den anderen Stehen, als sie auf das Geröllfeld vor den Minen heraustraten und zusahen, wie die Sklaven über die Pässe hinab stiegen. Direkt nach Silberstedt hinein… Sie würden ein heilloses Chaos anrichten, da war der Wolf sich sicher. ,, Beeilen wir uns.“ , meinte Eden. ,, Wir müssen noch Zachary holen, solange die Stadtwache sich noch nicht organisiert. Zum Anwesen.“ Sie nickte in Richtung eines großen Baus, der über der Stadt drohte, die nun langsam von jenen überrannt wurde,

denen sie ihre Existenz verdankte.

Kapitel 119 Der lange Heimweg


Quinn sah auf zu den schwarzen Granitmauern, die einstmals die Heimat des Sangius-Ordens gewesen waren. Nun jedoch hatten sich Vögel unter den hohen Dächern und auf den Spitzen der Türme eingenistet und vielen der Wirtschaftsgebäude im Hof sah man an, das sie nun beinahe ein Jahr lang verlassen waren. Das Holz hatte Moos angesetzt, stellenweise waren Bretterwände entfernt worden, vermutlich von Andres Leuten, um an

Brennholz zu kommen. Nachdem Cyrus und die anderen aufgebrochen waren, hatten sie weiterhin jeden Tag darauf gehofft, dass das Wetter aufklarte. Eine Hoffnung, die sich vor einer Woche schließlich erfüllt hatte. Statt jedoch die schmalen pfade über die Berge zu nehmen, die der Wolf benutzt hatte, hatte Kellvian sie in einem Bogen nach Nordwesten geführt, so dass sie sich auf direktem Weg Silberstedt nähern konnten. Es würde ihren Weg verkürzen, aber es bedeutete eben auch, dass sie die Ordensburg passieren mussten. Anfangs hatten sie alle noch befürchtet, Andre könnte die Festung als Stützpunkt

nutzen um ihnen den Weg abzuschneiden. Doch nun, wo er davor stand, wusste Quinn, das dieser Ort verlassen war. Nur warum ? Hinter ihm, außerhalb des schneebedeckten Tals, in dem die Burg lag, zog die Armee in einem endlosen Zug die in Serpentinen angelegten Pässe hinauf. Nur er hatte sich kurz von den Truppen getrennt. Wenn er schon hier war, wollte er sehen, was noch von diesem Ort übrig war. ,, Sieht nicht so aus, als wäre jemand Zuhause.“, bemerkte Lucien. Wussten die Götter, wieso der Agent und Syle ihn unbedingt hatten begleiten wollen aber…

vielleicht war es in Ordnung, diesen Ort nicht alleine wieder betreten zu müssen. Der Burghof war eine einzige gefrorene Schlammwüste, in der hartnäckiges, vom Winter gelb verfärbtes Unkraut spross. Eiskristalle waren aus dem Boden gewachsen und wirkten beinahe wie Zähne, die mit leisem Knirschen unter Quinns stiefeln zersplitterten. Zielsicher lenkte er seine Schritte auf das große Eingangsportal zu. Ein gewaltiger Felsblock war aus dem Torbogen geschleudert worden und hatte mehrere Steinplatte und Stufen vor dem Durchgang zerschmettert. Quinn besah sich den Stein, der leicht dreimal so groß war, wie er selbst. Es bräuchte

unglaubliche Gewalt, um diesen Koloss auch nur ein Stück weit zu bewegen, geschweige denn, ihn aus seiner Fassung zu lösen. Der Rundbogen selber, in dem einst die Torflügel eingelassen waren, war halb in sich zusammengesackt und wurde nur noch von einem filigranen Gleichgewicht aus zerschmettertem Holz und Schutt aufrecht gehalten. Quinn trat unter dem Tor hindurch in die Halle dahinter. Das Bild, das sich ihm hier bot, war auch nicht viel besser als das draußen. Wandteppiche, die einstmals die Kälte hatten abhalten sollen, hingen zerrissen an den Wänden oder fehlten gänzlich. Vermutlich hatten

einige von Andres Kriegern den Wert der uralten Stickereien erkannt und mitgenommen. Kriegsbeute… Mehrere lose Seiten lagen über den Boden verstreut, manche davon schlichte Verwaltungsaufzeichnungen, andere hingegen stammten aus den weitreichenden Archiven, die der Orden im Laufe der Jahrhunderte hier angelegt hatte. Abschriften von längst verloren gegangenen Steintafeln des alten Volkes, Aufzeichnungen von Simon Belfare selbst bis hin zu Schriften über Canton und Urkunden über den Besitz der Zauberer. Hoffentlich war wenigstens ein Teil dieser Schätze erhalten geblieben und nicht jenen zum Opfer

gefallen, die sie nicht verstehen konnten oder wollten. Andres Männer hatten sich hier genommen, was sie wollten und waren dann wieder gegangen. Er ging langsam weiter, Syle und Lucien dicht hinter sich. Weitere zerstörte Folianten säumten ihren Weg, zusammen mit zerschmetterten Kristallen und bunten Glasscherben, die einstmals in den hohen Fenstern der Galerie über ihnen gesessen hatten. Die Burg machte vielleicht an vielen Orten einen düsteren Eindruck, aber das hier war einer der wenigen Orte, an denen das ganz sicher nicht zutraf. Selbst jetzt, wo die Fenster nur noch leere Lücken im Stein waren,

verliehen die Lichtbahnen, die von draußen hereinfielen allem einen ätherischen Glanz. Schmelzwasser hatte sich auf den mit Teppichen ausgelegten Böden gesammelt und war dort zu einer feinen Eisschicht gefroren. Irgendwo über ihnen schreckte ein Vogel auf und flatterte verängstigt davon, an einen Ort, weg von den drei Männern, die die Ruhe dieses Ortes störten. Quinn hob eines der beschädigten Bücher auf und blätterte die Seiten durch. Das Papier war durch Wasser und Zeit angegriffen worden und die Buchstaben kaum mehr lesbar. Er ließ es fallen. Aber alles in allem war die Burg in besserem Zustand, als er anfangs gehofft

hatte. Leben wollte hier drinnen fürs erste sicher niemand mehr. Aber eines Tages könnte es vielleicht wieder die Heimat des Ordens werden. Wenn das allesvorbei war. Und wenn er das auch noch wollte. Der Orden würde sich ändern müssen, nach allem was geschehen war. Eine Lebensaufgabe. Nein mehr als das… Selbst wenn er jetzt anfing, er würde wohl nicht mehr erleben, wie sich der Orden reformierte. Aber das Monopol auf Zauberei könnte er lockern. Er hatte noch nicht mit Relina gesprochen, aber wenn sich jetzt eine zweite Gemeinschaft von Magiern auf dieser Welt erhob... mit dem absolutistischen Anspruch den der Orden

bisher erhoben hatte, würde das unmöglich sein. Aber er würde dafür Sorgen… ,, Quinn ?“ Luciens Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. ,, Was ist denn ?“ Er versuchte erst gar nicht den genervten Unterton zu verbergen. ,, Nun…“ Es war Syle der antwortete. ,, Verzeiht, aber ihr seht irgendwie grade… glücklich aus.“ ,, Und ich dachte schon wirklich , das könntet ihr gar nicht.“ , fügte Lucien hinzu. ,, Wisst ihr, Lucien. Eines Tages strapaziert ihr meine Geduld einmal über.“ Er machte einen drohenden

Schritt auf den Agenten zu. ,, Leider ist das nicht heute. In gewisser Weise… ja ich bin zufrieden. Aber ich will auch noch etwas überprüfen. Kommt mit.“ Die anderen folgten ihm, als er den altvertrauten Weg durch das leer stehende Gemäuer nahm, hin zu einem der Türme an der Außenmauer. SO weit er sagen konnte, waren nur wenige Räume hier von Plünderungen verschont geblieben, als Andres Männer den Ort wieder verlassen hatten. Die großen Versammlungshallen waren selbst ihrer Möbel beraubt, Asche aus den Kaminen über den Boden verteilt worden. Stellenweise konnte er auch Spuren eines magischen Gefechts finden. Verbranntes

Gebälk, von magischer Energie aufgeschmolzener Stein, der zu einer glasartigen Masse erstarrt war. Ihm war durchaus klar, was er hier sah. Das Ergebnis von Kiaras Kampf mit dem Magier des alten Volkes. Er hatte seit einer Weile nicht mehr an die Ordensoberste gedacht. Allerdings, er hatte ja auch nicht damit gerechnet, noch einmal hierher zu kommen. Endlich fand er, was er gesucht hatte, eine Tür, die auf die Außenmauern der Anlage hinaus führte. Einstmals hatten die hohen Wälle wohl einen echten nutzen gehabt, aber nun, wie spätestens bei der Belagerung durch Andres Leute klar geworden war, hatten diese lange

ausgedient. Kalter Wind schlug ihm entgegen, sobald er die zumindest halbwegs geschützte Burg verließ und auf die Zinnen hinaus trat. Mehr aus Gewohnheit suchte er den Himmel ab, konnte nur aber ein zwei dunkle Schatten entdecken, die deutlich zu groß für Vögel waren. Wyvern. Die niederen Drachen hatten sich schon immer in der Nähe der Burg gesammelt, vielleicht weil sie wie ihre größeren und edleren Verwandten ein natürliches Gespür für Magie besaßen. Jetzt zumindest, waren nicht ehr viele da. Was ihm nur recht sein konnte, wenn er an ihre letzte Begegnung mit einer dieser Kreaturen

dachte. ,, Was suchen wir eigentlich ? fragte Syle und ließ den Blick über den Innenhof unter ihnen schweifen. Aus der Höhe übersah man die meisten Schäden und konnte so leicht dem Eindruck erliegen, das die Burg noch bewohnt war. ,, Ich suche nichts, ich will etwas nachsehen.“ , antwortete Quinn , während er auf den Turm vor ihnen zuging. Seine Hoffnung, wenigstens diesen Ort von Plünderungen verschont zu finden, löste sich bereits jetzt in Wohlgefallen auf. Das Holz der Turmtür war zerschmettert, offenbar mit einer

Axt. ,, Ich sehe schon“, kommentierte Lucien, ,, Unser Herr Zauberer gibt sich Mysteriös.“ Quinn versuchte erst gar nicht, sich über ihn zu ärgern. Im Augenblick gab es wichtigeres, als die Eskapaden des kaiserlichen Spions. Er streckte die Hand aus und die Tür schwang ohne Wiederstand auf. Dahinter führte eine gewundene Treppe nach oben. Manche der Stufen waren gesprungen, andere von Jahrhunderten der Benutzung ausgetreten. Ohne darauf zu achten, ob die anderen ihm folgen würden, stieg Quinn rasch die Treppe hinauf, auf der teilweise

Holzsplitter und Schmutz verteilt lagen. Nein , auch seine eigene Zuflucht war nicht verschont worden. Etwas, das spätestens nicht mehr zu leugnen war, als er die Kammer im Obergeschoss des Turms betrat. Die meisten Möbel waren verschwunden, bis auf einen großen Klavierflügel am Fenster. Das Instrument war wohl zu schwer gewesen, als das man sich damit hatte abmühen wollen. Trotzdem hatte es jemand zerstört. Mehrere Tasten fehlten, das Holz des Rahmens war wie schon die Tür mit Äxten und Schwertern zerbrochen worden und die Seiten im inneren gerissen. ,, Was ist das hier ?“ , wollte Lucien

wissen , während er an dem nutzlosen Klavier vorbei ans Fenster trat und einen Blick hinaus warf. ,, Wenn wir es unbedingt wissen wollt… das hier waren einmal meine Räume. Aber… hier gibt es nichts mehr zu sehen.“ Er hatte nur das Gefühl gehabt, damit abschließen zu wollen. Und das hatte er getan. Gründlich. Selbst hier war nichts mehr aus seinem alten Leben geblieben. Und auf eine Art war er mittlerweile tatsächlich… froh darüber. Es war ein langer Heimweg gewesen. ,, Gehen wir.“ Als sie in die Eingangshalle zurückkehrten, wartete dort bereits jemand auf sie. Relina sah sich, gegen

die Kälte in einen schweren Mantel gewickelt, in der lichtdurchfluteten Halle um. ,, Das hier war also die Heimat eurer Magier ?“ , fragte sie an Quinn gerichtet. Sie lächelte etwas, eine Geste, die Quinn nicht richtig einzuordnen mochte. Dachte sie nur über etwas nach, oder war es wirklich freundlich gemeint? ,, Es sieht wohl ganz so aus, als sei ich im falschen Land geboren.“ ,, Nun, nach allem was ich gehört habe, baut ihr eure eigene Enklave auf.“ , antwortete er. So spontan hatte er eigentlich nicht darüber sprechen wollen, aber jetzt war wohl eine genau so gute Gelegenheit, wie irgendwann

sonst. Vielleicht ihre letzte, bevor sie Silberstedt erreichten. Die Stadt war nicht mehr weit. Ein paar Tagesreisen vielleicht noch und sie würden Andre de Immerson ein letztes mal gegenüberstehen… ,, Das ist wahr. Aber ich schätze, bis wir so weit wären, etwas wie das hier zu bauen…. Vergehen noch Jahrzehnte. Wir haben alle Hände voll damit zu tun, uns nur zu ernähren.“ ,, Es wird vielleicht nicht ganz einfach, den Orden davon zu überzeugen, so etwas zu dulden.“ Relina zog eine Augenbraue hoch, eine Geste die einerseits komisch wirkte, andererseits irgendwo eine Alarmglocke

in seinem Kopf zum schrillen brachte. ,, Ihr seid ihr Anführer, nicht ?“ Sie schien einschätzen zu wollen, ob er ihr gefährlich werden konnte. ,, Das mag sein, aber im Augenblick gibt es nicht viel, was sich Ordensmagier nennen kann. Viele von uns sind noch verstreut und die die es nicht sind… Ich könnte ihnen sicher diktieren, was sie zu tun haben, aber das würde nur halten, bis es einen neuen ordensobersten gibt. Und ob der oder diejenige euch dann noch duldet… Ich habe vor, den Orden grundlegender zu verändern. Und verzeiht, aber wenn es mehr wie.. . euch gibt, ist das ohnehin notwendig. Wir haben uns zu lange auf unserer Macht

ausgeruht und diese Welt verändert sich. Aber was immer auch geschieht, ich kann euch beruhigen. Der Orden und Maras werden keine Feinde sein, solange ich das verhindern kann.“ Sie nickte. ,, In diesem Fall gebe ich euch das gleiche Versprechen.“ ,, Und ich dachte schon, wir finden uns gleich in einem Inferno wieder.“ ,,Lucien…“ Dieser Mann schien es sich einfach zur Lebensaufgabe gemacht zu haben, seine Nerven zu strapazieren. ,, Besser, wir sehen zu, das wir die anderen Einholen.“ ,, Ihr könnt laufen?“ , fragte Syle an Relina gerichtet. ,, Mir geht es gut…“ , antwortete die

Gejarn lediglich, während sie unter dem instabilen Torbogen hindurchtraten. Hinaus auf den gefrorenen Innenhof, auf dem sich das Licht der Sonne spiegelte. Obwohl es nach wie vor eisig war, schienen die Wolken sich endgültig verzogen zu haben und ließen eine in gleißendes Weis getauchte Welt zurück.

