Romane & Erzählungen
Das Findelkind

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"Das Findelkind"
Veröffentlicht am 11. Februar 2015, 58 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Iaut Pass bin ich 76 Jahre alt. Ich denke aber, da hat sich jemand geirrt. Ich bin verheiratet, habe zwei Adoptivtöchter und vier Enkelkinder, die leider in Südmerika leben, wo wir viele Jahre zu Hause waren. Im Bayerischen Wald genießen wir jetzt eine geruhsame Zeit, die ich zum Schreiben nutze. Aus dem Hobby ist fast schon eine Sucht geworden. Bei myStorys hoffe ich auf Anregung und Gedankenaustausch..
Das Findelkind

Das Findelkind

Das Findelkind

Sofie Sanders durchquerte den  gepflegten Park, der die Seniorenresidenz „Sonnenblume“ umschloss. Sie winkte den Schwestern zu, die die Bewohner des Altenheims auf  kleinen Spaziergängen begleiteten. Ein wenig außer Atem gekommen betrat sie  das Haus. Sie liebte das  im Jugendstil erbaute Gebäude, begrüßte Sandra am Empfang

und nahm das Buch für den Besuchsdienst entgegen. „Was gibt es Neues? Wollte sie wissen. „Mama Martha ist mal wieder schlecht dran. Sie belästigt alle mit ihrer Wahrsagerei. “Sofie zog den  hellgrünen Kittel des Besuchsdienstes  über. „Dann wollen wir mal nach Mama Martha schauen. Bin ich sonst noch für einen weiteren Besuch vorgesehen?“

„Herr Klausner ist neu bei

uns. Bei ihm ist noch niemand gewesen. Ich denke, er würde sich freuen, wenn du ihn begrüßt. Er ist ein netter alter Herr und bewohnt das  Zimmer „Buschröschen“.

Sofie klopfte bei Mama Martha an und trat ein.  Die alte Dame saß in ihrem Sessel vor dem Frisiertisch und zupfte an den sorgfältig frisierten Löckchen ihrer altmodischen Frisur. Sie schien weder das Klopfen

noch das Öffnen der Tür gehört zu haben. Erschrocken hielt sie inne. „He, wer sind Sie?“ fragte sie, lehnte sich ein wenig vor, um die Besucherin über den Spiegel zu erkennen. „Ich bins, Sofie“, gab sie Auskunft und blieb vorsichtshalber an der Tür stehen und wiederholte: „Besuchsdienst, Sofie Sanders.“ Ein undefinierbares Gebrummel verriet die Desorientierung der Frau vor dem Spiegel.

Sofie schlug eine sanfte Tonart an und fragte: „Was machen wir? Gehen wir ein Weilchen in den Park?“ Martha äußerte sich nicht. Sie starrte immer noch misstrauisch in den Spiegel und fuhr fort an den Locken zu zupfen, jetzt jedoch wesentlich unsanfter „Sofie“, stieß sie dann hervor, als dämmerte ihr eine Erkenntnis: „Sofie, du wirst mich nicht mehr besuchen kommen, du wirst Mama und

hast dann keine Zeit mehr für mich.“  Sofie lachte amüsiert auf. „Ja, ja Martha, jetzt reden wir Unsinn. Ich war Mama, bis meine Laura mich verlassen hat.“ Langsam trat sie näher, bis sie dicht hinter der alten Dame stand, sie legte ihr beide Hände leicht auf die Schultern  und sah sie über den Spiegel hinweg an. „Chic wie immer“, hauchte sie, „und? Gehen wir?“ Keine Antwort, die Augen signalisierten, dass Mama

Martha in ihrer Welt weilte. Sanft strich Sofie mit den Händen über die Oberarme der alten Frau, aber sie erreichte sie nicht. „Ich gehe eben zu Herrn Klausner, der neu bei uns ist“, sagte sie „und komme dann wieder.“ Es stimmte sie immer traurig, wenn sie ihre Schutzbefohlenen nicht erreichte. Auch ein letzter Blick in den Spiegel blieb unerwidert.

