Science Fiction
Sonnensturm (6) - Ein Ausweg

0
"Sonnensturm (6) - Ein Ausweg"
Veröffentlicht am 26. September 2014, 36 Seiten
Kategorie Science Fiction
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich ...bin Österreicherin ...studiere Archäologie, Germanistik und Geschichte ...vertrage Kritik, solange sie begründet und ehrlich ist ...lese quer durch viele Genres ...glaube anders als Max Frisch und ähnlich wie Bert Brecht dass Literatur sehr wohl (wenn auch nur in geringem Maße) dazu beitragen kann, gesellschaftiche Veränderungen zu erwirken
Sonnensturm (6) - Ein Ausweg

Sonnensturm (6) - Ein Ausweg

Im Jahr 2212 entdeckt der Linguist Sim Frenkler den Zugang zu einem Depot, das weit fortgeschrittene Technologien enthält und das sich in einem Höhlensystem unter der Grazer Altstadt befindet. Sim, ein Angestellter der Firma Solera & Co, arbeitet für extraterrestrische Auftraggeber, die vor etwa 100 Jahren auf die Erde kamen und seitdem nach diesem Depot suchen, um die darin enthaltenen Maschinen und Baupläne für sich zu beanspruchen. Während seiner Arbeiten stößt der Linguist allerdings auf Daten, die offensichtlich nicht wohlgesonnene Einstellungen der Soleraner den Menschen gegenüber offenbaren.

So setzt Sim mit den wenigen, nicht von den Soleranern beeinflussten Staaten alles daran, dieses Depot vor jenen zu finden und die darin enthaltenen Gerätschaften vor ihnen in Sicherheit zu bringen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist er bereit alles zu tun, selbst wenn es bedeutet, seine eigenen Freunde zu verraten.

Kapitel 6 - Ein Ausweg

Myriaden feinster Staubteilchen wirbelten durch die Luft, schienen eine fast undurchsichtige Wolke zu bilden, drängten sich in Augen und Nase und lösten unangenehmen Niesreiz sowie ein Gefühl des Erstickens aus. Schutt bröckelte von der Decke, rieselte leise zu Boden und bedeckte die Körper die dort lagen und sich langsam zu regen begannen. Der erste, der es schaffte, sich in die Höhe zu stemmen, war Sim, der sich im letzten Moment schützend über Phiena geworfen hatte. Zumindest hatte er das vorgehabt, doch als er sich neben sie kniete, hatte sie die Augen

geschlossen und schien nicht bei Bewusstsein zu sein. „Phi.“ Vorsichtig strich er über ihre verstaubte Wange. „Sie sind fort, Phi.“ Sie zeigte keinerlei Reaktion, weshalb er sie an den Schultern packte und leicht schüttelte. Als sie auch darauf nicht reagierte, tastete er besorgt nach ihrem Puls. „Das können Sie sich sparen. Sehen Sie nicht, dass ihre Augen sich unter den Lidern bewegen?“ Kinski, der sich gerade den Staub aus den Kleidern klopfte und die Waffe, die er aus der Kammer mitgenommen hatte,

schulterte, stieß ihn grob zur Seite und beugte sich zu Phiena hinab. „Sie ist in einem Schockzustand.“ So plötzlich, dass Sim es nicht mehr verhindern konnte, versetzte der Russe ihr mit der flachen Hand einen leichten Schlag ins Gesicht. Prompt schlug sie die Augen auf, die sich ängstlich weiteten. Im nächsten Moment drehte sie sich zur Seite und erbrach sich keuchend mitten in den Gang. Hastig ließ Sim sich neben ihr nieder und berührte leicht ihre zitternde Schulter. „Phi, sie sind fort“, wiederholte er seine Worte von vorher und hoffte, sie damit etwas beruhigen zu können, doch ihr Körper bebte nun nur noch heftiger und

erneut bahnte sich ihre letzte Mahlzeit einen Weg nach oben. Vorsichtig griff er nach ihrem Haar, um es zurückzuhalten und erschrak wiederum darüber, wie stumpf und filzig es geworden war. „Das hätte übel ausgehen können“, hörte er da Gris Stimme, die etwas belegt klang. Der Soleraner hatte sich gerade eben erst hochgestemmt und räusperte sich nun ein paar Mal, um den unangenehmen Geschmack nach Staub und Stein aus seiner Kehle zu bekommen. Calviro hatte sich inzwischen ebenfalls aufgerichtet und hantierte mit einer großen Taschenlampe herum, die einfach nicht angehen wollte. Zu ihrem Glück hatte eine der Lampen

im hinteren Bereich des Ganges die Explosion überstanden und spendete so mattes Licht. „Wir sollten zusehen, dass wir hier so schnell wie möglich rauskommen“, meldete sich da Kinski zu Wort, der ein paar Schritte in den Tunnel hineingegangen war und sich zu den anderen umgewandt hatte. „Die finden ganz bestimmt einen Weg, uns in die Finger zu kriegen, wenn sie erst merken, was wir ihnen weggenommen haben.“ „Was haben wir ihnen denn genommen?“ Sim runzelte fragend die Stirn, während er Phiena half sich aufzurichten. Für ihn hatte es nicht so ausgesehen, als wäre ihre Suche von Erfolg gekrönt gewesen.

„Genau das, was wir gesucht haben“, erklärte Gris und deutete auf Calviro, der immer noch mit der Taschenlampe beschäftigt war. Die beiden wechselten ein paar Worte in ihrer Muttersprache, woraufhin der Soleraner das Ding, mit dem er gerade beschäftigt war, unter die Achsel klemmte und etwas Kleineres zum Vorschein brachte, das Sim schon vorher aufgefallen war. Es sah aus, wie eine gewöhnliche, etwas zu klein geratene Fernbedienung für ein Fernsehgerät. Gris wollte seinem Fachkollegen gerade erklären, was es mit diesem Teil auf sich hatte, als ein Krachen sie alle aufschrecken ließ. Es kam von der

anderen Seite des Trümmerhaufens. Einzelne Steine kamen ins Rollen und abermals bröckelte es von der Decke. „Ich habe es ja gesagt“, meinte der Russe und setzte sich in Bewegung. „Wir müssen einen Ausgang finden und zwar so schnell wie möglich. Sie werden nicht lange brauchen, um durchzubrechen.“ Besorgt musterte Sim seine Freundin. „Ist alles ok mit dir?“, fragte er sie, doch sie reagierte nicht, drückte sich nur schutzsuchend an ihn und schien doch gleichzeitig zu versuchen, Distanz zu wahren. Vorsichtig griff er nach ihrem Arm und zog sie mit sich, den anderen hinterher, die bereits um die nächste Ecke gebogen waren.

Mit einem Mal ging die Lampe in ihrem Rücken aus und sie standen in absoluter, undurchdringlicher Dunkelheit. Sim konnte spüren, wie Phiena wieder zu zittern begann und flüsterte ihr beruhigende Worte zu, doch nichts davon half. Er spürte, wie ein warmer Tropfen seine Haut benetzte und wusste instinktiv, dass es eine Träne war. „Wir müssen uns vorantasten“, kam eine Stimme aus der Finsternis. „Gebt einander die Hände, damit wir uns nicht verlieren.“ Sofort tastete Sim nach einer weiteren Hand, die er jedoch, sobald er sie gefunden hatte, an Phiena weiterreichte.

Er selbst nahm ihre rechte und bildete somit den Schluss der kleinen Gruppe, die sich nun vorsichtig vorwärts bewegte. Er hatte keine Ahnung, wie lange sie schon so gegangen waren, als plötzlich ein seltsames Zischen die ansonsten herrschende Stille durchbrach. Ihre kleine Kolonne kam so abrupt und überraschend zum Stehen, dass Sim gegen Phiena prallte. „Lauft!“, schrie plötzlich jemand, dessen Stimme Sim nicht zuordnen konnte. Im nächsten Moment war das Poltern von Schuhen auf Steinboden zu hören, das sich schnell entfernte. Sim blieb mit Phiena allein zurück, die sich erneut an

ihn drängte. Nun konnte er sie leise schluchzen hören. Während er eine Hand beim Laufen an der Wand entlangstreichen ließ, zog er mit der anderen seine Freundin hinter sich her. Immer wieder stolperte er fast über Steine und Felsbrocken, die im Weg lagen, doch er wagte nicht langsamer zu gehen. Er meinte bereits Schritte von Verfolgern hinter ihnen zu vernehmen, doch es könnten ebenso gut seine eigenen und Phienas sein. Durch die Dunkelheit fühlte er sich furchtbar hilflos. Jederzeit könnte eine Wand vor ihm auftauchen oder auch nur ein herabhängender Fels, der ihn sicherlich KO schlagen würde. Was würde dann