Kapitel 119 Der lange Heimweg

Kapitel 120 Vater


Der Herr Silberstedts stand am Fenster und sah auf die langsam im Chaos versinkende Stadt hinaus. Andre konnte den Lärm bis hierhin hören. Gedämpfte Schreie, Schüsse, der Geruch von Rauch , der in kleinen Schwaden aus den Gassen aufstieg und sich am klaren Himmel verlor… Er drehte sich nicht einmal um, als ein Bote ins Zimmer gehastet kam. Er wusste längst, was dort vor sich gehen musste. Nur wie das möglich sein konnte wollte ihm einfach nicht einfallen. Er hatte einen Fehler gemacht. Irgendwo

war irgendeine Lücke gewesen…. ,, Herr, die Sklaven lehnen sich auf. Sie sind schon in den Straßen. Die Stadtwache und eure übrigen Männer versuchen, der Lage Herr zu werden, aber es sind viele, ich…“ ,, Geht.“ , befahl er und unterbrach den Mann. ,, Tut was nötig ist und wenn ihr jeden einzelnen von ihnen tötet.“ ,, Ja… Jawohl Herr.“ Der Mann verbeugte sich und verschwand wieder. Andre spürte den Luftzug, als die Tür hinter ihm wieder ins Schloss viel. Vielleicht einen Moment später, als sie sollte. Eden… Verflucht sei diese Gejarn. Er tippte auf den Deckel des kleinen

Metallkästchens, das er neben sich auf der Fensterbank stehen hatte. ,, Deine Pläne sind gescheitert, Andre. Es ist vorbei.“ Er drehte sich nur wiederwillig zu der Stimme um . Zachary stand vor ihm, kaum drei Schritte entfernt. In den türkisfarbenen Augen des Jungen blitzte es gefährlich. ,, Aber noch kannst du zumindest eine Sache richtig stellen. Gib mir die Träne zurück und lass mich gehen.“ ,, Du hast keine Ahnung, was da draußen passiert.“ , meinte er. Zachary zuckte nur mit den Schultern. ,, Ansonsten gehe ich eben auch ohne. Du sieht das da draußen genau so sehr wie ich. Weißt du, ich glaube du verstehst es

einfach nicht. Mich hält nichts mehr hier. Gar nichts.“ Der Junge wirbelte herum und wendete sich zum gehen… Götter, das konnte doch nicht möglich sein. Wie sehr hatte diese irre Sklavin seinen Verstand den bitte vergiftet? Den Aufstand würde er schon niederschlagen, aber wenn Zachary jetzt ging… ,, Du wirst hier bleiben !“ , brauste er auf und stellte sich ihm in den Weg. Zachary lachte nur, aber es lag keinerlei Freundlichkeit in diesem Laut. ,, Was willst du machen ? Misch auch schlagen?“ Andre hielt inne. Nicht nur, das die Idee lächerlich war, einen Magier attackieren

zu wollen… Zachary hatte mehr das deutlich gemacht, das er nicht davor zurückschreckte, sich zu wehren. Ob er es zugeben wollte oder nicht, er hatte seinen letzten Trumpf verloren. Eden war frei oder vielleicht auch tot. Aber irgendwie glaubte er an letzteres nicht. So viel Glück würde er nicht haben. Und er war nicht so tief gesunken… Wortlos drehte der Herr Silberstedts sich um und trat erneut ans Fenster, wo nach wie vor das versiegelte Metallkästchen stand. Einen Moment lang zögerte er, dann öffnete er vorsichtig den Deckel. Ein kurzer Lichtbogen sprang zwischen den beiden Schatullen-Hälften hin und her, bevor er sie endgültig

aufzog. Das blaue Juwel lag auf einem schlichten Samtpolster, die filigrane Silberkette, die es trug darum zusammengelegt. Andre nahm den Stein heraus und wog ihn einen Moment nachdenklich in der Hand. Er hatte verloren. Zumindest diese Schlacht. ,,Nimm.“ Er warf das Amulett Zachary zu, der es aus der Luft fing und misstrauisch betrachtete. ,, Und jetzt… geh eben.“ ,, Falls du glaubst, das ändert irgendetwas für mich…“ ,, Das interessiert mich nicht. Ob du mir das glaubst oder nicht, ich wollte immer nur dein

bestes.“ ,, Und vielleicht hätte ich dir das auch noch geglaubt. Vor acht Jahren…“ Zachary hängte sich die Kette um den Hals und ließ das leuchtend blaue Juwel unter seiner Kleidung verschwinden. ,, Leb wohl. Ich warne dich nur einmal. Kommst du je wieder einem von uns zu nahe, wird es nicht Eden sein, die dich töte. Verstanden?“ Er schwieg. Es gab auch nichts mehr zu sagen. Wortlos sah er zu, wie Zachary sich zum Gehen wendete und in den Fluren des Anwesens verschwand. Dann wendete er sich wieder dem Fenster zu, unentschlossen, was er tun sollte. Nach wie vor stiegen Rauchsäulen aus

Silberstedt auf, die sich am blau-grauen Himmel verloren. Es dauerte nicht lange bis Andre erneut gestört wurde. Doch diesmal war die Präsenz, die Eintrat für ihn sofort spürbar. ,, Isamaiel. Ich hätte nicht gedacht, das ihr euch durch ein paar aufrührerische Sklaven beunruhigen lasst.“ Dieses Mal zumindest blieb er standhaft und drehte sich nicht zu seinem Gegenüber um. ,, Was habt ihr getan ?“ , fragte dieses, mit einem entsetzten Unterton in der Stimme. Andre wusste durchaus, was er meinen musste. Nein, der alte Magier war nicht gekommen, weil ein paar Sklaven seine

Stadt in Schutt und Asche legten. ,, Ich wüsste nicht, was euch das angeht.“ ,, Ihr habt ihn gehen lassen… Wir müssen ich stoppen. Ihr wisst nicht, wie wertvoll dieser Junge…“ ,,Dieser Junge, wie ihr ihn nennt, Zauberer ist immer noch mein Sohn… Vielleicht habt ihr das vergessen. Vielleicht habe sogar ich es beinahe vergessen. Aber das ändert wenig daran. Versucht gerne ihn zurück zu bringen. Ich bezweifle jedoch, dass ihr mehr Erfolg habt, als ich. Und solltet ihr ihn verletzen… nun ich sage es einmal so… Ich bezweifle, das ihr all meine Männer töten

könnt.“ ,, Und was werdet ihr tun ?“ , fragte der Zauberer unbeeindruckt über die Drohung. Das war die Frage nicht. Er hatte Zachary verloren… und er war drauf und dran seine Stadt zu verlieren, wenn er nicht schleunigst etwas unternahm. All das, wegen einer einzelnen Person. All das wegen einem Fluch, der ihm jetzt schon viel zu lange in die Quere kam. ,, Was ich tun werde, Ismaiel ? Einen Fehler korrigieren. Etwas, das vor acht Jahren hätte Enden sollen.“ Er konnte kämpfen, wenn er musste. Und mit einer verfluchten Sklavin nahm er es lange auf. Nach allem, was diese frau zerstört

hatte, würde er sich wenigstens das nicht nehmen lassen… Sobald sie die Straßen Silberstedts erreichten, war das Chaos vollkommen. Die befreiten Sklaven strömten auf Straßen und Gassen hinaus, versuchten zum Stadttor zu gelangen oder aber, sie ließen einfach ihrer Wut und Angst freien Lauf. Eden sah wie die ehemaligen Zwangsarbeiter einige hastig von der Stadtwache errichtete Barrikaden einfach überrannten und den Männern ihre Waffen abnahmen. Wenn das so weiterging, würde Silberstedt bis auf die Grundmauern niederbrennen. Das war zwar nicht ihr Ziel gewesen, aber sie sah

auch keinen Weg, sich dem Zorn dieser Leute in den Weg zu stellen. Und es würde es ihnen leichter machen, Andres Herrenhaus zu erreichen. ,, Hier entlang.“ , rief Mhari ihnen zu. Rauchschwaden trieben durch die Straßen und nahmen ihnen teilweise die Sicht. Die Gejarn-Älteste fand ihren Weg jedoch trotzdem mit einer Sicherheit, die Eden nur begrüßte, hieß das doch, das sie umso schneller von den in Flammen stehenden Gebäuden der Innenstadt weg kamen. Das Anwesen lag an einem Hang fast am anderen Seite der Stadt und so mussten sie sich durch die Ströme aus flüchtenden Menschen, verirrten Sklaven

und einzelnen Stadtwächtern kämpfen, die ihrerseits versuchten, in den Stadtkern zu gelangen, wo die entflohenen Gefangenen sich sammelten. Zum Glück schienen sie sich daher nicht sonderlich für vier einzelne Gestalten zu interessieren. Vielleicht täuschte sie auch nach wie vor Eriks Uniform. So oder so, niemand schien es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, Andres Haus besser zu bewachen. Lediglich vier grau uniformierte Soldaten hielten am Zugang zum Hof Wache. Als sie die Neuankömmlinge bemerkten, rief einer ihnen noch etwas zu, doch Eden achtete erst gar nicht darauf, sondern riss eine Pistole hoch, die sie einem Wachmann

entwendet hatte. Die Kugel traf den ihr am nächsten stehenden Soldaten in die Schulter, während die verbliebenen drei nun selber zu den Waffen griffen und hinter der niedrigen Mauer, die das Anwesen umgab in Deckung gingen. Drei Schüsse hallten durch die kalte Luft. Eden und die anderen duckten sich auf offener Straße, in der Hoffnung den Projektilen zu entgehen. Die Gejarn spürte, wie etwas ihre Haare streifte, dann war sie auch schon wieder auf den Füßen und ließ die nun nutzlose Pistole fallen. Mit wenigen Schritten war sie an der Mauer und zog das Messer. Blitzschnell war sie auf der anderen Seite und stach auf den Kämpfer ein, der

ihr am nächsten stand. Der Mann versuchte noch, die Klinge mit der Waffe abzuwehren, aber Eden war flinker als er und von Wut und Sorge gleichermaßen getrieben. Sie änderte die Schlagrichtung des Messers und lenkte die Waffe statt in seine Brust direkt in seinen Hals. Er kam nicht einmal mehr dazu, zu Schreien. Cyrus war mittlerweile ebenfalls an der Mauer angekommen und setzte herüber, die Axt bereits in der Hand. Der Mann den Eden Anfangs verwundet hatte und ein zweiter unverletzter Schütze versuchten den Wolf sofort in die Zange zu nehmen. Vermutlich hielten sie ihn für die größere Bedrohung und hatten

noch nicht gemerkt, dass ihr Gefährte bereits gefallen war, bevor der Kampf begann. Eden verwickelte den letzten noch nicht gebundenen Wachmann bereits in ein Duell, in ihm nichts übrig blieb, als den Messerhieben der Gejarn auszuweichen, während Cyrus seinem verwundeten Gegner einen Stoß versetzte, der ihn ins Stolpern brachte und sich dann den verbliebenen Soldaten zuwendete. Bevor er jedoch dazu kam, auch nur anzugreifen, traf den Mann eine Holzstange mit Wucht in den Rücken und er klappte halb in sich zusammen, nur um einen zweiten Schlag gegen die Schläfe zu

