Fantasy & Horror
Projekt Viking

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"Projekt Viking"
Veröffentlicht am 10. Februar 2015, 78 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Ich bin 17 Jahre alt & gehe noch zur Schule:) Wie sollte es auch anders sein, so ist mein Lieblingsfach Deutsch. Zu Schreiben begann ich bereits vor einigen Jahren. Erst vor kurzem jedoch packte mich die Idee der "Finster' Essenz", die ich hier nun in mehreren Teilen veröffentlichen werde. Sie ist das Ergebnis meiner Erfahrungen, Leidenschaften, Einflüsse und Entschlossenheit.
Projekt Viking

Projekt Viking

Diese Geschichte ist in einer sehr frühen Alpha-Phase. Verzeiht ihr schieres In-der-Luft-Stehen.

Gregon hob seinen Arm, umgriff die Klinge mit einer Festigkeit, die er selbst bei nächtlichen Aktivitäten mit den Frauen des Dorfes nicht anzunehmen vermochte, und riss sie rasend von der Höhe hinab. Sie landete inmitten des auf quengelnden Jungen und spießte ihn förmlich entzwei. Ein Kreischen entflog seinem Maule, dann verfiel auch dieses in die Grenzen der Leblosigkeit. Gregon blickte auf den von Frost übersäten Körper, seine Arme und Beine zu schwarzen Klumpen verkommen und seine Augen in diesem Momente von dem Schneesturm bedeckt. Seinen Sohn so zu sehen war das erschreckendste, was Gregon hätte passieren können.

Seine Tränen von solch einer Wärme, dass selbst der wütende Blitz aus Eis sie nicht erstarren hat lassen können. "Es gibt keine Zeit zu verlieren", schrie des Vaters Freund. Er legte seine Hände auf das weiche Fell von Gregons Schulterkleid und zog ihn zu sich. Emotionsbetrunken wandte sich der Vater ab und spuckte seinem Freund auf die Füße. Eine Geste, die Tabon verstand. Der Mann kehrte Gregon den Rücken zu und verschwand in dem Dickicht aus Nebel, der um ihre Köpfe wirbelte. Die Spitze des Berges lag nicht mehr weit von ihnen entfernt und unter ihrem Schein lagen die Kristalle dieser Welt. Gregon hemmte sich, seine

Beine wieder aufzurichten. Als er es tat, erlosch seine Kontrolle und ein zerschmetternder Schrei kam aus ihm heraus. Tabon machte bei diesem Geräusch Halt, wie es einem Freunde nicht anders zuzutrauen wäre. Der Sturm wurde nicht sanfter. Die Stunden verstrichen, doch nicht Gregons Tränen. Ihr Weg führte sie über einen Pfad, der gefährlicher war, als es selbst die Kluften von Tiro Hram gewesen sein sollten. Gregon knallte seine Handfläche auf den Gesteinsbrocken und riss sich seine Haut an der vor Eis strotzenden Kante auf. Das Blut vermengte sich mit dem Angesicht des Schnees und schien beinahe aus ihm zu nähren.

"Nicht mehr lange", dachte Tabon. Er schnitt einen Busch von der Gebirgsseite und eröffnete den beiden den Blick auf einen Vorsprung im Nebel. Als sie ihn erreichten wurde ihnen eine kurze Rast erlaubt. Odin, oder womöglich jeder andere Gott, der ihnen diese zu gewähren vermochte, bekam ihren Dank. Zumindest von Tabon. Seine Augen wanderten höher und erspähten die Spitze des Berges. Ein schrilles Leuchten entkam jenem Ort, das Tabon als eine Warnung der Götter vernahm, diesen Teil der Welt zu umgehen. Doch ihre Wahl war verblasst. Und bald sollten sie ihr Ziel erreichen.

"Wie weit sind wir?", fragte Jomal den Stallburschen. "Es stehen einhundertundzwei Pferde bereit. Weitere fünfzig verbleiben noch in den Ställen" Wütend verzog sich Jomals Miene, woraufhin der Junge in Deckung ging. Doch wandte sich der Herr alsbald wichtigeren Dingen zu. Limas Aufgabe war getan und er rannte brisant zu den Pferden, wo ihn bereits Fregin erwartete. Während ihn seine Füße durch das Dorf trugen, zwischen dem Radau der Krieger und Frauen hindurch rennend, hörte er bereits die ersten Trommeln. Achtlos sah er in den Süden

und erkannte die Rauchfahne. Ihre Rauchfahne. Er wusste, dass keine Zeit übrig war. Nun musste es schnell gehen! Im Moment der Sorge erhaschte er ein Schwert von fern, das ihn geradezu anlächelte. In Hoffnung der Sorglosigkeit der Schmiede packten seine Hände mitten im Lauf das Stahlwerk und hielten es zwischen seine Brust. Er glaubte, jemanden hinter seinem Rücken nach ihm, den Dieb, rufen zu hören doch erlosch das Problem alsbald wieder. Jomal stieg auf sein Pferd und erkannte, wie hunderte Männer es ihm gleich taten. Nach wenigen Augenblicken folgten ihm die Krieger von Venderós zu

den äußeren Toren.

"Ehre und Stolz verließen diese Bestien vor langer Zeit - haltet nichts zurück!", brüllte er. Sein Gesicht blieb steif, seine Zähne verzogen sich grimmig. Ein männliches Getose eröffnete ihre Rufe von hinten in gieriger Rachelust. Die Steher verblieben auf den Mauern und warteten auf das Signal ihres Obersts. "HAU!", rief er. Alsbald öffneten die Männer das Tor zu den Feldern von Nasrem, durch das die Reiter nun hindurch schritten. Die Trommeln wurden lauter. Sie übertönten selbst das Klappern der Pferdehufen. Und der Schatten auf den riesigen Grasflächen Nasrems wurde größer.