Bevor Sofie sich dem alten

Herrn Klausner widmete, schaute sie bei Sandra  vorbei. „Wir müssen ein Auge auf Mama Martha haben“, erklärte sie, „es geht ihr ganz und gar nicht gut. Mir scheint sie  ´ist ein wenig verwirrt.   Sofie wollte sich auf den Weg zu Herrn Klausner  machen, als der ihr schon entgegenkam. Sandra stellt ihn vor und erinnerte Sofie noch daran, dass sich „Krähennest“  um 17.00 Uhr traf.

„Was ist denn „Krähenest?“ fragte Klausner interessiert. „Krähenest ist unsere Gesprächsrunde für jung gebliebenen Mitbewohner, ein Kreis geistig interessierter Menschen“, erlärte ihm Sofie und erläuterte ihm Sinn und Zweck dieser kurzweiligen Runde. Früher haben wir Gedächtnistraining betrieben, bis wir darauf kamen, es doch mal anders zu gestalten. Wir nehmen uns ein Thema vor, über das jeder

seine Meinung äußern kann.  „Kommen Sie  und machen Sie gleich mit, wenn sie Lust haben“,  schlug Sofie vor. Herr Klausner nickte zustimmend. Für heute steht die Frage auf dem Programm: Wie sinnvoll ist ein Hobby für den alten Menschen?“ Gemeinsam betraten sie den Salon.  Sofie stellte Herrn Klausner  vor und ergänzte“ „wie ich sehe außer Ihnen nur Damen. Also ist es wohl ein weiblich orientiertes Thema.“

„Das möchte ich nicht sagen“, äußerte sich Herr Klausner., erklären Sie mir bitte noch, weshalb Sie den Kreis „Krähennest“ nennen.“ Jetzt ergriff die pummelige Karola   das Wort: „Sofies Devise lautet klotzen statt kleckern. Und Krähen sind nun mal überaus intelligente Tier, denen wir nacheifern wollen.“ Klausner nickte zustimmend. „Ich sehe schon, hier bin ich richtig, Jung bleiben ist ein Zeichen

der inneren Einstellung.“  

Die Voraussetzung für die Diskussion war geschaffen, die sieben Senioren redeten sich die Köpfe darüber heiß, wie sinnvoll ein Hobby sei. Sie kamen zu dem Schluss, dass derjenige, der sich mit Freude einem  Hobby hingibt, sich selbst den größten Gefallen tut.    


Sofie war zufrieden, als sie sich endlich zu FuĂź auf den Heimweg machte. Der

Besuchsdienst für die Altenresidenz  war ihr Hobby.  Für die verwitwete und pensionierte Studienrätin Sofie Sanders wäre nichts schlimmer als unausgefüllte Tage. Die Dankbarkeit der älteren Menschen halfen ihr die Trauer um ihre tödlich verunglückte Tochter Laura zu ertragen.  Ihre Gedanken wanderten zu Mama Martha und ihre traurige Aussage, du wirst Mama und wirst mich nicht mehr  besuchen

kommen. Sofie wurde wehmütig bei dem Gedanken wie schön es wäre, wenn Laura am Leben wäre. Ob sie dann  schon Oma wäre? „Dumme, alte Frau“, schalt sie sich und zwang sich, ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben. Sie verweilte bei Herrn Klausner. Er hatte sich so dankbar für die freundliche Aufnahme gezeigt, und das wiederum tat ihr gut. Es war ein Zeichen, dass ihre Arbeit auf

fruchtbaren Boden fiel.

