Fantasy & Horror
Schwarzer Rauch / AB 14 JAHRE! - Brennendes Land Part 2

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"Der letzte Kampf um die Welt 2.Teil / AB 14 JAHRE!"
Veröffentlicht am 05. Oktober 2014, 348 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Der letzte Kampf um die Welt 2.Teil / AB 14 JAHRE!

Schwarzer Rauch / AB 14 JAHRE! - Brennendes Land Part 2

Titel

Henry Wolff Der letzte Kampf um die Welt Zweiter Teil Brennendes Land Leseprobe Part II – Schwarzer Rauch Version

1.00 Altersempfehlung: ab 14 Jahren Belletristik: Jugendliteratur Genre: Fantasy, Abenteuer Teil der Reihe: Der letzte Kampf um die Welt (Brennendes Land) Meta: Fantasy, Roman, Zwerge, Riesen, Elfen, Zauberer, Magie, Kobold, Drachen, Wolf, Werwolf, Götter, Druide, Götterdämmerung, Abenteuer, Odin, Walküre, Walhalla, Asgard, Norne, Fenriswolf, Hel, Thor, Kampf, Schwert, Nibelungen, Wikinger, Alben, Midgard,

Räuber, Troll, Burg, Ritter, Rüstung


© 2013 by Henry Wolff Illustration by Henry Wolff  

Klappentext

Thoralf verrichtet auf der Schicksalebene seinen Dienst im Auftrag der Schicksalsnornen und macht eine unverhoffte Bekanntschaft. Odin schickt Thor, um mit der Macht des Gottes die Krone Asgards zu erringen. Der Vampirfürst folgt dem Zauberer zum Wehrwall, während der Fenriswolf versucht, sich von den Ketten der Götter zu befreien. Sindri nähert sich mit einer Heerschar Zwerge dem Donnergebirge, wo Goram immer noch mit dem Tode ringt. Stefan von Adlerstein jagt all die zwielichtigen Gestalten auf dem Lehen seines Vaters,

um die ritterlichen Kassen zu füllen und empfindet dabei mehr und mehr Erregung. Der Krieg zieht sich die Worlag entlang in das Zentrum der mittleren Lande, von wo sich ein kleiner Trupp zu den Elfen aufmacht, um Dracheneier zu stehlen.

Gudrun

Genervt zog Thoralf noch einmal an. Daraufhin noch einmal, dann noch mal. Allein, es half nichts. Die Tasche hing fest. Zwischen zwei kantigen spitzen Steinen hatte sie sich verklemmt. Vermaledeite Tasche! Eigentlich kein Problem. Sich umdrehen, zwei Schritte zurück, sich bücken, die Tasche anheben. Das war's. Oder sollte man besser sagen: Das wäre es! Nämlich ein Leichtes. Wenn es das Wörtchen „Wenn“ nicht gäbe. Wenn man nämlich aufrecht stehen könnte! Wenn Fleisch und Muskeln noch den Körper bedecken

würden! Ja, wenn die Beine noch ganz wären und nicht gebrochen. Und noch so einiges mehr. Wenn, wenn, wenn. Thoralf hasste dieses Wort. Und doch begleitete es seinen Tag. Seit Wochen und Monaten. Außerdem half ihm ein „Wenn“ nicht weiter. Stattdessen würde er sich mühsam drehen, die mittlerweile scharfkantigen Fingerknochen in den Boden einkrallen und sich mühsam zurückziehen. Hin zu den Steinen. Und dabei aufpassen, dass die Knochen so wenig als möglich den Boden berührten. Sie hinterließen nämlich dann und wann eine weiße Spur. Sie schliffen ab und das war nicht gut. Schmerzhaft sogar,

auch wenn dies so manch anderer nicht zu glauben vermochte. Was, bitte schön, konnte denn noch schmerzen, wenn man ein Skelett war, hm? Alles Narren! Man wusste immer erst, wie es sich anfühlte, wenn es soweit war. Auch wenn man anderes behauptete. Es war ganz einfach nicht möglich, gefühlsmäßig etwas im Voraus zu erleben, anders als manchmal gedacht. Abgeschliffene Knochen, die sich zwar in jeder Nacht erneuerten, dazu beide Beine gebrochen, das war nicht lustig! Ja, vielleicht fühlte man im Tod nichts mehr, das mochte schon sein. Vielleicht war dies sogar die Regel. Aber die galt

nicht für ihn. Vielleicht war es eine gesonderte Dreingabe von Skuld, ihres Zeichens Schicksalsnorne und seine Chefin. Diese hatte noch zwei Schwestern, aber mit denen kam er gut aus. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war Skuld die fleischgewordene Bosheit. Zumindest ihm gegenüber. Keine Woche verging, keine Gelegenheit verstrich, wo sie ihn nicht irgendwie traktierte. Die meiste Zeit war er zwar allein und konnte tun, was ihm beliebte. Wenn er denn dazu fähig war. Nur nachweisen musste er, dass er seinem jeweiligen Auftrag nachging. Und das er sich all der Leiden, mit denen

sie ihn fütterte, auch bewusst war. Was hatte er ihr nur getan? Hatte er überhaupt etwas getan? Ach, es war müßig, über diese Dinge nachzudenken und kostete nur unnötig Energie. Denn die brauchte er noch. Für angenehme Sachen, zum Beispiel. Denn die gönnte er sich nach wie vor. Und dies war letztlich tausendmal wichtiger als jede Art von Ärger. Die Norne durfte es nur nicht erfahren. Es gab nämlich Dinge im Universum, die sich ihrer Wahrnehmung entzogen. Glück zum Beispiel. Oder Besinnung. Ruhe und Ausgeglichenheit und noch so etliches mehr. Thoralf hob den Kopf und schaute hin

zum Rand der Ebene. Sollte er oder sollte er nicht? Die Tasche freikriegen und ab zum Rand der Schicksalsebene! Das tat er in der Vergangenheit oft. Es machte Spaß und lenkte ihn ab. Wenngleich auch in der letzten Zeit nicht so oft, wie er es gerne hätte. Denn dort am Rand der Welten kam er zur Besinnung. Dort konnte er in aller Ruhe nachdenken, seinen Träumen frönen und all die Lieben beobachten, die weit unter ihm in Midgard ihr Leben lebten. Auch nach Asgard konnte er schauen, zumindest dann und wann, wenn die Sicht gut war. Dazu kamen die fremden Welten, weit entfernt und kaum auszumachen. Muspelheim, Niflheim,

Vanaheim, Jötunheim, um nur einige zu nennen. Und dort konnte er auch Leif beobachten, seinen Freund aus Kindertagen. Durch das Leben und letztlich durch den Tod auf ewig verbunden. War es richtig? War es das wert, den höchsten aller Preise zu bezahlen? Für einen Menschen, bei dem er bis zuletzt nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob dieser den hohen Titel Freund auch verdiente? Egal, was geschehen war, war geschehen. Möge sich alles so wenden, wie es das Schicksal vorgesehen hat. Nein, heute würde er nicht über den

Rand dieser Welt blicken. Heute mussten all die Galaxien und kosmischen Nebel alleine in ihrer Schönheit baden und auf seine Bewunderung verzichten. Die Entfernung hin zu diesem tiefen Abgrund mit seinem kosmischen Sternenfeuerwerk war einfach zu groß. Er war erschöpft und hatte Schmerzen. Ohnehin glaubte Thoralf nicht, dass sich da unten, um den Weltenbaum herum, etwas Großes tat. Erst letzte Woche hatte er stundenlang in die Welt der Lebenden geblickt und nichts Neues entdeckt. Es war alles beim Alten. Jedenfalls empfand Thoralf dies. Ganz so wie die vielen Male zuvor. Leifs Leben tröpfelte dahin. Geregelt und

farblos. Genauso, wie das der anderen. Anfangs hatte er noch regelmäßig eine Verbindung mithilfe des kleinen Fingerknochens aufgebaut. Um die Gedanken zu vereinen. Und tanzen zu lassen, so wie er es nannte. Es war ihnen beiden immer wieder ein Trost. Solange noch eine Verbindung bestand, welcher Art auch immer, war nichts endgültig, bestand Hoffnung. Aber so nach und nach wurden diese gemeinsamen Stunden weniger. Leif konnte noch immer nicht von seinen Selbstvorwürfen lassen. Und Thoralf war mehr und mehr von diesem ewigen Selbstmitleid gelangweilt. Außerdem trat kaum etwas Neues in ihr Leben, was

berichtenswert wäre und sie miteinander verband. Bald würde die Verbindung wohl ganz abreißen, wenn nicht vorher etwas Außergewöhnliches geschah. Thoralf ahnte es. Sie waren eben getrennt durch Zeit und Raum, im wahrsten Sinne. Wahrhaftig, für keine Art von Freundschaft förderlich. Und keiner von ihnen konnte die Schranken zwischen den Welten überwinden. Aber Thoralf gab sich nicht auf. Er fand andere Dinge, die ihm Spaß machten. Und für zwei dieser neuen Hobbys war seine Arbeit wie geschaffen. Denn einer seiner Hauptaufgaben bestand nämlich darin, die Arbeit von Skuld dergestalt zu

unterstützen, dass er täglich über die Ebene kroch. Von Gestell zu Gestell. Mit anderen Worten, von Leben zu Leben. Kaputte Gestelle, in denen noch intakte Lebensfäden hingen, versuchte er notdürftig zu stabilisieren. Irgendwann später, so hatte Thoralf festgestellt, waren diese dann wie von Zauberhand repariert. Wer dies wie und wann tat, war ihm letztlich egal. Es gehörte nicht zu seinen Aufgaben. Also war und blieb es ein Geheimnis, wie so vieles auf der Schicksalsebene. Denn eigentlich sollte er nur aufräumen und dies tat er gewissenhaft. Zerfallene Gestelle und vermodertes Holz packte er in die große Tasche aus grobem Leinen,

die er hinter sich herschleifte. Dazu kamen Reste von dem, was dereinst all die Träume, Erlebnisse und das Wirken von Geringeren und Höherstehenden waren. Götter, Geister, Zauberer, Zwerge, Riesen, gottähnliche Wesen und Halbgötter, Menschen, und, und, und. War ihr jeweiliges Leben um und das Fleisch vergangen, verrottete auch das letzte bisschen, was noch an sie erinnerte. Manchmal schnell, manchmal weniger schnell. Ihre Lebensfäden nämlich. Waren diese ihrer Funktion irgendwann verlustig, so rutschen sie einfach aus ihrem Gestell und wurden zu dem, was sie eigentlich immer schon waren. Hanf, Wolle, Rinde, Leder, Seide

oder sogar Silber. Letzteres aber war furchtbar selten, denn dies war nur den Wesen vorbehalten, die älter waren als das Universum selbst. Einmal am Boden verrotteten die Fäden nach und nach, aber unterschiedlich schnell. Und jetzt kam er ins Spiel und machte sauber. Thoralf, ein versklavter Diener der Ewigkeit. Ein Skelett, mit zwei gebrochenen Beinen, welches stetig über die Ebene kroch und manchmal stöhnend den Müll der Zeit einsammelte. Und er stopfte all das jetzt nutzlose Zeug in seine Tasche, die er fast immer hinter sich herzog. War diese voll, ging es zurück. Hin zu einer Halde, auf der all die Reste der Äonen

verwahrt wurden. Riesige Haufen waren es, die in regelmäßigen Abständen nachsackten, wenn das Untere vermodert und neuen Platz freigab. Allerdings, zu all diesen Haufen gab es jetzt einen neuen. „Mein Schatzhaufen“, so nannte Thoralf ihn liebevoll. Es war tatsächlich seiner, er hatte ihn angelegt. Entstanden aus einer Unsicherheit im Handeln, wuchs dieser nun beständig, wenn auch maßvoll. Einst fand er nämlich ein klitzekleines Bildnis aus Metall, dem ein weiteres aus Holz folgte. Noch richtig gut erhalten und herrlich anzuschauen. Viel zu schade, um im Müll der Zeit zu

landen. So jedenfalls fand Thoralf, nachdem er die beiden Teile viele Tage lang unschlüssig hin und her geschoben hatte. Weitere Funde aber gaben den Ausschlag. Es waren wirklich schöne Dinge darunter, oftmals vor aller Augen unsichtbar in den unterschiedlich starken Lebensfäden, oder besser gesagt, Schnüren und Seilen, eingearbeitet. Und seitdem Thoralfs wusste, wonach und wo er zu suchen hatte, wurde fast jeder alte Faden ein Fund. Thoralf hatte ein Hobby. Jetzt machte auch die Arbeit mehr Spaß und sein Haufen wuchs. Gut erhaltene Gestelle,

hübsch gemasertes Holz, interessante Steine, und noch so manch anderes, kam hinzu. Hatte ihn doch so eine Art Jagdleidenschaft erfasst. Und schon bald gebar diese Sammelwut eine Idee. Und die war so gut, dass Thoralf nach Luft schnappte, wenn er denn diese gebraucht hätte. Etliche der Fäden, sprich ihre Reste, waren noch frisch. Sprich, in einem hervorragenden Zustand. So landeten auch sie nach und nach auf dem Haufen und vermehrten sich. Schon bald hatte Thoralf genug von dem Material und begann einen Strick zu knüpfen. Es würde dauern, um diesen auf die benötigte Länge zu bringen, aber es war

ein Anfang. War er aber erst einmal lang genug, dann würde er damit seine Beine reparieren, so gut es eben ging. Da ihm die Norne die Schienenbeine entzweigebrochen hatte, befand sich an den Füßen noch ein Stück Knochen, das lang genug war, um einigermaßen stabil mit dem Rest verbunden zu werden. Er würde wieder Füße haben! Er würde sich ein wenig vollständiger fühlen und sein Leben wäre etwas normaler. Füße, mit denen er wieder, wenngleich auch schwankend, aber wieder laufen könnte. Das würde ihm das Tagwerk doch wesentlich erleichtern und somit das Leben, wenn man es denn so nennen

wollte. Danach, so träumte Thoralf weiter, würde er sich so eine Art Schuhe basteln. Handschuhe wären auch nicht schlecht, vielleicht sogar eine Weste. Und all dies, und noch mehr, ließ sich mit ein wenig Fantasie und Geduld aus dem Material fertigen, was er Tag für Tag einsammelte. Zeit hatte er jedenfalls genug und jetzt auch wieder ein Ziel. Aber um auf sein neues Hobby zurückzukommen, bei einem seiner täglichen Arbeitsausflüge hatte er eine Entdeckung gemacht. Intakte Gestelle berührte er aus freiem Antrieb eigentlich nicht. Besser gesagt, niemals. Sie waren tabu.

Und doch war er einmal zerstreut und schon war es passiert. Er hatte eins der kleineren Gestelle berührt, um genau zu sein, den Lebensfaden in ihm. Und ehe er sich versah, durchströmte ihn ein ganzer Schwall fremder Gefühle und Gedanken. Das Ganze war fast gleich mit dem Erlebnis, welches er damals mit Leifs Lebensfaden hatte. Er sah durch fremde Augen und hörte mit fremden Ohren. Atmen, schmecken, berühren. Aber oh Schreck, das fremde Leben bemerkte sein Eindringen und wehrte sich. Thoralf fiel entsetzt nach hinten und die Verbindung brach

ab. Es hätte also gar nicht eines Knochenstücks bedurft, um zu Leif eine Verbindung aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Gut zu wissen, dachte Thoralf. Man lernt eben nie aus. Den kleinen Fingerknochen würde er von seinem alten Freund zurückfordern. Er selbst konnte ihn mehr und besser gebrauchen als jener. Jedenfalls, wenn sich die Gelegenheit ergab. Da war es wieder, dieses „Wenn“. Aber das Erlebnis ließ ihm keine Ruhe. Wieder und wieder geriet er in Versuchung, aber die Angst vor möglichen Folgen hielt ihn zurück. Nur,

wie das bei fast allen Lebewesen so ist, wurde Letztere kleiner, während die Neugierde stetig wuchs. Und es ist auch allbekannt, dass viele Wesen es immer wieder schafften, sich ihre Argumente dergestalt zurechtzulegen, dass sie immer wieder passten. Für den Moment vielleicht clever. Nur bekamen die Folgen keine eigene Variable in der Gleichung. So war das Ergebnis oftmals nicht so lustig, wie gedacht oder erhofft. Die Neugierde war schon ein Meister in der Welt der Gefühle! Geschult in jedweder Taktik und mit allerlei Tricks ausgestattet. Und so war es für sie ein Leichtes, Thoralf einzufangen. Dazu kam, dass er

ein williges Opfer war, oh ja. Zuerst spielte er mit dem Gedanken, dann streckte er schon, ehe er sich versah, willenlos die Hand aus. Aber noch ohne sein Ziel zu berühren. Was soll man sagen, eines Tages übernahm die Neugierde vollends das Steuer und seine Hand überwand wie von selbst die letzte Grenze. Er war allein. Also, wer wollte schon etwas mitbekommen? Wo war der Spion, der ihn verraten würde? Waren die Lebensfäden erst einmal auf die Ebene verbracht, kümmerten die Nornen sich nicht mehr um sie. Also, wie sollten die Spinnerinnen dann jemals erfahren, dass er gegen ihren Willen

verstieß? Und dass die betroffenen Lebewesen gleich eins, zwei, drei in den Urdbrunnen hüpfen würden, um auf die Schicksalsebene zu gelangen, um mit den Nornen zu sprechen, das war wohl nahezu ausgeschlossen. Nur wenige auserwählte Wesen hatten dies in all den Zeitaltern jemals geschafft. Und wenn Thoralf es recht bedachte, gehörte er dazu. Ein wenig Stolz machte sich breit, auch wenn sein Dasein jämmerlich war. Naja, wie dem auch sei, die Schicksalsebene war kein Marktplatz. Nur außergewöhnlichen Umständen konnte man es verdanken, hierher zu gelangen. Und die Ebene wieder zu

verlassen, naja, darüber dachte man am besten gar nicht erst nach. Jedenfalls gaben diese Überlegungen den Ausschlag. Thoralf fasste zu. Zuerst nur ganz zart, eher flüchtig. Anfangs war es quasi nur ein Streifen der Fäden. Wie unabsichtlich, fast schon verschämt. Aber dies reichte schon und machte Lust auf mehr. Eine neue Welt tat sich ihm auf. Und so makaber dies auch klingt, sie gab seinem Leben einen neuen Sinn. Denn so nach und nach hatte er den Bogen raus, wusste um das Wie. Anfangs waren die Leben noch verschreckt oder wütend, fassungslos oder demütig, weil sein Eindringen fast immer bemerkt wurde. Egal wie kurz

oder lang es war. Aber dies änderte sich. Durch einen glücklichen Zufall fand er nämlich heraus, dass er die Lebensfäden gar nicht erst berühren musste, um ein Tor zu öffnen. Nein, allein seine konzentrierten Gedanken reichten aus, um die Fäden zum Singen zu bringen und in eine fremde Welt einzutauchen. Das war toll! Das machte süchtig! Allein seine Konzentration war dafür ausschlaggebend, wie man ihn bemerkte und ob überhaupt. So nach und nach brachte er es zu einer gewissen Meisterschaft und konnte bald selbst bestimmen, wie stark er die fremde Wahrnehmung beeinflusste. Und so nahm er teil an dem Kampf

fremder Krieger, an den Liebesabenteuern bezaubernder Frauen und spielte mit kleinen Kindern im Wald. Natürlich nur im Geiste. Aber die Verschmelzung war teilweise so umfassend, dass er dachte, er wäre dabei. Und je mehr seine Erfahrung wuchs, desto mehr getraute er sich. Dem einen oder anderen Lebewesen offenbarte er sich, mal im Schutz der Träume und mal im bitteren Alltag des Lebens. Wie schon zuvor, so gab es auch hier unterschiedliche Reaktionen. Bei Angst und Wut zog Thoralf sich schnell zurück. Auch für ein höheres Wesen mochte er nicht gehalten werden.

Dies behagte ihm nun ganz und gar nicht. Obwohl er Dinge vermochte, von denen andere nur träumen konnten. Aber es entsprach nicht seiner Moral, nicht seinem Charakter. Fand er aber Neugierde, Wissensdurst, Interesse, Freundschaft und Liebe, so verweilte er. Und wie das so ist, wenn man Sympathie entwickelt, schon bald war man in ein Gespräch verwickelt. Thoralf erklärte dies und das, gab manchmal hilfreiche Ratschläge. Und oftmals lachten sie auch nur gemeinsam und genossen das ungewöhnliche Beisammensein. Es machte Spaß. Mehr Spaß, als er jemals für möglich gehalten

hätte. Richtig, es waren nicht seine eigenen Erlebnisse, Taten und Entscheidungen. Im Großen und Ganzen jedenfalls. Aber er war dabei, gehörte irgendwie dazu. Und manchmal, ganz selten nur, führte sein Rat zu einer Entscheidung, die ohne ihn wohl anders ausgefallen wäre. Und wenn diese Entscheidung gut war, füllte sich sein Leben und er war froh und glücklich. Ja, sein Leben, so bezeichnete er mittlerweile auch jenes, in das er sich ungefragt einschlich. Das klang großspurig, war aber nicht so gemeint. Es war eher liebevoll, beschützend gemeint. Aber im Kern, wenn auch ungewollt, war

es schon richtig. Ohne es vollständig zu erfassen und auszunutzen, lag tatsächlich jedes einzelne Leben mehr oder weniger in Thoralfs Hand. Wie leicht könnte er es manipulieren! In eine Richtung lenken, die zur Freude oder zum Schaden gereichen würde. Vielleicht es sogar vernichten, wenn er eins der vielen Messer ergattern könnte, dass die Nornen streng verwahrten. Aber auch nur daran zu denken, fand Thoralf verwerflich. Zeit seines Lebens hatte er versucht, nur Gutes und das Richtige zu tun. Und dabei sollte es bleiben, wenn nur irgendwie möglich. Nicht auszudenken, was geschehen könnte, wenn er auf das richtige Wesen

traf. Ja, von Wesen musste man hier wohl reden. Denn nicht nur die Lebensfäden der Menschen wurden hier oben auf der Schicksalsebene verwahrt. Und nicht nur wie in Midgard, so wurden auch hier oben die Leben unterschiedlich bewertet. Das hatte er schon lange erkannt, denn es war offensichtlich. Das Material und der eingesponnene Inhalt machten es nämlich aus. Soweit das Auge reichte, war die Ebene mit Gestellen bedeckt. Millionen mochten es sein, vielleicht sogar Milliarden. Und alle wild durcheinander. Da war das Gestell eines Menschen dicht neben dem eines Lichtelfen.

Zwerge neben Zauberer, Drachen neben Wölfe. Feuerriesen neben Götter, Götter neben Eisriesen. Und sie alle zusammen in trauter Gemeinschaft. Keiner wusste vom anderen. Hier oben auf der Schicksalsebene gab es keinen Verrat, keine Wut, keine Liebe, keine Gier und all die anderen Charaktereigenschaften, welche die Wesen in ihren Welten zur Schau stellten. Naja, bis auf ein paar Ausnahmen. Nichts ist eben perfekt. Egal, jedenfalls musste er aufpassen. Auf gar keinen Fall wollte Thoralf in die Gedanken eines mächtigen Wesens eindringen. Das wäre ihm vielleicht nicht gut bekommen, denn keiner konnte sagen, ab wann man in der Hierarchie

eine Verbindung zu den Nornen aufbauen konnte. So suchte er sich in der Regel nur die Fäden aus minderwertigem Material wie Hanf heraus. Möglichst dünn und ausgefranst. Es waren zumeist die Armen, die Vergessenen und Ausgestoßenen einer Gesellschaft. Egal, ob sie es verdienten oder nicht. Aber sicher war eben sicher. Und es erschien Thoralf klug. Und für Klugheit hatte er was übrig. Und so nach und nach verlor Thoralf jegliches Schuldgefühl. Die Bedenken verschwanden gänzlich und er genoss sein Dasein auf der Schicksalsebene mehr und

mehr. Nur hätte er ganz gern einen alten Bekannten unter all den Fäden gefunden und sich mit ihm ausgetauscht. Lea zum Beispiel, die Tochter der geachteten Kräuterhexe aus Thorsfelsen. Leif und er waren damals sehr eng mit ihr befreundet und hatten sich zusammen so manchen Streich ausgedacht. Auch Maike, Leifs Ziehmutter, schenkte er so manch liebevollen Gedanken. Da waren ihre Kuchen! Der reinste Wahnsinn! Ihre Freundlichkeit, ihre Künste mit dem Messer und ihre Fähigkeit, die Belange des Dorfes zu lenken. Auch an die Gefährten dachte er oft, mit denen er die Reise hin zum Wolfsgraben gewagt

hatte. Fiona war da noch, in die er sich ein wenig verliebt hatte. Und Sigrun, die Hüterin des heiligen Hains. Und, und, und. Aber er hatte kein Glück. Keinen von ihnen konnte er bislang finden. Nicht mal einen seiner Verwandten. Auch Informationen konnte er nicht erlangen. Selbst nicht über einen Umweg. Nämlich dann, wenn er ausgewählte Lebensfäden befragte, mit denen er bislang in Kontakt getreten war. Es sollte wohl nicht sein. Und wenn man die ungeheuerliche Größe der Schicksalsebene bedachte, dann war das auch nicht weiter verwunderlich. So blieb Leif bislang der

Einzige. Naja, tröstete sich Thoralf, kommt Zeit, kommt Rat. Jetzt hieß es erst einmal, an das Nächstliegende zu denken. Und dies war der beschwerliche Heimweg. Und natürlich seine Füße. Fein säuberlich aufgereiht standen diese in seinem Lager hinter der Schlafdecke. Und neben dem Schwert, welches er von Odin erhalten hatte und das nun vor lauter Nutzlosigkeit schon fleckig wurde. Ja, die Füße waren das Wichtigste. Das dünne Seil, an dem er sich seit Tagen versuchte, war schon fast lang genug, um die getrennten Knochen wieder notdürftig zu verbinden. Und weiteres

Material war noch reichlich vorhanden. So würde er den heutigen Tag beenden, das ging vor. Zum Rand konnte er immer noch kriechen, vielleicht dann sogar schon laufen. Nur noch ein wenig ausruhen wollte er, um die Kraft für den Rückweg zu sammeln. Vielleicht, aber auch nur vielleicht, konnte er ja einmal kurz in eine fremde Welt eintauchen. Gestelle in seiner Nähe gab es reichlich. Da, zum Beispiel, ein sehr Kleines, arg zerzaust. Es war wohl ein kurzes Leben und voller Leiden. Thoralf schaltete seine überflüssigen Gefühle aus und begann seine Konzentration auf den Faden zu richten. Der begann erst langsam zu

vibrieren, dann in einem feinen hohen Ton zu singen. Thoralf sah eine Waldwiese. Die Sonne versank gerade blutrot am Horizont und kitzelte mit ihren letzten Strahlen eine Unzahl von Gänseblümchen im hohen Gras. Thoralf sah durch die Augen eines jungen Mädchens, das im Gras saß und andächtig einen Kranz aus Blumen flocht. Ihre Hände waren rissig und hatten Schwielen. Traurigkeit umfing sie, war sie doch gerade erst geschlagen worden. Ohne Grund, durch falsches Zeugnis und zum Vergnügen. Wie fast jeden Tag. Es war keine Wut in ihr, nein, nur Verzweiflung. Das Mädchen ging Thoralf nahe. Gleiche