Tabon nahm Gregons Hand und zog ihn zu sich hinauf. Die Steine auf des Berges Seiten waren glatt und kalt, was sie schwer besteigbar machten. Gregon stützte sich auf den Kanten ab und zog sich den Rest der Steigung dann selbst hinauf. Es war eine Steilwand von unglaublicher Präsenz, die sie erklommen. Gegen ihren Rücken prasselte unaufhörlich der Zorn der Götter. Dass es wahrlich dieser war, entschied Gregon nun nicht mehr zu glauben. Sein langer Bart blieb kurz in einem Geflecht aus Eis und Berbengras hängen, das auf diesen Steilhängen wuchs wie Unkraut. In Tagen von

körperlicher Übelkeit hatte es den Kindern im Dorf geholfen, doch war es ein Schweres, es zu erreichen. Der einstige Vater kämpfte mit der Kraft, die sein zusammengebundenes Haar innehielt, bis er ein donnern von oberhalb vernahm. „ACHTUNG!“, grellte Tabon zu ihm hinab, bevor er sich selbst an die Felsen klammerte. Gregon sah, wie sich ein immenser Schwall an Schnee von der Gebirgswand zu lösen begann. Der umhertosende Wind schob diesen nur noch kräftiger in des Bodens Richtung. Zwischen den Riemen des Gesteins vibrierte eine seltsame Macht, deren Ursprung tief im

Herzen des Berges verborgen lag. Vielleicht stand es im Zusammenhang mit ihrer unerreichbaren Spitze, die die Männer, und kurz zuvor noch des Einens Sohn, zu erklimmen erhofften. Was auch immer es war, es verhalf dem Sturm zu wahnsinniger Kraft. Als das Gerüst aus Eis auf Gregon herabrieselte, drohte es ihn mit sich zu reißen. Kratzend schlichen sich die Spiralen der Kälte in seine Hände, die sie in Sekunden schnelle vor Frost erschaudern ließen. Und als Gregon glaubte, das Gefühl in seinen Adern verließe ihn, klammerte er seine Gedanken an das Schicksal seines Sohnes, der in ahnungsloser Geduld der Bergseite angehörig wurde. Wie ein

Rabe, der sich vor strotzender Dummheit zu weit vom Dorf entfernte, und dem gerechten Kältetod verfallen war. Ein unwichtiges Überbleibsel dieser Welt. Mithilfe jener Worte, die durch seinen Kopf kreisten, erlangte der Bärtige seine Kraft wieder zurück. Der Gefahr trotzend, schwang er einen Arm nach dem anderen den Felsen entgegen, packte sie mit seinen Fingern, die ab und zu zu groß für die Riemen in den Gesteinen waren, und zog sich empor. Kurz darauf erreichten beide Männer das Plateau, das ihnen furchterregenden Überblick auf die Szenerie im Süden gab. Tabon, der kleinere der beiden, ließ das Schauspiel unbeachtet hinter sich

und wandte sich den noch vor ihnen liegenden Weg zu. Gregon überschaute derweilen, wie sich das Heer der Tropfer formte. Das Wolkengeschwür verbot ihm meiste Sicht und das überdauernde Rieseln dieses Schnee-Eis-Wasser-Gemischs unterstrich jene Blindheit weiter. Allerdings sah er die braunen Kreaturen. Manche von ihnen weit emporragend, andere nicht mehr als Ameisen in des Vaters Augen.

„Und inmitten wartet das Wesen aus Gronheim auf seine Befreiung“, sprach Jomal. Der Anführer der nordischen Leute machte Halt, woraufhin die Reiter es ihm gleich taten. Jomals direkter Nachfolger trat an seine Seite, brachte sein aufgewühltes Pferd (dessen Grund zweifellos in der sich vorbereitenden Streitmacht vor ihnen lag) zum Stillstand und blickte dann auf die Krieger von Venderós. Sorgenvoll schweiften seine Augen von einem Gesicht zum anderen, sein braunes Ross trabte über das flache Gras von einem Pferd zum anderen. „Keiner von ihnen älter als

fünfundzwanzig Jahre. Jung und stark, das sind sie“, sprach Léad. Es machte in diesen Gegenden wenig Unterschied, doch würde die Sonne schon bald ihren Schein auf diesen Platz der Welt beenden. Die Wolken aus dem Norden kamen weiter in ihre Richtung. Léad blickte auf die Spitze des Berges, der direkt hinter Venderós lag. „Ich glaube an diese Stärke und an mein Volk“, meinte Léad weiterhin. Dann sah er auf das Feld von Nasrem. Weit war es. Hunderte von Ellen erstreckte es sich bis hinauf zu den Gebirgsketten von Deodoron, die bis dato als die dunkelsten Ecken des Nordlands galten. Auf diesen flachen

Wiesen erhob sich das Manifest, das in der untergehenden Sonne wie eine Statue aus Gold glänzte. Fregin, der sich ebenfalls unter den Reitern befand, meinte zu Lima: „Es ist das Gestrüpp der Tropfer, das das Licht reflektiert. Manche meinen jedoch, abends wandle sich ihr Sein in eine noch düsterere und furchtsamere Form um, was als ein helles Schimmern von ihnen gegeben wird“ Der Junge wusste nicht, was er davon halten sollte. Alles, was er wusste, war, dass die Furchtbarkeit jenes Anblickes unerreicht gewesen war. Jomal zog sein Schwert und hob es gen Himmel. Die ersten Sterne zeigten bereits ihr Abbild.

Hell leuchtete das Sternenbild des Generals von Gerold am Firmament, dessen Legende seit Äonen von Generation zu Generation überreicht wurde. Dies war der Tag, an dem Venderós seine eigene schreiben musste. Hauptmann Jomal Bordum saß schweigend auf seiner Stute. Die Tatsache, dass er ein Weibchen ritt, galt oft als Zeichen der Schwäche, obwohl sich jeder im Heer seiner unmessbaren Stärke bewusst war. Die Tatsache, dass die Männer des Nordens jene heute zu sehen bekommen würden, stärkte ihre Kampfeslust in nicht geringem Maße. „Lasst sie büßen“, sagte der Hauptmann. „Lasst sie die Rache des Nordens spüren.