bekommen. ,, Ich habs immer noch nicht verlernt.“ , meinte Mhari, als der Wachmann in sich zusammensackte. Ihr letzter noch stehender Gegner streckte nun endgültig die Waffen und Eden schlug ihn mit einem Fausthieb zu Boden. ,, Beeilen wir uns.“ , meinte sie. Andre würde den Lärm sicher gehört haben und sicherlich waren das nicht die einzigen Wächter am Anwesen. Sie mussten Zachary finden und dann hier raus, bevor der Herr Silberstedts ihnen den Weg abschnitt. Sie ließ das Messer wieder an einer Schlaufe in ihrem Gürtel verschwinden und hastete dann mit den

anderen die Stufen zum Eingang des Herrenhauses hinauf. Bevor sie diesen jedoch erreichten, wurden die Türen des Hauses bereits von innen geöffnet. Eden wurde langsamer und wappnete sich innerlich bereits dafür, dass sie sich den Weg würden Freikämpfen müssen. Sie verfluchte sich selbst, dass sie die Waffen der Wachleute eben nicht mitgenommen hatte, dann jedoch stutzte sie. Die schweren Flügeltüren schwangen von selbst auf und gaben den Blick auf eine Gestalt mit dunklen Haaren und markant türkisfarbenen Augen frei. Und auf der Brust des Jungen schimmerte ein schwaches, blaues Licht, das nur eine

einzige Quelle haben konnte. ,, Zachary…“ Sie fragte nicht wie das möglich war, oder warum. Stattdessen rannte sie die letzten Stufen hinauf, um den Jungen in die Arme zu schließen. Grade, als sie die letzte Steinstufe erreichte jedoch, gab es vor ihr einen gewaltigen Lichtblitz, der sie halb blind machte. Die Gejarn verlor den Boden unter den Füßen, plötzlich von einer Schockwelle getragen und schlug dann wieder auf den Stufen auf. Die Kanten der einzelnen Absätze bohrten sich ihr in den Körper, aber der Schmerz war sofort vergessen, als sie erkannte, was sich dort vor ihr im Licht manifestiert hatte. Ismaiel würdigte die vier Gestalten auf

der Treppe keines Blickes, sondern schien sich ganz auf Zachary zu fokussieren. ,, Ihr werdet mich auch nicht aufhalten.“ Zacharys Stimme hatte einen warnenden Unterton angenommen. ,, Geht mir einfach aus dem Weg….“ ,, Zachary…“ Der Zauberer klang beinahe freundlich. ,, Denk doch nur einmal darüber nach…“ Der Junge ließ ihn nicht ausreden und zum ersten Mal in seinem langen Leben schien es möglich, das Ismaiel überrascht war. Eden sah nur, wie die Füße des Magiers plötzlich in der Luft hingen… und Zachary ihn mit einer Geste an sich vorbei und durch die halb

geöffneten Türen des Anwesens schleuderte. Das Holz zersplitterte unter der Wucht des Aufpralls in Fetzen, die in einem Splitterregen um den jungen Magier zu Boden gingen. Einige Balken lösten sich aus der Decke der Halle und fielen herab, Mörtel und Mauersteine mit sich reißend. Ismaiel hingegen, war in der sich langsam setzenden Staubwolke nicht mehr zu sehen. Eden bezweifelte jedoch irgendwie, das sie das Glück hätten, ihn einfach unter den Trümmer begraben zu finden. Es musste Zachary unglaublich viel Kraft gekostet haben, die Abwehr des viel erfahreneren Zauberers zu umgehen, denn er schwankte einen Moment. Eden

war sofort auf den Beinen um ihn aufzufangen. ,, Es ist vorbei.“ , murmelte er leise und sah zum Anwesen zurück. ,, Können wir bitte einfach von hier verschwinden ? Ich möchte nie wieder hierher wenn möglich…“

Kapitel 121 Abschied


Wie es Aussah, war Silberstedt bereits in Aufruhr. Kellvian ließ den Blick über Stadt schweifen, die vor ihnen lag. Aus der Ferne hatte es den Anschein, als würde die Stadt brennen und die Rauchsäulen stammten ganz sicher nicht nur von Schmieden und Schmelzöfen. Was ging hier nur vor sich? Zumindest könnte es eine Erklärung dafür sein, warum sie bisher nicht entdeckt worden waren… Sie hatten die Berge erst vor wenigen Stunden hinter sich gelassen und sich auf dem kürzesten Weg in Richtung Stadt

begeben. Nun fächerte das gesamte kaiserliche Heer vor der Stadt aus. Packpferde wurden von ihrer Last befreit, Gewehre und Munition von den Pulverwagen verteilt und Schwerter ausgegeben. Grade außer Schussweite wurden die Ebenen und verschneiten Wälder unter eiligen Schritten zu Schlamm zertreten, Zeltheringe in den aufgeweichten Boden getrieben und Späher ausgeschickt. Doch ihr eigentliches Ziel lag gut sichtbar direkt vor ihnen. Kellvian eilte durch das Lager und versuchte mit Zyle überall gleichzeitig zu sein. ,, Bringt die Pferde in den hinteren Teil

des Lagers.“ , befahl der Gejarn einer Gruppe Arbeiter, die ihre Tiere an den Bäumen eines Wäldchens zwischen ihnen und der Stadt anbinden wollten. ,, Hier sind sie uns nachher nur im Weg oder geraten in Panik. Ausrüstung, die Wundheiler und Munition haben Priorität.“ ,, Ja, Herr…“ ,, Und wenn ihr Wys seht, sagt ihm, das er sich mit seinen Leutensüdlich der Stadt sammeln soll. Ich will, das die Paladine die Gardisten Decken können, wenn wir gegen die Tore vorrücken.“ Zyle hatte nach Rolands tot die Führung über das Heer vollständig übernehmen müssen, fand sich aber scheinbar schnell

darin zurecht. Jiy hatte mit dem Schwertmeister vielleicht die einzig richtige Wahl für das Amt des Hochgenerals getroffen… Zwischen den Zweigen der Bäume hindurch konnte er erneut die Rauchwolke erkennen, die über Silberstedt stand. ,, Irgendwie gefällt mir das nicht.“ , bemerkte Kellvian. ,, Mir genau so wenig, alter Freund.“ Zyles Blick folgte den Wolken, die sich am ansonsten klaren Himmel verloren. ,,Aber ich hoffe darauf, dass es heißt, das Cyrus und die anderen Erfolg hatten.“ Kellvian nickte. Erik , Cyrus und Mhari

hatten sie nun vor mehr als einem Monat verlassen um sich alleine nach Silberstedt aufzumachen. Wenn sie die Reise geschafft hatten, wären sie jetzt bereits in der Stadt, vermutlich sogar seit ein paar Tagen. Er konnte nur das Beste für sie hoffen. Und für Eden. Er schuldete der Kapitänin einiges. Aber es wäre Wahnsinn gewesen, früher loszuziehen… Oder nicht ? So oder so, die Entscheidung war gefallen. Und Andre würde dafür zahlen wenn… Er schüttelte den Kopf. Nein. So würde es nicht Enden, sagte er sich. Sie würden den Mann festnehmen wenn möglich und vor ein Gericht stellen… und dann würde er für den Rest seiner Tage im

finstersten Kerker sitzen, den Kellvian finden konnte… ,, Was werdet ihr tun, wenn das alles vorbei ist ?“ , fragte Kellvian und versuchte sich so von seinen düsteren Gedanken abzulenken. ,, Ich weiß es nicht, ehrlich gesagt.“ , antwortete der Gejarn, während sie weiter durch das Lager gingen. ,, Aber ich glaube nicht, das ich bleiben werde. Vielleicht kehre ich mit Relina nach Maras zurück. Sie werden dort nach wie vor jede Hilfe brauchen und das Kind… Ich habe nicht vor, es alleine aufwachsen zu lassen, versteht ihr?“ ,, Ich wünschte wirklich, ich könnte vielleicht euch beide zu Bleiben

bewegen. Vielleicht auch Wys. Zumindest für eine Weile. Es wird auch hier viel zu tun geben. Canton liegt brach, Zyle. Es wird eine Weile dauern, bis die Wunden die dieser Krieg geschlagen hat verheilen.“ Aber hier würde sich alles entscheiden. Ob Andre noch eine letzte Überraschung für sie hätte oder nicht… Er verdrängte seine Angst, die Aufregung jedoch blieb. So viel war in den letzten zwei Jahren passiert und alles schien auf diesen Moment hinauszulaufen. Und Andre wäre vielleicht nicht die größte Bedrohung, der sie sich heute stellen müssten… Kellvian entdeckte Jiy, die auf einer kleinen Anhöhe stand, auf der der

Schnee noch nicht von tausenden Füßen zu Matsch zertreten worden war. Sie sagte kein Wort, als er zu ihr trat und das war auch nicht nötig. Sie wussten alle drei, dass es heute Enden würde… oder nie. Er sah zum Anwesen, das über der Stadt thronte. Ismaiel würde auch hier sein, das wusste er einfach. Es war mehr als nur ein Gefühl… Vielleicht warnte ihn das, was von seiner magischen Begabung geblieben war oder es hatte einen anderen Grund, aber die Luft schien ihm schwer und geladen wie kurz vor einem Gewitter. Es würde tatsächlich vorbei sein, dachte er wieder. Nach all der Zeit hatte allein der Gedanke schon etwas Unwirkliches.

Doch eine Schlacht noch lag vor ihm. ,, Wie lange glaubst du, wird es noch dauern ?“ , fragte Jiy mit einem Blick auf das Lager, vor dem nun die ersten Gardisten Aufstellung nahmen. ,, Nicht mehr Lange… Es ist sinnlos, dich wieder mal zu bitten, lieber hier zu bleiben, oder?“ ,, So sinnlos, wie wenn ich dich dasselbe fragen würde.“ , meinte die Gejarn grinsend und gab ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. ,, Genau so sinnlos wird es für mich, das Relina auszureden…“ , kommentierte Zyle , klang darüber allerdings nicht zu glücklich. ,, Ich werde besser einmal nach ihr

sehen…“ ,, Wobei mir einfällt, hat einer von euch eigentlich Melchior gesehen ?“ , fragte Kellvian. Wenn er recht darüber nachdachte, wann war er dem Seher überhaupt das letzte Mal begegnet… ,, Sagt mir nicht, er ist mal wieder verschwunden. Das ist selten ein gutes Zeichen.“ Quinn zitterte in der Kälte und zog die türkisfarbene Robe enger um sich. Die Farben des Ordens wieder zu tragen tat auf eine andere Art gut, als ihn einfach nur zu Wärmen. Es war ein Zeichen. Zwar verfügten sie nur über eine Handvoll Zauberer, die auch zur Stelle

sein würden, wenn sie ihren letzten Angriff auf Silberstedt begannen, aber er war nach wie vor ihr Anführer… und vielleicht der stärkste von allen. Das war nichts, das er leugnen könnte oder Wollte. Aber ob er es auch mit einem Magier des alten Volkes aufnehmen könnte, sollte es nötig werden… Kiara konnte es nicht und sie hatte mehr Erfahrung besessen als er, vielleicht mehr, als die meisten Zauberer in ihren verkürzten Leben je haben würden. Er saß auf einem Karren und betrachtete ein Messer, das er sich hatte geben lassen. Im Zweifelsfall vielleicht besser als nichts, auch wenn er hoffte nicht auf derart primitive Mittel zurückgreifen zu

müssen. Er trug nach wie vor die schwarze Träne mit sich, den Leerenstein. Das vielleicht seltsamste Geschenk, das je jemand erhalten hatte, wenn er darüber nachdachte. Der Zauberer wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sich ihm zwei vertraute Gestalten näherten. Syle trug die typische, blau-goldene Uniform der kaiserlichen Leibwache, auch wenn er heute einen leichten Kürass unter dem Stoff verborgen hatte und neben dem Gewehr ein Schwert und eine Pistole am Gürtel trug. Lucien hingegen war nach wie vor in den gleichen grauen Mantel gehüllt, den er immer zu tragen schien, aber auch er verließ sich heute nicht nur

auf seine Armbrust, sondern zusätzlich auf zwei Messer, die sich zusammen mit einem Köcher für Bolzen unter dem Umhang abzeichneten. ,, Was macht ihr den hier ?“ , fragte er und sprang von der Karrenwand. ,, Ich denke uns verabschieden.“ , antwortete Syle, der das Gewehr auf seinem Rücken zurecht schob. ,, Das macht man unter Freunden so… Falls es einer von uns nicht zurück schafft.“ Freunde… Quinns Blick wanderte von Syle zu Lucien und wieder zurück. ,,Ja… Ich schätze schon.“ Und an den Agenten gerichtet fuhr er fort. ,, Und auch wenn ihr im letzten Jahr eine ziemliche Nervensäge gewesen seid…

habe ich angefangen euch zu respektieren.“ ,, Vorsicht.“ , meinte Lucien grinsend. ,,Man könnte fast auf die Idee kommen, ihr hättet eine Seele Quinn.“ ,, Zyle… warte einen Moment.“ Wy tauchte zwischen den Zelten auf, bereits in die übliche Rüstung der Elitesoldaten Helikes gekleidet. Etwas, das auf äußerste Vorsicht seinerseits schließen ließ. Normalerweise hasste sein Bruder die schweren Panzerungen. Aus seiner Sicht machten sie ihn immer nur langsam. Zyle blieb stehen und wartete, bis Wys zu ihm aufschließen konnte. Der Gejarn

sank bei jedem Schritt ein Stück in den Schnee ein und hatte so Mühe, überhaupt vorwärts zu kommen. Auf der Straße nach Silberstedt würde das keine große Rolle spielen, aber mitten im Gelände war er damit ziemlich hilflos. Wie viele der Krieger Helikes. Zyle hatte anfangs selber eine ganze Weile gebraucht um sich an das Wetter im Norden zu gewöhnen und er hatte immerhin ein gutes Jahr dafür gehabt. Die Soldaten aus Laos hatten weniger als einen Monat. Trotzdem hatten sie sich bereit den Respekt der Garde verdient, vor allem während der kleineren Scharmützel, die sie sich in den Bergen mit Andres Spähern geliefert hatten. Die Soldaten

