Fantasy & Horror
Moondancer - Pferdemädchen

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"Cavalcade Mario Luraschi und ein Mädchen - mit einer Leidenschaft."
Veröffentlicht am 19. September 2014, 1214 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Die Agi von Wattpad ist nun auch hier angekommen, um ihre Werke mal einer anderen Generation anzubieten. 15 Jahre jung, weiblich und größter Europapark-/Arenafan der Geschichte. Wer mehr über mich wissen will, schaut auf Wattpad vorbei, denn dort bin ich definitiv aktiver: www.wattpad.com/user/20Agi04
Cavalcade Mario Luraschi und ein Mädchen - mit einer Leidenschaft.

Moondancer - Pferdemädchen

Widmung

Für alle Arenafans aus dem Europapark

und

die Cavalcade Mario Luraschi, die mich dazu inspiriert hat.

Prolog

Das schneeweiße Pferd mit dem silbernen Langhaar lief über den federnden Waldweg. Es sah sich nicht um, es rannte immer weiter. Die Hufe gleichmäßig trommelnd über dem Boden. Das unermüdliche Schnauben wies daraufhin, dass es noch lange nicht müde war. Um sie herum war ein blauer Schleier, der man kaum wahrnahm. Dennoch war er da.


Die Stute blieb nun stehen und sah sich nach jemandem um. Ihre rehbraunen Augen mit der blau leuchtenden Iris

erfassten die Bewegung eines goldenen Hengstes. Er kam näher und war kurz darauf bei ihr. Liebevoll steckten sie die Nasen zusammen und liefen im Schritt nebeneinander her.

Was sie nicht wussten, weiter oben, viel weiter oben, als je ein Mensch kommen würde, sahen zwei hellgraue Pferde zu ihnen hinunter. Das eine hatte eine bronzefarbene Mähne, die aber von dem hohen Alter, das es besaß, schon mit grauen Strähnen durchzogen war. Das Andere war ebenfalls mal weiß gewesen, doch die vielen Jahre ließen es grau erscheinen. "Was sollen wir nur mit ihr machen?",

fragte das Eine, eine Stute. "Ich weiß es nicht. Wir werden sie weiterhin beobachten, und dann mal abwarten, was aus ihr wird.", antwortete das Pferd mit der bronzefarbenen Mähne. Ein Hengst. "Wenn sie soweit ist, wird sie irgendwann selber ihren Weg zu uns finden. Aber jetzt wollen wir sie erst einmal in Ruhe lassen, komm Ajax.", meinte die Stute und wandte sich von dem Tor ab. Der Hengst folgte der Stute wortlos.

Kapitel 1

Ich holte tief Luft. Das würde mein erster Job sein. Naja, sagen wir Zweiter. Seit ich denken konnte, arbeitete ich schon bei meinem Vater im Betrieb mit. Er hatte einen Reitstall in Straßburg, in dem hochwertige Rennpferde gezüchtet wurden. Zwar half ich ihm kostenlos aus, aber dennoch bezeichnete ich es gerne als Job, da ich genau die gleichen Arbeiten erledigte, wie die Angestellten, die Geld dafür bekamen. Doch jetzt war es für mich Zeit, endlich mal auf eigenen Beinen zu stehen und endlich meinen Traum zu verwirklichen.

Cavalcade Mario Luraschi. Im Moment, stand ich vor der spanischen Arena im Europapark Rust. Zwar war ich noch nicht volljährig, aber ich konnte wahnsinnig gut mit Pferden umgehen. Woran das lag, wusste ich selbst noch nicht so genau. Aber ich konnte die Pferde verstehen. Richtig verstehen. Sie redeten mit mir, aber das wusste keiner. Und das war auch gut so. Plötzlich kam ein Mann von hinten an. Er hatte lange, braun gelockte Haare und war riesig. Bestimmt hatte er zwei Meter Körpergröße oder mehr. Ich erkannte ihn als Ludovic Gortva, den Chef der Arena wieder. Natürlich kannte ich die Stelle, für die ich nun arbeiten

würde, das hieß auch die Show, die sie immer aufführten, in und auswendig. „Bist du Hanna?“, fragte er. Vorsichtig nickte ich. „Du bist aber noch wirklich jung. Bist du wirklich die, die hier arbeiten soll?“ Ich nickte wieder. Jung? Immerhin war ich 17. „Na dann, komm mal mit.“. Der Mann, der sich mir wirklich als Ludovic Gortva, oder kurz Ludo, vorstellte, öffnete das Tor und ich folgte ihm rasch. Die Pferde redeten kaum, ich hörte nur ein paar gemurmelte Begrüßungsworte. Aber sie schienen zufrieden. Die meisten waren Andalusier. Es waren hübsche Pferde, die da in den Boxen standen. Es waren auch noch nicht viele Leute da.

Doch die, die da waren, sahen mich verwirrt an. Ich versuchte es, so gut es ging, zu ignorieren. Vor der Box eines hübschen Apfelschimmels blieb Ludo stehen. „Vielleicht zeigst du erstmal, was du kannst. Obwohl, du musst schon eine gute Pferdetrainerin sein, wenn man dich schon so früh eingestellt hat.“ „Kann sein, Herr Mack war jedenfalls überzeugt.“, murmelte ich. Leise begrüßte ich das Pferd. „Hallo, mein Schöner.“ Der Hengst schmiss seinen Kopf erschrocken hoch und ich musste lächeln. „Wie bitte, was?!“, sagte er überrascht. „Keine Angst, ich bin die neue Pferdetrainerin.“ „Ich kann dich richtig verstehen?“, vor Schreck

floh er in die hinterste Ecke der Box. Ludovic sah mich irritiert an. „Ich dachte, du kannst gut mit Pferden?“ „Ist ja auch so, aber die meisten Pferde erschrecken sich erst einmal vor mir, aber dann vertrauen sie mir.“ „Zeig mal, wie du ihn longierst.“ Ein seltsames Lächeln umspielte seine Lippen und ich wusste, dass das eine Prüfung war. Er drückte mir ein Halfter in die Hand. Langsam schlüpfte ich in die Box. „Komm, ich tue dir wirklich nichts, ich soll dich nur ein bisschen longieren, nichts Besonderes. Es dauert auch nicht lange.“ Ich achtete darauf, nichts zu sagen, was Ludo merkwürdig vorkommen sollte. Zum Beispiel stellte

ich keinen direkten Fragen. Das Pferd nahm es mir ab. „Wirklich kein Reiten?“ Ich schüttelte unauffällig den Kopf. Da kam er zu mir und steckte sein Kopf in das Halfter. Dem Chef blieb der Mund offen stehen, sagte aber nichts. Als ich ihn aus der Box hinausführte, fragte ich nach dem Namen des Pferdes. Ludo und das Pferd gaben mir fast gleichzeitig eine Antwort. Der Apfelschimmel hieß Morendo. Brav lief er neben mir her, er war noch zu überrascht, um Fragen zu stellen. Als ich auf dem überdachten Sandplatz, nicht mehr als ein Longierzirkel, der mit einem Zelt überdacht war, angekommen war, gab Ludovic mir eine Longe und

wollte mir eine Peitsche geben, aber ich lehnte ab. „Die brauche ich nicht.“ der Mann zuckte die Schultern und ging aus dem Weg. Ich nahm die Longe so, dass ich ein ganz kleines Stück als Peitschenersatz hatte, es sollte nur als verstärkte Hilfe wirken. Morendo stand aufmerksam neben mir und wartete kurz, bis ich die Longe geordnet hatte. „Na los“, sagte ich nur und Morendo ging brav auf den Zirkel. Mit gespitzten Ohren wartete er auf meine Kommandos. Ich ließ ihn zuerst ein Weilchen im Schritt gehen. Morendo war ein Traum. Er hatte eine ordentliche Haltung und achtete auf mich. Ludo sah sehr überrascht

aus. Dann ließ ich das Pferd traben. „Morendo, trab mal bitte an und zwar so schön wie möglich!“, fügte ich lächelnd hinzu und der Andalusier trabte an. Seine Augen glänzten vor Freude und er tat es gerne für mich, das wusste ich. „Der sieht ja wie ausgewechselt aus!“, staunte Ludo und als ich es leise für Morendo wiederholte, wurde sein Trab noch schöner. Mit federenden Schritten schwebte er über den Boden. Als er ein paar Runden getrabt hatte, ließ ich ihn angaloppieren. Morendo zeigte auch hier seinen schönsten Galopp und ich lobte ihn, was ihn noch mehr anstachelte. Mittlerweile hatten noch mehr Leute sich

am Eingang versammelt und staunten mit Ludovic um die Wette, ein paar Gesichter erkannte ich von der Show. Während Morendo um mich herum schwebte, lächelte ich. Nach ein paar Minuten ließ ich ihn langsamer machen und zu mir kommen. „Hast du sehr schön gemacht, ich bin stolz auf dich“, flüsterte ich leise. Morendo strahlte mit mir um die Wette, wahrscheinlich war ich die Einzige, die je so nett zu ihm war. „Das Mädchen ist unglaublich“, hörte ich. Liebevoll kraulte ich ihn und führte ihn zu Ludo. „Soll ich ihn noch ein bisschen longieren, oder geht er nachher noch in der Show?“ „Er geht nachher noch. Es reicht, auch wenn ich

dir ewig zuschauen könnte, genauso wie die Kollegen hier.“ Lächelnd sah er zu den vielen Gesichtern, die mich ansahen. Verlegen senkte ich den Kopf und ging mit Morendo zurück zu seiner Box. Unterwegs belagerten sie mich, sodass ich kaum mit Morendo sprechen konnte. Er verstand es, als ich es ihm so gut und kurz wie möglich erklärte, als gerade niemand darauf achtete. „Wie hast du ihn eigentlich aufhalftern können?“, fragte ein Mann, der sich als Christophe vorstellte. „Wieso?“, fragte ich verwirrt. „Mit dem da darf man jedes Mal eine Viertelstunde kämpfen, bis man das Halfter draufhat.“

„Wirklich?“, innerlich grinste ich. Wenn Pferde sich falsch verstanden fühlten, ließen sie sich immer wieder auf Kämpfe mit Menschen ein. Dann entließ ich den Hengst in seine Box und ging zurück zu Ludovic. „Warum braucht man mich eigentlich? Ist nicht Mario der große Meister oder Sie?!“ Er grinste. „Erstmal, du kannst mich ruhig duzen. Und dann, du siehst das ja ganz richtig, Mario ist der große Trainer, aber da er so groß ist, hat er selten Zeit. Deswegen hätten wir gerne jemanden hier, der sich ebenfalls als Pferdetrainer versteht. Eigentlich hätten wir es auch noch nicht notwendig, aber bis man einen guten Pferdetrainer

gefunden hat, dauert es manchmal Jahre, deswegen haben wir so früh angefangen zu suchen. Dass wir so ein Glück hatten, konnten wir ja nicht wissen.“ Ich nickte. Endlich mal jemand, der meine „Gabe“ zu schätzen wusste. „Aber alle hier sind doch von Marios Schule, können die das nicht?“, fragte ich. „Vielleicht, aber wir suchen immer Nachwuchs und speziell einen Pferdetrainer, der sich allein auf die Dressur spezialisiert. Die meisten hier gehen ja später in den Stuntbereich. Wir werden dir hier trotzdem die Grundausbildung geben und später könntest du vielleicht Marios Schülerin

werden.“ Erwartungsvoll sah mich Ludo an, doch ich zuckte innerlich zusammen. Man wollte mich als Pferdetrainer ausbilden? Das ging nicht, denn ich hatte ja meine eigene Methode. Irgendwann würden sie es dann rauskriegen und genau das wollte ich nicht. „Das geht nicht… Ich… Ich arbeite mit eigenen Methoden.“ Morendo sah zu mir herüber. „Welche Methoden? Du redest doch nur mit uns und kannst uns verstehen!“ Eben. Ludo blickte erstaunt. „Wer hat dir das eigentlich beigebracht, ich würde ihn wahnsinnig gerne kennenlernen, jemand der so gut mit Pferden umgehen kann.“ Fieberhaft suchte ich nach einer

Ausrede. Bis mir das Pferd einfiel, mit dem das ganze angefangen hatte. Agrento. Mein Pflegepferd. „Agrento war es“, sagte ich verschmitzt. „Agrento?“ Ich musste grinsen. „Mein Pflegepferd, manchmal bin ich einfach nur stundenlang vor seiner Box gesessen und habe sein Verhalten studiert.“ Ludo verstand, dass er keine bessere Antwort bekommen würde und beließ es dabei. „Ist ok, du wirst es mir nicht sagen.“ „Wenn es dich tröstet, keiner weiß es, und das ist auch gut so.“, sagte ich entschuldigend. „Also gut, ich muss dann wieder los, du kannst schauen, ob du helfen kannst, Pferde zu richten. Um halb Eins ist doch die Erste Show.“

Damit verschwand Ludovic Gortva. Endlich konnte ich mich in Ruhe den Pferden vorstellen. Ich wandte mich an die umstehenden Pferde. „Vielleicht habt ihr es schon mitbekommen. Ich verstehe euch, und ihr versteht mich.“ Erstaunt erhoben die Pferde ihre Köpfe von ihrem Fressen und blickten mich verwirrt an. Nur Morendo gähnte. „Also ich bin Hanna und soll euch ein bisschen trainieren. Wenn ihr etwas auf dem Herzen habt, sagt es mir ruhig. Und wenn ich mal nicht direkt antworten kann, liegt es daran, dass die anderen Menschen möglich nicht erfahren sollten, dass ich mit euch reden kann. Ok?“ Statt einer Antwort kamen von

allen Seiten Fragen. „Wie ist das möglich?“ „Sicher, dass ich nicht halluziniere?“ „Das kann doch nicht sein, kein Mensch versteht uns.“ Nur ein brauner Hengst nickte. Irmao. Ich lächelte ihn an und bat ihn, es den Anderen nochmal zu erklären, damit ich es nicht jedem Pferd nochmal einzeln erklären musste. Dann ging ich hinaus, zu einem braunhaarigen Mann, der gerade einen anderen Apfelschimmel richtete. Er warf mir einen kurzen Blick zu. „Bist du Hanna?“ Ich nickte und er stellte sich als Guillaume vor. „Ich habe dich vorhin gesehen. Kannst du mir helfen? Irgendwie ist Talo heute merkwürdig

drauf.“ „Was hast du denn?“, fragte ich Talo leise und beobachtete ihn. Dieser blickte mich erst irritiert an, erinnerte sich aber dann wieder daran, dass ich sie verstehen konnte. „Achso, ja klar, kannst du ihm sagen, dass er mich etwas sanfter behandeln soll? Heute Nacht konnte ich kaum schlafen, weil mir der Sattel gestern einen Nerv abgeklemmt hatte. Jetzt tut mir der Rücken weh, er soll einfach den Sattel ein Stück nach hinten schieben.“ „Ok, darf ich mal?“, fragte ich höflich und tastete den Rücken ab. An einem bestimmten Punkt stieß Talo einen wehklagenden Laut aus und ich nahm sofort den Druck von meinen Fingern.

„Hier“, ich zeigte Guillaume die Stelle, „hier, hat der Sattel ihm gestern einen Nerv eingeklemmt. Das tut ihm weh, weil er auch nicht richtig liegen konnte heute Nacht. Der Gute ist ein bisschen verspannt, es macht ihm aber nichts, wenn du ihn reitest, lege nur den Sattel ein paar Zentimeter weiter hinten auf und mache ihn ordentlich warm, sodass seine Muskeln sich wieder lockern.“ Guillaume zog eine Braue hoch. „Woher weißt du das?“, fragte er, befolgte aber meinen Rat. Ich lächelte nur geheimnisvoll und ging zu einem Cremellohengst, der sich gerade nach Leibeskräften wehrte, aus der Box zu gehen. Seine Führerin, ich

kannte sie noch von der Show, Marion, verdrehte genervt die Augen. Hilfesuchend blickte mich der Andalusier an. „Ich bin gestern gestolpert, ich kann mein linkes Vorderbein kaum belasten.“ Ich grinste. Jetzt war ich schon ein Seelenklempner für Pferde. „Marion“, rief ich. Sie sah auf. „Normalerweise ist er überhaupt nicht so.“, versuchte sie sich zu entschuldigen. „Er lahmt vorne links. Mich wundert es nicht, dass er nicht raus will.“ Verlegen gab Marion auf und ließ Thorgal zurück in die Box. Erleichtert entlastete dieser sein linkes Vorderbein und stupste Marion entschuldigend an. Sie lächelte und fuhr

über seine Nase. Inzwischen tauchte Ludo wieder auf. „So viel Wehwehchen heute?“ Entschuldigend zuckte ich die Schultern. „Nur Thorgal lahmt. Allen Anderen geht es eigentlich gut. Außer die kleine Sache mit Talo, aber das ist nicht wirklich schlimm.“ Ludo legte mir einen Arm um die Schultern. „Was würden wir nur ohne dich tun.“ „Den Pferden wehtun?“, fragte ich und grinste. „Vielleicht?“, grinste er zurück. „Willst du dir die Show ansehen?“, wechselte er plötzlich das Thema. „Nicht notwendig.“, ich zuckte die Schultern, „Ich kenne sie in- und auswendig.“ „Warum wundert mich das

nicht?“ Er schüttelte den Kopf. „Das hier ist ein Meisterwerk, das ist eine von meinen Lieblingsshows!“, sagte ich. „Nur an Coperlin, an ihn kommt Stéphane nicht ganz heran.“ „Wer redet hier von mir?“ Stéphane alias Planchette, kam in voller Montur angelaufen. „Ich.“, antwortete ich. „Oh“, er spitzte die geschminkten Lippen. „Um was geht’s?“ „Darüber, dass du nicht an Coperlin rankommst.“ Empört streckte er mir, ganz in der Manier seiner Figur, die er verkörperte (Anmerkung: Planchette ist so was wie Planché (allerdings in weiblicher Ausgabe) aus den Musketieren, wird von einem kleinen, rundlichen Mann

gespielt, der viel Schminke im Gesicht hat, lustig drauf ist und über seiner Fast-Glatze eine blonde Perücke trägt), die Zunge raus. „Pff, du vergleichst mich mit diesem langweiligen Sack?“ Ich lachte. „Du weißt ja, dass man dich so nicht ernst nehmen kann, oder?“ „Klar, das ist ja der Sinn von dieser Figur.“, brummelte er. „Wie viel Uhr?“ Ludo warf einen Blick auf seine Uhr. „Viertel nach Zwölf“ Stéphane nickte und ging noch mal in den Schatten. Mittlerweile wurden die Apfelschimmel, Morendo, Buccanero und Talo aufgewärmt. Ich gesellte mich zu den Reitern und sah ihnen zu. Am langen Zügel trabten sie ein bisschen und liefen

Schritt. Dann stellten sie sich für die Show auf. Da fiel mir ein, dass die Pferde ja immer abgeholt wurden, also in der Arena, wenn die Show lief. Als die drei Apfelschimmel nebeneinander standen, redete ich kurz mit ihnen. „Ihr kommt wieder zurück, sobald eure Reiter abgestiegen sind. Nur die paar Meter galoppieren, klar soweit?“ Morendo, Talo und Buccanero nickten kaum merklich. Ich lächelte und gab den beiden Frauen, die sie eigentlich zurückbringen sollten, Manon und Maxime, die Info weiter. Verwirrt nickten sie, ließen es aber darauf ankommen und gingen nicht mit in die Arena. Morendo hatte ein Ohr ständig

auf mich gerichtet und sobald sein Reiter sich ein bisschen entfernt hatte, warf er sich herum und galoppierte gesittet zu mir zurück. Talo und Buccanero kamen hinterher. „Gut gemacht, sehr schön.“, lobte ich die drei. Ludo, der auch in der Show mitwirkte und gerade auf seinen Part wartete, schüttelte nur den Kopf. „Du bist unglaublich.“ Verlegen senkte ich den Kopf. Ludovic dachte dann kurz nach. „Ich habe ein Pferd für dich. Es hat Potenzial, aber es will permanent überhaupt nichts machen. Ständig buckelt es mich herunter, sogar Bodenarbeit habe ich probiert, aber das

Pferd lässt sich absolut nichts sagen. Du hast also morgen jede Menge Arbeit.“ „Ok“, gab ich meine Zustimmung. Das würde mal eine harte Nuss werden. „Ich brauche aber genügend Platz, ohne dass mir das Pferd abhauen kann. Am besten den gesamten Sandplatz. Geht das? Oder wollt ihr drauf?“ Ludo zuckte die Schultern. „Kommt drauf an, wenn du ihn nicht für die nächsten paar Wochen blockierst.“ „Wochen auf gar keinen Fall. Vielleicht nur Morgen früh?“ „Ok, ich sag Bescheid. Aber ein Morgen reicht nicht, glaube mir. Felicitas ist eine Katastrophe.“ Wir werden sehen, dachte ich

noch. Den Rest der Show verbrachte ich dann damit, den Pferden zuzuschauen und mir einen Überblick über die Lage zu beschaffen. Die Pferde und Reiter machten ihre Sache gut, dennoch lief es nie ganz ohne Auseinandersetzung. Das gefiel mir manchmal nicht ganz, aber es ging vorübergehend nicht anders. Na gut. Da hatte ich noch ein bisschen Arbeit vor mir. Nach der Show versorgten sie ihre Pferde. Ich sah zu, fing aber Kevin mit Bolero ab. „Halte mal bitte kurz an, Kevin. Bolero hat was. Hattest du ein merkwürdiges Gefühl?“ Kevin sah mich verwirrt an. „Nein, er lief so wie immer. Auch Bolero

war verwundert. „Mir geht’s doch gut“, meinte er. Ich schüttelte den Kopf und sah mir die Trense an. Er hatte ein Stangengebiss drin. Wie die meisten Pferde. Doch es passte ihm nicht. Eigentlich müsste es Bolero wehtun. „Mach das nächste Mal ein gebrochenes Gebiss rein. Die Stange reibt auf seinem Zahnfleisch. Durch den vielen Gebrauch hat sich dort eine Hornhaut gebildet. Deswegen wird es immer schwieriger ihm die richtigen Hilfen zu geben.“ „Ist das also nicht normal?“, wollte das Pferd wissen. „Die Schmerzen der Trense? Ich dachte immer das haben die anderen Pferde auch?“ „Nein, das ist nicht normal.“, sagte ich leise und gab

Kevin die Zügel zurück. „Ok, und das hast du einfach so gesehen?“ „Andalusier sind feinfühlige Pferde, sobald sie hart im Maul werden, stimmt was nicht. Und man sieht deutlich, wie du mit ihm zu kämpfen hattest.“ Kevin nickte nur. „Kapiert.“ Allmählich leerte sich der Platz, denn alle schwärmten aus, um Mittag zu essen oder ähnliches. Bald hatte ich den ganzen Stall für mich allein. Vor Morendos Box ließ ich mich auf einem Strohballen nieder und sofort kam das Pferd an die Boxentür. „Jetzt erzähl mal“, forderte er mich auf. „Warum kannst du mit uns reden?“ Ich zuckte die Schultern. „Das weiß ich selbst nicht so genau. Meine Oma hat

immer gemeint, das Familienerbe sei bei mir besonders ausgeprägt. Angeblich stammt unsere Familie aus Angan, einer zweiten Welt. Aber wenn du mich fragst, ist das nur ein Gendefekt.“ Energisch schüttelte Morendo den Kopf. „Angan? Sagtest du wirklich Angan?“ Ich zog eine Augenbraue hoch. „Ja?!“ „Angan ist eine Parallelwelt zu dieser hier. Allerdings sind die Tore, bis auf das über Island, schon lange verschlossen. Wir Pferde behalten das Erbe hier auf dieser Welt, denn wir kommen von dort. Das sind Geschichten, die immer wieder von den Müttern zu ihren Kindern weitergegeben wird. Da gab es eine Spezies, die hieß

Peganer. Das waren Mischwesen aus Pferd und Mensch. Die Pferde, sie hatten übrigens Flügel, konnten sich in Menschen verwandeln. Doch manchmal sind Lebewesen aus Angan hierhergekommen oder Menschen sind nach Angan gegangen. Vielleicht stammst du ja wirklich von einem Peganer ab. Dann würde mich nichts mehr wundern. Früher, als manchmal das Peganerblut noch nicht stark mit dem Menschenblut vermischt war, konnten sich die Menschen immer noch in Pferde verwandeln, doch als das Menschenblut Überhand gewann, konnten sie sich irgendwann nur noch bei Vollmond verwandeln. Heute ist

nichts mehr bekannt, dass sich irgendein Mensch noch in ein Pferd verwandeln kann. Obwohl, bei dir, ich weiß nicht. Du kannst ja auch mit uns reden. Ab dem 210. Vollmond war es meistens soweit. Wie alt bist du?“ Ich rechnete schnell nach. „Das dürfte ich ungefähr sein, aber das ist doch völliger Schwachsinn. Erzähl keinen Mist.“ Lächelnd blickte ich ihn an. „Ziehe es in Betracht, dann kannst du wenigstens nicht sagen, ich hätte dich nicht gewarnt.“ „Wenn du meinst.“ Ich wandte mich ab und setzte mich in den Schatten. Bald tauchten wieder die Anderen auf, sie mussten sich für die nächste Show richten. Langsam

schlenderte ich zu Irmao. Der Hengst stand ganz vorne, für die Besucher sichtbar und kaute an ein paar Halmen Heu. Ein paar Kinder sahen neidisch zu mir auf, als ich die Boxentür öffnete und zu Irmao in die Box schlüpfte. „Hallo, Schöner.“, begrüßte ich ihn. Ich hatte ein Halfter in der Hand und er verdrehte die Augen. „Muss das sein?“, brummelte er. „Wer hat gesagt, dass du arbeiten musst?“ Da wurde er aufmerksam und blickte mich erwartungsvoll an. Vorsichtig zog ich ihm das Halfter über die Ohren. Dann führte ich ihn an den neidischen Kindern (ich war gerade richtig Schadenfroh) vorbei und brachte ihn zum Sandplatz.