Zeigt Gnade und tötet sie keine Sekunde darauf, um sie die Kost des Verrates schmecken zu lassen.“ Léad positionierte sich neben Fregin und starrte auf den Schatten, der sich vor ihnen erhob. Die Kriegstrommeln der Tropfer erschütterten den Boden. Jomal sah, wie sich das Gras stetig erhob, um danach verzweifelt zu Boden zu gleiten. Inmitten der überwuchernden Macht, die sich bald in all seiner Pracht zeigen würde, erkannte der Hauptmann die Kuppel, in deren Mitte es wartete. Jomal glaubte nicht, dass sich die Reiter der Tatsache bewusst waren, dass es jederzeit hätte ausbrechen können. Der Schaden wäre selbst für die Tropfer

unhaltbar gewesen und Venderós verloren. Die Steher wären womöglich des Dorfes letzte Hoffnung. Doch auch diese schienen auf Jomal nicht vorbereitet genug. Seine braunen Augen strichen förmlich über die Oberfläche der Kuppel, als spüre er den Schmerz in ihrer Mitte, den Hass, das bedauernswerte Wehleiden, dessen Wurzel erweckt wurde. Dunkelheit kroch über Nasrem und die Sonne verabschiedete sich alsbald. Jomal befahl den Reitern sich vorzubereiten. Sein kräftiger Oberkörper bäumte sich auf und er guckte prompt zu seinen Untergebenen. „Reitet nun. Für eure Familien, für den

Norden, für Kreaton!“ Mit einem lauten Echo gab der Hauptmann seiner Stute die Sporen. Wiehernd ritt es auf das heilige Feld und gab Preis, welch ein phänomenales Tier es war. Jomals nordische Gefolgsleute folgten ihm alsbald. „Es hat begonnen“, rief Tabon.

Seine Stimme schaffte es noch gerade so, die Lautstärke des Schnees zu überbieten. „Spare dir die Worte“, brüllte Gregon. „Sie nehmen Kraft, die uns nötiger sein wird denn je“ Aus seiner Seitentasche nahm er ein Seil, dessen Dicke so außerordentlich war, es passte beinahe nicht in seine Hand. Schwingend versuchte er es über seinem Kopf zu balancieren, doch der Wind erlaubte es ihm nicht. Nach einigen weiteren Versuchen gelang es ihm dann, das Seil auf einen Vorsprung zu werfen, doch umschlang es nicht den Eispfeiler, den es umschlingen sollte. Nach sieben erfolglosen Versuchen bat

Tabon um eine Chance, sich zu beweisen. Und siehe da: Bereits nach dem zweiten Mal gelang es dem Mann, dass sich eine Schlinge um den Block bildete. Er sprang von der Kante, an der die beiden standen und ließ sich in die Tiefe fallen. Die Sorge, er könne auf unerwartetem Grund aufkommen, war mehr als berechtigt. Glücklicherweise geschah nichts dergleichen. Mit großer Mühe zog sich Tabon am Seil hinauf, eine Hand vor die andere legend, seine Füße das Seil umklammernd. Es dauerte eine Weile, bis es Tabon schaffte, den Vorsprung zu erreichen. Ständig flogen ihm Schneehaufen von den oberen Gebirgsseiten ins Gesicht. Außerdem

verzerrte der brisante Wind des Mannes Balance, sodass er beinahe vom Seile gefallen wäre. Nach einigen Anläufen gelang es ihm dann, die Kante des eisigen Vorsprunges zu erhaschen. Seine Hände krallten sich hinein. Einmal rutschte er aus und polterte gefährlich in der Luft, da Gregon das Seil bereits zu sich gezogen hatte. Schlussendlich schaffte es Tabon jedoch, den Vorsprung sicher zu besteigen. Auch Gregon hatte vorerst seine Schwierigkeiten, alles in allem lief sein Versuch allerdings ähnlich ab. Links von ihnen erhob sich eine steile Wand, die nur so vor klebrigem Gewürz strotzte. Sah man ganz genau hin, entdeckte man eine

Vielzahl an sich überschwemmenden Ungeziefer, das jenes seltsame Braun von sich gab. Gregon erinnerte sich daran, wie er bereits den Moment vorausgesehen hatte, wie er seinem Sohn befehligte, keines der Tiere zu berühren. Es würde Halluzinationen und geistige Benebelung hervorrufen, so hätte er gesprochen. Die Männer betraten so etwas wie einen Steilpass, der in ungefähr 45° nach oben verlief. Unleicht gelang es ihnen, die Hebung zu überbrücken, nachdem sie einige Augenblicke in dem Zwischenraum der Eiswände rasteten. Er bot Schutz vor dem unbarmherzigen Wind, der dort draußen wütete. Die von den

Dorfweibern angefertigten Felle waren dick und wärmend, doch erschwerten sie ihr vorankommen ungemein. Zwischen zwei dichten Sträuchern entdeckte Tabon den Eingang, den sie suchten. Er entschied, die Kommunikation mit Gregon auf Handzeichen zu minimieren, da die Schwere des Sturms jegliche Auseinandersetzung zu einer Qual machte. Gegen den Sturm ankämpfend liefen die beiden in die Höhle hinein. Sie war ungefähr fünfzehn Ellen hoch und dreizehn Ellen breit. Das einzig Unmessbare an ihr, war die Dunkelheit, in die sie die Wanderer tauchte. Knackend entfachte Gregon ein Feuer inmitten seiner Hand und hielt den

Funken oberhalb seines Kopfes. Vorsichtig traten die Männer nun durch die Höhle. „Bist du sicher, dies ist der Weg?“, fragte der Bärtige. „Absolut“, sprach Tabon. „In der Zeit meiner Jugend erklomm ich diesen Weg. Es war die Prüfung, die mir mein Vater auferlegte.“ Erst nach Aussprache seiner Worte bemerkte Tabon, dass er jenes Wort lieber noch nicht hätte benutzen sollen. Er entschuldigte sich zerknirscht und blieb weiterhin auf der Seite des schweigsamen Gregons. Der Pfad durch den tropfsteinernen Ort dauerte ungefähr eine volle Stunde. Ständig hörten sie das

Getöse von außerhalb, das drohend an die Wände der Höhle klopfte. Gregon fürchtete einen Einsturz nicht im selben Maße, wie es Tabon tat. Einige Male erschrak er, als ein Stein polternd von der Decke fiel. Und das Plätschern der von außen eindringenden Regentropfen trieb beide in den Wahnsinn. So blieb ihre Freude bei Entdeckung eines Lichts am Ende des Tunnels nicht gering. Für Jubelschreie genügte es nicht, doch schlug ihr Herz dennoch ein bisschen höher. Gregon löschte das Feuer in seiner Hand, indem er sie rasant in den Schnee schlug. Dampfend erlosch die Wärme und sie schritten wieder hinaus in den Sturm. Er schien ruhiger

geworden, doch nicht barmherziger. Der Bärtige sah vor sich nicht mehr als graues Gewölbe, das wohl eine Wolke sein musste. Es war das erste Mal, dass Gregon eine solche von oberhalb betrachtete.

