Fantasy & Horror
Finster' Essenz - (Kapitel 4 - Erwartungen und Belohnungen)

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"Der Baustein des Lebens verwebt sich mit den Gedanken der Vernunft, des Sinnes und des Gerechten. "
Veröffentlicht am 10. Januar 2015, 46 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Ich bin 17 Jahre alt & gehe noch zur Schule:) Wie sollte es auch anders sein, so ist mein Lieblingsfach Deutsch. Zu Schreiben begann ich bereits vor einigen Jahren. Erst vor kurzem jedoch packte mich die Idee der "Finster' Essenz", die ich hier nun in mehreren Teilen veröffentlichen werde. Sie ist das Ergebnis meiner Erfahrungen, Leidenschaften, Einflüsse und Entschlossenheit.
Der Baustein des Lebens verwebt sich mit den Gedanken der Vernunft, des Sinnes und des Gerechten.

Finster' Essenz - (Kapitel 4 - Erwartungen und Belohnungen)

erwartungen und belohnungen



1




„Bitte folgt mir“, befahl Ibarn. Er stieg von seinem Pferd und lief durch eine Tür, durch die selbst Rekón passte (und Rekón war ein verdammt großer Kerl). Die drei anderen Jäger folgten erst später seinem Beispiel. Baldig war von dem nächtlichen Erguss von draußen kein Ton mehr zu hören. Ihr Weg führte sie durch einen hohen, breiten Gang, der

alle paar Meter an beiden Seiten eine Fackel trug. Als sie noch eine kurze Weile gelaufen waren, zweigten mehrere Türen von ihrem Pfad ab. Ibarn zeigte auf zwei von ihnen und sprach: „Ich möchte, dass nur die oberen Befehlshaber diesen Gang mit mir begehen. Der Rest wartet hier“ „Warum das auf einmal?“, sprang Meallá auf. „Bitte lasst Eure weiblichen Instinkte nicht die Überhand gewinnen, junge Dame“, meinte Ibarn, „Es könnte nach hinten losgehen“ Meallás Reaktion war beinahe selbstverständlich, als er ihr noch freundlich zuzwinkerte. Sie lief rot an und gab dem Jäger den Blick, den ein jeder Ehemann zu deuten gewusst hätte.

„Hör zu, du Verdammter“, begann sie zähneknirschend. Dann befahl Irving sofort, Ruhe zu bewahren. Er sagte, sie solle tuen was Ibarn befehle. Kommandantin Meallá wirkte, als würde sie ihre bronzene Rüstung jede Sekunde von sich reißen und zu drastischeren Maßnahmen übergehen, als ihr befohlen wurde. „Wartet bis wir zurück sind“, meinte sie dann zu ihrem Vize-Kommandanten. „Oh, Eure Krieger zweiter Stelle sind natürlich auch eingeladen“, fügte Ibarn hinzu. Selbstsicher wartete er darauf, dass seine Worte in die Tat umgesetzt wurden. „Nein. Struan, du wirst hier bleiben“, sagte sie. Ibarn reagierte auf

diese Geste mit Schweigen. „Natürlich, Madamé“, sagte der Vize-Kommandant der sechsten Division. Sie verzog leicht ihre Miene. „Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mich nicht so nennen sollst?“ Kurz wartete sie noch. Dann separierten die Kommandanten und ihre Assistenten, abgesehen von Struan, sich von den Rittern. Sie beschritten den Weg durch eine Tür, über der ein Symbol eingraviert war. „Eine Schlange“, flüsterte Silva. Er wechselte einen kurzen Blick mit Deucir und fragte dann: „Was denkst du was das zu bedeuten hat?“ „Eine Schlange“, überlegte Deucir, „Vielleicht nichts weiter als Zierde“ Von hinten erinnerten

