Kurzgeschichte
Der Unfall

0
"Wenn man sonst nichts machen kann, denkt man eben über sein Leben nach"
Veröffentlicht am 08. Januar 2015, 16 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Gunnar Assmy - Fotolia.com
http://www.mystorys.de
Wenn man sonst nichts machen kann, denkt man eben über sein Leben nach

Der Unfall

Titel

Noch einmal sehe ich, was geschah. Ich fuhr ziemlich langsam auf der Außenspur, da es dunkel war und es in strömen regnete. Ich hatte kaum etwas erkannt. Daher war ich am Überlegen, ob ich einfach am Seitenrand stehen bleibe und den Regen abwarte. In dem Moment krachte ein Laster in mich rein und schob mich. Ich war erschrocken und hatte keine Kontrolle mehr über meinen Wagen. Kurz darauf wache ich mit Schmerzen auf. Ich bin in meinem Auto eingekeilt. Kann nicht sehen, wo ich bin. Es ist zwar hell. Dennoch sehe ich nichts. Die Frontscheibe ist ein

einziges Spinnennetz. Wenn ich zur Fahrerseite hinausschaue, sehe ich den Boden. Auf der anderen Seite einen Ast, der auf der Beifahrertür liegt und mir die Sicht nimmt. Jede Bewegung tut weh. Deswegen versuche ich, einfach ganz still dazusitzen. Klare Gedanken zu fassen. Vielleicht habe ich ja Glück und jemand findet mich. Bestimmt habe ich Spuren hinterlassen. Schleifspuren, oder so was. Außer der Regen hat alles weggespült. Dann werde ich hier jämmerlich sterben. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Es sind nur die Stunden davor, die mich frösteln lassen. Da ich mich nicht bewegen kann, geht alles in die Hose.

Verhungern werde ich nicht. So weit wird es nicht kommen. Schon oft habe ich tagelang nichts gegessen, weil ich einfach keinen Appetit hatte. Probleme schlagen bei mir auf den Magen. War schon immer so. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, die mir einfallen, wie ich sterben werde, wenn mich keiner finden sollte. Entweder sterbe ich an meinen Wunden, oder ich verdurste. Wie sagte mein Opa immer so schön? Durst ist schlimmer, als Heimweh. Mich plagt eher Fernweh. Heimweh hatte ich nur äußerst selten. Als ich noch frisch verheiratet gewesen und ich auf Montage gewesen war, hatte ich Heimweh zu ihr. Ansonsten hatte ich

eher Fernweh. Wie gern würde ich die ganze Welt bereisen. Aber erstens: habe ich das Geld nicht dazu, und zweitens: muss man heutzutage aufpassen, wohin man reist. Ehe man es sich versieht, wird man verschleppt oder zieht sich eine exotische Krankheit an Land. Es ist unglaublich, was es alles für Krankheiten gibt. Was mir im Moment wohl lieber wäre? Hier zu sitzen, mit all den Schmerzen, oder eine exotische Krankheit zu haben. Ich weiß es nicht. Bisher habe ich nur in Europa Urlaub gemacht. Mehr konnte ich mir nicht leisten. Viel lieber würde ich nach Asien reisen. Ch weiß nicht warum. Es zieht mich irgendwie dahin. Japan interessiert

mich am Meisten. Aber auch China und Indien würde ich gern besuchen. Thailand nur kurz, da mir dort zu viele deutsche Touristen sind. Außerdem kann ich nicht mit ansehen, was sie dort mit den Tieren machen. Ich habe es in einer Reportage gesehen, wie Affen an der Bar sind, rauchen und Alkohol trinken. Gruslig. Tierquälerei nenne ich das. Bevor ich damals meine spätere Frau kennengelernt habe, studierte ich größtenteils außerhalb meiner Heimatstadt. Zu dem Zeitpunkt lebte ich noch bei meinen Eltern. Die Woche über verbrachte ich in einer Art Internat, oder Studentenwohnheim, welches von Freitagnachmittag bis Sonntagabend

geschlossen hatte. Freitags bekam ich gern Depri, weil ich wieder nach Hause musste. Obwohl mir klar war, das ich Sonntagnachmittag schon wieder zurückkehrte, stimmte es mich mich nicht gerade fröhlich, zu meinen Eltern zu fahren. Nicht, das es mir da schlecht erging. Ich wollte eben lieber in dem Wohnheim bleiben. Vielleicht lag es ja daran, das meine Eltern nicht in der nähe waren und nicht sahen, was ich tat. Sie mir keine Vorschriften machen konnten. Ich mir dort vorkam, wie ein selbstständiger Erwachsener. Schließlich war keiner da, der für mich einkaufte und mir essen machte. Zu Hause wurde mir alles vorgesetzt. Ich brauchte nur ein

wenig im Haushalt mitzuhelfen. Langsam wird es wieder dunkel und ich sitze hier immer noch eingekeilt. Ich hatte gehofft, das mich jemand rechtzeitig findet, bevor...Es fühlt sich eklig an. Das das meinem Kind nie gestört hat!? Erst kurz vorm Schulanfang wurde es richtig trocken. Warum es so lange gedauert hat, konnte uns keiner sagen. Vielleicht war es psychisch. Als es etwa drei Jahre alt war, trennten sich seine Mutter und ich. Wir haben feststellen müssen, das wir nicht mehr zusammen leben können. Zu viel war ich unterwegs gewesen. Immer nur wegen dem scheiß Geld. Zwei Tage lang hatte ich Terror gemacht. Ihr

vorgehalten, das sie einen anderen Mann hat und mich deswegen verlässt. Dann kam ich zur Besinnung und sah ein, das sie Recht hat. Wenn es hoch kam, verbrachten wir einen ganzen Tag im Monat gemeinsam. Das war zu wenig. Es kam sogar vor, das ich drei Monate am Stück nicht nach Hause kommen konnte. Als ich mich wieder unter Kontrolle hatte, suchten wir gemeinsam einen Job in der Nähe unseres Hauses. Aber es war sinnlos. Mich wollte keiner haben. Für die einen war ich zu schlau und für die anderen hatte ich die falsche Ausbildung. Manche hatte gerade eine Entlassungswelle. Es war zum Haare ausreißen. Daher beschlossen wir, das

wir uns freundschaftlich trennen. Sie ließ den Keller ausbauen. Dafür nahm sie einen Kredit auf, für den ihr Eltern bürgten. Dort verbrachte ich die wenigen Nächte, die ich mal in der Nähe war. Bis sie einen neuen Mann kennenlernte. Ich machte ihr deswegen keinen Vorwurf. Schließlich hatten wir uns freundschaftlich getrennt und ich konnte von ihr nicht erwarten, das sie mir auf ewig treu bleibt. Sie hatte Bedürfnisse, die ich ihr nicht geben konnte, weil ich ständig unterwegs war. Fast zwei Jahre war sie mit ihm zusammen, als sie zu mir kam und mir sagte, das sie mit ihm zusammen ziehen will. Für mich hieß es, ausziehen. Aber

wohin? Ihr neuer Mann machte mir den Vorschlag, das ich in seine Wohnung ziehe. Das würde mir die lästige Wohnungssuche ersparen und er bräuchte sich nicht um die Entsorgung seines Inventars zu kümmern. Auch die dreimonatige Kündigungsfrist würde ihm erspart bleiben. Es hatte also einige Vorteile für ihn. Für mich aber auch. Ich hatte eine Bleibe in der Nähe meiner Familie. Und die Wohnung war günstig. Zwar ziemlich klein, aber ich brauchte eh nicht viel Platz. War ja kaum zu Hause. Den Wohnungstausch erledigten die Beiden gemeinsam, während ich dem lieben Geld hinterherjagte. Der Gedanke,

das sie einen neuen Mann hatte, gefiel mir nicht wirklich. Andererseits freute ich mich für sie, das sie wieder glücklich ist. Mich überfällt Müdigkeit. Fühle mich gelähmt. Wenigsten spüre ich so keine Schmerzen. Kann versuchen zu schlafen. Irgendwann wird jemand kommen und mich hier rausholen. Hoffentlich bald. Ich will endlich aus meinen Klamotten raus. Aus diesem stinkenden Wagen. Und Durst habe ich auch. Woher kommt das Licht? Kann man es nicht ausschalten? Es blendet ungemein. Oder ist es das weiße Licht, von dem so viele reden? Das Tor ins Jenseits. „Er wacht auf.“, höre ich jemanden

sagen. Die stimme klingt, als käme sie von weit her. Wo bin ich und wie kam ich hierher? Hat mich jemand gefunden und gerettet, oder träume ich das alles nur? Umrisse. Wenn das licht nicht so grell wäre, würde ich auch erkennen, wer da über mir ist. „Papa?“, höre ich flüstern. Mir ist leicht schwindlig. Alles dreht sich. Entweder habe ich den Unfall nur geträumt und ich war einfach nur stinkbesoffen, oder... Ich habe keine Ahnung. Langsam sehe ich klarer. Jetzt erkenne ich schon alles besser. Ich bin in einem Krankenhaus. Neben mir sind meine

Exfrau und mein Kind. Sie haben tränen in den Augen. Meinetwegen? Ich glaube, ich muss auch gleich weinen. „Wie geht es dir?“, fragt sie mich. „Abgesehen davon, das ich in einem Krankenhaus liege, geht es mir ganz gut. Seit wann liege ich hier und wie hat man mich gefunden?“ „Vor ein paar Tagen bekam ich einen Anruf. Sie sagten mir, das du einen Autounfall hattest. Daraufhin bin ich gleich hierher.“ „Mama war die ganze Zeit über bei dir gewesen. Ich musste in die blöde Schule.“ Ich kann nicht anders. Es ist die Freude, das ich ihr immer noch etwas bedeute.

Ihr nicht egal bin. Das mein Kind immer noch Papa zu mir sagt. „Was sagt dein Mann dazu, das du bei mir bist? Ist er nicht eifersüchtig deswegen?“ „Er weiß, das ich dich immer noch liebe und mich nur von dir getrennt habe, weil du so selten zu Hause warst.“ „Es tut mir leid. Ich wollte euch ein schönes Leben bieten. Wollte, das es euch an nichts fehlt. Jetzt weiß ich, das Geld nicht glücklich macht. Das man das Wichtigste im Leben nicht mit Geld bezahlen kann. - Erst verlor ich euch, nun bin ich auch meinen Job los. Es ist traurig. Wie sehr würde es mein Herz erfreuen, wenn wir endlich eine richtige

Familie wären.“ Sie lächelt.

0

Hörbuch

Über den Autor

Superlehrling

Leser-Statistik
5

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Zeige mehr Kommentare
10
0
0
Senden

123964
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung