Journalismus & Glosse
Druck lass nach - Von den Aussätzigen der Gesellschaft

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"Druck lass nach - Von den Aussätzigen der Gesellschaft"
Veröffentlicht am 20. Februar 2015, 30 Seiten
Kategorie Journalismus & Glosse
© Umschlag Bildmaterial: brat82 - Fotolia.com
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Über den Autor:

Ich lese und schreibe und manchmal zeichne ich auch. Aber nur manchmal. ;-) Meine Texte dienen mir zum einem um Ordnung in meinen Gedanken zu schaffen und, was noch wichtiger ist, als Übung. Ich möchte meinen eigenen Stil entdecken und weiter entwickeln.
Druck lass nach - Von den Aussätzigen der Gesellschaft

Druck lass nach - Von den Aussätzigen der Gesellschaft

Druck lass nach
Von den Aussätzigen der

Gesellschaft




Um eines Vorweg zu nehmen: bei aller Kritik und Analyse von gesellschaftskritischen Problemen und Zuständen bin ich immer der Meinung, dass man zuerst bei sich selbst anfangen sollte.
Merkwürdigerweise habe ich festgestellt, das genau jene

Menschen, die diese Selbstreflektion am Besten beherrschen, genau jene sind, die am Wenigstens in das gesellschaftliche Bild zu passen scheinen und mit den größten gesellschaftlichen Widerständen zu kämpfen haben. Woran liegt das nur? Anscheinend haben sehr viele Leute, darunter gebildete, gut geschulte, gut verdienende, eben der Vorzeigebürger, ein Problem damit, sich mit

gesellschaftlichen Zuständen auseinander zu setzen und damit auch mit den Problemen ihrer Mitmenschen. Nun ja, ist ja auch nicht weiter verwunderlich. Warum auch, wenn es einem doch so gut geht. Gerade diese Woche erste bestätigten die klugen Sozilogen, was längst jeder weiß: die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Was auch wenig verwundert, da der

Kapitalismus nicht nur schon längst angekommen ist, sondern auch noch regierungstechnisch (siehe TTIP,oder das Bankensystem ect.) gefördert wird. Doch die gesellschaftlichen Aussätzigen, wie ich sie gerne bezeichne, haben ganz andere Probleme. Kreative, lustige, gebildete Menschen sind das oft, die von der Gesellschaft fallen gelassen wurden, weil sie einfach nicht ins Bild passen. Eine

Künstlerin zum Beispiel, die fantastische Bilder malt für die jeder ein Vermögen zahlen würde, hätte sie doch nur einen bekannten Namen. Doch davon leben kann sie nicht. Ihre Miete muss ja auch bezahlt werden und essen will sie auch hin und wieder. Eine Hausfrau, die fünf Sprachen spricht, weil die Mutter Dänin, der Vater französischstämmig und die Schule sie mit Englisch und Spanisch versorgt hat; und

mit Worten umzugehen weiß wie ein Journalist. Doch ihre drei Kinder kann sie damit nicht versorgen. Ein Handwerker, der die schönsten Möbel baut, für den Holz nicht nur Holz ist, sondern sein Künstlermaterial. Aber da er keine Ausbildung in dieser Hinsicht hat, nützt ihm das gar nichst und wenn Frau und Kind überleben wollen, ist ihnen sein Talent reichlich

egal.
Doch was haben sie gemeinsam? Wo finden wir sie?
Die Künstlerin zum Beispiel. Sie ist kreativ und gebildet und hat Rückgrat. Auf so einen Menschen ist Verlass. Ihre Arbeit hochwertig, kritisch und von einem Hauch Perketionismus beeinflusst. Warum sitzt diese Frau beim Arbeitsamt und muss sich eine dreimonatige Schulung antun, nur damit sie aus der

Statistik für Arbeitslose fällt? Weil gerade diese Frau eben unbequem ist. Sie tut nicht einfach nur, was man ihr sagt. Sie ist kritisch, das liegt ihr im Blut. Sie sieht sich nicht als einem Chef unterlegen an. Für sie haben alle Menschen den gleichen Wert. Und diese Gleichwertigkeit lebt sie konsequent aus. Doch welcher Chef möchte so einen Mitarbeiter? Und Bilder malen bringt nun mal nichs

ein, es sei denn man hat einen Namen. Man könnte viele dieser Beispiele anbringen und sie führen mich alle zu dem Schluss, dass es nicht gewollt ist, eine eigene Meinung zu haben, geschweige denn, sie auch noch zu vertreten und sie konsequent auszuleben. Diese Menschen werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Passen sie sich nicht an, droht Hartz 4. Und gerade diese kämpferischen