Cantons schien es deutlich weniger Überwindung zu kosten, mit ihren alten Feinden zusammenzuarbeiten. Oder vielleicht gewöhnten sich die Männer auch langsam einfach daran, das ihr Kaiser immer wieder mit den ungewöhnlichsten Verbündeten aufwartete. Immerhin, seine Frau hatte ja einen Schwertmeister zum Hochgeneral ernannt. Irgendwie war es seltsam, so darüber nachzudenken… Wys hatte ihn mittlerweile erreicht, schwer atmend, nachdem er sich erfolgreich durch den Schnee gekämpft hatte. ,, Wir hatten noch keine Zeit richtig mit einander zu reden… nach allem was passiert

ist.“ Zyle schüttelte den Kopf, während er weiterging, langsamer nun jedoch, damit sein Bruder mit ihm mithalten konnte. ,, Nein, das haben wir nicht. Aber ich habe es dir schon einmal gesagt… Das alles ist vergeben und vergessen.“ ,, Ich weiß. Und doch das nur zu hören macht nichts wieder gut, oder ? Du bist…“ ,, Tot ? Nun, verzeih aber im Augenblick komme ich mir recht Lebendig vor.“ Die Zeit, wo er sich selber mit diesen Gedanken gequält hatte, war vorbei und Wys sollte sich auch nicht damit belasten. Vor ihnen tauchte nun eine weitere Reihe von

Zelten auf, darunter das, das man für Relina aufgeschlagen hatte. Die dünnen Zeltplänen waren mit Fellen abgedeckt worden, um wenigstens etwas Schutz vor der Kälte zu bieten. Die Schakalin jedoch saß ohnehin davor, auf einem Hocker und sah in Richtung der Stadt, die nach wie vor nicht zur Ruhe kam. Mittlerweile hatten sich zwar einige grau uniformierte Söldner auf den Wällen eingefunden, aber wie es aussah, beschäftigte das, was innerhalb der Mauern vorging immer noch den Großteil von Andres verbliebenen Truppen. Zyle klopfte Wys aufmunternd auf die Schulter, bevor er zu Relina ging. ,,

Konzentrieren wir uns erst einmal darauf, diesen Tag zu überstehen.“ Der Gejarn nickte. ,, Du sorgst besser dafür.“ , antwortete er. ,, Ich verliere meinen Bruder nicht zweimal.“ Mit diesen Worten verabschiedete Wys sich und machte sich auf den Weg zurück durch den Schnee zu seinen Leuten. Lange würde es nicht mehr dauern, dachte Zyle, während er ihm einen Moment nachsah. Und es musste hier enden… Er wendete sich ab und ging wieder auf Relina zu. ,, Zwischen euch ist alles in Ordnung , oder ?“ , fragte sie. Offenbar hatte die Gejarn das kurze Gespräch der beiden

Brüder verfolgt. Aber die Antwort auf diese Frage kannte sie vermutlich selbst… ,, Es dauert einfach.“ , meinte Zyle, und ließ sich neben ihr im Schnee nieder. ,, Aber das weißt du, glaube ich. Nach dem heutigen Tag, werden wir wohl einiges zu besprechen haben. Dann ist Zeit dafür. Andre ist geschwächt, aber ich glaube nicht, dass wir es ganz so einfach haben werden. Seine Leute sind bereits auf einen Kampfeingestellt, auch wenn sie uns nicht erwarten. “ ,, Du bist aber nicht hier um mich zu bitten, im Lager zu bleiben.“ Relina legte den Kopf leicht schräg. Sie erwartete eine ehrliche Antwort, das

wusste Zyle. Und nichts anderes hatte er vor. ,, Ich könnte dich bitten. Um eurer beiden Leben wegen.“ , erwiderte er grinsend. ,, Nur weiß ich bereits wie die Antwort lautet. Deshalb bitte ich dich um etwas anderes…“ ,, Und das wäre ?“ ,, Würdest du wenigstens versuchen in meiner Nähe zu bleiben ? Ich weiß nicht, was passieren wird, aber wie ich Wys schon gesagt habe… Wir sollten zusehen, das wir das hier heute alle Lebend zu Ende bringen. Ich will keinen von euch nachher vermissen. Weder dich noch Kellvian oder Jiy.“ ,, Ich würde sagen, dann bleibst du

besser in meiner Nähe.“ , gab Relina zurück. ,, Ich will dich nämlich nicht verlieren…“ Ihre Lippen fanden sich in einem Kuss. Damit, dachte Zyle, konnte er durchaus Leben.

Kapitel 122 Wehen


Das Quecksilber bildete einen perfekten Spiegel, auf dem sich der Schein der blauen Flammengruben niederschlug. Nur sich selbst konnte er darin nicht erkennen. Melchior trat an der Kristallsäule vorbei, ohne sie groß zu beachten. Der Seher fürchtete diesen Ort nicht. Aber das Wesen, das sich hier verbarg, wenn auch verletzt und geschlagen, konnte ihnen allen immer noch gefährlich werden. Das war etwas, das weder Ismaiel noch er wohl je vorhergesehen hätten. Dass es

der Junge war, der sich gegen ihn stellte… Manchmal hielt die Zukunft auch für ihn große Überraschungen bereit. Es war nicht schwer gewesen, sich Zugang zum Anwesen zu verschaffen, nachdem er einmal aufgebrochen war, noch hatten ihn die Unruhen im Stadtzentrum lange aufhalten können. Er wusste, wohin er sich wagen durfte und wohin nicht. Melchior trat vorsichtig über die mit goldenen Fugen verbundenen Marmorplatten, immer darauf bedacht, keine der schimmernden Linien zu seinen Füßen zu berühren. ,, Ihr habt versagt.“ , rief er als vor ihm

eine Gestalt aus der Dunkelheit trat. Die dunklen Roben des Zauberers waren mit Staub und kleineren Holzsplittern bedeckt und tatsächlich rann Blut aus einer kleinen Schnittwunde an seiner Schläfe, die jedoch bereits verheilte. Die Magie des alten Volkes ließ selbst schwerste Verletzungen innerhalb von wenigen Herzschlägen verschwinden, aber das es Überhaupt jemanden gelungen war, ihn zu Verwunden, das war wohl das eigentlich entscheidende. Ismaiel war geflohen… Und erneut hatte sich jemand, den er schon als Werkzeug gesehen hatte, gegen ihn gewandt und seine Pläne zerstört. ,,Ihr habt keine Ahnung, was versagen

bedeutete, Melchior.“ Ismaiel trat an ihm vorbei, als wäre er gar nicht da und sah einen Moment hinab in das Quecksilberbecken. ,, Es ist noch nicht vorbei… Eine Sache habe ich noch nicht getan. Eine Lösung…“ Er ließ die Hand in einer kreisförmigen Bewegung über den Silberspiegel kreisen, der begann, der Geste zu folgen. Die Spiegelbilder auf der Oberfläche wurden länger und verzerrten sich. ,, Wenn ihr das meint. Aber ihr könntet es jetzt beenden. Ihr werdet nur mehr Leid finden, keine Erlösung.“ ,, Und wieder einmal habt ihr keine Ahnung, was dieses Wort auch nur bedeutet, Seher. Erlösung ? Glaubt ihr

es ginge mir darum, etwas wieder gut zu machen? Eine Schuld zu begleichen ? Ich habe vor Jahrtausenden jede Hoffnung darauf verloren. Aber ich muss es wissen. Ob es noch möglich ist… Und ihr werdet mich nicht daran hindern.“ Mittlerweile tanzten Funken über die goldenen Linien am Boden und breiteten sich bis hin zu der Steinsäule aus, auf der das Quecksilberbecken ruhte. Die Flüssigkeit , die sich eben noch willkürlich um ihre eigene Achse gedreht hatte, erstarrte und nahm unter den geübten Gesten des Magiers nun immer neue Formen an, fast so, als würde der Mann Ton bearbeiten und nicht mit Magie hantieren, die Melchior die Haare

zu Berge stehen ließ. Dann, plötzlich nahm das Silber wieder eine starre Form an und bildete einen glatten Spiegel ohne jede Erkennbare Unebenheit. War zuvor nur die Umgebung der beiden Männer darin zu sehen gewesen, so spiegelten sich nun auch Ismaiels Umrisse in der silbrigen Tiefe. Melchior konnte nicht sehen, was vor sich ging, aber er wusste es nur zu gut. Der alte Zauberer hatte seine Entscheidung getroffen. Er wendete sich ab und machte sich aus dem Weg aus dem Raum, während sich Kälte wie eine Welle von dem Becken und dem alleine zurückbleibenden

Ismaiel ausbreitete. Kleine Eiskristalle bildeten sich in der Luft und rieselten mit einem knisternden Geräusch zu Boden, während ein grünlicher Schimmer in den Augen des Zauberers auftauchte. Zyle duckte sich, als ein brennendes Gebäude vor ihnen in sich zusammen fiel. Glut und Trümmer wurden über die Straße verteilt und begruben einen liegengebliebenen Wagen unter sich. Funken und Splitter wirbelten durch die Luft und Asche legte sich in einer feinen Schicht auf alles und färbte den Schnee gräulich, wo er nicht bereits

geschmolzen war. Die Innenstadt Silberstedt war ein einziges Inferno, in dem sich die Überreste der Stadtwache und mehrere zerlumpte Gestalten bekämpften, die aussahen, als wären sie grade erst den Tiefen der Erde entstiegen. Viele von ihnen trugen Brandzeichen oder Handketten, die sie leicht als Sklaven erkennbar machten. Nur das das wohl schlicht nicht mehr Stimmte. In dieser Stadt schien es keine Herren mehr zu geben, nur ständig weiter um sich greifendes Chaos, in dem sich selbst die Garde zunehmend verlor. Es war schwierig auszumachen, wer hier Freund oder Feind war. Manche der Sklave schienen einfach alles

anzugreifen, das nach Autorität aussah und Zyle selbst hatte bereits mehrere von ihnen Bewusstlos schlagen müssen oder hatte sie festgehalten, bis Relina sie mit einem Zauber lähmen konnte. Sie würden später herausfinden müssen, was hier vor sich ging. Die Zauberin hatte sich wie er auch vor den auflodernden Flammen weggeduckt, doch nun verloschen die größeren Brandherde langsam und erlaubten ihnen, ihren Weg fortzusetzen. Beim Sturm auf die Stadt hatte es praktisch keinen Wiederstand gegeben. Sie hatten lediglich die Tore aufbrechen müssen, um in die Straßen zu gelangen, aber wie er bereits befürchtet hatte,

einfacher wurde es dadurch nicht. Wenn sie an Andre heranwollten, mussten sie Silberstedt einmal durchqueren… ,,Beeilen wir uns.“ , rief Wys, der Funken und Asche aus seinem Mantel klopfte. Der Panzer des Gejarn wies bereits mehrere Dellen auf, die aber größtenteils von Trümmern und nicht von Schwerthieben oder Kugeln stammten. Mit einem Satz war er auf der anderen Seite des Glutfelds, das der Einsturz des Hauses hinterlassen hatte. Zyle half derweil Relina auf und gemeinsam folgen sie ihm. Die Zauberin war nicht die einzige, die sich heute dazu entschlossen hatte, in seiner Nähe zu bleiben. Und er war dafür mehr als

dankbar. Wys war ihm nach wie vor über, wenn es um die Schwertkunst ging. Er sah auf und konnte die Silhouette des Anwesens ausmachen, das am anderen Ende Silberstedts aufragte. Sie hatten vielleicht gut die Hälfte des Wegs geschafft. Wie weit und wo die anderen waren jedoch, konnte er unmöglich sagen. Kellvian hatte er schon vor einer ganzen Weile aus den Augen verloren und Melchior war offenbar erst gar nicht wieder aufgetaucht. Wusste Laos, wo der Mann hin verschwunden war. Bisher jedenfalls war er immer wieder aufgetaucht. Vor ihnen begann die Straße leicht anzusteigen und führte endlich aus der

brennenden Innenstad mit ihren zahlreichen Schmieden und den Häusern der wohlhabenderen Einwohner hinaus in einen weniger dicht besiedelten Bezirk. Der Geruch von Rauch lag hier nicht mehr so dicht und sie stießen nur noch ab und an auf vereinzelte Wachen und entflohene Sklaven. Immerhin, mittlerweile konnte er sich wohl sicher sein, das Cyrus und die anderen zumindest teilweise Erfolg gehabt hatten. Dieser Aufstand fand sicherlich nicht zufällig grade jetzt statt. Vielleicht waren der Wolf und seine zwei Begleiter hier sogar irgendwo… Oder vielleicht auch mittlerweile vier, wenn er den und Zachary gefunden

hatte. Zyle drehte den Kopf, um Relina zu fragen, ob sie den jungen Magier vielleicht aufspüren konnte, als ihm auffiel, dass sie ein gutes Stück zurückgefallen war. Die Gejarn lehnte an einer Hauswand, die Augen halb geschlossen… ,, Wys !“ , rief er nach dem Schwertmeister, der bereits wieder vorangegangen war und rannte zurück zu Relina. Er hatte bereits einen schrecklichen Verdacht, der sich hoffentlich nicht Bewahrheiten würde. Sonst wären einige seiner schlimmsten Befürchtungen doch noch Wirklichkeit. ,, Alles in Ordnung ?“ Rasch half er ihr,

sich auf seinen Arm zu stützen. Sie konnten unmöglich einfach hier bleiben, dafür war die Stadt nach wie vor zu gefährlich. Selbst wenn es nur ein Schwächeanfall war. Aber das musste ihm Relina sagen… ,, Sehe ich so aus ?“ Wys kam ihnen entgegen, besorgt und genau so nervös aussehend, wie Zyle sich fühlte. Das zumindest hatte er ganz sicher nicht gemeint, als er ihm sagte, er fühle sich recht lebendig… ,, Was ist passiert ?“ , wollte er wissen. ,, Ich weiß es nicht.“ , antwortete Zyle nur. ,, Relina ? Bitte sag jetzt nicht…“ ,, Vor zwei Stunden. Aber ich hatte schon die letzten Tage Wehen.“ ,

antwortete die Gejarn. Ihre Stimme klang angestrengt, so als würde ihr das Sprechen selbst Mühe bereiten. ,, Ich… Ich dachte es geht wieder vorbei, wie sonst auch…“ ,, Warum hast du denn nichts gesagt ? Bist du den Wahnsinnig?“ Jetzt hatte er ernsthaft Angst um sie. Weit und breit war niemand hier, der ihnen wirklich helfen könnte, oder? Und zurück ins Lager zu gehen… würde Relina das Schaffen ? Wenn nicht würden sie in der chaotischen Innenstadt festsitzen. Und das wäre noch schlimmer. ,, Ich wollte niemanden damit aufhalten.“ , erklärte Relina und atmete tief durch. Ihre Stimme klang

