Biografien & Erinnerungen
225 Tage in Südamerika - 5. Teil - Bolivien

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"Es wird bitter kalt auf dem Salzsee..."
Veröffentlicht am 25. Oktober 2014, 30 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Mit dem Expeditionsmobil in der Welt unterwegs ... Im "normalen" Leben wohne ich bei Winterthur (CH) und arbeite im Büro, wo sich alles um Wörter dreht, in gesprochener oder geschriebener Form. Privat kritzle ich nur für mich, auf Reisen blogge ich meine Erlebnisse für Freunde. Felicitas Amarillo ist mein Pseudonym. Aktueller Standort (Winterquartier): San Miguel de Allende, Guanajuato, Mexiko
Es wird bitter kalt auf dem Salzsee...

225 Tage in Südamerika - 5. Teil - Bolivien

Vorwort 225 Tage in Südamerika erscheint in mehreren Teilen. Der erste Teil Die Überfahrt erzählt die Reise von der Schweiz nach Frankreich und der nachfolgenden Atlantiküberquerung in einem Frachtschiff. Im zweiten Teil Uruguay wird von den ersten Reiseeindrücken durch Uruguay erzählt.


Der dritte Teil Argentinien beschreibt die Fahrt von Osten nach Westen, durch die Pampa und über Berge bis in die Nationalparks Ischigualasto und Talampaya. Im vierten Teil Nord-Argentinien stottert unser altes Expeditionsmobil über einen Pass auf fast 5000 MüM, an Flamingos vorbei um an die Grenze Boliviens zu gelangen. Text © by Amarillo Bildermaterial © by Amarillo

Oktober 2014

Bolivien An der Grenze Argentinien-Bolivien herrscht ein unbeschreibliches Treiben. Menschenmassen mit vollbeladenen Handkarren stehen vor dem Grenzübergang Schlange um Ware von Argentinien nach Bolivien zu transportieren. Vor und nach der Grenze rennen die Transporteure. Es sind viele Frauen darunter, deren bunten Röcken im Wind flattern. Da wir im Schatten warten müssen, bis wir die diversen Stempel erhalten, hier ein Papier abgeben, dort wieder ein neues Ausfüllen, ist es in diesen 90 Minuten bitterkalt. Wir, das heisst unsere Freunde

mit dem MAN und dem Toyota Landcruiser, schlängeln uns durch das geschäftige Villazon, bevor wir auf eine gute Asphaltstrasse kommen und bis nach Tupiza fahren.

Auf der Karte scheint der Salar de Uyuni gleich um die Ecke zu sein.

Tatsächlich sind es von der Grenze auch nur etwa 250 km. Das erste Fünftel des Weges ist asphaltiert, der Rest Schotter der übelsten Sorte. Wir benötigen für die Strecke vier Tage, begegnen fast keiner Menschenseele und befinden uns ständig auf einer Höhe von 3‘700 Meter. Sobald die Sonne untergeht, ist es bitterkalt. In der dritten Nacht parkieren wir unsere Fahrzeuge in einem breiten Flussbett, dessen wenig Wasser über Nacht gefroren ist. Am Morgen haben wir einmal mehr Mühe, unsere Motoren in Gang zu bringen. Trotz Dieseladditiv geliert der Treibstoff. Spätestens nachdem die Sonne die Dieseltanks etwas gewärmt hat, springt der Motor,

begleitet von einer dicken Rauchwolke, die in den Farben Grau, Blau und Schwarz schimmert, an.

Wir fahren, wie auch die Einheimischen, im Flussbett weiter, da diese Piste besser ist als die Schotterstrasse und kommen um eine grosse Rechtsbiegung. Am Berghang liegt Atocha, welches von

der Morgensonne angestrahlt wird und ich fühle mich in einer meiner historischen Romane, die ich so gerne lese, versetzt. Das Dorf besteht aus kleinen, einstöckigen Adobe-Häusern, die alle eng ineinander verschachtelt am Hang liegen. Am Flussufer ist das Dorf von einer Mauer umgeben an der Hunde durch den Unrat schleichen, Hühner pickend umhergackern und Schweine sich im Matsch suhlen. Die Dorfeinfahrt vom Fluss her führt durch eine tiefe Furt und für die Fussgänger wurde ein wackeliges Brett über das Nass gelegt. Die Piste durchs Dorf ist eng und steil und viele Menschen sind schon unterwegs. Aus vielen Kaminen qualmt

es und ich sehe eine alte Frau, die sich im Freien die Zähne putzt. Wieder, wie schon oft auf dieser Reise, stell ich mir die Frage, wie mein Leben hier verlaufen würde. Ich muss nicht zum Mars fliegen, um eine andere Welt zu sehen. Sie liegt direkt vor mir. Wir lassen Atocha hinter uns und kommen in eine fast menschenleere Gegend. Die Piste hat alles zu bieten, Löcher, Wellblech und sogar Sandabschnitte.