Silva die kurzen Haare des Jägers an Blitze. Sie standen seit ihrem Aufeinandertreffen unveränderlich in der Höhe. Tief nach hinten geneigt saßen sie ständig an einer Stelle. Die Spitzen, zu denen sie geformt wurden, machten zweifellos den Anschein eines Blitzes. Irving, Silva, Lynhart, Andrós, Chrimbert, Meallá und Deucir, sowie ihre Vize-Kommandanten folgten dem Fremden weiter. Derweilen sah sich Adrin in seiner neuen Zwischenstation um. Murmelnd liefen die Soldaten umher und betrachteten die Wandverzierungen. Adrin sagte: „Das Gemäuer muss mindestens 500 Jahre alt sein. Es sieht aus, als hätte es bereits so einige Jahre

an Reinigung nötig“



2



Ein Ritter mit dem Namen Ciarán Eisholder stöberte neugierig in einigen Schubläden, die an den Wänden aufgereiht waren. Der Raum besaß drei Etagenbetten, die groß genug für jeweils vier Mann gewesen sein mussten. Von der Decke hang eine große Beleuchtung hinunter, die ein harmonisches Orange auf die Mauerwände warf. Der Mann, der seit Anbeginn der Reise an Ciaráns Seite ritt, Fionn Malir, schmiss sich

schmausend auf eines der großen Betten. „O wie lang habe ich schon nicht mehr die Weichheit eines Bettes gespürt“, sagte er. Sein Gesicht war von Natur aus schon besonders lang gezogen und komisch, doch als er es zwischen einige Kissen steckte, darin herumtollte und die anderen Ritter dann mit federbestücktem Gesicht ansah, konnte sich selbst Struan kein Lachen mehr verkneifen. „Lasst uns keine Unannehmlichkeiten verursachen. Wir sind Gäste an diesem Ort“, meinte der Vize-Kommandant. Ciarán meinte: „Wir sind in dieses Land gekommen um Frieden zu finden. Ich glaube keiner dieser Männer wird Unannehmlichkeiten

verursachen“ „Eben, Meister Struan von Uisdean“, schwatzte Fionn. Das verärgerte den jungen Assistenten von Kommandantin Meallá sichtlich sehr. Rekón blieb während dieser für die anderen Ritter ziemlich unterhaltsamen Manieren-Belehrung ruhig an der Wand gelehnt. Es klopfte jemand an die Tür, was die Aufmerksamkeit der ungefähr drei Dutzend Männer in dem Raum auf sich zog. Eine Dame, die nicht wirklich wie eine Dame aussah. Ihr folgten ein breit gebauter Mann und eine weitere Person – ein Mädchen. Ihre ungewöhnlich männliche Ausstrahlung bewirkte eine nicht kleine Neugier in vielen der Männer. Trotz ihres blonden

Haares besaßen ihre Gesichtszüge etwas sehr hartes. Härte, die mit der Vielschichtigkeit eines Steines verglichen werden konnte, der dem Atemzug der Entstehungsgeschichte beigewohnt hatte. „Ihr seid die Jäger von vorhin“, bemerkte Struan. Er lief einige Schritte auf die drei Treuekämpfer zu und wandte seinen Blick auf ihre pechschwarzen Umhänge, die über graue, aber nicht dünne Rüstungen gestülpt waren. „Noch einen Schritt weiter und mein Bruder wird dich umbringen“, sagte die Blonde. Augenblicklich nahmen die Ritter Verteidigungspositionen ein. Ciarán legte seine Hände auf den Griff seines

Degens. Fionn hüpfte geschwind von dem Bett und ergriff einen seiner Dolche, die überall in seiner unscheinbaren Rüstung versteckt lagen. „Wir haben nicht die Absicht zu kämpfen“, meinte Vize-Kommandant Struan. Seine Hände erhoben sich und er zeigte beide Handflächen, um jegliche Bedrohung zu nehmen. „Steckt eure Waffen weg“, befahl er seinen Untergebenen, nachdem sich sein Kopf grimmig zu ihnen drehte. Allina meinte: „Ganz vorzüglich. Wie ich sehe gibt es unter ihnen einige Naturtalente.“ Sie begann damit, jeden der Ritter von oben bis unten zu betrachten. Die Distanz wurde beibehalten, doch ihre Blicke