überraschend gefasst, als sie weiter sprach : „Zyle… bleib einfach ruhig. Wir schaffen das irgendwie aber wir müssen hier weg.“ Damit jedenfalls hatte sie ganz sicher Recht, dachte der Gejarn. Nur wohin, darüber zerbrach er sich noch immer den Kopf. Er konnte keinen Fehler machen. Nicht jetzt. Vielleicht, wenn er sie irgendwo hier in Sicherheit bringen konnte, könnte Wys oder er Hilfe holen. Alleine wären sie schneller. ,, Wir gehen weiter.“ ,entschied er schließlich. ,, Wenn wir irgendwo ein sicheres Haus finden, bringen wir dich dorthin. Wys, wie lange bräuchtest du von hier bis zum Lager zurück um einen

Heiler zu holen?“ ,, Wenn ich die Kämpfe umgehen kann…. Vielleicht eine Stunde.“ ,, Und wenn nicht ?“ , fragte Relina ihrerseits. Die Gejarn klang für Zyle überraschend ruhig. Wie konnte sie bitte so entspannt bleiben? Wenn sie das hier heil überstanden, würde er sie ganz sicher fragen, entschied er. Aber für den Moment gab es sehr viel Wichtigeres. ,, Wenn nicht eine halbe.“ , erklärte Wys und rang sich ein Lächeln ab, das wohl aufmunternd wirken sollte. Gemeinsam Relina stützend machten sie sich auf den Weg weiter die Straße hinauf. Viele der Gebäude hier waren zwar unbeschädigt, aber Zyle wollte so weit von den

Kämpfen weg wie es ihm möglich war. Hoffentlich weit genug. In seinem Kopf zählte er bereits die Minuten, während sie Gebäude für Gebäude passierten. Viele waren von ihren Bewohnern verriegelt, Vorhänge zugezogen, Fenster vernagelt worden, als wollten sie das Chaos draußen einfach aussperren. Er verschwendete erst gar keine Zeit, irgendwo anzuklopfen. Diese Leute hätten Angst und wenn zwei bewaffnete Gejarn in ihre Häuser stürmten, würden sie das garantiert nicht freundlich auffassen… Und sie konnten sich keinen Kampf erlauben. Endlich jedoch entdeckte er etwas, das Vielversprechend aussah. Ein

unbeschädigtes Gebäude, das direkt an der Straße lag, der sie folgten. Zwar waren einige der Fenster gesprungen, aber die Tür stand offen. Vielleicht waren die Bewohner geflohen, oder das Haus längst geplündert worden. So oder so, es sah gut aus. Zumindest, wenn man sich Verstecken wollte. Niemand würde sich noch für ein verlassenes Gebäude interessieren. Und sie könnten von drinnen den Weg im Auge behalten, falls jemand auftauchte. Ob nun Garde, befreite Sklaven, Söldner oder Stadtwache, sie wären vorgewarnt, falls sie Besuch bekamen. ,, Komm…“ Er half Relina weiter, über einen gepflasterten Innenhof zum

Eingang des Hauses, zu dem eine kleine Treppe hinaufführte. Auf einen Wink Zyles ging Wys vor und verschwand im Halbschatten des Eingangs… nur um sofort wieder heraus zu stolpern, eine Armbrust auf seinen Hals Gerichtet. Die Gestalt, die ins Licht trat, ließ die Waffe jedoch sofort sinken, als er die beiden Begleiter des Schwertmeisters erkannte, ,, Zyle, seid ihr das ? Was macht ihr den hier ? “ Lucien sah von einem zum anderen, als Versuche er zu verstehen, was vor sich ging und woher sie so unverhofft aufgetaucht waren. Allerdings könnte er das gleiche Fragen, dachte Zyle. Aber im Augenblick war er selbst

über das Auftauchen des kaiserlichen Agenten erleichtert. ,, Ich bin es und wir brauchen Hilfe, fürchte ich. Und was verschlägt euch hier her?“ ,, Ein paar von Andres Söldnern fanden es offenbar lustig, sich hier zu verschanzen. Syle hingegen konnte darüber gar nicht lachen…“ Lucien nickte in Richtung der Tür und erst aus der Nähe viel Zyle auf, das das Holz gesplittert war, so als hätte jemand mit einem schweren Gegenstand darauf eingeschlagen… oder als sei ein übellauniger Bär dagegen gerannt. ,, Hat sich die Schulter ausgekugelt. Quinn kümmert sich grade um ihn. Schnell,

kommt rein.“ Lucien trat bei Seite und winkte sie durch, in einen kurzen Flur. Eine Treppe führte weiter nach oben, während eine, ebenfalls aus den Angeln gerissene, Tür den Blick in eine Kammer freigab, in der eine Gestalt an einem saß, der vor ihr fast winzig wirkte, obwohl sie wohl alle daran Platz gefunden hätten. Syle fragte nicht, was sie hier machten, zu sehr darauf konzentriert, sich nichts anmerken zu lassen, während Quinn seine Schulter versorgte. Magie konnte die meisten Verletzungen heilen, aber der Prozess war alles andere als angenehm. Erst nach einer Weile zog der Ordensobere schließlich die Hände

zurück und der Bär atmete erleichtert auf. Dann erst viel sein Blick auf die drei Neuankömmlinge, die sich in der Tür drängten. ,, Was macht ihr den hier ?“ Irgendwie glaubte Zyle, das er diese Frage heute nicht zum letzten Mal hören würde. Auch wenn das ganz sicher sein geringster Grund zur Sorge war. Seine Gedanken rasten nach wie vor. Aber wenigstens würde einer von ihnen losgehen können, um Hilfe zu holen. Hoffte er. ,, Relina…“ , antwortete Wys nur. Diese ergriff nun selber das Wort ,, Bei allem… Ihr redet wirklich, als ob ich sterben würde.“ Die Gejarn rang sich ein

gequältes Grinsen ab. ,, Für den Moment muss ich mich vor allem einmal nur setzen.“ ,, Bringt sie rein.“ Syle stand sofort auf um Platz zu machen, während Quinn einfach nur den Kopf schüttelte. ,, Sehe ich eigentlich aus wie eine Hebamme ?“ ,, Mehr wie ich.“ , antwortete Lucien. ,, Das ist jetzt wirklich der falsche Zeitpunkt…“

Kapitel 123 Andres End


Eden wusste, dass sie schnell weg mussten, trotzdem zögerte sie, als sie das Ende des Innenhofs erreichten. . Sie sah und hörte den Angriff auf die Stadt als er begann. Ein Strom aus bewaffneten Männern, der durch die praktisch unbewachten Tore brach und in die Straßen stürmte. Nach allem, was Cyrus ihr erzählt hatte, sollte Kellvian noch gar nicht hier sein, aber sie hinterfragte ihr Glück auch nicht. Wichtig war nur, dass sie Silberstedt endlich hinter sich ließen. Und diesr Krieg grade sein Ende nahm. So oder so. Die Gejarn warf

einen Blick zurück auf das Anwesen von Andre de Immerson. Die schweren Holztoren hingen zerschmettert in ihren Angeln. Ansonsten rührte sich nichts. Keine Wachen, keine Bediensteten, niemand der nachsehen kam, was der Lärm, den sie verursacht hatten bedeuten sollte.. Beinahe hätte man meinen können, Andre hätte alle seinen Leuten befohlen, zu gehen. Sie hatten es tatsächlich geschafft, dachte sie und zog Zachary in eine unwillkürliche Umarmung. Cyrus stand einen Moment betreten dabei, bevor sie ihm ebenfalls einen Arm um den Hals legte. Mhari und Erik warteten jeweils an einen gegenüberliegenden Mauerpfosten

gelehnt und den Blick in Richtung Stadt gerichtet, von der jetzt nicht mehr nur vereinzelte Rauchwolken aufstiegen. Die , ob absichtlich oder ausversehen entfachten , Brände gerieten außer Kontrolle und zerstörten zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres einen Teil Silberstedts. ,, Ahnen, was würde ich ohne euch beide machen…“ Se grinste unwillkürlich, während sowohl der Wolf als auch der Junge Zauberer geduldig warteten, bis sie sich wieder von ihnen löste, etwas, zu dem sie sich erst überwinden musste. ,, Verschwinden wir endlich hier…“ Eden drehte sich entschlossen um, doch bevor sie den ersten Schritt auf die

Straße hinaus machen konnte, erklang eine Stimme hinter ihr, die sie nie wieder hatte hören wollen. ,, Halt !“ Andre de Immerson duckte sich unter den Trümmern der Tür hindurch, in Begleitung mehrer grau uniformierter Soldaten. Der Herr Silberstedt trug nicht mehr seine typischen violett-schwarzen Roben, sondern hatte sich offenbar auf einen Kampf vorbereitet. Ein leichter Kürass schimmerte unter schlichter, schwarzer Kleidung und an seinem Gürtel lag ein Schwert mit leicht gebogener Schneide. Die Wut stand ihm ins Gesicht geschrieben, während er die Stufen vor dem Tor herab kam, auf die

Fünf zu. ,,Ihr mögt mir meinen Sohn nehmen können, Eden… Aber euch lasse heute ich nicht davon kommen.“ ,, Davon kommen ? Eure Stadt brennt, falls ihr das noch nicht gemerkt haben solltet. Es ist vorbei Andre ! Aber das hat euch ja noch nie gestört, nicht war ?“ , fragte Eden bitter. ,, Gibt es irgendetwas, das ihr nicht zerstören würdet nur um euren eigenen Ehrgeiz zu dienen ?“ ,, Sagt mir ruhig, das ihr mich verabscheut.“ Er trat auf den Hof hinaus, die Hand nun um den Schwertgriff geschlossen und zog die Klinge. Andre war vielleicht vor allem