„Wahrlich – die Spitze kann nun nicht mehr weit sein“, sprach Tabon. Vor ihnen lag eine Treppe, die in Kreisform weiter hoch verlief. Sie war ringsum umgeben von Gemäuer, von dem Gregon hätte schwören können, es sei handgemacht. Er erkannte Einkerbungen, Buchstaben der alten Sprachen, Wandmalereien in Form von Asawandlern und Bergziegen sowie rotglühende Runen auf dem Geröll. Gregons Beine schmerzten, doch er ließ es sich nicht anmerken. Von Tabon war dasselbe zu behaupten. Ihre einst smaragdgrünen Felle waren weiß vor Schnee und mit blutigem Rot vermischt. Des Bärtigen Hände pochten, gaben

regelrechte Hilfeschreie von sich, weshalb er aus seiner Seitentasche einiges des Berbengrases herausholte, das er der Bergseite entnahm, und auf seine Wunde schmierte. Wundervoll brannte es. „Herrlich“, dachte Gregon. Gerne erinnerte sich der Bärtige an die Tage zurück, an denen sein Großvater von den Unterschieden jeglicher Schmerzen sprach. Ein Mann sollte niemals vergessen, wer er ist, mein Junge. Wenn Lust, Sieg und unhörbare Bestätigung seine Sinne betrüben, ist es nur der Brand in seinem Fleisch, der ihn wieder die gebrechliche Brücke unter seinen Füßen erkennen

lässt. Wenn der Tag kommt, an dem du zwischen Vernunft und Schmerz wählen musst: Wähle Wahrheit! „Diese Stunden sind wahrer, als ich sie haben möchte, Großvater“, dachte Gregon. Die Wunde auf seiner Handfläche verschwand allmählich und der Schnee besänftigte den Brand. Die Treppe, auf der sie hinaufschritten, wurde schmaler. Bald sahen sich die Männer gezwungen, ihre Leiber von sich zu reißen und mit entblößter Haut weiter zu gehen. Gregons breite Hüften knallten alsbald immer öfter gegen die eisigen Einkerbungen, wobei Tabon aufgrund seines kleineren Körperbaus weniger zu

kämpfen hatte. Der dünne Gang endete kurz darauf vor einer Wand, die die beiden nur mit vereinten Kräften übersteigen konnten. Gregons nackte Haut fühle sich unzerbrechlich an, dachte Tabon, doch er war übersät mit Kratzern und Wunden. Es schien, er wäre von einer wildernden Bestie überfallen worden, die seinen Zähmungsversuchen entronnen sei. Tabon erinnerte sich an einen alten Freund, dem Ähnliches einst widerfuhr. Auf der anderen Seite der Felswand erspähten beide Wanderer etwas wie eine Kuppel, die leuchtend hinter dem Nebelgeschwür lag. Es hätte auch ein Asawandler sein können, doch welcher

Zufall hätte solch ein Wesen in diese Höhen tragen können? Nein, die Zeit für Zufälle war vorüber. Ihre Schnelligkeit erreichte nicht die Grenzen des Möglichen. Jomals Pferd war das einzige, das mit beachtlichem Gesause den Tropfern entgegen kam. Das Schauspiel des Sonnen-Mond-Wechsels war bereits vollzogen, sodass der karmesinrote Kreis über dem heiligen Feld jenes Tages stand. Starrend erwartete er den Moment des Aufpralls. Den Funken von sich knarzend treffenden Speeren und Schwertern, Schildern und Keulen, Haut und Blut. Von oben überflogen die Kreaturen des Südens die Gebirge von

Deodoran und hielten zielsicher in Richtung ihrer eineiigen Truppen. Vielleicht war es Fregins Dasein als Schütze, der ihn sie als erstes erblicken ließ. Armhebend deutete er auf den violett-glänzenden Fleck am Himmel, der sich mit dem Antlitz des Mondes grausig vermischte. Fregin ließ sein Ross weiterreiten, holte aus dem an seinem Rücken hängenden Köcher zwei Pfeile heraus und legte sie geschwind auf das ebene Holz seines Bogens. Im Bruchteil einer Sekunde (oder gar in noch kürzerer Dauer) positionierte er seinen Arm und seine Finger in der effizientesten Manier. Dann, mit einem unspektakulären Stoß, wurde sein

Hongam entfesselt, was dem schlussendlichen Schuss eine atemberaubende Kraft gab. Zischend flogen die Projektile durch die Luft, über die Armeen aus Gronheim und direkt in die Schar aus zwitscherndem Ungetier. Drei der Geschöpfe wichen geschickt aus, doch der Vierte erlitt den letzten Treffer, den er erleben würde. Der zweite Pfeil erreichte sein Ziel so unvorbereitet schnell, dass für Ausweichmanöver keinerlei Zeit mehr blieb. Einige andere Schützen stimmten in dem Angriff ein, was sie ebenso wenig zum Stillstand zwang. Es war Steirnir, der in jenem Moment jegliche Ehre über Bord warf und zum sofortigen