wohl aus ihm werden und aus Phiena? Zwanghaft versuchte er, diese Gedanken zurückzudrängen. Das brachte ihn nicht weiter. Sie durften einfach nicht erwischt werden. Plötzlich griff seine Hand ins Leere, was ihn kurz zum Wanken brachte. Hastig versuchte er zu erkennen, ob es sich um einen weiteren Durchgang oder nur einen zufälligen Spalt handelte. Als er zu dem Schluss gekommen war, dass leicht zwei Menschen nebeneinander hindurchgehen konnten, zog er Phiena in diese Richtung und lief weiter. So ging es noch einige Male. Immer häufiger zweigten Gänge in andere Richtungen ab. Manchmal folgte Sim diesem Weg, hin und wieder lief er

aber auch daran vorbei und weiter geradeaus. Er hoffte dadurch ihre Verfolger abschütteln zu können. Den Gedanken, dass sie hier vermutlich nie mehr raus finden würden, schob er so weit von sich, wie es gerade noch möglich war. Sie mussten schon minutenlang gelaufen sein, als Sim einfach nicht mehr weiter konnte. Sein Herz pochte angestrengt und sein Puls raste. Phiena hatte er die letzten paar Schritte fast nur noch hinter sich herziehen müssen. Sie schien völlig am Ende ihrer Kräfte zu sein. So hielt der junge Mann schließlich an eine Mauer gestützt an und ließ sich zu Boden sinken, um eine Weile zu rasten und auf

die Geräusche eventueller Verfolger zu lauschen. Dies war anfangs jedoch ein Ding der Unmöglichkeit, weil er lediglich seine eigenen angestrengten Atemzüge hören konnte. Ein Würgen aus der Richtung, in der er Phiena vermutete, ließ ihn aufschrecken. Besorgt tastete er nach ihrer Hand, fand jedoch nur einen Fuß, an dem er sich entlang tastete, bis er ihre Schulter erreicht hatte. Sie kniete am Boden und hatte sich soeben ein weiteres Mal übergeben. „Ist alles ok?“, fragte er sie und hätte sich am liebsten selbst dafür geohrfeigt. In Anbetracht der Tatsache, dass sie gerade von Sicherheitsleuten Solera&Co’s verfolgt wurden und einen

relativ unangenehmen Sprint durch die Dunkelheit hinter sich hatten, konnte man wohl kaum von einem Ok-Zustand sprechen. Phiena antwortete auch nicht auf seine Frage, sondern lehnte sich wortlos gegen die Wand, um tief Luft zu holen. Nun griff Sim wieder nach ihrer Hand und erklärte: „Wir kommen hier schon irgendwie raus. Irgendwo muss es doch noch einen Ausgang geben.“ Obwohl jene Worte vor allem dazu gedacht waren, seine Freundin zu beruhigen, so brauchte er sie wohl vor allem selbst. Ihre Lage war nämlich mehr als nur aussichtslos. Er war sich keineswegs so sicher, dass es einen zweiten Ausweg aus diesem

Höhlensystem gab. Schließlich wäre das ein ziemliches Sicherheitsrisiko für die Firma gewesen. Andererseits jedoch schienen diese Höhlen schon länger zu existieren als Solera&Co, was ihm noch einen kleinen Funken Hoffnung ließ. Ein entferntes Klappern ließ Sim aufhorchen. Für einen Moment schloss er die Augen, um sich auf das zu konzentrieren, was sich ihnen zu nähern schien. Waren das Schritte? Er war sich nicht sicher. Sein Herzschlag hatte sich zwar einigermaßen beruhigt, doch in seinen Ohren rauschte es immer noch laut. Schließlich war es zu spät, um darüber nachzudenken, ob sie fliehen, oder bleiben sollten. Ein Lichtschein fiel

auf die beiden. Im ersten Moment war Sim total geblendet und konnte gar nichts mehr erkennen. Mehrmals blinzelte er, während der Träger der Taschenlampe sich ihnen näherte. Hastig richtete Sim sich auf und zog Phiena mit sich in die Höhe. Die beiden taumelten zurück. Verzweifelt blickte Sim in alle Richtungen. Es gab keine Abzweigung an jener Stelle, nur den Gang geradeaus. Würden sie jetzt loslaufen, so hätten die Soleraner ihnen in Sekundenschnelle ein paar Kugeln in den Körper gejagt. Leise fluchend hob Sim die Hände, um erkennen zu geben, dass sie sich ergaben, in der Hoffnung, dass dies ihrer beider Leben retten würde.