Politiker, aber der Adel Canons lernte durchaus zu kämpfen, das wusste Eden. ,, Es kümmert mich nicht und wenn ihr glaubt, dass es so etwas wie Reue in mir gibt, habt ihr euch verrechnet.“ ,, Eden.“ Cyrus legte ihr eine Hand auf die Schulter. Er wusste, zu was sie fähig war und sie wusste es auch. Aber die Zeit der Gefangenschaft hatte sie geschwächt, etwas, dem sie sich durchaus bewusst war. Genau wie Cyrus. . ,, Lass mich ihn einfach für dich erledigen und dann verschwinden wir hier…“ Nein… Das muss ich selbst tun, Cyrus. „Sie schüttelte den Kopf und fügte mit einem Blick in Richtung Zachary, Erik und Mhari hinzu: ,, Alleine. Das muss

ein Ende haben. Endgültig. “ Der Wolf zögerte, schließlich jedoch nickte er. ,, Dann nimm wenigstens das.“ Er hielt ihr seine Axt mit dem Griff zuerst hin und sie nahm die Waffe an sich. Zumindest würde es ihr ersparen, nur mit einem Messer zu kämpfen. ,, So sei es dann.“ , knurrte Andre und gab seinen Wächtern ein Zeichen, das sie sich zurückhalten sollten. Der Alte wollte tatsächlich einmal fair spielen, dachte Eden grimmig, während sie die Axt in der Hand wog. Im Gegensatz zu Andre hätte sie keinerlei Schutz, sondern müsste sich alleine auf ihre Schnelligkeit verlassen. Einen Moment standen die beiden Kontrahenten

still, dann machte sie einen Schritt nach rechts. Andre machte einen nach links. Langsam begannen sie einen Kreis abzuschreiten, während jeder versuchte, den anderen einzuschätzen. Sie hatte Andre noch nie selbst kämpfen sehen, wohingegen dieser wohl ziemlich gut wusste, womit er es zu tun hatte. Eden ermahnte sich, sich nicht von seinem Alter täuschen zu lassen. Andre war nicht mehr jung, aber auch ganz sicher kein Greis. Einige ihrer alten Wunden würden sie nach wie vor selbst behindern… ,, Ich hätte das gleich tuen sollen.“ Andre stürzte ohne Vorwarnung los, das Schwert in einem Bogen führend. Eden

blieb nichts anderes übrig, als bei Seite zu springen, um dem Hieb zu entgehen. Der Stahl sauste durch die Luft und verfehlte sie knapp. Noch in der Bewegung hatte Andre gemerkt, was sie vorhatte und die Schlagrichtung leicht geändert. Eden zögerte keinen Moment sondern führte die Axt in einer Aufwärtsbewegung, die Andre den Hals aufgerissen hätte, wäre er nicht in genau diesen Moment zurückgewichen. Sie trieb den Herrn Silberstedts mit einer Reihe kurzer, ungezielter Hiebe zurück, die ihm hoffentlich keine Gelegenheit mehr für einen Gegenangriff lassen würden. Ein paar Mal Traf sie sogar,

doch der Stahl prallte an der Brustplatte ab, die er trug. Wenn sie nicht erst eine Öffnung in den Stahl Hämmern wollte, musste sie sich dringend etwas überlegen, dachte die Gejarn. Hals , Arme und Beine waren zwar ungeschützt, aber auch deutlich schwerer zu treffen… Ihre Beine zitterten mittlerweile. Der Weg durch die Stadt hatte sie bereits einiges an Kraft gekostet, aber wenn sie jetzt einen Fehler machte, wäre es ihr Tod. Andre wich derweil weiter zurück, während seine Männer zurückwichen, um den beiden Kontrahenten Platz zu machen, als sie die Stufen hinauf zum Tor des Anwesens

erreichten. Es gelang ihm, einen Axtstreich Edens abzuwehren und kurzzeitig war die Gejarn erneut unterlegen. Auf den Stufen stehend, konnte sie nicht viel tun, um Andres Attacken auszuweichen, Mehrmals gelang es ihr nur knapp und die Klinge hinterließ einige harmlose Schnittwunden, die jedoch bei jeder Bewegung brannten. Zumindest hatten sie das Ende der Treppe erreicht und kämpften sich nun an den Mauernd es Herrenhauses entlang… hin zu einer tiefen Grube, die im Boden daneben klaffte. Asche und verbrannte Balken lagen nach wie vor unter dem Schnee verborgen. Der Ruß

wurde unter ihren Schritte aufgewirbelt und zeichnete eine Spur ihres Kampfes nach. Eine graue Linie im Eis, die beständig näher an den gähnenden Abgrund rückte, an dessen Rändern geborstene Felsen, Mauerreste und Holzbalken aufragten, die teilweise bizarre Formen bildeten, welche sich bis über ihre Köpfe erhoben. Ab und an rieselte loser Schutt und Staub in die Tiefe. Den Boden des Abgrunds konnte Eden nicht einmal erahnen. Das war alles, was vom ersten Herrenhaus geblieben war, das einst hier gestanden hatte. Und vielleicht boten ihr die losen Trümmer die Möglichkeit, sich einen

Vorteil gegen den gepanzerten Fürsten zu verschaffen, dachte Eden. Sie würde es einfach riskieren müssen, ansonsten würde ihre Ausdauer diesen Kampf entscheiden und was das anging, war Andre ihr im Augenblick über. Sie brauchte zumindest eine Atempause. Die Gejarn parierte den nächsten Hieb des Lords, bevor sie einem der instabilen Schutthaufen einen Tritt versetzte und hoffte, dass es funktionieren würde. Einige kleinere Steine gerieten ins Rutschen. Ansonsten geschah nichts. Die Trümmer waren so unnachgiebig als hätte sie gegen einen Felsen getreten. Verdammt… Natürlich war alles

gefroren. Andre nutzte den kurzen Moment in dem sie abgelenkt war und stürzte vor. Eden erkannte ihren Fehler zu spät, trotzdem versuchte sie noch den Schwertstreich abzuwehren. Sie wäre niemals schnell genug. Und dann geriet alles aus den Fugen. Der Schuttberg geriet plötzlich doch noch in Bewegung. Mauersteine, so groß wie ein Amboss prasselten zusammen mit kleineren Überbleibseln auf sie herab, weitere, schwerere Trümmer wurden losgelöst und begannen sich langsam zu Bewegen… Eden sprang sofort zurück, Andre jedoch kam nicht mehr rechtzeitig weg. Ein

verkohlter Holzbalken stürzte herab und versetzte dem Herrn Silberstedts einen Stoß, der eine gewaltige Beule in seinem Kürass hinterließ und ihn durch die Luft schleuderte… bevor er über den Rand des Abgrunds verschwand… Eden ließ die Waffe sinken, schwer atmend und erschöpft. Es war geschafft, dachte sie. Endgültig… ,,Helft mir !“ Der Schrei riss sie zurück in die Wirklichkeit. Langsam, um nicht aus Versehen das Schicksal des Lords zu teilen, trat sie an die Grube und spähte hinab. Es war noch nicht vorbei. Irgendwie hatte Andre es geschafft, sich an einem Vorsprung festzuhalten, zu tief

unterhalb des Rands, als das er von alleine heraufkommen könnte. Selbst wenn er nicht verletzt wäre... Blut lief aus einem Mundwinkel, während er krampfhaft versuchte, sich festzuhalten und nicht in die Dunkelheit unter ihm zu stürzen. Einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, einfach abzuwarten, bis der Mann endgültig in die Tiefe abrutschte. Sie sah zurück zum Platz vor dem Anwesen, wo nach wie vor Cyrus, Zachary und die anderen warteten. Sie würden nicht sehen, was vor sich ging. So wie es aussah, würde er sich vielleicht noch ein paar Augenblicke halten können. Niemand würde etwas

merken… Schließlich seufzte sie und beugte sich so weit vor, wie sie es grade noch wagte und streckte Andre eine Hand hin. ,, Jetzt kommt schon hoch ! „ , rief sie. Der Mann würde so oder so sterben, sagte sie sich. Andre jedoch zögerte. ,, Wenn ihr glaubt ich tue das aus irgendeinem anderen Grund, als euch hängen zu sehen, habt ihr euch geschnitten. Ihr werdet der Gerichtsbarkeit übergeben und man wird euch zum Tode verurteilen, glaubt mir. Aber Andre, wisst ihr, das reicht mir. Es reicht mir zu wissen, dass euer Genick am Strang bricht. Ich muss euch nicht mehr selbst töten. Ich muss es nicht

einmal sehen. Ich muss nur wissen, das ihr endlich fort seid. Aber ich werde nicht zulassen, dass ihr eurer Strafe so einfach entkommt. Nehmt meine Hand oder lasst es, aber entscheidet euch.“ Einen Moment glaubte sie, er würde es nicht tun, das er lieber in den Tod stürzte als sein Leben durch sie gerettet zu wissen. Dann jedoch zog er sich hoch und packte zu. Der Mann war überraschend leicht und Eden hätte es wohl mühelos geschafft, ihn wieder auf sicheren Boden zu ziehen, wenn Andre nicht im selben Moment die Felskante ergriffen hätte… und sie am Arm nach vorne zog. Eden verlor das Gleichgewicht, schwankte einen Moment

am Abgrund, während Andre sich bereits halb auf den sicheren Grund gerettet hatte. Er stützte sich auf einen Ellbogen hoch und versuchte, nun auch seine Beine aus der Grube zu ziehen. ,, Am Ende , Eden wart ihr doch nur immer mein Besitz.“ In diesem Moment jedoch fand Eden ihr Gleichgewicht wieder… und ließ los. Plötzlich eines Teils seines Halts beraubt, rutschte der Herr Silberstedts nun wieder zurück in Richtung Abgrund und verlor den Halt. Dieses Mal gab es keinen Vorsprung und keine Rettung. Eden sah zu, wie er einen endlos langen Augenblick der Dunkelheit entgegenstürzte. Und dann Bewegte sich etwas Großes

am Grund der Grube. Die Fänge einer Spinne, so groß wie ein ausgewachsenes Schlachtross tauchten aus den Schatten auf und bohrten sich ohne auf Wiederstand zu treffen in den sich noch im Fall befindlichen Körper. Andres Schrei riss abrupt ab. Dann riss das Monster ihre nun regungslose Beute mit sich in die Dunkelheit. Das war also das Ende des Herrn von Silberstedt. Eden ging langsam zurück in Richtung des Anwesens, wo sowohl Andres Männer, als auch die Anderen warteten. Einen Moment schienen die Soldaten unsicher, was sie tun sollten und sahen zwischen der Grube und wie es aussah Zachary hin und

her. ,, Eure Befehle ?“ , fragte schließlich einer. Der Junge Magier sah verwirrt drein. ,, Welche Befehle ?“ ,, Nach allem was ich weiß, Herr… seid ihr der nächste in der Erbfolge. Damit… und nach Erlands tot, seid ihr der einzige Befehlshaber, den wir noch haben.“ Zachary musste offenbar nicht lange darüber nachdenken. ,, Dann will ich, das ihr die Waffen weglegt. Und gebt das an alle weiter. Es ist vorbei. Wir ergeben uns dem Kaiser. Sofort.“ Kurz sah es noch so aus, als wollten die Männer dem befehl nicht folgen. Doch

dann grinste der Sprecher der kleinen Gruppe. ,, Sofort, Herr. Und ihr kommt mit. Wir müssen jeden in der Stadt informieren.“

Kapitel 124 Späte Reue


Jiy konnte nur mit Staunen zusehen, als Andres Kämpfer plötzlich jeglichen Wiederstand aufgaben. War die Innenstadt Silberstedts wenige Augenblicke zuvor noch ein wahres Schlachtfeld gewesen, änderte sich das nun Schlagartig. Die Gejarn konnte nicht genau sagen, was geschehen war, aber die grau uniformierten Männer , die sich hinter Barrikaden und in den Häusern verschanzt hatten, nahmen alle fast zeitgleich die Waffen runter. Manche, die sich in den oberen Etagen mancher

Händlervillen aufhielten ließen ihre Gewehre auch gleich aus dem Fenster fallen. Andere gingen den überraschten Gardisten mit erhobenen Händen entgegen. Diese mussten nun plötzlich dafür sorgen, dass die befreiten Sklaven den sich Ergebenden Männern nichts taten. Es hatte eine Weile gedauert, bis diese überhaupt Verstanden, dass die Garde auf ihrer Seite war. Nicht verwunderlich. Sie hatte mit einigen von ihnen geredet. Der angestaute Hass dieser Leute war verständlich… aber er richtete sich auch gegen alles, was irgendwie für ihre Gefangenschaft stand und das, war in diesem Fall die komplette

Stadt. Sie und Kellvian sahen dem ganzen geschehen mit wachsendem Staunen und Erleichterung zu, als sich ein grau uniformierter Bote durch die Reihen der Gardisten in ihre Richtung drängte. Offenbar war er unbewaffnet und so gab sie den Männern ein Zeichen, ihn durchzulassen. Vielleicht würden sie so erfahren, was hier vorging. Den das Andre einfach die Waffen streckte schien nach dem ganzen Blut, das schon vergossen worden war… seltsam. ,, Lord Zachary lässt euch ausrichten, das der Aristokratenbund sich in jeder Hinsicht dem Kaiserreich ergibt.“ , erklärte er , noch bevor sie zu Wort

kam. Offenbar war er bester Laune und wenn man bedachte, was hier grade geschah… sie hatten wohl alle Grund, aufzuatmen. Dennoch, was hatte er gesagt… ,, Momentmal… Lord Zachary ?“ , fragte Kellvian. ,, Götter, was ist passiert ?“ ,, Andre de Immerson ist tot.“ , antwortete der Bote. ,, Ich schätze, es gibt einiges zu besprechen. Der Herr wartet oben am Anwesen auf euch. Wenn ihr wünscht, kann ich euch dorthin bringen.“ ,, Wir haben einiges verpasst wie es scheint.“ Jiy sah zu Kellvian, der lediglich nickte und einen Moment

nachzudenken schien. Natürlich bestand die Möglichkeit, das das alles ein Trick war, aber wenn… dann war es ein absolut idiotischer. Andres Leute hatten sich bereits ergeben. Wenn er nicht noch eine ganze Armee in der Hinterhand hatte war es vorbei. Wirklich und endgültig… Der Gedanke erschien ihr noch surreal, so lange hatten sie dafür gekämpft. ,, Gehen wir ?“ , fragte sie schließlich und Kellvian nickte. ,, Wir werden euch begleiten. Solltet ihr die Wahrheit sagen… nun es gibt wohl wirklich einiges zu besprechen.“ Damit war es entschieden. Einige Gardisten schlossen sich ihnen auf einen

Wink Kellvian hin an, aber die Unruhen in den Straßen ebbten jetzt überall ab. Stellenweise wagten sich die Leute sogar bereits wieder auf die Straße und lugten vorsichtig aus den Eingängen ihrer Häuser oder bemühten sich, die Brände zu löschen. Der Teil der kaiserlichen Garde, der keine Gefangenen bewachen musste, half ihnen bald dabei, oder arbeitete daran, die Straßen wieder von Schutt zu befreien, damit man Karren und Wagen mit Vorräten und Ausrüstung in die Stadt bringen konnte. Je näher sie dem dunklen Herrenhaus am Berghang kamen, desto weniger dicht besiedelt war das Gebiet innerhalb der Mauern. Von den Unruhen, die den Rest