Als Sofie in ihre Straße einbog, begann es zu dämmern. Aus einem der Gärten wehten Gesprächsfetzen herüber und lautes Lachen.  Noch in Gedanken versunken kramte Sofie nach ihrem Schlüsselbund. Bevor sie aufschloss,  schaute sie sich  gewohnheitsgemäß noch einmal nach beiden Seiten um, setzte einen Fuß vor und  erschrak, sie stieß auf einen

Widerstand, etwas  Weiches. Vor ihr hockte ein Mensch,  zusammengekauert und eng an den Steinpfeiler gelehnt.  Erschrocken wich Sofie einen Schritt zurück. Ihr Blick fixierte ein junges Gesicht mit weit aufgerissenen Augen. Der erste Impuls war, Hilfe zu rufen. Aber Sofie verharrte wie gelähmt. Sie zwang sich zur Ruhe und überlegte zugleich, was am klügsten zu tun sei. Sie zwang sich auf das Bündel  Mensch zu

schauen, die Beine angezogen, die Arme an den Oberkörper gepresst, bot es ein Bild des Jammers. Jede Angst war verflogen, das Mitleid überwog. Sofie trat näher und beugte sich ein wenig herab. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie und versuchte, in das Gesicht der Person zu schauen. In ihren Augen las sie Angst und Verzweiflung. Kurz entschlossen packte sie sie bei den Armen und half ihr auf

die Beine. Da stand sie in Männerkleidern, aber eindeutig eine Frau. Sofie lehnte sie gegen das Gartentor,  stützte sie und öffnete das Törchen. Behutsam  führte sie sie zum Hauseingang, dort ließ sie sie auf der Bank nieder und  wiederholte ihre Frage.  Die junge Frau reagierte nicht. Hörte sie sie nicht? Verstand sie sie nicht? Der Gedanke, sie könnte ein Junky sein, streifte Sofie nur kurz, nein so

sah sie nicht. Offenbar verstand die Fremde sie nicht. So versuchte sie es mit Englisch. Keine Reaktion. So kam sie nicht weiter, praktische Hilfe war jetzt  nötig. Sofie  half  der Frau auf die Beine und führte sie ins Haus. Aber wohin mit ihr? Auf die Couch? In das Gästezimmer? Sofie wählte das Gästebett, auf dem sich die Fremde wie selbstverständlich ausstreckte. Dabei

betrachtete sie ihren Überraschungsgast genauer. Die kupferfarbene Hautfarbe, die hohen Backenknochen und die ungebändigte, fast zottelige Haarmähne gaben  ihr das exotische Aussehen einer Eingebornen aus  Lateinamerika. Zeichen von Angst und Verzweiflung waren aus dem Gesicht gewichen, jetzt zeichnete sich nur noch Leere darin ab, eine geradezu erschütternde Leere. Sofie war versucht, die

Frau zu schütteln, um eine Reaktion herbeizuführen, irgendeine Reaktion, und sei es ein Schrei. Fragen drängten sich auf: Wie kam sie in diese abgelegene Straße? Warum trägt sie Männerkleider? Was hatte die tiefe Starre in ihr ausgelöst.  In wessen Begleitung ist sie gewesen? Und wer sucht sie jetzt? Oder wurde sie absichtlich an ihrer Tür abgesetzt. Sofie schmolz dahin vor Mitleid mit der

jungen Frau, die eher wie ein Mädchen wirkte. Sie lag ganz still, die Augen geschlossen, als wagte sie nicht, sich umzuschauen. Erst mal ein Glas Wasser, fiel es Sofie ein. Auf dem Weg in die Küche hielt das Klingeln des Telefons sie auf. Julia, ihre Freundin, wollte wissen, ob sie am Abend mit ihr ins Kino ginge. Sofie wusste, wie skeptisch Julia war, deshalb zögerte sie einen Augenblick, bevor erzählte, wer ihr ins

Haus geschneit war.      

„Bist du verrückt“, unterbrach die Freundin sie, „dir eine wildfremde, noch dazu undefinierbare Person ins Haus zu holen. Woher weißt du, dass sie nicht spioniert, dass sie auf hilflos macht und dann über dich herfällt?“