Dort wurden gerade wieder Pferde aufgewärmt. Doch ich wollte nur etwas ausprobieren. „Ignoriert mich einfach.“, rief ich den Reitern zu. Sie taten es und ich setzte mich vor Irmao auf den Boden. Der verstand die Welt nicht mehr. „Hä?“ Ausnahmsweise war ich ruhig und wartete seine Reaktion ab. Der Braune blickte mich an und langsam ließ ich ihn los und klinkte den Strick aus dem Halfter. Jetzt konnte Irmao weglaufen, aber er blieb natürlich bei mir. Ich blickte ihn einfach nur an. Irmao verstand allmählich. Es sollte eine Probe werden. Die Reiter waren ebenfalls

verwundert. Nach einer Weile stand ich auf und lief an den Zaun. Bewusst kehrte ich ihm den Rücken zu. Dann drehte ich mich wieder um. Irmao stand noch genauso da, wie vorher. Ludo kam auch dazu, er war neugierig geworden, was ich wohl machte. Langsam ging ich am Zaun entlang. Diesmal war meine Seite zu Irmao gedreht. Erst als ich hinter ihm stand, drehte ich mich zu ihm um und das Pferd verstand. Der Braune drehte sich zu mir und kam langsam auf mich zu. Beide Ohren waren auf mich gerichtet. Plötzlich drehte ich mich um und kehrte ihm den Rücken zu. Sofort blieb Irmao stehen. Eine Weile blieb ich

so stehen, bevor ich urplötzlich los rannte. Immer den Rücken zu ihm gekehrt. Ludovic beobachtete mich interessiert. Bevor ich mich wieder plötzlich umdrehte und stehen blieb. Irmao rannte auf mich zu, doch als er ein paar Meter vor mir war, drehte ich mich wieder um. Ich konnte den Sand im Rücken spüren, als er die Hufe in den Boden rammte. Dann rannte ich wieder ein Stück von ihm weg und drehte mich wieder um. Diesmal war Irmao schneller als ich. Er erreichte mich, bevor ich mich umdrehen konnte. Lächelnd lobte ich ihn. „Du hast es kapiert.“ Es war wie Ochs am Berge, nur viel

anstrengender und umgekehrt. Mittlerweile machte es sogar dem Pferd Spaß und so spielten wir eine ganze Show lang. So schärfte ich spielerisch die Sinne und Aufmerksamkeit von Irmao. Auch Ludo kapierte den Sinn und grinste. Es war ein Spiel für das Pferd und den Menschen, aber nur wenn das Pferd mitmachte und wenn es nicht wusste, was es tun sollte, tat es auch nichts. Irmao hatte es verstanden, denn ich konnte ihn verstehen und er mich. Danach waren wir beide erschöpft, aber Irmao war nun richtig guter Laune. Als ich ihn ohne Strick und Halfter in die Box zurück geleitete, haute es Ludo völlig vom Hocker. „Wow“, staunte er,

„So etwas machen die Pferde bei mir nie.“ Fast hätte ich gesagt, dass sie ihn ja auch nicht verstehen konnten. Aber ich grinste nur und sammelte das Halfter und den Strick vom Platz wieder ein und hängte es an Irmao’s Box. „Gut gemacht“, sagte ich leise zu ihm und er lächelte mich an, wenn man das bei Pferden so nennen konnte. Dann beschäftigte ich mich noch damit, das Pferd zu putzen und die Mähne einzuflechten, damit sie am nächsten Morgen schön lockig fiel. Es war bereits später Nachmittag, als ich wieder ging. Nicht ohne noch eine Runde, meine Lieblingsbahn Silver Star, zu fahren. Am Abend fiel ich glücklich in

mein Bett. Meine neue Arbeit gefiel mir. Eindeutig. Ich dachte noch ein bisschen nach, was ich wohl mit Felicitas machen sollte. Nun ja, mal schauen. Morgen war ja auch noch ein Tag. Erschöpft schlief ich ein.

kapitel 2

Am nächsten Morgen fuhr ich wieder mit dem Zug nach Rust. Um Viertel nach Neun war ich dort. Ich begrüßte die Pferde, die auch begeistert zurückgrüßten. Zuerst ging ich zu Morendos Box. Ihn hatte ich bereits liebgewonnen. Vielleicht, weil er mir den Einstieg in meine Arbeit erleichtert hatte? „Hallo“, begrüßte er mich. „Hallöchen. Wie geht’s?“ Er kam an die Boxentür gestapft. „Gut. Weißt du eigentlich, warum du eine so gute Pferdetrainerin bist?“ „Weil ich euch verstehen kann?“, fragte ich verwirrt. „Auch, aber du

strahlst die Leitstute aus. In einer wild lebenden Herde sind Leitstuten, die, die die Herde führen und von allen respektiert werden. Wenn du jetzt jemand wärst, der abweisend wäre, schüchtern und überhaupt nicht vertrauenswürdig, würde ich dir nie folgen oder dich respektieren. Aber du respektierst meine Intimsphäre und sorgst dich um uns. In freier Wildbahn sorgt die Leitstunde für die Herde. Sie sucht die besten Weideplätze und Wasserstellen, schlichtet und sorgt sich um ihre Herde. Du kannst zwar keine Weideplätze und Wasserstellen finden, aber du hörst dir zum Beispiel unsere Sorgen an und sorgst dafür, dass wir

keine Schmerzen haben. Du bist ein Glücksfall.“ Über das Kompliment freute ich mich. „Dankeschön, Großer.“ Morendo wandte sich wieder seinem Heu zu und zwinkerte nur. Plötzlich erschien Ludo in der Stalltür. Er war ja irgendwie auch ständig da, dachte ich noch. „Guten Morgen, Hanna. Willst du noch ein bisschen mit Morendo schmusen oder soll ich dir Felicitas zeigen?“ Ich grinste. „Ich komme ja schon. Zeig mir aber zuerst, wie du mit ihr arbeitest. Dann kann ich sehen, was ihr Problem ist.“ Er verdrehte die Augen. „Ruf schon mal den Krankenwagen.“ Ich ließ ihn vorgehen zu Felicitas Box. Es war eine

hübsche dunkelbraune Stute, mit schwarzer Mähne und einer weißen Schnippe auf der Stirn. Sofort kam sie an die Tür gelaufen, legte die Ohren an und giftete nach uns. Nur die Gitterstäbe hinderten sie daran, dass sie nach uns schnappte. „Lass das, Felicitas.“, murmelte Ludovic und nahm sich ein Halfter. Blitzschnell ging er in ihre Box und streifte ihr das Halfter über. Ehe sie sich versah, war die Stute schon angebunden. Ärgerlich hob sie das Hinterbein. „Lass mich in Ruhe und verschwinde.“, keifte sie, doch Ludo ignorierte sie. „Da hat aber jemand schlechte Laune“, sagte ich zu ihr und beobachtete sie prüfend. Sie fuhr

zusammen. „Ach, du bist das, die uns verstehen kann... Sag ihm, er soll mich in Ruhe lassen. Ich will das nicht.“, schnaubte Felicitas ärgerlich. „Ok, keine schlechte Laune, fehlender Respekt gegenüber den anderen Herdenmitgliedern.“, stellte ich fest. „Wieso denn? Ich bin doch die Leitstute!“, versuchte sie sich zu rechtfertigen, doch ich schüttelte den Kopf. Ludo warf jetzt den Sattel drauf, und machte ihn schnell fest. Warum konnte ich mir schnell erklären, als er sich in Sicherheit brachte und sie auch schon losbuckelte. Doch als sie merkte, dass der Sattel schon fest war, gab Felicitas auf. „Das macht sie immer“,

erklärte Ludo. „Es geht einem richtig auf die Nerven.“ Er nahm die Trense und streifte sie ihr übers Halfter, bevor er erst dieses löste. Ich verstand ihn. Dann führte er sie auf den Platz. Beißen konnte sie mit Trense nicht mehr. Das ärgerte sie gewaltig und sie versuchte den ganzen Weg ihn zu treten. Jedes Mal wich er aus. „Soll ich sie noch reiten, oder hast du genug gesehen?“ Kurz überlegte ich, dann schüttelte ich den Kopf. „Lass es, sie sieht nicht sehr brav aus. Nimm ihr den Sattel herunter, der müssen wir zuerst Respekt zeigen. Ludo tat wie geheißen und ich ging zu ihr. „Die Trense muss auch runter." „Bist du lebensmüde?“, fragte er

entsetzt. „Nein, Leitstuten sind auch für die Erziehung zuständig. Doch damit sie sich nicht verfängt, falls sie sich wehren sollte, muss die Trense runter.“, erklärte ich. „Was hast du vor? Willst du sie etwa verschlagen?“, fragte Ludo entsetzt. „Nein, natürlich nicht. Ich bin doch nicht blöd. Ihr müssen nur die Grenzen gezeigt werden. Das könnte grausam aussehen und vielleicht nicht ganz ungefährlich werden. Wir müssen sicherstellen, dass sie nicht aus dem Platz kommt, selbst falls sie springen will. Genug Platz haben wir ja, falls sie aufgeben will und von mir weggehen will. Kommt sie über die Absperrung?“ Nachdenklich schüttelte Ludovic den

Kopf. „Was hast du vor?“ „Ich zeige ihr die Grenzen, kann sein, dass es ein Weilchen braucht, bis sie es kapiert, doch dann ist der schwierigste Teil vorbei.“ Der Boss wusste immer noch nicht, was ich vorhatte, aber ich bat ihn den Platz zu verlassen und Felicitas Trense zu nehmen, die ich ihr gerade abnahm. Sobald sie ohne Zaumzeug war, preschte sie davon und galoppierte ein paar Runden im wilden Galopp auf dem Platz umher, ohne einen Ausgang zu finden. Seelenruhig wartete ich, bis sie fertig war. Danach sah sie mich an, machte aber keine Anstalten, auf mich zuzukommen. „Und du sollst mich

trainieren? Als ob ich auf irgendeinen Menschen eingehen würde. Vergiss es, lass mich lieber frei.“ „Was würdest du draußen machen wollen?“, konterte ich, „Es gibt keine wildlebenden Herden in Deutschland, du würdest zugrunde gehen. Hier bekommst du Essen, Wasser, Abwechslung und Kameraden. Was will das Pferdeleben mehr?“ Sie beschoss mich mit giftigen Blicken. „Lass mich einfach frei, lieber gehe ich als wildes Pferd zugrunde, als hier bei Menschen zu leben.“ Mit ein paar kräftigen Galoppsprüngen schoss sie zu mir und forderte mich offen zu einem Kampf auf. „Mach das Tor auf, oder du bekommst meine Hufe

zu spüren“, knurrte Felicitas und giftete nach mir. Ich blieb ruhig und tat so, als würde mich ihr Gehabe überhaupt nicht interessieren, doch in Wirklichkeit war ich absolut aufmerksam und achtete auf Reaktionen von ihrer Seite, dass sie mich wirklich angreifen wollte. Sie tat es. Mit gesenktem Kopf schoss sie auf mich zu und wollte nach mir schnappen. Geschickt tänzelte ich zur Seite und sie verfehlte mich knapp. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Ludo die Hände vors Gesicht schlug. Doch weiter achtete ich nicht auf ihn. Ich war vollkommen auf das Pferd fixiert. Noch einmal ging sie auf mich los und

rechnete damit, dass ich zur Seite ging, diesmal kam ich ihr entgegen. „So nicht, Madame. Hast du verstanden?“, knurrte ich und versuchte ihr ebenfalls in den Hals zu zwicken. Zimperlich würde ich nicht sein, doch auch sie war gerissen und ich verfehlte sie. Jetzt stellte sie sich auf die Hinterbeine und ihre Hufe wirbelten vor meinem Gesicht. Schnell warf ich mich auf ihre Seite und stieß sie mit meinem gesamten Gewicht in die Seite. Die überraschte Felicitas strauchelte und knallte der Länge nach auf den Boden. Doch sofort war sie wieder auf den Beinen und ging erneut in den Kampf über. Sie war mir in Kraft und Schnelligkeit

weit überlegen, dass wusste wir beide, aber ich war geschickter und kleiner, so konnte ich mich an ihren ungeschützten Seiten zu schaffen machen, ohne selbst getroffen zu werden. Zuerst war ich aber mehr damit beschäftig, ihrem schnappendem Kiefer und den wirbelnden Hufen auszuweichen. Irgendwann schaffte ich es, mich an ihre Seite durchzukämpfen und ehe sie sich versah hatte ich ihr einmal kräftig in den Hals gezwickt. Ein paar Tropfen Blut rannen meine Fingernägel hinab, doch das war nur gut so. Sie musste ja schon spüren, dass ich nicht zimperlich war. Das waren Hengste ja auch nicht. Einmal an ihrer Seite ließ ich mich nicht

so schnell zurückdrängen. Bis sie sich überraschend schnell umdrehte und mir in den Arm biss. Verdammt. Ihr Kiefer war ein ganz schönes Stückchen in mein Fleisch eingeschlagen und mir wurde kurz schwarz vor den Augen. Meine Beine wollten nachgeben, doch ich kämpfte dagegen an. Jetzt waren wir beide verwundet, doch ich ließ mich nicht unterkriegen, gab ihr kräftige Stöße und zwickte sie hart. Bald (das Zeitgefühl hatte ich schon längst verloren) war ihr Hals schon leicht blutverkrustet und ihr Biss tat mir unendlich weh. Es war anstrengend für beide. Sie schwitzte genauso sehr wie

ich. Wir kämpften immer weiter, keiner wollte aufgeben. Irgendwann redete ich noch auf sie ein und es war egal, ob man es merkte oder nicht. „Felicitas, gib doch endlich auf, oder willst du die Herde verlassen?“ Eifrig nickte sie. „Genau das will ich ja, nur du stehst mir noch im Weg.“ „Was willst du alleine? Hier geht’s dir doch gut. Du hast Kameraden, musst dich nicht um Futter und Wasser sorgen und hast Abwechslung.“ „Darum geht’s mir doch gar nicht, aber es ist meine Herde. Und nicht deine!“ Achso, ich verstand. Ihren Drang nach Freiheit hatte sie schon recht früh während des Kampfes

verloren. Wir kämpften gerade wirklich nur noch um Respekt. Sie wollte, dass ich mich ihr unterwarf und ich wollte das Gegenteil. „Ich bin das ranghöhere Pferd. Sorge ich für dich oder du für mich?“ „Gib auf, Mensch. Gegen ein Pferd hast du doch gar keine Chance.“, schnaubte sie und ihre Flanken bebten. „Ach ja? Warum bin ich dann noch nicht tot?“ Statt einer Antwort warf sie sich mit ihrem ganzen Gewicht auf mich und versuchte mich in die Ecke zu drängen, aber ich schlüpfte unter ihrem Hals durch und drehte den Spieß. Ich zeigte meine Zähne, breitete die Arme aus und drängte in ihre Intimsphäre, sodass sie

ausweichen musste. Ich schaffte es, sie in die Ecke zu drängen. Langsam kapierte sie, dass wir mindestens gleichstark waren. Zwar versuchte sie mit Kraft, sich gegen mich zu werfen und so wieder Platz zu machen, doch immer im rechten Moment wich ihr aus, sodass sie das Gleichgewicht verlor und strauchelte. Diese Augenblicke nutzte ich, um ihr ordentliche Stöße zu geben und ihr in den Hals zu zwicken. Immer, wenn sie sich zurückzog und anfängliche Unterlegenheit demonstrierte, hörte ich auf sie zu bedrängen und ließ ihr kurz Zeit. Anfangs waren es noch wenige Augenblicke, doch irgendwann wurden

sie immer länger, bis sie keuchend aufgab. Frisches Blut rann ihr den Hals herunter, von dort, wo ich sie gerade gezwickt hatte. Statt etwas zu sagen, senkte sie den Kopf, kaute und versuchte Abstand zwischen uns zu bringen. Ich ließ sie. Ihre schweißnassen Flanken bebten vor Anstrengung, aber ich gönnte weder ihr noch mir eine Pause, obwohl sich mein Körper anfühlte, als würde er gleich in tausend Stücke zerspringen und auf der Stelle sterben. Doch noch war ich wachsam. Es konnte auch nur ein Trick sein. Aber Felicitas hatte mich als ranghöher akzeptiert. Als das feststand

gab ich ebenfalls auf, mich auf den Beinen zu halten. Ich ließ mich in den Sand sinken und keuchte. Punkte tanzten vor meinen Augen und ich spürte das Kopfweh vor Wassermangel jetzt deutlich. Davor war meine Erschöpfung wie weggeblasen gewesen, durch das Adrenalin, aber jetzt stürzte sie mit voller Macht auf mich ein. Mir wurde schwarz vor Augen. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf der Bank, die im Schatten der Stallungen stand. Lange war ich wohl nicht weg, denn mein Körper schwitze noch immer, obwohl ich nichts mehr tat. Vorsichtig krempelte ich das T-Shirt zur Seite, sodass ich die Schulterwunde

sehen konnte, die Felicitas mir zugefügt hatte. Sie sah nicht gerade gut aus und tat heftig weh. Da ich weder in der Lage war mich zu bewegen, noch es wollte, blieb ich einfach ein Weilchen liegen und beobachtete die Wolken. Dann bemerkte mich Ludo, der mich wütend, aber auch besorgt anblickte. „Du hast jetzt geschlagene zwei Stunden mit ihr gekämpft.“ „Zwei Stunden?“, murmelte ich erschöpft. „Kam mir vor wie ne halbe Stunde.“ „Bist du eigentlich noch ganz bei Sinnen?! Warum verletzte du das Pferd?“, fragte er dann sauer. Bedrückt senkte ich den Kopf. "Wenn es nicht notwendig gewesen wäre, hätte ich es

nicht gemacht.", brummelte ich ausweichend. "Das ist noch lange kein Grund, dem Pferd wehzutun! Das geht auch anders!", sagte Ludo, immer noch sauer. "Sie hätte dich nie respektiert! Außerdem hat sie mich ja auch gebissen!", versuchte ich mich zu verteidigen. Na, das fing ja gut an. Am zweiten Tag fängst du einen Streit mit deinem Vorgesetzten an, dachte ich missmutig. Ich wusste, ich war ein Dickkopf. Ludo schüttelte, immer noch wütend, den Kopf. "Wenn das noch einmal vorkommt...", meinte er nur noch warnend. Dann wechselte er das Thema. "Ist wenigstens alles ok bei dir?", er drückte mir eine Flasche

Wasser in die Hand, die ich auch in wenigen Zügen leer trank. „Bei mir schon, aber wie gesagt, kannst du dich bitte um Felicitas kümmern. Sorg dafür, dass auch ihre Wunden versorgt werden. Mich wird sie vorerst nicht an sich ranlassen, dafür hat sie zu große Angst jetzt vor mir. Sie sollte jetzt eigentlich Respekt vor Menschen haben. Schau, dass es ihr gut geht. Ich habe es ihr versprochen.“ Erschöpft legte ich meinen Kopf wieder auf die Bank und schloss die Augen. Schlafen konnte ich nicht, dafür hämmerte mein Herz noch zu sehr. Ich spürte, wie Ludo aufstand und wenig später sich jemand anderes neben mich

setzte. Ich öffnete ein Auge, um es gleich wieder zu schließen. Es war Louisa, die auch manchmal die Milady spielte. Sie gab mir etwas Kühles in die Hand. Jetzt öffnete ich endgültig die Augen und nahm das gekühlte Wasser dankbar an und trank es zur Hälfte. „Wir haben dir alle mal zugeschaut, du, das sah aber wirklich lebensgefährlich aus.“ Ich setzte mich auf und blickte sie an. „Das ist lebensgefährlich. In solchen Rangkämpfen sind auch schon Pferde gestorben. Zum Beispiel wenn zwei Hengste kämpfen: Nicht immer überleben es beide.“ Ich machte eine kurze Pause. „Haben mir wirklich alle

mal zugeschaut? Das habe ich gar nicht gemerkt.“, sagte ich schließlich. „Doch und die meisten waren schwer beeindruckt, aber auch gleichzeitig wütend, neben der Sorge um dich. Du hättest das Pferd nicht verletzten sollen. Wie geht es eigentlich deinem Arm?“, fragte Louisa und sah sich die Stelle an. „Oh, oh“, meinte sie, „Hast du dir das mal angeschaut?“ Wortlos nickte ich. „Komm mit.“, forderte sie mich auf und ich folgte ihr, als sie in Richtung Umkleideraum lief. Dort befand sich ein Medizinschrank und sie wusch mir die Wunde erst aus, um sie dann zu verbinden. Wortlos ließ ich ihre Fürsorge über mich ergehen. Als sie

fertig war, stand ich sofort auf und sah nach Felicitas. Die Stute stand mit hängendem Kopf in ihrer Box und als sie mich sah, wich sie respektvoll ein paar Schritte zurück. Immerhin war meine Arbeit nicht umsonst gewesen. Ludo stand bei ihr und versorgte ihre Wunden am Hals. „Du hast sie schon ganz schön zugerichtet. Weißt du das?“, fragte er und ein ärgerlicher Ton schwang in seiner Stimme mit. „Mich hat sie auch nicht verschont. Hätte ich das bei ihr nicht gemacht, hätten die zwei Stunden nichts gebracht.“, versuchte ich mich zu wieder verteidigen, wissend, dass es nichts

bringen würde. „Wie schlimm ist es denn bei ihr?“, fragte ich dann wieder versöhnlicher. Ludo seufzte. „Also Narben wird sie nicht haben, so viel Kraft hattest du gar nicht. Es sind nur ein paar Kratzer. Manche davon sind aber ziemlich tief. Ähnlich wie bei dir.“ Sie lebte ja noch. Hoffentlich würde mir Ludo verzeihen. „Ich geh mir die Show anschauen. Momentan habe ich keine Kraft mehr, um noch irgendein Pferd zu trainieren.“, wechselte ich schließlich das Thema und Ludovic nickte. „Klar, mach ruhig. Felicitas sieht auch nicht so aus, als hätte sie noch Kraft zu etwas.“ Es war gerade Viertel nach Zwölf.

Einlass für die Zuschauer. Ich lief zum Vorhang und schob ihn zur Seite. Noch war niemand da. Bevor man mich sehen konnte schlüpfte ich schnell hindurch und da strömten auch schon die Besucher in die Arena. Ich ließ mich auf einen der oberen Plätze bei dem Thron sinken und beobachtete, wie sich die Arena allmählich füllte. Dann begann es. Ich achtete nicht sonderlich auf die Handlung, ich kannte sie ja sowieso schon. Hinter mir stiegen Karel, Damien und Julien aus dem kleinen Fenster. Sie spielten heute die „Bösen“, die am Anfang die Musketiere im „Kebab“ provozierten. Sie schlugen mit mir ab

und Damien klopfte mir noch auf die Schulter. „Sah voll cool aus“, meinte er leise und ich verdrehte nur die Augen. Was war an einem Rangkampf so toll? Ich folgte nur halb der Show, nur bei den Pferden, da passte ich auf und beobachtete, wie sie sich verhielten. Sie waren absolut brav, spätestens als sie mich sahen sowieso. Morendo hatte mich gesehen und wieherte mir durch die ganze Arena eine Begrüßung zu. Ich verdrehte die Augen und schlug mir die Hand vors Gesicht. Morendo verstand und er konzentrierte sich wieder auf seinen Reiter. Stéphane spielte seine Rolle wieder perfekt und ich grinste, als er an mir vorbeilief. Nach der Show

blieb ich kurz sitzen, bis alle Besucher wieder herausgegangen waren. Mit ein bisschen mehr Energie als vorher, lief ich wieder durch den Vorhang zurück. „Tut mir Leid“, sagte ich zu Guillaume, der heute ausnahmsweise Morendo geritten war. „Wieso?“, wollte er wissen. „Wegen dem Wiehern. Ich habe das ungute Gefühl, dass es mir gegolten hatte.“ „Hat es auch.“, kam es prompt von Morendo. Guillaume winkte nur ab. „Ist halt ein Pferd und die wiehern auch mal.“ Plötzlich kam Marion Levavasseur von hinten. „Kommst du mit zum Mittagessen?“ Ich drehte mich um und erblickte sie mit Thorgal am Zügel. „Äh,

ja klar. Wohin?“, fragte ich. „Mal sehen, aber wir Mitarbeiter bekommen doch überall Rabatt, daher ist es also egal. Aber zuerst muss ich mich noch um Thorgal kümmern.“ Ich folgte ihr zu Thorgals Box. Der Cremello gähnte. Auch er hatte keine Lust mehr. Sie nahm den Sattel runter und hing die Trense an die Box. Ich nahm sie mir und ging sie auswaschen. Als ich wiederkam hatte sich Marion auch schnell umgezogen, was hieß, dass sie eigentlich nur ein anderes Oberteil angezogen hatte. Meines war noch verschwitzt und ich zog mir auch schnell ein anderes T-Shirt an, Gott sei Dank hatte ich mit so etwas gerechnet

und ein zweites heute Morgen eingepackt. „Kommst du?“, fragte Marion und ich eilte zu ihr. „Hast du heute Nachmittag eigentlich noch etwas vor?“, wollte sie wissen. „Nein, wieso?“ „Ach, Louisa will die letzten beiden Shows übernehmen und deswegen dachte ich, ich gehe ausreiten. Und ich dachte, ich frage dich mal, ob du mitkommen willst.“ Verwundert warf ich ihr einen Blick zu. „Schon gerne, aber mit welchem Pferd?“ Marion lächelte. „Jentillo. Normalerweise reitet Adrien ihn immer, aber der ist heute nicht da. Wir können auch gerne ein Stück durch den Park reiten.“ Ich grinste. „Kannst du

Gedanken lesen?“ Sie hob eine Augenbraue. „Wieso, weil du das auch liebst, die vielen neidischen Kleinkinderblicke?“ Ich lachte. „Oh ja, das ist das Beste, wenn man im Europapark arbeitet. Neidische Blicke.“ Marion gab mir einen sanften Stoß in die Seiten und grinste nur. Dann steuerte sie das Seerestaurant an. „Wir haben zwar auch eine Kantine, aber da gibt’s heute mal wieder Nudeln und da habe ich keine Lust drauf. Wenn du allerdings woanders essen willst, sag Bescheid.“ Ich zuckte die Schultern. „Mir egal, Hauptsache es gibt irgendetwas zu essen. Mein Bauch knurrt als hätte er seit Tagen nichts

mehr bekommen.“ Marion lächelte. „Knochenjob, nicht?“ Ich verdrehte nur die Augen und spielte an dem Verband von Luisa rum. Im Seerestaurant nahm ich Lasagne. Für Mitarbeiter gab es 50 Prozent Rabatt. So reichten meine fünf Euro noch für eine Cola. Nach dem Essen schlenderten wir wieder zurück und fuhren noch eine Runde Atlantica. Marion war echt nett. In der Warteschlange der Bahn wurden wir von zwei Mädchen angesprochen. „Ihr seid doch von der Pferdeshow? Oder?“, fragte eine und nickte zu Marions Reithose. Diese nickte. Sie verstand zu wenig Deutsch, um richtig antworten zu können. Also übernahm ich

das Gespräch. „Wieso?“, wollte ich wissen. „Ach, wir wollten nur sagen, dass uns die Show wahnsinnig gut gefällt. Du spielst doch die Milady?“, sie deutete auf Marion. Ich erklärte ihr es kurz auf Französisch. „Achso, ja, die bin ich.“, sagte sie auf gebrochenem Deutsch. „Du hast ein wunderschönes Pferd“, seufzte das eine Mädchen. Marion lächelte, das hatte sie verstanden. „Ich weiß“, sagte sie nur und überließ mir das Wort. „Wie alt ist er eigentlich?“ wurde noch gefragt. „Oh, ich glaube acht oder so. Und er heißt Thorgal“, antwortete ich. „Achso, danke.“ Damit war das Gespräch auch schon

beendet. Schließlich wechselte ich wieder ins Französische, was ich seit gestern überwiegend sprach. „Wie alt ist Thorgal, zehn, oder?“, fragte ich Marion. Sie dachte nach. „Ja, kommt hin, ich meine er ist erst sieben, aber das müssen wir nochmal schauen.“ „Die zwei Mädchen sahen aus, als wären sie riesige Fans von dir. Nicht, dass ich das nicht auch war.“, ich lächelte schief. Marion blickte mich empört an. „War? Ich will doch hoffen immer noch.“ „Natürlich“, und wir grinsten uns an. Dann waren wir dran. Nach der Fahrt gingen wir wieder zurück und putzten die Pferde. „Geht ihr

reiten?“, fragte Ludo. „Jap. Ich darf doch Jentillo nehmen?“, fragte ich. „Klar, kein Problem. Das ist aber mit Louisa abgesprochen, Marion?“, rief er Marion zu. Sie nickte, den Mähnenkamm zwischen den Lippen. „Dann ist ja gut. Viel Spaß.“ Ich bedankte mich und flocht Jentillos Mähne weiter ein. Der Wallach hielt brav still. „Was machen wir?“, wollte er wissen. „Wir gehen ausreiten. Zuerst durch den Park ein Stücken, mit Thorgal und Marion.“ „Super“, freute sich Jentillo. Als ich fertig war, warf ich ihm seinen Sattel auf den Rücken und trenste rasch. Kurz darauf stand ich fertig im Hof. Marion kam auch gerade aus

Thorgalss Box. „Kann’s losgehen?“ „Klar doch.“, meinte ich und schwang mich auf Jentillo’s Rücken. „Aber mach im Park langsam. Danach darfst du rennen.“, ermahnte ich mein Pferd, der gehorsam nickte. „Dann mal los.“, gab Marion das Startsignal und ritt zum Tor. Vom Pferderücken machte sie es auf und ich schloss es wieder hinter uns. Dann gab ich Jentillo den Zügel lang und lässig lief er neben Thorgal her. „Darf man das überhaupt?“, fragte ich, denn ich hatte sie noch nie hier reiten gesehen. Doch Marion nickte. „Herr Mack hat’s erlaubt, vorausgesetzt wir reiten nicht so lange nur im Park, reiten niemanden um und nur wenn wenig los

ist.“ „Dann ist ja gut.“ Wir badeten gerade in neidischen Blicken und genossen das richtig. Thorgal zog energisch vorwärts und Marion hatte alle Hände voll zu tun, damit ihr Pferd nicht davon stürmte. Ich sagte mal nichts zu ihm und ließ Marion neidisch werden, indem mein Pferd absolut ruhig. Doch bald verließen wir den Park im isländischen Themenbereich und kamen zu einem langen Feldweg, der ein Weilchen geradeaus führte. „Sollen wir?“, fragte ich Marion, die nickte und erleichtert die Zügel locker ließ. Jentillo hatte ebenfalls verstanden und preschte gleichzeitig mit Thorgal los. Die zwei

Pferde stürmten den Weg entlang, während Marion und ich im leichten Sitz, den Pferden erlaubten, das Tempo selbst zu wählen. Ich hob mein Gesicht und genoss den Wind, der uns um die Ohren schlug. Irgendwann gab ich mich völlig dem Takt der trommelnden Hufe hin und vergaß alles um mich herum. Genau jetzt spürte ich die Magie des Reitens, die mich schon immer dazu bewegt hatte, diesen Sport zu tun. Jetzt gab es nur noch mich und Jentillo, Marion und Thorgal nahm ich schon lange nicht mehr wahr. Das Zusammenspiel der vielen Muskeln und das Keuchen des Pferdes. Die Zeit schien stillzustehen. Doch

Jentillo wurde am Waldrand von selbst langsamer, als die offene Galoppstrecke zu Ende ging. Langsam erwachte ich aus meiner Trance und nahm die Zügel wieder auf. Neben mir wurde auch Marion langsamer und Thorgal verfiel schnaubend in den Schritt. Trotz, dass die Pferde sich so angestrengt hatten, waren sie glücklich. Denn das war ein Pferdeleben. Im vollen Galopp eine offene Strecke zu bewältigen. Marion wollte etwas sagen, doch ich hob kurz die Hand. „Einen Moment.“, noch völlig in der Magie des Reitens gefangen vergaß ich, dass sie Französin war und redete auf Deutsch, doch sie hatte verstanden. Es dauerte noch eine

Minute, in der wir stillschweigend nebeneinander ritten, bis ich mich gefasst hatte. Doch allmählich verging der Nebel aus meinen Gedanken und ich konnte wieder klar denken. Ich schüttelte kurz den Kopf. Dann nickte ich. „Was war los?“, fragte ich Marion. Sie lachte. „Na? Aufgewacht?“ Ich verdrehte die Augen. „Nee, Scherz. Ich wollte dir nur sagen, dass du wunderbar reiten kannst. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so gut reiten kann.“ Verlegen blickte ich auf Jentillos Hals. „Du bist aber auch nicht schlecht, zumindest wenn ich dich als in der Show sehe, gerade eben habe ich dich wohl nicht mehr gesehen.“

„Woran das wohl liegt…“, Marion blickte mich verschmitzt an, sagte aber nichts. „Aber mal ganz ernsthaft. Du siehst wirklich so aus, als wärst du der fehlende Teil des Pferdes. Und Jentillo sah unter dir ganz anders aus, als sonst im Sattel. Richtig aufmerksam und überhaupt nicht faul.“ Verwundert hob ich die Augenbraunen. „Faul? Das Pferd ist doch nicht faul!“ Marion stieß ein kurzes Lachen aus. „Hast du ihn schon mal unter einem anderen Reiter erlebt? Man muss ihn zu jedem Schritt überreden und du siehst aus, als würdest du überhaupt keine Hilfen geben.“ Tat ich ja auch nicht, nur die

mündliche Hilfen, aber das sagte ich natürlich nicht. „Bringst du es mir bei?“, wollte sie wissen. Ähm, ja, würde ich ja, wenn ich wüsste, warum ich mit Pferden reden konnte. „Tut mir Leid Marion, aber da gibt es etwas… Was mich daran hindert. Ich kann nur Fehler korrigieren und dir sagen, was dem Pferd wehtut, wenn du falsch reitest. Wenn du es genau wissen willst, ich reite auch erst seit 6 Jahren. Das ist nicht viel und das weißt du.“ „Aber warum kannst du es so gut? Es wirkt, als würde das Pferd jedes Wort verstehen, was du sagst. Wirklich jedes Wort.“, meinte sie. Ich lachte kurz auf, um mich irgendwie

aus dieser Situation zu befreien. „Das glaubst du ja selbst nicht, mit Pferden reden… Ich bin noch nicht mal Pferdeflüsterer.“ Gott sei Dank ging Marion nicht weiter drauf ein, sondern trabte Thorgal an. Der Hengst war schon etwas abgekühlt und wollte wieder rennen. Jentillo drehte kurz fragend den Kopf und als ich nickte, trabte er auch an. Er hatte einen ruhigen Trab, den man gut aussitzen konnte. So ließ ich den Schimmel am langen Zügel etwas versetzt hinter Marion hertraben. Die Abendsonne schien durch das dichte Laub und malte Muster auf den Waldboden. Thorgal sah in dem Licht noch viel heller aus, er strahlte fast.