Silberstedts erfasst hatten, war hier kaum etwas zu spüren, jedoch wirkten die meisten Gebäude verlassen. Vermutlich waren die Bewohner geflohen, solange sie glaubten,. Noch die Gelegenheit dazu zu haben. Deshalb wurde Jiy auch aufmerksam, als sie an ein Haus kamen, das definitiv Bewohnt war. In einem kleinen, gepflasterten Hof saß jemand. Jemand, den sie wiedererkannte. ,, Relina, was macht ihr den hier ?“ , fragte Jiy, als sie auf die Gejarn zuging. Diese sah auf, einen seltsam… glücklichen Ausdruck auf dem Gesicht. In ihren Armen lag etwas, das Jiy erst beim näher kommen wirklich erkannte,

ein dunkles Stück Tuch, das sie sanft hin und her wiegte. Ein graues Fellbündel lugte mit großen Augen daraus hervor, offenbar noch unwissend, was der ganze Wirbel um es herum zu bedeuten hatte. Ahnen, das gab es doch nicht, dachte Jiy. ,, Ist das…“ Relina lächelte nur weiter, deutlich sichtbar erschöpft, aber immer noch mit dieser seltsamen Ausstrahlung von Zufriedenheit. ,, Sie hat noch keinen Namen.“ , meinte sie leise. Mittlerweile kamen auch Kellvian und die anderen näher. In diesem Moment trat auch jemand aus dem Eingang des Hauses heraus, eine Schale Wasser in der Hand. Zyle schien

ebenfalls leicht abwesend, während er den Anwesenden nur kurz zunickte und dann zu Relina trat und ihr die Schale reichte. Sein Blick wanderte dabei immer wieder zwischen der Schakalin und dem kleinen Leben auf ihrem Arm hin und her, als könnte er schlicht nicht entscheiden, um was er sich in Zukunft mehr Sorgen machen sollte. Die Gejarn trank vorsichtig, so als sei sie sich noch nicht ganz sicher, ob sie schon wieder so weit war. Hinter Zyle folgten nun auch Syle, Lucien und Quinn, der sich einen Moment hinter den anderen verbergen wollte, bevor er doch allen Mut zusammennahm und einen Schritt auf

Relina zumachte. ,, Das klingt vielleicht komisch.“ , meinte er. ,, Aber kann ich… sie mal auf den Arm nehmen ?“ Lucien lachte plötzlich und schlug dem ohnehin schon peinlich Berührten Zauberer auf die Schulter. Auch Syle musste sich offenbar zusammenreißen um eine ernste Miene zu behalten. Relina jedoch nickte lediglich und übergab ihm, trotzdem scheinbar wiederwillig, das Bündel. Quinn nahm das Kind entgegen, als wäre es aus Kristall, einen Moment unsicher, wie er es halten sollte. ,, Das ist… irgendwie schön.“ , meinte er und ein Lächeln huschte über die

Züge des Magiers. Er streckte die Hand aus und strich dem zerbrechlichen Wesen in seinem Arm vorsichtig über den Kopf. Plötzlich jedoch gab es einen kleinen Lichtbogen und Quinn riss die Hand zurück. Eine kaum sichtbare Rauchschwade stieg davon auf. ,, Und wie es aussieht, hat sie eure Begabung definitiv geerbt.“ , stellte er grummelnd fest und legte das Kind wieder zurück in Relinas Arme, bevor er sich an Kellvian wendete. ,, Was macht ihr den hier ?“ ,, Wie es aussieht, ist Andre tot.“ , antwortete dieser. ,, Was heißt, Zachary hat jetzt den Befehl über seine verbliebenen Kämpfer. Es ist vorbei,

Quinn. Wir wollten uns grade mit ihm am Herrenhaus treffen..“ ,, In diesem Fall begleite ich euch.“ Der Zauberer sah zu seinen übrigen Gefährten. ,, Kannst du laufen ?“ , fragte Zyle an Relina gerichtet. Die Gejarn nickte lediglich. ,, Das Anwesen ist ja nicht mehr “ , erklärte sie und stand vorsichtig auf, das Kind dabei mit beiden Händen festhaltend. Relina schwankte etwas, blieb aber stehen, trotzdem ließ sie sich bereitwillig von Zyle stützen, als sie sich schließlich auf den Weg machten. Hinauf zu den nun schon in greifbare Nähe gerückten Hallen am Hang über

ihnen. Der Aufstieg war nicht so steil, wie Jiy Anfangs gedacht hatte. In mehreren Serpentinen führte die Straße hinauf zum Eingang eines von Mauern umschlossenen Hofs, in dem sich bereits mehrere dutzend grau uniformierte Soldaten versammelt hatten, alle unbewaffnet. Eden stand mit Cyrus und den anderen etwas Abseits. Sie hier so plötzlich wiederzusehen hatte erneut etwas Surreales. Auch wenn die Gejarn deutliche Spuren ihrer Gefangenschaft zeigte, lächelte sie, eine Hand Zachary auf die Schulter gelegt, die andere Cyrus. Der Wolf sah genauso erschöpft

aus, wie sie alle. Als der junge Magier sie jedoch sah, schüttelte er die Hand der Gejarn jedoch ab und ging ihnen entgegen. Er sagte nur drei Worte. Aber diese drei Worte bestätigten endgültig, das das hier kein Traum war, kein Trick, kein Irrtum. ,, Silberstedt gehört euch.“ Kellvian wäre am liebsten an Ort und Stelle einfach auf die Knie gesunken. Plötzlich fühlte er sich nur noch Müde, wenn er an all das zurück dachte, was hinter ihnen lag. Monatelange Unsicherheit und Schrecken schienen endlich ihr Ende zu finden. Und sie lebten noch. So unglaublich das schien,

sie hatten es irgendwie bis hierher geschafft. Er ließ den Blick über das Anwesen und zurück zur Stadt schweifen, die nun zu ihren Füßen lag. Die Waffen schwiegen und das einzige, das die gespannte Stille durchbrach, die sich über Silberstedt gesenkt hatte, war das stetige Knistern des Schnees, der unterihren Füßen schmolz. Aber etwas stimmte noch nicht, auch wenn ihm einen Moment nicht einfallen wollte was. Etwas fehlte noch. ,, Andre ist also wirklich tot ?“ , fragte er. Eden nickte. ,, Ich habe ihn selber sterben sehen, Kellvian. Er kann nicht Überlebt haben, glaubt mir. Und selbst

wenn… Nein er ist tot.“ Und plötzlich wurde ihm klar, was er übersah. Was sie alle in der ganzen Euphorie und dem folgenden Durcheinander einfach vergessen hatten. ,, Hoffen wir es aber… wo ist Ismaiel ?“ Hätte die Gejarn bleich werden können, sie hätte es wohl getan. Kellvian fand seine schlimmste Vermutung bestätigt. Diesmal nicht, sagte er sich. Diesmal würde er ihn nicht davon kommen lassen. ,, Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit Zachary sich ihm gestellt hat.“ , meinte Eden unsicher. ,, Ahnen, er war danach einfach verschwunden, aber ich dachte nicht, das er geflohen sein könnte.“ ,,

Hat jemand eine Ahnung, wo er sein könnte ? Wenn wir ihn nicht finden nimmt das hier nie ein Ende. Er macht einfach wieder weiter…“ Kellvian ballte die Hände zu Fäusten. Warum hatte er nicht sofort daran gedacht. ,, Es gibt einen Ort unter dem Anwesen.“ , meldete sich Zachary zu Wort. ,, Vielleicht ist er dorthin gegangen. Folgt mir.“ Kellvian zögerte keine Sekunde, sondern lief dem Zauberer hinterher, sobald er sich auf den Weg machte. Er rannte die Stufen zum eingeschlagenen Tor des Anwesens herauf und tauchte unter den Trümmern durch. Kohlebecken erhellten die Dunkelheit der Eingangshalle etwas,

aber er machte sich erst gar nicht die Mühe sich umzusehen. Die anderen mussten irgendwo dicht hinter ihm sein. Was er tun wollte, wenn sie den alten Magier wirklich fanden wusste er noch nicht. Aber eines war klar, nicht nur Andre würde hier heute sein Ende finden, wenn es in seiner Macht stand. Zachary führte sie eine Treppe im hinteren Teil des Saals hinab… und hinein in das Gestein, auf dem das Anwesen stand. Ein Gang aus grob behauenem Felsen führte leicht abschüssig in die Tiefe. Pfützen aus Schmelzwasser hatten sich am Boden gebildet und machten den Weg, zusammen mit Moosen und Flechten, die

auf den Steinen wuchsen, tückisch. Vor ihnen tauchte eine offene Gittertür auf, vor der Zachary anhielt und auf sie wartete. In dem Moment, wo er den ersten Blick hindurch warf, wusste Kellvian wieso. Mehrere, große Steinsäulen stützten die Decke einer großen Höhle, die mehr so aussah, als sei sie natürlich gewachsen, anstatt aus dem Fels geschlagen worden. Blaues Feuer brannte in Schalen, die man aus den Stützsäulen gemeißelt hatte. Er konnte die Magie an diesem Ort beinahe wie eine physische Last spüren. Als wöge die Luft über ihm plötzlich so viel wie Stahl… Kellvian zögerte einen Moment, dann

trat er jedoch über die Türschwelle und auf eine Treppe hinaus, die hinab zum Höhlenboden führte. Die Hand am Schwertgriff hielt er bei jedem, wiederhallenden, Schritt Ausschau, ob sich etwas bewegte. Auch wenn er bezweifelte, das simpler Stahl ihm in diesen Fall viel nützen würde. Er warf einen Blick über die Schulter in Richtung Zachary und Quinn. Die beiden waren jeder für sich schon mächtig. Und jeder von ihnen besaß eine Träne Falamirs. Vielleicht würde es ihnen zusammen gelingen, Ismaiel zu bezwingen. Und wenn nicht… Kellvian trat weiter in die Kammer hinein, auf die Säulen zu. Das Licht der

Feuerbecken erhellte einen kleinen Bereich ganz im Zentrum der Höhle und gleichzeitig den einzigen Ort hier, der Spuren von Bearbeitung aufwies. Eine Fläche aus weißen Marmorplatten, die mit Gold ineinander gefügt worden waren. Eine weitere Säule aus Granit erhob sich dort, wo die goldenen Linien zu einem Kreis zusammenflossen und darauf… Kellvian trat vorsichtig näher, immer darauf bedacht, das er keine der sanft schimmernden Goldadern berührte. Auf dem Sockel im Zentrum stand eine Kristallschale, die mit flüssigem Silber gefüllt zu sein schien. Fasziniert sah er den Lichtreflektionen auf der Oberfläche

zu, die beinahe ein Eigenleben zu haben schienen und sich nicht an das unstete Flackern der Feuer hielten. Was war das nur für ein Ort? Die anderen waren jenseits der Marmorplatten stehen geblieben und sahen sich ebenfalls fasziniert und eingeschüchtert um. Offenbar war er nicht der einzige, der die seltsame Atmosphäre hier spürte… Eine Bewegung, die er nur aus den Augenwinkeln wahrnahm, ließ ihn herumwirbeln. ,, Habt ihr euch auch endlich hier herunter verirrt Kellvian ? Ich schätze, Andre musste dieses Ende nehmen. “ Ismaiel trat ohne sichtliche Eile ins

Licht. Seine grauen Haare schimmerten bläulich, wo sich der Schein der Feuerbecken darauf niederschlug. Zum ersten Mal erschien Kellvian die Gestalt nicht mehr alterslos… sondern einfach nur alt. Ein Mann, der seine Zeit Überlebt hatte, und dieser nun hinterherjagte. Ein Mann dessen Augen in einem gespenstischen Feuer grün glühten… ,, Was habt ihr getan ?“ , fragte Kellvian. ,, Götter, was habt ihr getan ?“ Hatte er wirklich sich selbst zum Wirt für eine der Seelen des alten Volkes gemacht? War das überhaupt möglich… Der alte Zauberer jedenfalls ging nicht darauf

ein. ,, Ich hätte es tun können, Kellvian. Vielleicht. Aber ich habe euch wiederunterschätzt.. Und jetzt, am Ende war alles umsonst wie es scheint. Ich hattet recht…“ ,, Womit ?“ Ismaiel schüttelte den Kopf, aber mehr, als wollte er Zeit gewinnen… oder den Kopf klar bekommen. ,, Ich spüre es. Ihr Leid… ihren Wahnsinn.“ Kellvian verstand. Die Seelen des alten Volkes waren mit der Zeit Wahnsinnig geworden. Er wusste immer noch nicht, ob sein kurzer Ausflug in die goldenen Hallen eine Halluzination gewesen war

oder nicht, aber so oder so… wo alle anderen Toten irgendwie ihren Frieden fanden, waren sie gebunden und bei Bewusstsein geblieben. Für Jahrtausende. ,, Ich habe die Geister eures Volkes herumirren sehen, Ismaiel. Was ihr vorhattet, war immer unmöglich.“ Ismaiel schritt an ihm vorbei und betrachtete eine Weile die kleine Versammlung, die sich um den Marmorplatz eingefunden hatte. ,, Vielleicht. Und vielleicht warten sie dort auf mich. Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, wo dieser Ort hier einen anderen Namen trug. Ich… bin vor so langer Zeit einmal zu den Gipfeln hinaufgestiegen….“ Er klang plötzlich

