Jugendbücher
Denn es beginnt...

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"Denn es beginnt..."
Veröffentlicht am 21. Oktober 2014, 24 Seiten
Kategorie Jugendbücher
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Denn es beginnt...

Denn es beginnt...

Onkel Seymour..

„Dennis, du musst jetzt ganz tapfer sein!“ sagte sie mit feuchten, geröteten Augen. Fest umklammerte sie seine rechte Hand. Wie ein filigranes Wurzelwerk verharkten sich ihre schmalen Finger um die Seinen und ließen ihn nicht mehr los. Sie war vor einer halben Stunde mit dem Telefon am Ohr in der Küche verschwunden. Dass der Anruf wichtig gewesen sein musste hatte Dennis gleich bemerkt. Normalerweise verließ seine Mutter nämlich nicht extra den Raum um in Ruhe zu telefonieren. Doch dieses Mal war es anders. Dieses Mal schloss sie

sogar die Tür hinter sich um Dennis nicht mithören zu lassen. „Es geht um...“ Ihr Blick wanderte nun schräg nach links an ihm vorbei und verlor sich neben ihm. Es war etwas passiert. Das war Dennis klar. Etwas schlimmes. War jemand gestorben? Ein Autounfall? Eine Herzattacke? Oder wurde jemand schwerwiegend verletzt? Lag jetzt irgendwo Jemand von Kopf bis Fuß gelähmt im Krankenhaus und musste künstlich beatmet werden? Würde dieser Jemand je wieder laufen können? Sprechen? Ein normales und glückliches Leben fortführen können? Egal was jetzt kommen würde, Dennis wäre bereit. „...dein Onkel, Dennis... Onkel

Seymour...“ Mit einem kurzen Schniefen unterbrach sie den Satz. Als würde sie noch ein weiteres Mal Anlauf nehmen wollen. Die Stille wurde unangenehmer mit jedem weiteren Moment. „Dein Onkel Seymour... er ist tot.“ Nun brach der Damm völlig in sich zuammen. Alles was Dennis Mutter bis eben noch versucht hatte im Zaum zu halten ergoss sich in einem kläglichem Jammern und Wimmern über ihn. Im nächsten Augenblick packte sie Dennis auch schon und zog ihn an sich heran. Sein Handgelenk bekam endlich die Gelegenheit sich zu lockern da ihre zitternden Hände jetzt seinen Hinterkopf gegen ihre Schulter drückten. Ihre heißen

Tränen verwischten im Stoff seiner Strickjacke als sie wiederum ihr Gesicht in seiner Schulter vergrub. „Alles ist gut Dennis, schon gut.“ schluchzte sie fast unverständlich. „Alles ist gut...“ Dies wäre wohl einer der emotionalsten Momente in Dennis Leben gewesen an die man sich später im Leben schmerzhaft zurückerinnert. Die einem helfen erwachsen zu werden. Die einen Menschen zu dem formen was er später ist. „Alles ist gut!“ hallte es in Dennis Kopf wieder. „Alles ist gut!“ Onkel Seymour war tot. Onkel Seymour. Sein Onkel.

Seymour.. „Wer zum Geier ist denn Onkel Seymour?“ hätte Dennis jetzt liebend gerne gefragt. Nein ehrlich, er hatte keine Ahnung. Onkel Seymour? Nicht einmal der Name war ihm geläufig. Es gibt jemanden in seiner Familie der so heißt? Oder wohl eher, 'der so hieß?' Unglaublich. Diese Info musste völlig an Dennis vorbei gegangen sein. Naja wie dem auch sei, seine Mutter schien dieser Todesfall schwer getroffen zu haben. Es hätte diesen liebevollen Moment sowieso nur komplett zerstört hätte er er jetzt etwas gesagt. Also schwieg Dennis erstmal und spielte mit.