waren tief. Bei einigen von ihnen flüsterte sie dem großen Mann neben ihr, den sie als ihren Bruder bezeichnete, etwas zu. Dann erhoben sich ihre Hände. Ciarán erkannte das Flimmern. Es durchstreifte die Poren der Haut nur sanft. Lediglich das Vibrieren der Verinnerlichung war zu sehen. Dann, mit einem Mal, wurden seine Augen blind. Ihn polterte etwas umher, bis er sich selber in einem Gestrick aus Wind befand. Die Sicht über jene Welt war ihm immer noch nicht vergönnt, doch spürte er die mächtige Kraft auf seinem Körper so deutlich, wie er es noch nie zuvor tat. Nach einem merkwürdigen Stoß erwachten seine Augen wieder. Er

fand sich auf einer Grasfläche wieder. Weit war sie. Seine Finger gruben sich verwirrt in das saftige Grün, das ihn augenblicklich an zu Hause erinnerte. Und wahrlich: Als er sich umsah, erkannte er sofort den großen Wasserfall in der Ferne. Pletschernd hausten die Geräusche des Wassers um seine Ohren. „Der Fall von Neteron“, sagte er, „Was ist das für eine Hexerei?“ „Es wäre gemein, es als Hexerei zu bezeichnen“, sagte eine bekannte Stimme hinter seinem Rücken. Ciarán drehte sich schnellstens um und legte wieder eine Hand auf den Griff seiner Waffe (diesmal noch fester). Die Jägerin lachte vergnügt und beruhigte sich dann wieder.

Neben ihr stand wieder der protzige Mann, dessen Muskeln in solch bedrohliche Art und Weise herausquollen. „Was ist das hier?“, fragte Ciarán. „Und wo sind alle anderen?“ Seine Zähne fuhren knirschend aneinander. In einem einzigen Schwung zog er seinen Degen heraus und wendete seinen Körper um 90°, sodass seine rechte Körperseite im Einklang zu seiner Klinge stand. „Ich werde es dir sagen“, sprach Allina. Ihre grünen Augen schimmerten trügerisch hell. „Wenn du meinen Bruder mehr als drei Minuten überleben kannst, so werde ich dir jede Frage beantworten, die du beantwortet haben möchtest“ Eine

seichte Brise überflog ihre Worte und rauschte im abendlichen Gras wie eine streichelnde Frau. Ciarán konnte sich keinen Reim daraus machen. „Was soll das alles?“, fragte er sich. Der Mann in dem schwarzen Gewand sah ihn mit einem willensstarken Blick an. Ciarán war sich nicht sicher, wie ernst er all das nahm. Allinas Bruder hatte seit ihrem Aufeinandertreffen im Sumpf kein einziges Wort gesprochen. Der riesige Protz begann, seine Rüstung auszuziehen. Die Schnallen lösten sich und die eisernen Platten fielen schwunghaft zu Boden. Ciarán konnte nicht widersprechen, dass der Kerl angsteinflößend war. Muskulöse

Brustmuskeln, definierter Bauch, vor Kraft strotzende Arme und Schultern – dagegen wirkte der Ritter beinahe wie eine Fliege. „Also gut“, sagte Eisholder. „Drei Minuten.“



3



Struan schloss und öffnete seine Augen ungefähr sechs Mal, bis er realisierte, dass Ciarán und zwei der Jäger verschwunden waren. Er und der große Teil der anderen Ritter suchten ihn wendend und verwirrt, doch wurde ihre Suche schnell zum Misserfolg. „Euer

Gefährte hat mit Madame Allina und unserem Bruder eine kleine Reise unternommen“, sagte die übrige Jägerin. Struan und die anderen wendeten sich ihr zu. „Bitte benutzt Eure Energie weise. Sie ist zu wertvoll, um vergeudet zu werden“, meinte sie. Das Mädchen lächelte unschuldig weiter und begann eine weitere Episode ihres Schweigens. Struan besaß derartige Geduld nicht. „Wer seid Ihr?“, fragte er. Schweißtropfen flossen nun in Gruppen an seiner Schläfe hinunter. „Das wisst Ihr bereits“, meinte sie, „Wir sind Treuekämpfer“ „Treuekämpfer würden nie ihr Schwert gegen ihre eigene Rasse erheben“, verkündete Struan. Ciarán