Gegenangriff appellierte. In der Sprache der Trod befehligte er die unverzügliche Befreiung des Wesens, doch seine Worte trugen keine Wurzeln. Der General wurde wild und prügelte um sich, ahnungslos, wie sehr seinem Ruf dadurch geschadet würde. Barbarisch schritt er umher und rannte durch sein eigen Volk, metzelnd und kreischend. Die Poren in seiner Haut öffneten sich zu großen Luken und gaben sein schleimiges, undeutliches Inneres preis. Dicke Würmer krochen aus einer heraus und mündeten alsbald in der nächsten. Steirnir merkte, dass sein Wort keinen Wert trug. Und selbst das von ihm hervorgerufene, sich am Boden

ausbreitende Blut verursachte keinerlei Veränderung im Willen seiner Untergebenen. So sie Góutrs Befehlen untertan waren, würde selbst ein General nichts mehr ausrichten können. Wütend stampfte Steirnir an die Front, zum ersten Mal sehend, wer ihnen gegenüberstand. Seine Miene nahm ausdruckslose Züge an, sein Mund vertiefte sich zum letzten Fenn des Nordens – Sprumwásen. Das Dorf, das ihnen als Venderós bekannt gemacht wurde, zeichnete sich am dunklen Horizont wie eine antike Stadt aus. Die Häuser lugten zu weit in die Höhe und die Kirche in ihrer Mitte war zu fabelhaft, um einem unbedeutenden Kaff

angehörig zu sein. Die vom Monde blutrot gefärbte Nacht erleuchtete das Dorf in erschreckendem Glanz. Tausende Fackeln funkten in dessen Mitte und gaben ihren heißen Stolz zu sehen. Des Generals nackten Füße gruben sich in die Erde, den Schmutz über sich reibend. Seine Fingernägel, die zu hexerisch langen Dolchen herangewachsen waren, schnitten in seine Haut hinein. Die Poren öffneten sich stetig, gaben Gebein und Kiefer eines nie dagewesenen Ungeziefers zu sehen, und schlossen sich dann wieder. „Der Tod wird euch holen“, sprach er zähneknirschend. „Heute Nacht werdet ihr verdammt, ihr vermaledeiten Diebe,

Schufte, Kriminelle, Hurenausgeburten, Hunde.“ Steirnirs Selbstgespräch wurde fortgesetzt, sodass er nicht bemerkte, wie die Truppen um ihn herum zu marschieren begannen. Die Trommeln der Riesen setzten ihre Unglücksmelodie des Südens fort. Tropfer schwebten weiterhin schier über dem Erdboden und kamen blind und lustvoll auf die Menschen zu. Bald würden auch die Flugechsen zu ihren Wohlgesinnten hinzugestoßen sein, und ihre Streitmacht vollständig sein. Und weiterhin leuchtete die Kuppel in ihrer Mitte. Daedlus lief zwischen Bäumen und Röte hinweg. Die herbstlichen Blätter fielen

nebst seines Gesichtes hinunter und kleideten die Erde in einem Kleid aus Natürlichkeit. Der Wolf vor seinen Beinen geleitete ihn tiefer in die Wurzelebenen, blickte ab und zu in die jungfräulichen Augen des Jungen, dann rannte er weiter den schmalen Pfad zwischen dem Gebüsch entlang. Die Nacht hatte diesen Ort nie erreicht. Zu fern war ihre Dunkelheit und zu grell der Quell der Energie in den Sprossen dieser hölzernen Wächter. Bald erblickte Daedlus den Tempel der Wolfsfamilie. Wrogon, wie ihn Deadlus‘ Vater zu sagen lehrte. Heute war der Tag gekommen, an dem der Junge all sein gelerntes einsetzen musste. Angespannt

blickte er auf das grüne Gemäuer inmitten der in Sichtweite geratenen Lichtung. Auf Daedlus wirkte es nicht wie ein Tempel. Es war keine heilige Stätte, sondern sein zu Hause. Seit Anbeginn seines Denkvermögens verbrachte er seine Zeit innerhalb jener ihn nun umschließenden Wände. Spiele, Späße, Gefahren verbanden sich allesamt in Wrogon. Der Wolf wurde langsamer, als er den festen Boden betrat und trabte vorsichtig in Richtung der Statue von Dadinhin. Auch der Junge schritt der Kreation näher. „Mutter“, sprach er. Das hereinfallende Licht beleuchtete ihr Angesicht als wäre es der Ursprung alles

Lebens. Die Bäume türmten sich über die Statue und ließen ihre Knospen in Dadinhins Richtung wachsen. Alles geschah plötzlich so schnell. Daedlus fand sich in einer alles übersteigenden Verwirrung wieder, bis er verstand, dass Zeit jenen Ort verlassen hatte, so wie ihm alles alsbald verlassen würde. Grün wurde zu Schwärze, Schwärze zu Nichts. Und bald wäre alles, was ihm vertraut gewesen war, schwinden. Des Jungen Tränen waren alles, was verblieb. Um ihn herum gebührte nur noch der Tod. „Es ist Zeit zu gehen“, meinte der Wolf. Auch sein weißes Fell verkam alsbald zu schreckhaftem Grau, das vor Leblosigkeit nur so strotzte. Und unter

schluchzendem Nicken folgte Daedlas seinem Freund in das Unbekannte. Der Wald verschwand endgültig, seine Zeit war vorüber. Daedlas zu Hause verloren, hinfort geschickt in das Reich der Schatten oder wo auch immer es sein mochte. „Ist dies das Ende?“, fragte der Junge. Er sah nichts, als das fantastische Weiß um ihn herum. Jeder Winkel, jeder Pfad, jede Existenz bestand aus in sich geschlossener Helligkeit, die alle Vorstellung überkam. „Nein, es ist der Durchgang“, antwortete sein Freund. „Ein Durchgang? Wohin?“ Der Wolf sah ihn an und meinte: „In eine

