Zum Wohle, liebes Leben
Komisch war es schon, wenn ich am Rhein saß und dem Qualm der Kamine zusah. Er zog in eine Richtung, löste sich langsam auf und verschwand im blauen Nichts. Er erinnerte mich an mich selber, auf den Straßen meines Lebens.
Auch ich hatte nichts hinterlassen, außer einem faden Beigeschmack von Versagen. Gerthie hatte mich verlassen, als ich meinen Job verlor. Sie nahm die Kinder mit und hinterließ mir den Geruch unserer Wohnung. Still war es
seitdem. Keiner lachte, keiner weinte. Und keiner lebte mehr in diesen Räumen.
Ich wollte eigentlich renovieren, als Zeichen des Neuanfanges, aber ich hatte es nie geschafft. Zu schwer war die Resignation. Sie lag wie eine Jacke aus Blei auf meinen Schultern und schränkte meine Entscheidungen ein.
“Das Leben muss weitergehen.” Ich hörte es von so vielen Menschen. Von Menschen mit glücklichen Familien und Vätern mit Einkommen. Es war leicht gute Rezepte zu verteilen, wenn man selber keinen Dreck essen musste. Aber sie meinten es gut. Alle meinten es immer nur
gut.
Irgendwann fing ich an zu saufen. Es machte vieles leichter und ich träumte wieder in Farben. Morgens trank ich schon zwei, drei Jägermeister um meinen Level auf Betriebstemperatur zu bekommen. Dann über den Tag verteilt eine Flasche Wodka und wenn noch Kohle übrig blieb, vielleicht noch ein paar Flaschen Bier dazu. Ich trank alleine, nie mit anderen. Ich hatte Angst vor Resozialisierung.
Das einzige was mir geblieben war, war mein Intellekt. Nicht sehr viel, aber ich hielt mich daran fest und redete mir ein, dass ich aufgrund meines Intellektes
etwas besseres sei als die anderen Trinker. So was wie ein schlauer Säufer.
Wofür das auch immer gut sein sollte. Es war mir egal. Ich hatte keine Alternativen, die so gestaltet waren, dass die überhaupt einen einzigen Gedanken wert waren.
Ich fing an wirre Gedichte zu schreiben. Sie handelten vom gescheiterten Leben, von willigen Frauen und von Sonne.
Lebenswegdillemma
Erbreche Leben auf kalten Asphalt
und ertränke
die Notwendigkeit des Atmens
in einem Eimer aus zerbrochenen
Träumen.
Lebenswegdilemma
Vergehe mich an meinen Hoffnungen
und töte ihre kleinen Funken
im Delirium der Ignoranz.
Sie waren alle gleich. Manchmal schrieb ich fünfzig Gedichte am Tag. Identische, geklonte Beschreibungen meiner eigenen Befindlichkeit. Ich versteckte mich hinter ihnen, wie hinter einer Wand aus Worten. Aber sie schützten nicht besonders gut.
Der Gestank der Ignoranz wehte leicht und beständig durch sie hindurch. Ich konnte es riechen und fühlen. Es waren vielleicht noch ein, zwei Schritte und
dann war ich selber Geschichte. Eine schlechte, nicht zu Ende geschriebene Geschichte. Mehr nicht.
Ich wusste sehr genau, dass ich ein paar Seiten einfügen musste, um das vorhersehbare Ende umzuschreiben, aber meine innere Antriebsfeder war gebrochen und das Uhrwerk meiner Energie stand still. Ich hatte keine Ideen mehr, außer das mich zerfressende Warten.
Warten auf ein Wunder, ein Zeichen, oder eine Begegnung, die mich an den Haaren aus dem Sumpf meiner Unbeweglichkeit riss.
Also trank ich auf das was kommen
würde. Auf all das, was ich nicht mehr verlieren würde und auf die Träume, die ich nicht mehr hatte.
Zum Wohle, liebes Leben.