„Ach komm. Wenn du dieses arme Wesen sehen würdest, verginge dir dein Argwohn. Die kann sich kaum auf den Beinen halten. Ich habe noch

nie einen Mensch so starr, so willenlos gesehen.“

„Und, was gedenkst du nun zu tun?“ „Wenn ich das wüsste.“  

„Ruf den Notarzt. Die nehmen sie dir sicher ab.“

„Mal sehen.“

Eher verunsichert beendete Sofie das Gespräch. Als sie in das Gästezimmer zurückkam, saß die Frau im Bett, mit beiden Armen umspannte sie die angezogenen Beine, der Kopf

ruhte auf den Knien. Sie schien ins Leere zu starren. Ein Späher schaut sich anders um, stellte Sofie fest und reichte ihr das Wasserglas. Zum ersten Mal begegneten sich sie Blicke der beiden Frauen. „Geht es besser?“ fragte Sofie ohne Hoffnung auf eine Antwort. Einige Laute in einer unbekannten Sprache zeigten ihr, dass ihr Gast fähig war zu sprechen. Spanisch war das nicht, auch nicht

Portugiesisch. Blieben die Indiostämme. Sofie forschte so unauffällig wie möglich in dem exotischen Gesicht. Peru? Brasilien? Während die Frau in kleinen Schlucken trank, suchte Sofie nach einer Entscheidung. Notarzt kam nicht in Frage. Die Polizei? Die würden sie vermutlich bis zur Klärung der Umstände einsperren.  Das Wasserglas entglitt  der Frau und landete auf dem Teppich. Sie schien es nicht zu bemerken,

sondern ließ sich mit einem Seufzer zurücksinken und schloss erschöpft die Augen. Sofie breitete eine leichte Decke über sie, wartete einige Augenblick und betrachtete das schlafende Gesicht. Sie vertraute ihrer sprichwörtlichen Menschenkenntnis und stellte fest: Die hier ist keine Spionin oder Betrügerin. Leise verließ sie den Raum, die Tür ließ sie für alle Fälle offen Sie musste sich erst klar

werden über ihr Handeln. Als erfahrene Frau wusste sie, es gab nur zwei Wege: Sie schaffte sich die Fremde ganz schnell vom Hals, oder sie nahm sie bei sich auf. Und das konnte kompliziert werden, würde Probleme heraufbeschwören und zeitaufwändig sein. Julia würde ihr dringend zu Ersterem raten. Aber eine innere Stimme sagte: Denk an das arme Menschenkind. In den Mühlen offizieller

Stellen geht es ihr schlecht, da geht sie unter. Wo möglich ist sie entführt worden? Oder irgendjemand hatte sie sich als Urlaubsbekanntschaft mitgebracht. Bei dem absurden Gedanken musste Sofie unwillkürlich lächeln.  Je länger sie über die Fremde nachdachte, umso größer wurde ihre Neugier, die wahren Hintergründe zu erfahren.  Aus einer Ecke des Verstandes tauchte allerdings die Warnung auf: Welcher

Gefahr setze ich mich aus, wenn sie tatsächlich verschleppt wurde oder in eine kriminelle Handlung verstrickt ist? Nur ganz kurz gab sich Sofie dem Gedanken  hin, dann beschloss sie: damit werde ich schon fertig. Sie führte die Frau in ihr Gästezimmer und deutete auf das Bett.

Wenig später warf Sofie wieder einen Blick in as  Zimmer. Die junge Frau lag auf dem Rücken und starrte

mit weit offenen Augen in die Luft. Leise kam Sofie  näher,  „Maya Jochen“ stieß sie gut vernehmbar hervor. „Maya Jochen“, wiederholte Sofie in der Hoffnung, weitere Worte zu hören. Leider vergebens. „Maya Jochen“, wiederholte Sofie im Selbstgespräch. Maya? sollte das der Name der Frau sein? Und Jochen der des dazu gehörenden Mannes? Das würde die Männerkleider erklären. Aufs gerade Wohl wiederholte sie

den Namen Maya. Wie auf Kommando drehte die den Kopf in ihre Richtung.  

Das war ein deutlicher Hinweis. Damit war für Sofie die Namensgebung geklärt: Maya.

Einen Moment lang wĂĽnschte sich Sofie eine vernĂĽnftigen Person, mit der sie besprechen konnte, ob und welche Vorkehrungen sie fĂĽr die Nacht treffen mĂĽsse. Ihr stand eine heikle Aufgabe bevor, aber die meisterte sie

am besten ohne fremde Einmischung. Sie musste sich hier ganz und gar auf ihre Intuition verlassen.