„Wie ein Engel“, sagte ich und meinte damit Marion, mit ihren blonden Haaren und Thorgals helles Fell. „Wer?“, wollte sie trotzdem wissen. „Na, ihr beide. Ihr passt zusammen wie Pech und Schwefel. Ihr müsstet euch mal sehen, ihr seht nicht schlecht zusammen aus.“ „Danke“, meinte Marion nur und schaute verlegen weg. Jentillo warf mir einen empörten Blick zu. „Und ich? Ich bin doch auch hübsch? Oder?“ Grinsend kraulte ich ihm den Hals, beugte mich nach vorne und flüsterte ihm, „Klar doch, du bist doch der Allerschönste.“, ins Ohr. Dann richtete ich mich wieder auf und warf Marion einen Blick zu. „Also, meinst du

das nicht auch? Irgendwie habe ich das Gefühl, die Pferde wollen nochmal rennen… Kommen die nicht genug raus?“ „Wir sind doch gerade eben schon galoppiert, aber ich kann Thorgal auch nicht halten. Dann reiten wir eben auf dem Rückweg nur Schritt, also los. Da vorne ist übrigens eine gute Springstrecke. Falls du willst.“ Ich übersetzte kurz für Jentillo und der war hellauf begeistert. „Uh ja, wenn sie nicht so hoch sind. Ich bin dabei.“ Unruhig tänzelte er unter mir, statt normal zu traben. „Sollen wir?“, fragte ich Marion. Diese nickte und Thorgal stürmte augenblicklich los. Jentillo wollte hinterher. „Warte kurz, wir lassen

erst Thorgal Vorsprung, damit wir ihn nachher nicht in die Quere kommen.“ Jentillo war zwar ungeduldig, tat aber wie geheißen und kaum gab ich ihm das Signal, stürmte er los. Diesmal konnte ich mich nicht der Magie hingeben, denn ich musste aufpassen, dass er nicht zu schnell wurde. „Hey, Jenni, willst du springen oder die Hindernisse plattwalzen?“, rief ich ihm zu und wiederwillig verlangsamte er seinen wilden Galopp. Dann kam das erste Hindernis. Ich schloss die Augen, denn ich wusste, Jentillo konnte man vertrauen. Ich verlegte mein ganzes Gefühl auf das Pferd. Dass wir kurz vor dem Absprung

waren, spürte ich an dem Anspannen sämtlicher Muskeln. Darauf folgte der Moment des Flugs. Die Schwerelosigkeit, die wie Fliegen war. Das Kraftpaket unter mir, spannte wieder seine Muskeln an und wir landeten sanft. Es war wie ein Flug ins All und wieder zurück, denn sofort öffnete ich die Augen und lenkte Jentillo behutsam in die Mitte des nächsten Hindernisses. Wieder das Anspannen der Muskeln, die Schwerelosigkeit, die mir der Atem raubte, der Aufprall. Diesmal überließ ich dem Pferd die Führung. Jeder einzelner Galoppsprung war ein Zeichen für die Faszination des perfekten

Zusammenspieles der Muskeln. Der Absprung, der Flug, der Aufprall. Die Galoppsprünge und wieder der Sprung. Doch diesmal öffnete ich die Augen, denn sonst würde Marion vielleicht Verdacht schöpfen. Der letzte Sprung war der Höchste. Jentillo spannte sämtliche Muskeln an und stieß in den Himmel. Meine Gefühle flogen gleich noch 100 Meter höher. Diesmal ging der Moment des Flugs länger und doch schaffte Jentillo sich wieder sanft auf dem Boden abzusetzen. Lächelnd klopfte ich ihm den Hals. „Gut gemacht, Dankeschön.“ Jentillo nickte nur. „Immer doch, für dich gerne.“ Marion schüttelte nur den Kopf. „Eigentlich

springt er überhaupt nicht gerne. Wie du es geschafft hast, ihn noch zu 20 Zentimeter mehr zu überreden, als eigentlich nötig gewesen wäre, bleibt mir ein Rätsel.“ Irgendwann werde ich es ihr sagen, beschloss ich, aber noch war es zu früh. Den restlichen Weg legten wir im Schritt zurück. Die Pferde waren jetzt sowieso fertig. Selbst Thorgal ging am langen Zügel, obwohl er eigentlich lieber schnell lief. Ich genoss den Ritt, wie immer bekam ich meinen Kopf frei, bis ich nur noch an das Pferd und mich dachte. Auch Marion war ruhig, sie schien den Sonnenuntergang genauso zu genießen. Ich sog die letzten warmen

Strahlen in mich auf, denn als wir wieder im Park waren, war es schon erheblich kühler. Müde, aber glücklich versorgte ich Jentillo, verabschiedete mich und fuhr nach Hause. Ich wollte früh ins Bett, denn wir hatten am nächsten Morgen wieder Schule. Hatte ich überhaupt Hausaufgaben gemacht? Ich glaubte es, war mir aber nicht sicher. Egal, ich konnte eh keinen klaren Gedanken mehr fassen.

Kapitel 3

Am nächsten Morgen stand ich früh auf, packte meine Schulsachen und meine Reitsachen. Nach der Schule würde ich direkt nach Rust fahren. Im Zug konnte man auch Hausaufgaben machen. Ich schnappte mir noch zwei Äpfel und ging. Auf dem Weg zur Bushaltestelle aß ich einen Apfel. Der andere war für Morendo. Diana stand schon da. Sie war eine Freundin aus meinem Ort, die mit mir in die Schule fuhr. Sie hob eine Augenbraue als ich kam. „Du riechst ein bisschen nach Pferd.“, stellte sie fest. Hä? Ich hatte doch geduscht. „Jetzt war

ich zwei Tage nur von Pferden umgeben und schon bekomme ich den Geruch nicht mehr raus.“, erklärte ich und verdrehte die Augen. „Wieso, wo warst du?“, wollte Diana wissen. „Bei meinem Job. Ich arbeite jetzt als Pferdetrainerin.“ Diana beließ es dabei, fragte nicht weiter nach. Doch Eliza würde ich es erzählen. Sie war meine beste Freundin und ich liebte ihre Reaktion, wenn sie rausfand, dass ich sie wieder verarschte. Zumindest würde sie es für eine Verarsche halten. Ich meine, wer glaubt schon, dass ich im Europapark arbeitete? Und wirklich. Als ich mich auf den Platz neben ihr fallen ließ und meine Tasche unter den

Tisch warf, lächelte sie erst einmal zur Begrüßung. „Hatten wir Hausaufgaben?“, fragte ich, doch sie schüttelte den Kopf. „Gott sei Dank, ich hatte nämlich keine Zeit.“ „Wieso, wo warst du?“ „Im EP.“ Sie verdrehte demonstrativ die Augen, denn wir hatten die letzten zwei Jahre eine Jahreskarte gehabt und waren dementsprechend oft gewesen. „Alleine?“, wollte sie wissen. „Nö, naja, alleine kann man es eigentlich nicht nennen. Ich arbeite doch jetzt dort, habe ich das nicht erzählt?“ Eliza verdrehte wieder die Augen. „Haha, sehr lustig.“ Verwirrt zog ich die Augenbrauen

zusammen. „Wieso, ernsthaft.“ „Hanna, ich kenne dich. Du sollst mich nicht verarschen.“ „Wieso sollte ich dich verarschen?“ Sie zuckte die Schultern. „Weil du das regelmäßig tust?“ „Nee, ich arbeite wirklich dort.“ „Jaha, das ist nicht mehr lustig. Ernsthaft!“ „Aber ich arbeite dort wirklich!“ „Tust du nicht.“ „Doch!“ „Nein!“ „Doch!“ „Nein!“,… das ging so weiter bis fünf Minuten später die Dritte im Bunde, Selina, reinkam und sich zu uns setzte. „Um was geht es?“, fragt sie und Eliza unterbrach ihr Nein und ich nutzte schnell die Gelegenheit um nochmal „Doch!“, zu sagen. „Halt die Klappe!“, fuhr sie mich an und ich streckt ihr die

Zunge raus. Da bekamen wir beide einen Lachkrampf. „Ihr seid wie so zwei kleine Kinder!“, stellte Selina trocken fest. Doch Eliza fasste sich wieder. „Sie behauptet felsenfest, im Europapark zu arbeiten. Aber sie verarscht mich damit!“ „Tue ich nicht, ich arbeite dort wirklich!“ Selina hob schlichtend die Hände. „Ja, ist gut. Hanna, warum solltest du im Europapark arbeiten und als was?“ Eliza wollte Einspruch erheben, aber Selina gab ihr ein Zeichen zum still sein. Wortlos hielt ich ihr den Mitarbeiterausweis unter die Nase. „Ich arbeite als Pferdetrainerin in der

spanischen Arena.“ Eliza sah ihn sich an. „Ist der gefälscht?“ „Warum sollte ich einen Ausweis fälschen?“, konterte ich. „Ich trau dir alles zu“, meinte sie trocken, worauf von mir ein empörtes „Danke!“, kam. Wir wollten unsere Diskussion fortsetzten, doch unser Mathelehrer, Herr Tschisgale alias der Zombie (er sieht ein bisschen wie ein Zombie aus, redet so und naja…), kam herein. Wortlos ließ ich Mathe über mich ergehen. Doch in der Pause ging es weiter, sogar die Jungs mischten sich ein, worauf wir Mädchen wieder total genervt waren, was unsere Diskussion wieder in die nächste Pause verschob. Doch auch dort lagen uns die Jungs auf

den Nerven. „Was? Wer geht in den Europapark?“, fragte Lars neugierig. „Ach, sei Ruhig“, fuhr ich ihn an, worauf er überrascht zurückzuckte und zu seinen Freunden ging. „Hanna hat mich angeschrien, oh, müssen wir uns jetzt Sorgen machen?“, fragte er ironisch und ging aus dem Klassenzimmer. Ich feuerte Blicke in seinen Rücken. Mittlerweile hatte ich Eliza zumindest so weit, dass sie mir wenigsten ein bisschen glaubte. So erzählte ich ihr von den zwei Tagen und die Deutschstunde ging mit ein paar Ermahnungen schnell vorbei. Gleich nach dem Unterricht packte ich meine Sache und ging zum Zug. Dort erledigte

ich, wie vorgehabt, meine Hausaufgaben, und ging direkt in die spanische Arena. Dort hatten sie gerade eine Aufführung. Ich wurde von allen kurz begrüßt, doch ich ging ohne Umschweife zu Felicitas‘ Box. Unterwegs aß ich den Apfel, der für Morendo gedacht war, denn ich hatte schon wieder keine Zeit für Essen gehabt. Als Felicitas mich erblickte, warf sie mir einen bösen Blick zu, aber akzeptierte mich als Ranghöher. „Hallöchen Felicitas“, begrüßte ich sie. „Hi“, murmelte sie trocken. „Keine Lust, gell?“ Ich grinste. „Nach gestern nicht mehr“, brummelte sie. Ich nahm ihr Halfter vom Haken und wedelte

damit. „Kommst du?“ Sie verdrehte die Augen, trottete aber willig in meine Richtung. Zwei Schritte vor mir blieb sie stehen. „Wehe, du tust mir was.“, sagte sie plötzlich. „Nur, wenn du deinen Rang nicht akzeptierst, dann ja.“ Brav ließ sie sich aufhalftern und über den Hof zum Platz führen. Dort ließ ich sie wieder frei. Sofort brachte sie einen Abstand von drei Meter zwischen uns. Das war ein angemessener Abstand, für den Unterschied zwischen den Rängen. Reiten konnte ich sie wohl nicht mehr, wenn ich meinen höheren Rang behalten wollte. Ihr Blick ruhte auf mir, als ich sie nach draußen auf den Hufschlag schickte. „Na dann, lauf mal Schritt,

Große.“ Sie gähnte und setzte sich in Schritt. Ihr Blick glitt immer wieder von mir ab und sie war total unaufmerksam. So ließ ich mir etwas einfallen. Sobald sie wieder an der langen Seite war, rannte ich schnell vor sie. Augenblicklich drehte sie sich herum und galoppierte ein Stück von mir weg. „Das war die falsche Reaktion, Felicitas.“, ermahnte ich sie, dann ließ ich sie wieder Schritt laufen. Nach einer Weile, ihre Aufmerksamkeit ging schon wieder verloren, sprang ich wieder vor sie und diesmal dachte sie kurz nach, bevor sie reagierte. Schließlich ging sie rückwärts. „Ok, aber das nächste Mal,

bitte etwas schneller.“ Das machte ich noch ein paar Mal mit ihr, bis sie es kapiert hatte. Daraufhin setzte ich mich auf den Zaun und ließ sie noch ein bisschen laufen, damit sie richtig bewegt war. Eine halbe Stunde zwischen Trab und Galopp genügte und ich brachte sie wieder zurück in die Box. Danach spielte ich noch ein paar Spielchen mit Hidalgo, der heute ebenfalls nicht viel bewegt wurde und ging dann heim, nicht ohne vorher noch etwas zu essen. Diesen Tagesablauf hielt ich durch. Die Schule, das Training mit Felicitas und ein paar Spielchen mit einem Pferd. Am Freitagmorgen fing es an. In der

Schule hatte ich furchtbar Kopfschmerzen. Ich konnte mich kaum konzentrieren. Es war als hämmerte jemand von innen, gegen meine Schläfen. Trotzdem ging ich zu den Pferden, nach Rust. Im Zug wechselten dann meine Kopfschmerzen zu einer unbeschreiblichen Übelkeit, ich schaffte es kaum mich aufrecht zu halten. Trotzdem schaffte ich es irgendwie zum Europapark. Vor Morendos Box ließ ich mich auf den Boden sinken, denn jetzt war mir schwindelig. „Ich verstehe das nicht, Morendo. Erst Kopfschmerzen, dann Übelkeit und jetzt Schwindel. Nie kommt etwas zusammen und richtig krank fühle ich mich auch

nicht.“ Morendo warf mir nur einen besorgten Blick zu. „Geh lieber nach Hause.“, schlug er vor, doch ich winkte ab. Ich war nicht mal mehr in der Lage, Felicitas zu trainieren. Marion sah das und sie würde mich am liebsten nach Hause schicken, aber ich lehnte ab. „Lass Marion, so schlecht geht es mir nicht.“ Marion schüttelte ironische den Kopf. „Nee, du bist ja nur nicht mehr in der Lage, aufrecht stehen zu bleiben. Also gut, was soll ich machen?“ Sie hatte sich dazu entschieden, mir mit der Stute zu helfen und stand nun mit ihr in der Mitte des Platzes. „Lass sie am langen Zügel gehen, sie soll ein bisschen besser auf

die Hilfen reagieren.“ Marion verstand, sie stellte sich rechts hinter Felicitas und führte sie an zwei Longen, die wie Zügel befestigt waren. Ich ließ Marion das ein Weilchen machen, denn Felicitas war brav und bald hatten beide den Dreh raus. Doch mehr konnte ich nicht sehen, denn plötzlich verschwamm die Welt vor meinen Augen und die Übelkeit wechselte zu Kopfweh. Ich schloss kurz die Augen und lehnte mich an den Zaun. „Du siehst nicht gut aus, Hanna. Sicher dass es dir gut geht?“ Ich nickte nur. „Soll ich Ornella fragen, ob sie dich mitnimmt, sie wohnt ja auch in deiner Nähe.“, fragte Marion besorgt. Ornella

war mit Louisa befreundet, aber ich hatte sie noch nicht kennengelernt. Sie war eine Sängerin in einer anderen Show, die ich auch sehr mochte. Waterloo. Deswegen wollte ich mich mal mit ihr treffen. Das hatte ich in den nächsten zwei Tagen geplant. „Lass gut sein, ich bleibe hier.“ Als Marion merkte, dass ich ein Dickkopf war, gab sie nach und sammelte Felicitas ein. Vorsichtig richtete ich mich auf, indem ich mich am Zaun hochzog, und folgte Marion und Felicitas in den Stall. Dort hielt ich mich an den Eisenstäben der Boxen fest, um nicht umzufallen, denn das traute ich mir, ehrlich gesagt, gerade zu. Vielleicht sollte ich doch nach

Hause? Nein, bei den Pferden fühlte ich mich am wohlsten. So blieb ich. Es war ein schöner Tag und ich nahm Morendo mit nach draußen und ließ ihn grasen. Ich legte mich ins Gras und versuchte die Schmerzen, mittlerweile kamen sie wieder aus dem Bauch, zu ignorieren. Morendo zog nicht am Strick, er lief gelassen um mich herum. Er würde mich nicht treten, oder so, das wusste ich. Über mir flogen ein paar Wolken herum. Und für einen Moment vergaß ich meine Schmerzen. Ich hörte das Kauen des Pferdes, spürte das Kitzeln des Grases an meiner Wange und plötzlich fühlte ich mich der Erde ganz nah. Die Sonnenstrahlen wärmten

meinen Körper und breiteten sich wie eine Decke über mich aus. Morendo hatte Spaß daran, mich zu ärgern, und fuhr mir sanft mit der Schnauze über das Gesicht. Ich lachte. „Hör auf, das kitzelt!“, beschwerte ich mich. Liebevoll stupste er mich an und ich drückte ihm ein Kuss auf die Nase. Er nahm seine Schnauze aus meiner Reichweite. „Hey!“, beklagte er sich und ich lächelte ihn an. Nach ein paar Minuten, die sehr entspannend waren, brachte ich Morendo wieder in seine Box. Wobei er mehr mich führte, als ich ihn, denn ich missbrauchte seine starke Schulter als Stütze. „Geh nach Hause, Hanna!“, brummelte er

besorgt. „Hmm, bald. Wenn ich es schaffe, bis zum Parkausgang zu laufen.“ Morendo verdrehte die Augen. „Frag doch, ob dich jemand mitnimmt.“ „Mal schauen…“, meinte ich schwach und ging, wobei meine Hand immer die Nähe der Gitterstäbe suchte, damit ich mich festhalten konnte. Draußen ließ ich mich auf den Boden vor einer Box sinken. Normalerweise war das Marions Platz, aber das war mir grad egal. Es lief gerade die letzte Show. Um mich herum wärmten sich die Darsteller auf. „Du siehst nicht gut aus, Hanna.“, meinte Christophe. Er hatte Rango, sein Pferd, am Zügel. Langsam regte es mich

auf. „Ich weiß es langsam!“, fauchte ich, stand rasch auf und wollte weggehen. Doch ein Schwindelanfall hinderte mich daran. Fast wäre ich wieder hintenüber gekippt, doch ich krallte mich an dem Fenster von der Box fest. Tief durchatmend wollte ich meinen Weg fortsetzten, kam dann aber nach ein paar Metern zum Schluss, dass es besser wäre, wenn ich lieber noch ein paar Minuten sitzen bleiben würde. Missmutig ließ ich mich wieder auf den Boden sinken. Christophe hob eine Augenbraue, sagte aber nichts, sondern schwang sich auf sein Pferd und ritt in die Arena. Ich gab es auf, aufzustehen

und verbrachte die Zeit während der Show, allen, die an mir vorbeiliefen, missmutige Blicke zuzuwerfen. Man machte einen Bogen um mich herum, was mir gerade recht war. Marion kam als Erste wieder zu mir. Sie hatte sich wieder in ihre Alltagskleidung geworfen und ließ sich neben mich sinken. „Wolltest du nicht nach Hause?“, fragte sie beiläufig. „Du bist gut“, brummelte ich schlecht gelaunt, „Leider musste ich mit Bedauern feststellen, dass ich mich nicht mehr vom Fleck bewegen kann.“ Marion seufzte und stand auf. Sie reichte mir die Hand und half mir aufzustehen. „Was ist bloß los mit dir? Warum

kommst du überhaupt hierher, wenn es dir so schlecht geht?“ Entschuldigend blickte ich sie an. „Heute Mittag ging es mir, im Vergleich zu jetzt, noch richtig gut. Das wird irgendwie mit jeder Minute schlimmer. Ich habe keine Ahnung, was los ist.“ Entschuldigend sah ich sie an. „Na komm“, murmelte sie und legte mein Arm um ihre Schultern. „Wehe, du kommst morgen, wenn es dir immer noch so schlecht geht.“ „Bin ich blöd? Wenn ich nicht mal mehr richtig laufen kann?“ Jetzt lächelte Marion. „Wenigstens bist du jetzt einsichtig. Vor zwei Stunden warst du sturer.“ Dann setzten wir uns

langsam in Bewegung. Dankbar nahm ich ihre Hilfe an. Mir ging es wirklich mit jeder Minute schlechterer. Als wir gerade vor dem Tor standen kam plötzlich ein Ruf aus dem Stall. „Hanna, ich weiß was mit dir los ist!“, rief Morendo. „Warte mal“, meinte ich zu Marion. Sie hielt inne. „Bist du noch da?“, wollte er wissen, er konnte mich nicht mehr sehen. Ich pfiff, als Zeichen, worauf Marion mich verwirrt anblickte. Irgendwann musste ich es ihr sowieso erzählen. „Du verwandelst dich. Die erste Verwandlung kommt meist einer Krankheit gleich. Dein 210. Vollmond. Wir haben Vollmond!“ Ich machte mich

von Marion los und sammelte meine Kräfte um zu Morendo zu laufen. Zwischendurch fiel ich immer wieder hin, weil meine Kraft schwand, doch ich gab nicht auf. Marion lief mir hinterher. „Was machst du?“, fragte sie entsetzt, doch ich beachtete sie nicht. Endlich war ich bei Morendo. Ich lehnte mich an seine Boxentür. „Glaubst du wirklich?“, fragte ich. „Ja, ziemlich sicher. Deswegen geht es dir mit jeder Minute schlechter, weil die Verwandlung noch heute sein wird. Heute Nacht. Dein Körper ist die neuen Pferdeorgane noch nicht gewöhnt. Deshalb tut es dir so weh.“ Na super. „Und du bist dir sicher, weil

das eigentlich nicht geht“, wandte ich ein. „Uns verstehen geht eigentlich auch nicht.“, meint Morendo gleichgültig. „Bleib hier, dann kann ich dir vielleicht helfen.“, schlug er vor. „Ja, schon klar. Vor allem, weil ich dann überall für verrückt erklärt werde.“, meinte ich. „Redest du mit dem Pferd?“, fragte Marion neugierig, die schon die ganze Zeit neben mir stand, ich sie aber nicht bemerkt hatte. Erschrocken fuhr ich zusammen. „Sei mal kurz ruhig, ich erkläre es dir später, schau mal, ob noch jemand in der Nähe ist, der uns belauschen könnte, weil noch so viel los ist.“ Morendo sah mich an. „Jetzt weiß sie es sowieso. Ihr

könntet beide hier bleiben. Vielleicht brauchst du seelischen Beistand.“ Er grinste. Ich warf ihm einen bösen Blick zu. Marion kam wieder. „Nee, keiner da.“ „Ich muss hier übernachten. Morendo will es und wenn es stimmt, was er sagt, dann wäre es besser.“ Marion hob eine Augenbraue. „Was er sagt… Du kannst ihn richtig verstehen, nicht wahr?“ Prüfend blickte ich sie an. „Wenn du mir versprichst es niemanden zu sagen. Die halten mich doch alle für verrückt. Du auch, stimmt‘s?“ Langsam schüttelte Marion den Kopf. „Nein, ganz und gar nicht. Wenn du sagst, du kannst ihn verstehen, glaube ich dir. Warum eigentlich?“,

wollte sie wissen. „Warum ich Pferde verstehen kann und sie mich? Vielleicht finden wir das heute Nacht heraus, aber dazu sollte ich am besten nicht nach Hause gehen.“ Marion dachte nach. Dann nickte sie. „Ok, ich bleibe mit dir hier. Das stört keinen. Du bist sowieso nicht mehr in der Lage, noch irgendwo hinzugehen.“ Ich seufzte zur Bestätigung. „Ich gehe etwas Essen holen. Soll ich dir etwas mitbringen?“ Wortlos nickte ich und ließ mich auf den Heuballen vor Morendo’s Box sinken. Marion kam bald wieder und warf mir ein belegtes Brötchen zu. Dankbar nahm ich es an und aß es. Wir saßen ein

Weilchen da und beobachteten, wie der Park schloss und langsam sich alles leerte. Währenddessen erzählte ich ihr von meiner Fähigkeit. „Also verstehen Pferde Menschen eigentlich nicht.“ „Nein, es sei denn der Mensch hat einen Gendefekt.“, antwortete ich. „Das ist kein Defekt.“, protestierte Morendo. „Ist ja gut, aber ob deine Theorie stimmt, wissen wir noch nicht.“ Marion musste immer erst überlegen mit wem ich sprach. „Was sagen sie eigentlich so? Die Pferde meine ich? Und was hält Thorgal von mir?“ Ich lächelte. „Frag ihn doch. Mach mal seine Boxentür auf. Ich kann leider nicht mehr aufstehen.“, meine

Schmerzen waren mittlerweile ein taubes Gefühl in meinem Unterbewusstsein geworden, das sich langsam, aber sicher im ganzen Körper ausbreitete. Ich hörte, wie eine Boxentür aufging. „Thorgal, komm mal bitte her.“, rief ich mit schwacher Stimme. Doch das Pferd mich hatte verstanden. Es trabte zu mir. „Marion will mit dir reden. Ich soll dolmetschen.“ Thorgal nickte. „Gerne. Fangt an.“ Marion tauchte auf und schloss erst noch sämtliche Türen, weil es draußen schon merklich abgekühlt war und schon dunkel war. Nur eine schwache Stalllampe leuchtete noch. „Schieß los.“, sagte ich zu Marion.