erhob derweilen seinen Degen gen Himmel. Sein Gegner stellte sich ihm vor einigen Augenblicken als Eóin vor (bei seinen Gefährten oft Säbelzahn genannt). Der Vernarbte rannte auf den Ritter zu und entblößte währenddessen zwei lange Säbel aus seinem Rücken-Halter. Gewaltig stieß er einen von ihnen in den Boden, nachdem es Ciarán noch schaffte unter den großen Beinen des Mannes hindurchzurollen. Sofort drehte sich Eóins Oberkörper. Er ließ seine andere Waffe mit dem Schwung seiner Hüfte mitgehen und schickte den Säbel horizontal durch die Luft. „Unglaublich, welch Geschwindigkeit dieser Kerl besitzt“, dachte Ciarán.

Knapp verfehlte die Klinge seinen Kopf und zog über ihm hinüber. Aus der Ducke drückte sich der Ritter gen Himmel und schickte sein Degen direkt in Eóins Rippen. Als er ihn wieder hinauszog, folgte der Spitze eine dickflüssige Ansammlung von Blut. Belustigt griff sich der Koloss an seine offene Wunde. „Du wirst mehr als eine Stricknadel brauchen, um mich zu erlegen, Winzling“, sagte er. Ciarán wartete und dachte nach. „Er besitzt eine außergewöhnliche Stärke. Mit seinem rechten Säbel unterbricht er die Balance seines Gegners, um mit dem Rechten den finalen Schlag auszuführen“ Auch Eóin nahm wieder

seine Stellung ein, indem er seine Knie weit gebeugt hielt und seine Säbel auf ihn zeigend positionierte. Des Jägers Augen schienen bereit, ihre Beute zu reißen. „Wenn ich nicht vorsichtig bin wird er mir definitiv den Gar ausmachen. Es gibt nur einen Weg“, entschied Ciarán. Gerade als er losrennen wollte, spürte der Ritter etwas. Sein blauer Harnisch aus Samt vibrierte. Die Bewegung kroch ihm die Beine hinauf, zerfledderte sein Gleichgewicht und zwang ihn auf ein Knie. Eóin war der Einzige, dessen Lächeln unverändert blieb. Ciarán hob seinen Blick auf seinen Feind. Das Flimmern, das er vorhin über Allinas

Körper sah, erschien nun auch über Eóin. Halbkreisförmige Abschweifungen, die den inneren Kreisläufen der Menschlichkeit zu überbrücken schienen. Normalität lag gefangen in ihren Wurzeln, ohne eine Möglichkeit sich zu zeigen. Ciarán sah es stärker werden. Mit jedem Moment drückte es seinen Körper tiefer. Das Gefühl eines gesamten Ozeans über seinem Rücken. „Was ist dieses Gefühl?“, fragte er sich. Eines seiner Augen fiel dem Druck zu Grunde und schloss sich, das andere kämpfte um die Oberhand. „Deine Zeit wird knapp“, behelligte ihn Allina. Zähneknirschend stand der Ritter wieder auf und stellte

sich der Kraft. Womit er es zu tun hatte war ihm nicht bewusst. Noch nie spürte er etwas dieser Stärke. Das Gras unter seinen Füßen wurde an das Angesicht der Erde gepresst, ihre lebenserhaltenden Soßen hinausquetschend. Das Organ der Welt selbst lag unter den Trümmern der Dichte, die über ihrer selbst hauste. „Es tut mir Leid, Kommandant Eiderad. Aber so wie die Dinge stehen, werde ich ohne mein Sélnen nicht auskommen“, flüsterte der blaue Ritter. Eóins Überraschung glich der eines Bären, der einen Löwen in seiner Höhle entdeckte. Und noch bevor er auf die Veränderung in des Ritters Körper reagieren konnte,

blendete ihn jenes Licht so sehr, dass er zu Boden fiel. Drei rasend schnelle Töne, schnalzend klingend, ertönten, dann wurde es wieder ruhig. Das Licht verflog und ließ ihn erkennen, wie seine Schwester vor ihm stand. Eine lautstark vibrierende Barriere war vor sie projiziert, in der drei Kugeln steckten. Diese drehten sich mit der Geschwindigkeit eines Tairu und der Kraft, der Eóins nicht annähernd unterlegen war. „Das dürfte genug sein“, meinte die Dame mit dem blonden Haar. Ein schlichter Rauch flog über den Boden, der bei seinem Verschwinden wieder Ciarán entblößte. Keuchend stand er mit den Handflächen auf seinen