Ein Schnauben erklang, gefolgt von einzelnen Worten. „Nicht. Angst. Folgen.“ Verwirrt runzelte Sim die Stirn und versuchte die Gestalt zu erkennen, die ihnen da entgegenkam. Erst als jener stehen blieb, entspannte sich der junge Linguist. „Calviro“, entfuhr es ihm und Erleichterung durchströmte seinen Körper. Um ehrlich zu sein, mochte er den Soleraner nicht besonders, was möglicherweise an der unangenehmen Art ihres ersten Zusammentreffens lag, doch im Moment wäre ihm niemand anderes lieber gewesen. Der Mann, der

sein weißes Haar immer noch als dünnen Zopf trug, bedeutete den beiden, ihm zu folgen und leise zu sein. Tatsächlich hörte nun auch Sim wieder Schritte und Calviros Reaktion nach zu schließen, waren dies keine freundlich gesinnten Soleraner. So leise, wie es ihnen möglich war, trabten sie den Tunnel entlang. Zielsicher bog der Soleraner an einer Kreuzung nach rechts ab, was Sim leicht verwirrte. Wusste der Mann etwa, wo sie hinmussten? Oder lief er einfach blind drauflos, um ihre Verfolger abzuschütteln? Anstatt eine derartige Frage zu stellen, die der andere sowieso nicht verstehen, geschweige denn

beantworten hätte können, warf Sim einen Blick zurück zu Phiena, die immer noch völlig angespannt und ausgelaugt wirkte. Auch das Adrenalin würde sie nicht mehr lange auf den Beinen halten. Calviro blieb so unvermittelt stehen, dass Sim schon zum zweiten Mal an diesem Tag in den Rücken eines Menschen knallte. Der Soleraner schien sich daran nicht zu stören. Er blickte nach oben. Als Sim seinem Blick folgte, machte sein Herz einen Sprung. Eine Leiter! Das bedeutete, es gab tatsächlich einen Weg nach draußen, der nicht an den Spürhunden von Solera&Co vorbei führte. Allerdings befand die unterste Sprosse sich auf einer Höhe, die weder

Sim, noch Phiena mit ausgestreckten Armen und auf Zehenspitzen erreichen konnten. Auch Calviro war noch um einige Zentimeter zu klein, um die Leiter zu erwischen. „Komm“, forderte dieser Sim nun auf, verschränkte die Finger und ging in die Knie, um eine Räuberleiter zu formen. Irritiert starrte dieser den anderen an. Dann schob er Phiena nach vorne. Sie sollte als erste gehen. Doch der Soleraner schüttelte den Kopf und deutete auf Sim. „Du“, sagte er nur und so folgte der junge Mann der Aufforderung, stützte sich mit einem Fuß auf den fremden Händen ab und mit seinen eigenen an der Wand. Als Calviro

leicht aus der Hocke aufstand, um Sim nach oben zu hieven, wackelte jener bedrohlich. Schließlich gelang es ihm aber, nach der untersten Sprosse zu greifen. Eine ganze Weile hing er hilflos mit den Beinen strampelnd in der Luft, während er versuchte, sein eigenes Körpergewicht nach oben zu ziehen. Sport war nie so seine Sache gewesen. Erst als der Soleraner ihn von unten unterstütze, indem er Sims Füße auf seine Schultern stellte, gelang es jenem die Leiter nach oben zu klettern. Als er ein Stück hinter sich gebracht hatte, wandte er den Kopf und sah nach unten, wo Calviro nun versuchte, Phiena auf dieselbe Art nach oben zu hieven. Jene

sträubte sich allerdings gegen seine Berührung. Verzweifelt blickte sie zu Sim hoch, der erschrak, als er ein lautes Poltern hörte, das nicht mehr allzu weit von ihnen entfernt zu sein schien. „Komm schon, Phiena“, rief er gerade so laut, dass er hoffte, sie würde es hören, ihre Verfolger jedoch nicht. Doch wiederum wich sie zurück, als der Soleraner nach ihr Griff. Aus ihren Augen sprach blanke Furcht. Fast sah es so aus, als wolle sie einfach weglaufen, was sie im nächsten Moment auch versuchte. Calviro war jedoch schneller, und hatte sie am Arm gepackt, ehe sie selbst es begriffen hatte. In Sekundenschnelle hob er sie hoch, als

wäre sie nichts weiter als ein leerer Eimer und hievte sie in Richtung der Leiter, wo Sim bereits auf sie wartete, um ihr Mut zuzusprechen. Panisch griff die junge Frau nach den Eisensprossen, die bedrohlich knarrten, als sie das Gewicht einer zweiten Person auf sich lasten fühlten. Wie zuvor Sim, half Calviro nun auch Phiena, sich völlig auf die Leiter zu retten, während nun eindeutig das Geräusch von Schritten zu ihnen hallte. „Klettern!“, rief der Soleraner und wedelte mit den Armen, um seinen Befehl zu unterstreichen. Sofort setzte Sim sich in Bewegung und hantelte sich nach oben in die Dunkelheit. Hinter sich

hörte er Phiena, die ihm schluchzend folgte. Er rechnete jeden Augenblick damit, dass ein metallisches Knirschen verraten würde, dass auch Calviro sich nun auf der Leiter befand, doch nichts dergleichen geschah. Als Sim noch einmal innehielt und nach unten sah, blickte er in ein regelrechtes Lichtermeer. Ihre Verfolger schienen sie nun doch noch eingeholt zu haben. Calviro setzte gerade zum Sprung an. Die Leiter erbebte unter seinem Gewicht, als seine Hände die unterste Sprosse zu fassen bekamen. Blitzschnell zog der durchtrainierte Soleraner sein eigenes Gewicht nach oben und kletterte geschickt, wie eine Spinne im Netz, in

die Höhe. Gerade wollte Sim aufatmen, als der unverkennbare Knall eines Schusses erklang. Calviro hielt einen Moment im Klettern inne, zog sich dann jedoch weiter nach oben, wenn auch etwas langsamer als zuvor. Dann erscholl ein zweiter Schuss, der von der Wand abprallte und als Querschläger zurück zu den Angreifern gelenkt wurde. „Klettern!“, schrie Calviro, als er bemerkte, dass Sim den Fluchtweg durch seine Beobachtungen versperrte. Wie von der Tarantel gestochen, zuckte der Linguist zusammen und kletterte weiter nach oben in eine ungewisse

Dunkelheit, die ihm nun um so vieles angenehmer erschien als das strahlende Lichtermeer unter ihnen, das ihren sicheren Tod bedeuten würde. * Mit aller Kraft, die noch in ihm steckte, stemmte Sim sich gegen den Deckel, der ihnen die letzten Schritte in die Freiheit versperrte. Das Stimmengewirr ihrer Verfolger war inzwischen verklungen, was ein gutes Zeichen hätte sein können. Möglicherweise gelang es ihnen nicht, ihnen weiter zu folgen oder aber sie heckten bereits einen ganz anderen Plan aus. Was, wenn sie dieser vermeintliche

Weg zur Freiheit direkt in die Hände anderer Sicherheitsleute führen würde? Allerdings blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als diesen Weg zu Ende zu gehen. Ein Zurück gab es nicht. So rammte Sim also ein weiteres Mal seine bereits schmerzende Schulter gegen den robusten Verschluss und spürte, wie etwas nachgab. Gerade wollte er triumphierend aufschreien, als ein Wasserschwall seinen Freudenruf erstickte. Mehrere Sekunden lang floss das kalte Nass über die drei hinweg, bis endlich frische Luft folgte. Völlig durchnässt stemmte Sim sich nach draußen und kam in dem Becken zu liegen, das sie soeben unbeabsichtigt