Gefühle verbinden eben, selbst das Leiden. Und so wagte er sich ein wenig weiter vor. Er konnte nicht viel tun. Nur trösten. Und wenn dies kein anderer tat, war dies nicht wenig. Mit den ersten Strahlen des Sterns über der Schicksalsebene stand Thoralf auf. Heute kam es darauf an. Würde es gelingen? Der schnelle Herzschlag zeigte es an. Ein Misserfolg würde ihn zurückwerfen und jede Menge schlechte Gefühle auslösen. Gestern, bis spät in die Nacht hinein, hatte er an dem Strick gewerkelt. Nun war er fertig. Zugfest und lang genug. Hoffentlich! Der Zeitpunkt war

gekommen. Nun galt es ihn zu binden. Jetzt würde sich erweisen, ob die Idee gut genug und die investierte Arbeit nicht umsonst war. Aber Thoralf war frohgemut. Was sollte groß schiefgehen. Klar, dass Gebinde wäre nicht perfekt. Das war so was von logisch, da hatte er sich nie Illusionen gemacht. Hauptsache, die Füße erfüllten wieder ihren Zweck und er konnte im aufrechten Gang über die Ebene schreiten. Erwartungsvoll, den Strick zwischen den Zähnen, robbte er das kurze Stück von seinem Schlafplatz hin zu dem Zaun aus Schwertern, vor dem seine Füße auf ihn warteten. Ausgeruht hatten sie sich

nun lange genug. Schon bald hatte er die kleine Strecke überwunden. Es war nicht anstrengend, er war es gewohnt. Außerdem glitt er hier über weiches Gras. Auf diese Art von Bequemlichkeit hatte er bei der Wahl seines Lagerplatzes geachtet. Thoralf rollte sich herum und brachte sich in eine sitzende Position. Auch kein Problem, so oft hatte er dies schon gemacht. Jetzt nahm er einen der Füße und hielt ihn probehalber an sein Gegenstück, dem Schienbein. Mal höher, mal tiefer, bis er glaubte, die optimale Position gefunden zu haben. Zur Sicherheit plante er den gesamten noch verbliebenen Knochenstumpf für

die Befestigung ein. Je mehr Auflagefläche die Knochen gegeneinander hatten, umso besser. Auf Anhieb würde es ohnehin nicht so klappen, wie es wünschenswert wäre. Darüber war er sich im Klaren. Aber was machte das schon! Er hatte die Zeit, das Material und den Willen. Mochte es eben dauern, das Ergebnis war entscheidend. „Also, los geht's! Trau dich, es wird schon gut werden“, alberte ein fröhlicher Knochenschädel. „Und bitte nicht links und rechts vertauschen! Und die Zehen bitteschön nach vorne! Die Nornen lachen sich sonst schlapp.“ Und los ging's. Zuerst war es nur ein

Knoten, aber das war natürlich Quatsch. Zwei waren schon besser, aber noch immer ziemlich labil. Drei, ja drei machten die Sache schon rund. Es war offensichtlich, je mehr Knoten, desto besser. Ein superenger Strumpf, eine Art Korsett für die Knochen, genau, so musste es sein! Nur, dafür war der Strick nicht lang genug. Thoralf schnaufte ein wenig enttäuscht. Da würde er wohl noch jede Menge Arbeit investieren müssen. Aber er ließ sich nicht lange unterkriegen. Ist egal, ist nicht wichtig, dachte er. Heute wird es schon gehen, auch morgen, vielleicht sogar ein wenig

länger. Und so machte er weiter und verschwendete keine Gedanken mehr an das, was nicht war. Damit die Füße auch gleichmäßig in der Höhe befestigt waren, musste Thoralf die Knoten noch mehrmals lösen und erneut binden. Kein Problem. Das war fix gemacht. Die zwei Enden vom Strick geschnappt und gestreckt, sodass er zwei Hälften hatte. Gut, dass sein Schwert noch scharf war. Ein Schnitt und er verfügte über zwei gleich lange Enden. Jetzt noch schön fest und gleichmäßig verknoten. Fest war wichtig, gleichmäßig

weniger. Kein Thema. Schon nach dem vierten Knoten hatte er den Bogen raus und der Rest lief fast von selbst. Dann war es endlich soweit. Mit beiden Armen stützte Thoralf sich ab und schob seine Knochen langsam in die Höhe. Ach, oh Freude, es klappte. Wenngleich auch reichlich wackelig, aber schließlich stand er. Es war überhaupt ein Wunder, dass dies alles so hinhaute. Dass seine Knochen überhaupt zusammenhielten, ohne Fleisch, Sehnen und Muskeln. Dass er reden konnte, ohne Zunge! Sehen konnte, ohne Augen. Fühlen und Denken konnte, ohne Haut und Hirn. Aber wer

wollte sich beschweren. Wenn das Schicksal dies für ihn vorgesehen hatte, nun ja, er war zäh. Und lachen war immer noch besser als weinen. Vorsichtig, ungefähr im Schneckentempo, setzte er einen Fuß vor den anderen. Seine Arme mussten ganz schön rudern, um das Gleichgewicht zu halten. Es war ungewohnt. Klar, denn schließlich hatte er Wochen und Monate nur kriechend zugebracht. Aber es ging voran. Mit seinem Leben und dem aufrechten Gang. Die Hoffnung wuchs und riss den Leichtsinn mit. Es ist ein allbekanntes Phänomen, dass der Körper sich manchmal vom Verstande

löst und eigene Wege geht. Es klappt, sagte eine innere Stimme. Es geht weitaus besser als gedacht. Manche Dinge verlernt man eben nicht, sprach sie weiter und: Jetzt geht's auf, und zwar mit Gebrüll! Natürlich, jeder kann es ahnen. Es kam, was kommen musste. Thoralf stolperte, machte eine Art Hechtsprung und schrammte ziemlich schmerzhaft mit seinem Schädel über den Boden. Aber nach einem kurzen Fluch über seine eigene Dummheit war dies vergessen und er versuchte es aufs Neue. Er musste es eben langsam angehen. Aber was machte dies schon aus! Langsam zu gehen, war immer noch

schneller, als wie ein Wurm über den Boden zu kriechen. Thoralf überlegte kurz und zog dann sein Schwert aus dem Zaun. Einen Stock als Stütze würde er hier wohl nicht finden. Aber sein Schwert, Odins Geschenk an ihn in schwerer Stunde, machte es auch. Was jetzt? Das Pflichtgefühl nagte in ihm, aber heute hatte er keine Lust mehr, seiner Arbeit nachzugehen. Die Freude über seine neu gewonnene Beweglichkeit machte ihn ganz kirre. Nein, heute würde er ganz gewiss nicht arbeiten. Eine Wanderung wäre schön. Und Thoralf wusste auch schon wohin. Er

würde Urd besuchen, die Wächterin der Vergangenheit. Es wäre nicht das erste Mal. Schon des Öfteren war er bei ihr gewesen. Zusammen hatten sie andächtig in den Strom der Zeit geschaut, vergangene Taten wie in einer farbigen Geschichte miterlebt und lange Gespräche geführt. Er mochte Urd. Sie war hier oben eine Art Mutterersatz für ihn geworden. Während Verdandi mehr wie eine nette Tante für ihn war. Sie war immer für eine lustige Geschichte gut. Auch zeigte die Spinnerin ihm des Öfteren, in ihren unzähligen Spiegeln, interessante Dinge, die irgendwo in einer der neun Welten gerade ihre eigene Geschichte

schrieben. Und erst der gewaltige helle Strahl, der von wunderschönen farbigen Gespinsten umspielt wurde! Was für ein grandioses Schauspiel! In regelmäßigen Abständen richteten sich nämlich die Spiegel aus und sandten die Energie des Schicksals immer abwechselnd in eine der Welten. In Thorsfelsen hatte Thoralf diesen farbigen Tanz des Öfteren voller Demut am Himmel beobachtet. Nur wusste er damals noch nicht, woher dies alles kam und was es bedeutete. Nun aber los. Der Tag war noch jung. Und solange ihm Skuld nicht über den Weg lief, würde er heute viel Freude

haben. Fröhlich pfeifend humpelte Thoralf über die Ebene. Noch immer dachte er an das verdutzte Gesicht von Urd. Sie hatte ihn ziemlich entgeistert angestarrt, wollte sich schon fast auf ihn stürzen. Wer mochte es ihr verdenken, war er doch gerade ziemlich gewachsen und ihr in dieser Größe seit Langem nicht mehr bekannt. Zum Glück erkannte sie gerade noch ihren Irrtum, sonst hätte es wohl kleine Knochensplitter geregnet. Urd freute sich mit ihm. Sie hatte es nie verstanden, warum Skuld ihn derart bestrafte. Nur offen Partei ergreifen, mochte sie bis dato auch nicht.

Familienkrach schreckte sie ab, war ihr Ruhe doch heilig. Doch mit ihrem mütterlichen Mitleid hatte sie ihn reichlich beschenkt und auch sonst immer wieder getröstet. Nun, dieses Problem war jetzt, wenngleich auch provisorisch, für den Moment aus der Welt. Und so freute sie sich mit ihm. Überschwänglich und aufrichtig. War das ein Geherze! Schließlich schob sie Thoralf wie ein kleines Kind auf ihren Schoss und streichelte ihm den Kopf. Neben reichlich Gelächter und jeder Menge frecher Bemerkungen, gab es Ermahnungen über Ermahnungen. So wie jeder Nachkömmling dies von seiner

Mutter kennt. Pass auf, wo du hintrittst! Lauf nicht so schnell! Sei vorsichtig! Denk an deine Gesundheit! Naja, und so weiter, und so weiter. Darüber hinaus ließ sie es sich nicht nehmen, die Knoten an seinem Bein gewissenhaft zu überprüfen und nachzuziehen. Aber schließlich war auch das vorbei und sie konnten ihr Beisammensein in stiller Eintracht genießen. Andächtig schauten sie zusammen in den Fluss der Zeit zu ihren Füßen, der donnernd und silbrig glänzend aus einem anderen Universum herniederstürzte, die Schicksalsebene durchdrang und in einer anderen Ewigkeit wieder

verschwand. Noch einmal schauten sie sich an, wie Thoralf die ersten Knoten knüpfte und den Weg hierher fand. Es tat gut, neben Urd zu sitzen und die Seele baumeln zu lassen. Auch Thoralf fand hier die Ruhe, nach der die meisten Wesen sich so sehnen. Und hier erfasste er die Größe dieses Ortes. Und so eigenartig es klingen mag, hier vergaß Thoralf seine eigene Befindlichkeit. Denn hier begriff er, dass er nun Teil von etwas Größerem war und Dinge sah und tun durfte, wie kaum ein anderer vor ihm. Aber irgendwann griff die Unruhe wieder nach Thoralfs Gemüt. Zum Abschied kämmte er noch Urd das Haar,

was dieser so gut gefiel, dass er mehrfach versprechen musste, sobald als möglich wieder vorbeizukommen. Schließlich machte er sich auf seinen Weg. Langsam humpelte er den gleichen Pfad entlang, den er schon bei seiner Ankunft, und seitdem immer wieder, beschritten hatte. Hinüber ins Nachbartal, dem Tal der tausend Spiegel. Hin zu Verdandi und der Gegenwart. Die wunderschöne Norne erstrahlte ebenfalls vor Freude. Auch sie hatten nie die Tat ihrer Schwester gutgeheißen, sodass sie Thoralf diesen kleinen Triumph von Herzen gönnte. Im Gegensatz zu Urd liebte sie eine

lebhafte Geselligkeit. Doch die war zu ihrem Leidwesen hier oben eher selten. Aber für Thoralf war dies ein Glück, wurde seine Anwesenheit doch dadurch umso mehr geschätzt. Schnell schob Verdandi Thoralf auf einen der freien Stühle, die rings um einen geschnitzten Gartentisch standen, auf dem eine Kanne Kräutertee dampfte und frisches Gebäck herrlich duftete. Und dann fragte sie ihn aus. Fragte und fragte und konnte gar nicht mehr aufhören. Naja, irgendwann doch, als der letzte Tee getrunken und der letzte Keks verspeist war. Dann gab es noch ein Kopfstreicheln und ein paar freundliche

Ermahnungen. Und plötzlich, so ganz ohne Vorwarnung, packte sie Thoralf hob ihn an. Sie rannte zu einem der Spiegel, wo sie ihn wie eine Blumenvase wieder abstellte. „Es ist soweit. Darauf habe ich gewartet. Und schön, dass du gerade hier bist. So kann ich es dir zeigen“, strahlte Verdandi und zeigte aufgeregt auf einen der Spiegel. „Das Vorhergehende hätte dich sicherlich auch interessiert. Aber dieses hier tut es auch. Fürwahr, es ist wahrlich ein Glück, dass du mich heute besucht hast. Sonst wären dir diese Bilder gewiss

entgangen.“ „Was meinst du? Wovon redest du?“, fragte Thoralf ein wenig verwirrt nach. „Schau doch nur! Schau doch erst einmal hin, bevor du hier wie ein Spatz herumfiepst“, forderte die Norne ihn auf. „Den kennst du doch bestimmt!“ Und Thoralf schaute hin. Er tauchte ein in einer Flut von Bildern. Es dauerte, bis er sich einigermaßen zurechtfand und Einzelheiten isolieren konnte. Schließlich sah er ein Zeltlager, über dem die Mittagssonne stand. Kaum ein Lebewesen war zu sehen, bis auf einen richtig großen Krieger mit roten Haaren, der forsch einem Ziel zustrebte. Der Streiter trat in eins der Zelte ein und auf

eine Hängematte zu. Und dann verschlug es Thoralf regelrecht die Sprache. Es war Leif, den er da friedlich schlummernd sah. Was dann folgte, war so unwirklich, dass er nicht wusste, ob er lachen oder weinen sollte. Nachdem Thoralf das Wesentliche geschaut hatte, fand eine andere Geschichte ihren Weg in den Spiegel. Es dauerte noch eine geraume Zeit, bis Thoralf sich aus seiner Erstarrung lösen konnte. Wahrlich, es war mehr als nur interessant, was er aus der Ferne miterleben dufte. Irgendwie erschien das Ganze wichtig, sogar für ihn. Warum nur? Er musste darüber

nachdenken. Aber nicht hier. Hier gab es zu viel Ablenkung. Er musste alleine sein, um seine Konzentration zu finden. Sollte er Kontakt zu Leif aufnehmen? Den Weg zu seinem Lebensfaden kannte er nahezu blind. Einen halben Tag, länger würde er nicht brauchen, um dorthin zu gelangen. Seine Gedanken würden über den Abgrund hinaus nach Midgard und seinen alten Freund finden. Also, sollte er oder sollte er nicht? Und wenn ja, warum eigentlich? Um was zu tun, um was zu sagen? Er musste nachdenken. Schnell verabschiedete er sich von Verdandi. Eine ungelenke Umarmung musste es schon sein, um sie nicht durch

seinen übereilten Aufbruch zu kränken. Aber dies tat er gern und in Ehren. Nie hätte er in seinem vergangenem Leben jemals geglaubt, einer so schönen Frau so nahe zu kommen. Zum Glück für ihn war er ohne Arg und kannte seinen Platz. Hm, vielleicht war sein neuer Platz in dieser Welt ja gewichtiger und besser als vordem. Auch darüber würde er nachdenken. Irgendwann jedenfalls. Schnell fand Thoralf den gewohnten Pfad raus aus dem Tal. Nun brauchte er nur noch zwei oder drei Stunden weiterzugehen, sich dann ein wenig rechts zu halten. Leifs Lebensfaden befand sich dicht am Weg. Kaum zu

verfehlen und leicht zu finden. Er war damals nach seiner Ankunft der erste Faden, mit dem er Kontakt hatte. Abgesehen von seinem eigenen natürlich, den er selbst mit blutendem Herzen durchschnitt. Aber das war Geschichte. Der Tag war immer noch schön und alles lief bis jetzt nach Plan. Bis jetzt! „Na, wo kommst du denn her? Und vor allen Dingen, wo willst du hin? Machen wir heute etwa blau?“, erklang in Thoralfs Rücken die scharfe Stimme von Skuld. Hatte die Norne ihn doch erwischt! Das war so nicht geplant! Fast hätte er es geschafft und wäre ihr entwischt. Sie

trieb sich zumeist hier in der Gegend herum. Das Tal ihrer Schwester war nicht weit entfernt und für einen kurzen Besuch schnell zu erreichen. Verdammt, das wusste er. Und trotzdem hatte er sich überraschen lassen. Thoralf ärgerte sich maßlos. Nur ein paar Schritte weiter, einige Minuten später, dann wäre er außer Sichtweite gewesen. Aber nun war daran nichts mehr zu ändern. Wie hieß es doch immer so schön: Augen zu und durch! „Urd wollte mich sehen. Ich hab ihr die Haare gekämmt. Und dann wollte mir Verdandi etwas zeigen. Dies muss ich übrigens in Zukunft regelmäßig machen“, entgegnete Thoralf

nervös. Es war die Wahrheit, irgendwie jedenfalls. Und das Erste, was ihm einfiel. Noch nie in seinem Leben war Thoralf besonders schlagfertig gewesen und die Wahrheit hatte ihn stets im Griff. Aber eigentlich war es egal, was er sagte. Alles konnte richtig oder falsch sein. Wie so oft im Leben, wusste man dies immer erst hinterher. „So, so. Lügst du mich auch nicht an? Das würde dir gar nicht bekommen! Ich könnte dir auch noch deine Finger brechen. Oder besser noch, die Hände ganz entsorgen. Dann müsstest du deine Tasche mit den Zähnen hinter dir herschleifen. Na, was ist? Lügst du nun

oder nicht? Letzte Chance für dich, sonst macht es knack“, drohte Skuld. Sie machte ein mürrisches Gesicht mit ein wenig Skepsis darin, das so gar nicht zu ihrer unglaublichen Schönheit passen wollte. Aber um ehrlich zu sein, Thoralf hatte die Norne noch nie anders gesehen. Und froh schon gar nicht. „Ehrlich, es stimmt! Fragt eure Schwestern. Ich schwöre es bei meinem Leben“, beteuerte das Skelett, das ehemals ein Nordmann war. „Als wenn das was bringen würde!“, grinste Skuld hämisch. „Dein Leben! Dass ich nicht lache! Aber nun gut, so sei es. Wenn ich Zeit habe, werde ich die beiden fragen. Und wehe dir, du hast

mich veralbert! Arme ohne Hände, denk daran!“ Thoralf fiel ein Stein vom Herzen. So richtig gelogen hatte er ja nicht. Dass er heute Wandertag hatte und die Besuche von ihm geplant waren, wusste die Norne ja nicht. Und vielleicht würde sie es nie erfahren. Ja, vielleicht kam er sogar damit durch. Die Namen ihrer Schwestern schienen Skuld zu beeindrucken. Gut zu wissen! Und wenn sie Verdacht schöpfte, dann wohl nicht jetzt. Das war gut so, denn heute hatte er noch was vor. Über alles andere konnte man sich später Gedanken machen. Wie hieß es doch so schön? Kommt Zeit, kommt Rat! Oder so

ähnlich. „Und wo soll es jetzt hingehen?“, hakte lauernd Skuld nach. „Willst du mir auch etwas Gutes tun? Denk bitte dran, die Knochen. Knack, knack!“ „Ich wollte jetzt wieder auf die Ebene hinaus“, rechtfertigte sich Thoralf und zeigte seine Tasche vor. „Ich weiß da eine Stelle, da sieht es noch ziemlich mistig aus.“ „Mistig also, so, so“, nörgelte Skuld. „Na gut, ich will dir mal glauben. Wie ich sehe, hast du aus deinen Beinen einen Spielplatz für Knoten gemacht. Interessant, du scheinst klüger zu sein, als du aussiehst und ich dachte. Vielleicht sollte ich mich vorsehen und

dich besser im Auge behalten! Was meinst du, sollte ich das? Nicht, dass du mich noch vorführst!“ „Oh nein, ganz gewiss nicht. Das würde ich mir nie erlauben“, versicherte Thoralf hastig. „Ich mache meine Arbeit gern. Wenn du zufrieden bist, fühle ich mich gut. Ich mache alles! Du brauchst es nur zu sagen. Ich habe keinen eigenen Willen mehr, keine eigenen Gedanken und keine eigenen Träume. Das kannst du mir glauben! Etwas Höherem zu dienen ist nunmehr mein ganzes Streben.“ „Ha, wer's glaubt!“, schnaubte Skuld. „Bürschchen, Bürschchen. Tricks mich bloß nicht aus! Sonst, knack und knack.

Aber gut. Da du anscheinend nunmehr besser laufen kannst, so erhöht sich auch dein Arbeitspensum. Ich werde da keine Rücksicht nehmen. Ich möchte sehen, dass du über die Ebenen flitzt. Mit einer Staubwolke in deinem Rücken! Ich zeig dir mal, wie ich mir das so vorstelle!“ Sprach's und drehte das Skelett mit dem Rücken zu sich herum. Und trat dann mit einiger Gewalt dorthin, wo früher der Allerwerteste war. Thoralfs Knochen nahmen Fahrt auf und stolperten den Pfad entlang. Einige Schritte ging dies gut, aber dann war Schluss mit dem Gleichgewicht und die Schwerkraft verlangte ihr Recht. Und

zum wiederholten Male an diesem Tag küsste Thoralf den Boden. Thoralf grunzte erleichtert. Mittlerweile hatte er ein gut Stück Weg zwischen sich und der nervenden Norne gebracht. Leifs Lebensfaden war nahe. Bislang hatte er sich immer noch nicht entschieden, ob er Kontakt zu ihm aufnehmen sollte. Der alte Freund hatte bestimmt gerade andere Sorgen. Der Gott im Spiegel schien richtig schlecht gelaunt und würde sich sobald bestimmt nicht beruhigen. Später war vielleicht besser. Bis dahin konnte er ja noch einmal einen Blick über den Abgrund werfen und auf einen günstigen Moment

warten. Da vorne, gleich hinter dem vertrockneten Busch, dort fand er sein Ziel. Schon war er heran, als ihn ein ganzer Schwall fremder Laute erreichte. Reflexartig ließ Thoralf sich schnell hinter dem Busch zu Boden fallen, was mehr Quälerei als sportliche Eleganz war. Die Vorsicht siegte diesmal über die Neugierde, so hatte es das Leben ihn gelehrt. Minutenlang verharrte er in einer für ihn unbequemen Stellung und konnte sich nicht recht entschließen, wie er weiter vorgehen wollte. Inzwischen wechselten die Töne von hoch zu tief und wieder zurück, bis sie sich schließlich in einem Tanz voller

Rhythmus vereinigten. Es war Gesang, ganz eindeutig. Nicht besonders gut, aber auch nicht schlecht. Aber woher kam er? So etwas hatte Thoralf bei all seinen Ausflügen noch nie gehört. Eigentlich herrschte hier oben eine solch unheimliche Stille, dass man den Nachklang seiner eigenen Bewegungen hören konnte. Nur die Nornen machten außer ihm Geräusche. Und natürlich der Strom der Zeit. Behutsam steckte Thoralf seinen Schädel zwischen die Zweige des Busches hindurch und hielt nach der vermeintlichen Gefahr Ausschau. Von wegen Gefahr! Was er sah, ließ ihn

die Kinnlade herunterklappen. Es war ein Mädchen, so nahm er jedenfalls an. Gleich ihm ein Skelett, das einen knielangen Rock trug, aus faserigen Überresten gefertigt. Sie trug ein Stirnband aus Silberdrähten. Kleine Schmuckplättchen, wie Thoralf sie auch sammelte, baumelten lustig um den ganzen Kopf herum, an langen und weniger langen Fäden, herab. Und dieses Skelett sang, sagen wir es einmal so, aus voller Kehle. Und wahrhaftig, dabei wiegte es seine Hüften anmutig zum Tanz. Thoralf war dermaßen verblüfft, dass er seitwärts aus dem Busch kullerte und sich somit offenbarte. Im ersten

Augenblick der Begegnung sprang das andere Skelett zurück, duckte sich wie zum Kampfe und starrte Thoralf misstrauisch und abwartend an. Aber dies änderte sich schneller, als Thoralf husten konnte. Mit drei, vier Sätzen war das fremde Skelett heran und griff nach seinem Schwert, das ihm entglitten war. Und ehe Thoralf noch einmal husten konnte, fühlte er eine spitze Klinge in seiner Nasenhöhle. Begleitet von einem abschätzigen Blick, der seine Knochen wie eine Ware von oben bis unten musterte. Nicht schlecht, gar nicht schlecht, dachte er. Nur eine Rolle vorwärts fehlte und der

Angriff wäre perfekt gewesen. Aber für ihn hatte es ja auch so gereicht. „Was bist du denn für einer? Ein Spanner oder was? Sitzt unterm Busch und späht andere Leute aus! Komm, mach's Maul auf!“, herrschte ihn das fremde Skelett an. „Ich, äh, ich wusste, äh, wie sollte, äh, aber ...“, stotterte Thoralf herum. „Äh, äh, ich, bla, bla, bla, äh“, äffte das Skelett ihn nach. „Gib es zu, du wolltest spannen. Einem redlichen Mädchen unterm Rock schauen, stimmt's? Soll ich dir erst meinen Namen in deine Knochen ritzen, bevor du endlich dein Maul aufmachst?“ „Wie? Was? Mädchen? Oh nein, das ist

ein Missverständnis, ich wollte, äh, so glaub mir doch ...!“ „Was soll ich dir glauben? Dass du im Busch nach Dracheneier gesucht hast? Hältst du mich für blöd? Spuck`s endlich aus, du Blarrlappen, meine Geduld ist fast am Ende!“ „Verdammt noch mal, dann lass mich doch endlich zu Wort kommen“, schimpfte Thoralf voller Ärger, der ihm allerdings die ganzen Sätze wiedergab. „Und nimm endlich das Schwert beiseite! Ich habe keinen Bock darauf, dass du in meinem Knochen herumstocherst. Oder würde dir dies etwa Spaß machen? Dann wärst du doch diejenige, vor der man sich hier in acht

nehmen müsste.“ Das fremde Skelett zeigte sich deutlich unentschlossen und brachte dies mit einem lang anhaltenden Grunzen zum Ausdruck. Keiner würde sagen können, wie viele Gedanken in ihrem luftigen Schädel hin und her gerast waren, bis sie sich entschied. Zu Thoralfs Glück für seine Geschichte und nicht für Schnitzarbeiten. Das Schwert beschrieb einen Bogen zur Seite, das Skelett trat zurück und nahm eine Lauerstellung ein. Es war noch nicht vorbei, das zeigte die Körpersprache ganz deutlich. „Also gut, versuchen wir es! Wenn du Zicken machst, Kleiner, dann gibt's was

auf die Rübe! Haben wir uns da verstanden?“, gab ihm das Skelettmädchen zu verstehen. Thoralf nickte zustimmend und versuchte sich mühsam wieder aufzurappeln. Irgendwann hatte das fremde Skelett genug gesehen und packte ihn am Schulterblatt. Kraftvoll ging es in die Höhe, sodass es Thoralf fast schwindlig wurde. „Danke. Und, Thoralf ist mein Name“, versuchte er einen versöhnlichen Ton anzuschlagen. Aber eigentlich ärgerte er sich ziemlich. Falsche Unterstellungen waren für ihn mit die schlimmsten Dinge, mit denen man sich herumschlagen konnte. Schon

sein ganzes Leben war er eher der friedliche Typ. Sah das denn niemand? Dieses bissige Mädchen hier ganz gewiss nicht! Es half alles nichts, wenn dies hier noch was werden sollte, dann musste er seinen Ärger vorerst herunterschlucken. „Thoralf also, wie nett. Also, du kleiner Spinner, was wolltest du denn mit mir anstellen? Treibst du dich eigentlich immer in Büschen herum?“, zischte sein Gegenüber boshaft weiter. „Ja, ich freue mich auch, dich kennenzulernen. Doch sag, wie ist dein Name?“, ließ sich Thoralf nicht irritieren. Diese Taktik zeitigte Wirkung. Er hatte

sie wohl aus dem Konzept gebracht. Das passiert schon mal, wenn man auf Fragen mit Fragen antwortet. Aber darüber hinaus war sie es wohl nicht gewohnt, dass ein verbaler Angriff mit Freundlichkeit vergolten wurde. Jedenfalls setzte sie mehrfach zum Sprechen an, verschluckte aber immer im letzten Moment die gewählten Worte. Stattdessen blieb es schließlich bei einem fassungslosen Starren, in dem aber auch ein klein wenig Interesse lag. Thoralf musste innerlich grinsen. Nur zeigen dufte er dies nicht. Sonst wäre alles umsonst. Er ahnte, was in ihr vorging, war sie doch nicht sein erstes Versuchskaninchen. Daheim in

Thorsfelsen war dies eine bewährte Taktik, bestimmte Situationen zu entschärfen. Übrigens, meistens mit Erfolg. Aber irgendetwas musste passieren, irgendeiner musste den Anfang machen, sonst würden sie hier noch morgen stehen. „Wollen wir uns nicht setzen?“, fragte Thoralf und machte eine einladende Handbewegung. „Dort, auf den Stein vielleicht. Ich will dir nichts Böses. Ich kam hier nur vorbei und hatte Angst. Sagst du mir jetzt deinen Namen?“ „Gudrun“, flüsterte sie fast schüchtern, während Thoralf ihre Hand ergriff und sie behutsam zu der Sitzgelegenheit

führte. „Gudrun, ein schöner Name“, schmunzelte er. „Wieso bist du hier? Ich meine, auf dieser Ebene? Arbeitest du hier? Etwa genauso wie ich? Warum hat man dir das Leben genommen? Deine Beine sind noch ganz, wie ich sehe.“ „So viele Fragen!“, kicherte Gudrun. Wenn sie noch aus Fleisch und Blut wäre, dann würde ihr Gesicht jetzt vielleicht lächeln, überlegte Thoralf. Aber so war die Fröhlichkeit nur in ihrer Stimme. Sie klang jetzt sanft, fast schon freundlich. Auf jeden Fall weitaus ruhiger. Und das war ja auch schon jede Menge wert, denn sie legte sein Schwert aus der Hand, lehnte es achtlos an den

Stein. „Na, was man von deinen Beinen nicht sagen kann. Ich rate mal, du bist auf Skuld getroffen, oder?“, fuhr Gudrun fort. „Und ja, ich arbeite hier. Ich repariere die Gestelle. Siehst du?“ Gudrun nestelte an ihren Gürtel herum, löste die Befestigungen einer kleinen Tasche und hielt sie ihm vors Gesicht. Was Thoralf erblickte, waren ein paar Werkzeuge verschiedener Art. Nicht besonders groß, nicht besonders schwer, nicht besonders viel. Einen Hammer und eine Zange. Dazu ein Stechbeitel, etwas Silber- und Eisendraht und jede Menge neuer Fäden aus unterschiedlichem Material. Nägel

und Holzdübel. Ach so, auch einige wenige dieser kleinen Schmuckplättchen, die Thoralf mit Leidenschaft sammelte, waren dabei. „Ach, du bist das! Du reparierst die Gestelle!“, freute sich Thoralf. „Ich habe mich schon gewundert. Ich habe sie immer nur notdürftig gerichtet. Aber jedes Mal wenn ich zurückgekommen bin, waren sie wieder in Ordnung.“ „Ich glaub`s ja nicht“, lachte Gudrun, jetzt schon um vieles fröhlicher. „Dann bist du also derjenige, der mir diese windschiefen Dinger hinterlassen hat. Naja, wenigstens hast du ordentlich sauber gemacht.“ „Ich sollte sie nicht reparieren!“,

erwiderte Thoralf ein wenig verschnupft. „Ich darf nur aufräumen, sonst nichts. Ich habe ja nicht einmal Werkzeug. Naja, die Dinge ein wenig festbinden darf ich schon, aber das ist auch schon alles. Anweisung von Skuld, wenn du verstehst.“ „Und ob ich das verstehe. Diese fiese Kuh nervt ganz schön! Gudrun mach dies, Gudrun mach das. Immer rückt sie einem auf den Pelz und erteilt Anweisungen. Aber leider bin auch ich an die Norne gebunden. Hat sie dich hergebracht?“ „Eigentlich nicht“, überlegte Thoralf laut. „Eher hat sie mich hierbehalten. Es gab da so eine Absprache, weißt du.