Bevor wir den Salzsee besuchen, übernachten wir beim Lokomotiven-Friedhof vor dem Städtchen Uyuni. Hier schlagen die Herzen der „Schraubensam- mler“ höher, kann man doch ungeniert durch die alten rostigen Lokomotiven schlendern. Der MAN benötigt hier einen Tag für Reparaturarbeiten.

Je nach Jahreszeit kann die Einfahrt auf die grösste Salzfläche der Erde (160 km lang und 135 km breit) etwas weich sein, doch wir haben Glück. Bald rollen unsere Räder über festen Boden und das herrliche Weiss. Das Salz wird von vermummten Männern mit Äxten geschlagen, welches in einer Salzmühle

weiterverarbeitet wird. Die Jahresproduktion liegt bei 20‘000 Tonnen. Die hohen Lithiumvorkommen (vermutet wird 75% des Weltvorkommens) unter dem Salar wurden bis heute noch nicht geborgen. Die Fahrt bis zur Insel Inkahuasi ist ein reines Vergnügen nach der rumpligen Piste der letzten Tage. Und ich bekomme meine erste Fahrstunde im LKW.

Im Blickfeld der Insel übernachten wir bei eisigen Temperaturen von -14°C und bestaunen das Sternenmeer. Wir verlassen nord-östlich den Salzsee und lassen rechterhand den Vulkan Tunupa hinter uns. Wir staunen nicht schlecht, als die Piste in einen Weg mündet und dieser eher wie ein trockenes, steiniges

Bachbett aussieht. Wir fahren nur noch 10 km/h. Unser Fahrzeug fängt durch diese stundenlangen Vibrationen an zu leiden. Täglich müssen wir an den grösseren Fahrzeugen etwas flicken. Die Dachrinne an unserem Iveco bricht und wir müssen behelfsmässige Reparatur durchführen, damit der Dachträger noch hält. Ein kleines elektrisches Problem wird auf der Piste behoben. Beim MAN bricht der Dachträger und Dichtungen müssen ersetzt werden. Doch wir können jedes Mal nach ein bis zwei Stunden weiterfahren.

Irgendwann kommen wir endlich auf Asphalt. Für die 300 km (Uyuni-Oruro) benötigen wir drei Tage. Unsere täglich Fahrzeit liegt bei zehn Stunden und unser Iveco verbraucht in dieser Höhe (3500-4000 MüM) und der schlechten Piste 30 lt. Diesel auf 100 km, 10 lt. mehr als der sonstige Durchschnit.

Von Oruro nach La Paz sind es 203 km. Die Autobahn ist im Bau und somit rollen wir 1 km auf dem neuen glatten Asphalt und ruckeln dann wieder 5 km auf der übel zugerichteten alten zerbröckelten Asphalt- oder gar Schotterstrasse. Wir benötigen einen ganzen Tag bis wir in El Alto, den

millionengrossen Vorort von La Paz im Stau ankommen.

Zur einzigen Campingmöglichkeit in La Paz könnten wir auch über eine Umfahrungsstrasse gelangen, doch wir wollen das ganze Paket: Den genialen Ausblick vom El Alto in den Talkessel La Paz hinein bestaunen, neben der San

Francisco-Kirche vorbeifahren und durch das Stadtzentrum brausen.

Jedoch geht heute alles langsam, da wir im Abendverkehr nur im Schritttempo vorwärtskommen. Wir machen uns Sorgen wegen unseres Luftdruckes. Seit einer Stunde sind wir am Bremsen und es geht immer weiter bergab. Ohne Fahrt

bekommt der Druckluftkessel keinen neuen Luftdruck. Doch schlussendlich genügt unsere Luftdruckreserve. Von El Alto kommend, geht es etwa 800 Höhenmeter in den Talkessel hinunter bis wir die riesige Stadt hinter uns lassen und im Mondtal im Camping Hotel Oberland spät abends einchecken.

Von hier aus können wir mit dem Bus oder Taxi ins Stadtzentrum fahren und uns die Sehenswürdigkeiten ansehen. La Paz ist ein Gemisch aus Moderne und Kultur. Cholos und Cholas sind Mestizen, das Ergebnis der Vermischung von Spaniern und Indigenas während der Kolonialzeit. Cholas kleiden sich heute noch mit ihrem typischem pollera, einem breiten Faltenrock mit diversen Unterröcken aus bunten und oft glitzernden Stoffen, werfen sich eine Schultertuch, die mantilla, welches aus dem Spanien des 18. Jahrhundert stammt, um und tragen den englischer Bowler aufrecht auf ihrem blauschwarzen

und zu Zöpfen gebundenen hüftlangen Haar. Der Bowler, wird vermutet, wurde von der Kaiserin Eugenie in die Pariser Hutmode eingeführt. Als dieser in Europa keiner mehr tragen wollte, schickte die Hutfabrik Borsalino die Lagerbestände nach Südamerika. Von Arica kam der Bowler nach La Paz, wo er auf den Köpfen der Cholas thronte. Eine neue Tradition war geboren.