Menschen, die eine ideologische Säule in unserer Gesellschaft darstellen, verlieren so gut wie immer. Sie leben so weit abseits am Rand der Gesellschaft, sind permanent damit beschäftigt, zu überleben, dass es keinen Platz mehr für Ideologien, Prinzipien und Selbstverwirklichung gibt. Und genau diese Menschen werden als faul, unzuverlässig, stur, arbeitsunwillig und

Sozialschmarotzer dargestellt. Da drängt sich mir gleich der Gedanke auf: Eine Gesellschaft, die so mit ihren Mitmenschen umgeht, hat es wohl nicht anders verdient. Vielleicht lehne ich mich weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass jeder Mensch in einer Gesellschaft, selbst jener, welcher der Gesellschaft nicht viel zurückgibt, eine Daseinsberechtigung hat. Und vielleicht lehne ich mich

noch weiter aus dem Fenster wenn ich sage, dass eine Gesellschaft so etwas sogar ertragen muss! Man kann den Wert einer Wertegemeinschaft nur daran messen, wie sie mit ihren vermeintlich Schwächsten umgeht und wie sie zu ihnen steht. (Denn in meinen Augen sind diese "Schwachen" eigentlich diejenigen, die die größte Bürde zu tragen haben) Und diese Bürde sieht seit Agenda 2010 noch

schlechter aus als vorher. Ist ein Mensch denn nur etwas wert, wenn er wirtschaftlich rentabel ist?
Ich will mich nicht beklagen, denn Europäer zu sein stattet mich mit vielen Privilegien aus, die weiß Gott Milliarden von Menschen nicht haben. Aber dennoch, ich will nicht nur wertgeschätzt werden, weil ich wirtschaftlich rentabel bin. Ich bin mir sicher, dass mir viele Menschen darin zustimmen.

Wäre dies ein Artikel im Spiegel, nickten sicherlich viele. Wie nett von ihnen. Doch wenn ich mir die Spiegelleser im realen Leben vorstelle, dann klafft eine riesige Lücke zwischen dem Geschriebenen und dem tatsächlichen Verhalten.
Der Druck, den die Menschen sich gegenseitig aufbürden, ist allgegenwärtig und wird in vielen Fällen kaum noch wahrgenommen. Nehmen wir doch mal ein

durchschnittliches Dorf mit 4000 Einwohnern als Beispiel. Die Dächer der Häuser haben die gleichen Winkel, die Farben müssen im Gemeindekatalog stehen, die Gärten am besten mit der Nagelschere gepflegt, zwei Kinderchen die möglichst geräuschlos im Garten spielen und deren Terminkalender voller ist als der von Bundeskanzlerin Merkel, ein Auto nicht älter als drei Jahre, Herr Papa

schuftet bei Bosch, Audi, Opel, Siemens oder sonstige ansässigen Großkonzerne, während die Frau Mama neben dem Kinderhüten noch fleissig in die Arztpraxis geht oder einem kaufmännischen Nebenjob nachgeht. Wie nett wäre das doch. Wie nett und komfortabel ist diese Gleichschaltung, wenn sie dann noch ordentlich auf Pump kaufen, ihre Häuser und Autos finanzieren und wirtschaftliche rentable

Kinder großziehen. Oh ja, das klingt alles sehr vorurteilbehaftet und das ist es bestimmt auch. Doch wo ist denn die Künstlerin abgeblieben, die mit ihren Bildern kein Geld verdienen kann, aber auch nicht für lau putzen will? Wo ist denn die sprachlich begabte Hausfrau, deren Mann nur an der Mindesteinkommensgrenze herumkratzt und wo ist der Handwerker, der nicht mal durch eine Leiharbeitsfirma

einen festen Job findet? Ach ja, sie sitzen gerade in einem teuren Kurs vom Arbeitsamt, bei dem sie lernen, wie man sich richtig bewirbt, ungeachtet dessen, ob sie überhaupt zur Arbeit kommen, weil sie kein Auto haben, weil sie sich einen Umzug nicht leisten könnten, weil es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt, weil die Kinder im Ort halbwegs integriert sind und sie einfach nicht wegziehen wollen, weil

sie mit fünf Kindern einfach keine andere Wohnung finden, die genug Platz bietet und billig genug ist, weil sie keine Hoffnung und keinen Glauben mehr in das System haben oder ganz einfach, weil sie sich nicht für jeden Job verbiegen wollen.
Ja, dort lernen sie ganz bestimmt das Allerwichtigste: Selbstachtung, Selbstvertrauen und Rückgrat bewahren und wenn dann die Arbeitsamtkollegen

