Kurzgeschichte
Im Moor leben ist gefährlich - Kleine Gruselgeschichte

Im Moor leben ist gefährlich

Hell und klar hatte die Aprilsonne den ganzen Tag über dem Moor gelegen. Jetzt aber, mit Anbruch der Dunkelheit, trieb ein eisiger Nordwestwind grauschwarze Regenwolken am Himmel entlang.

Die junge Frau des Automechanikers wartete gedankenlos am Fenster auf Ihren Mann, der zu einer wichtigen Arbeit noch einmal in die Stadt gefahren und längst hätte zurück sein müssen. Sie machte sich ernsthafte Sorgen, denn es regnete inzwischen in Strömen und der Wind hatte sich zu einem heftigen Sturm entwickelt. Es wurde ihr langsam unheimlich bei dem Gedanken, alleine bei solch einem Wetter zu Hause zu sein und weit und breit keinen Menschen zu haben. Plötzlich zuckte die junge Frau zusammen, hielt sich erschrocken die Hände vor den Mund und stieß einen leisen Schrei aus. Für Sekunden war durch die zerfetzten Wolken das helle Mondlicht in den Garten gefallen und sie hatte zwischen den gespenstisch schaukelnden alten Weiden eine Männergestalt gesehen. Panische Angst stieg in ihr auf, mit kräftigem Ruck zog sie die Gardine zusammen, setzte sich gebückt in die hinterste Ecke der Couch und starrte zum Fenster. Ihre Gedanken kreisten wild im Kopf umher: "Vielleicht Einbrecher oder Landstreicher, vielleicht nur ein verirrter Spaziergänger? Ganz egal -Polizei anrufen!" Ohne weiter zu überlegen, stürzte die junge Frau ans Telefon, riß den Hörer aus der Gabel, wählte hastig, lauschte -, nichts. Sie wählte noch einmal -, nichts, der Apparat war tot.
Jetzt erst kam die junge Frau langsam zur Besinnung und immer wieder sagte sie sich: ,,Du musst ruhig bleiben, ganz ruhig bleiben!" Allen Mut zusammengerafft, schlich sie zurück zum Fenster, drückte langsam die Gardinen einen Spalt breit zur Seite und warf einen kurzen ängstlichen Blick in den Garten. Da -, da war es wieder, sie hatte sich nicht getäuscht, eine Männergestalt bewegte sich zwischen den Bäumen. Langsam ließ sie den Vorhang zurückgleiten, huschte lautlos durchs Wohnzimmer, knipste die Deckenbeleuchtung aus, zündete eine Kerze an und stellte sie auf einen kleinen Tisch, der neben der Zimmertür stand. Vor Angst, mit den Nerven fast am Ende, rückte sie den schweren Wohnzimmertisch in Richtung Tür. Auf halbem Wege blieb sie jedoch erneut vor Schreck stehen. Ein Kloß steckte ihr im Hals, sie wagte kaum zu atmen. Obwohl der Wind laut heulte und der Regen immer stärker gegen die Fensterscheiben klatschte, hatte sie das Zufallen einer Tür oder eines Fensters gehört und jetzt kamen deutlich vernehmbar dumpfe Schritte den Korridor herunter. In ihrer Verzweiflung griff die junge Frau zu dem schmiedeeisernen Kerzenständer, blies die Kerze aus und baute sich schlagbereit neben dem Eingang auf. Sie hielt den Atem an, umklammerte den Kerzenständer noch fester als zuvor, wartete, bebte und horchte.
Langsam und fast geräuschlos wurde von außen der Türgriff heruntergedrückt. Die Tür öffnete sich einen Spalt, eine Hand schob sich hindurch, tastete an der Wand auf und ab, berührte den Lichtschalter, die Tür flog auf.

Die zitternde Hand mit dem Kerzenständer sauste herab. Doch der verfehlte sein Ziel. Blitzschnell hatte der Mann den Arm der jungen Frau gepackt und ihr die eiserne Waffe entrissen. Jetzt standen sich beide mit weit aufgerissenen Augen gegenüber, wie aus einem Munde riefen sie: ,,Was, - Du ?"
,,Ja, ich", fauchte der pudelnasse und kreidebleich gewordene Ehemann, "ich bin es, Dein Mann, der bis spät in die Nacht hinein arbeitet, und ich bin es auch, der leise nach Hause kommt, um Dich nicht zu wecken und dann von Dir überfallen wird ! - Sag mal, wie kamst Du eigentlich auf solch eine Idee?"

Halb lachend, halb weinend antwortete die junge Frau: ,,Ich habe in der Dunkelheit im Garten zwischen den Weiden eine Gestalt gesehen und da glaubte ich an..."
Sie konnte ihren Satz nicht beenden, ihr Mann nahm ihr das Wort aus dem Mund: ,,Einbrecher, nicht wahr? Weißt Du wer der Einbrecher war? - Mein Arbeitsanzug, genauer gesagt, mein Overall, den Du vergessen hast hereinzuholen. Ich habe ihn vorhin von der Leine genommen und in der Waschküche aufgehängt."
Die junge Frau lachte jetzt lauthals auf, nahm ihren Mann in die Arme und flüsterte: ,,Es tut mir ja so Leid, mein Schatz, aber Du weißt doch - im Moor leben ist gefährlich!"