Danach sollte ich eigentlich weiter nach Asgard ziehen. Aber sie hat sich nicht daran gehalten.“ „Das sieht ihr ähnlich“, schimpfte Gudrun. „Sie ist widerlich und hinterhältig. Hatte sie die Absprache mit dir?“ Thoralf schüttelte mit dem Kopf. Die Sache war zu kompliziert, um sie mit ein paar Worten zu umschreiben. Er tat einen tiefen Seufzer und erzählte ihr dann seine Geschichte der letzten Monate. Die Worte flossen nur so aus dem Mund heraus und fragten gar nicht erst, ob das Hirn damit einverstanden war. Es gibt diese Momente, wo die Lippen eigene Wege gehen und die

Vernunft einfach ausgeschaltet wird. Und so manch einer wird es wissen, hat man erst einmal angefangen, kann man so leicht nicht mehr aufhören. Übrigens, Lippen und Mund, schön wär`s. Und genau dies war hier der Fall. Thoralf erzählte und erzählte und ließ kaum etwas aus. Nur dass er mit den Lebensfäden Kontakt aufnahm, das verschwieg er. Sein Unterbewusstsein hatte hier wohl eine Bremse eingebaut. Eigentlich war es noch nie seine Art gewesen, Fremden alles zu offenbaren. Aber es hatte sich in der letzten Zeit so einiges angesammelt und das musste endlich heraus. Und wirklich, so nach

und nach fühlte Thoralf sich besser. Es stimmte schon, wenn man alles in sich hineinfraß, wurde die Last nur noch größer. Außerdem hatte er Zutrauen zu Gudrun gefasst, was eigentlich unnatürlich war, nachdem das Leben ihn so angeschmiert hatte. Aber da war etwas, was sich schwer erklären ließ. Ein Samen, der gerade erst anfing zu keimen. Er fühlte sich wohl in ihrer Nähe. Und nicht nur wegen dieser Geschichte, die da hieß: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Aber auch in Gudrun ging so einiges vor. Spätestens als Thoralf ihr von Leifs Todeskampf erzählte, rückte sie näher zu ihm heran und legte ihm mitleidig den

Arm um die Schulter. Und als der Teil kam, in dem ihm Skuld die Beine brach, ergriff ein Schluchzen von ihr Besitz, das gar nicht mehr weichen wollte. Und weil es so schön war, legte auch Thoralf ihr seinen Arm um die Schultern und schluchzte mit. Als sich beide etwas beruhigt hatten, erzählte ihm auch Gudrun ihre Geschichte. Diese war bei Weitem nicht so glorreich wie die Seine, dafür aber um vieles trauriger. Ihr Vater sei früh gestorben, so erzählte ihm das Mädchen an seiner Seite. Elf Kinder und eine Frau hatte er hinterlassen. Dazu Schulden und einen heruntergekommenen Hof mit ein wenig

Land, das nur mäßig fruchtbar war. Das Essen war knapp und die Schulden drückten. Krankheit raffte drei Kinder hinweg. Die anderen schliefen hungrig und dreckig Seit an Seit im Stroh, denn Betten gab es keine. Genauso wenig wie neue Kleidung, sodass die Kinder in Fetzen einhergingen, die mehr Haut zur Schau stellten, als dass sie verdeckten. Das wenige Geld, was ihre Mutter sich gelegentlich als Tagelöhnerin verdiente, wurde gebraucht, um irgendetwas Essbares in die hungrigen Mäuler zu schieben. Eines Tages lagen sieben der acht Kinder krank danieder. Fünf vor Hunger und zwei mit einer heftigen

Sommergrippe. Die Not war groß und ihre Mutter beschloss, zum Weltenbaum zu pilgern und die Nornen um Rat zu fragen. Skuld war es, die irgendwann antwortete. Sie verlangte das einzig noch verbliebene gesunde Kind zum Dienst, auf dass die anderen überlebten. Und dieses Kind war Gudrun. Unter Tränen und mit schwerem Herzen ließ ihre Mutter sie ziehen, denn eine Wahl hatte sie nicht. Gudrun wusste nicht mehr genau, wie alt sie damals war. Aber, so meinte sie jedenfalls, mehr als zehn Jahre hatte sie noch nicht gelebt. Wie dem auch sei, ihre Geschwister überlebten wie durch ein Wunder. Sie

wurden zwar nicht reich und waren nicht wohlgenährt, aber sie schlugen sich so durch. Sie lebten, das war schließlich die Hauptsache. Es waren nun schon Jahre seitdem vergangen und Gudrun trug ihre Würde mit Einsicht. Sie war zwar nicht glücklich damit, aber sie ging mit hoch erhobenem Haupt über die Ebene. Nun war es Thoralf, der mit dem Schluchzen begann. Zum Glück ließ ihn Gudrun nicht lange allein damit. Und so saßen sie noch eine ganze Weile in ihrem Leid vereint beisammen, bevor sie anfingen, sich aneinander zu erfreuen und neue Kraft zu

schöpfen. Es vergingen keine drei Tage, da trafen sie sich wieder. Es war wie ein unsichtbares Band, das zwischen ihnen geknüpft war und sie immer wieder magisch anzog. Ja, es bestand eine ganz besondere Art von Magie zwischen den beiden, die sich stetig verstärkte. Zudem hatte sich ihre Wahrnehmung schon seit einer langen Zeit geändert. Es war eine andere als diejenige, welche sie erlebten, als sie noch unter den Lebenden weilten. Sie fühlten anders, sahen und hörten anders. Ja, sie dachten und lebten sogar anders. Und dies trug ein wenig mit dazu bei, dass sie

sich nicht nur gut leiden mochten, sondern regelrecht interessant fanden. So war es nicht verwunderlich, dass Gudrun und Thoralf immer öfter Nachrichten an einem von ihnen vorher vereinbarten Ort hinterließen und um ein Treffen baten. Nur kam es viel seltener dazu, als ihnen lieb war. Die Anweisungen der Norne waren schuld. Meistens arbeiteten sie so weit auseinander, dass ihre Zeit nicht für ein Treffen reichte. Aber da die beiden intelligent waren, fanden sie schon bald einen Weg. Ihre Aufträge erhielten sie nämlich nicht täglich, sondern immer über den Zeitraum von ein bis zwei Wochen.

Manchmal sogar noch über einen längeren Zeitraum hinweg. Also organisierten sie ihre Wege und Ziele ganz einfach um, auf dass die beiden in immer kürzerer Zeit zueinanderfanden. Und dann war es irgendwann nur noch logisch, dass die beiden zusammenarbeiteten. Thoralf machte sauber, während Gudrun zur gleichen Zeit die Gestelle in Augenschein nahm und nötigenfalls reparierte. Sie zeigte ihm bei dieser Gelegenheit auch all die besonderen Plätze, von denen sie wusste. Jene Verstecke, wo sich stolz die Gestelle mit den dicken Fäden emporreckten. Auch Fäden aus Seide und Silber. Zudem lernte Thoralf

von Gudrun, wie man mit dem Werkzeug umging. Er lernte die Gestelle zu reparieren, die Lebensfäden zu straffen und neu einzuhängen. Und schon bald konnte er, was sie konnte. Ab diesem Zeitpunkt wechselten die beiden sich mit ihrer Arbeit ab. Irgendwann fand Thoralf dann den Mut und schenkte Gudrun eine Kette, die er im Geheimen aus alten Silberdrähten zusammengebastelt hatte. Auch ein paar von diesen Schmuckplättchen hatte er mit Seide an ihr befestigt, die fröhlich bei jeder Bewegung klimperten und gut zum Stirnband passten. Oh, was für eine Freude! Da hatte er mal genau das Richtige getan. Etliche Umarmungen

außer der Reihe bewiesen dies ganz deutlich. „Was meinst du, ob es hier oben noch mehr von uns gibt?“, fragte Gudrun bei einer dieser Gelegenheiten. „Hm, schon möglich“, überlegte Thoralf laut. „Bis vor Kurzem dachte ich auch, ich wäre mit den Nornen hier oben ganz allein. Es war der reine Zufall, dass ich dich gefunden hab. Hätte ich an diesem Tag nicht etwas anderes gemacht, als ich sollte, dann würden wir beide jetzt und hier nicht miteinander reden.“ „Ja, es sieht ganz so aus“, stimmte Gudrun zu. „Es liegt an der Norne! Ich glaube, sie wollte nicht, dass wir uns über den Weg laufen. Skuld jedenfalls

scheint es so zu organisieren.“ „Dann ist es also wirklich möglich, dass hier noch mehr von uns rumlaufen“, dachte Thoralf weiter. „Umso mehr ich darüber nachdenke, umso wahrscheinlicher finde ich es. Überleg doch mal, wer soll denn hier die ganze Arbeit machen? Wir beide latschen im Grunde genommen doch nur über ein kleines Stück. Die Ebene ist doch in ihrer Länge so riesig! Bist du schon jemals an das andere Ende gelangt? Du bist doch schon viel länger hier als ich.“ „Nein, niemals!“, war die Antwort. „Ich kenne auch nur zwei Grenzen. Die zu Verdandi und die andere hier, ganz in unserer Nähe. Dort, wo wir beide hin

und wieder herunterschauen.“ „Hm, dann wäre es also möglich“, zog Thoralf den Schluss. „Wir sollten uns überlegen, wie wir dies herausfinden.“ Alles in allem war es keine feste Bindung zwischen ihnen, eher eine lockere. Denn ehe sich die beiden über wurden und auf die Nerven gingen, genannt auch die Vorstufe zum Streit, machten sie ein paar Tage voneinander Pause. Ohne Groll, in einem Einverständnis ohne Worte. Dann ging jeder der beiden seiner Wege, bis das unsichtbare Band sie wieder zusammenführte. Dann fanden sie erneut zueinander und wanderten Hand in Hand über die Ebene.

Zwei Stimmen hallten über die Gestelle hinweg im Gesang vereint, eine schlechter als die andere. Für das verwöhnte Ohr durchaus eine Quälerei, aber die beiden konnten ganz gut damit leben. Vielleicht hörten sie es auch gar nicht, sondern fanden sich ganz toll. Manch einen Lebensfaden brachten diese Töne sogar zum Vibrieren. Dann musste wohl irgendein Wesen in einer der neun Welten glauben, eine Art Gesang zu vernehmen. Was es wohl für Schlüsse daraus zog? Auch Urd und Verdandi besuchten sie nun meistens gemeinsam. Die beiden Nornen freuten sich aus ehrlichem Herzen, ganz ohne Arg. Ihrer dritten

Schwester verrieten sie nichts. Es war ein sympathischer Eigennutz, aus der Geselligkeit geboren, welche Urd und Verdandi so sehr liebten. Denn bei ihren Besuchen verwöhnten Thoralf und Gudrun jetzt die beiden Nornen gemeinsam. Thoralf kämmte ihnen die Haare, während sich Gudrun um Haut und Nägel kümmerte. Schon bald war dies eine feste und gute Gewohnheit. Geschichten und Frohsinn waren allseits der Lohn. Und hatten sie sich wieder an Skuld vorbei auf die Ebene gemogelt, dann saßen sie auf einem höheren Felsen und spielten ein besonderes Spiel. Ein jeder warf einen oder mehrere Steine hin zum

Rand der Ebene und darüber hinaus. Und, oh Wunder, nach einer genau festgelegten Zeit kehrten diese Steine von der entgegengesetzten Seite wie schwerelos zu ihren Besitzern zurück. Dann brauchte man sie bloß zu fangen. Oder aber man ließ sie fliegen. So einige Male schafften es die Steine, ihren Weg zu finden. Aber jedes Mal ein wenig niedriger, ein wenig kraftloser. Bis sie dann irgendwann im Nichts verschwanden oder irgendwo auf der Ebene zu Boden fielen. Zwischen dem Wurf und der Wiederkehr verging jede Menge Zeit, die man gut zum Kuscheln nutzen konnte. Was Thoralf dann auch tat. Oh ja, ein jeder

wird es wohl bemerkt haben, außer Thoralf. Er hatte sich verliebt! Aber keine Sorge, irgendwann bemerkt dies ein jeder.

Thor

Bedächtig strich Falk über Knurrs goldenes Köpfchen. Ein Köpfchen, das eigentlich schon ein Kopf war. Oh ja, aus dem apfelgroßen Flugdrachenbaby war ein kalbgroßes Flugdrachenkind geworden. Handtellergroße Augen schauten schmachtend und lieb unter einer Langhaarfrisur hervor. Aber, von wegen lieb! Lieb war der kleine Drachen nur, wenn es ihm in den Kram passte. Oder aber, er war müde. Zugegeben, es gab in der Vergangenheit schon jede Menge Menschenkinder, die bissiger und dickfelliger waren. Allerdings konnte Knurr es sehr wohl mit

ihnen aufnehmen, wenn er sich entschlossen hatte, bockig zu sein. Was dann und wann eben der Fall war. Eigenartigerweise kam nur der Kleinste in ihrer Runde mit ihm klar. Und dies war Falk. Und das war wirklich verwunderlich, reagierte die Natur doch eher unüblich. Ws ich hier meine, das ist dieser allbekannte Mutterinstinkt. Denn schließlich war Knurr damals ein Geschenk an Leif. Und jener hatte das Ei in einem Fellbeutel um den Hals quasi ausgebrütet, wobei sich Angus Amulett als sehr hilfreich erwies. Apropos Leif. Der schlief zufrieden in einer schaukelnden Hängematte in der Mitte des großen Zeltes. Sein Traum

mochte glückselig und ruhmreich sein, denn ein Strahlen lag auf seinem Gesicht und wollte seit Stunden nicht weichen. Im Allgemeinen lag Frieden über der kleinen Ansiedlung im Birkenhain, zwischen der Worlag und dem Lebensbaum. Die Bewohner hielten mehr oder weniger Mittagsruhe. Selbst die wenigen Wachen wirkten schläfrig und träumten in den Tag. Auch Falk wollte gerade in die Traumwelt hinüberwechseln, als dieser Frieden urplötzlich gestört wurde. Ein Donnerschlag ließ die Luft erzittern. Schwere Schritte stampften durch das Lager, von einem unwilligen Schnauben

begleitet. Große Hände zerrten ungeduldig an der Eingangsplane des Zeltes. Und als diese sich ein wenig sperrte, trennte rohe Gewalt sie vom Rest. Thor war gekommen und füllte den Eingang. Die Strahlen der Sonne umspielten sein Haupt und machten seine Erscheinung doch göttlicher, als sie ohnehin schon war. Eine kurze Orientierung, dann war der Gott auch schon in der Mitte des Zeltes und bei Leif. Ein kurzes unwilliges Brüllen. Und ehe Falk blinzeln konnte, trat Thor aus dem Stand den Jungen, der gerade erwachte, aus seiner Hängematte. Dieser flog wie

ein Ball in den hinteren Teil vom Zelt. Dort wurde Leif durch die Plane gestoppt, woraufhin er unsanft den Boden küsste. Im Nu war Thor heran und über ihn. Weit aufgerissene Augen und ein vor Entsetzen offener Mund halfen Leif nicht viel. Der Gott riss ihn in die Höhe, zuerst an seinen Haaren, dann an seinen Ohren. „Schläft es sich gut, Bürschchen? Oder was?“, knurrte er mit tiefer Stimme. „Hast du nicht eine Aufgabe? Aber wer wird sich denn anstrengen, wenn man hier ganz geruhsam sein Hinterteil pflegen kann! Sollen die anderen doch zusehen, wie sie klarkommen, oder? So denkst du doch wohl, oder? Du faule

Sau!“ Klatsch, klatsch. Zwei Ohrfeigen, auf jede Wange eine, fanden ihren Weg in Leifs Gesicht. Falk rutschte soweit als möglich aus dem Gefahrenkreis, während sich Knurr fluchtbereit duckte. „Ein bisschen den zarten Körper pflegen, was? Irgendeiner wird sich schon um den Reif kümmern, oder was?“ Klatsch, klatsch. Leifs Kopf flog von links nach rechts. „Da muss sich mein Vater über solch eine unscheinbare Ratte wie dich Gedanken machen! Ganz toll! Und da du hier faul und frech den Tag verschläfst, darf ich jetzt das tun, wozu du keine Lust

hast!“ Klatsch, klatsch. Leifs Wangen brannten, die Lippen platzen auf. „Aber dir werd ich! Ich werde dafür sorgen, dass du das tust, wofür du vorgesehen bist!“, brüllte der Gott gereizt. „Und wenn ich dich dahin treten muss. Das wäre ja noch schöner. So jung und schon so widerlich faul und abgebrüht! Ich soll also deine Arbeit tun? Hast du dir gedacht! Los, Zarter, auf geht’s!“ Er packte Leifs Kittel am Halsansatz und hob den Jungen hoch. Ganz so, als wolle er ihn mit Schwung durch den Zelteingang hinaus ins Freie werfen. War dieser Tumult bislang für Knurr ein

unverständlicher Schrecken, so löste die letzte Bewegung Thors seinen Fluchtinstinkt aus. Rasch hatte der Drache seine etwa drei Meter langen Flügel ausgebreitet und stürmte los. Ganz im Startmodus mit Anlauf. Nur leider war das Zelt im Wege. Und so kam, was sich nicht mehr vermeiden ließ. Zeltstangen brachen, Stoff riss. Und mittendrin das ohrenbetäubende Geheul eines Gottes. Jauchzend stand Leif zusammen mit Geri am Vordersteven des Langschiffes. Das Leben war herrlich, obwohl seine Wangen noch immer brannten. Gischt spritzte ihm ins Gesicht und kühlte

angenehm die heiße Luft. Das Schiff war schön. Fast schon ein Meisterwerk. Ein stolzes rot-weiß gestreiftes Segel blähte im Wind. Der Bug war schnittig und zerteilte das Wasser wie nichts. Mit atemberaubender Geschwindigkeit durchpflügten sie die Wasser der Worlag. Der Wolfsgraben war ihr Ziel. Laut dröhnte Thors Lachen über die Planken. Der Gott stand breitbeinig am Ruder und der stetige kraftvolle Wind blies ihm die gewaltige Haarpracht von hinten ins Gesicht. Der Wind, ja, er war schon ein besonderer. Thor hatte ihn eingefangen. Irgendwo und irgendwie. Eingefangen und gefügig gemacht. Und nun blies

dieser aus vollen Backen immer in die richtige Richtung, immer kurz hinter dem Schiff. Leif genoss diesen wilden Ritt auf den Wellen des Flusses in vollen Zügen. Zwar versuchten sich die Erlebnisse vom letzten Sommer am Wolfsgraben in ihm festzusetzen, aber er kämpfte dagegen an. Sie brachten bloß Ungemach. Es war viel besser, das Leben zu genießen. Jetzt und hier. Alles an dieser Fahrt war um so vieles besser, als das Leben im Lager unter dem Weltenbaum. Dort wurde nur gelernt. Darunter viele Dinge, von denen Leif vermeinte, diese ohnehin nie gebrauchen zu können. Still musste man

sein und zuhören. Widersprechen ging gar nicht. Nicht zappeln! Eine hässliche und unbequeme Kleiderordnung beachten. Und, und, und. Alles Dinge, nach denen ihm nicht der Sinn stand. Alles? War wirklich alles besser? Naja, darauf, dass Thor ihn mindestens einmal täglich übers Knie legte und ihm den Hintern versohlte, darauf konnte Leif unter Umständen verzichten. Auch auf all die Hiebe und Knüffe außer der Reihe, welche seine Tränenproduktion radikal in die Höhe trieben. Auf die ganzen blauen Flecke sowieso. Mittlerweile ähnelte seine Haut schon der eines fauligen Apfels. Aber was sein muss, musste sein, so tönte der

Donnergott lautstark. Erziehung nannte Thor diesen Zeitvertreib unter dem Beifall seiner Fans. Und das war fast ebenso schlimm für Leif, wie die besonders robuste Massage seines Körpers. All die Anhänger des Donnergottes johlten mit erhobenen Trinkhörnern. Das war klar und schon fast verständlich. Aber dass Falk begeistert „Zugabe“ rief, während Angus, Geri und Marcus verschämt wegschauten, dies ging dem Sohn des Lichts doch an die Nieren. Ansonsten ließ es sich mit Thor gut aushalten. Jedenfalls, wenn der bei Laune war und keine Ohrfeigen in der Luft lagen. Und in Hochstimmung war

der Donnergott, Falk sei’s gedankt. Der kleine Alb hatte ein Gespür für Stimmungen. Und so reichte er in regelmäßigen Abständen Thor ein Horn mit köstlichem Met. Seitdem hatte Leif eine relativ ruhige Zeit. Dabei sollte der Alb auf dieser Fahrt eigentlich gar nicht dabei sein. Denn nach dem Einsturz des Zeltes war Thor stinksauer. Er sei lächerlich gemacht worden, plärrte der Gott. Auch solche Ausdrücke wie „unfähige Idioten und nicht zu gebrauchende Lümmel“ machten die Runde. Aber als dann der Zeitpunkt der Abreise kam, ging Falk wie selbstverständlich mit an Bord. Dazu im Schlepptau Knurr,

Marcus und Angus. Thor schaute ziemlich entgeistert, sagte aber nichts. Zwar wurde Leif ein wenig durchgeschüttelt, aber er sagte nichts. Eine ganze Weile gab Thor sich noch brummig, bis Falk ihm den ersten Schluck Met reichte. Und seitdem stieg seine Laune stetig und ihre gemeinsame Fahrt wurde zum Spaß. Der Gott, die Walküren und all die Asen lagen sich in den Armen und sangen Lieder der Welt zum Lob. Natürlich versorgte der Alb auch sich selber. Sogar Knurr und Angus bekamen ihren Teil. Nur Leif lehnte ab. Er war noch auf Bewährung und wollte Thors Stimmung nicht ausnutzen. Er würde nämlich den

Kürzeren ziehen! Seine Wangen wussten dies genau! Langsam wurden die Hänge der Berge links und rechts steiler. Schon lange durchfuhren sie das Hochland von Markan. Das Ziel war nahe. Schon vermeinte Leif die eine oder andere Landmarke zu erkennen. Zu ihm gesellte sich Geri. Odins Wolf und Leifs Freund aus vergangenen Tagen. Thor hatte ihn aus Asgard mitgebracht. Der Wolf legte sich neben ihn auf die Decksplanken und entspannte. Leif stieg vom Steven herunter und kuschelte sich ein. „Ich glaube, wir sind bald da“, flüsterte er und kraulte dem Wolf zärtlich unter

der Schnauze. „Sind wir“, antwortete Geri. „Eine Schlucht noch, steil wie meine Reißzähne. Ein sanftes, von Hügeln umrahmtes Tal. Und schließlich eine Schlangenform. Dann müssten wir ihn sehen. Den Ort unserer Scham.“ „Werden wir es diesmal schaffen?“, wollte Leif wissen. „Ha, ha“, lachte Geri froh. „Du kennst Thor nicht. Die Geister sind zwar mächtig und ihr Fürst besonders. Aber wenn der Donnergott erst einmal in Fahrt kommt, dann kennt er kein Halten.“ „Die Wassermenschen sind listig“, gab Leif zu

bedenken. „Oh ja, das sind sie“, stimmte der Wolf zu. „Umso schlimmer für sie. Wenn Thor erst einmal merkt, dass ihn einer veralbert, dann kommt sein göttliches Blut so richtig in Wallung. Selbst Loki würde dann in Deckung gehen. Hast du ihn überhaupt schon einmal zornig gesehen?“ „Als er mich verprügelte, war er da zornig?“, wollte Leif wissen. „Oh nein, ganz und gar nicht. Das war nur eine leichte Verstimmung.“ „Nun, dann nicht. Ich kenne ihn ja kaum. Eigentlich gar nicht.“ „Dann mach dich auf was gefasst. Könnte mir schon vorstellen, dass die

Geister so dumm sind und ihm trotzen. Ihr Fürst gilt ohnehin als zu gleichen Teilen dumm und arrogant. Jedenfalls werden wir ein schönes Schauspiel zu sehen kriegen.“ „Na, du scheinst dich ja regelrecht zu freuen“, grinste Leif schelmisch. „Willst du ihn etwa noch anstacheln?“ „Wenn ich muss und er mir Gelegenheit dazu gibt! Die Sache ist es wert. Wenn es losgeht, wirst du verstehen, was ich meine. Ich war schon öfter dabei. Und ich war es gern. Er wird zu einem kleinen Kind, wie soll ich es anders sagen.“ „Jetzt übertreibst du aber! Du veralberst mich, gib es nur zu!“, quengelte

Leif. Er packte einen der entblößten Reißzähne des Wolfes und wackelte theatralisch an ihm. Der Wolf stieß seine Zunge vor und leckte den Asen über Oberkörper, Gesicht und Haar. „Igitt“, ekelte sich Leif, während er hastig versuchte, sich den Sabber wieder abzustreifen. „Lass nur“, feixte Geri. „Ist gut gegen blaue Flecke. Und übertreiben tue ich schon gar nicht. Du wirst sehen! Wenn der Zorn ihn übermannt, erzittern Fels und Stein. Die Luft vibriert und das Wasser tobt. Wenn er erst seinen Hammer Mjöllnir schwingt und die Elemente entfesselt, ähnelt er schon sehr

einem trotzigen Kind. Aber nun gib Ruhe. Wir sind da. Dort, hinter der Biegung, siehst du?“ „Ja, du hast recht! Diese Steilhänge würde ich unter Tausenden wiedererkennen.“ „Schnell jetzt. Gib Thor Bescheid. Wir müssen an Land. Keiner, ob großer Krieger oder Gott, sollte dem Herrn des Flusses in seinem Element gegenübertreten.“ „Zeig dich endlich, Ruchloser“, bellte Thor über den Fluss, sodass es von den steilen Wänden widerhallte. „Ich weiß, dass ihr da seid! Du und deine dienstbaren Streiter! Also, zeig dich

endlich, du Feigling unter den Feiglingen! Lass deinen Gott nicht warten!“ Es war beileibe nicht die erste Aufforderung zum Kontakt, aber es war wohl eine zu viel. Selbst ein Wasserwesen wollte nicht als Feigling gelten. Jedenfalls nicht, wenn es sich vermeiden ließ. Hinzu kam, das Wesen dieser Art in der Regel sehr eitel sind. So reichten oftmals schon einige kleine provokante Bemerkungen aus, um sie aus ihrer Ruhe zu bringen. Und siehe da, das Wasser wogte an einigen Stellen mehr als vordem. Aus den Wellen wurde Gekräusel. Aus dem Gekräusel ein Strudel. Und aus seiner

Mitte heraus schoben sich in das Licht des Tages flüssige Schemen in fließender Bewegung. Aber letztlich doch Körper, in einer zeitlich definierten Form. Auf jeden Fall imposant, vielleicht auch bedrohlich. Wie beim ersten Mal, so stand Falk auch diesmal der Mund ganz weit offen. Auch heute konnte er sich nicht sattsehen. Klar, diese Wesen waren ihre Feinde. Sicher, sie waren eine Bedrohung. Auch für sein Leben. Richtig, sie verwehrten ihnen Asgards Reif. Aber sie waren dennoch schön anzuschauen. Und Falk liebte schöne Dinge, so sehr. Denn glänzend und fast durchsichtig waren diese Geschöpfe, genau wie ihre

Gewänder und Schwerter. „Du bist nicht mein Gott“, rief der Mächtigste in ihrer Mitte. „Wir waren schon viele Zeitalter auf dieser Welt, bevor ihr nordischen Götter überhaupt geboren ward. Also, sprich aus, was ist dein Begehr, Gott der Asen! Und dann verschwinde! Dir mangelt es sehr an Benehmen und Respekt!“ Thor schnaufte irritiert. Solch einen Ton war er nicht gewohnt. Aber noch hielt er sich zurück. Schließlich wollte er ja was und nicht umgekehrt. Und dies möglichst ohne Aufsehen! So etwas in der Art hatte sein Vater versucht, ihm einzuflößen. Und das war schwer genug.