neue Welt“ Kratzend zerfloss ein Teil Deadlas‘ Sicht. Das nie endende Weiß, das als Zeuge aller Zerstörung und Hoffnungslosigkeit galt, begann nun selbst zu entwischen. Wie das sein könne, wagte Daedlas nicht mehr zu fragen. Die Striche wurden zu Blöcke, die Blöcke zu einem einzigen, perfekten Rechteck, das nun zu erkennen gab, was es war. Daedlas lief auf die Tür zu, seine Füße weiterhin der kristallenen Klarheit bestehend, und legte seine rechte Hand auf deren runden, roten Henkel. Nachdem er merkte, wie schwer es war sie zu öffnen, legte er all seine Kraft in den Versuch hinein, sie zu

bewegen. Doch schien sie mit dem ältesten Fluch jener verlassenen Welt belegt zu sein. Erschöpft fiel Daedlas zu Boden und wartete auf den Versuch seines Freundes. Dieser trat an das Eisenstück heran. Ein einziger, schwacher, unmessbar fragiler Windhauch genügte, um sie zu öffnen. Blass vor Schreck stand der Junge auf und betrachtete, was sich ihm nun zu öffnen vermochte. Er flüsterte: „Die neue Welt“ Das Grell um ihn herum verging, während der Junge in den neuen Ort hineinlief. Seine nackten Füße spürten die Pflanzen, die lockig aus dem Boden hervorkamen. Jede Berührung ließ sie

auferstehen, als wären sie dem Schicksal des Baumlebens bestimmt. Daedlas lächelte beim Anblick des wunderschönen Mondes. Behelligend schien er sein blutiges Rot auf des Jungens Gesicht und hieß ihn in dieser Welt mit offensten Armen willkommen. „Es ist wunderbar hier“, frohlockte Daedlas. Er sprang umher und tollte herum, schmiss einen Haufen Blätter über seinen Kopf und duschte in ihnen, dann widmete er sich einem auftauchenden Getier, das ihn mit drei dicken Augen anstarrte. Zuerst ängstigte es den Jungen. Behutsam näherte er sich dem Vierbeiner, seine Hand dessen Mund

hinausstreckend. Daedlas Freund wartete schweigsam neben einem farblosen Baum. „Na, Großer?“, sprach der Junge. Das Tier rührte sich nicht, stand nur da und starrte den Bub mit großen Augen an. Es trug ein blaues Fell, obwohl es auch nichts weiter als ein nächtlicher Schimmer sein konnte. Bei Näherung von Deadlas‘ Hand zuckten dessen Ohren und es zeigte dessen Zunge. Diese war definitiv blau. Immer weiter streckte das Wesen seine Zunge heraus und umschlang alsbald Daedlas‘ Gliedmaße. Der Wolf verblieb ruhig nebst seines Freundes und wohnte dem Spektakel bei.

„Was hast du denn? Tut dir etwas weh?“, fragte der Bub. Des Wolfes Augen funkelten wie Brillanten im Mondlicht. Das wiederkehrend weiße Fell strahlte sonderbare Stärke aus. Auch er zuckte nun mit seinen Ohren. Brisant wandte sich sein Kopf zur Seite, einem Geräusch lauschend. Daedlas schien jenes nicht zu vernehmen. Zu sehr war er mit der Entdeckung beschäftigt, die er machte. Nie hatte er solch ein Geschöpf zuvor gesehen. Und nie bekamen seine Augen eine Wunde zu sehen, wie sie auf des Dreiäugigen Körper hineingebrannt wurde. Daedlas‘

Freund verschwand im Dickicht, der Junge verblieb bei seinem tierischen Kumpanen. Zuvor so stolz, fiel das Tier nun zu Boden. Ein greller, krächzender Laut wurde von seiner heiseren Kehle gestoßen, der nicht einmal mehr die Kraft besaß, zwischen den Ästen und Zweigen zu widerhallen. Groß guckten seine schwarzen Augen in den Nachthimmel hinauf, während es der Erde näher kam, und sein Blick streifte mit dem des Buben. Kurz darauf verblutete es im Gras. Daedlas verstand nicht, was geschehen war. Seine Hände glitten über das borstige blaue (oder schwarze) Fell und vernahm eine Kälte, die ihm schmerzte. Der Wolf rannte

durch den Wald, durchkreuzte Luken aus morschem Holz, sprang über längst gestürzte Stämme, die am Grausen des Wetters zu Grunde gegangen sein mussten, und erkannte das Licht oberhalb der Stämme. Dies war der Moment, in dem Vanon seine Fänge zeigte. Mit einem unglaublichen Hieb gelang es der Bestie, die Baumkronen zu erreichen, die seinen und den Kopf des Jungen umgeben hatten. Sanft hüpfte er von einem Ast zum anderen. Seine alles ergründenden Augen gewährten es ihm, den Weg vor seinen Pfoten zu erkennen. Auftürmend erreichte er dann das Plateau. „Ihr“, knurrte der fellige Herr.

Seine Oberlippen verzogen sich mürrisch, fast hasserfüllt, dann hüpfte er auf das Holzparkett, das als Boden für die Kronenbewohner benutzt wurde. Erschrocken blickten sie auf das Tier, das in hungriger Erwartung zwischen ihnen aufgetaucht war. Ihr Brüllen verwandelte sich alsbald in Gekreische, dann in Stille. Daedlas wandelte währenddessen durch diese neue Welt. Diese so unverständliche Welt. Gregon und sein Kumpane sahen sich früh mit der Entscheidung konfrontiert, wer die Kuppel betreten würde. Dieses

weiße Gerüst aus Seelenkraft und Hongam. Aus Wasser und Feuer. Aus Glück und Irrsinn. Kriechend gelangten die Männer ihr immer näher, bis sie ihre Kraft förmlich in sich hineinatmen konnten. Tabon verlor zweimal vollkommenes Bewusstsein. Der Sturm drückte gegen sie. Er kämpfte für das Angesicht der Kuppel. Schnee und Eis spitzten ihre Kristalle und pressten sie in die nackte Haut der Nordländer. Die Bergspitze brüllte in fürchterlichem Gedonner. Sausend flogen ganze Fetzen von Gestein durch die Luft und prallten nicht selten gegen die Körper der beiden. „Siehst du es?“, rief Tabon zu seinem

Freund und zeigte direkt auf eine Untermalung der Kuppel. Unter ihr schien ein Durchgang zu existieren, der sie unter das Gerüst leitete. Sie erreichten den Ort und genossen die dortige Ruhe. Sie konnte an sich nicht als das bezeichnet werden, da die Lautstärke des Sturmes zweifellos noch enorm war, doch führten ihre Beine sie tiefer in das Berginnere hinein, wo etwaige Störung dumpfer und schwächer wurde. Tatsächlich fanden sie hier einige Asawandler vor. Diese schienen mit ihren Unterarten in den Dorfebenen wenig gemein zu haben. Seelenruhig schwebten sie über der Wanderer Köpfe und summten leise vor sich hin.