„Dennis..“ Endlich erhob sich ihr Kopf wieder aus den nun völlig feuchten und aufgeweichten Tiefen seiner Schulter. „...Dennis, es kommt der Tag im Leben eines jeden Menschen an dem wir uns voneinander verabschieden müssen.“ Ihr Gesicht wirkte nun komplett durch den Wind. Ihre Wangen und Augen waren feuerrot. Ihre Nase lief und triefte. Dennis kam der unangenehme Gedanke dass sich ein Großteil dessen was aus ihrer Nase kam jetzt auf seiner Schulter befand. Ihr Lidschatten war verwischt. Ihre Haare waren unnatürlich blond. Aber letzteres hatte mit der Gesamtsituation relativ wenig zu tun. Vor einer Woche hatte sie sich ihre

ursprünglich brünetten Haare zum ersten Mal blondiert. Im Grunde genommen sah es ziemlich lächerlich aus. Dennis Mutter war normalerweise eine gutaussehende Frau gewesen. Die 39 Jahre sah man ihr meistens nicht an. Bis zu jenem Tage. Jener Tag an dem sie ehrlich glaubte dass die Farbe Blond ihr gut stehen würde. Völliger Quatsch. Aber zu spät, 'Alea Lacta est'... Die Würfel waren gefallen. Die Frisur endgültig entstellt. Nun fuhr sie endlich fort: „...manche Menschen früher als andere...“ Dennis überlegte kurz angestrengt darüber nach wie ihr Satz nochmal angefangen hatte. „...doch du darfst nie vergessen dass diese Menschen

dann an einen besseren Ort ziehen. Ein Ort ohne Leid. Ein Ort von dem aus sie uns beobachten und leiten können auf unserem Weg den wir noch beschreiten werden.“ >Alea Lacta est..< fuhr es Dennis nocheinmal durch den Kopf. >Alea Lacta est. Hieß das überhaupt so? Oder ging der Spruch anders? Verdammt.< Dabei war Dennis doch sogar im Lateinunterricht der 11. Klasse. Im Gegensatz zu vielen anderen Seiner Klassenstufe hatte Dennis Latein nicht abgewählt als es um die Wahl der Prüfungsfächer ging. Er dachte sich damals: >Bio und Latein, das klingt gut! Das nehm ich. Dann werd ich Arzt. Dann werd ich reich. Und dann... naja...

dann... dann kann ich halt allen erzählen dass ich Arzt bin! Das klingt immer gut. Da staunt dann jeder.< Jetzt bereute er es diese Entscheidung getroffen zu haben. Latein entpuppte sich als ein Fach in dem man seinen Kopf träge auf den rechten Arm stützt und ungeduldig dem Sekundenzeiger der Wanduhr folgt. Oft geschah es dass Dennis diese Zeit im Unterricht nutzte um ein wenig abzuschweifen. Für einen Augenblick verlor er dann völliges Interesse für den spannenden Vortrag seines Lehrers. Er schweifte einfach ab und ließ sich treiben. Weit weg. Wo er in Ruhe über die wichtigen Dinge im Leben nachdenken konnte. Über die Zukunft,

über Gefühle, über Mädchen, über Videospiele oder aber über alles andere. Nur nicht über den Unterricht. Würde der Lehrer etwas wichtiges erzählen so würde er es im Nachhinein doch hoffentlich auch an die Tafel schreiben. Dennis war im Grunde genommen extrem leicht abzulenken. Er konnte gar nichts dafür. Sein Bewusstsein war wie ein... Schiff. Mit Segeln. Und ohne Mannschaft. Weht der Wind nach Osten so hatte er gar keine Wahl als diesem zu folgen. Wechselt er gen Westen so dreht er sich mit. Auf hoher See folgen die Gedanken nun mal immer dem Wellengang. Also mit anderen Worten, immer weg vom Unterricht. Er war ein

typischer Tagträumer. Doch das war nicht schlimm. „...Oder etwa nicht?“ fragte seine Mutter und sah ihn verständnisvoll in die Augen. >Verdammt.< Er hatte seiner Mutter die letzten Minuten gar nicht zugehört. Sollte er jetzt nicken? Oder den Kopf schütteln? Seine Mutter blickte ihm abwechselnd vom linken ins rechte Auge. >Nicken? Kopfschütteln?< Er entschied sich dafür vorsichtig, mit gesenktem Blick, zu nicken. „Das ist mein Junge.“ sagte sie glücklich und drückte ihn erneut an sich. „Immer den Kopf hochhalten Dennis, so ist das eben im Leben.“ >Alea