Notgedrungen riss er sich zusammen. Nur an seiner krausgezogenen Stirn ließ sich ausmachen, wie angespannt er war. Donner lag in der Luft! Aber wussten dies auch die wehrhaften Geister des Flusses? „Ich bin hier im Auftrage Asgards und fordere hiermit die Krone der Himmelsburg zurück!“, drohte der Ase und hob symbolisch seinen Hammer. Wortlos starrten die Wasserwesen zurück. Dann rückten sie zusammen und begannen zu tuscheln. Aber hallo, dachte Falk. Was wird das denn? Geheimnisse waren schon immer sein

Ding. Geheimnisse in bedrohlicher Lage noch mehr. So war es nur ein leichter Kuss des Windes, vom Gedanken hin zur Tat. Selbst in vollem Licht wurde der Alb nur selten bemerkt. Sei es durch seine Größe, durch Zufall, der Eigenart seines Volkes oder gar durch die Arroganz der Großen. Aus welchen Gründen auch immer, jedenfalls war es ihm ein Leichtes, sich unbemerkt davonzustehlen. Versteckt, hinter einem der großen Steine am Flussufer, stülpte er sich schon ganz instinktiv die letzte Tarnkappe, die ihnen verbliebenen war, über. Leif hatte sie schon vor längerer

Zeit Falk gegeben. Wollte er sie nicht mehr, weil sie ihn an Thoralf und sein Ende erinnerte? Oder gab es andere Gründe? Falk wusste es nicht und es war ihm auch egal. Die Bindung zu seinem ehemaligen Anführer war schwächer geworden in den letzten Monaten seit dem Wolfsgraben. Ohnehin fand der Alb, die Kappe sei eher sein Eigentum. Schon immer gewesen. Schließlich hatte sein Vater dieses magische Artefakt zusammen mit den zwei Geschwistern geschaffen. Und er selbst hatte sie damals mit nicht ganz legalen Mitteln von König Alberich zurückgefordert. Er hatte quasi seine Haut zu Markte

getragen für eine Ware, die nie bezahlt worden war. Eigenartigerweise war der säumige Käufer trotzdem wütend, als man ihm diese wieder abnahm. Nun ja, eine ging verloren in Albenheim. Eine andere nahm der Feind am Wolfsgraben. Diese hier war nun die Letzte und sie war sein Eigen. So fand er jedenfalls und hatte vielleicht auch recht damit. Doch mit solchen Erinnerungen hielt Falk sich nicht auf. Noch bevor der erste Gedanke zu Ende gedacht war, hatte er die Kappe übergestülpt und war unerkannt zu den Seinen zurückgekehrt. Nur war die Tuschelei mittlerweile vorbei. Wie schade. War seine Aktion

umsonst? Es schien ganz so. Was Falk sah, war eine Art Theaterstück auf höherem Niveau. In der Mitte der Bühne der Wasserfürst. Umrahmt von seiner Leibwache und seinem Hofstaat. Ihm gegenüber, direkt am Wasserschlag, Thor. Als Ankläger gewissermaßen. Hinter ihm all die anderen Mitreisenden als Publikum. Oder besser noch, als Chor der Glorie. Fantastisch anzuschauen, diese Wesen aus Wasser! Was vorher durchsichtig, wurde nun durch die Tarnkappe sichtbar. Viele Einzelheiten ließen sich erkennen, wie Taschen, Zierrat, Knöpfe und dergleichen. Und wieder riss Falk als Ausdruck des Staunens seine Augen

und den Mund ganz weit auf. Derweil wand sich der Fürst des Flusses wie ein Wurm am Haken. Für den Alb deutlich sichtbar, probierte dieser eine Anzahl von Grimassen aus. Schließlich hatte er die für ihn Passende wohl gefunden. Es war eine leidende Miene, was sonst. Von dem abflauenden Getuschel ließ sich zu Falks Ärger leider nichts mehr vernehmen. Und schlimmer noch, recht bald waren der Fürst und seine Untertanen zu einem Ende gekommen. Jedenfalls verschwand einer von ihnen urplötzlich. Wie unabsichtlich wurde er durch die übermächtige Gestalt seines Herrn vollständig verdeckt und so

bemerkte keiner weiter sein Verschwinden. Außer Falk unter seiner Tarnkappe. Der Fürst wandte unterdessen seine ungeteilte Aufmerksamkeit nun doch Thor zu, der schon vor Ungeduld schnaufte. Flehentlich hob der Fürst die Arme in die Luft und stöhnte: „Oh, Gewaltiger der Asen, Herr des Donners, warum verdächtigst du solch ehrwürdige Wesen wie uns des Diebstahls? Warum nur störst du unsere schwer erkämpfte Ruhe in einer Angelegenheit, die nicht die unsere ist. Was für eine Krone? Wovon redest du? Niemals haben wir ein derartiges Artefakt besessen. Und wäre

dies jemals der Fall gewesen, so hätte uns unsere Liebe zum Licht dazu getrieben, diese sofort zurück durch Asgards Tore zu tragen. Sprich, Gewaltiger, warum quälst du uns nur so mit deinen Verdächtigungen?“ Nicht schlecht! Falk war beeindruckt. Gar nicht so schlecht. Selbst Thor schien berührt. Wusste er doch das streitende Wort sehr wohl zu schätzen, stand er doch selbst so oft im Mittelpunkt einer Redeschlacht. „Verzeih, oh Fürst des Flusses! Mir wurde etwas anderes angetragen. Von Zungen, welche die Lüge nicht kennen“, kamen nach einer kunstvollen Pause des Gottes

Widerworte. Der Wasserfürst schnalzte mit der Zunge und entgegnete: „Gemach, meint göttlicher Freund. Es liegt mir fern, an dem Leumund deiner Zuträger zu zweifeln. Aber immerhin könnte es doch sein, dass diese sich irren. Soll nämlich vorkommen. Und ist verzeihlich. Jedenfalls, wenn es zu keiner Anklage führt.“ „Sich irren?“, schnaufte der Donnergott. Er schwankte sichtlich zwischen Höflichkeit und Ärger. Jedenfalls schien er sich noch zurückzuhalten. Ganz im Gegensatz zu ähnlichen Fällen in der Vergangenheit. Ein kurzer Seitenblick genügte, um dies

festzustellen. In den Gesichtern von Geri und den mitgereisten Walküren und Asen konnte Falk dies ablesen. Sie alle standen in erwartungsfroher Haltung, aber eine gewisse Enttäuschung machte sich schon breit. „Du bist aber schnell in deinem Urteil“, fuhr Thor fort. „Willst du nicht erst einmal nachsehen? Vielleicht hat die Krone sich ja irgendwo versteckt! So ganz ohne deine Kenntnis? Vielleicht trägt sie ja auch eine deiner Sängerinnen, welche den armen Schiffern ihr Lied darbieten, um deinen Reichtum zu mehren. Als Schmuck gewissermaßen. Und natürlich ohne dein Wissen. Sprich, Herr des Flusses! Aber

rasch! Die Zeit eines Gottes ist bemessen.“ Der Wasserfürst schluckte mehrfach. Und mehrfach setzte er zum Sprechen an. Falk sah es ganz deutlich, während all die anderen seiner Begleiter es mehr erahnten. Das Wesen wog wohl seine Macht gegen die des Gottes ab. So richtig schlüssig war es sich noch nicht. Vielleicht fehlten ihm ja auch die Erfahrungswerte. Auch schien der Fürst ein wenig nervös zu sein. Aha, schloss Falk daraus, irgendetwas verbirgt der Kerl. Aber bevor der Alb noch weitere Gedanken aneinanderreihen konnte, kam

die Antwort. „Droh mir nicht, Ase! Ich weiß nichts von solch einem Schmuckstück. Bei meiner Ehre!“, fuhr der Fürst eher sachlich und vorsichtig fort. Urplötzlich stockte er. Etwas lenkte ihn ab. Und dann sah Falk dieses Etwas, was keiner außer ihm sah. Die Tarnkappe machte den Unterschied, wie so oft. So viele Dinge wurden sichtbar, die sonst im Verborgenen blieben. Kaum zu sehen, durch die Schemen des Fürsten verdeckt, tauchte sie mit einem Male auf. Plötzlich und unerwartet. Eine Schönheit ohnegleichen. Bestimmt eine der Sängerinnen, die dem Fluss ihren Ruf gaben. Das Wasser ihres Körpers

schillerte in sanften Farben, die ständig wechselten. Und sie gab ihrem Herrn etwas. Oder besser gesagt, sie steckte ihm etwas zu. Von hinten, durch die feste Außenhülle aus Wasser, dort hinein, wo sich beim Menschen der Darm rekelt. Die Krone! Falk hatte sie noch nie vorher gesehen, aber sie musste es sein. Was sonst ließ die Luft rings um ihr Äußeres von einer Macht flimmern, die Falk noch nie erblickt hatte. Und dabei war er doch so einiges gewohnt an König Alberichs Hof, wo die Magie, der Tag und die Nacht eins waren. Was sonst suchten diese Wesen zu verbergen. Ja, das war sie! Und jetzt

auch noch sehr gut versteckt! Ein kurzer Blick ringsum zeigte Falk: Niemand außer ihm hatte das wahrgenommen, was er eben gesehen hatte. Der Fürst der Wasserwesen war jetzt ein anderer. Eben noch ein wenig unsicher und vorsichtig, so strotzte er jetzt geradezu vor Selbstvertrauen. Seine Haltung war jetzt straffer. Aufrechter, in einem neu gewonnenen Stolz. Die Brust raus, die Schultern zurück. Geradezu gewachsen war die herrliche majestätische Gestalt. Ja, jetzt war Falk sich vollkommen sicher. Es war die Krone Asgards, welche der Fürst für alle anderen unsichtbar in

seinem Innern trug. Der Reif, dessentwillen sie den Weg auf sich genommen haben. Und weil der Fürst dieses Schmuckstück in seinem Innern vor aller Augen verborgen glaubte, war sein Selbstvertrauen um ein Vielfaches gestiegen. Aber er hatte nicht mit den Fähigkeiten der Tarnkappe gerechnet. Sichtbares machte sie unsichtbar, Unsichtbares sichtbar. Es ist eben, wie es immer ist. Wenn man in der Gleichung des Handelns glaubt, alle Variablen beziffert zu haben, dann erweist sich das Ergebnis doch oftmals als falsch. Weil man irgendetwas übersehen oder vergessen hat. Oder

andersherum: Wenn man glaubt, etwas geschaffen zu haben, dann kommt ein anderer und reißt alles wieder ein. Falk musste grinsen. Ihm war es gleich. Oder besser noch, er war zufrieden. Bestand doch jetzt die Chance, seinen Wert zu beweisen. Denn dies genau hatte er vor. Vorsichtig zog er sich in den Schutz der Felsen zurück, um dort die Tarnkappe wieder abzunehmen. Thor sollte über seine Intelligenz staunen, nicht über das Artefakt. Dies wäre er ohnehin los, wenn der Gott seinem Neid nachgeben würde. Derweil hatte der Fürst des Flusses sich aufgeplustert und die Faust dabei zur

Drohung erhoben. „Dein Spielzeughammer wird dir hier nicht helfen. Der Macht des Wassers hast du nichts entgegenzusetzen!“ „Oh ja“, griente eine Walküre, Geri zugewandt. „Dies hätte er nicht sagen dürfen. Sein Hammer ist ihm nämlich heilig. Er liebt ihn über alles. Jetzt wird unser Held aber fuchsig werden.“ „Da könntest du recht haben“, gab Leif anstatt des Wolfes beflissen zurück. „Still jetzt, ihr beiden!“, zischte eine andere Kriegerin. „Ich will jetzt meinen Spaß haben. Nur deshalb bin ich mitgekommen!“ Leif duckte sich unwillkürlich ob dieser unerwarteten Schärfe. Aber als er in die

Gesichter des Publikums starrte, verstand er. Er und seine Meinung waren hier nicht wichtig. Thor war es! Und das Schauspiel, was jetzt folgen mochte. All die anderen kannten ihren Donnergott und sein Verhalten schon so lange! Lange, bevor das Schicksal auch nur einen Gedanken an seine Geburt verschwendet hatte! Also gut! Da Leif sich selber nicht allzu wichtig nahm, ließ er sich von der allgemeinen Vorfreude mit anstecken. Dabei spielte er mit heiterem Gemüt gedankenverloren schon geraume Zeit mit dem kleinen Knochen in seiner Tasche. Ganz so, wie er es jeden Tag mehrfach tat. Und so traf ihn die

Überraschung wie ein kraftvoller Blitzstrahl aus heiterem Himmel. Gerade eben dachte er noch unterschwellig: Wenn Thoralf all dies hier nur sehen könnte! Ich sehe es doch, alter Freund! Schon lange schaue ich zu, drang es machtvoll in seine Gedanken. Ohne Stimme oder Vorwarnung. Leif zuckte wie elektrisiert zusammen, was ihm die empörten Blicke von Thors Edelfans einbrachte. Aber noch ehe er sich wieder zurechtfand, überschlugen sich die Ereignisse. Thor, welcher eine geraume Zeit sprachlos und mit offenem Mund über das Wasser geschaut hatte, fand

wieder zu seiner Natur. Sein Gehirn sandte einen Befehl und seine Lippen pressten sich aufeinander. Und jetzt begannen Thors Säfte zu kochen. Von unten nach oben. Eine kalte Wut erwärmte sich zu einer heißen. Und als diese Mischung seinen Kopf erreichte, drohte dieser fast zu platzen. Also ließ er Dampf ab. Der Gott schwang seinen Hammer, schneller und schneller. Ein schauerliches Gebrüll entrang sich seiner Kehle und jagte den Anwesenden einen Schauer über den Rücken. Unterdessen brachen Blitze aus dem Hammer hervor, die sich ihren Weg in großer Zahl in die vermeintliche Freiheit

suchten. Aber gelenkt, zum Wohlbefinden aller. Und alle außer Leif schienen dies zu wissen. Begib dich zu Angus und halte dich bereit, dröhnte erneut ein machtvoller Gedanke in seinem Hirn. Und während Leif immer noch verunsichert zögerte und sich fragte, was er davon halten sollte, trafen die ersten Blitze ihr Ziel. Sie trafen auf die hohen Felswände links und rechts entlang des Flusses. Ganze Stücke wurden aus dem harten Gestein gerissen und in den Fluss geschleudert. Zuerst kleine, dann immer größere. Darüber hinaus hatte eine ganze Reihe von Blitzen auch einen Weg in den

Himmel gefunden und sich dort mit Donnerschlägen entladen. Wolken entstanden, die sich zusehends dunkler färbten. Sie begannen, um sich selbst zu kreisen. Und riefen dabei immer mehr ihrer Artgenossen herbei. Ein richtiger Wolkenwirbel entstand, der wuchs und wuchs und wuchs. Und schließlich sank er tiefer. Immer tiefer, angefüllt mit Blitz und Donner, Regen und Wut. Ein kreisender Wind eilte dem Wirbel voraus und dem Erdboden zu. Er erreichte all die Lebewesen unter ihm und fuhr in ihre Haare und Gewänder. Ein großartiges Schauspiel, begeistert honoriert von den Mitgliedern des göttlichen

Anhangs. „Spielzeughammer, ja!“, brüllte Thor und schleuderte den Hammer Mjöllnir besonders kraftvoll auf eine in den Fluss hineinragende Felsnase. Riesige Stücke platzten ab und schwirrten in Richtung Wasser. Spitz waren sie und glühend. Und das ultimative Mittel gegen den Gegner. Das eine oder andere Wasserwesen schien getroffen, denn einige brachten sich aus der Gefahrenzone oder tauchten gar ab. Der Fürst und seine ihm dienenden Wesen schienen zwar verstört, aber im Großen und Ganzen wenig beeindruckt. Dies änderte sich aber

schlagartig. „Ein Kinderhammer also!“, tobte Thor dort am Ufer, wütend und begeistert zugleich. „Ich habe dem Wasser also nichts entgegenzusetzen, ja? Dann wartet mal ab, ihr mickrigen Fischbehälter!“ Brüllte dies durch den Wind, der fast schon ein Sturm war, und vergrub den Hammer aus Sternenstaub noch kraftvoller in das berstende Gestein. Es war ein Tollhaus! Der Berg brach entzwei und begrub ganze Teile des Flusses. Die Finsternis der dichten Wolken verjagte den Tag! Der Sturm hatte das Wasser erreicht, bildete Strudel und meterhohe Wellen.

Glühendes Gestein verdampfte zischend. Donner und Blitz erfüllte die Luft. Der Hammer fuhr in das Flussbett und riss die obere Erdkruste auf. Der Fluss stürzte in einem Wasserfall in die dunklen Tiefen. Waren die Wasserwesen vorher in den Strudel gezogen oder durch glühendes Gestein verbrannt, so saßen sie jetzt auf dem Trockenen, zumindest in Pfützen. Nun würde es nicht mehr lange dauern und das einst so stolze Volk war Geschichte. Und diese Tatsache verjagte die Arroganz und die Dummheit im Sinn des Fürsten und gab ihm Kraft für die Worte, die nun gesprochen werden

mussten. „Halte ein, oh Herr des Donners“, bat flehentlich der Herr des Flusses, der nunmehr an dieser Stelle kein Fluss mehr war. „Gewähre uns Gnade, ob meiner unbedachten Worte!“ „Wohl, wohl“, knurrte Thor und legte den Hammer ruhend auf seine Schulter. „Du gibst die Krone also zurück in unsere Hände? Dazu ein Schiffsbauch voller Gold? Als Aufwandsentschädigung gewissermaßen?“ Der Fürst ohne Reich schluckte deutlich. Also war sein Stolz wohl noch nicht ganz gebrochen. „Vergib mir meine ärgerlichen Worte, oh

Gewaltiger“, kam die Antwort. „Ich fühlte meine Ehre bedroht. Aber anstatt zu streiten, hätte ich dir helfen sollen, diesen Irrtum aufzuklären. Denn ein Irrtum ist es! Niemals nannten wir eine Krone Asgards unser Eigen. Heute nicht und auch nicht in irgendeiner längst vergangenen Zeit. Aber sieh selbst, Odins Sohn! Solltest du dein Eigen hier finden, so sei es zurückerstattet. Zusammen mit meiner Entschuldigung und einer Schiffsladung Gold! Sollte sich aber dein Irrtum erweisen, fordere ich den Fluss zurück in sein altes Bett!“ Von allen Augen gebannt verfolgt, bereitete der Fürst seine Arme aus und beschwor die Elemente. Und siehe da,

der magische Schleier über die Steine am Grund verschwand. Und er gab eine Pracht frei, die selbst den Gott erstaunte. Es blinkte und blitzte, soweit das Auge reichte. All die Schätze, im Lauf der Zeit durch Lug und Trug und Gewalt den Unschuldigen entrissen. Wie viele Schiffer und Reisende mussten hier ihr Leben lassen, um all diese Schätze anzuhäufen! Sie alle waren dem Gesang der Töchter des Flusses verfallen und bezahlten dafür den höchsten Preis. Und so manch bleiches Skelett umwand noch in inniger Umarmung sein güldenes Kleinod und klagte nun im Lichte die Wasserwesen

an. Es wurde still am Ufer. Sehr still. Ein andächtiges Staunen machte sich breit. Es war offensichtlich. Die Zuschauer waren mit dem Dargebotenen zufrieden. Das Finale schien anzustehen. Auch Thor schien dies zu spüren. Er fing sich und hielt kurz Umschau. Aber die Anzahl der Gegenstände war zu hoch, als dass er jenes Gesuchte auf Anhieb hätte entdecken können. Der Donnergott schnaufte unwillig, bevor er seine Arme waagerecht über das fast trockene Flussbett ausbreitete. Er murmelte etwas, für alle anderen unverständlich. Leif wurde derweil der Mund trocken.

Oh ja, er hatte damals schon unter diese Schicht sehen können. Zum Teil zumindest. Zu einem sehr kleinen Teil. Und so langsam dämmerte ihm die Größe der Aufgabe. Selbst wenn er es geschafft hätte, viel länger und ohne Gegenwehr diese magische Schicht zu durchdringen, wie hätte er, um alles in der Welt, diesen Reif finden sollen? Er wusste ja nicht einmal mehr, wie dieser aussah. Seine Erinnerungen waren schon lange verblasst. Monate hätte er gebraucht, um all diese Gegenstände zu sichten. Vielleicht sogar Jahre. Nein, seine Unternehmung war damals schon von Anfang an zum Scheitern verdammt. Zu keiner Zeit

waren er und seine Gefährten sich damals der Größe des Vorhabens bewusst. Kein Wunder, fehlte ihnen doch das Wissen, das sie heute besaßen. Was waren sie damals nur für naive Kinder! Und das bist du auch heute noch, dröhnte Thoralfs Stimme erneut in seinem Kopf. War es wirklich Thoralf? Oder wurde er verrückt? Eine wirklich lange Zeit hatte der Freund nicht mehr zu ihm gesprochen. Und so war sich Leif mittlerweile fast sicher, dass er es ohnehin nie getan hatte. Es waren wohl immer nur die Gefühle des Augenblicks, eine Art Wunschdenken, damals, als der

gute Freund sein Leben gegen seinen Tod eingetauscht hatte. Was ist, dröhnte die Stimme abermals. Keine Reaktion? Was muss passieren, damit du dich endlich in Bewegung setzt? Was muss geschehen, damit du endlich zu dem Anführer wirst, der du hättest sein sollen, aber nie warst? Das saß! Ob Thoralf oder nur eine Stimme, dies war ein harter Brocken. Es stimmte schon, Thoralf hatte ihm schon immer mangelnde Führungsstärke vorgeworfen. Sollte es tatsächlich der alte Freund sein? War dies denn möglich? Seit der letzten Ansage hatte Leif sich keinen Fingerbreit fortbewegt. Vielleicht sollte er es doch tun. Schaden konnte es

ja nicht. Soll ich wirklich?, fragte er in Gedanken nach. Zu Angus soll ich gehen? Hm, vergessen hast du meine Ansage demnach nicht, kam prompt die Antwort. Nur, warum rührst du dich dann nicht? „Ist ja schon gut“, flüsterte Leif jetzt schon halblaut und setzte sich in Bewegung. Es war nicht weit. Nur ein paar Schritte. „Gut so?“, raunte er, während er nach Thor schaute, der immer noch mit seinen Beschwörungen zu tun hatte. „Was?“, wollte Angus wissen. „Was hast du

gesagt?“ „Ach, nichts“, gab Leif zurück, „ich meinte nicht dich.“ „Ach so. Na ja, wenn du meinst.“ Gut so?, fragte Leif nochmals, diesmal wieder in Gedanken. Na fein. Geht doch!, nörgelte Thoralf in seinem Kopf. Jetzt laber nicht groß, sondern lass dir von Angus das Amulett geben! „Das Amulett?“, hauchte Leif. „Mein Amulett?“, wollte Angus wissen. „Jetzt? Was willst du damit?“ „Nein“, flüsterte Leif. „Ich meinte nicht dich.“ „Hm, wirklich nicht? Na ja, du musst es ja wissen“, schniefte

Angus. Nun lass dir endlich das Amulett geben, quakte Thoralf wieder in Leif seinem Kopf. Dass du immer erst alles diskutieren musst! Dass du immer so langsam im Handeln bist! „Ist ja gut! Nerv nicht! Ich mach es ja“, stöhnte Leif und an Angus gewandt: „Doch, bitte, dein Amulett. Gib es mir! Bitte! Jetzt! Ach, frag nicht!“ Angus schaute ihn an, als sei er nicht ganz richtig. Aber er tat, worum Leif ihn gebeten hatte. Ohne Worte, ohne Zögern. Das sollte ich mir wohl mal abgucken, dachte der junge Ase. Und laut: „Was jetzt? Ich habe getan,

worum du mich gebeten hast! Also, wie geht es weiter?“ Keine Antwort. Keine Reaktion. Nur Angus sein zweifelnder Blick. „Mit wem sprichst du da?“ Entgegen jeder Vernunft antwortete Leif: „Mit Thoralf.“ Und was nicht zu erwarten war, der Burgunder verstand. Er wandte sich ab, und genau wie Leif richtete er seinen Blick auf Thor, der wohl gerade fertig wurde. „Nichts!“, stellte der Donnergott mit schneidender Stimme fest. „Gar nichts! Der Reif hätte strahlen müssen. Ein Strahlen, umgeben von flimmernder Luft. Untermalt von einem hellen

Klingen. Aber hier ist nichts.“ Enttäuschung unter den Zuschauern machte sich breit. Damit hatte nun wahrlich keiner gerechnet. Und die Blicke wandten sich Leif und Geri zu. Zuerst einige wenige, dann immer mehr. „Ja, schaut sie euch an“, rief Thor vom Flussufer her. „Da stehen sie, tief bedrückt. Wegen ihnen sind wir hier. Gott, Asen, Wolf, Alb, Menschen und Wasserwesen! Wegen ihnen streiten wir jetzt und hier! Und für was? Für nichts! Schaut euch dieses blasse blonde Wiesel doch an! Dumm und faul! Macht seine Späßchen mit uns! Sohn des Lichts, dass ich nicht lache! Was meint ihr? Soll ich dieser verlogenen Ratte einen

Speer in den Hintern rammen und ihn vor mir hertragen?“ Leif wurde es ganz mulmig in seiner Haut. War er jetzt der Sündenbock? Musste er jetzt büßen, für was auch immer? Sein Herz ging schneller und Schweiß trat ihm auf die Stirn. Und während noch eine ganze Menge mehr Furcht seinen Rücken heraufkroch, sah er Falk, wie der zum Gott trat und an dessen Gewand zupfte. Irgendetwas sagte der Alb zu ihm, aber Thor fegte ihn beiseite wie eine lästige Fliege. „Sie trieben uns zu diesem Ort, um die Krone Asgards heimzuholen“, fuhr der Donnergott ziemlich laut fort. „Und zu welchem Zweck? Wo ist der Gewinn?