„Hmm, also zuerst will ich wissen, ob ich ihn denn gut behandele oder zu hart rannehme. Ich wiederholte es für Thorgal. „Ja, sie behandelt mich ganz gut, nur manchmal ruckt sie mir arg im Maul rum. Aber sie ist ansonsten nett zu mir. Ich mag sie.“ Ich grinste schwach. „Du kleiner Schleimer… Marion, du nimmst ihn manchmal zu hart ran, das tut ihm im Maul weh. Aber er hat dich sonst ziemlich gerne...“, Das Gespräch verlief noch eine halbe Stunde so, bis beide sich ausgesprochen hatten und Thorgal in seine Box zurückgekehrt war. Bald darauf fing es bei mir an. Plötzlich konnte ich mich nicht mehr aufrecht halten und die ganzen Schmerzen rollten

auf mich ein. Ich rollte mich auf eine der Decken, die Marion dafür geholt hatte, zusammen und versuchte gleichmäßig zu atmen. Sofort war meine Freundin bei mir. Sanft strich sie mir die Haare aus der verschwitzten Stirn. „Sch… Alles wird gut.“, murmelte sie. Tränen rannen mir über die Wange. „Es tut so weh“, wimmerte ich. „Ganz ruhig. Bald hast du es hinter dir.“, Marion versuchte mich zu trösten. Doch ich grub meine Finger in den Boden, während ich versuchte den Schmerz auszuschalten. Marion legte ihre Hand auf meine. „Lass das, du tust dir selbst weh.“, meinte sie leise. Ich nahm mich zusammen und mein ganzer Körper

spannte sich dabei an. Meine Muskeln drückten deutlich hervor und die Sehnen waren zum Zerreisen gespannt. „Atmen nicht vergessen“, erinnerte mich Marion und ich holte keuchend Luft. Es fiel mir alles schwerer. „Willst du was zu Trinken?“, wurde ich von ihr gefragt. Unter Schmerzen nickte ich. Meine Kehle war wie ausgedörrt. Vorsichtig hielt meine Freundin mir eine Flasche Wasser an die Lippen, und ich trank dankbar ein paar Schlucke. „Soll ich den Arzt rufen?“, fragte sie mich noch, doch ich verneinte. „Bloß nicht, das ist keine Krankheit“, murmelte ich schwach. „Der Vollmond hat seinen höchsten Stand erreicht. Es geht los.“,

bestätigte Morendo. Stockend wiederholte ich die Information für Marion, die neben mir kauerte. Mein Körper fing an unkontrolliert zu zucken und sich hin und her zu winden. Atme gleichmäßig, fuhr ich mich in Gedanken selbst an, obwohl es sich so anfühlte, als ob ich in Flammen stand. Mir war wahnsinnig heiß und alles schmerzte. Ich zog mein T-Shirt aus und schälte mich aus der Hose, denn ich hatte die ungute Vorahnung, dass sich das nicht mit verwandelte. Richtig, den mir wuchs schon ein dichtes, weißes Fell. Marion beobachtete mich fasziniert, wie ich mich am Boden wand und langsam jedes Körperteil sich in ein

Pferd zu verwandeln begann. Morendo starrte mindestens genauso neugierig. Mein Haar wurde länger und färbte sich silbern. Meine Knochen dehnten sich und verlängerten sich ebenfalls. Bald hörten die Schmerzen auf und ich lag erschöpft am Boden. Meine Sicht war schärfer geworden und ich fühlte mich anders. Ganz langsam rollte ich mich auf den Bauch. Ja, ich war wirklich zu einem Pferd mutiert. Es war Absurd, doch ein schönes Gefühl. Mein Fell war weiß und das Langhaar glänzte silbern. Marion rutschte zu mir. „Hanna?“, frage sie leise. Ich wandte meinen Kopf zu ihr. Vorsichtig nickte ich und stand langsam

auf. Mein Schweif fiel bis zum Boden und die Mähne ging mir bis über die Schultern. Ich war ein wirklich schönes Pferd. Vorsichtig berührte Marion mich, ihre Hand glitt über meinen Hals. „Das ist unglaublich.“, hörte ich sie sagen. Ja. Das war es. Vorsichtig machte ich ein paar Schritte Richtung Ausgang. Ich konnte viel besser laufen als vorher. Und wie ich laufen konnte. In meinen Hufen kribbelte es. Kaum war ich außerhalb des Stalls schoss ich schon los. Meine Hufe donnerten über den Beton und ich streckte die Nase in den Wind. Das war das Gefühl der Freiheit. Ich war muskulöser geworden. Die

Ausdauer, die mir nun zur Verfügung stand, gefiel mir. Ich rannte eine Runde um die Arena, bevor ich wieder zu Marion, die an der Stalltür wartete, zurückkehrte. Ein paar Meter vor ihr, stellte ich mich auf die Hinterbeine und demonstrierte so meine Stärke. Marion war beeindruckt. Dann kam ich mit gesenktem Kopf wieder zu ihr. „Hallo, Hanna.“, sagte sie leise und fuhr mir über die Stirn. „Hallo, Marion“, erwiderte ich und ich wusste, sie konnte mich immer noch verstehen. Aber meine Stimme verwirrte mich zuerst. Sie klang magisch, tief und hoch gleichzeitig. „Thorgal?“, rief ich. „Lässt du dich ohne

Sattel reiten?“ Der Cremello war sofort Feuer und Flamme. „Ein Nachtausritt? Ich bin dabei!“ Vorsichtig kam ich an seine Box. Natürlich erschrak er sich vor mir. „Ich bin es nur. Hanna.“, murmelte ich. „Achso, deshalb kannst du uns also verstehen.“ Selbstständig öffnete er seine Box und ging zu Marion, um sich vor ihr niederzulegen. Sie rutschte auf seinen Rücken und ihr Pferd stand auf. Der Vollmond tauchte uns in ein mystisches Licht. Langsam setzte ich mich in Bewegung. Thorgal lief mit. Marion schwieg und verließ sich ganz auf ihr Pferd. Bald waren wir wieder auf der Galoppstrecke von Sonntag letzte Woche. Mit jedem

Schritt kehrte meine Kraft zurück und ich spürte sie aus der Erde direkt in mich strömen. Die Freiheit war zum Greifen nahe. Da hielt mich nichts mehr im Schritt. Spielerisch schlug ich nach Thorgal aus und rannte über das Feld. Mein langer Schweif wehte hinter mir her und die Mähne hüllte mich bei jedem Bocksprung in eine silberne Wolke. Ich warf mich herum und sah nach Thorgal. Er stand noch da und beobachtete mich, denn Marion erlaubte ihm gerade nicht, zu mir zu rennen. Doch dann rutschte sie von seinem Rücken und ließ ihn machen, was er wollte. Der Hengst stürmte auf mich zu und rammte mich

sanft. Sofort ließ ich mich auf diesen spielerischen Kampf ein. Es machte mir Spaß meine Kraft zu zeigen. Vorsichtig rammte ich Thorgal zurück. Dieser ließ das nicht mit sich machen und schwang sich auf die Hinterbeine. Sofort tat ich es ihm nach und wir verkeilten uns zu einer einzigen Silhouette im Mondschein. Bis ich mich von ihm abstieß und ein Stück davongaloppierte. Doch der Hengst folgte rasch, bis wir ein kleines Wettrennen starteten. Seite an Seite preschten wir über das Feld. Es war ein schönes Gefühl, meine Hufe über den Boden trommeln zu spüren. Den Wind, der mit meiner Mähne spielte und mein Fell kräuselte. Wir rannten

unentschieden. So griff ich Thorgal im Spiel nochmal an. Doch nach einer Weile ließ ich von ihm ab. Nicht ohne noch einmal nach ihm auszuschlagen. Liebevoll zwickte er mich in den Hals und ich schob ihn sanft Richtung Marion. Diese hatte auf uns gewartet und lächelte, als wir Seite an Seite zu ihr zurücktrabten. Eine Träne schimmerte auf ihrer Wange. Thorgal fuhr ihr sanft mit der Schnauze darüber und ließ sich kraulen. „Eigentlich dürften wir Menschen euch Pferden die Freiheit nicht nehmen.“, flüsterte sie und schwang sich wieder auf den Rücken ihres Pferdes. Wir liefen in Richtung Wald. Als Pferd

waren die Gerüche noch viel intensiver und mich überwältigte der Duft nach Nadeln, Laub und Kräutern. Der Wind, der durch die Blätter fuhr und sanft mit meiner Mähne spielte. Ein paar Rehe waren auf dem Weg, ließen sich von uns aber nicht stören. Der volle Mond zeichnete wunderschöne Konturen auf den Waldboden und tauchte alles in ein magisches Licht. Dieser Ort war voller Magie, das spürte ich. Diese Magie drang in mich ein und erfüllte mich mit einem schönen Glücksgefühl. Hier, hier war ich zuhause. Thorgal lief neben mir her. Er spürte es auch und genoss es. Marion lag auf seinem Hals, kraulte ihn

gedankenverloren und wurde eins mit dem Pferd. Wir gingen vor der Dämmerung zurück.

Kapitel 4

Im Stall legte ich mich auf den Boden vor Morendos Box und schloss die Augen. „Weck mich, falls ich mich zurückverwandeln sollte.“, sagte ich zu Morendo und warf Marion einen Blick zu, die es sich auf ein paar Strohballen gemütlich gemacht hatte. Erschöpft schlief ich ein, wurde aber im Morgengrauen von Morendo geweckt. Ich war wieder ein Mensch. Nur mein Haar erinnerte noch daran, dass ich heute Nacht ein Pferd gewesen war. Noch immer leuchtete es silbern. Leise zog ich mich an, um Marion nicht zu wecken, die fest

schlief. Ich holte eine Bürste aus meinem Rucksack und kämmte mir das Stroh aus den Haaren. Dann machte ich mir einen Dutt und stopfte meine silbernen Haare unter eine Mütze. Als es kurz vor sechs war, weckte ich Marion. Sie warf mir einen überraschten Blick zu und rieb sich den Schlaf aus den Augen. „Morgen“, murmelte sie und gähnte. „Guten Morgen, ich fühle mich unglaublich.“, sagte ich und streckte mich. „Kein Wunder, aber ist das wirklich passiert?“, meinte sie und rappelte sich auf. Ich reichte ihr eine Bürste, damit sie sich ebenfalls kämmen konnte und nahm meine Mütze ab. Als

sie meine silbernen Haare sah, lächelte sie. „Du sahst wunderschön aus. Das Pferd hat dir gestanden.“ Ich grinste. „Tja, aber sag es niemanden. Die würden mich für verrückt erklären. Jetzt weißt du, was mein Geheimnis ist. Am besten beachtest du es nicht weiter, dann fällt es am wenigsten auf.“ „Schon klar, um ehrlich zu sein, fand ich deine Geschichte auch ziemlich verrückt, ich hatte dir, ganz ehrlich gesagt, nicht wirklich geglaubt. Bis du dich vor meinen Augen in ein Pferd verwandelt hast.“ Ärgerlich gab ich ihr einen Stoß. „Wusste ich es doch. Und das Gespräch mit Thorgal? Glaubst du daran?“ Marion legte mir einen Arm um

die Schultern. „Jetzt ja. Ich werde mich versuchen zu bessern. Wenn nicht, sag mir Bescheid.“ Sie verschwand in den Umkleideraum, um sich frisch zu machen. Ich öffnete die Fenster zum Park und ließ frische Luft in den Stall herein. Es musste ein schöner Tag werden, denn meine Schmerzen waren wie weggeblasen. Mir ging es prima, richtig gut sogar. Die Magie der Erde klang noch in mir nach. Es war ein wunderschönes Gefühl gewesen, einfach nur zu galoppieren. Bald kam Marion wieder. „Du, Thorgal sah gestern ganz anders aus. Als ihr beide über das Feld gerannt seid und gekämpft habt. Hast du ihm eigentlich

wehgetan?“ Beruhigend schüttelte ich den Kopf. „Es war kein Kampf. Es war wie ein Spiel unter Fohlen. Und ja, Pferde sind anders, wenn sie frei sein dürfen. Dann kosten sie so richtig das Gefühl aus, rennen zu dürfen. Für Menschen ist es wie…“, ich suchte nach Worten. „Hm. Vielleicht, wenn du tagelang in deinem Zimmer eingesperrt gewesen bist und nach Tagen in Dunkelheit, die Sonne wiedersehen kannst und dich endlich richtig austoben kannst. Wenn du zum Beispiel krank warst und plötzlich gesund wirst. Ein unbeschreibliches Gefühl.“ Betroffen nickte meine Freundin. „Ja,

und wir nehmen es den Tieren weg.“ Ich nickte. „Hast du etwas zu essen? Zwar bekam ich Kraft aus der Erde, aber Hunger habe ich trotzdem wahnsinnig.“, meinte ich. Marion lachte. „Du hast ja auch seit gestern Mittag nichts mehr gegessen. Komm, wir gehen in eine Bäckerei in Rust. Die dürften schon aufhaben.“ Sie hakte sich bei mir unter und wir liefen los. Es war halb sieben, als wir eine Bäckerei gefunden hatten. So gab es belegte Brötchen zum Frühstück, mit Kaffee. Marion trank gleich zwei Tassen, denn sie war ziemlich müde, da ich sie ja recht lange wachgehalten hatte. Für sie war es unerklärbar, wie ich völlig

fit sein konnte. Nach dem Frühstück saßen wir noch einfach ein Weilchen in der Bäckerei und beobachteten, wie Rust allmählich aufwachte. Als wir wieder gingen, rutschte eine Strähne meines Haares aus dem Dutt. Sie war braun und so nahm ich die Mütze ganz ab. „Noch silbern?“, fragte ich Marion. Diese schüttelte den Kopf. „Doch“, sagte sie plötzlich. „Eine Strähne ist noch silbern, aber die fällt kaum auf.“ Ich nickte und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. Mittlerweile war es acht Uhr. Allmählich würden auch unsere Kollegen kommen. Heute war Samstag und ein schöner Tag, da würde viel im Park los sein.

Deshalb wollten sie die Stallarbeiten jetzt schon erledigen. Als wir wieder bei der Arena ankamen, kam uns Ludo entgegen. „Hi“, sagte er. Am Zügel hatte er Felicitas. Diese war mittlerweile recht brav, aber mit dem Sattel hatte ich es noch nicht probiert. „Ludo, ich würde mit dem Sattel noch warten, ich wollte das erst heute machen. Aber du kannst sie longieren. Das lässt sie sich prima gefallen. Mit Reiten könnten wir in einer Woche anfangen, aber wenn du alles auf einmal machst, könnte sie wieder bockig werden. Und ich habe keine Lust, das Ganze nochmal zu wiederholen.“ Ludo hob eine Augenbraue. „Aber den Sattel

lässt sie sich schon prima aufschnallen. Sicher, dass man sie noch nicht reiten kann?“ „Sicher. Aber du kannst sie gerne mit Sattel longieren, wenn sie ihn schon duldet. Das hatte ich heute auch vor.“ Gehorsam nickte er. „Wenn du meinst. Aber nächste Woche würde ich sie gerne reiten können. Bekommst du das hin?“ „Ja, dürfte kein Problem sein.“ Und zu Felicitas gewandt, sagte ich noch. „Und du benimmst dich, klar soweit?“ Die Stute verdrehte die Augen, nickte aber kaum merklich. „Dann ist gut“, flüsterte ich und ließ sie mit dem Boss allein. Marion hatte das mitbekommen. „Jetzt, da ich es weiß, fällt es richtig auf, wie

die Pferde auf dich reagieren.“ Ich lächelte nur und ging zum Stall. Dort traf ich Christophe, der gerade Rango putzte. „Hallo, Chris. Hallo, Rango“, begrüßte ich die Beiden. Christophe nickte nur, während Rango ein freundliches Brummeln in meine Richtung schickte. „Soll ich was helfen? Ich habe gerade nichts zu tun, Ludovic hat mein Pferd beschlagnahmt.“ Christophe grinste und warf mir eine Bürste zu. „Na dann. Ich kann immer Hilfe gebrauchen.“ Am Hals fing ich an, den Braunen zu bürsten. „Du warst ein wunderschönes Pferd“, schwärmte Rango mir die Ohren voll. „Und du hast etwas Magisches ausgestrahlt, alle

Pferde schwärmen von dir.“, seufzte er und genoss meine sanften Bürstenstriche. Christophe war ein ruhiger Typ. Er sprach nicht sehr viel und wenn, dann nur ein, zwei Wörter. Ich ließ ihn in Ruhe. Nach einer Weile ließ er mich allein und ging den Sattel holen. Unterdessen kamen auch die ersten Parkbesucher an das Fenster von Rango. Dieser trottete zu ihnen und scannte sie nach Leckerbissen ab, doch als er merkte, dass sie nichts für ihn hatten, wandte er sich wieder ab. Zwei Mädchen unterhielten sich auf Deutsch über die Arenashow und überlegten, ob sie mich ansprechen

sollten. Sie wollten wissen, wie das Pferd hieß, doch gut Französisch konnten sie anscheinend nicht. Ich grinste. Immerhin konnte ich beide Sprachen flüssig. Es war schon von Vorteil, an der Grenze aufgewachsen zu sein und zweisprachige Eltern zu haben. Kurz darauf kam Christophe wieder. Er warf den Sattel auf Rango’s Rücken und machte ihn fest. Anscheinend zog er zu fest, denn Rango stieß ein kurzes „Au!“ aus. „Mach mal den Sattel ein wenig lockerer am Anfang oder ziehe ihn langsamer fest, sonst tut es Rango weh.“, erklärte ich. Christophe warf mir einen entschuldigenden Blick zu und machte

den Sattel etwas lockerer. „Tut mir Leid“, murmelte er zu Rango. Dieser nickte nur, zwar verstanden Pferde nicht genau, was ihre Reiter sagten, dennoch konnten sie den Tonfall ihres Reiters erstaunlich gut interpretieren. „Schon ok.“, meinte das Pferd. Ich flocht die Mähne ein, während Christophe ging, um seine Reitstiefel anzuziehen. Da konnten sich die zwei Mädchen am Fenster durchringen, zu fragen, wie das Pferd hieß. Sie fragten auf Französisch, mit heftigem Akzent. Ich verdrehte die Augen. „Er heißt Rango. Man schreibt’s mit „a“.“, (Man spricht es Rongo aus, da er ein Franzose ist) antwortete ich auf

Deutsch. „Oh, tut mir leid.“, meinte das eine Mädchen. „Ich dachte, alle hier sprächen Französisch.“ Kurz nickte ich. „Tun sie auch. Außer mir, Julien und noch ein paar wenige Andere. Sie können auch ein bisschen Deutsch.“ Das eine Mädchen sah mich fragend an. „Julien?“ „Er spielt neben hin und wieder ein Musketier, falls ihr die Show kennt.“ Jetzt schwappte Empörung zu mir. „Aber natürlich, wir sind absolute Fans der Show.“ Mein Grinsen brachte Sympathiepunkte. „War ich auch mal. Wart ihr schon einmal in Kaltenberg? Bei den Ritterspielen?“ „Nee, was ist das?“ „Da trefft ihr ein paar von hier wieder. Noch tausendmal besser als die

Arena. Aber mit ähnlichem Prinzip. Für alle Arenafans ein Muss.“ „Na gut, muss ich mal googeln.“, sagte das eine Mädchen. Ich lächelte die Beiden an und trenste Rango auf, denn Christophe kam gerade. „Danke für deine Hilfe.“, meinte er. „Klar, kein Problem.“, sagte ich wieder auf Französisch. Er nahm das Pferd und führte es hinaus. Rango hatte keine Lust und folgte nur widerwillig. Erst als ich dazu kam, nahm er sich zusammen und lief ein bisschen schneller. Christophe sah mich verwundert an. „Was machst du eigentlich mit den Pferden? Irgendwie wollen sie in deiner Anwesenheit alles richtig machen. Haben

sie Angst vor dir?“ Ich lachte. „Nee, das nicht. Respekt und Freundschaft trifft es wohl besser.“ Christophe nickte nur und schlug die Zeltplane zur Seite. Er schwang sich auf Rangos Rücken und trieb ihn etwas unsanft vorwärts. Rango knurrte und schlug ärgerlich mit dem Schweif, ging aber vorwärts. Auch Ludo mit Felicitas war noch da. Er nahm sie und ging wieder hinaus. „Das hast du wunderbar mit ihr gemacht. Sie ist zwar noch nicht ganz die Bravste, aber läuft jetzt wenigstens ordentlich.“ Ich lächelte und wand mich wieder Rango zu. Mein Lächeln erstarb, als ich sah, welche Auseinandersetzung zwischen den Beiden herrschte.

Christophe nahm den Hengst ziemlich hart ran. Irgendwann unterbrach ich es. „Lass, Chris. Darf ich mal kurz drauf? Mit euch Zwei wird das nichts.“ Wortlos rutschte er von Rangos Rücken und ich setzte mich drauf. Rango war ohne Erwartungen, deshalb ging er nur widerwillig vorwärts. Doch als er merkte, dass ich sanfte, aber energische Hilfen gab, wurde er sofort anders. Er war eigentlich weich im Maul, aber irgendwie hatte es Christophe geschafft, das Pferd hart zu reiten. Ich ritt am langen Zügel und konzentrierte mich mehr auf die mündliche Arbeit. Nach ein paar Minuten war das Pferd wie ausgewechselt. Rango ging fleißig

vorwärts und versuchte auf leichte Hilfen zu reagieren, wobei man immer noch deutlich merkte, dass er abgestumpft war. Als wir soweit waren, tauschte ich wieder mit Christophe und bevor dieser wieder auf die Idee kam, dem Pferd die Füße in die Seite zu rammen, hielt ich ihn nicht zurück, sondern sagte leise zu dem Pferd: „Reagiere auf seine Hilfen, wie auf meine. Er soll es von selbst lernen. Und wenn du aus dem Stand angaloppierst.“ Rango gehorchte. Verzog zwar kurz das Gesicht, als er wieder die Füße in die Seite gerammt bekam, galoppierte aber sofort an. Christophe wollte durchparieren, zog aber zu fest am

Zügel, sodass Rango prompt stehen blieb. „Was hast du mit ihm gemacht?“, fragte Christophe entsetzt. „Mach einfach weiter. Rango ist kein Kaltblut und er hat keine so dicke Fettschicht, als dass er die Hilfen so stark braucht.“ Christophe lief vor Scham rot an, gehorchte aber und wurde deutlich sanfter in der Hand. Sofort entspannte sich Rango und drehte die Ohren zu seinem Reiter. Der Braune nahm den Kopf ordentlich und reagierte schnell. Chris bekam ein völlig neues Reitergefühl. Ich ließ die beiden in Ruhe und ging zurück zu Morendo. Der Apfelschimmel stieß einen kurzen Begrüßungslaut aus, als er mich sah und

warf mir danach einen neugierigen Blick zu. „Was machen wir heute?“, wollte er wissen. „Lust auf ein Spielchen?“, fragte ich zurück. Morendos Augen leuchteten. „Immer doch.“, freute er sich und ich machte seine Boxentür auf. Der Hengst folgte mir auch ohne Strick und Halfter. Ich ging mit ihm in die Arena. Noch war der Sand nicht geebnet, so konnte ich den Platz als Spielfläche nutzen. Nachdem er ein paar Runden im Schritt gelaufen war, fing er an, erst einmal eine Runde die Luft raus zulassen. Ordentlich buckelnd preschte er um mich herum. Als er nach fünf Minuten fertig war, kam er neugierig zu mir. Den Kopf gesenkt und die Ohren auf

mich gerichtet, schielte er unter seiner langen Mähne zu mir. Wie immer ließ ich ihn zuerst raten, was wir machten. Diesmal spielte ich mit ihm so eine Art Völkerball. Mit einem großen Gymnastikball. War der Ball an die Arenawand gestoßen, zählte der Treffer nicht und der andere versuchte, den anderen abzuschießen. Morendo war nicht schlecht und so geriet ich bald ins Schwitzen. Doch es machte mir Spaß. Aber zu zweit war es irgendwann langweilig. So holte ich noch Rocio und Latoso in die Teams. Bald hatte ich einen Zuschauer. Marion lehnte am Eingang und beobachtete mich. „Eine halbe Stunde hast du noch“, rief sie mir

nach einer Weile zu. „Dürfen Thorgal und ich auch mitmachen?“ Ich lachte. „Klar doch. So ähnlich wie Völkerball, wenn du das kennst.“ Marion nickte und grinste. Sie verschwand kurz, kam aber kurz darauf mit ihrem Cremello wieder. Bald hatten auch sie die Regeln kapiert und machten begeistert mit. Jetzt hieß es Morendo, Latoso und Thorgal gegen Rocio, Marion und mich. Der Ball flog gerade wieder auf uns zu und wir stoben auseinander um den Ball gegen die Wand klatschen zu lassen. Ich fing ihn und warf ihn auf Thorgal. Dieser tauchte geschickte darunter durch und fing ihn von der Wand auf. Mit dem Huf schoss er ihn auf Marion,

die nicht rechtzeitig auswich und den Ball voll in die Seite bekam. „Haha, Treffer!“, freute sich Thorgal und ich schnappte mir den Ball, warf ihn Rocio zu, der ihn mit dem Huf zu Latoso kickte. Dieser sprang zur Seite, konnte aber nicht mehr verhindern, dass der Ball seine Hinterhand streifte. Ich klopfte Rocio die Schulter. Der Hengst deutete eine Verbeugung an. „Gerne doch.“, schnaubte er und wich dem Ball aus, der wieder angeflogen kam. Bevor er wieder ins Feld der anderen zurückspringen konnte, fing ich den Ball auf. Die Wucht warf mich nach hinten und ich landete im Sand. Lachend blieb ich kurz liegen, warf den Ball dann zu

Marion, die ihn, nach mehrmaligem Antäuschen, auf Thorgal warf. Dieser warf sich zur Seite, sodass der Ball ihn knapp verfehlte. Daraufhin kickte Morendo den Gymnastikball zu Rocio. Dieser streckte ihm die Zunge raus und ging gaaaaaaanz langsam einen Schritt zur Seite. Der Ball verfehlte ihn um einiges. Unser Spiel wurde plötzlich von einem Motor unterbrochen. Kevin, der meistens D'Artagnan spielte, kam auf dem Sandmobil angefahren. Er sah auf dem Ding so komisch aus, dass ich zu Lachen anfing. „Huch“, meinte er, „hier sind ja noch lauter Pferde. Willst du sie nicht wegbringen?“ Ok, es war zwar gerade so

lustig gewesen, aber egal. Ich pfiff die Pferde zu mir. „Geht ihr von selber in eure Box? Ihr wisst ja, wo sie sind.“ Traurig trollten sich die Pferde, nur Thorgal blieb und ließ sich von Marion das Halfter überstreifen. „So, du musst leider noch arbeiten, Schöner.“, sagte sie zu ihm und führte ihn heraus. Ich übersetzte schnell für das Pferd. Thorgal nickte und stupste Marion an. „Hab dich auch lieb“, murmelte er. Seine Reiterin strich ihm über den Hals und führte ihn Richtung seine Box. Als ich ihr folgen wollte, wurde ich mal wieder vom Boss, Ludo, aufgehalten. „Und hast du es dir überlegt? Willst du hier überhaupt ausgebildet werden?“,

fragte er. Oh, das hatte ich ja ganz vergessen, es war zu viel passiert in der letzten Woche. Scharf dachte ich nach. Eigentlich wäre es eine schöne Vorstellung, den ganzen Tag von Pferden umringt zu sein, für Rittershows zu trainieren und für Filme zu reiten. Doch irgendwann würden sie es rausfinden, dass ich mit Pferden reden konnte. Obwohl. Marion wusste es ja jetzt auch. Außerdem hatte Mario selber ja noch zwei Söhne, die den Betrieb weiterführen konnten und seine Methode lernen konnten. Also, warum nicht? „Na gut, ich würde es liebend gerne werden, dann könnte ich auch mal eure

Methode mit Pferde zu arbeiten, kennenlernen. Ich fände es toll. Wirklich.“ Ludo blickte mich erstaunt an. „Wir könnten uns ja austauschen. Du bringst mir deine Methode bei und ich dir unsere. Außerdem würden wir dir noch Trickreiten und so beibringen.“ Ähm, ja. Meine Methode. „Ähm, meine Methode, ja. Lassen wir das mal lieber. Ok? Vielleicht so in zwei Jahren?“, versuchte ich mich rauszureden. Er verdrehte die Augen. „Du willst nicht, dass jemand deine Methode kennt, nicht?“ Vorsichtig nickte ich und blickte ihn entschuldigend an. „Tut mir Leid, es geht nicht. Wenn du sie kennst, wirst du es verstehen.“ Ludo zuckte die

Schultern. „Na gut. Du wirst sie mir anders nicht verraten. Obwohl ich gerne wüsste, wie du das mit den Pferden machst.“ Ich lächelte entschuldigend und verflüchtigte mich schnell zu Marion, die gerade die Rose in die Mähne von Thorgal flocht. „Hallöchen“, begrüßte sie mich. „Hi“, kam es von mir. „Willst du nachher mit in die Kantine kommen?“, fragte sie mich. Ich lächelte. „Warum nicht.“ Sie lächelte zurück. „Ok, aber jetzt muss ich in die Arena.“ Ich nahm Thorgal am Zügel, während Marion sich auf ihr Pferd schwang. Dann führte ich die zwei zum Eingang und schickte sie in die

Arena. Wie immer meisterte Marion ihre Show. Als sie danach Thorgal versorgt und sich umgezogen hatte, kam sie wieder zu mir. „Gehen wir was essen? In die Kantine? Dann kannst du noch die Globe Darsteller kennenlernen. Wolltest du das nicht auch?“, fragte sie. Und ich nickte begeistert. „Natürlich. Vor allem Ornella.“ Ornella war ziemlich berühmt in Offenburg. Vor ein paar Jahren sollte sie beim Eurovision Song Contest singen, verlor aber gegen Roman Lob. Dann begann sie im Europapark zu arbeiten und ich liebte ihre Stimme. Marion grinste. „Na dann komm mit.“,

begeistert folgte ich ihr. Wir liefen durch den halben Park bis zum Historama. Dort öffnete sie eine Tür und wir verschwanden im Backstagebereich. Marion hielt zielstrebig auf ein flaches Gebäude zu. Davor standen ein paar andere Darsteller und rauchten. Marion hob nur kurz die Hand zur Begrüßung. Ich kannte das noch nicht, deshalb hielt ich mich etwas hinter ihr. Drinnen sah sie sich kurz um und schien Ornella zu entdecken, doch ich konnte sie noch nicht sehen. Aber wir holten uns zuerst auch etwas zu essen. Es gab Nudeln. Wie immer, laut Marion, die die Augen verdrehte. Ich nahm trotzdem