friedlich, als er sich wieder Kellvian zuwendete. ,, Tut mir einen gefallen, einen einzigen Dienst…“ ,, Und der wäre ?“ ,, Bringt meine Asche nach dort oben.“ Ismaiel schloss die Augen. ,, Das ist womit ihr Recht hattet, Kellvian. Mein Volk ist verloren.“ ,, Eure Asche… Was meint…“ Bevor Kellvian den Satz beenden konnte, schlugen urplötzlich Flammen aus dem Körper des alten Zauberers hervor und hüllte ihn komplett ein. Dunkelblaues Feuer , die Ismaiel ohne einen Laut verzehrten… Kellvian stolperte ein paar Schritte zurück, als das Inferno an Helligkeit

zunahm und für einige Herzschläge die gesamte Höhle ausleuchtete, scharf Umrissene Konturen zeichnete und sie alle blendete. Als es wieder erlosch, war nichts mehr von Ismaiel übrig. Lediglich ein Haufen strahlend weißer Asche und einige Glutflocken, die langsam zu Boden rieselten und verloschen… ,, Ist es wirklich vorbei ?“ , fragte Zyle. ,, Ich hoffe es.“ , antwortete Kellvian leise und trennte ein Stück Stoff aus seinem Mantel. Vorsichtig begann er die Überreste in das Tuch einzuschlagen, bevor er sich wieder erhob. ,, Gehen wir. Ich glaube eine Sache wartet noch auf

uns.“

Epilog


Einige Wochen später enthüllte die Morgensonne eine Stadt, die an der westlichen Küste Cantons lag. Silberne Brücken, welche die einzelnen Teile des Ortes wie in einem Spinnennetz miteinander verbanden, schimmerten rötlich, als das Morgenlicht auf sie viel und den Hallen aus Marmor und Stein einen eigenen Schimmer verlieh. Flaggen mit dem Doppelbanner des Kaiserreichs, Adler und Löwe, wehten im Wind, der von der See her kam und den Geruch von Salz mit sich

brachte. Die Straßen der fliegenden Stadt waren voller Menschen. Dicht an dicht verschwand das kunstvolle Pflaster auf den Wegen und Plätzen vollständig unter ihnen und an manchen Stellen gab es kein Durchkommen mehr, so dass die kaiserlichen Gardisten eine Gasse frei machen mussten. Selbst im Umland hatten sich tausende weitere Eingefunden, manche auch mit Schiffen, die sich im kleinen Hafen jenseits der Steilküste drängten. Von dem Chaos draußen jedoch war im Thronsaal des Kaiserpalastes wenig zu spüren. Das sanfte Licht der magischen Kristalle verschmolz mit den

Sonnenstrahlen und brachte die einzelnen Mosaikteile des Bernsteinthrons von innen zum Glühen. Kellvian stand am Fuß des kurzen Aufgangs zum Thron, in einen einfachen blauen Gehrock gekleidet. Er wusste nicht, wie lange es her war, das er einmal keine Waffe mit sich trug und er konnte den anderen ansehen, das es ihnen ähnlich ging. Er hatte sonst niemanden dabei haben wollen… nur für den Fall, dass es schief ging, so das die große Halle im Herzen der fliegenden Stadt heute überraschend leer wirkte. Vor dem Fall hätten sich hier Diplomaten und Adelige aus allen Teilen des gewaltigen Imperiums die Klinge in

die Hand gegeben, doch bis deren Strom wieder einsetzte würde es wohl hoffentlich noch eine Weile dauern. Das Land brauchte eine Weile um die Schrecken der letzten Monate zu heilen. Städte waren beschädigt, Dörfer niedergebrannt worden und nun, wo Gardisten wie Söldner zum Teil in ihre Heimat zurückkehrten, gab es eine Unzahl toter zu beklagen. Aber ja… sie würden es überstehen, vielleicht sogar irgendwie daran wachsen. Das war etwas, das nun in seiner Hand läge nicht? In seiner… und Jiys. Gedankenverloren nahm er die Hand der Gejarn in seine. Sie trug das gleiche Silberkleid wie bei ihrer,

zugegebenermaßen chaotischen, Hochzeit. Vielleicht ein gutes Zeichen. Er wusste es nicht. Und es war auch egal. Er beugte sich vor und ihre Lippen fanden sich. Nur das er sie nach allem, was geschehen war ganz sicher keinen Tag seines Lebens mehr vermissen wollte. ,, Bereit ?“ , fragte sie grinsend, als sie sich wieder voneinander lösten. Kellvian nickte, während er die die Treppe zum Thron heraufstieg, nur um dann auf halbem Weg halt zu machen und eine der Marmorstufen abtastete. Die einzelnen Platten, aus denen diese bestand waren mit Mörtel verfugt worden… außer an einer Stelle. Er

streckte die Hand aus und löste das lose Stück Marmor heraus. Dahinter wurde ein Hohlraum sichtbar, in dem etwas schwach im Halbdunkeln glühte. Kellvian streckte die Hand danach aus und zog es hinaus ins Licht. Der runde Bernstein fing das Sonnenlicht ein, das durch die hohen Glasfenster in die Halle fiel und er konnte die Magie spüren, die davon ausging. Einmal noch wenigstens, würde die Macht des alten Volkes sich hoffentlich für etwas Gutes nutzen lassen. Statt jedoch weiterhinauf zum Thron zu steigen, zögerte er einen Moment, das Juwel nach wie vor in der Hand. Dann kam er die Treppe wieder

hinab. Er hatte das hier nicht alleine getan. Und er würde es nicht alleine zu Ende bringen. Zyle zog fragend eine Augenbraue hoch, offenbar nicht sicher, was Kellvian vorhatte. Relina stand neben ihm, ein kleines Bündel graues Fell auf dem Arm, das sich aus zwei schimmernden Augen in der Halle umblickte. Die kleine hatte nach wie vor keinen Namen, entweder weil die beiden sich schlicht bis jetzt keine Gedanken darüber gemacht hatten, oder weil sie warten wollten, bis sie nach Maras zurückkehrten. Kellvian konnte die Entscheidung gut verstehen, auch wenn er Zyle gerne hier behalten hätte…

r hatte noch eine Aufgabe, vielleicht eine, die noch größer war als die, der er sich gegenübersah. Wys war bereits vor einigen Tagen wieder nach Helike aufgebrochen. Vermutlich traute er Jona doch nicht ganz über den Weg, die Stadt so lange ohne ihn zu verwalten ohne Dummheiten anzustellen. Wenn alles gut ging, würden die beiden Laos tatsächlich in ein neues Zeitalter führen können. Sein Blick wanderte weiter zu Cyrus und Eden, die sich sichtlich von ihrer Zeit in Silberstedt erholt hatte. Lediglich ein leichtes Hinken verriet nach wie vor, wie knapp sie einmal dem Tod entronnen war und vermutlich, würde dieses auch nicht mehr verschwinden, wie Erik ihr

eröffnet hatte. Die Kapitänin hatte es überraschend unbesorgt aufgenommen. Offenbar hatten sie und Cyrus bereits eigene Pläne, wie es aussah. Der Wolf hatte ihn heimlich darum gebeten, ob er den beiden kein Grundstück in der Nähe von Risara zur Verfügung stellen konnte. Und Zachary… Der Junge war nun plötzlich Herr über eine der reichsten Städte im Kaiserreich. Auch nachdem die Schäden behoben wären, würde Silberstedt wohl seine alte Rolle behalten. Nun jedoch mit einigen Veränderungen. Als erste Amtshandlung nach der Kapitulation, hatte der Junge sämtliche noch vorhandenen Sklaven auch offiziell befreien und die, die bei

dem Aufstand getötet worden waren bestatten lassen. Ganz Silberstedt hatte dabei teilgenommen und auch wenn es wohl eine Weile dauern würde, bis die Leute dort umdachten… ab jetzt würden in den Minen keine Zwangsarbeiter mehr arbeiten. Sie würden sich wohl oder übel damit arrangieren müssen. Nicht, das Kellvian daran Zweifel hatte. Die Leute würden lernen… Syle, Lucien und Quinn hatten sich ebenfalls eingefunden. Was immer mit den dreien anfangs gewesen war, das vergangene Jahr hatte aus ihnen für jeden erkennbar eine eigene Gemeinschaft geschmiedet. Und auch wenn Quinn wohl bald zur Ordensburg

aufbrechen würde, um dort mit dem Wiederaufbau zu beginnen, glaubte Kellvian nicht, das Lucien und Syle ihn dabei lange alleine lassen würden. Vor allem der Agent schien es sich irgendwie zur Lebensaufgabe gemacht zu haben, den Ordensobersten zu provozieren, etwas, das dieser nur noch mit stoischer Gelassenheit über sich ergehen ließ. Und Syle… wenn Zyle ging würde es einen neuen Hochgeneral brauchen. Der Bär war nach wie vor einer seiner ältesten Freunde und er hatte mehr als Bewiesen, dass er dazu in der Lage war… Und dann war da natürlich noch Erik Und Mhari. Kellvian wurde aus der Ältesten nach wie vor nicht richtig

Schlau, aber die Clans respektierten sie mit einer beinahe religiösen Ehrfurcht. Der Löwin würde es wohl auch gelingen, die letzten verbliebenen Zweifler, die sich auch nach allem was geschehen war noch gegen das Kaiserreich stellen wollten zu überzeugen. Nach über zwei Jahren würde wieder Frieden in die Herzlande einkehren. Und was würde Erik tun? Er hatte noch nicht mit dem Arzt gesprochen. Vermutlich wie immer, das ihm grade einfiel. Bei dem Gedanken musste Kellvian unwillkürlich Grinsen. Sie alle hatten eine lange Reise hinter sich. Sie alle hatten gekämpft, gelitten, hatten Siege errungen und waren auch

gescheitert. ,, Ohne euch wäre ich heute nicht wo und wer ich bin.“ , meinte er leise, aber in der Stille, die in der großen Halle herrschte, hörten sie es trotzdem alle. Der Gedanke, dass sie bald auseinandergehen würden behagte ihm nicht aber… es wäre kein Abschied für immer. Da war er sich sicher. Kellvian betrachtete den Bernstein in seiner Hand. ,, Jiy… machen wir das zusammen ?“ Die Gejarn nickte und gemeinsam stiegen sie schließlich die Stufen zum Bernsteinthron herauf. In der Lehne des uralten Sitzes der Kaiser war eine Kreisrunde Aussparung eingelassen. Vorsichtig legte Kellvian den Stein

hinein, der sich perfekt in die Lücke einfügte, nur gehalten von einem dünnen Silberdraht. Im selben Moment erzitterte der Boden unter ihren Füßen. Ein gewaltiger Ruck ging durch die gesamte Stadt, gefolgt von mehreren vielfarbigen Lichtbögen, die zwischen den Silberbrücken und Turmspitzen hin und her sprangen. Kellvian konnte spüren, wie die Luft sich geradezu mit Magie sättigte und der Stein sich wieder beruhigte, als sich die uralten Zauber der fliegenden Stadt einer nach dem anderen wieder aufluden. Und dann vibrierte der Boden erneut, als sich die Gebäude langsam aber sicher von ihrer Verankerung im Boden lösten.

Krachend rissen sie dabei Erde und Felsen mit sich in die Höhe, die scheinbar schwerelos um das gewaltige Konstrukt kreisten. Kellvian hatte Mühe das Gleichgewicht zu halten, als die Beschleunigung drohte, ihn schlicht zu Boden zu drücken…dann stand plötzlich alles still. Die drückende Last der Magie hob sich etwas, während die Stadt nun frei über dem Ozean schwebte. Die einzelnen Gebäude spiegelten sich, zusammen mit den Wolken, in den Wellen. Unten am Boden jedoch, verfolgte eine Gestalt in einem blauen Mantel den Wiederaufstieg der fliegenden Stadt Die Hände hatte sie dabei auf einen Stab mit

Bernsteinknauf gestützt und sah mit trüben, milchigen Augen gen Himmel. Ein Lächeln huschte über die Züge de Sehers. Am Ende, dachte er, war das Schicksal eben doch Wandelbar. Immer noch lächelnd und leise vor sich hin summend, ging er schließlich davon, zwischen den erstaunt nach oben blickenden Menschen hindurch und in Richtung Norden. Seine Arbeit war hier getan. Fürs erste…

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Terazuma Ich lass es mir natürlich nicht nehmen, dir auch hierzu etwas zu schreiben.
Vor allem, dass hier noch ein paar Kapitelchen fehlen. Und wenn du alle hochgeladen hast, dann werden es vielleicht doch 3000 Seiten. Oder zumindest 2800. Das ist echt ein Wahnsinn. Man kann sagen, allein ein Band deiner Trilogie ist beinahe so viel wie drei Teile. Der letzte Band auf jeden Fall. Also hast du quasi ein Werk aus neun Bänden geschaffen. Echt klasse! ^^
LG Tera
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Jap, jetzt sollten es alle sein. Insgesamt 3014 Seiten ^^. Keine Ahnung wann ich das alles überhaupt geschrieben habe...
lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
Terazuma Du sagst es, diese Leistung ist wirklich unglaublich.
Wenn ich in einer Woche ein Kapitel schaffe, bin ich schnell. Jeden Tag eines abzuliefern ist dagegen schon eine Wahnsinnsgeschwindigkeit. Meiner Meinung nach. XDDD
LG Tera
Vor langer Zeit - Antworten
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