Als Sofie erneut nach Maya schaute,  fand sie sie schlafend, und das war gut so. Sie bereitete ein kleines Tablett vor mit Mandelgebäck, einem Glas Apfelsaft und einer Portion Weintrauben, das stellte dies in erreichbarer Nähe neben das Bett. Alle Türen im Haus ließ sie offen und zog sich in

ihr Schlafzimmer zurück. Zugegeben, Sofie schlief nicht wirklich entspannt. Trotzdem kam sie aus tiefem Schlaf, als ein Schrei durch das Haus gellte, einmal nur, dann war es still. Einige Augenblicke lauschte sie, bevor sie sich erhob und zur Tür schlich. Die Fremde geisterte durch das Gästezimmer. Sofie überlegte, ob sie sich bemerkbar machen sollte, um sie zu beruhigen. Aber wie?

Jetzt stand die Frau wie erstarrt am Fenster, sie weinte deutlich hörbar. ‚Angst, sie hat Angst, beruhigte sich Sofie, ‚es wird am besten sein, sie ganz zufrieden zu lassen. So wird sie merken, dass ihr keine Gefahr droht.         

Als sie später in der Nacht erneut erwachte, war es ruhig. Dennoch stand Sofie auf und spähte hinüber in das Gästezimmer. Da stand die Frau unbeweglich in der

Dunkelheit. Sie hatte die Gardine aufgezogen und schaute in den Garten hinaus.   

Sofie machte sich Sorgen um ihren Gast und noch hatte sie keine Ahnung, wie sie der Fremden begegnen sollte. Sie wollte in Ruhe abwarten, was ihr der Tag bringen würde. Als es Zeit war aufzustehen,  herrschte tiefe Stille im Haus. Sofie suchte  ein leichtes Sommerkleid aus dem Schrank, ging damit über

den Flur und betrat das Gästezimmer.  Was sie auf dem Tablett angerichtet hatte, war verzehrt. Ihr Gast saß aufrecht im Bett. „Guten Morgen, Maya“, sagte Sofie nicht zu laut. Augenblicklich dreht die Angesprochene den Kopf nach ihr um und versuchte ein schwaches Lächeln.  Ihre Antwort glich einem undefinierbaren Krächzen. Spielerisch drapierte Sofie das bunte Kleid auf dem Sessel und

deutete auf Maya. Ob sie verstanden hatte, dass sie es anziehen sollte? Als Sofie nach dem Duschen nach ihrem Schützlinge schaute, trug die das Kleid, das ihr ein wenig zu groß war, aber dennoch gut an ihr aussah. Aber ihre Augen schauten traurig. Mit beiden Händen rieb sie sich den Hals und murmelte unverständliche Worte. „Versteh, du brauchst eine Kette“, folgerte Sofie und wählte aus ihrem

Schmuckkasten eine dezente Kette aus blauen Holzkugeln, die sie ihr reichte. Die Fremde aber schaute verdutzt auf die dargereichte Gabe,  sie schüttelte den Kopf und sprudelte eine Flut unverständlicher Worte hervor.  

In dem Augenblick läutete das Telefon. Sofie ahnte, dass es Julia sein würde, die vor Neugier  brannte.

„Hast du etwas herausgefunden über deinen

merkwürdigen Gast?“

„Nicht wirklich, aber ich vermute, dass sie aus dem Süden Mexikos stammt oder Guatemala. Sie könnte einem Mayastamm angehören. Zumindest reagiert sie auf den Namen ‚Maya was immer das auch bedeuten mag.“  

„Und wie war die Nacht?“  

„Ruhig, wenn auch ein wenig mysteriös.“ In wenigen Worten schilderte sie, was sie beobachtet hatte.

„Das hat mit ihrem letzten

Aufenthaltsort zu tun“, folgerte Julia, „da sind ihr offenbar heimlich Fallen gestellt worden. Man spionierte ihr nach oder erpresste sie. Also hat sie auch bei dir nach  verräterischen Spuren gesucht.“

„Unsinn“,  schnitt ihr Sofie das Wort ab.  „Bei mir ist sie schließlich rein zufällig gelandet.“

„Und jetzt?“ Julia klang beleidigt.