„Sie ahmen die Stimmen ihrer einstigen Leibwächter nach“, erklärte Tabon. Sein Freund nickte und betrat dann den Raum, der all das hier beenden würde. Die Kuppel bestand aus einem sich mit der Außenwelt überkreuzenden Firmament, sodass all ihre Windungen keinerlei Berührung mit dem Berge aufzunehmen schienen. Von hier unten konnten die Männer also ungefähr ein Viertel der Gesamtfläche des runden Objekts wahrnehmen. Leitern und uralte Schriften lagen überall in diesem Saal herum. Zerbrochene Tische, Schwerter, sogar eingewickelte Leichen kleideten die melancholische Stimmung im Raum.

Unbeeindruckt schnappte sich Gregon eine Leiter, während Tabon wenig überraschenderweise seine Aufmerksamkeit auf eine Schrift lenkte. Er hob das verwelkte, staubige Papier auf und staunte. „Gregon, sieh nur. Schriften über die Wächtersprösslinge im Westen“, frohlockte er. „Konzentriere dich auf unsere Aufgabe“, befehligte der Bärtige. „Wie kannst du so ignorant sein? Unser Schicksal ist bestimmt und unsere Tage gezählt. Also wieso können wir diese uns verbleibenden Stunden nicht auf die Weise verbringen, wie wir es möchten?“ Tabons lockiges Haar kräuselte sich

wild, regte er sich einmal auf. Und auch in jenem Moment war deutlich zu sehen, wie sich sein schwarzes Haar krümmte. Es war lang genug, um ausgestreckt bis zu seinen Hüften hinunterzuhängen. Doch in diesem Zustand schien es gerade so, als reiche es bis zu seinen Schultern. „Du magst vielleicht glauben, dass dieser Tag mit unserem Vorhaben enden wird. Und vielleicht liegst du damit auch richtig“, meinte Gregon. „Doch wisse, dass mich meine Vorfahren einen Weg gelehrt haben, der mich bis zuletzt auf den Beinen halten konnte. Ich werde mich nicht von einem Gerümpel aus Trod aufhalten

lassen!“ Gregon schnaufte lautstark, da es ein Schweres zu sein schien, die Leiter auf die Art und Weise zu positionieren, dass sie der Kuppel am nächsten kam. Tabon bekam große Augen. „Um Odins Willen, was tust du da?“, fragte er. „Habe ich dir je von den Abenteuern meines Großvaters erzählt, Tabon? Von den Schlachten am Gipfel des scharlachroten Berges? Von seinen Seefahrten, die alle Welten und die darin liegenden auf Karten verewigten? Und von seiner Begegnung mit der Kreatur aus Gronheim?“, fuhr Gregon fort.

Tabon blieb keine Zeit zu antworten, bevor ihm ein weiteres Mal der Atem genommen wurde. Gregon packte aus seiner Seitentasche, von der er auf der Herreise kein einziges Mal losgelassen hatte, einen tiefgrünen Talisman heraus. Er gab einen denkwürdigen Schein von sich. Leicht davon benebelt lehnte sich der kleine Freund des Waghalsigen gegen eine der Wandschränke, die den Jahren der Verrottung dahingingen. „Es war er, der den Grundbaustein für diese Welt legte. Mein Großvater war der Held des Nordens, Mitbegründer der glorreichsten und stolzesten Dynastie, die diese Erde jemals zu Gesicht

bekommen würde“, verkündete Gregon. Seine Stimme erhob sich bereits jetzt zu den Hallen, die ein jeder Junge dieses Landes seit dem ersten Tage seines Lebens zu erreichen ersehnte. Der Talisman in Gregons Hand lag fester denn je, die nackte Haut wurde mit einem plötzlichen Hongam bedeckt. Der energetische Schleier legte sich um ihn. Dies war der Moment, an dem Tabons Seele der Hoffnungslosigkeit unterworfen war. „Wie kannst du es wagen, einen Hongam mit der Silbe des Zwé zu erwecken?“, fragte er. Der Sarkasmus lag darin so tief verborgen, mancher hätte ihn vielleicht

sogar übersehen. Furcht und Schrecken wich der Vorahnung, dass Hoffnung absolut verloren sei. Gregon legte eine Hand und einen Fuß auf die Leiter, blickte noch ein letztes Mal zu seinem bereits schluchzenden Freund, und verschwand dann mit einem letzten Lächeln auf seinen Lippen in der Kuppel. Alles, was die Welt noch zu hören vermochte, war der höllische Schrei eines Freundes. Die Kuppel zerbarst. Keine Sekunde nach ihrem Verschwinden, erlebte die Welt einen Lichtstoß, den sie noch nie gesehen hatte. Die Armeen Steirnirs vergingen so rasant, Jomal verstand die Welt nicht mehr. Die Riesen, die

Himmelsechsen, Steirnir persönlich, zerplatzten allesamt wie Maden, die man in die heißen Sümpfe südlich von Venderós schmiss. Das Blut spritzte über ganz Nasrem, bis es augenblicklich verschwand. Fregin traute seinen Augen nicht mehr. Gleiches galt für Lima, dem jungen Stallburschen. Ihr Blick fixierte sich sofort auf die riesige Kuppel, die im Zentrum der Trod gestanden war. Der General der Steher eilte aufgrund des sich erhebenden Tumults im Dorf zu den Toren und fragte, was denn los sei. Im Moment des Erhaschens flüsterte er nur die Worte: „Erbarmen.. Habt Erbarmen“ Unkontrolliert brüllte ein in Ferne

stehender Wächter: „Die Kuppel… die Kuppel bricht.“ Wenig später taten es ihm selbst die willentlich stärkeren Soldaten gleich. Kein Wille übertraf die Angst jenes Ereignisses, das sich nun zu vollziehen begann. Tabon, in dem weit abgelegenen Zwischenraum der Bergspitze liegend, schluchzend, sprach: „Der Neuanfang. Die Wiedergeburt der neuen Welt.“ Er öffnete ein in seinem Schoss liegendes Buch, das er zuvor kauernd zwischen seinen Armen gehalten hatte. Bilder eines Schattens. Umrisse einer nie dagewesenen Gefahr. „Sie ist so nah“, flüsterte der Wandrer.