Die Seele von La Paz ist nicht in den noblen Restaurants, den Baar oder auf den schönen Plätzen oder gar in der Kathedrale zu finden. Die Seele von La Paz ist der Markt, der sich direkt oberhalb der Kirche San Francisco befindet. Hier gibt es alles zu kaufen, von Kartoffeln bis High-Tech, weiter zu

schottischem Whisky bis zu Outdoor-Artikel, Meerschweinchen und die beliebten Lamafötusse, die als Glücksbringer gelten und in jedes Haus eingemauert werden. Wir schlendern durch den Markt, erfreuen uns ab dem bunten Treiben, gelangen über schmale Gassen in Innenhöfe und überwinden viele Treppen und müssen dabei ungleich oft Luft holen, da wir die dünne Luft zu spüren bekommen.

Wir verbringen 16 Tage in La Paz. Unser Iveco bekommt in einer LKW-Werkstatt, die von einem Deutschstämmigen geführt wird, eine neue Dachrinne und

einen neuen Simmering der Kardanwelle an der Vorderachse. Die Arbeiter benötigen fünf Tage und wir dürfen in der Werkstatt übernachten. Zum Mittag werden wir in die Kantine eingeladen. Zwei Bolivianerinnen kochen leckeres Essen. Als Vorspeise gibt es eine feine Suppe und danach einen Teller mit Fleisch, meistens als Ragout und dazu Kartoffeln, Reis oder Quinoa (Getreide). Zurück auf im Camping Hotel Oberland bereiten wir uns auf die Weiterreise in den Norden vor.




Gefahrene Strecke in Bolivien 1‘154 km (25.06-18.07.2013)


 


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Amarillo
Mit dem Expeditionsmobil in der Welt unterwegs ...

Im "normalen" Leben wohne ich bei Winterthur (CH) und arbeite im Büro, wo sich alles um Wörter dreht, in gesprochener oder geschriebener Form. Privat kritzle ich nur für mich, auf Reisen blogge ich meine Erlebnisse für Freunde.

Felicitas Amarillo ist mein Pseudonym.

Aktueller Standort (Winterquartier): San Miguel de Allende, Guanajuato, Mexiko

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KaraList Ich bin selbst viel gereist ... auch Down Under ist mir nicht fremd ... doch diese faszinierende Welt Südamerikas kenne ich nicht. Bemerkenswert, wie anschaulich Du Deine Eindrücke und Erlebnisse präsentierst. Ich bin begeistert und freue mich auf Deinen nächsten Bericht. Die Fotos sind toll!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Anhand Deiner schön bebilderten Reisebeschreibung kann man das Ganze fast real miterleben. Danke, dass ich dabei sein durfte.

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
GertraudW 
Wieder einmal ganz toll geschrieben liebe Feli, da hat man wirklich das Gefühl dabei zu sein. Die Bilder dazu runden das Ganze wunderschön ab.
Ich freue mich auf die Fortsetzung und wünsche Euch weiterhin gute Fahrt und bleibt gesund.
Liebe Grüße an Dich und Deine "Gefährten"
Gertraud
Vor langer Zeit - Antworten
Bleistift 
"225 Tage in Südamerika - 5. Teil - Bolivien"
Das ist wirklich eine spannende Reise
und Du erzählst sie so interessant,
dass man sich dabei auch alles gut vorzustellen vermag.
Die passend eingestreuten Bilder dazu, ergänzen übrigens deine Reisegeschichte vortrefflich.
Wenn die Bolivianer an das Lithium unter dem Salzsee herankämen und es abbauen könnten, wären sie gewiss in Windeseile steinreich...
Und ich bin schon mal gespannt auf die nächste Fortsetzung dieses Abenteruers...
LG Louis :-)
Vor langer Zeit - Antworten
EllaWolke Ich freue mich immer auf Deine Reiseberichte, bringst Du mich doch in eine ferne Welt und lässt mich lebhaft teilhaben an Euren Abenteuern.
Du bebilderst dazu Deine Bücher wunderschön und so kann ich als Leser Wort und Bild wunderschön verknüpfen.
DANKE für diese Eindrücke
Liebe Grüße zu Dir
Bis bald :)
Ella
Vor langer Zeit - Antworten
abschuetze Oh man, das ist ja wirklich wie im Abenteuerfilm. Und ja, du hast da wohl recht, was will der Mensch auf dem Mars, wenn er hier nicht mal alles kennt. Es gibt so viel zu entdecken für jeden Einzelnen. Nun ich entdecke es mit euch zusammen. Danke für deine Reisebeschreibungen.

Herzlich e Grüße aus dem nun kälter werdenden Berlin von Antje :))
Vor langer Zeit - Antworten
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