Knien gestützt auf dem Gras. Vielleicht hätte dieses gar nicht mehr als Gras bezeichnet werden können. Es verflog nur noch in Vergängnis.



4



„Wohin führt Ihr uns?“, fragte Silva Ibarn. „Ich bringe Euch zu meinem Führer“, antwortete der Jäger. Er betonte das Wort meinem, als hätte er angenommen selbst als Führer missverstanden geworden zu sein. „Also werdet Ihr uns helfen“, lächelte Chrimbert. Silva dachte, der

Kommandant wäre mal wieder so außerordentlich ruhig. Er fragte sich, ob er wohl verstände, dass der Mann, zu dem sie gebracht wurden, womöglich alles andere als diplomatisch gesinnt sein konnte. Auf jeden Fall musste Silva äußerst vorsichtig bleiben. Ihre Reise zu diesem Ort verlief alles andere als so, wie erhofft. König Evoder schickte die Reiter unter der Annahme in den Westen, dass dieser einen sicheren Ort böte. Und in Anbetracht dessen, was Silva bisher zu sehen erlaubt gewesen war, könnte diese Bergseite wahrlich mindestens dreitausend Menschen einen sicheren Hafen bieten. Doch was war mit allen anderen Menschen? Es wäre

unmöglich gewesen, sie in Nirgur zurückzulassen. Ein überranntes, gefallenes Stück Land - mehr war es nicht mehr. Selbst wenn die Reiter Jemrök nutzen konnten, so mussten sie zweifelsohne ihre Reise in den Westen fortsetzen. Silva konnte König Evoder förmlich hören, wie er die Worte „Tut es für euer Land“ sprach. Und selbst wenn sie hunderte sichere Städte finden würden, so hätte ihnen niemand die Gefahren der Reise abnehmen können. Die Faulheit der Mission lag in ihren innigsten Giften verborgen. Silvas Hände, so rein wie Mitt-Sommer-Moos, hätten sie niemals erreichen können. Zumindest nicht an jenem Tag. „Du bist

ein Feigling, Evoder“, flüsterte Kommandant Silva. Während die Männer weiter liefen, spürte Deucir einen beachtlichen Schmerz oberhalb seiner Hüften. Vorerst schenkte er dem Gefühl nicht viel Beachtung. Doch dann merkte er, dass die Wunde jenes Abends noch nicht verheilt zu sein schien. Verwunderung packte den Kommandanten. Er hätte schwören können, die Salbe, die er nach dem Ereignis in jenem Wald auf seinen Rücken geschmiert hatte, hätte jede Wunde dieser Welt heilen können. Als die Qual zu verschwinden begann, nahm er seine Gedanken von dem Zwischenfall. Der Gang führte sie noch

einige Meter weiter, dann gelangten die Feldherrn in einen großen Saal. Vier goldene Pfeiler stiegen vom Boden bis zur Decke empor. Silva schätzte sie auf mindestens 20 Meter. Ihre gerüsteten Füße klapperten laut auf dem zementierten Boden. Der Schall reichte weit durch den Saal. Ibarn führte sie zu einem Podest, das direkt vor ihnen stand. Eine Treppe, mindestens so breit wie sechs nebeneinander gestellte Kutschen, reichte zu ihm hinauf. „Ein erstaunlicher Ort“, sagte Neslin zu ihrem Kommandanten. Silva erwiderte ihre Worte mit einem Nicken. Er konnte sich kaum vorstellen, dass dieser Ort seit hunderten von Jahren unbewohnt

sein sollte. Die Treppen, die sie nun hinauf gingen, glänzten in hellstem Licht, das von den riesigen Lampen oberhalb herab schien. Auf den Wänden hingen zahlreiche Portraits. Kommandant Silva betrachtete gespannt die bildlichen Erzählungen, die auf ihnen abgebildet waren. Türmend erhob sich ein hoher Drache auf den einen, einem einzigen Ritter trotzend. Auf anderen erhellten abstrakte Künste der alten Landschaften seine Sinne. Für einen Moment schwächelte der Feldherr vor Sehnsucht nach jenen Orten, die so friedlich erschienen, er könne darin versinken. Silvas Fokus schweifte jedoch bald in die Wirklichkeit zurück.

Der Jäger stand vor einem Tisch. Goldbraun zog sich dieser in die Länge. „Guten Abend Meister Faedrlas, hier sind die Reisenden aus dem Sumpfbezirk“, sagte Ibarn. Leicht verbeugte er sich und winkelte seinen Arm auf eine dienende Weise. Silva wendete seinen Blick von dem Mann und schaute auf denjenigen, der hinter dem langen Tisch saß. „Ich danke dir, Herr Rialesh“, antwortete Ibarns Meister. Chrimbert verblieb einen Moment in Schweigen, dann wandte er seine Worte Ibarns Führer zu: „Was in aller Welt seid Ihr?“ Noch in dem Moment, in dem er es sagte, bemerkte er die Taktlosigkeit seiner Worte und

entschuldigte sich zerknirscht. Er betrachtete das goldene Fell, das des Meisters gesamten Körper bedeckte. Weichheit in seiner pursten Form. Womöglich wäre selbst der raue Kommandant Chrimbert umgefallen, hätten seine Hände eine winzige Berührung erhascht. „Ihr wusstet, dass wir kommen?“, fragte Kommandant Silva. „Ich habe es gehört. O, tut mir Leid, wo sind meine Manieren? Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Faedrlas Tiúniv. Doch Ihr dürft mich einfach Tiúniv nennen“ Während sich sein Mund bewegte, wackelte der lange, spitze Bart an seinem Kinn hin und her. Ibarn unterbrach seinen Meister und

sagte: „Meint Ihr wirklich, dass wir so weit gehen sollten?“ „Ich glaube deine Arbeit hier ist getan, Herr Rialesh“, sagte Tiúniv. Die Ruhe in seiner Stimme war trügerisch. Deucir war vermutlich der Einzige, der ein fast unhörbares Fauchen in Tiúnivs Worten vernahm. Der Jäger verbeugte sich standhaft und verließ das Gespräch durch eine Tür, die hinter seinem Meister lag. Tiúniv bot den Kommandanten und Vize-Kommandanten einen Platz an. Dann fragte er: „Also meine Kinder, was hätte Euch in dieses verlorene Land führen können?“ Seine haarige Schnauze zog sich leicht lächelnd in die Höhe, während er seine Tatzen fragend aufwarf.

„Wir wurden geschickt, um diesen Ort als unser neues zu Hause zu krönen“, meinte General Mellenthin. „Ich glaube nicht, dass das passieren wird“, sprach der Meister, „Ich und mein Gefolge leben seit nunmehr unzählbaren Jahrzehnten in diesen Ruinen. Ihr könnt sie uns doch nicht einfach so wegnehmen?“ Silva glaubte zum ersten Mal, Ernsthaftigkeit in seinem Gesichtsausdruck zu erkennen. Die Schwere jenes Vorhabens war jedoch unbestreitbar. Zu viele Haare tummelten sich auf seinem Körper, die selbst von den wenigen Eisenteilen, die über einige Stellen geschnallt waren, nicht hinwegsahen. Vize-Kommandantin Neslin

sprang auf und sagte: „Unsere Heimat wird überrannt, in genau diesen Momenten! Jede Sekunde, die wir hier verschwenden bedeutet den Tod eines weiteren Bruders!“ Faedrlas lachte herzlich und klatschte. „O bitte verschont mich mit Euren Sorgen. Meint Ihr wir haben nicht mit denselben Problemen zu kämpfen wie Ihr?“ „Wir haben Kinder, um die wir uns kümmern müssen. Familien, die Versorgung brauchen. Wir-“, sagte sie, bis sie unterbrochen wurde. „Ihr besitzt tausende von Männern. Erzählt mir nicht Ihr hättet nicht die Kraft euch zu wehren. Belügt Euch selbst, doch nicht Faedrlas Tiúniv“, sagte der Meister.

Wieder hörte Deucir jenes tiefe Fauchen in seiner Stimme. Wild erhob sie sich in den letzten Augenblicken, was Kommandant Eiderad nicht wenig schön fand. „Genug, Neslin!“, befahl Deucir der Vize-Kommandantin. Eine kurze Ruhe trat ein, in der Silva einen merkwürdigen Blick hegte. „Seit wann trägst du Berechtigung meinen Untergebenen Befehle zu erteilen?“, fragte der silbernhaarige Mann. Neslin setzte sich und entschied, den Kommandanten das Spielfeld zu überlassen. Silva unterbrach seinen blickvollen Krieg, doch seine Warnung war unmissverständlich angekommen. „Tiúniv“, begann Irving, „Unsere Reise

führte uns durch so einiges, was ich hier nicht zu besprechen erhoffe. Unser Volk sucht nach einer Zufluchtsstätte, die uns lediglich Raum zum Atmen gewährt. Wir brauchen Zeit, um unsere Optionen auszuwägen. Denn in Nirgur sind all jene bereits verfallen. Mir ist sehr wohl bewusst, dass wir damit Eure Privatsphäre stören und ich verspreche, dass diese Geste nicht unbemerkt bleiben würde. Im Namen von ganz Nirgur bitte ich Euch also: Gewährt uns Zuflucht!“ Tiúnivs schwarzes Nackenhaar kräuselte sich wild. Seine spitzen Ohren zuckten leicht, als der General seinen Mund wieder schloss. Naschend leckte er sich mit seiner langen

Zunge die Lippen. Womöglich war dies der Moment, an dem sich das Schicksal aller Menschen besiegeln würde. Silvas blaue Augen kreuzten sich mit den leidenschaftlichen Juwelen Tiúnivs. Kommandant Lynhart wirkte mehr an den beeindruckenden Klauen des Meisters interessiert als an der eigentlichen Thematik am Tische. Andrós blickte ungeduldig zu Lucz, seinem Stellvertreter. Chrimberts Ruhe war konkurrenzlos. Kommandantin Meallá hegte für die kommende Antwort Tiúnivs mindestens so viel Sorge wie für das Wohlbefinden ihres Vize-Kommandanten Struan. Und Deucir lag bereits in Vorstellungen an das

mögliche Chaos versunken, das eintreten würde, wenn sich Tiúniv für den falschen Weg entscheiden würde. Zweifellos wäre der General dazu gezwungen sein Schwert zu ziehen. Ihre Mission unterläge keinen Voraussetzungen, meinte König Evoder noch vor ihrer Abreise. Wenn sie eine Möglichkeit bekämen, Jemrök zu beanspruchen, so sollten sie diese nehmen. Unter welchen Umständen auch immer, hatte er gesagt.



5



„Sag mir auf der Stelle wo Ciarán ist“, befahl Struan dem Mädchen. Er packte sie an ihrem Kragen und hob sie beinahe ein Stück vom Boden. Rekon wäre vermutlich dazwischen gegangen, wären seine Gedanken nicht an seinen Mitstreiter geklammert. Das Mädchen wirkte so schuldlos. Unter ihrem schwarzen Umhang war deutlich ein Gestrick aus Samt zu erkennen. Es leuchtete beinahe hell auf. An ihren Armknöcheln hingen jeweils zwei Armbänder aus glanzvollstem Schmuck. Fionn hielt sie für eine Prinzessin – eine Prinzessin, die ihnen etwas verheimlichen musste. „Euer Genosse wird bald zurück sein. Glaubt mir: Das