„Einen Riss von ihrer Erfüllung entfernt“

Daedlas verlor kurz seine Balance, als der Boden zu beben begann. Die Bäume schüttelten ihre Kronen wie wild, sodass Unmengen an Blättern von ihnen hinunterpurzelten. Viele von ihnen reflektierten das Licht des diesnächtlichen Mondes, der im Gegensatz zum Rest des Ortes still stand wie ein Himmelsgebirge. „Was ist das?“, rief der Junge in die Leere, während ihn das Gebaumel des Bodens von den Füßen riss. Tiere rannten urplötzlich an ihm vorbei und alle folgten einem Pfad in den Osten. Daedlas folgte ihnen. Die Haare auf seinen Armen stiegen bis zu den Bergen und einiges an Grünzeug lag

zwischen ihm und dem Weg, aus der ein rasendes Geräusch kam. Daedlas schnitt sich an einem Geäst, das ihn unglücklich streifte, und hielt seine Hand an die Wunde. Er wollte aufgrund dieser jedoch nicht Halt machen. So stoppte er die Blutung schlicht mit seiner Handfläche und rannte weiter. Daedlas‘ Freund kam aus einer der weit entlegenen Winkeln des Waldes gesprungen und nahm eine führende Position ein. Er kläffte kurz mit seinem vor Rotrosa strotzendem Maul, das er ebenso kurz leckte, und zeigte neben Daedlas sprintenden Tieren dann durch gezieltes Anstarren und Knurren, dass sie von ihm ablassen sollten. Bei einem weiteren Erdbeben

färbte sich des Wolfes Fell schließlich von dem sonst so erleuchtend, hellen Weiß zu einem düsteren Grau. „Wir müssen schnell sein“, dachte er. „Sie wird sehr bald platzen. Das Herz in ihrem Inneren hat begonnen zu pumpen. Ich spüre jeden Schlag, als wäre er mein eigener“ Das Biest gab seinen Beinen einen entscheidenden Stoß und haschte dann mit fabelhafter Schnelligkeit an die Grenze des Waldes. Die Klippe, auf der er gerade noch so Halt machen konnte, beendete den Wald, das Grün, die Lebhaftigkeit, und machte Platz für die sich riesig erstreckende Wiese, die den Namen Nasrem trug. Des Wolfes Augen

erkannten die Partikel in der Luft, die die bereits verschwundenen Trod zurückgelassen hatten. Dreimal schnaufte er in der Luft, seine Schnauze sich fragwürdig erhebend. Bei Anbetracht der immensen, sich aufbäumenden Kuppel, sprang er die Klippe hinunter, kam einige Male sanft mit seinen gepolsterten Pfoten auf dem Gestein auf und rannte von dieser Wiese des Nordens weiter zu dem Gebilde. Daedlas kam erst jetzt an der Klippe an. Seine Augen füllten sich mit dem glänzenden Schein der Rundung. Das Pochen aus ihrem Inneren zwang den Jungen, seine Lungen mit frischer und realer Luft zu füllen. Kurz darauf ahmte

sein Herz demselben Takt nach, in dem das der Kuppel schlug. Daedlas‘ Hände fielen auf seine Brust und er lächelte. Das Beben ließ nach, verblieb jedoch als ein kitzelndes Vibrieren in den Zehen des Buben. Der Junge spreizte daraufhin seine Arme, schloss seine Augen und entfesselte ein nie dagewesenes Hongam. Weißheit umgab ihn. Eine Klarheit, ein perfektes Abbild seiner Seele, die in Form jener nun aus ihm heraussprießenden Federn manifestiert wurde. Sie wurden größer und bildeten selbst in dieser langen Nacht einen seichten Schatten auf dem kalten Boden. Die Federn umgaben schon bald zwei starke Muskeln. Sie falteten sich einmal

in einem Winkel von ungefähr 90°, dann sprang der Junge von der Klippe und schlug mit dem Geflügel in umwerfenden Winden von oben nach unten. Sein gerade noch mit immensem Druck fallender Körper verblieb auf der Stelle in der Luft und er dirigierte seine Kraft über das goldgeränderte Feld unter ihm. Dann öffnete Daedlas wieder seine Augen. Was er sah, konnte ihm kein weiteres Lächeln verbieten. Wind blies ihm zwischen seine lieblichen, spitzen Ohren und seine langen Wimpern tanzten im Flug. Wieder und wieder stieß er seine atemberaubenden Flügel gen Himmel und wieder nach unten. Wunderbar glitt er über das Land, sowie

die Luft durch sein feinblondes, gelocktes Haar strich. Der König der Lüfte und Herrscher der Schönheit. Daedlas genoss den Moment, wie er es in seinem zu Hause noch nie genossen hatte. Die Kuppel lag schon bald in seiner Reichweite. Und auf ihr rasteten nun seine kindlichen, weißen Augen.

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Über den Autor

Taipan
Ich bin 17 Jahre alt & gehe noch zur Schule:) Wie sollte es auch anders sein, so ist mein Lieblingsfach Deutsch. Zu Schreiben begann ich bereits vor einigen Jahren. Erst vor kurzem jedoch packte mich die Idee der "Finster' Essenz", die ich hier nun in mehreren Teilen veröffentlichen werde. Sie ist das Ergebnis meiner Erfahrungen, Leidenschaften, Einflüsse und Entschlossenheit.

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