geleert hatten. Nachdem er ganz kurz verschnauft hatte, wandte er sich um und half Phiena nach draußen. Jener folgte Calviro, der sich nur noch mit einer Hand an die Leiter klammerte. Die andere hatte er sich in die Seite gedrückt. In seinem bleichen Gesicht zeichnete sich unterdrückter Schmerz ab. Seine roten Augen wirkten zusätzlich noch blutunterlaufen, wie es normalerweise nicht der Fall war. „Alles ok, Calviro“, fragte Sim in schlechtem Soleranisch, als er ihm nach draußen geholfen hatte. Jener schüttelte den Kopf und nahm die Hand von der Seite, woraufhin Sim das Blut sah, das durch die Kleidung des großen Mannes

sickerte. Die Kugel schien ihn direkt in eine der Nieren getroffen zu haben. „Wir müssen ihn in ein Krankenhaus bringen“, erklärte Sim Phiena, obwohl jene vermutlich kein Wort mitbekam. Völlig fertig mit der Welt lag sie da und versuchte wieder zu Atem zu kommen. „Krankenhaus“, wiederholte er und blickte Calviro direkt ins Gesicht, doch jener schien nur Augen für den Abfluss zu haben, aus dem sie soeben gestiegen waren. Das Geräusch von Stiefeln auf Metall war nun, da sie selbst nicht mehr kletterten, nicht mehr zu überhören. Das Wasser schien den Sicherheitsleuten nichts ausgemacht zu haben. „Wir müssen von hier verschwinden!“,

rief Sim und half Phiena in die Höhe. Als er sich vergewissert hatte, dass jene allein laufen konnte, ging er zu Calviro und bedeutete ihm, sich an seiner Schulter abzustützen. Der Soleraner konnte sich kaum noch von selbst aufrecht halten, doch anstatt das Angebot anzunehmen, schüttelte er den Kopf und trat auf den Abfluss zu. Wortlos hefteten sich seine roten Augen auf Sim, der jenen Blick nicht zu deuten vermochte. Dann wanderten sie weiter zu Phiena, die irritiert die Stirn runzelte und zusah. „Calviro?“, fragte Sim, der glaubte, der Weißhaarige würde gleich zusammenklappen. Um einen Sturz zu verhindern, griff der Linguist nach dem

Arm des anderen, doch ehe er zuschnappen konnte, war Calviro bereits gesprungen. Zutiefst bestürzt schaute Sim in den Abfluss, der gerade ihren Mitstreiter verschlungen hatte. Ein Schreien war zu hören, gefolgt von einem Klatschen und Rumpeln. Weitere Schreie erschollen. Wie gelähmt stand der junge Mann da und blickte in die brüllende Dunkelheit. Als Phiena nach seiner Hand griff, merkte er es kaum. Nun war sie es, die ihn fortführte. Willenlos ließ er es geschehen, obwohl er keine Ahnung hatte, wo sie ihn hinbrachte. Über den Universitätsgebäuden ging gerade die Sonne unter.

© Fianna 26/09/2014

0

Hörbuch

Über den Autor

Fianna
Ich
...bin Österreicherin
...studiere Archäologie, Germanistik und Geschichte
...vertrage Kritik, solange sie begründet und ehrlich ist
...lese quer durch viele Genres
...glaube anders als Max Frisch und ähnlich wie Bert Brecht dass Literatur sehr wohl (wenn auch nur in geringem Maße) dazu beitragen kann, gesellschaftiche Veränderungen zu erwirken


Leser-Statistik
7

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
mohan1948 Ich lese und schreibe auch gerne solche Geschichten. Sie hat mich fasziniert. ich bin auch Österreicherin und freue mich, bei Deinem Buch gelandet zu sein. Ganz liebe Grüße Hannelore
Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Freut mich sehr, dass dir meine Geschichte gefällt.

Dankeschön für's Lesen, den Kommentar, die Coins und den Favo!

Liebe Grüße
Anna
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Jetzt müsste ich eigentlich nochmal von vorne anfangen. Mal sehen wie viel von der Story hängengeblieben ist, oder ob ich wirklich nochmal über alles drüberlesen sollte^^
lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Das ist verständlich, wenn man bedenkt, wie lange die vorhergehenden Kapitel zurückliegen, aber ich bin sicher, du kommst auch so irgendwie mit. :-)

Dankeschön für's Lesen, den Kommentar, die Coins und den Favo!

Liebe Grüße
Anna
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
4
0
Senden

118918
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung