HeiligabenD
Ich hasse es. Ja ich hasse es wirklich. Immer war es so. Warum sollte es jetzt anders sein? Jetzt wo er nicht da ist.
Es ist Heiligabend. Schon vor 10 Uhr gab es den ersten Streit. Mama und Papa saßen unten am Frühstückstisch und lösten wie immer Kreuzworträtsel. Ich setzte mich hinzu und wollte frühstücken, doch wie immer gab es kein Brot. Mama sagte mir Lena wäre unterwegs um Baguettes zu kaufen, aber die waren doch fürs Raclette? Ich war also schlecht gelaunt und pampte die beiden an. Ich weiß gar nicht wie es dazu kam aber plötzlich fuhr Papa Mama an, dass sie
gefälligst nicht alles tun soll was ich von ihr will. Das tat mir so weh. Also sagte ich ihm er solle doch gefälligst zum Bau fahren und da bleiben, weil er ja seit Monaten nichts anderes mehr im Kopf hat als das scheiß neue Haus. Warum habe ich nicht einfach den Mund gehalten? Schließlich stand mein Vater auf, zog sich um und fuhr los. Ich war so sauer auf mich selbst und meine ganze Familie, dass ich in mein Zimmer ging, die Geschenke von meinem Bett nahm und sie vor die Tür legte. Vor Wut nahm ich auch Bernds Briefe von meinem Schreibtisch, die er mir geschickt hatte damit ich sie heute an Heiligabend unter den Baum legen konnte. Ich schmiss sie auf den Stapel Geschenke und knallte die Tür zu, schloss ab, warf mich
aufs Bett und heulte erbarmungslos vor mich hin. Nachdem Lena wieder da war und bestimmt 10 Minuten an meine Tür gehämmert hat, kam Mama nach oben. Sie klopfte zaghaft gegen die Tür und sagte: "Maria, bitte. Sag irgendwas, dann lassen wir dich in Ruhe". Also rief ich ihr mit zuckersüßer Stimme zurück: "Frohe Weihnachten, ihr Arschlöcher". Ich hörte wie die beiden sich umdrehten und weggingen. Wieder fing ich an bitterlich zu weinen. Warum? Warum das ganze Theater? Ich wollte es dieses Jahr doch perfekt haben. Warum habe ich nicht einfach einmal den Mund gehalten. Nach einer halben Stunde hatte ich mich wieder einigermaßen beruhigt. Als dann meine kleine Schwester
aufgestanden war, die zuvor mit ihrem morgendlichen "halt die fresse" für eine Bombenstimmung gesorgt hatte, klopfte auch diese an meine Tür. "Maria bitte komm mit runter", flüsterte sie zögerlich. Ich hörte wie sie kurz die Luft anhielt und dann schwer einatmete. "Komm du wenigstens mit runter, wenn Bernd schon nicht da ist", sagte sie mit rauer Stimme und brach ab. Sie schluchzte. In dem Moment wusste ich es. Bernd. Er war der Grund. Der Grund für meine Gereiztheit die letzten Wochen und Monate. Nein. Es fing schon vor Jahren an. Ach was. Selbst als kleines Kind war ich ein Anhängsel. Bernds kleiner Schatten.