„Ich  habe ihr ein Kleid von mir gegeben, das hat sie auch angezogen. Nun müssen wir mal schauen, wie wir weiter zurechtkommen.“

„Und du willst nach wie vor keine Hilfe holen?“

„Ich wüsste nicht, was das bringen soll?“

„Soll ich nicht doch mal vorbeischauen? Zwei kluge Köpfe finden mehr heraus als einer.“

Sofie verkniff sich ein Lachen und blieb unnachgiebig.

„Nein, lieber nicht. Ich muss ihr Vertrauen zu mir gewinnen, bevor ich sie mit anderen Menschen zusammenbringe. Ich mache uns jetzt ein Frühstück und dann schauen wir weiter“, beendete sie das Gespräch. Ihr war klar, dass sie Julia nicht lang fernhalten konnte.

Während Sofie den Tisch auf der Terrasse deckte, stand Maya ein wenig abseits und verfolgte jeden ihrer  Handgriffe, als sei es wichtig,

sich diese einzuprägen. Sofie hingegen forschte so unauffällig wie möglich im Gesicht der Fremden. Es wirkte immer noch verschlossen, aber die Angst schien verschwunden „Bitte, setzt dich“, sagte sie freundlich und deutete auf den Stuhl. „Bitte, setzt dich“, kamen ihre Worte wie ein verzerrtes Echo.

„Bravo“, Sofie nickte ihr aufmunternd zu und sagte: „Sehr gut, Maya.“ ‚Die ist

nicht nur extrem lernfähig, sondern auch lernwillig, resümierte Sofie zufrieden und beschloss, diese Fähigkeit so rasch wie möglich zu nutzen. Sie suchte nach einem Begriff, der Maya vertraut sein konnte. Der Name Jochen fiel ihr ein, den sie am ersten Abend  ausgesprochen hatte.

„Jochen!“, Sofie rief den Namen fast und  Maya drehte unwillkürlich den Kopf, als erwartete sie, bewussten

Jochen zu sehen. Sonst aber verriet nichts, dass sie womöglich enttäuscht war. Wer mag dieser Jochen sein?“ überlegte Sofie. Die Klärung der Frage musste bis später warten. Vorerst würde sie sich auf die elementare Grundlage der Verständigen beschränken und ganz von vorne anfangen.  Sofie deutete auf sich und sagte: „Sofie“. Gehorsam wiederholte Maya: „Sofie“.  Wie zur Bestätigung kam es

gleich noch einmal: „Sofie“. Sie hatte verstanden, zeigte nun  auf sich und sprudelte ein längeres Wort hervor, welches Sofie allerdings nicht nach sprechen konnte. Sie vermutete, dass es  Mayas Name war. Aber wie Maya hatte es sich nicht angehört. Noch ein Rätsel, das später geklärt werden würde.  Wenn das so weitergeht, freute sich Sofie, ist abzusehen, wann wir  uns verständigen können.  

Auch als erfahrene Pädagogin musste sie sich erst einmal überlegen, wie sie ihr Schulungsprogramm gestalten wollte;  spielerisch, einfach und dem angepasst, was die Fremde kannte aber auch unter Berücksichtigung ihrer Intelligenz. Es kam nur die praktische Unterweisung in Frage.  Sofie langte nach ihrer Kaffeetasse hielt sie Maya entgegen und sagte „Tasse“.

„Tasse“, kam es leiser zurück.

Sie griff nach dem Teelöffel und nannte den Namen. „Löffel“ brachte Maya hervor.  Dann deutete sie erneut  auf die Tasse und wiederholte den Namen, ebenso wie Löffel. „Bravo“, Sofie nickte ihr aufmunternd zu. Nun wollte sie ihren Gast erst einmal in Frieden lassen. Aber Maya schien begriffen zu haben, was Sofie beabsichtigte. Sie deutete auf die Brötchen und schaute Sofie fragend an. „Brötchen“,

gab sie Auskunft. So ging es Stunde um Stunde. Maya schien nicht zu ermüden, sie war offensichtlich begierig zu lernen.          

Sofie hatte im Altenheim Bescheid gesagt, dass sie in naher Zukunft leider nicht kommen konnte. Es lägen zwingende privater Gründe vor, hatte sie erklärt. Zwei Tage später  rief Laura zurück- „Tut mir leid, wenn ich störe, aber ich muss Ihnen

eine lustige Geschichte erzählen. Mama Martha ist wieder ganz obenauf. Sie verkündet allen, dass ihre Wahrsagen zutreffend seien. Als ich sie fragte, was das bedeutete, meinte sie verschnitzt: Ich wusste, dass Sofie Mama wird und keine Zeit mehr hat, uns zu besuchen.  Können Sie etwas mit dieser Aussage anfangen?“ „Ach, du lieber Gott, das hatte ich ganz vergessen. Als ich das letzte

Mal bei ihr war, hatte sie etwas in der Richtung gemurmelt, was ich aber nicht weiter beachtete.“ „Und hatte sie Recht?“ hakte  Sandra nach. „Sehe ich so aus, als würde ich niederkommen?“ „Allerdings nicht. Es wäre wohl auch ein medizinisches Wunder.“ „Nicht nur ein medizinisches.“ „Nichts für Ungut“, besänftigte Sandra, „Ich wollte nicht neugierig erscheinen, sondern nur

berichten, was Mama Martha hier überall verkündet. Ich hoffe, Sie haben keine Probleme.“ „Es hält sich im Rahmen. Bei Gelegenheit erzähle ich, es Ihnen.“

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Evadrossel
Iaut Pass bin ich 76 Jahre alt. Ich denke aber, da hat sich jemand geirrt. Ich bin verheiratet, habe zwei Adoptivtöchter und vier Enkelkinder, die leider in Südmerika leben, wo wir viele Jahre zu Hause waren.
Im Bayerischen Wald genieĂźen wir jetzt eine geruhsame Zeit, die ich zum Schreiben nutze. Aus dem Hobby ist fast schon eine Sucht geworden. Bei myStorys hoffe ich auf Anregung und Gedankenaustausch..

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Albatros99 ich habe die Geschichte heut zum ersten Mal gelesen, schön geschrieben und spannender Inhalt. freue mich auch auf eine Fortsetzung.

Liebe Grüße
Christine
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Liebe Ulla, alles da, wie besprochen.......
Sei nochmal lieb gegrüßt, Merle
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Da hast du jede Menge Spannung aufgebaut, liebe Eva. Da MUSS es eine Fortsetzung geben!!! Für mich sehr schön zu sehen, wie Du verschiedene Deiner Lebensthemen miteinander verknüpfst und das sehr gekonnt. Freu mich auf den nächsten Teil..!!
Liebe Grüße zu Dir, Merle
Vor langer Zeit - Antworten
GertraudW 
Freut mich sehr liebe "Evadrossel", dass Du wieder da bist - und gleich mit so einer herrlich zu lesenden Geschichte. Geht die vielleicht weiter? Würde mich freuen.
Ganz liebe Grüße an Dich
Gertraud
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Eine schöne Geschichte. Wäre interessant zu wissen, wie es weiter geht. Und dazu in schöner großer Schrift. Klasse!
Allerdings solltest Du die Seiten 55 und 56 löschen.

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Evadrossel Wie die ersten beiden Seiten am Ende noch einmal ershienen sind, ist mir schleierhaft, der Fehler ist schon bereinigt. Über eine Fortsetzung denke ich nach,die ist ja schon längst gschrieben..herzliche Gürße Evadrossel
Vor langer Zeit - Antworten
Evadrossel . liedbe Caliope, Danke für den liebevollen Wiollkommensgruß. Die Schreiblust erwacht wieder Evadrossel.
Vor langer Zeit - Antworten
Caliope Wie schön, wieder von dir zu lesen!
lG
Cali
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