Ich sehe hier nur Enttäuschung, verletzte Wasserwesen und einen halb toten Fluss. Dazu einen Gott, der sich entschuldigen muss!“ Und da war wieder der Alb, der mit Blut im Gesicht nachdrücklich an des Gottes Rock zupfte und eindringliche Worte fand. „Was?“, herrschte Thor den Kleinen an und warf herausfordernd seine roten Locken nach hinten. „Was willst du?“ Die Aufmerksamkeit der Zuschauer war wieder geweckt. Selbst der Herr des Flusses, der sich bislang selbstzufrieden mit sich selber beschäftigt hatte, merkte auf. Indes siegte die Hartnäckigkeit des

Alben. Er schaffte es, dass der Gott seine Rede vergaß und sich sogar zu ihm herunterbeugte. Und jetzt arbeitete der Alb mit Händen und Füßen. Er hatte wohl so einiges zu sagen. Leif kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Was mochte Falk wissen, was er nicht wusste? Seine Aufmerksamkeit wurde voll und ganz von den zwei so unterschiedlichen Wesen dort am Flussufer gefangen genommen. Unterdessen schienen die beiden zu einem Ende gekommen zu sein. Und das Ergebnis verschaffte Thor einen roten Kopf. Und dann ging alles sehr schnell. Mit einem Wutschrei, den Hammer hoch

erhoben, stürzte der Donnergott auf den Herrn des Flusses zu. Ganz offensichtlich außer sich vor Zorn und zu allem bereit. Dem fürstlichen Wassergeist schwante nichts Gutes. Ihm wurde wohl schlagartig klar, dass sein Spiel aufgeflogen und es nun keins mehr war. So ergriff er ohne Zögern die Flucht. Nur, wohin? Von der einen Seite stürmte der erboste Gott auf ihn zu. Und hinter ihm stand der Rest von seinem Gefolge. Zur anderen Seite stachen spitze Felsnadeln in den Himmel. Die Wege waren ihm versperrt. Bis auf einen. Nach vorn! Auf den Rest

seiner Gegner zu und durch sie hindurch! Schon flogen Asen und Walküren durch die Luft. Dazu ein Wolf. Oh ja, der Herr des Flusses war ein mächtiger Gegner und dazu in Bedrängnis! Wie konnte der Alb nur sein Geheimnis erraten? Denn dass dieser zarte Halbling ihm auf die Schliche gekommen war, daran bestand wohl kein Zweifel. Verdammtes Albenpack! Er wusste schon, warum er diesem zwielichtigen Volk kein Wohnrecht an den von ihm beherrschten Flussufern einräumte. So, jetzt noch das blöde blonde Kind und der mickrige Menschenkrieger! Und der Weg war frei. Dorthin, wo noch

Wasser im Fluss strömte. Dort war Kraft und dort war auch Hoffnung. Es war sein Element! Und die Chancen standen gut, dies hier zu überleben. Der Gott würde doch nicht die Erde bis hin zu den Quellen des Flusses aufreißen! Oder doch? Derweil war Leif aus seiner Erstarrung erwacht. Entsetzt sah er all die Körper, die sich stöhnend im Sande wälzten. Weit hinter ihnen stand Thor verdattert im Flussbett und wusste nicht, wie ihm geschah. Einfach unfassbar! Und dazu hämmerte unablässig Thoralfs Wille in seinem Hirn. Laut und fordernd. Drängend und fast schon hysterisch. Los, verdammt noch mal, brüllte es in

seinem Kopf. Du ewiger Zauderer! Verdammt noch mal! Das ist ja wohl alles nicht wahr! Setz dich endlich in Bewegung, du Idiot! Aktiviere das Amulett und schieb es diesem Vieh in den Wanst! Aber Leif konnte es immer noch nicht. Bis, ja bis sein eigenes Unterbewusstsein von ihm die Nase voll hatte. Es schaltete seine Intelligenz ganz einfach ab und übernahm die von Thoralf. Gut so und gerade noch rechtzeitig. Es waren nur ein paar Schritte zum Wasserfürsten. Beine und Hände handelten automatisch. Die einen liefen, die anderen aktivierten das Amulett. Ein

Riss im Raum entstand. Erst knapp über dem Amulett, dann im Bauch des Fürsten, als Leif dies kraftvoll und unvermutet in den Körper aus Wasser stieß. Rasch, ganz so wie immer, wurde der Spalt größer und gab die Glut frei, die er ansonsten verschloss. Der Fürst war überrascht. Aber die Überraschung hatte keine Zeit sich breitzumachen. Denn im gleichen Augenblick entfachte die Glut ihre Kraft. Kein Schrei, den Leif je hörte, glich diesem, der jetzt von den steilen Felshängen widerhallte. Das Wasserwesen kochte innerlich. Waren es die Blasen oder der Dampf des siedenden Wassers, dies vermochte

keiner zu sagen. Jedenfalls riss der wässrige Wanst mit einem lauten Knall auf und gab den Reif in seinem Innern preis. Jetzt, schrie Thoralf in seinem Hirn. Nimm ihn jetzt! Und zu seiner eigenen Freude tat Leif das, was richtig war. Vor allen Dingen, er tat es sofort. Er ergriff den Reif und entriss ihn dem Körper des Fürsten. Gleichzeitig zog er das Amulett zurück und deaktivierte es. Die Glut verlosch. Der Fürst sank klagend auf die Knie. Obwohl unsterblich, so musste diese Wunde schrecklich sein. Von ihm ging keine Gefahr mehr aus. „Danke, alter Freund“, sagte

Leif. Die Welt war wieder in Ordnung. Er hatte den Reif! Der Gegner lag danieder. Selbst Thor und seine Walküren strahlten ihn an. „War`s das jetzt?“, fragte er sich selber und hob den Reif hoch und vor sein Gesicht. Was dann geschah, würde er wohl nie wieder vergessen. Seitdem Thor nicht mehr seinen Hammer schwang, hatte sich das Unwetter gelegt. Die Wolken verzogen sich gerade und die ersten Sonnenstrahlen durchbrachen ihre Barriere. Und als Strahlen, Reif und Leifs Augen

eine Linie bildeten, fing die Krone Asgards an zu strahlen. Ein wunderschöner singender Ton durchbrach den Tag. Er wurde immer höher und schriller, bis er schließlich verklang und sich in einer donnernden Druckwelle entlud. Bis auf Leif, der in ihrem strahlenden Mittelpunkt stand, wurde ein jeder umgeworfen. Die Welle brach sich vielfach an den Felsen und schleuderte jede Menge Staub, Gold und Steine in die Luft. Und als sie schließlich verging, war der Fluss, die magische Barriere über Gold und Kiesel, wieder intakt und alle Wasserwesen verschwunden. Die Sonne lachte und hoch droben auf den Felsen

saß eine der Töchter des Flusses und sang ihr Lied. Hatte der Reif seinen Herrn gefunden?

Ein Biss und seine Folgen

Uguriel huschte hinter einen Baum und machte sich klein. Eine Wache kam des Weges und grüßte den Zauberer, der etwa einhundert Schritte vor ihm einem festen Ziel zustrebte. Es war nicht die erste Wache auf seinem Weg hierher. Wo war er bloß hineingeraten! Was war hier bloß los? Wenn das so weiter ging, würde er den Zauberer noch verlieren. Aber dies war vielleicht sein geringstes Problem. Er könnte nämlich auch geschnappt werden, egal wie schnell er war. Und dann hieß es: „Adieu, du köstlicher nächster

Festschmaus.“ Denn die Anzahl der Wachen nahm stetig zu. Dazu kamen jede Menge verschiedenartiger Wesen, je mehr sie einem festen, ihm unbekannten Ziel zustrebten. Selbst kleinere und mittelgroße Kampfeinheiten hatte Uguriel auf dem Weg hierher schon ausmachen können, die alle entlang der Nebenwege lagerten. Dazwischen gab es jede Menge Stellplätze mit Wagen voller Furage. Dazu Diener, Handwerker und Köche, alles beiderlei Geschlechts. Die eine oder andere Hure war wohl auch darunter. Genauso wie Diebe. Eben alles, was man von einem großen

Heerlager erwartete. Uguriel war bloß froh, dass Agradon nicht bei ihm war. Heilfroh sogar. Der dumme Kerl hätte sie schon längst in Schwierigkeiten gebracht. Im Übrigen hatte er nur ein Viertel des Weges ihrer Verfolgungsjagd geschafft. Schon kurz nachdem der Zauberer die Höhlen im Tal verlassen hatte, waren sie dicht hinter ihm gewesen. Den Eingang hatte der Kerl nicht wieder verschlossen. Ob er es nicht konnte oder nicht wollte, war letztlich egal. Fürst und Diener waren jedenfalls frei. Und während der Fürst pflichtschuldig ein Ziel verfolgte, konnte sein Diener nicht an sich halten. Der biss, saugte

und knabberte an jedem Lebewesen herum, dass er auch nur erhaschen konnte. Die meisten davon waren Mäuse. Einige wenige Wesen waren sogar noch kleiner, andere etwas größer. Und so brauchte der Nimmersatt eine Menge davon, was er vertilgen musste, bis sein Magen ihm meldete, er sei jetzt voll. Aber auch dann konnte dieser dumme Fledermausvampir nicht aufhören. Und so kam schließlich, was kommen musste. Agradon lag jetzt irgendwo mit Bauchweh im Gras und stöhnte vor sich hin. Weit weg von ihm und dies war gut so. Das hier wäre nichts für ihn gewesen.

Als Vampir war man gewöhnlich schnell unterwegs und wurde eins mit den Schatten der Nacht. Aber für diesen Job hier brauchte man einen Meister. Und dieser hieß nun einmal Uguriel. Er war der Fürst aller Krieger der Nacht am Rande des Gebirges! Ihm und dem Lockruf des Blutes folgten seine Anhänger, denn er war gut. Aber jetzt Schluss mit all diesen Gedanken! Wollte er überleben, musste er sich konzentrieren! Denn hier war er der Gejagte! Und wie sich das anfühlte, was man dabei verlieren konnte, hatte er schon einmal erfahren müssen. Und mehr als hundert Jahre mit den Folgen gelebt. Also

aufgepasst! Die Wache kam näher. Ein muskulöser Schrat, sieh an! Uguriel drehte sich ein wenig um den Stamm. Die Wache schritt vorbei. Weiter ging’s. Wie weit noch? Ungern gestand der Fürst sich dies ein, aber er würde jetzt doch gerne eine Mahlzeit zu sich nehmen. Der Wald wurde lichter, der Pfad breiter. In einiger Entfernung tat sich eine riesige Felswand auf, die von unzähligen Fackeln beleuchtet wurde. Stimmengewirr und Waffengeklirr ohne Ende übertönten die Lieder der Nacht. Hier war etwas Großes, Gewaltiges am Wirken. Uguriel war beeindruckt und gratulierte sich selbst zu dem

Entschluss, dem Zauberer zu folgen, statt ihn auszusaugen. Seine Beute musste hierher gehören, war gar etwas Wichtiges. Dieser Kerl strebte ohne Zögern einem festen Ziel zu. Und all die Wesen auf seinem Weg erwiesen ihm Respekt. Vielleicht hatte er sich geirrt und der Kerl war doch nicht so ein großes Weichei, wie er ursprünglich dachte. Doch aufgepasst, nur nicht träumen! Da kam erneut eine Wache. Der Fürst roch sie schon von Weitem. Pferdeschweiß, Alkohol und Urin. Igitt, sehr unappetitlich! Für Agradon bestimmt das Richtige. Er selbst bevorzugte Sahne. Und bitte möglichst

frische! Uguriel huschte abseits des Weges hinter einen dichten Busch. Wolken bedeckten mittlerweile den Nachthimmel und selbst den Mond. Es war dunkel geworden, gut für ihn. Aber eine angemessene Vorsicht hatte noch nie geschadet. So bog Uguriel ein paar hinderliche Zweige beiseite und lugte hinaus auf den Weg. Vielleicht war die Wache ja schon vorbei! Aber das war sie nicht. Ganz im Gegenteil. Ein Mensch war es diesmal und er war stehen geblieben. Neben dem Zauberer. Beide schienen ein angeregtes Gespräch zu führen, arbeiteten sie doch mit Händen und Füßen. Naja, wenn er ehrlich

war, glich dies eher einem Streitgespräch zwischen einem Befehlshaber und einem störrischen Untergebenen. Aber wie das so oft ist, der Befehlshaber gewann, obwohl er keineswegs der Stärkere war. Vielleicht sogar nicht einmal der Klügere. Aber egal, das Menschlein fügte sich und machte kehrt, um offenbar einer neuen Aufgabe zuzustreben. Auch der Zauberer verließ den Pfad und strebte seitwärts zu einer kleinen Lichtung. Dort angekommen setzte er sich auf einen Baumstumpf und verharrte fast regungslos. Ideal! Uguriel war begeistert. Bot das Umfeld doch jede

Menge Deckung, um sich ungesehen bis auf wenige Schritte heranarbeiten zu können. Was er dann auch tat, bis er den Schweiß riechen und das Herz pochen hörte. Ein Geräusch brachte Uguriel wieder in die Wirklichkeit zurück. Er war doch tatsächlich eingenickt. Die Nacht musste schon ein gut Teil fortgeschritten sein. Die in den Fels getriebene Festung hatte viel von ihrem Glanz verloren, das aufdringliche Stimmengewirr war verklungen. Der Zauberer dicht vor ihm hatte sich erhoben. Aus den Büschen heraus trat ein vollkommen in Leder gekleideter

junger Bursche auf die Lichtung heraus und auf den Zauberer zu. Aaah, Erdbeeren mit Sahne! Uguriel roch die köstlichen Ausdünstungen, fühlte das warme Blut, spürte diesen herrlichen Herzschlag. Der war schneller als normal. Der Jüngling war spürbar angespannt. Interessant. Vielleicht gab es ja nun endlich einige Erklärungen. Erklärungen dafür, wer der Verfolgte eigentlich war und was er hier wollte. Was hatte ihn in die Gruft seiner Vorfahren getrieben, wozu brauchte er den Kopf seines Sohnes? Lange Zeit starrten sie sich an, Vater und

Sohn. „Du hast mir also immer noch nicht verziehen? Welf, du bist mein Sohn und ich liebe dich! Wir sind keine normalen Menschen! Wir tun Dinge, die andere nicht mal ansatzweise verstehen würden. Und das meiste hat einen Sinn und einen Zweck. Begreif das doch endlich!“ „Siska ist meine Schwester, deine Tochter! Was bist du nur für ein Vater, wenn du deinem eigenen Fleisch und Blut so etwas antust!“, grollte Welf. Der abgerissene Kerl da vor ihm, der nicht mal ansatzweise begriff, wovon er überhaupt sprach, war ihm zuwider. Nach all den Jahren war aus Liebe Hass

geworden. Das gleiche Blut vermochte dies nicht zu ändern. „Ich tat es für uns! Für euch! Wirklich! Was bedeutet schon eine Unannehmlichkeit, will man einen Preis erringen, der deine Vorstellungskraft weit übersteigt. Sobald ich habe, was ich erstrebe, gebe ich eine Macht in deine Hände, die dein Leben verändern wird“, tönte der ungeliebte Vater. „Unannehmlichkeit nennst du das? Du hast uns beide zum Inzest gezwungen! Meine geliebte Schwester! Ich vermag ihr seitdem nicht mehr in die Augen zu schauen!“ „Aber der Preis! Die Macht Dinge zu tun! Eine solch große Macht, wie sie nur

wenigen vergönnt ist. Selbst einem Zauberer nicht.“ „Was soll das schon sein? Nebelhafte Gespinste deiner Fantasie? Du hast uns betrogen! Unsere Liebe zu dir zu Markte getragen! Vielleicht siehst du mich noch als deinen Sohn, aber ich dich nicht als Vater!“ „Aber der Preis! So hör doch zu! Diese unglaubliche Macht! Sie wird unsere Familie unsterblich machen. Wir werden in die Geschichte eingehen. Glaub mir, sie wird unser Leben, dein Leben, verändern.“ „Ja, mein Leben wird sich verändern! Auch ohne dein Zutun und ohne dich. Walram hat mir den Norden von diesem

Königreich versprochen. Ich werde schon sehr bald aufbrechen. Wenn du wirklich eine so große Macht gewinnen kannst, dann gib sie Siska. Sie hat so vieles mehr verdient als ich. Obwohl ich nicht glaube, dass du ihre Liebe zurückkaufen kannst. Sag mir jetzt, was du begehrst und gehe dann deiner Wege!“ Sein Vater schluckte sichtlich. Harte Worte waren es schließlich. Aber keine Lügen. Rigomar fing sich wieder. Und in seine kleinen Augen kehrte das Leuchten zurück. Wahrscheinlich glaubte er nicht daran. Glaubte nicht an das Ende der Liebe zu seinen Kindern. Hoffte wohl, alles noch zum Guten zu

wenden. Aber da täuscht du dich, dachte Welf grimmig. „Du hast es dabei?“, fragte sein Vater halblaut, fast scheu. „Wirklich dabei? Es ist geboren worden?“ „Ja und ja“, gab Welf zurück. „Hier hast du es.“ Er nahm eine Felltasche vom Rücken und reichte diese Rigomar. Der strahlte regelrecht und nahm ihm behutsam die Tasche ab. Vorsichtig lugte der Zauberer hinein und fuhr erschrocken zurück. „Hässlich, nicht wahr?“, raunte Welf. „Vier Beine, vier Arme. Beiderlei Geschlechtsteile. Die Ohren eines Hundes. Dazu ein Krötengesicht. Weder

Nase noch Lippen. Etwas so Widerliches hab ich noch nie gesehen. Wenigstens war es eine leichte, fast schmerzlose Geburt. In diesem Punkt hattest du recht. So, du hast, was du wolltest. Ich gehe dann jetzt.“ „Warte noch. Nur ein wenig. Bitte!“ Rigomar legte die Tasche auf den Baumstumpf und machte sie auf. Das Wesen in ihr regte sich kaum, schaute aber mit den übergroßen Augen auf jede seiner Bewegungen. Dann kramte der Zauberer in seiner eigenen Tasche und zog ein kunstvolles Kettenhemd heraus, zusammen mit einem der Dolche. „Für dich, mein Sohn. Der Dolch hat eine Klinge aus grünem Smaragd. Aber

leg alles erst einmal weg und hilft mir mal.“ Rigomar durchwühlte seine Tasche weiter auf der Suche nach einer Zange. Als er sie endlich fand, zog er dazu den lederartigen Vampirkopf heraus. Andächtig drückte er seine makabre Trophäe seinem Sohn in die Hände. „Igitt! Was ist denn das nun schon wieder?“, ekelte sich Welf. „Bist du noch nicht am Ende mit deinen Widerlichkeiten? Äh, wie das stinkt!“ „Hab dich nicht so. Es ist gleich vorbei. Außerdem verstehe ich dich nicht“, entgegnete sein Vater. „Jeden Tag säufst du aus deinem Kessel dieses Gebräu! Dieses widerliche Zeug, was ihr beide,

du und Siska, aus der Böswilligkeit der Menschen zusammenbraut. Da ist dies hier doch gar nichts!“ Sprach’s und setzte seine Zange an. Die vier Vampirzähne hatten es ihm angetan. Sie wollte er haben. Jetzt und hier. Und er bekam sie. Nur ein kurzes Rütteln war nötig, dazu ein kraftvolles Ziehen und die Zähne flutschten aus dem vermoderten Fleisch. Ein zufriedener Seufzer entrang sich Rigomars Brust. Den Kopf schmiss er achtlos in ein nahes Gebüsch. „So, jetzt nur noch eins, mein Sohn“, erklärte Rigomar. „Die Zähne müssen jetzt wieder rein. Halt bitte mal den Kopf dieser kleinen Kröte fest. Ganz

fest, hörst du! Danach bist du erlöst.“ Gesagt, getan. In Welfs Gesicht lösten sich Ekel und Neugier ab. Sein Vater wusste wohl, was er tat. Der stieß mit dem spitzen Ende von einem der Zähne tiefe Löcher in das Zahnfleisch des kleinen Widerlings. Genau dort, wo beim Menschen die Eckzähne zu Hause sind. Und ehe Welf noch so richtig staunen und die kleine Kröte sich wehren konnte, waren die vier Vampirzähne schon richtig eingesetzt, leichter als vermutet. Rigomars Werk war getan. Strahlend nahm er das Krötengesicht aus Welfs Händen entgegen und verstaute es behutsam wieder in die Felltasche. Dann

nahm er diese auf und eilte davon. Kurz vor dem Hauptweg drehte er sich noch einmal um. „Es wird alles gut, Junge. Glaube an mich! Vor deiner Abreise treffen wir uns noch. Warte auf mich, hörst du!“, rief er zurück. „Mistkerl!“, entfuhr es Welf. Aber außer ihm hörte dies nur noch einer. Und das war nicht sein Vater. „Du magst ihn wohl nicht besonders, was?“, hauchte eine eindringliche Stimme. Zwei starke Arme legten sich zwingend um Brust und Schulter und eine feuchte Zunge fuhr über Welfs Hals. Mit aller Kraft versuchte Rigomars Sohn seinen

ungebetenen Gast abzuschütteln. Obwohl er kräftig war und im Kampf erprobt, wollte dies jedoch nicht gelingen. Es war wie ein Kampf gegen Windmühlen. „Nicht doch, Kleiner“, hauchte die Stimme weiter. „Wehre dich nicht. Genieße es stattdessen.“ Die fremden Hände streichelten seinen Körper, bevor sie Welf unter die Kleidung glitten. Es war wie eine Art Hypnose, die seine Gegenwehr nach und nach verringerte, bis sie schließlich ganz erlahmte. Was war das nur? Die fremde Zunge fuhr weiter seinen Hals empor, bis volle Lippen schließlich genüsslich an seinem Ohrläppchen

knabberten. „Oh wie lecker, oh wie süß. Genau richtig“, keuchte die Stimme jetzt dicht an seinem Ohr. Welf verspürte gerade noch feine Einstiche am Hals, bevor ein Orgasmus ohnegleichen seinen Körper durchschüttelte. Und ohne zu wissen, warum und weshalb, genoss er die fremde Berührung. Er neigte seinen Kopf bequem dem Biss entgegen und wiegte sich sanft im Rausch des Blutes. „Nicht so schnell!“, mahnte die Stimme. „Sanft muss es sein. Und lange dauern. Furchtbar lange! Ein Genuss ohne fühlbares Ende. Versuch es. Und nebenbei verrätst du mir, wo ich deine

Schwester Siska finde! Oh, es war genial. Genauso, wie es sein sollte! So lange hatte er es vermisst! Die absolut richtige Belohnung, nachdem er ein paar Geheimnisse gelüftet hatte. Der Vater würde später drankommen. Die Sache jetzt durchzuziehen, war zu heiß. Wer wusste schon, wo der Kerl mittlerweile war. Und was diese Zauberratte mit dem Kopf von seinem Sohn angestellt hatte, kaum zu fassen! Für einen Bruchteil verdrehte Uguriel wütend die Augen. Aber schon war dieser Gefühlsausbruch wieder vorbei und er schmatzte

genüsslich weiter. Oh, wie herrlich! Frisches Blut mit einem Schuss Sahne und einer gehörigen Portion Kraft. Gut durch. Maßvoll mit Fett durchsetzt. Nicht zu dünn, nicht zu dickflüssig. Genial gewürzt! Einfach vollkommen. Die Nacht schien ein perfektes Ende zu haben. Ja, um den Zauberer würde er sich später kümmern. Es eilte ja nicht. Dieser Kerl hatte seinen Sohn zerpflückt! Aber wie! Uguriel hatte seinen im Charakter widerlichen Nachwuchs nie geliebt. Aber dieser Zauberdrecksack nahm sich ein Recht heraus, das einzig und allein ihm gebührte. Dafür würde er dem Kerl jetzt seinen Sohn nehmen. Und als

Nachtisch seine Tochter. Wie hieß die noch gleich? Siska, ja so war es. Zur Sicherheit zog Uguriel seine Zähne heraus und setzte noch einmal an, bis er einen Nervenstrang fand. Bilder und Gefühle strömten auf ihn ein, derweil sich sein Opfer wohlig in seinen Armen wand. Schnell begriff der Fürst, dass er nicht irgendwen in seinem Fang hielt. Der junge Krieger war von edler Geburt. Darüber hinaus übte er hier auf dem Wehrwall und in den Landen ringsum, eine nicht unerhebliche Macht aus. Weiter Fragmente von Bildern! Töne und Gedanken! All dies stürmte auf Uguriel ein und fügte sich zu einem Ganzen. Da, da war sie schließlich! In einem

