Die Fremde
Ich blicke auf das Bild in meiner Hand.
Es zeigt mir eine junge hübsche Frau.
Ich weiß es, früher hab ich sie gekannt,
doch ich erinnere mich nicht mehr genau.
Ihr lebensvolles Lächeln nimmt mich ein.
Mit klaren Augen blickt sie hoffnungsvoll.
Das Bild gefällt mir, doch wer kann das sein?
Mir scheint, dass ich die Fremde kennen soll.
War das nicht einstens? Weiß jetzt unterdessen,
an einem hellen Tag, da lachte sie mir zu.
Doch wer sie ist, das habe ich vergessen,
ich weiß nur, ganz vertraulich klang ihr du.
Mein Blick fällt suchend in des Spiegels Schein,
vielleicht werd ich sie heute darin sehn.
Die alte Frau dort aber kann's nicht sein,
doch blickt sie so, als könnte sie verstehn.
Das Feuer ihrer Augen fast vergangen,
fremd sieht sie aus. Doch was ich plötzlich sehe.
Ein Lächeln, das der Spiegel eingefangen,
wie auf dem alten Bild, und ich verstehe.
Ein Echo aus den längst vergang'nen Jahren,
Erkenntnis über die Vergangenheit,
lässt mich den Wandel nun erfahren.
Es war einmal in meiner Jugendzeit.
Das Bild hat meine Jugend festgehalten,
es zeigt noch immer, wie ich früher war.
Jedoch der Spiegel zeigt die Altersfalten,
der müden alten Frau im weißen Haar.
© Barbara Kopf