Iacta est!< fiel es ihm urplötzlich wieder ein! >Ja genau so hieß es.< dachte er sich. Die Stimmung hatte sich etwas beruhigt. Die rötlich Gesichtsfarbe verzog sich allmählich wieder aus der Miene seiner Mutter. „Aber wenn du mitkommst brauchst du noch etwas zum Anziehen. Am besten in Schwarz. Vielleicht sollten wir dir noch einen Anzug besorgen“ Ok, irgendwas wichtiges hatte er anscheinend doch verpasst. „Die Beerdigung ist am Sonntag. Es werden sehr viele Verwandte kommen. Ein Anzug wird einen guten Eindruck machen. Gut, ich rufe am besten auch noch Tante Nadja an. Wer weiß ob sie

das mit Onkel Seymour überhaupt schon gehört hat?“ >Tante Nadja?< fragte sich Dennis. >Ich habe nicht nur einen toten Onkel Seymour von dem ich noch nie etwas gehört habe sondern auch noch eine Tante Nadja?< „Ich hab dich lieb!“ sagte seine Mutter, fuhr Dennis nocheinmal durchs Haar und ging zurück in die Küche um das Telefon zu suchen. >Wo kommen die denn plötzlich alle her? Habe ich Nadja und Seymour überhaupt schonmal getroffen? Sind sie mit meiner Mutter verwandt oder mit meinem Vater? Vielleicht nennen sie auch bloß alle Onkel und Tante weil es gut klingt.. Vielleicht sind wir ja nicht einmal verwandt.< Dennis

Gedankengänge führten ihn letztendlich im Kreis weshalb er es für das beste hielt sie zu unterbrechen. Früher oder Später würde er schon herausfinden wer Onkel Seymour war. Oder Tante Nadja... Es war Donnerstag. Einer dieser typischen Donnerstage im Leben eines jeden Siebzehnjährigen. Die von denen man irgendwie das Gefühl hat dass sie überhaupt nicht so richtig in die Woche passen. Die die einem richtig den Tag vermiesen. Das fängt meist schon morgens an. Man wacht auf, ist komplett übermüdet und denkt sich >Man, ein Glück das heute schon Freitag ist.< Dann gähnt man ausgiebig, steht auf. Zieht sich seine Hose an. Den Pullover.

Danach die Socken. Einen Moment später trifft einen dann der Blitz. >Verdammt. Heute ist Donnerstag... morgen kommt erst Freitag.< Vierundzwanzig zusätzliche Stunden haben sich dann soeben in deinen Verstand geschlichen und legen sich dreist zwischen dich und das verdiente Wochenende. Einer dieser unnötigen, frechen Donnerstage war heute. Dennis war gerade erst zurück aus der Schule gekommen als seine Mutter ihn mit der traurigen Botschaft von seinem Onkel Seymour überfallen hatte. Es war nicht so dass Dennis respektlos gegenüber den Toten erscheinen wollte. Wenn ein Mensch stirbt dann ist das tragisch. Sehr

tragisch. Stirbt ein geliebtes Mitglied der Familie so ist das sogar noch um einiges tragischer. Das war Dennis klar. Tragisch war es allerdings ebenso dass er keine Ahnung hatte wer Onkel Seymour überhaupt war und dass er nun auch noch wegen ihm seinen gesamten Sonntag auf einem Friedhof verbringen musste. >Wieso denn ausgerechnet Sonntag?< Wäre es ein Wochentag gewesen so hätte er wenigstens nicht in die Schule gehen müssen. Aber Sonntag? Sonntage sind die kleinen freien Tage der Woche die nötig sind für die Balance zwischen Unterricht und Freizeit. Zwar sind sie nicht so cool wie ihr großer Bruder, der Samstag, da man