Gespinst vieler anderer Begebenheiten. Das musste sie sein, die Schwester von diesem jungen Krieger. Wie hieß er noch gleich? Welf, hm, möglich. Uguriel stutzte. Erneut zog er die Zähne heraus und kehrte zurück zu seinem ersten Biss. Und jetzt bemerkte er es. Kaum wahrnehmbar, aber es war da. Dieser Welf besaß magisches Blut. Und noch etwas anderes pulsierte durch seine Adern. Etwas Dunkles, Abgründiges. Uguriel saugte langsamer und hörte forschend auf das, was er sah, schmeckte und fühlte. Der junge Mann gefiel ihm. Sein eigener Sohn war tot. Zu Recht und von seiner Hand, gewiss,

aber er war tot. Er brauchte also einen neuen Stammhalter. Warum nicht dieser hier? Welf, der Name war zwar blöd, aber das konnte man ja ändern. Alles andere war in Ordnung. Besser sogar als das meiste, was ihm in den vielen Jahrhunderten begegnet war. Warum also nicht? Der Bengel war willig, ganz offensichtlich. Der Jüngling genoss die Ekstase in vollen Zügen. Auch wichtig, denn entgegen ihrer Natur hatte es immer wieder Vampire gegeben, denen von Blut schlecht wurde. Inzucht, was sollte man anderes sagen. Uguriel musste überlegen, sich etwas Zeit

lassen. Die hatte er, zumindest ein paar Stunden noch bis zur Morgensonne. Bis dahin würde er die Schwester aufsuchen. Um sich zu nähren und weitere Informationen zu sammeln. Es dürfte interessant sein, wie sie ihren Bruder sah. Danach würde er sich entscheiden und zurückkommen. Egal, wie die getroffene Entscheidung letztlich ausfiel. Aber er musste sich beeilen! Denn schon bald rief der Todfeind eines jeden Vampirs. Die Sonne. Sie war schon unterwegs und brachte das Tageslicht zurück. Niemand konnte ihr entkommen, nur aus dem Weg gehen. Und wenn er nicht aufpasste, dann war Schluss mit

der Sahne. Ja, genauso würde er es machen. Es war eine gute Entscheidung. Gut durchdacht und ohne Not umsetzbar. Jetzt blieb an dieser Stelle nur noch eins zu tun. Der Fürst stellte sein Saugen ein und pumpte sogar ein wenig Blut durch die feinen Kanülen zurück in den fremden Körper. Hübsch versetzt mit einem feinen Schlafmittel aus körpereigener Produktion. Große verschleierte Augen blickten Uguriel an, bevor sie sich schlossen und der Körper in seinen Armen erschlaffte. Behutsam trug der Fürst den in einem totenähnlichen Schlaf versunkenen Körper unter das nahe Gebüsch und

bettete ihn so bequem als möglich. Ob das Zaubererblut seinem etwaigen Vorhaben im Wege stand? Blieb abzuwarten. Hoffentlich nicht. Mit einem Zauberer hatte er keine Erfahrung. Diese Spezies zu einem Vampir machen, hatte dies überhaupt schon jemals einer versucht? Nun, je nachdem, wie seine Entscheidung ausfiel, in Kürze würde er es wissen. Ein kurzer prüfender Blick zurück, dann nahm die Dunkelheit des Waldes ihn auf. Hast du chrx alles, schrieb das Buch in seiner Aufregung nicht ganz fehlerlos. „Ja, alles wie verlangt“, gab Rigomar

zurück. Gib es mir, krakelte Xerxes auf eine leere Seite. „Moment, Moment. Was ist mit mir?“, mahnte der Zauberer. „Meine Hilfe war nicht umsonst. Wir haben eine Abmachung, schon vergessen?“ Werde nicht frech, ärgerte sich Xerxes. Denk daran, ich habe deinen mit Blut besiegelten Eid. „Richtig!“, keifte Rigomar. „Du hast mich am Haken. Ich bin in Vorleistung getreten. Ich habe dir vertraut und habe alles getan, was du wolltest. Jetzt bist du an der Reihe.“ So geht das aber wirklich nicht, Freundchen. Denk daran, ich könnte

meinem Meister berichten, was du da hinter seinem Rücken treibst. Und von Gar. Du willst sie ihm doch vorenthalten, oder? Stehlen gewissermaßen! Schon vergessen? „Und was ist mit dir? Was treibst du eigentlich so alles hinter Walrams Rücken? Du warst doch einverstanden, oder? Warum wohl? Weil du dir ebenfalls etwas versprichst! Und das muss für dich so wichtig sein, dass du es in Kauf nimmst, deinen Meister zu betrügen. Was meinst du, soll ich zu ihm gehen und es ihm sagen?“ Die Reaktion war gar keine. Xerxes hatte sich in die Schmollecke zurückgezogen und reagierte überhaupt

nicht. Hin und her wälzte Xerxes seine Gedanken, aber er fand keine Lösung. Jeder von ihnen beiden konnte betrogen werden. Jeder, der seine Karten als Erster offenlegte. Ohne Vertrauen ging hier gar nichts. Auch Rigomar schien ähnliche Gedanken zu haben, denn nach einem kurzen Räuspern bemerkte er: „Also gut, so kommen wir nicht weiter. Ich mache dir einen Vorschlag. Du rückst mit den Zaubersprüchen raus, dann gebe ich dir dieses Krötenvieh. Schau nur, wie es zappelt und mit den Augen rollt. Was willst du überhaupt damit? Soll das Biest deine Seiten umblättern? Na, mir soll’s egal sein. Jedenfalls erklärst du

mir zum Abschluss, wie ich es anstellen muss. Wie bekomme ich Gar heraus und wie binde ich sie? Zu Walram kann ich ja immer noch. Es sei denn, du tust das Richtige.“ Es dauerte nicht lange, da hatte Xerxes alles durchdacht und schrieb sein Einverständnis nebst drei Zaubersprüchen. Dazu noch ein paar Anweisungen und Erklärungen. Rigomar seufzte erleichtert. Das Eis war wohl gebrochen. Eilig schrieb er sich die drei Sprüche auf einen der herumliegenden Zettel und verstaute diesen sicher. Nur gut, dass Walram hier immer mit dem Buch arbeitete. So war alles parat. Aber nun

war er an der Reihe. „Was soll ich machen?“, fragte Rigomar nach. Leg es mir auf meine Seiten, lautete die schriftliche Antwort. Im Nu blätterten sich viele Seiten um, dann wieder drei zurück. Das Buch hatte wohl eine passende Stelle gesucht und gefunden. Augenscheinlich war es bereit. Und so tat Rigomar wie von ihm verlangt. Dann geschah etwas, was er vorher so nicht geglaubt hätte. Mit einem vor Staunen offenen Mund sah der Zauberer zu, wie das zappelnde Krötengesicht in die Seiten oder besser gesagt, in das Buch einsank. Einsank oder eingesaugt

wurde, wer vermochte dies schon zu sagen. Aber genau so geschah es. Schon bald waren die Füße verschwunden, dann der Körper, schließlich die Arme. Blieb nur der Kopf. Aber auch der hatte keine Chance, mochte er noch rucken, so viel er wollte. Schon bald war auch er verschwunden und nur zwei große Augen starrten Rigomar noch an. Das Buch klappte zu und Rigomars Staunen wuchs weiter. Der Einband aus Leder beulte sich aus. An verschiedenen Stellen und in unterschiedlicher Form. Mal konnte man kleine Füße vermuten, mal kleine Fäuste. Schließlich verschwanden sie,

als wären sie müde und das Buch klappte wieder auf. Doch statt der erwarteten Buchstaben und Sätze erschien nun ein lückenloser Mund, in dem vier Vampirzähne staken. Und um Rigomars Staunen vollkommen zu machen, sprach dieser ihn an. „Das hast du gut gemacht, Zauberer. Wirklich gut!“, plärrte das Buch. „Eigentlich bin ich sparsam mit meinem Lob, aber diesmal bin ich zufrieden. So lange habe ich auf diesen Moment gewartet!“ „Verrätst du mir nun, wie ich es anstellen muss?“, fragte Rigomar mit dünner Stimme nach. „Ja, tue ich. Ich denke, du hast es

verdient“, piepste Xerxes. „Also, hör zu. Als Erstes suchst du dir einen Bergkristall. So einen, wie die Zwerge sie in großer Zahl dem Berg entrissen haben. Dies sollte kein Problem sein. So groß wie ein Hühnerei etwa, das sollte reichen. Denke ich. Genug von dem Zeug liegt ja noch herum. Aber Vorsicht! Kristall ist zerbrechlich. Aber ein Kristall muss es sein. Es besteht also eine gewisse Gefahr, wie du dir denken kannst. Aber weiter. Diesen Kristall legst du auf den Rubin und sprichst den ersten Zauberspruch. Der Kristall ist nun zu einem Gefängnis geworden und mit der Außenseite des Rubins für kurze Zeit verbunden. Jetzt

wird der zweite Zauber gesprochen, aber schnell! Dieser schafft einen Tunnel durch Zeit und Raum innerhalb der magischen Welt im Rubin. Er erfasst das Wesen Gar und zieht es durch den Tunnel in das Kristallgefängnis. Ist dies passiert, du wirst es erkennen, dann löse sofort den Kristall vom Rubin, sonst kann sie sich befreien. Mit dem dritten Spruch aber kannst du dem Wesen Befehle erteilen und es zeitweilig freisetzen. Alles verstanden? Alles klar? Sonst frag! Moment mal, ich höre meinen Meister!“ Kaum waren die letzten Worte verklungen, da klappte Xerxes auch schon zu und hüllte sich in Schweigen.

Blitzschnell drehte sich Rigomar um und wollte eilig den Raum verlassen. Aber es war schon zu spät. Fröstelnd starrte er in das wütende Gesicht des wahren Herrn auf dem Wehrwall. „Was treibst du hier?“, schrie ihn dieser an und spuckte ihm dabei seinen Speichel ins Gesicht. „Ich, ich, …“, stotterte Rigomar entsetzt herum. Herrje, immer wenn es darauf ankam, wollte ihm nichts einfallen. Immer musste er erst alles durchdenken und verpasste so oftmals den richtigen Zeitpunkt. So auch jetzt. Anstatt Walram zu besänftigen, hatte er dessen Wut nur gesteigert. Dachte dieser doch,

sein Gestotter wäre ein Ausdruck von Schuld. „Du willst mir wohl mein Buch stehlen, du Ratte?“, brüllte Walram und packte Rigomar an der Kehle. Seine langen Fingernägel schnitten ihm unsanft in die Haut und die Luft wurde ihm knapp. „Nein!“, quiekte Rigomar in höchster Not. „Ich wollte nur ein wenig Hilfe! Ein kleiner Zauber, mehr nicht!“ „Was für einen Zauber?“, wollte Walram wissen und lockerte seinen Griff ein wenig. „Nur gegen Hühneraugen! Tu mir nichts, ich bitte dich. Die Dinger bringen mich um!“, flehte Rigomar

erbarmungswürdig. Etwas Besseres fiel ihm nicht ein. Rigomar hasste sich dafür. Schlagfertigkeit, ja, dies war etwas, um das er andere schon immer beneidet hatte. Aber zu seinem Glück zog diese Ausrede. Walram musste wohl eigene Erfahrungen haben. „Also gut“, beruhigte sich dieser. „Kann ich verstehen. Aber komm nächstes Mal zu mir! Das Buch ist tabu! Für jedermann! Mach deine Arbeit. Bist ohnehin in letzter Zeit ganz schön faul geworden! Kaum zu finden. Alles andere aber überlass mir.“ „Tut mir wirklich leid“, säuselte Rigomar, froh, noch einmal

davonzukommen. „Ich weiß wirklich nicht, was in mich gefahren ist. Soll nicht wieder vorkommen. Ich gehe dann jetzt. Verzeih mir bitte noch einmal!“ „Moment“, hielt Walram seinen Ratgeber zurück. „Moment, alter Knabe. Du glaubst doch wohl nicht, dass du einfach so davonkommst, oder? Strafe muss sein, auch für dich!“ Sprach’s und stieß seine in ein bläuliches Licht getauchte Hand durch Rigomars Bauchdecke. Bis in den Dünndarm hinein fuhr die Hand und pflanzte dort eine Wurmlarve. Rigomar wusste, was kommen würde. All dies hatte er schon einmal durchlebt. Die Larve würde sich in seinen

Eingeweiden nähren und zu einem Wurm heranwachsen. Der würde ihn von innen her anknabbern, wieder und wieder. Gewiss, die Wunden würden heilen. In dem gleichen Tempo, wie der Wurm fraß und neue Wunden riss. Drei Tage lang. Drei Tage lang Schmerzen ohne Ende. Aber er würde es überleben. Alles in allem noch besser als der Tod. Ein schwacher Trost, denn das Martyrium begann. Einen grinsenden Walram im Rücken, hielt Rigomar sich den Bauch und schleppte sich wimmernd davon. So nach und nach kehrten die Sinne wieder. Welf lag gut versteckt unter

einem Gebüsch und konnte sich nicht rühren. Das war überhaupt nicht lustig. Hilflos zu sein war widerlich. Es war dieser Schrecken, der ein jedes Lebewesen befiel, das in die Fänge eines anderen geriet. Denn meistens ging es dabei um das nackte Leben. Jetzt kehrte auch die Erinnerung zurück. Und Welf begriff, ihm war Gewalt angetan. Dies änderte sein Gefühl hin zur Wut. Das Ganze war zwar sonderbar erregend gewesen, aber gegen seinen Willen. Dies würde er niemals verzeihen. Er fühlte sich zwar nicht krank, aber schwach. Ihm war ein wenig schwindlig und der Mund trocken. Sein Körper hatte

einige Druckstellen ausgebildet, bedingt durch seine Lage, die ihn mehr und mehr peinigten. Welf wusste nicht, wie lange er hier schon lag. Es war noch dunkel. Auf dem Wehrwall war es bis auf die Rufe einzelner Wachen ruhig. Wenn nicht anders, so musste er auf den Morgen hoffen. Auf dass ihn einer entdeckte. Er befand sich noch auf der Lichtung, das konnte Welf im fahlen Mondlicht gut erkennen. So unbelebt war die am Tage nicht. Der eine oder andere schaute hier schon mal vorbei. Meist um sich vor der Arbeit zu verstecken oder aber, um sich zu erleichtern. Na, das fehlte ihm noch! Aber halt, was war das? Eine Wache kam

des Weges. Allerdings auf dem Hauptweg, der zu einer festen Route gehörte und sich etliche Schritte entfernt von der Lichtung befand. Welf versuchte sich zu rühren und zu rufen, allein es gelang nicht. Wie hatte das Vieh das bloß gemacht? Er war nicht vollständig gelähmt. Nur Arme und Beine. Und sprechen konnte er auch nicht. Welf bog den Körper durch und entspannte sich wieder. Nützte nichts, das leise Geräusch wurde vom Gras verschluckt und die Wache war schon fast vorbei. Was konnte er noch tun? Niesen, vielleicht. Verbissen schnüffelte Welf in der Luft. Aber wenn man einen Nieser

brauchte, war keiner zur Hand. Er konnte es noch mit einem Grunzen versuchen. Nur wenig Erfolg. Aber es tat sich etwas in seiner Kehle, mit seinen Stimmbändern. Aus dem Grunzen wurde ein Röcheln, wurde ein Krächzen. Zu spät. Die Schritte der Wache verklangen. Nun würde eine geraume Zeit vergehen, ehe ein neuer Wachmann kam. Eine halbe Stunde, vielleicht sogar eine ganze. Was hat das Vieh bloß mit mir gemacht, fragte sich Welf verzweifelt. Selbst in meine Gedanken war es eingedrungen! Hatte die Kontrolle über meinen Kopf übernommen! Hat meine Lust gesteuert und mich willenlos gemacht. Zähne

waren es. Ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Zähne an meinem Hals. Als Welf bis hierhin gekommen war, geschah etwas, was gleichzeitig erschreckend und faszinierend war. Als er an die Zähne dachte, fühlte er ein Zucken, ein leichtes Kribbeln, dann ein feines Piksen im Zahnfleisch oberhalb seiner Eckzähne. Und dann geschah es. Vier lange und spitze Saugzähne durchbrachen das Zahnfleisch und schoben sich über die Lippen hinaus in ihre neue Freiheit. Es war nicht unangenehm. Es war, ja es war irgendwie erwartungsfroh. Merkwürdige Gefühle erwachten und drängten den Verstand

zurück. Ist es das, wofür ich es halte?, überlegte Welf. Wie kann das sein? Und noch einmal: Wie hat das Vieh das bloß gemacht? War es etwa ein Vampir? Aber die waren doch schon lange ausgestorben! Es war eine Brut aus längst vergangenen Tagen. Gut genug, um bestimmte Leute zu erschrecken. Oder nicht? Dass er nichts von diesen Wesen wusste, hieß aber noch lange nicht, dass an den alten Geschichten nichts Wahres dran war und sich diese Kreaturen bis in das heutige Zeitalter nicht hinübergerettet hatten. Na also, sein Verstand war zurück. Gut

so. Und die Zähne, nebenbei bemerkt, waren verschwunden. Wie steuerte man diese nur? Und wozu waren die Dinger überhaupt gut? Würde er diesen Mist jetzt ewig mit sich herumtragen? Er musste einen Arzt aufsuchen! So schnell als möglich. Seinen Vater würde er nicht fragen. Walram schon gar nicht. Aber natürlich nur, wenn er auch überlebte. Ha, da waren die Zähne wieder! Diesmal fast unbemerkt. Was hatte er gemacht? Nur an sie gedacht. Sonst nichts. War es das? War es so einfach? Welf probierte es gleich aus. Er hatte ja ohnehin sonst nichts zu tun. Zuerst dachte er an etwas Unverfängliches. Und

flutsch, die Beißerchen verschwanden. Konzentrierte er sich aber auf sie, dann kamen diese Dinger wieder. Wahnsinn! Mittlerweile kribbelte es in den Gliedmaßen. Das Gefühl kam also wieder. Es kroch Arme und Beine herauf und brachte die Beweglichkeit zurück. Schon konnte er die Finger krümmen, zwar noch etwas langsam und steif, aber es ging. Und jetzt den Arm, etwas zumindest. Auch die Kraft in den Beinen kehrte zurück. Wie er sie vermisst hatte! Es stimmte schon: Erst wenn man etwas Gewohntes verlor, bekam es die ihm gebührende Wertschätzung. „Hallo, Welf“, flüsterte er, erfreut, seine eigene Stimme wieder zu hören. „Das

Vieh mache ich fertig! Sofern ich es finde.“ Sehr gut, die Sprache hatte sich also auch wieder eingefunden. Das Knacken von trockenen Zweigen ließ Welf aufhorchen und brachte ihm die Erkenntnis, dass er noch lange nicht außer Gefahr war. Etwas Großes, Dunkles trat auf die Lichtung hinaus und orientierte sich. Das Vieh kam zurück! Instinktiv stellte Welf sich tot. Vielleicht hatte er Glück und das blutrünstige Miststück fand ihn nicht wieder. Aber diese Hoffnung trog. Der Vampir oder was immer es war, konnte im Dunkeln wohl ebenso gut sehen, wie er

am Tag. Obwohl Welf das Gefühl hatte, dass auch seine Wahrnehmung sich verbessert hatte. Augen, Ohren und Nase. Aber das täuschte wohl, das konnte nicht sein. Mit leichtem Schritt, fast unhörbar, war das Vieh mittlerweile heran. Er kniete nieder, schob die Zweige beiseite und näherte sich Welf. Fast zärtlich fasste er ihm unter die Arme, hob seinen Oberkörper an und lehnte ihn an den seinen, Welfs Kopf auf seiner Schulter. „Ich bin zurück, mein Kleiner. Ich war bei deiner Schwester“, hauchte der Vampir in das ihm zugewandte Ohr. „Zuckersüß war sie. Ungelogen. Keine Angst, ich habe sie nicht getötet oder

verwandelt. Ich habe mich nur vorgestellt, mich mit deiner Familie bekannt gemacht. Auch wollte ich mehr über dich erfahren. Ihr beide, ihr schmeckt schon eigenartig, ihr Zauberer. Nicht schlecht, nein, aber eigenartig. Euer beider Blut hat eine Zutat, die ich bislang noch nie verkosten dufte. Aber egal, ich habe bekommen, was ich wollte. Und dazu erfahren, was ich wissen musste. Warum ich dir dies alles erzähle? Nun, ich finde, du bist es wert. Ich werde es nämlich mit dir versuchen. Dich in meine Familie aufnehmen, meine ich. Dich zu meinem Sohn machen, versteh mich richtig. Deshalb erzähle ich dir dies

alles. Und deshalb habe ich deine Schwester auch nicht getötet. Ich mache dich zu einem Vampir. Nein, nicht zu irgendeinem! Zu meinem Blute sollst du gehören! Ein Fürst unter den Wesen der Nacht sollst du sein. Jetzt soll es geschehen. Hier. Und schon nächste Nacht werden wir gemeinsam jagen. Du und ich. Vater und Sohn. Und wir werden einen neuen Stamm begründen. Komm, nur Mut! Glaub mir, es wird wunderbar.“ Der Vampir drückte Welf noch näher an sich und streichelte ihm zärtlich das Haar. Er schwelgte ganz und gar in den erwartungsvollen Bildern der Zukunft, sodass er nicht bemerkte, was

geschah. Schon die ganze Zeit spürte Welf diesen unbekannten Schweiß, spürte die Wärme der fremden Haut. Die Energie in jenem Körper, das noch frische Blut seiner Schwester auf den Lippen. Welfs Zähne wuchsen, unwillentlich. So nach und nach setzte sein Verstand aus und eine nie gekannte Erregung ergriff von ihm Besitz. Er roch einen ihm unbekannten Duft, der seine Erregung in Wahnsinn verwandelte. Instinktiv führte er seine Zähne dorthin, wo sie hin mussten und biss zu. Ein kurzer Aufschrei, ein kurzes Strampeln, dann hatte er die Situation im Griff. Irgendwie war alles, wie es sein musste.

Das fremde Blut fand den Weg in seinen Körper. Es brachte jede Menge neuer Gefühle mit. Dies alles war noch weitaus besser und intensiver, als er es noch vor Kurzem selbst als Opfer erlebt hatte. Die Erregung steigerte sich unentwegt und Welf war schon fast einer Ohnmacht nahe. Und jetzt kamen Bilder hinzu. Bilder ohne Zahl. Fremd und abstrakt. Es waren nicht die Seinen. Stimmen schrien in seinem Kopf, millionenfach. Manche waren alt. Uralt wahrscheinlich. Aufzeichnungen einer längst vergangenen Zeit. Auch fremde Gefühle konnte Welf ausmachen. Von vielen Wesen unterschiedlichster Art.

Auch ein besonders starkes war darunter. Angst, panische Angst. Urplötzlich wurde Welf klar, dass all dies von seinem Opfer stammte und nun sein Eigen wurde. Ihm wurde schlecht, aber so richtig. Er löste den Biss und kroch auf alle viere fort, hinaus auf die Lichtung. „Wie kann das sein?“, hörte er noch eine schwache Stimme hinter sich. „Ich habe dich doch gar nicht verwandelt! Du bist kein Vampir! Aber …“ Die Stimme versagte, während Welf sich übergab. All das Blut musste heraus. Sein eigenes und das seiner Schwester. All der Ekel, all die Erlebnisse. Viele Minuten lang würgte Welf. Auch noch,

als schon gar nichts mehr kam. Schließlich fiel er erschöpft auf die Seite in sein Erbrochenes und rollte sich zusammen wie ein Baby im Mutterleib. Währenddessen kroch der Vampir, langsam und kraftlos, geschlagen in den Wald. Aber dafür interessierte Welf sich schon nicht mehr.

Fenrir

Thoralf schnaufte laut vor sich hin. Er war ein wenig müde und der Weg war anstrengend. Heute würde er über den Kamm klettern, hinab ins nächste Tal. Schon viele Stunden hatte er zuvor an seinem neuen Lieblingsplatz verbracht. Auf dem Rücken hatte er gelegen. Alle viere von sich gestreckt. Sich über Dinge gefreut und geärgert. Von Gedanken zu Gedanken gehopst, wie man dies so macht, wenn man ausspannt. Oh, er hatte auch gearbeitet, so war es nicht. Nur hatte er sich seine Arbeit eingeteilt. Er richtete es neuerdings so

ein, dass er hier an diesem Ort niemals alles schaffte, sondern immer nur einen Teil. Und so gab es immer einen Grund, hierher zurückzukehren. Und seitdem er seine Beine wieder einigermaßen gebrauchen konnte, kam er mit seiner Arbeit weitaus schneller voran, als er es Skuld jemals gegenüber zugeben würde. Auch wie man seine Arbeit einteilte, war von Belang. Natürlich. Denn durch kluge Organisation ließ sich jede Menge Zeit gewinnen. Je mehr man von diesem kostbaren Gut besaß, umso besser. Seine Hobbys und Verpflichtungen verschlangen nämlich mittlerweile jede Menge

davon. Da war Gudrun, mit der er viel Zeit verbrachte. Zeit, in der er sich wohlfühlte. Auch Urd und Verdandi musste er besuchen. Wollte es auch, tat es sogar gern. Oftmals sogar mit Gudrun zusammen, was wiederum ausnehmend praktisch war. Liebe Menschen mit einem lieben Menschen besuchen, das hatte was! Zwei Fliegen mit einer Klappe, so oder so ähnlich hieß es wohl. Und natürlich schaute er gern über den Rand der Ebene. All diese Wunder, die sich ihm dort offenbarten, machten ihn mehr hungrig als satt. Auch so einige Lebensfäden standen auf seinem

Programm. Thoralf nahm zu gern ein wenig an dem Leben anderer teil. Und nicht nur deshalb, weil es das seine um so vieles bereicherte. Nein, er hatte durchaus Freunde gefunden und meinte es ehrlich mit ihnen. Dennoch suchte er immer weiter nach interessanten Charakteren, mit denen er sich austauschen konnte. Von denen er lernte und mit denen er fühlte. Er konnte nicht anders, es war schon fast eine Sucht. Auf seiner Suche zog er immer größere Kreise. Betrat Landschaften, die er zuvor noch nie gesehen hatte. Und eines Tages kam er in eine Gegend, in der schroffe Felsen den Boden

durchbrachen, sich sanfte Hügel erhoben und sich liebliche Täler versteckten. Auch hier war alles mit Gestellen übersät, sodass es für ihn einen nachweislichen Grund gab, sich hier aufzuhalten. Ein guter Grund, wie schon erwähnt, gut für seine Gesundheit. Und da Thoralf mittlerweile gelernt hatte, auch die Gestelle zu reparieren, konnte er seine Anwesenheit hier angenehm verlängern. Schon beim zweiten Mal, als er hier seine Arbeit tat, fand er eine bequeme Aussichtsplattform, die ihm einen unglaublichen Blick über den Rand ins Universum gestattete. Ljossalfheim war es, was seine

Aufmerksamkeit erregte und sein Gemüt berührte. Auch Lichtalfheim genannt. Diese unvergleichliche Welt der Lichtelfen und Lichtalben. Obwohl es viele gab, die fest und steif behaupteten, dass dies alles eine Suppe war. Aber das stimmte nicht! Thoralf sah es von diesem Standort genau, wie durch eine Lupe und als wäre diese Welt nur einen kurzen Dauerlauf entfernt. Die Lichtalben waren wesentlich kleiner als ihre größeren Brüder und Schwestern, aber mindestens genauso edel. Gemessen aber an ihrem täglichen Leben waren es ganz eindeutig zwei Völker. Vielleicht aus einer Quelle heraus geboren, aber unterschiedlich entwickelt.

Es war eine unglaubliche Welt, die Thoralf nun des Öfteren beobachtete. Eine märchenhafte Welt, oder besser gesagt, eine magische. Asgards Bauten waren schon kolossal. Größer und gewaltiger, als es sich je ein Mensch erträumen konnte und die Barden zu berichten wussten. Es war nicht unbedingt so, dass die Bauten in Lichtalfheim wesentlich größer und protziger waren, nein, das waren sie nicht. Ganz und gar nicht. Es war eher so, dass in Asgard die klaren Linien vorherrschten. Und die meistenteils einzeln stehenden Gebäude eine gewisse Überschaubarkeit garantierten. Holz, Bronze, Stein, Silber

und Gold waren hier die vorherrschenden Baustoffe, selten etwas anderes. Ganz anders als bei den Wesen des Lichts. Hier waren die Linien stets fantasievoll verschlungen und die Gebäude gingen meistenteils ineinander über. Auch hier war Holz als Baustoff begehrt, allerdings fast immer geschnitzt und oftmals sogar lebendig. Die Elfen und Alben, die hier lebten und starben, liebten es, von einem rauschenden und wispernden Grün umgeben zu sein. Und so gab es Bäume, Bäume und nochmals Bäume. Fast war diese Welt ein einziger Wald, nur von Flüssen und

Bächen und einem Ozean durchschnitten. Ljossalfheim war wie eine blaugrüne Fassung, in die diese Wesen ihre Behausungen und Plätze, ganz wie einen Edelstein einfassten. Es war das schönste, was Thoralf jemals gesehen hatte und sich auch nur vorstellen konnte. Es war eine Welt der Träume, der Ruhe, der Kunst und der Ideen. Nur eine kleine Weile der Betrachtung reichte aus, um jedwede Sorgen wie Staub im Wind hinwegzufegen. Und genau das war der Grund, weshalb Thoralf sich so gern hier aufhielt. Aber heute würde er den Rest des Tages dazu benutzen, um über den Kamm in

das nächste Tal hinabzusteigen. Um dort nach weiterem Balsam für seine Seele Ausschau zu halten. Und wenn die Zeit reichte, den nächsten Hang wieder hinaufklettern. Vielleicht fand er ja noch einen besseren Aussichtspunkt als diesen hier. Das Universum war voller Geheimnisse. Und Schönheit. Und all dies wollte er entdecken. Die Schicksalsebene, so hatte Thoralf schon seit Langem erkannt, bot dafür die besten Voraussetzungen. Neben seiner Sammelwut hatte ihn nämlich nun auch noch die Entdeckerwut gepackt. Er war nicht böse darüber, keineswegs. Aber dafür schnaufte er nun und quälte sich

über dem Berg. Die Sache war es wert! Wenn Leif dies wüsste! Wenn er dies alles nur sehen könnte! Schon lange hatte er mehr Abenteuer und Wunder erlebt als der Freund. Wie war er doch damals in Thorsfelsen aus gutem Herzen eifersüchtig gewesen! Heute erschien ihm dies alles so lächerlich und er schämte sich im Stillen. Es war nicht der Wettkampf, der ihn trieb. Nein, es waren die Wunder. Thoralf hatte es geschafft! Der Kamm war bezwungen und gab den Blick auf ein wunderschönes und reichlich bewachsenes Tal frei. Ein murmelnder Bach, der aus einer rabenschwarzen Felswand regelrecht herausgetrieben

wurde, floss unter Bäumen und Büschen hindurch, durchquerte eine Wiese und strebte einem Ziel zu, dass Thoralf nicht einzusehen vermochte. Er gratulierte sich zu seiner Entscheidung, nicht im Jetzt zu verharren, sondern das Morgen zu suchen. Nun würde sein Weg auch leichter sein, ging es doch erst einmal stetig bergab. Nur auf das lose Geröll musste er aufpassen, wollte er die vor ihm liegende Wegstrecke nicht schneller hinter sich bringen, als geplant. Auf geht's, dachte Thoralf. Kein Zaudern, kein Zagen! Es ging besser als ursprünglich gedacht. Bereits kurz darauf war Thoralf unten im

Tal angekommen, ohne größere Blessuren davonzutragen. Es war schön hier unten und nicht nur das. War der ihm bekannte Hauptteil der Ebene fast ohne jeglichen Bewuchs und mehr grau in grau, so war dies hier der absolute Gegensatz. Von der anderen Seite des Berges her gar nicht zu vermuten. Wer weiß, überlegte sich Thoralf, wie viele solcher Stellen es hier oben noch gibt. Staunend hielt er Umschau. Ein sanftes Grün der Blätter überwog, untermalt von einem freundlichen Braun der Stämme und Äste, durchbrochen von dem schaumigen Blau des Baches.

Unzählige Blumen protzten oder versteckten sich, je nachdem. Egal ob sichtbar oder nicht, sie erfüllten die Luft mit einem betörenden Duft. Schmetterlinge, ohne Zahl und unterschiedlichster Art, schwebten in einem warmen und feuchten Lufthauch, der von der schwarzen Felswand zu kommen schien, auf und nieder. Doch als Thoralf genauer hinschaute, erkannte er recht schnell, dass er sich getäuscht hatte. Es war keine Wand, es war ein Eingang. Ein Eingang zu einer dunklen Höhle. Und er war riesig. Schon als er den Weg von oben herab ins Tal beschritt, hatte Thoralf mit dem Gedanken gespielt, sein Lager hierher in

diese liebliche Umgebung zu verlegen. Oder zumindest einen zweiten Lagerplatz anzulegen. Und jetzt diese Höhle! Sie war ein weiterer Pluspunkt in seiner Überlegung. Aus mehreren Gründen war es bestimmt nicht schlecht, solch einen schützenden Raum in der Nähe zu haben. Kurz entschlossen ging er auf den Eingang zu und der Dunkelheit entgegen. Neugierde trieb ihn. Aber es war nicht nur sie. Wenn man sich schon einen neuen Lebensraum suchte, dann sollte man auch wissen, was einen erwartete. Mittlerweile hatte Thoralf die kurze Entfernung zurückgelegt. Und jetzt, wo

es nur noch einer Armlänge bedurfte, um in dieser Dunkelheit zu versinken, da stockte sein Schritt. Wenn er noch Nackenhaare gehabt hätte, dann hätten sich diese jetzt aufgerichtet. Irgendein siebenter Sinn warnte ihn vor einer möglichen Gefahr. Es war nichts Greifbares, mehr eine Vorahnung. Oder war es nur diese berüchtigte Angst vor der Dunkelheit, die jedes Lebewesen im Laufe des Lebens irgendwann einmal befällt? Nein, eher nicht. Da war wirklich etwas. Thoralf konnte nichts sehen und nichts hören. Aber die Luft war wärmer geworden und ein Gutteil feuchter. Auch spielte nun ein bestimmter Geruch in der

Luft, den er irgendwo schon einmal gerochen hatte, aber im Moment nicht einzuordnen wusste. Unschlüssig verharrte Thoralf am Eingang. Da, ein Geräusch! Ein unterdrücktes Atmen! Oder doch nicht? Seine Füße scharrten im lockeren Sand, aber das half ihm bei seiner Entscheidungsfindung keineswegs weiter. Denn, das musste er. Sich entscheiden! Entweder er ging weiter und überwand seine instinktive Angst oder er kehrte um. Nur einfach stehen zu bleiben war jedenfalls dämlich. Schließlich gab er sich einen Ruck und trat ein. Es war gar nicht schlimm.

Nichts von dem, was ein überreiztes Hirn für gewöhnlich zwitschert, passierte. Es war dunkel, gewiss. So setzte Thoralf ganz langsam und vorsichtig einen Schritt vor den anderen, die Hände dabei zum Schutz hilfreich ausgestreckt. Der Boden war eben, zum Glück. Fester Sand machte das Gehen leichter. Mit einer Hand nahm Thoralf Kontakt zu einer Wand auf. So etwa hundert Schritte weit wollte er hinein. Danach brauchte er sich bloß umzudrehen, die andere Hand an die Wand zu führen, um den Weg sicher wieder hinauszufinden. So konnte er sich nicht verlieren. Es sei

denn, er käme an eine Weggabelung. Aber dann würde er ohnehin haltmachen. Die Wände waren feucht. Es war angenehm, mit den Fingern über die Struktur zu streichen. Eigenartigerweise waren sie kühler, als die warme Luft es vermuten ließ. Und richtig, jetzt wo er darüber nachdachte, spürte Thoralf die Wärme auf der Seite seines Körpers, welcher von der Wand abgewandt war. Merkwürdig. Da war es wieder! Ein leises und tiefes, fast unterdrücktes Atmen. Jetzt war Thoralf sich sicher. Er hatte sich vorhin am Eingang nicht getäuscht! Irgendetwas war hier! Es lebte und lauerte. Vierzig Schritte hatte Thoralf

sich schon in die Dunkelheit hinein gewagt, vielleicht auch fünfzig. Viel zu viel, wie Thoralfs Angst jetzt feststellte. Er würde umkehren und dies sofort! Gesagt, getan! Schon waren die ersten fünf Schritte geschafft, dann waren es bereits zehn. Die Hoffnung wuchs und drängte die Angst ein wenig zurück. Und siehe da, sein Gang wurde aufrechter, selbstbewusster. Er ging, na ja, nicht weit. Ein Scharren in der Dunkelheit, dann ein leichtes Platschen. Direkt vor ihm. Thoralf fühlte dies, bevor er es berührte. Es war groß, fast so groß wie er. Warm war es. Dazu weich. Und es versperrte ihm den Weg, ganz eindeutig.

Aber es griff auch nicht an! Thoralf zitterte mit jedem Knochen. Wenn er denn nur etwas sehen könnte! Thoralf nahm seinen ganzen Mut zusammen und schubste dieses Etwas. Ohne Erfolg. All seine Kraft brachte nicht den geringsten Erfolg. Die Wand vor ihm erschien unverrückbar. Wand? Doch wohl eher nicht! Denn das Hindernis war warm und weich. Es war auch ein wenig elastisch, gab es doch ein wenig nach. Zudem war es bewachsen. Aber so was von bewachsen! Ein dichter Bewuchs aus, ja aus was eigentlich? Weiß der Fuchs! Das Zeug war ziemlich lang und biegsam. Und erst dieser

Geruch! Ja, der Geruch! Urplötzlich setzte er die Erinnerung frei. Thoralf kannte diesen Geruch! Noch aus Thorsfelsen. Dieser Duft erinnerte ihn an einen Wolf, nämlich an Leifs vierbeiniger Gefährtin Bea. An einen nassen Wolf wohlgemerkt, dessen Fell gerade trocknet. Aber noch ehe diese Erkenntnis in einer Handlung münden konnte, hörte Thoralf ein leises Schnaufen. Instinktiv drehte er sich hin zu der Quelle der Töne und sah mit Erschrecken, wie sich zwei rote Striche aus der Dunkelheit schälten. Die Striche wurden länger und breiter. Und schon bald bekamen sie eine ovale

Rundung, die stetig wuchs. Thoralf hatte es schon im Unterbewusstsein geahnt. Es waren Augen, ein jedes so groß wie ein Fenster, die ihn aus der Dunkelheit heraus fixierten. „Minor Sol“, schnarrte eine tiefe Stimme. Es war wohl ein Befehl oder eine Art Zauberspruch, denn die Dunkelheit der Höhle löste sich ganz gemächlich auf und es wurde Licht. Schemen schälten sich heraus. Die zu deutlichen Umrissen wurden, in denen ein Körper wohnte. Der mehr und mehr sein Geheimnis preisgab. Ja, es war ein Wolf. Und was für einer! So groß wie ein Haus. Unglaubliche

Muskeln spielten unter seinem dichten grauweißen Pelz. Und er war, Thoralf klappte tatsächlich vor Überraschung die Kinnlade herunter, ja, der Wolf war angekettet. Armdicke Kettenglieder waren mit ebenso starken Ösen im Boden verankert. Sie führten stramm über den Leib und fanden eine ebensolche Befestigung auf der anderen Seite. Kette an Kette, über den ganzen Körper hinweg, dreißig mindestens an der Zahl. Dazu ein geschlossener Eisenring um Leib und Hals. Wie glänzend poliert waren diese und mit der ihnen nächsten Kette verbunden. Und all dieses Metall war bedeckt mit rätselhaften

Runen. Der Wolf war gefangen und diese Höhle war sein Gefängnis. Und Thoralf hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als hier hereinzustolpern. Aufgrund seiner Ketten konnte sich das Untier kaum regen und besaß außer mit dem Kopf, dem Schwanz und den Vorderpfoten nur wenig Bewegungsfreiheit. Und doch reichte diese, um Thoralf zu stellen und den Weg zum Ausgang zu versperren. Der Wolf hob seinen wunderschönen Kopf und richtete seine Ohren mit den schwarzen Spitzen auf. Ein weißer Latz wurde sichtbar, der sich bestimmt über den gesamten Unterleib fortsetzte.

Ehemals rote Augen, die sich mit zunehmendem Licht in ein Himmelblau verwandelt hatten, schauten den unerwarteten Besucher fragend und dennoch interessiert an. Oder war eher Belustigung, die in kleinen spritzigen Fünkchen über die Iris tanzte? Der Wolf schob seine Nase ein wenig vor und peilte Thoralf genau an. Das Untier atmete ganz tief ein und wieder aus. Nur mit der Kraft seiner Lungen drückte er das wehrlose Skelett langsam, aber stetig an die Wand. Kurz darauf sog das Tier die Luft wieder an und die klappernden Knochen mit ihr. Nur ein wenig später ging es dann

wieder in die andere Richtung. Ja, ganz eindeutig, der Wolf hatte Spaß. „Siehe da, ich habe Besuch“, näselte die dunkle Stimme. „Ein Mensch! Naja, was noch von ihm übrig ist. Wie außergewöhnlich.“ Thoralf spürte regelrecht den Spott. Und eine innere Stimme sagte ihm, dass es auch so war, wie es aussah. Aber was heißt hier: aussah? Es war ja wohl offensichtlich, nur hatte Thoralf dies vergessen. In der letzten Zeit hatte er diese Gedanken verdrängt. Einerseits, weil er sich daran gewöhnt hatte. Andererseits, weil es ihm einfach zu gut ging. Aber es stimmte schon, der Wolf hatte vollkommen recht. Er war ein

Skelett. Ohne Haut und Knochen. In einer fremden Welt. Und ein Skelett gab eben nicht viel her. „Na, hat es dir die Sprache verschlagen?“, fuhr der Wolf fort. „Ach, ich vergaß, du hast ja keine Zunge mehr. Eigenartig, all die anderen, die vor dir hier waren, konnten reden. Was sie besser nicht getan hätten.“ „Ich bin nicht der Erste hier?“, entfuhr es Thoralf zu seiner eigenen Überraschung. Ja, er war wirklich überrascht, denn es gab bestimmt jede Menge anderer Fragen, die in diesem Moment wichtiger gewesen wären. „He, der Haufen Knochen kann doch

reden! Dann schau dich mal um! Dort, schau, hinten, an der Wand.“ Thoralf reckte und streckte sich, um einen Blick über die riesige Pfote zu werfen, die ihn am Weitergehen hinderte. „Ich, na ja, ich sehe nichts“, musste Thoralf fast weinerlich zu geben, obwohl er sich redlich bemühte. Das Untier saugte ihn an und stieß ihn ziemlich schmerzhaft sofort wieder zurück an die Wand. „Dummkopf!“, bellte der Wolf. „Habe ich gesagt, an welcher Wand du suchen sollst? Hier gibt es mehrere, noch nicht aufgefallen? Bist wohl ein wenig blöd in deinen Knochen, oder?“ Thoralf schämte sich. Das Vieh hatte

recht. Aber in welchem Ausmaße er beknackt war, darüber wollte er jetzt nicht nachdenken. Gab es überhaupt jemanden, der darüber gerne nachdachte? Eilig drehte er seinen Kopf und musterte aufmerksam die Wand hinter sich. Und wenn er das richtig deutete, was er sah, dann war er wirklich nicht der Erste hier. Bei Weitem nicht der Erste! Ganze Haufen von Knochen stapelten sich dahinten. Wenn dies alles die Überreste von denjenigen waren, die früher einmal auf der Schicksalsebene gedient hatten, dann verstand Thoralf jetzt, warum Skuld Nachschub brauchte. „Du hast sie alle gefressen, nicht wahr?“, hauchte Thoralf entsetzt, ganz

in der Vorahnung des Kommenden. „O ja, ihr seid ja auch so nahrhaft“, kicherte der Wolf und legte den Kopf ein wenig schief. „Und schmackhaft vor allen Dingen! Und am liebsten mögen wir euch ohne Fleisch! Das gibt immer ein Festmahl! Unglaublich, wie blöd du bist! Wer hat dir bloß so einen Schwachsinn erzählt?“ Thoralf straffte sich. Jetzt war er aber wirklich gekränkt. Obwohl es ihm nicht bekommen würde, vergaß er seine Angst und keifte zurück. „Und was ist mit den Knochen dahinten, bitte schön? Hör auf, mich zu veralbern! Es ist noch lange nicht geklärt, wer hier der Blöde

ist!“ „Oh ho, sieh an! Die Knochenklapper wird mutig!“, rief der Wolf und streckte seinen Kopf ruckartig in die Höhe. Minutenlang starrte er Thoralf an und der hatte nichts Besseres zu tun, als frech zurückzustarren. Die Pupillen in den Augen der Bestie wurden klein, wieder groß und wieder klein. Bei diesem Spielchen konnte Thoralf nicht mithalten. Und da seine Angst noch nicht den Weg zurück zu ihm gefunden hatte, setzte er noch eins drauf. „Willst mich wohl beeindrucken, hä? Balzt du etwa mit mir? Machst du mir schöne Augen oder was soll das Geklimper? Und was für ein Blödsinn,

bitte schön? Bei uns im Dorf wusste ein jeder, dass die Wölfe Asgards Menschenfleisch nicht verachten!“ Der Wolf atmete ein und sog Thoralf wieder zu sich heran, bis der die Nasenspitze berührte. Länger als vordem hielt der Wolff die Luft an und starrte das Skelett an. Wenn Blicke töten könnten! Aber das konnten sie nicht. Und so beruhigte sich alsbald das Tier und pustete Thoralf zurück an die Wand. „Soso, du bist ja ein ganz Schlauer!“, gab der Wolf bissig zurück. „Menschenfleisch also. Hast du Erfahrungen? Hast du Beispiele? Oder beruht deine Erkenntnis nur auf das

Gequatsche anderer?“ „Äh, ich weiß nicht, eigentlich, na ja, ...“ „Ja, ich verstehe schon! Bla, bla, bla. Das Gequatsche anderer also. Was ist, wenn ich dir sage, dass wir kein Menschenfleisch mögen? Eigentlich hassen wir es sogar. Ich will nicht abstreiten, dass sich ein Wolf unter Hunderttausenden schon mal vergriffen hat. Aber dann nur in höchster Not oder in geistiger Umnachtung! Warum wir euch nicht mögen? Nun, unter euch gibt es jede Menge boshafter Wesen. Und Bosheit schmeckt widerlich, glaub es mir. Nur Bosheit frisst Bosheit, um sich zu mehren! Und eure Knochen bringen

gar nichts. Ein Puster und sie sind durch. Igitt!“ Thoralf war ein wenig verwirrt. Es stimmte schon, all sein Wissen beruhte auf die Erzählungen anderer. Die meisten waren Jäger, gestandene und geachtete. Aber wenn die Tage kürzer wurden und die Feuer höher, dann wurden auch die Geschichten bei Bier und Met länger und farbiger. Gewiss, dem einen oder anderen Wolf war auch er schon früher mal begegnet. Es war kein Treffen von Angesicht zu Angesicht, mehr eins aus der Ferne. Denn sobald diese Tiere Thoralf oder einen seiner Spielgefährten gewahr wurden, dann verdrückten sie sich fast

fluchtartig. Hm, konnte es sein, dass er falsch lag? Da waren außerdem noch Bea und Geri, zwei der vielen Wölfe Asgards. Und diese beiden waren ganz eindeutig Gefährten, fast schon Freunde. Und bestimmt dachte keiner von ihnen auch nur im Traum an Menschenfleisch. Ja, vielleicht hatte der Wolf vor ihm wirklich recht. Aber dann hätte er doch ziemlich dumm dahergeschwatzt. „Also gut, ich will dir einmal glauben“, entschloss sich Thoralf zu einem kleinen Friedensangebot. „Doch sag, was ist mit den ganzen Knochen dort hinten an der Wand? Haben die Skelette sich selbst zerlegt? Vielleicht aus Scham,

weil du so unendlich klug und hübsch bist?“ „Du bist aber ganz schön frech!“, schnaufte der Wolf, drehte den Kopf und stieß die Nase mehrfach in sein Fell. „Die da hinten waren auch frech. Dazu langweilig und dumm. So richtig unnütz. Verstand es doch keiner, mich zu erheitern. Naja, da hab ich sie ein wenig durch die Gegend gepustet. Schau her, so etwa.“ Thoralf hatte es schon geahnt. Und richtig, ein weiteres Mal wurde er angesaugt und wieder zurück an die Wand gedrückt. Und diesmal war es weniger schmerzhaft, denn er spielte mit. Eigenartigerweise war seine Angst

bis zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht zurückgekehrt. Das bedeutete, er hatte einen klaren Kopf. Und den konnte Thoralf gut gebrauchen. Hieß es doch, hier wieder heil herauszukommen. Der Wolf stieß indes wieder mehrfach mit seiner Nase ins Fell. Interessiert schaute Thoralf zu und hatte alsbald eine Idee. Aber noch war er sich nicht sicher. Und bis er es war, hieß es das Vieh hinzuhalten. „Wer hat dir das angetan?“, fragte er unerschrocken. Der Wolff erstarrte regelrecht. Erneut hob er wieder den Kopf und musterte Thoralf eindringlich. Er hatte wohl ein kleines Spiel erwartet, eine Art Spaß, um

sein Dasein für eine klitzekleine Weile aufzuhellen, aber garantiert kein Gespräch. Nur, darauf lief es hinaus. Und jetzt war er unschlüssig, ob er es fortführen sollte. Oder aber lieber zu seinem unfreiwilligen Schlummer zurückkehren? Die Luft knisterte vor Spannung. Thoralf zitterte. Und alsbald begannen ihm wieder die Knochen zu klappern. Denn es dauerte eine kleine Ewigkeit, bevor der Wolf sich entschieden hatte. Und die Entscheidung war gut für ihn, jedenfalls für den Moment. „Du weißt wohl nicht, wer ich bin?“, fragte der Wolf lauernd. „Nein, woher denn auch“, gab Thoralf

unschuldig zurück. Und dies war noch nicht einmal gelogen. Er wusste es wirklich nicht. Ein Wolf, Ketten, eine dunkle Höhle auf der Schicksalsebene, da klingelte überhaupt nichts. Viele Grimassen vermag ein Wolf nicht zu ziehen, aber mit den Augen rollen, das konnte er. Und dies sagte schon mehr, als nötig war. „Und ich dachte immer, mein Schicksal wäre allseits bekannt“, schnarrte die dunkle Stimme. „Fenrir ist mein Name. Na, macht es klick? Fenrir, der Fenriswolf, noch nie gehört?“ Thoralf wurden die Knie weich. Vor Schreck und Schwäche rutschte er die

schroffe Wand hinunter, bis er auf seinem Allerwertesten saß. Natürlich kannte er diesen Namen. Wer eigentlich nicht? Ein jeder, zumindest im Nordteil dieser Welt, war mit ihm vertraut und sprach ihn nur mit Schaudern aus. Fenrir! Oder der Fenriswolf, Odins Verderben und der Beginn vom Ende der Welt. Urd hatte ihm davon erzählt. Es war wohl der bekannteste Wolf in diesem Zeitalter, derjenige, der für das kommende große Unheil verantwortlich war. Mit dem man die Kinder schreckte. Und nicht nur die Kinder! Wo war er hier bloß hineingeraten? Was sollte nun werden? Gab es noch einen Ausweg? Oder war sein langer Weg hier

zu Ende? Fragen über Fragen und keine Antworten! Und so beschloss Thoralf, vorerst mitzuspielen, denn eine andere Wahl hatte er ohnehin nicht. Und Pläne zur Flucht waren so unsinnig wie nur irgendetwas. Das Einzige, was blieb, war zu hoffen, dass sich irgendetwas ergab. „Ja, natürlich kenne ich dich“, hauchte er angsterfüllt und mit klappernden Zähnen. „Oder besser gesagt, die Geschichten über dich. Das, was die Skalden in langen Winterabenden erzählten, wenn sie sich in unser Dorf verirrten und der Sturm sie festhielt. Und glaube mir, es waren keine guten

Erzählungen.“ „Na also, hab ich`s mir doch gedacht“, frohlockte Fenrir ein wenig eitel. „Ein paar Spuren habe ich in diesem Universum schon hinterlassen, bevor man mich außer Gefecht gesetzt hat. Aber sprich, warum sind die Geschichten nicht gut?“ Thoralf zögerte sichtlich. Das gesprochene Wort war vielen unbequem und oftmals nicht erwünscht. Das ging nicht nur den Menschen so. Er hatte keine Ahnung, wie Fenrir es aufnehmen würde, wenn er ihm jetzt mit der vermeintlichen Wahrheit seines Volkes kam. Andererseits, und dies war ein

gewichtiges Argument, redete der Wolf immer noch mit ihm, anstatt seine Knochen zu zerquetschen. Denn der Wolf musste es nicht, wenn er nicht wollte. Immerhin hatte das Vieh bis hierhin Zeit genug dafür, um es so richtig knacken zu lassen. Warum also nicht `ne Runde quatschen! Vielleicht, aber nur vielleicht, war dies der Weg, sein merkwürdiges Leben ein wenig zu verlängern, vielleicht sogar zu bewahren. Oder aber das Vieh schlief irgendwann ein und vergaß den krabbelnden Käfer da vor ihm. Denn mehr war Thoralf nicht für den Wolf, das war schon mal sicher. Die Angst war unterdessen teilweise zu

Thoralf zurückgekehrt. Unerwünscht und fast unbemerkt. Aber mit ihr auch die Einsicht, dass hier gerade etwas Unglaubliches geschah. Und er ein Teil dessen war. Diese Einsicht verlieh ihm ein wenig Stolz. Und genau dieser Stolz gab ihm die Kraft, das zu tun, was er jetzt tat. Frech und wie selbstverständlich schritt Thoralf an der Pfote entlang und auf den Wolf zu, bis er unter dem Latz stand. Ohne zu zögern, setzte er sich und kuschelte sich in das dichte weiße Fell. Fenrir zwinkerte erstaunt, ließ es aber geschehen. Und ehe sich der Wolf noch weiter verwundern konnte, begann Thoralf zu erzählen. All die Geschichten,

die er in der großen Halle von Leifs Ziehvater Hafnar über den großen Wolf, Lokis Sohn, gehört hatte. Naja, jedenfalls das, was er davon behalten hatte. Auch die Erzählungen der Spinnerin mischte er mit unter. Wann hörte ihm schon mal einer zu! Und dies auch noch freiwillig! Thoralf erzählte Fenrir von der allseits bekannten Bosheit, aber auch von der Achtung vor des Wolfes Kraft. Er erzählte ihm, dass der Fenriswolf eine Gefahr für die Götter, den Frieden und dem Wohlbefinden aller bekannten Welten sei. Er erzählte, wie all die Kinder, er selbst eingeschlossen, sowie viele Erwachsene in finsteren Sturmtagen

ängstlich die Bettdecke über den Kopf gezogen hatten. Und nur, damit der große Fenriswolf sie bei seiner Jagd nicht bemerkte. Fenrir hatte seinen Kopf auf die andere Pfote gelegt, mit seinen einem Auge Thoralf die ganze Zeit angeschaut und andächtig gelauscht. Der Wolf dachte wohl angestrengt über irgendetwas nach. Thoralf war es egal. Sollte er doch! Schließlich verlängerte dies sein Leben. Aber irgendwann kam der Wolf zu einem Ende, hob den Kopf und stupste sich erneut ins Fell. Aha, dachte Thoralf, jetzt weiß ich Bescheid. Da kann ich ansetzen.

Fürwahr, ein kleiner Trumpf nur, aber besser als gar nichts. Vielleicht reichte es ja auch schon. „Und du glaubst all diese Geschichten?“, riss ihn der Wolf aus seinen Gedanken. „Na ja, sagen wir mal so: Die meisten der jüngeren glauben das, was die Väter und Mütter ihnen beibringen.“ „Auch wenn diese gar nicht wissen, es gar nicht wissen können, ob all diese Geschichten wahr sind?“ Thoralf war ein wenig peinlich berührt. Keiner von ihnen hatte jemals den Wahrheitsgehalt der Geschichten groß bezweifelt. Die Worte der Älteren hatten Autorität und Gewicht in ihrer Kultur.

Man verstand sie meist als etwas Unverrückbares. Als eine Art Vermächtnis derer, die vor einem das Licht der Welt erblickten und die in der Regel früher gehen würden. So etwas zweifelte man nicht einfach mal so an. Und das Wort der Skalden schon gar nicht. „Nenn es Vertrauen“, versuchte Thoralf zu erklären. „Diese Geschichten werden schon seit ewiger Zeit überliefert und haben sich seitdem kaum verändert.“ „Aber deshalb müssen sie doch noch lange nicht wahr sein? Oder?“ „Nein, müssen sie nicht“, gab Thoralf ein wenig geknickt zu. „Und ich bin also böse?“, hakte Fenrir

nach. „Naja, wenn das stimmt, was man sich über dich erzählt und du wirklich vorhast, unsere Welten zu vernichten, dann ja!“ „Weißt du, gut, dass wir miteinander reden. Gut, das du mir diese Geschichten erzählt hast. Ich verstehe jetzt so einiges besser, was mir bis heute absolut unklar war.“ „Was verstehst du besser? Waren meine Geschichten denn hilfreich? Waren sie neu für dich?“, wollte Thoralf wissen. „Nun, ich ahne jetzt, warum ich in Fesseln in dieser Höhle liege.“ „Hm, eine gute Frage. Warum liegst du hier und wer hat dir das angetan? Ich

fragte es bereits vorhin. Über den Fenriswolf in Ketten kenne ich nämlich keine Geschichten.“ „Du hast recht, deine Frage hat schon vorhin mein Ohr erreicht. Aber erst jetzt denke ich, dass du eine Antwort verdient hast. Sich mit dir zu unterhalten macht mir langsam Spaß. So lange habe ich es vermisst, so unglaublich lange. Also, so höre denn. Die Götter waren es, vereint in Kraft und Willen. Naja, ein paar Riesen waren auch dabei. Und Zwerge, jede Menge davon. Sie haben diese Kette geschmiedet, siehst du? Sie ist von solch einer Festigkeit, wie nur Zwerge sie zu erschaffen wissen. Ich kann sie

weder zerreißen noch abschütteln. Darüber hinaus haben sie diese mit Asgards magischen Runen versehen. Und bis heute hat mir niemand verraten, warum sie es taten.“ „Du weißt also gar nicht, warum du hier unten in Ketten schmachtest?“, staunte Thoralf. „Es gab kein Thing? Keine Anklage? Und du selbst, hast du es dir nicht selbst zusammenreimen können?“ „Nein, nein und nein!“, schnaufte Fenrir. „Ich will dir mal etwas erzählen. Etwas über Gut und Böse. Dein Wissen hierüber ist nämlich ziemlich mangelhaft, ja eigentlich sogar falsch. Deine Anschauung ist zu einfach und deswegen irreführend. Weißt du,

eigentlich gibt es nur zwei Wesen im gesamten Universum, die deinem Bild von Gut und Böse entsprechen. Eines ist weiß, dass andere schwarz. Bildhaft gesprochen. Ihr Menschen quetscht doch alle in diese zwei Farbbegriffe. Aber glaub mir, das ist falsch! Mehr als zwei Wesen gibt es nämlich nicht, die dieser Vorstellung entsprechen! Alle anderen stehen dazwischen. Es gibt nämlich noch eine dritte Farbe in diesem Bild, und zwar das Gemisch aus Schwarz und Weiß. Ich rede von grau, in all seinen Schattierungen. Außer diesen beiden Wesen sind alle anderen gut und böse zugleich. Mal ist der eine dunkelgrau, die andere nur ein wenig

schmutziges Weiß. Begreifst du, wovon ich rede?“ „Ja, ich denke schon“, grübelte Thoralf. „Ich kenne so einige ehrliche Menschen, aber manchmal lügen auch sie. Ich kannte einen, auf den konnte ich mich immer verlassen, bis er mich eines Tages doch im Stich gelassen hat.“ „Ja, ja. Und so weiter. Ich sehe, du begreifst, worauf ich hinaus will. Ich kannte mal einen Eisriesen, der deinem Verständnis von böse ziemlich nahe kam. Und doch hatte er in der Schlacht um Jötunheim eine edle Tat begangen und viele Krieger Odins gerettet. Ich kannte einen anderen Gott, der nichts Falsches im Herzen hatte. Und doch hat

er seinen Bruder getötet. Glaub mir, die Geschichte mit Gut und Böse ist nicht einfach. Sag, glaubst du, dass ich böse bin?“ „Eigentlich nicht“, gestand Thoralf zu seinem eigenen Erstaunen. „Oder sagen wir mal so, umso mehr Zeit ich hier mit dir verbringe, umso weniger möchte ich es glauben.“ „Ja, genau. Ich finde eigentlich auch, dass ich nicht böse bin“, stellte Fenrir fest. „Als ich noch frei war, habe ich da mal was geschnuppert und dort mal etwas angenagt. Ich bin mit dem Wind gelaufen und habe unter den Sternen geträumt. Sicher, ich habe auch schon mal den einen oder anderen Streich

ausgeheckt und meine Duftmarke verteilt. Meistens zusammen mit meinem Vater Loki. Aber nie, wirklich nie, wollte ich einen Gott umbringen! Und ganze Welten vernichten schon gar nicht. Was für ein Quatsch! Überleg doch mal, du kleines Skelett, wie unglaublich dämlich das ist! In diesen Welten lebe nämlich auch ich. Das heißt ja nichts anderes, als würde ich mich selber umbringen.“ „Na ja, da ist schon was dran“, überlegte Thoralf laut. „Aber können Götter sich denn irren? Dann wäre das Ganze doch verrückt.“ „Aber sicher können sie das!“, behauptete Fenrir. „Und weißt du, was

noch verrückter ist? Nämlich, wenn sich der Hund in den Schwanz beißt. Hast du so etwas schon mal gesehen?“ „O ja, des Öfteren sogar. Daheim bei uns, in Thorsfelsen. Da gab es jede Menge Köter, die so durchgeknallt waren. Aber warum fragst du? Was hat das Ganze mit deiner Gefangenschaft zu tun?“ „Komm, Kleiner, überleg doch mal. Wenn sie mich nun so lange gefangen halten, bis ich so richtig stocksauer bin, dann kann es durchaus passieren, dass ich den einen oder anderen gerne mal durchkauen möchte. Durchkauen und wieder ausspucken. Und was dann? Dann wäre deine Geschichte zum Teil

schon wahr geworden!“ „Das stimmt!“, brüllte Thoralf regelrecht und sprang auf. „Und das alles nur, weil irgendeiner sich etwas ausdenkt und alle anderen daran glauben. Das ist so, wie soll ich sagen, ein Schicksal, das sich durch sich selbst erfüllt. Ehrlich, das wäre wirklich dämlich! Aber, was kann man denn da machen? Kannst du nicht mit irgendeinem darüber reden? Mit Odin vielleicht?“ „Du kennst Odin?“, zweifelte Fenrir und legte den Kopf schief. „Ja, ich kenne ihn. Und auch Thor. Die beiden haben mich gemeinsam verabschiedet, als ich meinen Weg zur

Schicksalsebene suchte.“ „Sieh an“, zischte der Fenriswolf. „An dir ist ja weitaus mehr dran als nur Knochen. Ich muss mir das durch den Kopf gehen lassen. Und das wird dauern, glaub mir. Ich habe das Denken in dieser Dunkelheit schon fast verlernt.“ „Dunkelheit? Aber du hast doch Licht!“ „Hab ich. Ich kenne da einen kleinen Spruch, der ist schon recht hilfreich. Sol brachte mir diesen dereinst bei. Aber glaub mir, die ganze Zeit diese nackten Wände anstarren, das macht einen verrückt. Da lob ich mir die Dunkelheit. In ihr lässt es sich herrlich träumen. Und in meinen Träumen bin ich frei. Das Licht benutze ich eigentlich

nur, wenn man mir mein Essen bringt. Und, natürlich, wenn ich unverhofften Besuch bekomme.“ „Man bringt dir was zu essen?“ „Natürlich. Sehe ich etwa nicht wohlgenährt aus? Hier, schau her!“ Fenrir drehte den Kopf und deutete auf zwei gewaltige Schalen in seiner Reichweite. Eine angefüllt mit kaltem Fleisch, eine andere mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit. „Jeden Tag schleppen einige Schwarzalben all dies Zeugs hier an“, erklärte Fenrir. „Köstlicher Braten aus Svartalfheim und göttlich stärkender Met aus Asgard. In puncto Nahrung kann ich mich nicht beklagen. Nein, ganz

gewiss nicht, denn so gesehen werde ich verwöhnt. Willst du nicht einmal probieren?“ „Ich kann weder essen noch trinken“, klagte Thoralf. „Naja, ich könnte schon, aber was hätte das für einen Zweck? Es würde alles durchfallen und verdauen könnte ich ohnehin nichts. Aber es ist nett, dass du mich einlädst. Vielleicht sollte ich dir deine Freundlichkeit vergelten!“ „So, vergelten also. Was könntest du schon tun? Mir die Ketten durchschneiden?“ „Das wohl eher nicht. Tut mir leid. Aber ich könnte etwas anderes tun. Dich kratzen nämlich. Ich habe schon

die ganze Zeit bemerkt, dass es dich juckt.“ „Das könntest du? Hm, wenn ich es mir recht überlege, einen Versuch wäre es wert. Es juckt nämlich tatsächlich. Und es juckt schon eine kleine Ewigkeit. Ich komme einfach nicht heran. Aber wenn du es versuchen willst, nur zu.“ Thoralf zauderte nicht lange. Seine Geschichten hatten Fenrir schon gefallen, jetzt machte er sich weiter unentbehrlich. Der Tod zog sich zurück und das Leben rückte näher. Mit seinen Fingern packte er kräftig zu und zog sich an dem zotteligen Fell Stück für Stück in die Höhe, bis er auf dem Vorderlauf stand, stetig und

argwöhnisch vom Fenriswolf beäugt. Doch dann verließen ihn die Kräfte, und er rutschte zurück auf den Boden. All die Anstrengung war umsonst, hatte er es doch noch nicht einmal bis in die Nähe seines Ziels geschafft. „Tut mir leid“, entschuldigte sich Thoralf. „Ich habe ganz einfach nicht genug Kraft. An dem Wenigen, was ich habe, daran hat der Weg hierher schon mächtig gezehrt.“ „Oh weh, was machen wir denn da, du kleines Würmchen?“, hänselte ihn der Fenriswolf. „Du solltest wirklich von dem Met kosten. Trinken, hm, das geht wohl nicht. Aber steckt mal deinen Finger hinein und wir schauen, was

passiert. Vielleicht können ja deine Knochen etwas von diesem Zeug aufsaugen.“ Thoralf war nicht überzeugt. Skeptisch zog er die Schultern hoch, überwand sich dann aber doch. Streiten brachte hier sowieso nichts, er würde garantiert den Kürzeren ziehen. Sollte der Wolf doch seinen Willen haben, schaden konnte es nicht. Bereitwillig zog Fenrir seine andere Pfote ein wenig zurück, um Thoralf den Weg hin, zu den Schalen, zu erleichtern. Und belustigt schaute er zu, wie Skulds Diener sich redlich mit etlichen Klimmzügen mühte, den Rand der Schale zu erklimmen. Allein, es wollte

nicht gelingen. Und nicht nur die fehlende Kraft erwies sich als hinderlich. Sondern auch der hohe Rand, der dem Skelett fast bis unters Kinn gereichte, war einfach zu glatt für die Knochen. „Da ist wohl nicht mehr viel los mit dir, was?“, höhnte der Fenriswolf und setzte gleich noch einen drauf. „Was würdest du bloß ohne mich machen? Los, du Knochenkrieger, kletter auf meine Pfote!“ Hilfreich bot Fenrir ihm seine Pfote dar und Thoralf tat wie ihm geheißen. Das war machbar und klappte schon besser, als noch vor wenigen Augenblicken beim ersten Mal. Nachdem der Junge

sich gut festgekrallt hatte, hob der Wolf seine Pfote an und schwenkte sie über die Schale. Flugs kniete Thoralf sich nieder und beugte sich über den Rand. Es reichte noch nicht ganz, der Wolf hatte wohl schon getrunken und die Schale halb geleert. Es half nichts, er musste noch tiefer herab. Also auf den Bauch und den Arm ausgestreckt. Es klappte, mal gerade so. Alle drei Mittelfinger reichten an die Flüssigkeit heran. Und sofort nach dem Kontakt begann, was Thoralf nie für möglich gehalten hätte. Seine Knochen saugten die Flüssigkeit auf. Nicht viel, dazu langsam, aber stetig. Und noch ein

weiteres Wunder gesellte sich zu all den anderen, die er bislang in seinem Leben hatte erleben dürfen. Denn mit der Flüssigkeit kam eine Kraft, eine Energie, die gut tat. Sie steigerte nicht nur das Wohlbefinden enorm, sondern auch die Wahrnehmung, die Schnelligkeit der Gedanken und Bewegungen und das körperliche Leistungsvermögen. Es war wie eine Explosion, die ihn innerhalb kürzester Zeit veränderte. Thoralf spürte eine Lebenslust ohnegleichen und hätte es sofort mit so manchem Gegner aufgenommen, der wesentlich stärker war als er. „Genug, ich denke das reicht jetzt!“, schniefte Fenrir. „Du bist das Zeug nicht

gewohnt. Ich sehe, du wirst schon ganz zappelig. Auf geht`s, versuch es jetzt noch einmal.“ „Klar, mach ich“, jubelte Thoralf. Ohne auf Fenrir zu warten, dass dieser seine Pfote wieder absenkte, sprang er in einem großen Satz von ihr herunter. Im Laufschritt verkürzte er seinen Weg, sprang am Latz empor, krallte sich fest und zog sich hoch. Stück für Stück, immer höher. Als wäre es ein Leichtes und als wenn er nie etwas anderes gemacht hätte. Schon war er angekommen, dort, wo er hinwollte. „Oh Mann, ist das ein Wahnsinn! Ist das klasse! Ist das geil! Und so was trinkst du jeden Tag?“, blökte das

Skelett. Thoralf zog das Fell ein wenig auseinander und begann zu kratzen. Fenrir begann wohlig zu stöhnen und wollte gar nicht mehr damit aufhören, je mehr der Junge sein Arbeitsfeld erweiterte. „Och, ist das gut! So was von gut! Wehe, du hörst auf! Sag, hast du das gelernt?“, jauchzte Fenrir. „Naja, wenn man es genau nimmt, eigentlich schon. Bei Urd und Verdandi. Beiden kämme ich dann und wann die Haare. Naja, und ein kraftvolles Rückenkratzen fällt dabei auch schon mal an“, prahlte Thoralf. „Du kennst die beiden Nornen?“, staunte

der Wolf. „Naja, eigentlich alle drei. Für Skuld muss ich arbeiten, ob ich will oder nicht.“ „Interessant!“, stellte Fenrir fest. „Du steckst ja voller Überraschungen! Götter und Nornen, das ist nicht gerade wenig!“ „Wenn du meinst. So habe ich das noch gar nicht gesehen“, brummte Thoralf und fuhr mit seinem Werk fort, dass er kurz unterbrochen hatte. Doch was war das? Thoralf spürte irgendetwas an seiner Hand. Aber als er nachschauen wollte, fand er nichts. Schon wollte er an eine Täuschung glauben, da passierte es wieder. Und

diesmal sah er gerade noch etwas Rotes, mit vielen Beinen und so groß wie eine kleine Melone, im Fell verschwinden. „Du hast Untermieter“, berichtete er Fenrir. „Keine Ahnung, was das für ein Vieh war. Rot war es und ziemlich krabbelig.“ „Läuse, Flöhe“, seufzte der Fenriswolf. „Ich werde sie nicht los. Wie denn auch? Wasser wäre vielleicht die Lösung oder eine helfende Hand. Aber ich kann mich ja nicht rühren. So hat eben ein jeder seine eigenen Probleme.“ „Warte mal, das Vieh kriege ich. Das wäre doch gelacht!“, rief Thoralf und hangelte sich dem roten Quälgeist

hinterher. Es war kein großer Aufwand, denn die Laus hatte sich nicht weit entfernt, tat dies wohl nie. Satt war sie und faul. Thoralf griff geistesgegenwärtig zu und bekam den Quälgeist zu fassen. Aber knochige Hände sind eben keine aus Fleisch und Blut. Und so flutschte die Laus aus seinem Griff und entkam ein gutes Stück oberhalb ins dichte Fell. „Mist, verdammter“, ärgerte sich Thoralf. „So wird das nichts! Aber dich kriege dich!“ Und an den Wolf gewandt: „Aufgepasst, Wölflein, erschrick nicht! Es könnte jetzt ein wenig piken!“ Ein leichtes Knurren hörte Thoralf noch, als er gerade sein Schwert zog und

auf die Jagd ging. Bis zu diesem Moment hatte er die Waffe ganz vergessen, aber nun sollte sie ihm gute Dienste leisten. Und das tat sie auch. Die Laus sichten, die Laus stellen, die Laus töten war eins und schnell getan. Triumphierend stieß Thoralf das Schwert in die Höhe, auf dessen Spitze der rote Feind noch einige Augenblicke mit seinen Beinen zuckte, bevor auch er den Weg alles Vergänglichen ging. „Na, bin ich gut oder bin ich gut?“, prahlte das Skelett. „Ja, ja. Ganz nett“, schniefte der Wolf. „Aber wo eine ist, da gibt es auch noch mehr. Du willst doch jetzt nicht etwa

aufhören?“ „Nein, keine Angst“, versicherte Thoralf schnell. „Ich mach ja schon weiter. Du scheinst ja ein besonders netter Geselle zu sein. Hättest ruhig mal Danke sagen können!“ Thoralf machte weiter. Eine Laus fand er ziemlich schnell, dann noch eine weitere. Nach der Vierten musste er schon ziemlich lange suchen. Mittlerweile hatte er den Weg auf den Rücken des Wolfes gefunden, wo er sich nun in das dichte Fell setzte, um ein wenig auszuruhen. „Das dauert ja ewig“, klagte er ein wenig demotiviert. „Ja, da dürftest du wohl recht haben“,

seufzte Fenrir. „Leider. Aber da musst du jetzt durch. Du hast angefangen, nun bringe es auch zu Ende. Und fehlt dir die Kraft, du weißt ja, wo du welche findest. Denke ja nicht, dass ich mir solch eine Gelegenheit entgehen lasse.“ „Ich würde ja gerne, aber ich habe da ein Problem. Und das heißt Skuld. Wenn ich meine Arbeit nicht mache, dann wird die Norne stinkig.“ „Hm, Skuld also! Die Norne macht dir Druck? Nicht lustig, gar nicht schön. Sie sollte besser nichts von unserer Bekanntschaft erfahren! Das könnte für uns beide nicht gut ausgehen! Da habe ich schon mal einen gefunden, der mich von den Läusen befreien kann und das

ruft eventuell die drei Schwestern auf den Plan! Nicht gut, gar nicht gut! Wir müssen vorsichtig sein! Bist du schon überfällig und wenn ja, wie lange eigentlich?“ „Ein bisschen vielleicht“, überlegte Thoralf. „Ich weiß nicht genau, wie viel Zeit mittlerweile vergangen ist. Immer wenn ich Geschichten erzähle, dann vergesse ich sie. Eine Stunde vielleicht. Etwas mehr, etwas weniger, so viel bin ich in Verzug. Aber ich muss raten.“ „Hm, das passt mir gar nicht“, ärgerte sich der Wolf. „Aber da lässt sich wohl nichts machen. Mit den drei Schwestern lege ich mich in meinem Zustand nicht an. Ich denke, es ist besser, wenn du

jetzt gehst.“ „Du tötest mich also nicht? Nicht so, wie die anderen?“ „Blödsinn“, schnaufte der Fenriswolf. „Die anderen waren dumm und haben genervt. Du bist, wie mir scheint, etwas Besonderes. Dazu ausnehmend nützlich, was das Geschichtenerzählen und die Flohjagd angeht.“ Thoralf legte verdutzt den Kopf an. Sollte es so einfach sein? Sollte er so einfach davonkommen? Das Universum war doch manchmal recht merkwürdig. Bis auf den Fakt, dass er hier als Skelett umherlief, dazu mit zwei gebrochenen Beinen, hatte er in der letzten Zeit doch ausnehmend Glück.

Aber wenn es so sein sollte, sollte es so sein. Er war der Letzte, der sich darüber beschweren würde. Aber was brachten schon diese Gedanken in diesem Moment. Thoralf setzte sich auf seinen Allerwertesten und rutschte langsam durch das dichte Fell nach unten. Mit zwei Händen, die dann und wann ein paar Zotteln ergriffen und als Bremsen fungierten. Unten angekommen stellte er sich vor Fenrir und stemmte provozierend beide Arme in die Seite. „Ich? Ich, ein Mensch, ein Skelett, bin nützlich und klug?“, fragte er zur Sicherheit noch einmal nach. „Mach dich nicht kleiner, als du bist!“,

herrschte ihn der Wolf an. „Du bist kein Mensch mehr. Du wandelst hier oben auf der Schicksalsebene und hast Beziehungen zu Nornen und den Göttern. Also bitte schön, red keinen Unsinn! Aber sag, wo hast du denn eigentlich diesen Zahnstocher her?“ „Zahnstocher?“, fragte Thoralf ein wenig beleidigt. „Odin gab ihn mir. Hab ich dir das nicht erzählt? Es ist ein gutes Schwert. Liegt ausgezeichnet in der Hand. Sehr leicht. Es rostet nicht und kann was ab. Ich glaube, es wurde in Asgard gefertigt.“ „So, so. In Asgard also. Naja, dann! Für Menschen ist es vielleicht ein gutes Schwert. Aber glaub mir, für die Götter

ist es ein Zahnstocher.“ „Nur weil es dir nicht gefällt, brauchst du es ja nicht gleich herunterzumachen!“, maulte Thoralf. „Zum Entlausen war es dir ja auch gut genug! Oder bist du etwa neidisch? Weil mir ein Gott etwas schenkt und dich dagegen in Ketten legt?“ „Mann oh Mann, ist ja gut! Was bist du empfindlich! Nun komm mal wieder runter“, versuchte ihn Fenrir zu beruhigen. „Ich will dein Spielzeug doch nicht schlecht machen. Aber vielleicht reichen Worte bei dir nicht. Vielleicht musst du es sehen. Pass mal auf, nimm dein kleines Spielzeugschwert und schlage mit all deiner Kraft auf eins der

Kettenglieder, die mich fesseln. Guck nicht so dämlich, tue es einfach. Trau dich und mit ganzer Kraft, wenn ich bitten darf!“ „Aber das Schwert wird zerbrechen!“, maulte Thoralf. „Papperlapapp, Schwerter aus Asgard zerbrechen nicht!“, wies ihn der Fenriswolf scharf zurecht. „Nun mach endlich, bevor deine Knochen endgültig zu Staub zerfallen!“ „Aber dann gibt es eine Scharte!“, kamen die Widerworte. „Du nervst! Es gibt keine Scharte, ganz gewiss nicht. Und mach schnell, bevor noch der letzte Floh in meinem Pelz vor Altersschwäche

stirbt!“ „Was, Flöhe hast du auch noch?“, alberte Thoralf. „Also gut, ich mach's. Du gibst ja wohl ohnehin keine Ruhe. Es muss wohl immer alles nach deinem Willen gehen! Aber eins sage ich dir, wenn das Schwert Schaden nimmt, dann sorgst du für Ersatz!“ Thoralf ging um die Pfote herum und stellte sich in Positur. Mit beiden Händen hob er das Schwert über den Kopf und fixierte eins der Kettenglieder an, bereit zum Schlag. Doch im letzten Moment kam ihm ein anderer Gedanke und er senkte die Waffe wieder. „Du willst wohl, dass ich dich befreie? Obwohl ich noch gar nicht weiß, ob du

dies auch verdienst! Komm, gib es zu, du willst mich austricksen!“, machte Thoralf den Wolf an. „Du vertraust mir wohl nicht?“, keckerte der Wolf. „Oh je, oh je. Du bist ein guter Geschichtenerzähler und ein klasse Läusejäger. Ganz ohne Frage. Aber du hast noch ein paar Eigenarten an dir, die mich mächtig nerven. Daran müssen wir arbeiten! Also los, nun mach schon! Wenn ich recht behalte, dann wird gar nichts weiter passieren. Dein Zahnstocher zerbricht nicht und die Kette bleibt, wie sie ist.“ Thoralf stocherte noch ein wenig unentschlossen mit der Schwertspitze im Boden herum, dann hob er die Waffe

wie im Kampfe an und schlug ohne Zögern zu. Funken stoben, es gab einen hellen singenden Ton und das Schwert wurde zurückgeschleudert, nur knapp an Thoralfs Schädel vorbei. Glück gehabt! Aber ansonsten hatte der Wolf recht behalten. Schwert und Kette waren unversehrt. Nicht der kleinste Kratzer war zu sehen. „Siehst du nun, dass ich meine? Ein Zahnstocher, ha, ha. Wie gesagt, für einen Menschen ganz nett. Aber mehr auch nicht“, lästerte Fenrir. „Aber sei nicht so betrübt. Wenn du mir versprichst, meine Läuse und Flöhe in Schach zu halten, dann helfe ich dir mit

deinem Schwert. Ich weiß nämlich etwas, was selbst die Götter nicht wissen. Was würdest du davon halten, wenn dein Schwert so mächtig wäre, dass es selbst einen Gott verletzen, ja, vielleicht sogar töten könnte?“ Das musste Thoralfs erst mal sacken lassen. Meinte der Wolf dies ernst? Oder wollte er ihn nur narren? „Ich muss nur deine Läuse aufspießen? Sonst nichts weiter?“, fragte er unsicher nach. „Naja, vielleicht noch die eine oder andere Geschichte erzählen“, antwortete Fenrir. „Gut, kein Problem! Dann sind wir im Geschäft“, freute sich Thoralf. „Ich

komme wieder, ganz sicher sogar. Und vielleicht früher, als du denkst. Wenn du mir noch ein wenig vom Met der Götter gibst, dann könnte das sehr hilfreich sein.“ „Ha, ha“, lachte der Fenriswolf. „Übertreib es bloß nicht. Außerdem, ich sagte es bereits, du musst dich erst daran gewöhnen. Sonst explodieren deine Knochen, wirklich! Aber mach dir nichts daraus, beim nächsten Mal gibt es wieder etwas. Und wenn ich mich nicht täusche, dann sollte der Trank bei dir viel länger anhalten als bei mir. Ich schätze mal, so vier bis fünf Tage.“ „So, wirklich. Naja, gut zu hören. Dann bin ich in vier Tagen wieder hier. Und

denk dran, du hast etwas versprochen!“, sagte Thoralf, drehte sich um und lief, mit einer Hand zurückwinkend, dem Ausgang zu. Interessanter Bursche, dachte Fenrir. Den muss ich mir warmhalten. Der Bengel ist ein Geschenk! Ich werde ihn ein wenig anfüttern und dann benutzen. Mal sehen, was wird. Vielleicht bringt er sogar die Hilfe, die ich so sehr erhofft habe.

Anhang

Anhang: Agradon – Vampir, Uguriels Diener Akne - Spion aus Albenheim Alben - verwandte Lichtwesen der Elben und Elfen (auch Zwerge) Alberich - Zauberer, König der Alben, Schmied, Zwerg Albrecht – Burgvogt im Dienste des Ritters von Adlerstein Andwari – Zwerg, Schmied Angelo - Veltens Sohn, Begleiter Ragnars Angus - Ritter aus Burgund, Leifs Gefährte Asgard -

Himmelswelt Bea - Wolf, Tochter von Geri Bifröst - Regenbogenbrücke durch das Sternenzelt Drago - Nordmann aus Thorsfelsen, Ragnars Freund Ella – Tochter des Ritters von Adlerstein Emilia - Walrams Tante Fabri - Zwerg, Riglefs Sohn, Gorams Freund Falk - Alb, Sohn von Folke, Leifs Begleiter Fay - Hexe, Ragnars Begleiterin Fenrir - Wolf, Dämon Finn - Luftgeist Fiona - Fee, Tochter von Sigrun Florian – Markgraf von

Markant Folke - Alb, Falks Vater, berühmter Handwerker Fosse - Wasserfalltroll, Diener Walrams Freki - Wolf, Odins Begleiter Gabriel - Angehöriger der Südvölker, Walrams Gefangener Galbor – Elfenprinz aus dem Hause Dorean, Nadirs Bruder Gar - Wesen in den Felsen Geri - Wolf, Odins Begleiter Gernot - Ritter von Adlerstein Goram - Sohn des Lichts, Leifs Bruder, Ase Götterdämmerung - Ragnarök, Weltuntergang Hafnar - Nordmann, Dorfhäuptling,

Ragnars Vater Harm - Irrwicht Hati - Himmelswolf, jagt den Mondwagen, Fenrirs Sohn Heimdall - Riese, Wächter der Regenbogenbrücke Bifröst Hel - Göttin der Unterwelt, Schwester vom Fenriswolf Hödur – Ase, Sohn des Odin und der Frigg Hugin - Odins Rabe, Götterbote Julian – erster Sohn des Ritters von Adlerstein Kai – Ase, Kadett auf der Himmelsburg, Odins Page Karl – Sohn des Markgrafen von

Markant Knurr - Flugdrache Leif - Sohn des Lichts, Gorams Bruder, Ase Ljossalfheim – eine der neun Welten, Lichtelfen, Lichtalben Loki - Gott, Trickser Maike - Hafnars Frau, Leifs Pflegemutter, Heilerin Mani - Mondgott Mantur - Flugdrache Marcus - Sklave, Angehöriger des Westvolkes, Leifs Gefährte Martin – Erster Kundschafter im Dienste des Ritters von Adlerstein Mugin - Odins Rabe, Götterbote, (auch

Munin) Muspelheim - Heimat der Feuerriesen Nadir – Elfenprinz aus dem Hause Dorean, Galbors Bruder Narruks - Geschöpfe der Unterwelt Norne - Schicksalsgöttin Odin - Gott, Allvater Ortwin – Anführer der Kadetten auf der Himmelsburg Ragnar - Nordmann aus Thorsfelsen, Sohn von Hafnar Riglef - Zwerg, berühmter Schmied Rigomar - Zauberer, Diener Walrams Schrat – Waldgeist Senta – Frau des Ritters von Adlerstein, geb. Markan Sigrun - Fee, Druidin, Fionas

Mutter Sindri - Zwerg, berühmter Schmied, Vater von Utgri Siska - Rigomars Tochter Skalli - Himmelswolf, jagt den Sonnenwagen, Fenrirs Sohn Skuld – Schicksalsnorne (Spinnerin der Zukunft) Sleipnir - Odins Zauberpferd Sol – Sonnengöttin Stefan – zweiter Sohn des Ritters von Adlerstein Thor - Donnergott, Odins Sohn Thoralf - Nordmann aus Thorsfelsen, Leifs Freund Uguriel - Vampirfürst Urd - Schicksalsnorne (Spinnerin der

Vergangenheit) Utgri – Zwerg, Sohn von Sindri, König auf dem Wehrwall Vali - Wolf, Sohn Lokis Vanaheim – eine der neun Welten, bewohnt durch ältere Götter Velten - Räuber, Angelos Vater Verdandi – Schicksalsnorne (Spinnerin der Gegenwart) Vran - Zwerg, Heiler, Lehrer von Fabri Walhalla - Wohnsitz Odins, Halle der Helden Walküre - Odins Kriegerin, geleitet die Helden gen Walhalla Walram - Zauberer, Führer der dunklen Seite, Gorams Pflegevater Welf - Rigomars

Sohn Xerxes – Walrams Zauberbuch

Karte: Die mittleren Lande






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HenryWolff

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