zur Abschlussfeier kommen und eine Gesprächsrunde auf Augenhöhe stattfindet, wird ihnen sicherlich jeder Arbeitsvermittler der Agentur sagen, dass sie nur Jobs annehmen müssen, die in ihre Lebensführung passt, und das es für diese bestimmt einen passenden Job gibt. Irgendwo.
Natürlich wird das nicht geschehen, denn der Arbeitsvermittler muss eine Quote erfüllen und kriegt

mächtig eins auf den Deckel, wenn die nicht in die Zahlen passt, denn mittlerweile ist das Arbeitsamt ein profitorientiertes Unternehmen geworden und wartet nur darauf, an die Börse zu gehen. Übertrieben ausgedrückt. Wie kann es sein, dass eine öffentliche Behörde, für die wir Steuern bezahlen, profitorientiert arbeitet? Wie kann es sein, dass die nächste Leihfirma sich im gleichen Gebäude

einmietet wie die Arbeitsagentur? Ungeachtet der Legalität ist das menschenunwürdig, aber mittlerweile so "normal", dass sich keiner darüber Gedanken macht. Alles was zählt ist, die Menschen in bezahlte Arbeit zu bringen.
Die Arbeit, was diese Menschen tagtäglich leisten, wird nicht honoriert, geschweige denn überhaupt zur Kenntnis genommen.
Sie erziehen ihre Kinder,

kümmern sich um Tiere, arbeiten ehrenamtlich, müssen Tag für Tag mit jedem Cent kämpfen um alle satt zu kriegen, wozu sie rechnen können müssen, dass es sich gewaschen hat; müssen versuchen, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Das empfindlich gestörte soziale Gefüge, in dem sie leben, irgendwie zusammen halten. Ständig dem Druck standhalten, der ihnen von Außen entgegen

gebracht wird. Anstatt Mitgefühl zu empfinden, werden sie verachtet, weil sie arm sind. Wird ihnen Misstrauen entgegen gebracht, Vorwürfe gemacht, dass sie sich ja selbst in diese Situation gebracht haben. Müssen ihr gesamtes Leben mit den privatesten Details offen legen, nicht selten zur Tafel gehen, damit sie überhaupt überleben können, müssen ihre Hemmungen überwinden und

um Hilfe fragen, weil sie ihre Stromrechnung nicht zahlen können, weil sie den Ausflug für die Kinder nicht zahlen können, müssen ihre Kinder trösten, weil sie keinen Sportverein zahlen können, ja nicht mal einen Kinobesuch und eine Geburtstagsfeier schon gar nicht.
Es interessiert keinen Menschen, warum sie sich in dieser Situation befinden. Es interessiert nicht, dass sie die Schule verlassen haben,

weil sie den ständigen Mobbereien nicht mehr standhalten wollten; dass sie ihre Ausbildung abgebrochen haben, weil sie sich nicht gut genug informiert haben über den Beruf; dass sie vielleicht zu früh schwanger geworden sind und ihr Freund sie hat sitzen lassen; es interessiert nicht, ob sie einen Alkoholkranken geheiratet haben, der sie psychisch abhängig gemacht hat; es interessiert auch nicht, wenn

es jemand wirklich versucht und sich mit Jobs über Wasser hält und trotzdem noch Hartz 4 beantragen muss, es interessiert nicht, wann und wie welche Entscheidungen einmal falsch getroffen worden sind, egal, wie gebildet diese Person auch sein mag, alles was zählt, ist die wirtschaftliche Rentabilität. Menschen, die sich den Luxus der Verschrobenheit leisten können, weil sie davon

leben können, gibt es höchst selten. Und dass so viele an den Rand gedrängte Menschen so viel Leid aushalten müssen und dennoch hoch erhobenen Hauptes beim Arbeitsvermittler erscheinen, verdient Respekt und Achtung und kein Misstrauen oder Verachtung. Eine Lösung für dieses Problem ist politisch gesehen nicht in Sicht. Ich persönlich halte es so, wie eingangs erwähnt: vor

der eigenen Haustür beginnen und jedem Menschen eine Chance geben.

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Ich lese und schreibe und manchmal zeichne ich auch. Aber nur manchmal. ;-)

Meine Texte dienen mir zum einem um Ordnung in meinen Gedanken zu schaffen und, was noch wichtiger ist, als Übung. Ich möchte meinen eigenen Stil entdecken und weiter entwickeln.

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baesta Da sprichst Du mir voll aus dem Herzen. Eine Gesellschaft ist nur so gut, wie ihr schwächstes Glied. Danke für Deinen aufrüttelnden Appell.

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Da sprichst Du mir voll aus dem Herzen. Eine Gesellschaft ist nur so gut, wie ihr schwächstes Glied. Danke für Deinen aufrüttelnden Appell.

Liebe Grüße
Bärbel
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