nicht so lange aufbleiben kann. Allerdings fast so cool wie der Freitag weil man wenigstens genug Zeit zum ausschlafen hat. Und Ausschlafen machte Dennis ein wenig mehr Spaß als Lange aufbleiben. Plötzlich vibrierte etwas in Dennis Tasche zwei mal hintereinander. Er fuhr mit den Fingern in seine Jeans und zog sein altes Handy raus. Es war ein altes klobiges Mobiltelefon mit kleinem Display und einem Tastenfeld darunter. Seine Freunde hatten alle schon die neuen Handys mit den 'touch-screens' doch Dennis wollte gar kein neues. Er liebte dieses Handy. Es war bisher mit ihm durch dick und dünn gegangen und

hatte schon so einiges erlebt und überlebt. Vor ein paar Jahren war es ihm beim Fahrradfahren eines Tages mal ausversehen aus der Tasche gefallen. Es landete nach einigen Hoppsern direkt auf dem Gehweg. Erst später im Laufe des Tages bemerkte er dass es plötzlich verschwunden war. Auf dem Rückweg dann am Abend fand er es an der gleichen Stelle wieder. Es hatte den ganzen Tag genieselt. Nicht nur dass das Handy den Sturz überlebt hatte war unglaublich, Nein. Es hatte nicht einmal den geringsten Wasserschaden vom Regenfall davongetragen. Und das Unglaublichste, allerdings auch irgendwie traurigste, an der ganzen

Geschichte war dass sich niemand an diesem Tag dazu genötigt gefühlt hatte sich zu bücken und dieses Handy einfach schnell mitzunehmen. Weil es schlichtweg außer Dennis niemand haben wollte. Falls Dennis es jemals loswerden wollte so müsste er demjenigen wahrscheinlich auch noch Geld bezahlen dem er es verkaufen wollte. Traurig aber wahr. „Kommst lang?? Hab i.wie LW bro“ schrieb Dennis bester Kumpel Oliver. Dennis erinnerte sich daran wie er mal seinem Vater versucht hatte gängige SMS-Kürzel von Heute zu erklären. Das 'i.wie' ist einfach nur eine Abkürzung für 'irgendwie'. 'LW' steht für

'Langweile' und 'bro' ist Englisch für 'Brother' was im Deutschen so viel wie Bruder oder Freund bedeutet. >In einem Zeitalter der Technik und des Fortschrittes kommen alte Leute eben nur noch immer langsamer mit. Aber es verdenkt ihnen ja niemand. Um die Kommunikation von Heute genau zu durchschauen braucht man eben eine gewisse, höherentwickelte Art zu Denken. Eine kompakte und knackige Denkweise. Das hebt die jungen Leute nun mal von den Alten ab. Doch glücklicherweise bin ich ja da um die Schwachen und Unwissenden an die Hand zu nehmen und sie durch diese Zeit erfolgreich zu leiten.< dachte sich

Dennis und grinste stolz in sich hinein. Sein Handy brummte erneut auf. „H.Ü.S. ne, also los!“ Dennis starrte eine Weile verdutzt auf die Nachricht „H.Ü.S.“.>H.Ü.S.< flüsterte er leise vor sich her. >H.Ü.S...< Nachdem er mehrere Kombinationen der Übersetzung von H.Ü.S. ohne Ergebnis durchgegangen war kam er zu dem Entschluss dass auch nicht jede Abkürzung eine Bedeutung tragen muss. Er würde sie einfach ignorieren und hoffen dass Oliver es niemals wieder schreibt. „Nope keine Zeit.. Hab Fahrschule“, antwortete Dennis ihm. Ja, Dennis lernte momentan die korrekte

Führung eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr. Heute lag seine erste Praxis-Stunde an.


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Über den Autor

bastian

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Ninamy67 Gute Geschichten lesen sich von Anfang an dynamisch! Da kommt aber noch mehr, stimmts?
Hat mir sehr gut gefallen! !!

Lg
Nina
Vor langer Zeit - Antworten
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