alles geschieht um Eures Willen!“, meinte sie. Als Vize-Kommandant Struan ihre Stimme vernahm musste er an Meallá denken. Die Gebrechlichkeit in ihrer jungen Stimme war nicht zu unterschätzen. „Wir warten nun seit mehr als 50 Jahren auf Eure Ankunft. Bitte habt Vertrauen!“, winselte das Mädchen. Ihre Bemühung könne ein Trick sein, dachte Struan. Sein Kopf drehte sich fragend zur Seite. „Was meinst du mit Wir haben auf Euch gewartet?“, hakte er nach. „Meister Faedrlas ist schon lange auf der Suche nach Menschen wie Ihr es seid“, meinte das Mädchen, „Ich glaube nicht, dass er Euch Harm antuen will“ Struan hatte

genug gehört. Er zog das Mädchen an sich heran und betrachtete sie mit den Augen, die keine falsche Erwiderung erlauben würden: „Bringt mich zu deinem Meister!“ „Wieso kommt Ihr dann nicht mit mir?“, fragte eine dunkle Stimme aus den äußeren Gängen. Struan suchte vergebens nach dem Ursprung der Worte, bis eine sehr männlich aussehende Person hereintrat. Struan hätte sie niemals für eine Frau gehalten, wäre es nicht für ihr unnachahmlich helles Haar. „Allina!“, lächelte das Mädchen. Sie löste sich aus Struans Griff und lief in die Arme ihrer Schwester. „Du meine Güte ist das süß, mein Herz erblüht in Rosen“,

romantisierte Fionn. Seine Hände legten sich auf seine Brust und sein Blick schweifte hinauf in die Höhe. Vermutlich hätte er seine Späße fortgesetzt, wenn er nicht den Mann erkannte, der nun hinein kam. Eóin beachtete seine Schwestern nicht. Seine Beine trugen ihn in den Raum und hielten still. Der Mann auf seinen Schultern schien nicht mehr zu atmen. Eine eigentlich unsichtbare Aura umströmte ihn, die in Fionns Augen jedoch so präsent war, wie etwas nur sein konnte. Die Art und Weise wie Eóin seine großen Arme um ihn schlang, den Ritter zermürbend, den leblosen Körper jenes Mannes, der Fionn seit Anbeginn

seines Denkvermögens begleitete – es brach des treuen Freundes Herz. Dunkle Gedanken schossen durch ihn hindurch. Er legte seine Hände auf den Schwertgriff, so wie seine Tränen ihren Griff um seine Augen legten. „Er war mein Freund“, sagte Fionn. Die Kälte seiner Trauer durchfuhr den gesamten Raum. Unerreichbar sprang der Löwe ins Meer, seiner fehlenden Schwimmbegabung ahnungslos ausliefernd. Kontrolle würde schwinden. Seine Krallen ihn nicht länger über der Oberfläche halten. Und schlussendlich sinken. Struan zog sein Schwert. Eine emotionsbetrunkene Geste, die sich in seiner immer dunkler werdenden Mimik

zeigte. Seine Tränen wurden zu einem Schluchzen. Das Schluchzen zu Leidenschaft. „Steckt Euer Schwert hinfort, Narr. Er ist nicht Tod“, sagte Allina, „Kommt nun mit uns“



6



Meister Faedrlas knallte seine Klauen auf den goldenen Holztisch und erhob sich. Wieder einmal lächelte er ein unbehaglich wirkendes Lächeln. Einen Augenblick konnte er sich nicht einmal mehr halten, da ihn seine Bauchmuskeln, die selbst unter dem

dichten Fell noch sichtbar waren, sein Lachen erschwerten. Keine Sekunde später fand er wieder seine Ruhe und gab den Besuchern den Blick, der einem Löwen gerecht gewesen war. „Meine Kinder, Ihr glaubt doch nicht wirklich ich besäße dermaßen wenig Sinn für Gerechtigkeit? Selbstverständlich werde ich Euch meine Hilfe gewähren“ Ein alles übertreffender Seufzer durchfuhr den Saal Jemröks. Sämtliche Lungen, die sich soeben mit der Spannung jener Antwort gefüllt hatten, befreiten sich von ihrer erpressenden Qual. „Schenke Kynis unseren Dank“, meinte Neslin.

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Taipan
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