Nudeln. Dann liefen wir auf einen Tisch zu und endlich erkannte ich Ornella. Mir klopfte das Herz bis zum Hals. Ähnlich wie an meinem ersten Tag in der Arena, vor einer Woche. Marion ließ sich auf einen Stuhl vor Gabriella fallen. Natürlich kannte ich die Darsteller aus dem Globe auch mit Namen. Neben ihr saß Ornella. Und dann entdeckte ich ihn. Dustin Nicolodi, alias Coperlin, saß mit Juan Ricondo direkt am Nebentisch. Oh man, wie sehr ich Dustins Show liebte. Auch wenn wir sie ihm regelmäßig versauten, indem wir auf seine Frage, auf die er eigentlich als Antwort "Nein" vom Publikum hören

wollte mit "Ja" antworteten. Doch wir begrüßten zuerst einmal Ornella. Die Darsteller unterhielten sich auf Englisch. Denn sie kamen aus allen Nationen. Doch ich begrüßte Ornella mit einem deutschen Hallo. „Oh“, meinte sie überrascht, „Keine Französin?“ Lächelnd schüttelte ich den Kopf. „Naja, nicht ganz. Sagen wir Halbfranzösin.“, Ornella blickte mich interessiert an. „Aha, also ich bin Ornella. Und du?“, fragte sie. „Ich bin Hanna.“, sagte ich schüchtern. Ihr Lächeln machte mir Mut. „Irgendwoher kommst du mir bekannt vor.“, meinte sie nachdenklich. „Kann sein, ich schaue mir regelmäßig eure

Show an. Du singst wunderbar. Außerdem komme ich auch aus Offenburg.“, erklärte ich. Ornella grinste. „Ach, so ist das.“ Ich zuckte die Schultern. „Immerhin warst du immer unser Star für Baku gewesen. An Fasching war sogar eine Maske mit deinem Gesicht in der Zeitung gewesen. Mein Onkel hatte sie auf.“ Meine Gegenüberin verdrehte die Augen. „Jaja. Die Maske. Vergessen wir das lieber.“ Ich lachte leise und widmete mich meinem Essen. Marion war unterdessen mit Gabriella auf Englisch ins Gespräch gekommen. Sie hatten es über Thorgal, denn ihn fand Gabriella auch

wunderschön. Nach dem Essen nahm Marion mich mit zu Silver Star, die sie genauso gerne fuhr wie ich. Wir mussten nicht lange warten. So saßen wir kurz darauf in dem Zug und fuhren aufwärts. „Irgendwie mag ich die Aussicht“, meinte ich. „Da bist du nicht die Einzige.“, Marion lächelte ein wenig. Dann ging es abwärts. Auch wenn es das Reitergefühl nicht toppen konnte, war es doch schön, sich völlig der Bahn anzuvertrauen und einfach nur den Wind im Gesicht zu spüren. Nach der Fahrt schlenderten wir langsam zurück zur Arena. Dort trafen wir auf Arnaud und Kevin,

die gerade auch von ihrer Mittagspause zurückkamen. Kevin spritzte gerade Talo, seinem Pferd heute, die Beine ab. Talo begrüßte mich kurz. Er genoss die Prozedur von Kevin total. „Das hat er gerne, Kevin. Mach es ruhig öfters.“, rief ich ihm lächelnd zu. Kevin grinste nur. „Hat er dir das gesagt?“, fragte Marion leise, doch ich schüttelte den Kopf. „Er hat mich nur sehr, sehr kurz begrüßt, und das total genießerisch.“, erklärte ich. „Achso.“, kam Marions Antwort. Louisa Kaczmar kam uns entgegen. Ihre blonden Haare wippten bei jedem Schritt auf und ab. „Hallo, ihr zwei.“, begrüßte sie uns. „Du weißt ja, dass wir dir noch

das Trickreiten, die Stunts und das Kämpfen beibringen sollen.“, meinte Louisa. Fragend hob ich eine Augenbraue. „Wenn du Marios Schülerin werden willst, musst du das beherrschen. Er hat gemeint, du könntest dann vielleicht dann mal die Milady spielen, so zum Eingewöhnen, wenn du es kannst. Deswegen sind Marion und ich für deine Ausbildung zuständig. In erster Linie natürlich Marion, weil ihr zwei euch ja schon angefreundet habt. Aber Marion ist auch nicht immer da. Zum Beispiel im Juli, wenn sie in Kaltenberg ist. Wir sollen so früh wie möglich anfangen, damit du das Gröbste bis zu den

Sommerferien beherrschst, denn dann wirst du eine neue Aufgabe bekommen.“ Bis zu den Sommerferien war es nicht mehr lange. „Und was ist mit Felicitas? Sie ist ja auch noch nicht ganz ausgebildet. Und welche neue Aufgabe?“, wollte ich wissen. „Also, das mit Felicitas hat sich erledigt. Sie ist ja recht umgänglich geworden. Mario wird sie zu den Sommerferien wieder mit nach Chaalis, zu seinem eigenen Hof in Frankreich, nehmen, denn die Boxen hier sind knapp, und dort selber weiter ausbilden. Und das mit der neuen Aufgabe weiß ich auch nicht. Mario hat gesagt es wird eine Überraschung. Keiner weiß es.“,

beantwortete sie meine Fragen. „Ok, wann fangen wir an?“, fragte ich. „Wenn das so ist, dann morgen. Wann kommst du?“, mischte sich Marion ein. „Nach der Schule. So um viertel nach zwei.“ „Ok. Geht klar, da müssen wir uns zwar gerade für eine Show richten, aber Louisa ist ja da, oder?“, erklärte sich Marion einverstanden. Louisa nickte. „Kamst du mit Voltigieren schon mal in Kontakt, oder so?“, fragte Marion und ich nickte heftig. „Klar doch, weißt du was? Ich voltigiere seit der zweiten Klasse regelmäßig. Nur halt richtig und kein Trickreiten.“, erwiderte ich empört. Marion lächelte entschuldigend. „Tut mir

Leid, dass ich gefragt habe. Das erleichtert die ganze Sache nämlich um Meilen. Dann konzentrieren wir uns mehr aufs Fechten und die Stunts. Ok?“ Ich nickte und Marion ließ Louisa und mich allein, um Thorgal zu richten. „Welches Pferd würdest du denn gerne nehmen, um das Trickreiten zu erlernen?“, wollte Louisa wissen. Nachdenklich blickte ich sie an. „Hmm, eigentlich ist es mir egal. Ich komme mit allen Pferden klar, nur Felicitas würde ich mein Leben nicht unbedingt anvertrauen wollen.“ „Ok, dann nehmen wir Rocio. Der muss sowieso nie viel machen, wenn Marion die Milady spielt. Und bei ihm weiß ich,

wie er tickt.“ Rocio war ihr Brauner. Ein ganz netter Wallach. „Ok, find ich gut.“ Louisa nickte. „Gut, ich lass dich dann mal allein. Ich muss mich auch noch für die Show umziehen.“, damit verschwand sie ebenfalls. Also ging ich zu Felicitas. „Na du.“, begrüßte ich sie und nahm das Halfter. Sie kam zwar nicht her und steckte den Kopf in das Halfter, so wie Morendo, ging aber auch nicht von mir weg. Dann sattelte ich sie und ging weiter zu Jentillo. Ihn sattelte ich auch und führte ihn zu Felicitas. Diese legte zwar die Ohren warnend an, als ich zu Jentillo brachte, biss aber nicht. Schließlich schwang ich mich auf Jennis Rücken

und nahm Felicitas als Handpferd mit. Ihr würde das Gut tun, denn sie war schon lange nicht mehr im Gelände gewesen. Außerdem würde es eine gute Übung für die braune Stute sein. So konnte sie sich an den Sattel gewöhnen und an die Umgebung von anderen Pferden. Kurz darauf kamen wir an der Galoppstrecke an, doch ich ließ Jentillo nur traben, damit ich die Kontrolle über Felicitas nicht so leicht verlor. Diese versuchte nämlich gerade, mich aufs Äußerste zu testen. Doch ich gab nicht nach. Natürlich nicht. Gott sei Dank war Jenni wenigstens einigermaßen brav. So konnte ich ihn

überwiegend mit der Stimme lenken und meine Kraft auf Felicitas verwenden. Trotzdem war ich schweißgebadet, als wir wieder bei der Arena waren. Dabei waren wir nur eine Stunde unterwegs gewesen. Ich sattelte beide Pferde wieder ab und versorgte sie. Dann ging ich nach Hause.

Kapitel 5

Am Montag, nach der Schule, ging ich wieder in den Europapark. Pünktlich war ich dort. Ich hatte meine Trainingshose und ein dunkles Top angezogen. Marion war schon da, neben ihr wartete Louisa. „Hallo, Hanna!" (wie immer sagten sie: 'Anna, doch daran hatte ich mich schon gewöhnt). Louisa hatte bereits den gerichteten Rocio an der Longe. „Nachher macht Marion die Show, aber sie würde auch gerne sehen, wie viel du schon kannst.", sagte Louisa. Ich wärmte mich mit ein paar kleinen Dehnübungen auf, während Louisa schon

mal Rocio warm machte. Als erstes ließ sie mich im Galopp hochspringen. Kein Problem. Ich lief zwei Galoppsprünge mit und stieß mich dann vom Boden ab. Problemlos flog ich auf Rocios Rücken. Danach sollte ich ihr ein paar Übungen zeigen, die ich schon konnte. Ich entschied mich für den Schulterstand, das freie Stehen und den Ersten Teil Schere. Zum Schluss machte ich noch die Standwaage. Bei mir war alles schön gespannt und gestreckt. Das war die übliche Strenge beim Voltigieren. Obwohl ich wusste, dass man das beim Trickreiten nicht machen musste. Doch Marion fand es

gut. „Sehr schön, wenn du dich lockerer machen würdest und dabei noch schön lächeln würdest, wäre es perfekt." Ähm ja. Das Lächeln. Darauf wurde mir auch im Training immer hingewiesen. Ich sah als ziemlich verkrampft aus. Das wusste ich selber. Louisa parierte Rocio durch und strich dem braunen Hengst liebevoll über die Flanke. Auch ich bedankte mich kurz bei ihm. Schließlich brachten sie ihn wieder in seine Box zurück. Danach übten wir noch fechten. Mir schmerzte alles, als ich wieder nach Hause ging. Am nächsten Tag, ich saß vor Morendos Box, passierte etwas Merkwürdiges.

Plötzlich spürte ich die Kraft, die aus der Erde kam, und von der ich nährte, wenn ich ein Pferd war. Ich konzentrierte mich nur auf die Kraft und langsam wurde sie sichtbar. Es waren blaue Energieströme, die durch alles durchflossen. Wie das Blutnetzwerk des Menschen. Sie umströmten alles. Bei Lebewesen liefen sie zusammen und wurden stärker. Auch durch mich flossen die blauen Ströme durch. Als ich den Boden berührte, konnte ich sie regelrecht spüren, wie die Ströme aus mir sich mit den Strömen aus dem Boden verbanden. Die Kraft aus dem Boden schoss in mich und ich wurde gleich viel munterer.

Vorsichtig versuchte ich die Ströme selbst zu leiten. Langsam ließ ich die Ströme aus mir zu einen Strohhalm, wenige Zentimeter von mir entfernt, gleiten. Dann schob ich, mithilfe der blauen Energie, den Halm zu mir. Er bewegte sich tatsächlich langsam auf mich zu. Fasziniert beobachtete ich wie die Ströme sich verdickten um den Strohhalm. Vor mir blieb der Halm zitternd liegen. Ich wollte noch etwas ausprobieren. Etwas weiter weg lag ein ganzer Strohballen. Auch hier versuchte ich die Ströme umzulenken. Und wirklich. Ganz langsam schob der Ballen sich zu mir. Die blauen Ströme faszinierten mich. Sie

waren wirklich überall. Selbst in dem toten Holz der Boxentüren. Dort flossen sie zwar weniger stark, waren aber vorhanden. Plötzlich hörte ich Schritte. Meine Konzentration brach ab und die Energieströme verblassten. Marion kam die Stallgasse entlang. Ich hob den Blick und blickte sie an. Erschrocken hielt sie an und starrte mich entsetzt an. „Deine Augen, Hanna, sie glühen!", rief sie entsetzt, doch ich legte sofort den Finger auf die Lippen. Gehorsam wurde sie leiser und kam langsam näher. „Jetzt verblasst es. Deine Augen glühten richtig.", murmelte sie entsetzt. „Wirklich?", fragte ich leise. „Ja, jetzt verblasst es allmählich.

Was ist passiert?", wollte sie wissen. „Ich habe etwas rausgefunden. Stell mal den Strohballen da ein bisschen weiter weg." Marion gehorchte. Dann starrte ich auf den Boden und versuchte die Energieströme wiederzusehen. Sobald ich mich nur noch auf die Energie der Erde konzentrierte, konnte ich sie auch wieder sehen. Langsam erschienen sie wieder und konzentriert lenkte ich sie zu dem Ballen. Vorsichtig ließ ich diesen wieder herkommen. Die Ströme weigerten sich nicht. Ganz flüssig ließen sie sich lenken. Als der Strohballen neben Marion war, ließ ich von den Strömen ab

und sah Marion begeistert an. „Jetzt glühen sie wieder, deine Augen. Wie hast du das gemacht?", fragte sie und deutete auf den Ballen. „Du weißt doch, als ich als Pferd nicht müde war, du dagegen total am Ende, nach der Nacht. Ich habe von der Energie der Erde genährt. Das sind blaue Energieströme, die überall sind. In dir und mir. In jeder Pflanze, in den Pferden, im Boden... Aus dem Boden kommen sie heraus und fließen in dich hinein. Das merkst du gar nicht, das ist die Energie, die jedem normal zur Verfügung steht. Ich habe mir als Pferd mehr genommen, das ist aber nicht schlimm. Man kann die Ströme lenken,

richtig lenken. So habe ich den Ballen hierhergeleitet.", erklärte ich ihr begeistert von meiner neuen Entdeckung. Marion hob eine Augenbraue. „Ich kann sie nicht sehen.", sagte sie schlicht. „Nein, kannst du nicht, ich kann sie auch nur sehen, wenn ich mich konzentriere. Sehr konzentriere. Vielleicht hängt es auch mit meinem Pferd zusammen. Das nächste Mal zeige ich es dir, wenn ich wieder ein Pferd bin.", sagte ich, noch völlig in der Magie der Erde gefangen. „Wann ist denn das nächste Mal?", fragte meine Freundin leise. „Bei Vollmond, denke ich.", meinte ich ungerührt. „Kommst du, dann? Fechten bring sich nicht von

selber bei", kam plötzlich Louisa um die Ecke. „Na gut, ich komme ja", brummte ich und ergab mich meinem Schicksal. Fechten tat ich nicht so gerne, aber ich musste es lernen. Obwohl, manche anderen aus der Gruppe konnten es auch nicht wirklich. Jetzt konnte ich wenigstens mich mal mit Eliza messen. Die focht schon seit einem halben Jahr hobbymäßig in einem Verein. Heute schaffte ich es wenigstens, Louisa ein paar Mal zu treffen. Gegen Marion hatte ich sowieso keine Chance. Da würde ich es erst später probieren, wenn ich schon besser focht. Zu Musik klappte es am besten, wie wir herausfanden. Denn Marion sah uns zu

und hörte Musik. Einen Titel wollte sie uns zeigen und ließ ihn deshalb laut laufen. Sofort verfiel ich in den Takt der Musik und traf Louisa gleich mehrmals. Marion beobachtete mich. „Oh. Das sah gerade sehr gut aus, Hanna.", sagte sie anerkennend. Daraufhin ließ sie noch einen Titel laufen und trat diesmal selbst gegen mich an. Im Takt der Musik parierte ich all ihre Schläge. Die Musik ließ mich in einen Rhythmus verfallen, den ich mir nie zugetraut hatte. Geschickt tänzelnd, wirbelte ich um Marion herum und verwirrte sie so. Jetzt waren wir ebenbürtig. Doch sobald die Musik verklang, hatte ich nichts

mehr, wonach ich mich richten konnte und Marion machte mich fertig. Ihre blonden Haare flogen durch die Luft, als sie einen meiner Angriffe zur Seite auswich. Aus den Augenwinkeln sah ich Louisa, wie sie die Musikplayliste von Marions Handy durchsuchte. Plötzlich grinste sie und ließ ein schnelles Stück laufen. Nightwish. Eine meiner Lieblingsbands. Sofort passte ich mich an die Musik an und Marion wurde von mir ganz schön in die Enge getrieben. Meine Reflexe wurden mit der Musik irgendwie besser. Bald konzentrierte ich mich nur noch auf den Degen. Konzentrierte mich noch ein wenig mehr und da kamen sie wieder, die

blauen Ströme. Da bemerkte ich, dass die Energieströme um das Handy stärker waren, als würde die Musik Energie geben. Und sie floss zu mir. In schnellen Wellen kamen die blauen Ströme zu mir geschwappt, schossen in meinen Körper und führten den Degen fast alleine. Achso. Dann war ja alles klar. Ich lenkte meine Konzentration von den Energieströmen ab, die sogleich verblassten. „Hanna!", murmelte Marion leise, „Deine Augen glühen wieder, pass auf, dass Louisa es nicht sieht.", warnte sie mich und drehte unseren Kampf so, dass Louisa mir nicht in die Augen sehen

konnte. Diese hatte inzwischen die Musik leiser gemacht, bis sie nicht mehr zu hören war und ich wurde automatisch schlechter, da die blauen Energiewellen ausblieben, wie ich annahm. Ich wagte nicht, mich noch mal darauf zu konzentrieren, denn sonst würden meine Augen wieder glühen. Doch die Energiewellen änderten nichts daran, dass meine Muskeln trotzdem schmerzten. Nachdem mir Marion versichert hatte, dass ich wieder normal aussah, brach ich den Kampf ab und ließ mich erschöpft neben Louisa sinken. „Ich kann nicht mehr", sagte ich kraftlos. Louisa lachte leise. „Klar,

wundert mich nicht, du hast gerade unsere beste Fechterin fertig gemacht. Sicher, dass du noch nie einen Degen in der Hand hattest?" Grinsend schüttelte ich den Kopf. „Aber auch nur mit Musik. Ohne bin ich schlecht wie eh und je.", meinte ich dazu nur. „Na gut, dann ist Musik beim Fechten ab sofort verboten.", erklärte sie. „Aber heute nicht mehr, ich denke, ich habe für heute genug gefochten.", beendete ich den Unterricht. „Von mir aus, dann bist du für heute fertig." Da fiel mir noch etwas ein, aber das würde ich morgen machen. Wenn ich besonders rhythmisch war, durch die blaue Energie, dann müssten die Pferde das ja

auch sein. Doch das würde ich morgen ausprobieren. Jetzt sah ich mir erst noch die Show an und ging dann noch eine Runde Blue Fire fahren.

Kapitel 6

Am nächsten Morgen hatten wir Sport. Nachdem wir uns umgezogen hatten, wollte ich Eliza meine neuen Künste zeigen. Ich machte Musik an und begann meinen tödlichen Kampf. Eliza hatte ich schon nach kurzer Zeit mit den behelfsmäßigen Degen, wir benutzten Stäbe, fertig gemacht. Bewundernd sah sie mich an. „Wo hast du denn das gelernt?“, fragte sie. „Von Marion und Louisa. Aber ich kann es nur mit Musik so gut. Ich weiß aber auch noch nicht so ganz warum.“, erklärte ich. „Marion und Louisa von der Arena?“ Ich verdrehte die Augen und nickte. „Jaha!

Wer den sonst? Wenn ich die Namen Marion und Louisa in einem Satz erwähne, geht es fast immer um die Beiden.“, meinte ich, leicht genervt, von ihrer Unaufmerksamkeit. Sie lächelte nur. „Ist gut, ich werde es mir merken.“, sagte sie freundlich. Wir spielten Volleyball. Ich war nicht sehr gut darin. Aber das war mir egal. Danach hatten wir Französisch. Das war eines der leichtesten Fächer für mich. Da meine Vater Franzose war, sprach ich als Kleinkind fast ausschließlich französisch. Erst in der Grundschule ging ich mehr ins Deutsche über, was meine Mutter mir beigebracht

hatte. So sprach ich in der Schule Deutsch und Zuhause Französisch. Das war von großem Vorteil, wie sich später rausstellte. Vor allem jetzt, in der Arena. Dort waren ja alle aus Frankreich. Wir nahmen im Unterricht gerade das Futur Simple durch. Leichtigkeit. Und so korrigierte ich nur Fehler und musste bei den Aufgaben nur meinen inneren Schalter umlegen. Schon waren die Aufgabe in unserem Schülerbuch das Leichteste der Welt. Dafür mochte mich mein Lehrer. Er war richtig froh, jemanden in der Klasse zu haben, der ruhig war und alles schon konnte. Denn manchmal konnte ich

besser die Grammatik erklären als er. Dadurch war unsere Klasse im Durchschnitt eine Note besser als andere Französischklassen vor uns. Während des Unterrichts, wir machten gerade Stillarbeit, fiel mir plötzlich was auf. Energie schwappte zu mir herüber. Sie kam von etwas, das sehr Energiegeladen war. Vorsichtig drehte ich den Kopf und versuchte, ohne mich auf die Energieströme zu konzentrieren, auszumachen woher die Wellen kamen. Aber es war sehr schwer, denn ich durfte meine Augen ja nicht zum Glühen bringen. Ich konnte ungefähr erraten, woher es schließlich kam. Elizas Hals.

Sie trug ständig einen Schal, deswegen konnte ich nicht sagen, was es genau war. Irgendwann würde ich sie mal danach fragen. Aber nicht jetzt, denn der Lehrer rief mich gerade auf. So konzentrierte ich mich wieder auf den Unterricht. Ein paar Stunden später war ich wieder in der Arena. Heute machten wir mal eine Pause mit dem Training, was mir sehr gefiel, denn ich hatte extremen Muskelkater. So holte ich nur das Radio und Morendo. Dann schaltete ich das Radio ein und ließ Sail von Awolnation laufen. Es war ein langsames Stück. Morendo kannte das noch nicht. Ich schwang mich auf seinen Rücken. „Im

Takt, Schöner. Klar soweit?“, fragte ich. Morendo kapierte und begann langsam zu galoppieren. Seine Sprünge waren anfangs noch zu schnell, doch dann hatte er den Dreh raus. Zu jedem Takt ein Galoppsprung. Als er das draufhatte, machte ich die ganze Sache schwieriger. Ich brachte ihn hinaus. Auf die Wiese, da wir dort mehr Platz hatten. Das Radio nahm ich mit. Zu jedem Schlag näherten wir uns, gingen mit jedem Schlag auseinander. Es war ein Tanz. Ein wunderschöner Tanz. In dem Morendo um mich herum schwebte. Wie ich ganz in meiner Welt gefangen war. Es gab nur noch Morendo und mich. Als Finale ließ ich ihn auf die Hinterbeine

steigen. Ich schmiss gleichzeitig meine Arme nach oben, zeigte in die Luft, während er sein Haupt nach oben riss und seine Hufe durch die Luft wirbeln ließ. Dieser Moment war so magisch. Was ich nicht bemerkte: Christophe hielt alles mit seiner Kamera fest. Das gesamte Lied und unser Tanz. Als ich das bemerkte, grinste er anerkennend. „Und jetzt noch schwarz-weiß und das wird das epischste Video der Geschichte!“, foppte er. Daraufhin ließ ich alles stehen und liegen und rannte zu ihm. „Lösch es!“, sagte ich und musste lachen. „Ich denke nicht dran!“, rief er grinsend und rannte von mir weg. Daraufhin folgte ich ihm. Irgendwann

schaffte ich es, ihn von hinten zu packen und sprang auf seinen Rücken, während er weiterrannte. Lachend versuchte ich ihm die Kamera aus den Händen zu reißen. Durch mein unerwartetes Gewicht auf seinem Rücken, verlor er jedoch das Gleichgewicht und wir fielen ins Gras. Wir rangen noch einen Weile um die Kamera, bis Ludovic kam und sie selbst nahm. Schmunzelnd streckte er die Kamera in die Höhe, sodass ich nicht mehr daran kam. „Warum musst du nur so groß sein!“, beschwerte ich mich. Ludovic blickte auf mich herunter und wuschelte mir durch die Haare. „Jaja, ich bin nicht

groß, sondern du bist klein!“, erklärte er und behandelte mich wie einen kleinen, niedlichen Hasen. „Du Blödmann!“, brachte ich lachend hervor und sprang an ihm hoch, um die Kamera zu erreichen. Eigentlich war er ja mein Chef, aber da hier gerne alle mal herumalberten, war die Atmosphäre total locker. Natürlich kam ich nicht an den Zweimetermann heran. „Was ist eigentlich darauf?“, fragte er und wurde wieder ernst. „Ein episches Video von ihr.“, erklärte Christophe. „Warum musstest du uns eigentlich filmen?“, fragte ich und gab ihm einen, gespielt ärgerlichen, Stoß in die Seite. Blitzschnell fasste er mich an beiden

Händen, stellte sich hinter mich und hielt meine Arme hinter meinem Rücken fest. „So, Ludovic“, meinte er grinsend. „Jetzt kannst du uns mal das Video zeigen.“ Ohne Erfolg versuchte ich, mich zu wehren. „Sch“, machte Christophe, als würde er ein ängstliches Pferd beruhigen. „Ich bin nicht Rango!“, kam es von mir und ich verdrehte die Augen. Doch nun zeigte Ludovic das Video. Okey. Es war wirklich episch. Blödmann. Wetten, dass es morgen in Facebook war? Na gut, sollte es halt sein. Mir doch egal. Jetzt wirst du wieder zum trotzigen Kleinkind, dachte ich und musste ein wenig

schmunzeln. Als Ludo fertig war, gab er Christophe die Kamera wieder. Ich gab auf, mich zu wehren. Vielleicht war ich morgen dann der Star auf Facebook? Wer weiß? Das würde mir sogar gefallen. So ging ich zurück zu Morendo und brachte den Apfelschimmel mit der dunklen Mähne zurück in seine Box. Anschließend holte ich Felicitas und sattelte sie. Ich entschied wieder, sie mit auf einen Ausritt zu nehmen. Diesmal nahm ich Irmao als mein Reitpferd. Umso öfter Felicitas den Sattel auf den Rücken trug, desto eher gewöhnte sie sich an ihn. Anschließend ging ich nach

Hause. Als ich am nächsten Nachmittag, ich ging nicht nach Rust, da ich für eine wichtige Englischarbeit lernen musste, mich in Facebook einloggte, sah ich es sofort. In Rocheforts Reich, der Arena Fan Gruppe, war ganz oben dick und fett: „Christophe Bournique hat ein Video hinzugefügt.“ Er hatte es „Morendo danse“ genannt. Untertitel: „Um unser kleine Neue zu ärgern.“ Sein Deutsch war katastrophal. Ich verdrehte die Augen, doch dann sah ich dass das Video schon fast 100 likes hatte. Interessiert klickte ich es an. Wirklich, er hatte es schwarz-weiß gemacht und

die Musik neu hinterlegt. Es war wirklich wunderschön geworden. Unsere Bewegungen passten wunderbar zu der Musik und waren so gut geworden, dass ich richtig Gänsehaut davon bekam. Auch Andere fanden es wunderschön. „Wunderschön, wie ein Mensch dazu nur in der Lage sein kann?“, war einer der Kommentare. „Gänsehautfeeling. Love Morendo.“, ein Anderer. Doch mehrmals wurde gefragt wie denn der Neuzugang hieße. Sollte ich es sagen? Warum nicht? Auf Facebook kannte mich sowieso niemand. Also schrieb ich nur meinen Namen hin. „Hanna.“ Ich hatte kein Profilbild auf

Facebook. Noch nicht, vielleicht würde ich demnächst eines mit Marion machen. Ein bisschen später kam die Antwort. „Bist du DIE Hanna?“, fragte Schnuffis Liebling. „Ja, um der Frauenquote gerecht zu werden ;)“, schrieb ich zurück. „Du hast gar kein Profilbild. Aber wunderschönes Video, wie hast du das Pferd dazu gebracht?“, kam es prompt zurück. „Tja, das weiß nicht einmal Ludovic. Aber hiermit gebe ich jedem von euch die Erlaubnis, Christophe von mir einmal zu schlagen. Ich habe noch eine Rechnung wegen diesem Video mit ihm offen.“, schrieb ich. „Wieso das denn?“ „Er hat es gegen

meinen Willen gefilmt und veröffentlicht. Aber ich werde ihn nicht verklagen, keine Angst :)“, postete ich. „Ach so, ja dann. Herzlich Willkommen in der Arena, Hanna!“, wurde ich offiziell begrüßt. „Sehen wir dich auch mal in der Show?“, wurde ich weiter gefragt. „Nein, wahrscheinlich nicht. Ich bin nur für das Pferdetraining zuständig. Außerdem gibt es keine brünetten Miladys.“ „Stimmt das eigentlich, Marion? Dass sie jetzt auch zu euch gehört?“, fragte Schnuffis Liebling auf Englisch und schrieb damit auch gleich Marion an. „Sicher, sie ist ein richtiger Sonnenschein.“, schrieb Marion,

ebenfalls auf Englisch, wenig später zurück. Das wird sie am Wochenende noch zurück bekommen. Sonnenschein! Ja klar, das konnte man zu Babys sagen, aber nicht zu mir. Ich war zwar die Jüngste, aber trotzdem die, die den wichtigsten Job hatte. Vor Vorfreude grinsend, schalte ich den Computer aus. Das würde ein spaßiges Wochenende werden.

Kapitel 7

Wir hatten Samstag, als ich wieder nach Rust ging. Die blöde Englischarbeit hatte meine ganze Zeit beansprucht. Trotzdem war ich, wie immer, gut gelaunt, als ich das Gelände betrat. Bei Pferden fühlte ich mich am wohlsten. Marion kam mir entgegen. „Ich dachte, du wolltest nicht sagen, dass du hier arbeitest.“, begrüßte sie mich. Ich zuckte die Schultern. „Irgendeiner hätte es sowieso gesagt und wen stört es? Auf Facebook kennt mich, außer euch natürlich, sowieso niemand.“, erklärte ich. „Und noch was, Marion, was sollte der Sonnenschein? So etwas sagt man zu

kleinen Babys, aber nicht zu der Person, die den wichtigsten Job hier hat.“, brummte ich beleidigt. „Es ist doch so. Du bist so ziemlich die Einzige, die durchgehend gute Laune hat und diese auch noch verbreitet!“, meinte sie entschuldigend. Ich lächelte leicht. „Jaja, schon gut. Aber ich hatte auch nicht immer gute Laune. Zum Beispiel am letzten Vollmond.“ Marion lächelte jetzt auch. „Ja da, das zählt nicht. Da konntest du ja nichts dafür.“ „Ok, ist ja gut.“, meinte ich nur und wechselte schnell das Thema. „Was machen wir heute? Wieder fechten? Oder proben wir mal, wie ich am besten vom Pferd falle?“

Marion lächelte. „Nicht ganz. Zuerst schauen wir, dass du vom Thronpodest auf die Matte fallen kannst. Dann vielleicht noch fechten. Und heute Mittag haben wir eine Verabredung mit den Globe Darstellern. Danach kannst du machen was du willst, wahrscheinlich wirst du reiten gehen, wie ich dich kenne.“ Ich dachte scharf nach. „Warte mal, Marion, kann ich heute Nachmittag schon früher gehen? Ich habe noch Training im Voltigieren. Können wir dafür noch ein bisschen die Trickreitsachen üben? Und das Fechten auf Morgen verschieben?“, fragte ich. Verwundert hob meine Freundin eine

Augenbraue. „Ja klar, so können wir das auch machen, auch wenn Fechten für dich jetzt wichtiger wäre, denn das kannst du ohne Musik nämlich nicht wirklich.“ Ja, danke. Das wusste ich auch selber. „Danke, Marion.“, freute ich mich trotzdem. „Ok, kommst du mit in die Arena?“ Wortlos folgte ich ihr und half ihr, die Matte in die Arena zu tragen. Dort positionierte sie die Matte unter dem Podest. Ich kletterte schon mal hoch. Ok, sehr hoch war das ja nicht, aber mit Salto? „Kannst du das? Oder sollen wir zuerst leicht anfangen?“, fragte sie. Nee, natürlich nicht, ich ließ mich einfach mal fallen und versuchte

mich in der Luft zu drehen, was mir gelang. Da wurde ich auch schon von der weichen Matte aufgefangen. „Huch“, machte ich. „War’s das schon?“ Marion lächelte. „Klar, du kannst ja auch schon alles. Warum teste ich das überhaupt? Mach ruhig noch ein paar Mal, damit ich mich davon überzeugen kann, dass du es auch wirklich kannst.“ Ich gehorchte ihr und nachdem ich mich einmal überwunden hatte, schaffte ich es auch die anderen Male. „Kein Problem also.“, freute sich Marion. Nachdem wir die Matte weggeräumt hatten, hängte sie das rote Tuch auf, damit ich das Trickreiten auch mal in Echt probieren konnte. Das

Tuch hing als Absperrung für die Pferde da, damit sie in einer vorgegeben Bahn laufen mussten. Marion hatte dafür Irmao, der heute nicht in der Show ging, gesattelt. Als wir uns warm gemacht hatten, ging es auch schon los. Irmao kannte das schon und preschte gleich los. Ich ließ die Zügel los und ließ mich an seiner Seite hinunter hängen, kurz bevor er wieder in den Stall preschte, schwang ich mich wieder auf seinen Rücken und bremste ihn. Trickreiten erforderte eine hohe Konzentration und deshalb war ich, als wir die Arena nach einer halben Stunde räumen mussten, auch vollkommen

fertig. „Oh man, das ist ja wirklich anstrengend.“, brummelte ich und ritt den nassgeschwitzten Irmao trocken. „Aber du warst heute Brav.“, lobte ich ihn. „Immer doch.“, sagte er leise und gähnte. Marion richtete inzwischen Thorgal. Ich brachte Irmao in seine Box und zog mir schnell meine Alltagskleidung an. Dann setzte ich mich ins Publikum und sah mir schon wieder die Show an. Diesmal passte ich auf. Doch dann kam es anders als geplant, als der Herzog und die Herzogin ausgesucht wurden. Denis ging nachdenklich das Publikum durch, während Stéphane schon längst

den Herzog gefunden hatte. Vor mir blieb er stehen und reichte mir die Hand. Ich warf ihm den Bösesten Blick zu, den ich drauf hatte. „Komm schon“, sagte er grinsend. Also richtete ich mich auf und als er mich nach dem Namen fragte, sagte ich nichts. Er wusste ihn ja. Natürlich stellte er mich als Hanna vor. Als wir das Publikum entlang zum Thron schritten, beschimpfte ich ihn leise, während ich noch schön brav winkte. „Warum ich? Musste das sein? Kann man nicht einmal die Show genießen?“, fragte ich gespielt sauer. Doch er ignorierte mich, da er das Mikrofon anhatte. Als wir die Kostüme

angezogen hatten, forderte er mich, wie immer an dieser Stelle, zu einem Tanz auf. Ich gehorchte, während ich ihn weiter leise aus Spaß beschimpfte. „So, hinsetzen und brav sein.“, sagte er verschmitzt. Irgendetwas heckten sie aus, dass sah ich ihm an. Als er kurz darauf hinter mir stand und das Mikro aus hatte, erklärte er mir kurz die Sachlage. „Improvisiere. Wir stellen dich jetzt vor. Heute sind recht viele unserer Showfotografen da. Und die Stammbesucher. Touristen sind nicht viele da.“ Um genau zu sein, waren vielleicht 50 Leute da. Das Wetter war ja auch nicht wirklich

schön. Dann kamen die Musketiere um uns zu beschützen. Christophe warf mir einen Degen zu. Ich fing ihn wortlos auf und wartete bis ich wohl an der Reihe sein würde. Recht schnell. Denn statt wieder aufzustehen, blieben heute die drei Musketiere liegen. Marion winkte mich kurz heran. Und dann kämpften wir. Mein Degen flog durch die Luft und ich konnte geschickt Marions Angriffe parieren. Was auch nicht schwer war, denn sie machte es extra einfach für mich. Anschließend rappelten sich die Musketiere auf und trieben Marion vom Podest runter, damit Platz für Ludovic, als Kardinal war. Als

auch er besiegt war, diesmal nur durch die Musketiere, nahm er mich mit zu Thorgal, der unten wartete. Marion saß schon auf ihm und reichte mir die Hand, damit ich mich hinter sie schwingen konnte und wir für das Ende bereit waren. Denn die Geschichte hatte mit dem Besiegen von dem Kardinal geendet. Jetzt las Denis unsere Namen vor. „Milady de Winter: Marion Levavasseur! Heute in Begleitung von unserer wunderschönen Herzogin Hanna! Sie ist seit zwei Wochen mit von der Partie. Das gesamte Arena Team heißt sie recht herzlich Willkommen!“, stellte er mich

vor. Ich schlang meine Arme um Marions Taille, um nicht von Thorgal zu fallen, der im vollen Galopp gerade die Runde drehte. Neben mir klickte ein Fotoapparat und ich setzte mein schönstes Lächeln auf. Heute ritten alle noch eine Ehrenrunde, meinetwegen. Bis sie schließlich doch in die Arena abbogen und sich aufstellten. Thorgal keuchte. „Das ist aber doch hoffentlich nicht immer so? Euch beide im vollen Galopp ist nämlich anstrengend!“, beschwerte er sich. „Nein Thorgal, das ist nur heute“, beruhigte ich ihn, sodass es nur er und Marion hören konnten. „Was hat er

gesagt?“, fragte Marion leise. „Ach, er beschwert sich nur, dass wir beide ihm fast zu schwer sind.“ Marion lächelte und lobte ihr Pferd. „Hast du gut gemacht, Großer.“ Dann ritten wir hinaus, doch jemand hielt uns auf. „Kommt ihr nochmal?“, fragte jemand und Ludovic, hinter uns, antwortete mit „Ja, warte noch kurz, Nicole!“, rief er und wir ritten hinaus. Sobald wir außer Sichtweite waren, rutschte ich von Thorgal’s Rücken. „Warte, Nicole will noch Bilder machen.“, sagte Ludovic. „Nicole?“, fragte ich. „Ja, sie macht Bilder von unserer Show. Vielleicht kennst du sie ja von Facebook. Da stellt sie regelmäßig

Bilder hinein.“, erklärte er. „Achso, die.“, ich wusste wieder wer sie war. Sie konnte richtig gut fotografieren. Als alle Personen, außer eben Nicole, draußen waren, ritten wir wieder hinein. Ich lief diesmal. Plötzlich rief sie mich. „Hanna? Du bist doch die mit dem Video, oder?“, fragte sie auf Französisch und ich blieb auch im Französischen, obwohl ich wusste, dass sie Deutsche war. „Ja, die bin ich“, sagte ich und beschoss Christophe mit wütenden Blicken. „Halt mal, mit dir habe ich ja noch eine Rechnung offen.“, sagte ich verschmitzt. „Nachher, ja?“, redete er sich raus und wir ließen Nicole erst einmal die Bilder

machen. „Soll ich von dir auch ein paar Bilder machen? Du hast nämlich immer noch kein Profilbild in Facebook und überhaupt. Es gibt absolut nichts von dir.“, schlug Nicole vor und ich ergab mich meinem Schicksal. Mal machten wir Bilder zu Pferd, ich lieh mir Aguilito von Louisa aus, mal machten wir Bilder von Marion und mir, weil ich gerne ein paar Bilder mit ihr haben wollte und mal ganz alleine. Insgesamt ging es knapp 40 Minuten und ich war froh, als ich es hinter mir hatte. „Sehr schön!“, rief Nicole. „Dankeschön. Ihr bekommt die Bilder morgen!“ Ludo nickte und sobald sie

gegangen war, ging ich schnell zu Rango, der geduldig auf Chris wartete, der uns zugesehen hatte. „Du bewegst dich nicht vom Fleck, ok? Falls er dich aber verletzt, darfst du gerne steigen. Ich habe mit deinem Reiter noch eine Rechnung offen.“, eröffnete ich ihm und der Hengst nickte gehorsam. Und wirklich. Als Chris hinaus reiten wollte, bewegte sich Rango keinen Meter vorwärts sondern gähnte nur demonstrativ. Zuerst war Christophe verwirrt, denn während ich mit Rango geredet hatte, hatte Marion ihn abgelenkt. Auch sie würde es lustig finden, Chris mal zu verarschen. Vorher hatte ich ihr von meinem Plan

erzählt. Als Christophe dann mal ein bisschen härter wurde und wieder ganz in seinen alten Reitstil verfiel, stieg Rango. „Was ist denn mit dir los?“, wunderte sein Reiter sich und stieg ab, um ihn führen zu wollen. Doch auch hier bewegte sich Rango keinen Meter vorwärts. Marion und ich lehnten an der Wand und lachten uns schlapp. Vor allem, als Chris anfing, sein Pferd ziehen und schieben zu wollen. Als er schob, bekam ich einen endgültigen Lachflash. Das sah so urkomisch aus, dass ich vor Lachen beinahe am Boden lag. Allerding bemerkte Chris es. „Ja, lach nicht so,

sondern helfe mir lieber!“, beschwerte er sich. „Lass ihn doch da stehen“, kicherte ich. „Haha, sehr lustig“, kam es sarkastisch zurück. „Rango, willst du da noch Ewigkeiten rumstehen?“, brummte er. Rango machte es allmählich auch Spaß, seinen Reiter zu verarschen. Demonstrativ winkelte er ein Bein an und verfiel in eine Döspose. „Kann mir mal jemand helfen? Ich bekomme mein Pferd nicht vom Fleck!“, beschwerte Chris sich. Nachdem ich ihn noch fünf Minuten länger zappeln gelassen hatte, erbarmte ich mich und ging zu ihm. „Das war meine Retourkutsche, falls du den Grund wissen wolltest“, lachte ich

und nahm Rango selbst am Zügel. Sofort folgte der Braune mir. Ärgerlich stapfte sein Reiter hinter uns her. „Das bekommst du zurück!“, rief er mir nach, als ich das Pferd in die Box führte. Ludo kam uns entgegen. „Na? Dein Pferdchen vom Fleck bekommen?“, fragte er schmunzelnd. Christophe war sauer. „Nein!“, knurrte er und stapfte davon. Marion klopfte mir auf die Schulter. „Der ist aber jetzt mächtig sauer!“, sagte sie besorgt. „Das war ich auch, als er das Video auf Facebook gestellt hat.“, erwiderte ich. „Gehen wir jetzt was essen? Ich habe nicht wirklich Lust, Chris über den Weg zu laufen. Ich wette, der Gegenschlag

wird folgen.“, meinte ich. Marion hob eine Augenbraue. „Klar doch, wir wollen doch noch die Globe Darsteller treffen.“, stimmte sie mir zu und wir gingen. In der Kantine gab es heute Kartoffelbrei. Na gut. Besser als nichts. Wir setzten uns zu Ornella und Gabriella, die wie immer zu zweit an einem Tisch saßen. „Hmm… Was meinst du, warum riecht es plötzlich nach Pferd?“, fragte Ornella Gabriella auf Englisch. Ich grinste und ließ mich ihr gegenüber nieder. Marion setzte sich neben mich. „Und? Wie geht’s denn so?“, fragte sie ebenfalls auf Englisch, um ein Gespräch

anzufangen. Ornella zuckte die Schultern. „Ganz gut, nur immer wieder das Gleiche aufzuführen nervt auf Dauer. Klar, mir macht meine Arbeit Spaß, aber irgendwie ist sie so eintönig.“, erklärte sie. Marion lächelte. „Also bei uns wird es, seit Hanna da ist, nie langweilig. Heute hat sie den armen Christophe ganz schön geärgert. Es war richtig lustig. Und da die Pferde auch nie gleich drauf sind… Warst du schon auf Facebook?“, fragte sie plötzlich, ich sprang auf und wollte ihr den Mund zu halten, doch sie wich aus und drückte mich auf den Stuhl zurück. Sie stellte sich hinter mich und packte meine Schultern, sodass mir wieder nichts

anderes übrig blieb, als mit anzuhören, wie sie von dem Video erzählte. „… Es ist unglaublich.“, endete sie schließlich und ich verschränkte beleidigt die Arme. „Du blöde Kuh!“, brummelte ich und warf ihr einen bösen Blick zu, während sie sich wieder hinsetzte. „Das Video ist doch schön, ich weiß gar nicht was du hast.“, meinte sie und wandte sich wieder ihrem Essen zu. „Ich werde es mir anschauen.“, versprach Ornella und ich aß demonstrativ beleidigt weiter. „Soll ich dich eigentlich mit nach Hause nehmen?“, fragte Ornella plötzlich auf Deutsch. Ich hob eine Augenbraue. „Ja, gerne, wenn es dir keine Umstände

macht.“ „Nein, das passt schon, weil ich doch auch in die Richtung muss und du dann nicht so an die Zeit gebunden bist. Außerdem freue ich mich über Gesellschaft.“, sagte sie lächelnd und ich nickte. „Danke, gerne doch.“ „Ok, ich hole dich dann bei der Arena ab.“ Sie lächelte freundlich und aß weiter. Nachdem wir gegessen hatten, liefen wir zurück zur Arena. „Och man, schon wieder habe ich sie nicht nach einen Autogramm gefragt!“, ärgerte ich mich laut und Marion klopfte mir beruhigend auf die Schulter. „Passt schon, du hast ja heute genug Zeit.“ Doch mir verging die Vorfreude, als wir das Tor zur Arena aufmachten. Sobald ich dieses nämlich

öffnete, fiel ein klatschnasser Schwamm auf mich, sodass ich richtig schön nass wurde. Ich holte tief Luft. „Na warte, das gibt’s zurück!“, knurrte ich und hielt nach Christophe Ausschau. Dieser stand in einem schönen Sicherheitsabstand von mir weg. Er grinste frech und ich lief zuerst langsam und tat so, als würde ich an ihm vorbeilaufen. Doch sobald ich nah genug bei ihm war, änderte ich urplötzlich die Richtung und rannte auf ihn zu. Christophe war überrascht, rannte jedoch rechtzeitig weg. Dennoch war ich nah an ihm dran und erwischte ihn gleich. Lachend warf ich ihn ins Gras und

drückte ihn zu Boden. „Hey!“, beschwerte er sich. „Das war doch nur wegen vorhin. Ich wette, dass du Rango bestochen hattest!“ Ich grinste. „Ja, ich habe ihn bestochen.“ Dann ließ ich ihn frei und er folgte mir. „Warte es nur ab, du bekommst noch den Gegenschlag!“, drohte ich. Doch nun richteten wir die Pferde wieder für die nächste Show. „Also, ich setze mich nicht mehr ins Publikum“, erklärte ich Louisa grinsend, als ich ihr half, Irmao, den sie heute ausnahmsweise ritt, zu richten. Sie lachte nur leise und warf dem Pferd den Sattel auf den Rücken. Dann führte sie ihr Pferd hinaus und wartete auf ihren Einsatz. Während der Vorstellung saß ich

draußen beim Tor, als es plötzlich aufging. Neugierig sah ich auf. Es war Ornella. „Können wir schon gehen?“, fragte sie leise. Ich nickte. „Klar, wieso denn so früh?“, fragte ich verwundert. „Ach. Unser Chef war heute so sauer, dass er uns allen freigeben hat. Er war verdammt wütend.“, sagte sie leise und blickte traurig in die Ferne. „Warte kurz, ich hole nur schnell mein Zeug“, meinte ich und ließ sie kurz allein. Unterwegs rief ich Ludovic noch zu, dass ich gehen würde, damit sie Bescheid wussten. Er nahm es nickend zur Kenntnis. Schließlich kehrte ich mit meiner Tasche wieder zurück. Ornella

sah traurig aus, als ich wiederkehrte, doch sie setzte schnell ein gekünsteltes Lächeln auf. „So, wir können gehen!“, sagte ich und sie ging voraus. Ich folgte ihr zu dem Mitarbeiterparkplatz, wo sie zielstrebig auf ein Auto zuhielt. Neben ihr stieg ich ein. Als wir kurz darauf auf der Autobahn waren, hielt ich es nicht mehr aus. Ornella sah so traurig aus. „Was ist denn los? Du sagst kein Wort und siehst ziemlich niedergeschlagen aus.“, versuchte ich das Thema in die Richtung zu lenken. Ausweichend sah sie kurz zu Seite, bevor sie ihren Blick wieder auf die Straße richtete. „Ach nichts.“, murmelte sie. „Komm schon,

ich weiß, dass etwas nicht stimmt.“, versuchte ich es weiter. Schließlich seufzte sie und holte tief Luft. „Ach, es ist nur so, langsam wird es echt zu viel. Mein Chef hat zurzeit eine schlechte Phase. Er treibt uns nur noch voran… Er hat irgendein Problem.“, meinte sie kurz angebunden. Ich spürte, dass sie nicht weiter darüber reden wollte und schwieg ebenfalls. So fuhren wir schweigend nach Hause. Danach hatte ich Voltigieren. Schon die letzten Male war ich nicht da gewesen, es wurde Zeit, dass ich mal wieder hinging. Ausnahmsweise kam ich sogar pünktlich zum Pferd

richten. Agrento, mein Lieblingspferd, ein kräftiger Apfelschimmel entdeckte mich bald. „Hanna!“, wieherte er freudig. Ich lachte und ging zu ihm. „Hallo Schöner.“, begrüßte ich ihn. „Hallo, meine Prinzessin.“, sagte er lächelnd und fuhr mit seiner Schnauze durch mein Gesicht. „Du darfst heute wieder im Volti gehen.“, erklärte ich und nahm eine Bürste, die am Boden lag. Mit sanften Strichen fuhr ich über sein Fell. Er genoss es und ich schilderte ihm unterdessen von meinem neuen Beruf, während er mir das Neuste aus dem Stall erzählte. Es war nichts Besonderes

vorgefallen. Allmählich trudelten auch die Anderen ein. Judith grinste, als sie mich sah. „Na? Auch mal wieder da?“, fragte sie. „Ja, ich hatte so meine Gründe, warum ich nicht da war. Etwas sehr Wichtiges.“, erklärte ich geheimnisvoll. Brav ließ Agrento sich gurten und trensen. Judith war etwas verwirrt. „Jetzt ist er irgendwie wieder brav!“, meinte sie. Ich hob fragend eine Augenbraue. „Als du nicht da warst, war er unmöglich. Jetzt ist er wieder ganz der Alte.“, erklärte sie. Nun ja. Das war halt Agrento. Er hatte mich genauso lieb, wie ich ihn. Nämlich sehr, sehr lieb.

Keiner konnte ohne den Anderen. Irgendwie fühlte ich mich erst vollkommen, wenn ich bei Agrento war. Wenn ich in seine dunklen Augen blickte, war alles andere vergessen. Wenn ich auf ihm saß, gab es nur noch uns zwei. Wenn er unter mir galoppierte, dann flogen wir zusammen über den Weg. Wenn er mir seinen Atem in die Haare blies, dann fühlte ich, dass er mich vermisst hatte, wann immer ich nicht da war. Auch ich vermisste ihn in jeder Sekunde, die ich ihn nicht sah. Gemächlich folgte er Judith in die Halle. Die jüngeren Mitglieder unserer Gruppe folgten uns wie eine Gruppe Gänse. Judith und ich waren die Einzigen, die

von den Größeren geblieben war. Sie war schon 19, voltigierte aber trotzdem noch gerne. Vor einem halben Jahr waren Carina und Ines gegangen. Sie waren ebenfalls beide 19. Unsere Trainerin, Julia, begrüßte mich auch lächelnd. „Lange nicht mehr gesehen, Hanna. Wo warst du denn so lange?“, wollte sie wissen. Wieder war ich nur geheimnisvoll. „Wirst du sehen.“, meinte ich, denn ich hatte im Volti enorme Fortschritte gemacht. Dadurch, dass ich jeden Tag im Sattel saß oder das Trickreiten übte. Das merkte auch Judith. Denn jetzt kam ich ganz ohne Hilfe auch im Schritt auf Agrento hoch. Mit einem schönen

Sprung und schön gestreckten Beinen, flog ich auf seinen Rücken. Julia staunte nicht schlecht. „Wow! Wo hast du das denn gelernt?“ Ich grinste. „Soll ich dir noch den Rest meines Neuerlernten zeigen? Dazu musst du aber angaloppieren!“, fügte ich noch für Agrento hinzu. Dieser ließ sich das nicht zweimal sagen. Julia verdrehte die Augen, denn sie war inzwischen gewohnt, dass Agrento immer genau das machte was ich sagte, aber nie auf sie hören wollte. Ich fing mit dem Hang an. Die Schlaufen am Voltigurt waren zwar nicht gut dafür geeignet, aber es reichte. Ich zeigte sämtliche meiner

neuen Übungen. „Das war sauberes Trickreiten. Jetzt mal ernsthaft, woher kannst du das?“, fragte Vera, Judiths kleine Schwester. „Das habe ich von zwei Profis höchstpersönlich gelernt. Wisst ihr noch, wie ich euch vor drei Jahren die Ohren mit Marion Levavasseur vollgeschwärmt habe? Von ihr und Louisa Kaczmar kann ich das. Die zwei sollen mir das beibringen, falls ich auch mal die Milady spielen soll. Ich arbeite nämlich jetzt in der spanischen Arena als Pferdetrainerin und bekomme nebenbei noch alles Mögliche beigebracht.“, antwortete ich. Judith sah mich überrascht an. „Pferdetrainerin? Wie hast du denn das

geschafft?“ Statt zu antworten, schwang ich mich von Agrento. „Darf ich mal?“, fragte ich Julia und machte die Longe und Ausbinder von Agrento kurz weg. Aufmerksam sah er mich an. „Du steigst auf die Hinterbeine, wenn ich die Arme nach oben nehme, ok?“, bat ich ihn leise und er nickte kaum merklich. Zwei Schritte ging ich von ihm weg, nahm meine Arme nach oben und zeigte in die Luft. Agrento schwang seine große Hufe in die Luft. „Sehr gut“, lobte ich ihn und er freute sich über das Lob. „Wow!“, sagte Julia nur. Lächelnd machte ich die Longe und die Ausbinder wieder fest und warf Judith hoch. Die restliche Stunde

verging schnell, denn bei Agrento fühlte ich mich wohl. Nach der Stunde versorgte ich ihn. Zuerst gönnte ich ihm eine kalte Dusche, die er sich verdient hatte. Er hatte nämlich ganz schön geschwitzt. Anschließend ließ ich ihn noch grasen. Ich fuhr erst wieder nach Hause, als er völlig zufrieden in seiner Box stand.

Kapitel 8

Am nächsten Morgen kam ich früh, denn ich hatte eine Idee für Christophe. Grinsend holte ich sein blaues Oberteil, welches er in der Show tragen musste und ein Seil. Dann kam ich an Rangos Box. „Darf ich dich kurz als Leiter benutzen?“, fragte ich das Pferd, das verwirrt nickte. Also schwang ich mich auf seinen Rücken und stand auf, bis ich auf seiner Hinterhand stand. Von dort hängte ich das Oberteil an der Decke auf, sodass man nur drankam, wenn man auf Rango draufstand. Mal schauen, ob Christophe das

schaffte. Als ich das gemacht hatte, begann ich meinen Arbeitstag damit, zuerst ein paar Boxen auszumisten. Der empörte Aufschrei kam ungefähr eineinhalb Stunden später. „Hanna!“, folgte es kurz darauf von einem grinsenden Christophe. Unschuldig blickte ich ihn an. „Holst du mir das Teil herunter, oder muss ich dich dazu zwingen?“, fragte er und tappte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. Ich tat so, als wüsste ich nicht wovon er sprach. „Welches Teil?“, fragte ich komplett mit Unschuldsmiene. „Hanna!“, er verdrehte die Augen. Langsam schritt er auf mich zu. Ich lehnte die Mistgabel

an Blacos' Box und ging ein paar Schritte rückwärts. Kurz darauf jagte er mich über den Hof. Geschickte schlug ich ein paar Wendungen und rannte beinahe Marion um. Dadurch strauchelte ich und Christophe erwischte mich. Er hielt mich fest, sodass ich nicht fliehen konnte und kitzelte mich ordentlich durch, bis ich vor Lachen nach Luft rang. „Lass das!“, sagte ich keuchend. Chris dachte nicht daran. „Holst du es mir jetzt runter?“, fragte er grinsend. „Ja, ist gut, hör aber bitte auf!“, flehte ich. Doch bevor ich wieder abhauen konnte, nahm mich Christophe am Hals und führte mich im Klammergriff zu

Rangos Box. Ich versuchte noch meinen Kopf aus seinen Armen zu winden, doch da war keine Chance. Er warf mich bei Rango ins Stroh und schloss schnell die Boxentür, damit ich nicht abhauen konnte. Seufzend stand ich auf und kam wieder an die Boxentür. Doch Christophe schüttelte grinsend den Kopf. „Du Blödmann!“, seufzte ich aus Spaß und dirigierte Rango unter die Stelle, wo ich das Oberteil aufgehängt hatte. Dann stellte ich mich wieder auf seine Hinterhand und band es los. Doch bevor Christophe es nehmen konnte, war ich schon aus dem Fenster von Rangos Box geklettert und rannte

wieder über den ganzen Hof damit. Lachend den Kopf schüttelnd, versuchte Chris mich zu erwischen. Doch ich versteckte mich schnell hinter einem Pferdehänger. Ich sah, wie er auf der anderen Seite vorbeilief. Dann wurde es still und ich wägte mich schon in Sicherheit, als ich von hinten gepackt wurde. „Hab ich dich endlich!“, sagte Christophe und nahm mir sein Oberteil aus der Hand. Dann schlenderte er siegessicher davon. Hinter seinem Rücken streckte ich ihm die Zunge raus. Das sah Stéphane. „Hey!“, beklagte er sich, „Du machst mir Konkurrenz!“ Schmunzelnd lief ich zurück zum Stall.

Dort half ich Audrey weiter Boxen auszumisten. Anschließend trainierte ich zusammen mit Louisa den Fechtkampf, doch wir hörten schon bald auf, denn es war richtig warm heute. Marion kam gerade um die Ecke. „Na? Wie geht’s?“, fragte sie in die Runde. „Prima. Könnte nicht besser gehen. Nur ein bisschen warm.“, antwortete ich und wischte mir den Schweiß von der Stirn. „Was hast du heute Morgen eigentlich angestellt? Dass Christophe dich über den gesamten Hof gejagt hat?“, fragte sie neugierig. „Ach, das war nur der Gegenschlag zu gestern, wegen der Sache mit dem Schwamm.“ Ich zuckte die Schultern. „Ah ja, sollen wir noch

eine Runde kämpfen?“, fragte sie und nickte zu den Degen. Begeistert nickte ich. „Gerne!“ Und so fochten wir eine halbe Stunde lang. Anschließend war ich vollkommen fertig. Es war einfach viel zu warm heute! „Also ich könnte eine Abkühlung gebrauchen.“, meinte ich. Marion nickte grinsend. Sie sah aus, als führte sie etwas im Schilde. Langsam ging ich zurück zum Stall. Doch plötzlich kam er. Chris hatte sich unbemerkt von hinten angeschlichen und kippte mir nun einen ganzen Eimer Wasser über den Kopf. Einen sehr vollen Eimer. „Danke für die Abkühlung!“, beklagte ich mich und drehte mich um.

Hinter mir stand Chris und lachte sich schlapp. Da fiel mir etwas ein. „Ach, Christophe! Ich hab dich ja SO lieb, vielen, vielen Dank für die Abkühlung!“, rief ich ironisch und warf mich, nass wie ich war, an seinen Hals. „Ihh! Hanna! Muss das sein!“ Ja, musste sein, so wurde er auch nass. Nachdem ich ihn einmal von allen Seiten umarmt hatte, er war mindestens genauso nass wie ich, ließ ich von ihm ab. „Na super, vielen Dank, Hanna!“, er blickte mich böse an, brach dann aber in Gelächter aus. „Du siehst aus wie ein begossener Pudel!“, meinte er. „Haha, sehr lustig!“, kam es von mir ironisch zurück und ich grinste auch. „Aber mal

ganz ehrlich. Du siehst auch nicht viel besser aus.“, eröffnete ich ihm. „Komm jetzt, lass es für Heute gut sein.“, meinte er. Ich nickte. „Trotzdem bin ich nass!“, beklagte ich mich. „Tja, aber mein Kostüm zu verstecken war auch nicht nett.“, erwiderte er und ich grinste. „Komm schon. Es war wenigstens eine gute Idee.“ Er verdrehte die Augen und verkrümelte sich zu seinem Pferd. Zum Abschluss des Tages ging ich noch in die Globe-Show. Dort traf ich Ornella, die mich mit nach Hause nahm. Heute war sie etwas besser drauf als gestern. „Hallo, Hanna! Wie geht’s denn so?“, begrüßte sie mich gut gelaunt.

Fragend hob ich eine Augenbraue. „Mir geht es prima. Aber, was ist denn mit dir heute los?“ „Ach, unser Chef war erstens nicht da und zweitens haben wir erfahren, dass wir Schülerinnen bekommen. Das wird bestimmt eine tolle Aufgabe, junge Mädchen zu unseren Nachfolgern auszubilden.“, erklärte sie mir freudig. „Das Finale Casting wird am Sonntag vor den Sommerferien sein. Ich freue mich riesig darauf.“, erzählte sie weiter und ich hörte mir den ganzen Weg nach Hause ihre Schwärmereien von einer Schülerin an. Eigentlich konnte ich nicht so gut zuhören, aber Ornella hörte ich gerne zu, ich mochte

sie. Die nächste Zeit verging wie im Flug. Sie wurde bestimmt durch das tägliche Training mit Fechtkämpfen, Stuntübungen und Trickreiten. Nicht selten endete es mit blauen Flecken, aber ich übte. Bald konnte ich es sehr gut. Allerdings forderte das Training meine gesamte Kraft, wodurch ich das Pferdetraining etwas hängen ließ. Aber was wollte ich mit Felicitas noch groß machen? Sie war jetzt brav und ich nahm sie immer wieder auf Ausritte mit. Ein ganz unkompliziertes Pferd würde sie wohl nie werden, aber sie war zumindest nicht immer schlecht drauf. Mit Christophe bekam ich mich nicht

mehr ein. Immer wieder spielten wir uns Streiche, die nicht selten in wilden Hetzjagden auf dem Hof endeten. Doch keiner von uns meinte es je ernst. Einmal sagte ich Rango, er solle doch mal die Gelegenheit nutzen und bei einer offener Boxentür einfach mal hinaus rennen. Er tat es prompt und Christophe durfte den Braunen eine halbe Stunde lang jagen, bis ich mich erbarmte und ihn zu mir rief. Dafür bekam ich ein T-Shirt mit einem „I love Christophe“ Aufschrieb. Das allerdings merkte ich erst, als seine Freundin es mir empört sagte. Ornella hatte weiterhin Probleme mit ihrem Chef, die erst aufhörten, als er

morgens zwei Kaffees bekam. Dafür hatte eine genervte Gabriella gesorgt. Auch sie lernte ich mit der Zeit immer besser kennen. Von beiden bekam ich ein Autogramm, was mich sehr freute. Auch Juan hatte mir eines gegeben. Ihn fand ich auch sympathisch. Manchmal besuchten wir, wenn nichts los war, unsere Shows gegenseitig. Nur mittags, wenn die Showzeiten sich überschnitten und beim Mittagessen, war es strickt nach Arena und Globe getrennt. Niemand aus dem Globe würde mit Arena zu Mittag essen (abgesehen natürlich von den weiblichen Ausnahmen Marion, Louisa und mir)! Mit Marion verstand ich mich weiterhin

prima. Auch mit Louisa freundete ich mich immer mehr an. Den Beiden machte es sehr viel Spaß, mir etwas beizubringen.

Kapitel 9

Dass es wieder Vollmond war, bemerkte ich erst gar nicht. Erst als es mir, die stets aufmerksame Marion, sagte. Sie hatte sich einen Mondkalender für mich angeschafft. Immer wieder informierte sie mich über die aktuellen Mondzeiten. Und wirklich: Am Samstag war es mal wieder soweit. Es war nicht mehr so schlimm wie beim ersten Mal, aber trotzdem merkte ich die Schwäche deutlich. Marion war genauso aufgeregt wie ich, denn ich hatte ihr versprochen, ihr die blauen Energieströme zu zeigen. Oder zumindest würde ich es versuchen, denn ich hatte keine Ahnung

wie ich es anstellen sollte. An jenem Tag pausierten wir das Training. Ich hielt mich die ganze Zeit abseits. Denn schon seit dem Morgen sah ich, ohne dass ich es verhindern konnte, die blauen Energieströme. Morendo bestätigte es mir. Meine Augen glühten. So schlug ich mir die Zeit mit dem studieren der Energie tot. Ich entdeckte, dass Lebewesen wirklich so etwas wie eine Seele besaßen. Denn die Energieströme bündelten sich in einem Punkt, der bei jedem Lebewesen woanders sein konnte, und nährten dort eine Energiequelle. Umso größer die Energie, desto kaltblütiger und unfreundlicher war das Lebewesen.

Umso kleiner, desto freundlicher. Eigentlich ganz logisch. Jedenfalls wurde es recht bald Abend, sodass ich erste Vorbereitungen traf. Diesmal richtete ich mich im Umkleideraum ein. Da ich sowieso nicht viel schlafen würde, sollte es wenigstens Marion gemütlich haben. Sie hatte ebenfalls vorgesorgt und einen Schlafsack mitgebracht. Diesen breitete ich auf einer dicken Decke aus. Dann schloss ich den Raum ab, es würde eh niemand mehr hinein gehen. Aber ich wollte nicht, dass irgendwer es rausfand. Nach und nach gingen alle. Marion ließ sich bald darauf blicken. Sie hatte den Nachmittag im Park verbracht

und war ein paar Attraktionen gefahren. Schließlich kam sie angeschlendert. Ihre langen Haare flogen offen über ihre Schultern. Sie wippten im Takt ihrer Schritte. Zur Begrüßung gab sie mir die üblichen Franzosenküsschen auf die Wange. Ich zeigte ihr unser Lager und sie lächelte. „Dankeschön, Hanna!“ „Immer doch.“, antwortete ich und wir setzten uns auf den Boden. „Wie schlimm ist es eigentlich bei dir?“, wollte meine Freundin wissen. „Ach, letztes Mal war es schlimmer. Und da ich weiß, was mich erwartet, habe ich auch keine so große Angst mehr.“ Das war nicht gelogen. Mir ging es vergleichsweise

richtig gut. „Eigentlich solltest du ein wenig schlafen.“, schlug ich ihr vor. Marion hob eine Augenbraue. „Du klingst wie eine besorgte Mutter.“ „Nein, so meine ich das nicht. Ich meine, ich brauche den Schlaf nicht. Aber du kannst nicht schon wieder die Nacht durchmachen. Du darfst morgen wieder auf dem Pferd sitzen und solltest nicht vor Müdigkeit runterfallen. Ich habe ja gemerkt, dass ich Schlaf nicht brauche, wenn ich ein Pferd bin. Ich werde dich wecken, wenn ich kurz vor der Verwandlung stehe.“, erklärte ich und sie verdrehte die Augen, tat aber was ich ihr sagte und ich ließ sie alleine. Langsam schlenderte ich durch die

Stallgasse. Zur Sicherheit war meine Hand immer in der Nähe von den Gitterstäben der Boxen, falls mich ein Schwächeanfall treffen sollte. Morendo blickte mich ehrfürchtig an. „Du bist total anders, wenn du kurz vor der Verwandlung stehst.“, sagte er. „Wie denn?“, wollte ich wissen. Der Hengst dachte nach. „Irgendwie… ich weiß nicht… Vielleicht… Ich glaube, du bist wie ein Leithengst. Keiner traut sich an dich heran. So stark und hmm… magisch?“, versuchte er es in Worte zu fassen. Ich lachte leise. „Leithengst. Ja, klar. Vor allem weil ich vor kurzem noch die Leitstute war.“ „Nein, das ist nur heute

so, sonst bist du gewöhnlich die Leitstute. Aber wenn du dich verwandelst, dann strahlst du irgendwie so etwas Magisches, Königliches aus. Am liebsten würde ich mich dir vor die Füße werfen.“ Okey. Ein Pferd, was sich mir vor die Füße wirft. „Mach halt.“, versuchte ich die Situation etwas aufzulockern, denn sie war mir unglaublich peinlich. Wortlos wandte er sich ab und unsere kurze Unterhaltung war hiermit beendet. Plötzlich kamen die blauen Ströme wieder zum Vorschein und ich bemerkte, dass sie eine Strömung hatten. Sie flossen alle in eine Richtung. Verwirrt folgte ich ihnen. Mit jedem Schritt

schossen die Ströme in mich hinein und wieder hinaus. Immer wenn ich den Fuß aufsetzte, bildete sich um ihn ein blauer See. Am Ende des Hofes gab ich es auf, den Strömen zu folgen und ging zurück zu den Pferden. Ich kam an Hidalgo vorbei. „Siehst du eigentlich die blauen Ströme?“, wollte ich wissen. Von meinen leuchtenden Augen bekam er erst einmal einen Schreck. Als er sich wieder beruhigt hatte, schüttelte er den Kopf. „Nein, welche blauen Ströme?“ „Die Energieströme, die überall sind.“, erklärte ich. „Nein, die sehe ich nicht.“ An ihm konnte ich testen, wie ich es anderen zeigen sollte. Vorsichtig legte ich ihm eine Hand auf

den Hals und blickte in die gleiche Richtung wie er. Dann schloss ich die Augen und versuchte mir vorzustellen, wie er es sehen würde. Sanft lenkte ich die Energieströme in ihn. Meine ganze Konzentration galt nur noch dieser Aufgabe und wirklich: Hidalgo machte einen Satz rückwärts. „Was war das?“, fragte er entsetzt. Dadurch brach meinen Konzentration ab und ich beobachtete fasziniert wie sich um seine Pupille ein blau leuchtender Kreis gebildet hatte. So glühten wohl auch meine Augen. „Ach nichts, das waren nur die Energieströme.“, meinte ich und verabschiedete mich von ihm. Mittlerweile schien der Vollmond wie

eine runde Scheibe am dunklen Himmel. Ich bekam Schüttelfrost und ich wusste, dass es gleich los ging. Mit Mühe schleppte ich mich zu dem Umkleideraum, wo Marion schlief. Meine Beine drohten nachzugeben, doch ich hielt stand. Mit letzter Kraft drückte ich die Türklinke runter und rief Marions Namen. Sie schreckte hoch und sah mich sofort, wie ich am Boden lag. „Geht es los?“, fragte sie überflüssigerweise. Statt einer Antwort legte ich meine glühende Stirn auf den kühlen Boden und versuchte gleichmäßig zu atmen. Der Schweiß rann mir wieder in Bächen vom Körper. „Kann ich dir irgendwie

helfen?“, fragte Marion leise. Ich schüttelte schwach den Kopf. Allmählich spürte ich, wie mein Fell wuchs und ich zog schnell meine Hose und mein T-Shirt aus. Heute ging es schneller. Schwer atmend lag ich am Boden und schloss die Augen, während sich mein Körper verwandelte. Nach ein paar Minuten hörten die Schmerzen urplötzlich auf. Vorsichtig öffnete ich die Augen. Marion lächelte. „Hallo, Moondancer.“, begrüßte sie leise das Pferd und strich mir über die Stirn. Mit Schwung rappelte ich mich auf und schwankte erst kurz, bis ich mein Gleichgewicht gefunden hatte. Mein silbernes Haar fiel

wieder bis über meine Schultern. Ich schüttelte den Kopf, um mir den langen Pony aus dem Gesicht zu schleudern. Es half nicht viel. „Soll ich es dir schnell einflechten?“, fragte Marion schmunzelnd. „Bitte sehr.“, antwortete ich und hielt ihr meinen Kopf hin. Mit geschickten Finger flocht sie die paar silbernen Haare nach hinten. So war es schon viel besser. "Wieso eigentlich Moondancer?", fragte ich sie. "Naja, mir ist der Name vor kurzem eingefallen und ich habe sofort an dich denken müssen. Irgendwie passt der zu dir als Pferd.", erklärte sie. Zusammen gingen wir wieder hinaus. Diesmal blieb ich im Schritt, auch wenn

ich viel lieber rennen würde. Als wir außerhalb des Parks waren, bot ich Marion meinen Rücken an und sie schwang sich mit Gewissensbissen auf mich. „Bin ich dir wirklich nicht zu schwer?“, fragte sie leise und ich schüttelte energisch den Kopf. „Natürlich nicht. Du weißt gar nicht, wie viel Kraft ich als Pferd besitze. Und jetzt sei ruhig und sage mal eine Weile nichts, dann kann ich es dir zeigen.“, befahl ich ihr und galoppierte an. Zuerst bemühte ich mich einen schönen, aber trotzdem wilden Galopp hinzubekommen. Meine Hufe trommelten im Takt meiner Sprünge in den Boden und ich streckte meine Nase in den

Wind. Bei jedem Sprung wippte meine Mähne nach hinten und hüllte Marion in eine silberne Wolke. Sie hatte die Augen geschlossen und ganz langsam konzentrierte ich mich auf die Ströme. Ich konzentrierte mich darauf, wie sie in uns flossen, zuerst in mich, dann durch Marion durch, wieder in mich zurück und in den Boden. Ich suchte mithilfe der Ströme Kontakt zu ihrer Seele. Versuchte ein Teil davon mit meiner Sicht zu verbinden. Plötzlich spürte ich, wie sie die Augen aufriss. Ich konnte fühlen, was sie sah. Nämlich meine Sicht. Meine Pferdesicht war sowieso schon scharf und jetzt noch die Energieströme. Ob sie wohl

auch fühlen konnte, was ich fühlte? Diese Freiheit, die nur meine Hufe mir geben konnte? Sanft leitete ich die Ströme aus Marion um, verband sie mit meiner Seele. Jetzt konnte ich zumindest Marion deutlich spüren. Wie glücklich sie sich gerade fühlte. Und dass sie die Freiheit genauso spürte. Ich beschleunigte noch einmal. Nein, müde würde ich nicht werden. Jetzt rasten wir in den Wald hinein. Mein Hufschlag war nicht sehr laut, so begegneten wir allen Tieren, die vor uns keine Angst haben zu schienen. Sanft verfiel ich in Schritt und kam langsam zu einem Reh. Es sah mich erst ängstlich an, blieb aber stehen.

Vorsichtig streckte ich die Schnauze aus und versuchte etwas von seinem Geruch zu erhaschen. Das Reh roch nach Wald, Moos und Kräutern. Genauso wie ich kam es auch mit der Schnauze näher. Sanft berührten wir uns Nase an Nase. Marion hielt den Atem an. Plötzlich drehte es sich um und rannte weg. Doch nach ein paar Metern blieb es stehen und drehte sich zu mir um, als würde es sagen, dass ich mitkommen sollte. Unsicher folgte ich ihm in das Unterholz. Mehrmals musste meine Reiterin aufpassen, dass ihr kein Ast in das Gesicht schlug. Behände sprang das Reh über umgestürzte Bäume, aber ich lief lieber außenherum. Das Reh schien sich

über meine Ungeschicktheit lustig zu machen, denn immer wieder sprang es voraus und kehrte wieder zurück, als ob es sagen wolle. „Mach doch mal schneller!“ Irgendwann sprang es durch die Äste einer Trauerweide und war verschwunden. Neugierig schob ich mit der Nase die Äste zur Seite und folgte ihm. Wir landeten auf einer wunderschönen Lichtung, die von Magie nur so geprägt war. Auf jedem Grashalm saßen Glühwürmchen, die das Gras in einen leuchtenden Teppich verwandelten. Bei jedem meiner Schritte stoben sie auf und hüllten meinen Huf eine silberne

Wolke. Überall waren Tiere zu sehen, doch sie waren scheu und sahen nur kurz hervor. Das Reh hatte sich inzwischen zu seinem Rudel begeben, dass am anderen Ende der Lichtung stand. Es war ein Hirsch und fünf Rehe. Im mächtigen Geweih des Hirsches saßen ebenfalls Glühwürmchen, welche dem Geweih einen wunderschönen Glanz verlieh. Überall leuchtete es nur so. Allmählich trauten sich auch die anderen Tiere hervor und bald wimmelte es nur so von Eichhörnchen, Igeln, Vögel und kleinen Nagetieren. Sie waren manchmal kaum zu sehen und waren doch da. Ein Eichhörnchen besaß die Frechheit auf

mich zu klettern und ich wollte es abschütteln, als ich sah, dass es zu Marion kam und sich auf ihre Schulter setzte. Diese wagte kaum zu atmen. Vorsichtig lief ich an den Rand der Lichtung und bedeutete Marion, abzusteigen. So leise sie konnte, rutschte sie von meinem Rücken und ließ sich ins Gras sinken, wo sie reglos sitzen blieb. Ich warf mich herum und trabte über die Wiese. Es machte mir Spaß zu sehen, wie die Glühwürmchen aufstoben und sich wieder auf das Gras sinken ließen. Wie Spuren im Schnee, kam es mir in den Sinn. Nachdem ich ein bisschen meine schönen Gänge demonstriert hatte, ließ

ich mich auf den Boden sinken. Allerdings widerstand ich dem Drang, mich zu wälzen. Stattdessen blieb ich reglos liegen. Ließ zu wie die Eichhörnchen auf mich kletterten, um nachzuforschen, was ich denn wohl für ein Geschöpf war. Die Igel kamen auch näher, sie schnupperten an meinen Beinen und suchten mich nach Essen ab. Selbst die Vögel kamen und suchten meine Körperwärme. Ich ließ sie alle. Sah zu, wie sie um mich herumtollten. Doch plötzlich wurde es um mich herum unruhig, denn zwei Rehkitze kamen angerannt und untersuchten, ob man mit mir spielen konnte. Sie beschnupperten

mich am ganzen Körper und nahmen meine Mähne in den Mund. Liebevoll warf ich ihnen einen Blick zu und beobachte wie sie um mich herumtollten. Wie zwei junge Fohlen. Doch bald hatten sie das Interesse an mir verloren und gingen zu ihrer Herde zurück. Daraufhin kamen auch wieder die kleineren Waldtiere. Drei kleine Kaninchen kuschelten sich in mein Fell und schnupperten an dem Gras. Ihr Fell war mit Glühwürmchen gesprenkelt, die hier überall waren. Wirklich überall. So viele hatte ich noch nie auf einem Fleck gesehen. Aber sie störten nicht. Im Gegenteil, sie verliehen der ganzen Szene

eine wunderschöne Atmosphäre. Irgendwann, ich wusste nicht wann, rappelte ich mich auf und scheuchte so die Tiere von mir. Nur die Glühwürmchen, die sich mit der Zeit in meinem Langhaar niedergelassen hatten, blieben. Sie verliehen meiner Mähne einen goldenen Ton. So kam ich vorsichtig zu Marion. Auch in ihrem Haar hatten sich ein paar Glühwürmchen verirrt, die ihr sonst braun-blondes Haar golden färbten. Sie streckte eine Hand aus und fuhr mir sanft über das Fell. Ich sah sie an und sie schwang sich auf meinen Rücken. Wohl etwas zu schnell, denn die Waldtiere verschwanden auf einmal. Nur

das Reh, das uns hierhergeführt hatte, blieb. Es kam zu mir und wir berührten uns wieder Nase an Nase. Dann führte es mich an die Stelle zurück, an der wir vom Weg abgekommen waren. Ab hier kannte ich den Weg zurück. Die Sonne ging schon ein bisschen auf. Ich musste mich beeilen, damit ich vor Sonnenaufgang in de Arena war. Der Himmel war schon leicht mit orangenen Streifen bedeckt und so galoppierte ich den Rest. Meine Hufe flogen nur so über den Weg, während wir immer weiter in Richtung Arena jagten. Die Sonne stieg beharrlich weiter, doch ich zwang mich weiter zu rennen und den Sonnenaufgang nicht zu

genießen. Waren wir solange im Wald gewesen? Die Zeit war so schnell vergangen. Bald kamen wir in der Arena an. Gerade noch rechtzeitig, denn mit dem ersten richtigen Sonnenstrahl, der mein Fell berührte, begann es sich wie von einem Stromschlag getroffen, zurückzuziehen und meiner menschlichen Hülle Platz zu machen. Marion hatte inzwischen meine Kleidung geholt und warf sie mir zu. Schnell zog ich mich an. Allmählich erwachte der Stall zum Leben. „Danke für die wunderschöne Nacht. Es war total magisch.“, bedankte sich Marion. Ich lächelte. „Keine Ursache. Schließlich bist

du ja nur nebendran gesessen. Was würde ich dafür geben, um mich gesehen zu haben.“ Sie blickte mir nach, wie ich in Richtung Rangos Box verschwand, um sie zu präparieren. Die Tür stattete ich mit einem weiteren Hebel aus, damit sie nicht gleich aufging und fügte noch einige Kniffe ein. Da sollte Chris einiges zu tun haben, bis er die Tür aufbekam. Nun ja, wie du mir, so ich dir, hieß es doch. Denn am vergangen Tag hatte er „versehentlich“ einen Wassereimer vor meine Füße gestoßen, sodass ich den ganzen Tag nasse Socken hatte. Selbstzufrieden begutachtete ich mein Werk. Er würde wirklich einiges an Zeit

aufwänden müssen. Schließlich sattelte ich Felicitas. Heute würde ich sie zum ersten Mal selbst reiten. Hoffentlich verlor sie dadurch nicht ihren Respekt vor mir. Ich führte sie in die „Halle“ und schwang mich gleich darauf auf ihren Rücken. Die Stute war verwirrt. „Was soll das denn jetzt?“, fragte sie empört. „Runter von meinem Rücken. Du hast auf mir nichts verloren!“, versuchte sie mir zu befehlen, doch ich schüttelte den Kopf. „Vergiss es, ich bin der Reiter und du das Pferd. Ich sag, wann ich runter gehe, nicht du!“, erklärte ich ihr gelassen. Da begann sie zu buckeln. Ich verzog das Gesicht und nahm ihren Kopf

mithilfe der Zügel gewaltsam hoch. Jetzt konnte sie nicht mehr den Kopf zwischen die Beine stecken und hinten hoch gehen. Sie wehrte sich mit allen Mitteln dagegen und entschied sich für die Variante steigen. Das konnte ich gut aussitzen. Als auch das nichts half, raste sie wie vom Hafer gestochen los. Sie legte sich mit Absicht weit in die Kurve, damit ich runterfallen konnte. Natürlich dachte ich nicht im Traum daran. Schließlich reichte es mir. „Das reicht jetzt, Felicitas! Hör gefälligst auf, dich so aufzuführen!“, schrie ich sie an. Erschrocken rammte sie die Beine in den Boden, sodass ich beinahe über ihren Kopf geflogen wäre. „Haha!“, lachte sie

mich aus. Ich verdrehte die Augen und nahm die Zügel wieder kürzer. „Es ist genug! Was ist so schlimm daran, von mir geritten zu werden? Alle anderen konnten es ja auch!“, fragte ich ruhig. „Alles! DU hast mir die Freiheit geraubt! DU hast mich gezwungen Menschen auf meinem Rücken zu tragen!“, erwiderte sie. „ICH habe gar nichts getan. Erstens Mal, welche Freiheit geraubt? Du bist in Gefangenschaft geboren worden! ICH habe dir nur klar gemacht, wo DU in der Rangordnung stehst! Schließlich ernähren und beschützen WIR dich!“ Kam von mir der Gegenschlag. „Ja klar, vor allem, weil ihr mir keine

Chance gegeben habt, in der Freiheit zu leben!“, warf sie ein. „Weil wir genau wissen, dass du nicht überleben kannst! Unser Land hat sich im Verlauf der Zeit geändert! Die Geschichten, die von alten Pferden erzählt werden, stimmen schon längst nicht mehr! Weil die sie auch nur von älteren Pferden und die wieder von älteren haben!“, versuchte ich ihr verständlich zu machen. Doch sie wollte nicht aufgeben. Als sie zum Wort ansetzte, trieb ich sie Vorwärts. Ohne Nachzudenken lief sie auch. Sie merkte es erst später, dass sie gerade auf mein Kommando gehört hatte. Sobald es ihr bewusst wurde, blieb sie wie angewurzelt stehen. „DU hast mir

gar nichts zu sagen!“, beschwerte sie sich. „Sollen wir das nochmal in der Rangordnung ausfechten? Du weißt genau, dass ich dir überlegen bin!“ Ich verdrehte die Augen. Daraufhin gab sie schmollend nach. Vor sich hin motzend befolgte sie meine Anweisungen. Ich ritt sie mit all meiner Sanftheit, die ich hatte. So, dass sie sich nicht beklagen konnte. Und das tat sie auch nicht mehr. Irgendwann schien es ihr sogar Spaß zu machen, auf jede noch so kleine Hilfe von mir zu hören. Wenn sie nicht so blöd drauf wäre, manchmal, wäre sie ein total gutes Pferd. Sie hatte wunderbar weiche Gänge und ging taktklar. Es machte

richtig Spaß, sie zu reiten. Ihre ungebändigte Kraft unter mir zu spüren und die starken Muskeln sich bewegen fühlen. Es war ein tolles Gefühl. Ihre lange schwarze Mähne wehte im Takt ihrer Schritte und sie sah richtig edel aus, von meiner Position zumindest. Nachdem wir eine Ewigkeit geritten waren, ich glaube, es waren zwei Stunden, schwang ich mich von ihr herunter und führte sie noch ein bisschen Schritt. Mittlerweile waren alle da. Doch für Marion würde das heute der letzte Tag sein. Sie sollte wieder nach Kaltenberg, zu dem Ritterturnier. Ludovic und Damien sollten auch mit. Wahrscheinlich

würde ich jetzt öfters mal als Darstellerin gebraucht werden, doch nach Marion und Louisas Training, machte ich mir in der Hinsicht keine Sorgen mehr. Solange ich keine Hauptperson spielen musste. Das hieß ich wollte nie die Milady spielen. Das traute ich mir einfach nicht zu. Schließlich band ich Felicitas an und holte Thorgal. Er war ein sehr ruhiges Pferd im Gelände. Am Halfter nahm ich ihn als Handpferd mit. Ich würde sowieso nur eine kleine Runde im Schritt reiten. Thorgal sollte nur beruhigend auf Felicitas wirken. Was er draußen dann auch tat. Immer wenn Felicitas nervös rumtänzelte und wieder

vor einem Vogel erschrak, murmelte er beruhigend auf sie ein. Nach einer anstrengenden, halben Stunde kam ich wieder an der Arena an und wurde von einem grinsenden Christophe begrüßt. „Sag mal, du bist eindeutig zu raffiniert für mich… Ich habe eine Stunde gebraucht, um an mein Pferd zu kommen!“, grinste er mich an. Ich lächelte ihn an und schwang mich von Felicitas runter, warf Marion Thorgals Strick zu und versorgte Felicitas. Bald darauf stand die Stute zufrieden in ihrer Box. „Es ist unglaublich, was du mit ihr geschafft hast.“, murmelte Maxime, die gerade Blacos das Heu gab. Grinsend gab ich

Felicitas noch eine Möhre und begab mich dann zu Christophe, der aufgebracht Rango für die erste Show sattelte. Irgendetwas hatte seine Laune von hundert auf null gebracht, in den fünf Minuten, als ich nicht da gewesen war. Rango gefiel die schlechte Laune seines Reiters auch nicht. Immer wieder schlug er ärgerlich mit dem Schweif und schnappte nach seinem Reiter. „Du könntest etwas sanfter mit ihm umgehen, dann würde er auch nicht so extrem reagieren.“, schlug ich ihm vor. Er beschoss mich wütenden Blicken. „Warte es nur ab! Gegenschlag folgt!“ Jetzt war ich

verwirrt. Gerade eben war er noch richtig gut drauf gewesen. Aber egal. Wie der Gegenschlag wohl wieder aussah? Lächelnd wandte ich mich ab und setzte mich in die Arena, um die erste Show anzusehen. Diesmal mischte ich mich in die Menge der Besucher und ging nicht schon vorher hinein. Ich setzte mich in die erste Reihe, um meine Trainerinnen ganz nah zu erleben, wenn sie durchritten. Am meistens freute ich mich auf Marion und Thorgal. Plötzlich tippte jemand neben mir auf die Schulter. „Du bist doch Hanna? Oder?“, fragte mich jemand auf

Französisch. Langsam drehte ich den Kopf und blickte direkt Nicole, die Showfotografin, an. „Nee, weißt du, ich sehe nur so aus.“, sagte ich grinsend auf Deutsch. Verwirrt sah sie mich an. „Seit wann kannst du Deutsch?“, wollte sie wissen. Achso… Mit ihr hatte ich ja noch gar nie Deutsch geredet. „Das ist meine erste Muttersprache.“, erklärte ich kurz. „Echt? Und woher kannst du französisch so gut? Ich habe keinen Akzent rausgehört, als du mit mir gesprochen hast.“ „Meine zweite Muttersprache ist Französisch.“, erklärte ich grinsend. Nicole nickte. „Und warum sitzt du hier

und nicht bei den Pferden?“, bohrte sie weiter. „Oh, ich suche Schutz vor Chris. Er ist an der Reihe, mich zu ärgern. Vorhin habe ich nämlich Rangos Box verriegelt. Und zwar richtig. Er hat einen Stunde gebraucht, um sie aufzubekommen.“, erwiderte ich grinsend. „Du bist aber nicht nett. Was hat er dir dafür getan?“, hielt sie das Gespräch aufrecht. „Das Kriegsbeil wurde mit dem Video ausgegraben und ist immer noch in Benutzung. Es ist aber nicht so, dass es schlimm ist. Wohl eher so kleine Neckereien zwischen Freunden.“ Nicole nickte. „Wann sehen wir dich eigentlich als Milady?“, fragte sie

weiter. „Hoffentlich gar nicht. Ich habe keine Ahnung, was sie geplant haben. Ich wüsste auch nicht, welches Pferd ich nehmen sollte. Für mich ist halt keines da.“, sagte ich traurig. Gerne hätte ich ein Pferd gehabt, in das ich meine ganze Liebe stecken konnte. „Wirklich nicht? Dann sollte Mario aber dringend etwas unternehmen.“, meinte Nicole.

Kapitel 10

Doch dann ging es los. Schon in der ersten Szene konnte ich sehen, dass mit Rango etwas nicht stimmte. Er schüttelte immer wieder unwillig den Kopf und wehrte sich mit allen Mitteln gegen seinen Reiter. Chris hatte alle Hände voll zu tun, um Rango zu beruhigen. Doch das stachelte das Pferd noch mehr an, bis Maxime ihn schließlich hinaus führte. Sobald Chris von seinem Rücken war, wurde der Wallach sichtlich ruhiger. Denn sein Reiter war richtig schlecht gelaunt. Na super, Christophe konnte sich mal wieder nicht

beherrschen. Er ließ seine schlechte Laune am Pferd aus. Doch jetzt betrat bereits Marion die Arena. Sie lächelte mir zu und ich lächelte zurück. Ihr Lächeln fing Nicole neben mir mit der Kamera ein. Meine größere Sorge galt jedoch Chris und Rango, als sie das Trickreiten durchführen. Rango sah sich während der ersten Runde Trickreiten hilfesuchend nach mir um, er sah mich auch und wirkte erleichtert. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. „Nein! Chris! Du tust mir weh!“, schrie er, als Chris im Sattel stand und sich anschließend unsanft wieder in seinen Rücken plumpsen ließ.

Wenn er weinen könnte, würde er das jetzt tun. Doch sein Reiter achtete nicht auf seine deutlichen Signale, sondern trieb ihn nur noch härter an. Da stolperte Rango, der gar nicht erst unter dem Thron hervorgelaufen kam und verzog vor Schmerzen das Gesicht. Seine Augen rollten panisch und reflexartig stieg er. Chris, der nicht damit gerechnet hatte, flog hochkant von ihm runter. Jetzt drehte das Pferd vollkommen durch. Rango ließ niemanden mehr an sich heran, buckelte und trat versehentlich die anderen Pferde, während Chris am Boden liegen blieb. Ich sah die Bestürzung der Zuschauer,

die unter den Thron sehen konnten. Auch ich konnte ihn noch sehen. Chris regte sich weiter nicht. Schließlich wurde er von Audrey gepackt und aus dem Weg gezerrt. Rango schrie, doch trotzdem führten die anderen zwei Musketiere das Trickreiten fertig. Mir tat es in den Augen weh, Rango so schmerzverzerrt zu sehen. Er versuchte, sich die Trense vom Kopf zu reißen. Schließlich sollten sie die Runde reiten. Rango ließ sich weiter nicht einfangen und rannte gerade mit. Na super, das würde jetzt auch gut kommen. Doch ich reagierte sofort. Mit Schwung sprang ich über die kleine Mauer und stellte mich vor ihn. „Es tut

so weh! Hilf mir!“, Rangos Stimme klang voller Panik. Als ich ihn am Zügel fassen wollte, wehrte er sich auch gegen mich und so bat ich ihn nur mitzukommen. „Komm, Rango, wir müssen das jetzt durchziehen. Wir müssen hier weg!“, erklärte ich ihm leise mit meiner beruhigenden Stimme. Seine Flanken waren vor Stress schweißnass und er rollte ängstlich mit den Augen. Nein, er sah nicht mehr normal aus. Er folgte mir zu dem Seiteneingang von der Arena. Ich öffnete schnell das Tor und wir verließen die Arena. „Mach die Trense runter! Es tut so weh!“, wimmerte Rango, sobald wir draußen

waren. Mit geschickten Griffen öffnete ich die Trense und zog sie ihm hinunter. Er schäumte aus dem Maul, der Schaum war rot. Blutdurchtränkt. „Oh mein Gott.“, flüsterte ich leise. Aber das war nicht das einzige. An einer Stelle hatte der Riemen seine Wange aufgerieben. Das musste durch schlampiges Trensen passiert sein. Na super, Chris würde von mir noch was zu hören bekommen. Das Stangengebiss war unter Rangos Zunge gekommen, wodurch er sich die ganze Zunge zerrieben hatte, es blutete sehr stark. Ich nahm ihm noch den Sattel herunter. Dort entdeckte ich den nächsten Fehler. Der Sattel hatte dem Wallach mehrere Stellen

aufgerieben. So stand Rango nun mit hängendem Kopf und vielen blutenden Wunden vor mir. „Komm“, murmelte ich, „wir gehen in deine Box.“ Rango wimmerte. „Es tut alles so weh.“ Beruhigend redete ich auf ihn ein. „Alles wird gut. Das verheilt wieder.“ Vor dem Eingang zur Arena lag Chris, immer noch reglos, auf einer Matte. „War ich das?“, fragte sein Pferd mich leise und seine Stimme klang voller Trauer. „Ich wollte das nicht!“ „Ich weiß es, alles wird wieder gut!“, sagte ich leise. Maxime rannte auf mich zu. „Weißt du, warum er so ausgerastet ist?“, fragte sie mich und deute auf

Rango. Langsam nickte ich. „Schlampig gerichtet. Das Gebiss war unter der Zunge, die jetzt komplett aufgerieben ist, außerdem hat der Backenriemen ihm ein paar wunde Stellen gegeben. Zudem kommt, dass der Sattel ihm noch mehr offene Stellen beschert hat. Rango tat alles weh, er hat in seinen Schmerzen die Besinnung verloren und wollte nur noch, dass es aufhört. Mit Chris Sturz war das dann auch der Fall, zumindest verringerte es seine Schmerzen. Wie geht es ihm eigentlich?“, wollte ich wissen. Max senkte den Kopf. „Schlecht. Es hat ihn voll auf den Kopf erwischt und er

hatte ja keinen Reithelm auf. Wir haben schon den Krankenwagen gerufen, denn er kommt nicht mehr zu sich. Eigentlich richtet Chris sein Pferd immer ordentlich und gewissenhaft. Was war heute nur mit ihm los?“ Ratlos sah sie mich an. „Ich weiß es nicht, ehrlich. An meinem Streich lag es nicht. Darauf hat er noch belustigt reagiert.“, dachte ich laut nach. „Nein, das kann es wirklich nicht gewesen sein. Ich war dabei, als er den komplizierten Mechanismus entdeckt hat. Er fand ihn sehr faszinierend. Nein, da muss irgendetwas passiert sein, als er fünf Minuten alleine mit Rango war.“, bestätigte Max mich. Hmm… Normalerweise ließ Chris sich

nie aus der Ruhe bringen. Doch zuerst musste ich mich um Rango kümmern, denn der stand noch immer mit offenen Wunden neben mir. Aus seinem Maul kam jetzt nicht mehr ganz so viel Blut, hier hatte die Gerinnung also schon eingesetzt. Ich holte die Wundsalbe und schmierte sie überall drauf. Nur? Wie machte ich das mit der Zunge? „Rango, hör jetzt gut zu. Du darfst auf gar keinen Fall etwas essen. Klar soweit? Trinken ja, Essen nein.“, sagte ich ernst zu ihm. Er nickte. „Kann ich eh nicht. Dafür tut mir die Zunge zu sehr weh.“ „Ich vertraue dir, sonst dürfen wir nie auf eine Heilung hoffen.“, sagte ich

eindringlich. Rango nickte und ich entließ ihn in seine Box. Dann ging ich zurück zu Christophe. Dieser hatte sich immer noch nicht geregt. Das einzige, was bewies, dass er noch lebte, war sein schwacher Atem. „Informiert jemand Heidi? Sie sollte es wissen.“, sagte jemand. Ich stand auf. „Ich geh schon.“, murmelte ich voller Sorge. Dann entschwand ich in den Park und rannte zur Eishalle. Heidi war Chris' Freundin, eine Eisläuferin in der Eisshow. Gleich würde eine Show von ihnen anfangen. Hastig stürzte ich in den Backstagebereich. Sofort drehten sich sämtliche Blicke zu mir. Doch zuerst

musste ich zu Atem kommen. „Christophe.“, brachte ich schließlich hervor. Heidi, seine Freundin war sofort hellwach. „Ist was passiert?“, fragte sie voller Sorge. „Willst du die Show noch machen? Oder habt ihr Ersatz?“, fragte ich zuerst. „Ich kann deinen Part übernehmen, Heidi.“, sagte jemand. Dankbar nickte sie und wandte sich mir wieder zu. „Was ist passiert, sag endlich!“, forderte sie mich voller Sorge auf. „Er ist gestürzt, ist bewusstlos, schon seit einer Weile.“, fasste ich es zusammen. Zum Glück war sie noch nicht umgezogen. Blitzschnell schnappte sie sich ihre Sachen und drängte sich an mir vorbei.

„Tut mir Leid, Leute, ich muss los.“ Und damit lief sie mit schnellen Schritten zu der Tür hinaus. Rasch folgte ich ihr. „Jetzt erzähl genauer. Was ist passiert?“, fragte sie ohne ihr Lauftempo zu verlangsamen. „Er hat sein Pferd schlampig gerichtet und der arme Rango hat vor Schmerzen die Besinnung verloren und ist gestiegen. Chris war natürlich nicht darauf vorbereitet und ihn hat’s voll auf den Kopf gelegt. Jetzt liegt er bewusstlos da und hat sich seit einer Weile nicht mehr geregt.“, erklärte ich. Sorge überschattete Heidis Gesicht. Doch dann waren wir bei der Arena und ich stieß die Tür auf. Wir konnten gerade

noch sehen, wie Chris auf die Trage des Krankewagens gelegt wurde. Ich ließ Heidi alleine und stellte mich neben Marion. „Habt ihr noch die Show zu Ende geführt? Oder habt ihr abgebrochen?", fragte ich sie. „Fertig gemacht. Aber jetzt fällt noch jemand aus und wir gehen ja morgen Früh auch noch nach Kaltenberg. Eure Leute werden knapp.", sagte sie voller Sorge. „Das bekommen wir schon irgendwie gemanagt.", beruhigte ich sie. Marion sah immer noch ein bisschen verzweifelt aus, sagte aber nichts mehr. „Und ich bin ja auch noch da. Ich kann Rango übernehmen, schauen, dass er gesund wird, und so. Ich weiß aber nicht, wenn

ich mich noch um Thorgal kümmern muss... Da werde ich wohl keine Zeit mehr für das Training haben. Dann mache ich die erste Milady erst am Ende der Saison, oder so.", sagte ich aufmunternd. „Verantwortlich für Rango, Thorgal und Hidalgo. Also ich weiß nicht. Sicher, dass du das schaffst?", fragte meine Freundin zweifelnd. „Nein, aber egal." Ich grinste. Mittlerweile war der Krankenwagen davon gefahren. Die Stimmung war sichtlich gesunken. So ein Unfall war glücklicherweise auch nicht Alltag. Trotzdem wusste ich nach wie vor nicht, was Chris so aufgebracht haben

soll. Fünf Minuten war er allein gewesen und davor hatte er sogar noch richtig gute Laune. Normalerweise würde man sich über so einen Streich, wie ich ihn gespielt hatte, ärgern. Aber Chris war heute richtig gut drauf gewesen. Irgendetwas musste ihn wahnsinnig geärgert haben. Und ich wusste nicht, was es gewesen war. Da würde ich ihn wohl fragen sollen, wenn er wiederkam. Doch zuerst sah ich nochmal nach Rango, der mit hängendem Kopf an der Box stand. „Weißt du, was mit Chris innerhalb der fünf Minuten passiert ist? Meine Schuld war es ja nicht, dass er so wütend geworden ist, dass du es total zu spüren

bekommst.", fragte ich leise. „Da war jemand an meinem Fenster gewesen, er hat mit Chris geredet und dann war er sehr wütend geworden. Ich konnte nicht sehen, wer es gewesen war oder wie er aussah, ich war schließlich angebunden und konnte nur nach vorne schauen. Das einzige, was ich aus den Augenwinkeln mitbekommen habe, war, dass es ein Mann mit kurzen blonden Haaren gewesen ist. Er hat nicht viel gesagt, vielleicht drei Sätze oder so. Mehr kann ich dir nicht sagen.", murmelte Rango entschuldigend. Ich lächelte. „Ist schon ok. Bald wird Chris schon wieder aufwachen, dann kann er es uns erzählen." Rango nickte

und blickte nachdenklich aus dem Fenster. „Wenn du Hunger hast, Rango, sage Bescheid, dann mache ich dir etwas zu essen. Aber ich würde dir empfehlen, nicht unbedingt das Heu zu essen, in deinem aktuellen Zustand.", erklärte ich noch und ging. Dann holte ich mein Handy aus der Tasche und rief Kevin an, der die Woche frei gehabt hat. Eigentlich sollte er erst morgen wieder kommen, aber so wie es aussah, brauchten wir ihn wieder hier. „Ja?", meldete er sich. „Du, Hanna hier. Wir brauchen dich hier. Kannst du kommen?", fragte ich. „Hm, wenn es sein muss. Aber das wird schwer. Wieso eigentlich?", kam es zurück. „Chris liegt

im Krankenhaus, wir brauchen einen D'Artagnan für die letzten beiden Shows. Schaffst du das? Bis in einer Stunde hier zu sein?", erklärte ich. „In einer Stunde. Ich beeil mich, aber ich glaube nicht, dass ich allzu pünktlich sein kann. Was ist denn passiert?", wollte er wissen. „Rango ist gestiegen, Chris hat seinen Sturz wunderbar mit dem Kopf abgefangen, hat dann das Bewusstsein verloren und ist nicht mehr aufgewacht. Ich kann dir dann nachher Jentillo richten, kein Problem. Hauptsache wir haben wieder alle Musketiere beisammen.", sagte ich. „Was? Klar, ich komme sofort. Oder zumindest versuche

ich es, sobald wie möglich da zu sein.", er klang besorgt. „Gut, bis nachher.", verabschiedete ich mich und legte auf. „So, wir haben alle Musketiere wieder. Kevin kommt gleich.", verkündete ich. Erleichterung machte sich breit. Anschließend machte ich mich daran für Rango, das Abendessen zu richten. Ich kochte ihm Mash und zerkleinerte es so, dass man es ihm direkt in sein Maul spritzen konnte, ohne dass er seine Zunge dazu nehmen musste. Als die anderen Pferde das Abendessen bekamen, gab ich ihm seinen Brei mit einer Spritze direkt in den Rachen. Rango mochte diese Art und Weise zwar nicht, aber er beklagte sich auch nicht.

Die Kaltenberger hatten inzwischen ihre Sachen gepackt. Ich ging hinaus, um sie zu verabschieden. Marion lächelte mich an. „In einem Monat bin ich wieder da. Kümmer dich ja gut um Thorgal, hörst du?", sagte sie. Statt einer Antwort umarmte ich sie kurz. „Was soll ich bloß ohne dich machen?", fragte ich grinsend. Sie zwinkerte. „Vielleicht dich mit Louisa anfreunden? Ist ja nicht so, dass sie total unsympathisch ist. Außerdem, August sind wir wieder da." Ich verzog das Gesicht. „Das sind vier Wochen." „In der Wintersaison bist du vier Monate ohne uns.", sagte sie nur. „Erinner mich lieber gar nicht daran und

jetzt geh schon. Ludo wird schon ungeduldig." Dieser verdrehte gerade die Augen und sah ungeduldig auf die Uhr. Sie lächelte mir noch zum Abschied zu und verschwand. Heute Nacht sollten sie ja schon in Kaltenberg sein. Das fand Marion zwar unlogisch, aber morgen waren wichtige Proben und die durfte sie nicht verpassen. Traurig sah ich ihr hinterher und ging dann ebenfalls nach Hause. Am nächsten Morgen war ich immer noch ziemlich niedergeschlagen in der Schule. „Was ist denn nun schon wieder?", wollte Eliza wissen. Ich warf ihr einen bösen Blick zu. „Ich darf vier Wochen ohne Marion auskommen. So ein

Mist, ich habe mich, glaube ich, wirklich zu sehr an ihre Anwesenheit gewöhnt. Was soll ich bloß im Winter machen?" Eliza grinste. „Ich bin ja auch noch da.", sagte sie. Missmutig verdrehte ich die Augen und konzentrierte mich halbherzig auf den Unterricht. Am Nachmittag lief gerade eine Show, als ich in der Arena aufkreuzte. Zuerst sah ich nach Rango, dem es schon ein bisschen besser ging als gestern. Er hatte Hunger und so bereitete ich ihm wieder sein Essen. Danach sattelte ich Hidalgo. Der hübsche Wallach fragte neugierig, wo denn Ludo

sei. „In Kaltenberg für die nächsten vier Wochen. Du hast also jetzt die entspannendste Zeit des Jahres.", eröffnete ich ihm und Hidalgo freute sich. „Finde ich gut! Was machen wir?" „Ausreiten mit Rango. Wir können aber nur Schritt reiten. Rango ist noch zu sehr verletzt und wenn er sich jetzt ruckartig bewegt, werden seine Wunden wieder aufgehen. Also mach ja langsam, ok?" Hidalgo nickte und ließ sich willig auftrensen. Dann holte ich Rango am Halfter und ließ ihn neben Hidalgo herlaufen. Die zwei Pferde verstanden sich super, was die ganze Sache

natürlich vereinfachte. Am langen Zügel ließ ich Hidalgo entspannt seinen Weg suchen. Der hübsche Andalusier zog einige Blicke von vorbeilaufenden Spaziergängern auf sich. Ich richtete mich bei jedem Blick von anderen Menschen ein bisschen auf und demonstrierte meine Reitkünste. Bei solchen Sachen gab ich gerne ein wenig an. Es machte mir Spaß in neidischen Blicken zu baden. Hidalgo war das von der Show gewöhnt und nahm das ganz gelassen. Rango hielt ich dagegen bewusst abseits der Blicke, denn er sah immer noch ziemlich schlimm aus mit seinen Wunden. Aber

ihm machte es trotzdem Spaß, neben Hidalgo den Weg entlangzutrotten. Ich machte eine große Runde und so kam ich erst an, als die Sonne langsam unterging. Thorgal wartete schon auf mich. „Gehen wir auch noch raus?" Ich lächelte ihn an und versorgte zuerst meine beiden ersten Pferde. „Wurdest du heute schon bewegt?", fragte ich ihn. Schuldbewusst senkte er den Blick. „Ja, aber ich will doch auch noch raus hier. Immer sehe ich nur die Box, die Arena und das Zelt. Gelände ist viel toller." „Na dann. Ohne Sattel, oder ist es dir gemütlicher, wenn du einen an hast?", fragte ich weiter. „Ohne Sattel. Und

Halfter würde reichen. Ich bin brav.", versprach er und so machte ich ihm das Halfter drauf. Zwei Stricke nahm ich als Ersatzzügel. Ohne Mühe schwang ich mich auf seinen Rücken und ritt von dem Gelände. Als wir auf der Galoppstrecke ankamen, wurde Thorgal unruhig. „Das solltest du dir schnellstmöglich abgewöhnen, Thorgal. Wenn wir hier mal nicht galoppieren, was machst du dann?", sagte ich leicht säuerlich über sein unruhiges Verhalten vor der Strecke. Sofort senkte er den Kopf, aber ich konnte deutlich spüren, wie sehr er sich nach dem Galopp sehnte. Ich verdrehte die Augen und gab ihm die Hilfen. Das

ließ sich der Hengst nicht zweimal sagen und sofort verfiel er in den Galopp. Er schoss los, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Seine lange Mähne flog im Wind und ich schloss die Augen, ließ die Zügel los und hielt mich nur an seiner Mähne fest. Denn es war nicht gerade einfach, sich auf seinem Rücken zu halten. Ich beugte mich nach vorne und ließ mir den Wind um die Nase wehen. Als Thorgals Galoppsprünge ruhiger wurden, traute ich mich, wieder seine Mähne loszulassen und nahm die Zügel wieder auf. Aber noch galoppierte er. Ich öffnete die Augen wieder und blickte mich um. Wir waren immer noch

auf der Galoppstrecke, aber sie neigte sich dem Ende zu. Thorgal wurde ruhiger und verfiel schließlich in den Trab und dann in den Schritt. Er atmete schneller, aber sichtlich befreiter als vorher. Seine Energie abzulassen gefiel ihm. Gelassen schlenderten wir zum Stall zurück und ich ging nach Hause.

Kapitel 11

Den nächsten Nachmittag begann ich mit einem Krankenhausbesuch. Christophe war noch nicht aufgewacht, aber sein Zustand war besser geworden, wie die Ärzte mir mitteilten. Er hatte eine schwere Gehirnerschütterung erlitten und müsste eigentlich bald aufwachen. Als ich kam, war niemand da. Heidi musste ihre Show führen, aber ich war sicher, dass sie sonst immer da war. Das bezeugten die Blumen auf dem Tisch, ihr Geruch, der deutlich in der Luft hing (mit der Verwandlung, waren auch meine Sinne schärfer geworden)

und ein Bild von ihr und Chris. Ich hatte ein Bild von Rango gemacht und hatte mit großen Buchstaben Sorry darauf geschrieben. Ihm tat es wirklich Leid und er hatte große Schuldgefühle deswegen. Aber so etwas passierte nun mal. Der blonde Mann zerbrach mir immer noch den Kopf. Was konnte er nur gesagt haben, das Chris so auf die Palme brachte? Ich ließ mich auf einen Stuhl sinken und sah aus dem Fenster. Falls er aufwachen sollte, war wenigstens jemand da. Ich hing meinen Gedanken nach. Hausaufgaben hatte ich schon längst im Zug gemacht und in einer Stunde wollte

ich spätestens bei der Arena sein. Wie lange würde Chris noch hier im Krankenhaus bleiben? Denn Marion hatte Recht. Uns gingen die Leute aus. Wir banden alle Leute, die wir hatten, ein. Nur mich nicht. Denn ich war ja nicht ständig da und wenn, dann machte ich nur das Backstagepersonal. Selbst wenn Chris bald aufwachen sollte, wie lange würde er nicht im Sattel sitzen können? Ein leises Stöhnen riss mich aus den Gedanken. Na super, warum musste er immer gerade bei mir aufwachen? Wenn er zuerst Heidis Gesicht gesehen hätte, wäre es viel romantischer gewesen. „Rango? Heidi?", fragte er

leise. „Nee, Hanna darf Wache schieben.", sagte ich sarkastisch und seufzte leise. Schnell schrieb ich Heidi eine SMS, dass er aufgewacht sei. „Hanna? Geht es Rango gut? Was ist nur passiert? Ich erinnere mich nur an Rango und dass er stieg.", murmelte er stöhnend. „Dich hat's voll auf den Kopf gelegt. Dann warst du jetzt zwei Tage nicht bei Bewusstsein. Das nächste Mal ziehst du dir bitte einen Reithelm auf, dann hätten wir das ganze Theater nämlich nicht. Du musst wissen, du hast dir den ungünstigsten Zeitpunkt ausgewählt.", erklärte ich. „Jaja, nächstes Mal, schreib ich dir auf

die Sekunde genau auf, wann ich runterfalle. Dann kannst du planen.", sagte er und verdrehte die Augen. „Wie geht es Rango?", murmelte er kaum hörbar. „Ist er verletzt?" „Ihm geht es den Umständen entsprechend gut. Du hattest die Trense ziemlich schlampig drauf. Sie hatte Rango die Zunge zerrieben, der Arme kann gar nichts fressen. Wir füttern ihn durch. Außerdem hat der Sattel etliche Druckstellen und aufgeriebenen Stellen erzeugt. Allen in allem hast du Rango ziemlich zugerichtet.", sagte ich leicht säuerlich. „Oh nein, das tut mir unglaublich Leid.", sagte er mit reuevoll mit

schwacher Stimme. „Tut dir Leid. Super. Davon kannst du Rangos Schmerzen auch nicht rückgängig machen! Hättest du nicht so schlampig gesattelt, wäre das gar nicht passiert.", fuhr ich ihn an. Chris schloss die Augen wieder. Eine Träne lief ihm über die Wange. Noch nie hatte ich jemanden, wie ihn, weinen gesehen. „Nicht so laut, bitte, mein Schädel brummt gewaltig.", bat er kläglich. „Na gut, aber wer war der blonde Mann, der dich so zum kochen gebracht hat?", fragte ich etwas leiser. „Niemand wichtiges. Geht dich nichts an.", wich er aus. Doch plötzlich schwang die Tür auf und Heidi stürmte

hinein. Ich lächelte sie an. „Endlich, dann kann ich ja jetzt gehen. Ich lass euch beide jetzt allein.", sagte ich erfreut und ging aus dem Zimmer. Oh man, wie sehr ich Liebespaare verabscheute. Die nachfolgende Szene konnte ich mir denken. Wahrscheinlich würde Heidi Chris abknutschen und mit säuselnder Stimme sagen, wie froh sie sei, dass er aufgewacht war. Solche Szenen gaben mir immer einen Stich ins Herz. Vor Trauer. Es war instinktiv und ich wusste nicht warum, aber es tat weh, Liebende zu sehen. Warum wusste ich nicht. Aber es war schon immer so gewesen. Doch ich schüttelte den Kopf und

konzentrierte mich auf mein geliehenes Fahrrad. So schnell ich konnte radelte ich den Weg zurück zur Arena, um nicht weiter über die zwei nachzudenken. Dort nahm ich mir Hidalgo, Rango und Thorgal und ging mit den Dreien ein Stück spazieren. Rango konnte sich jetzt schon besser bewegen und seine Schritte sahen nicht mehr so abgehackt aus. Als ich eine Stunde später wieder zurückkam, wurde gerade die nächste Show vorbereitet. Louisa lief schon als Milady mit Rocio am Zügel umher. „Hallo, Hanna.", begrüßte sie mich. „Wie geht es Chris?" Ich zuckte die Schulter. „Er ist vorhin aufgewacht. Mehr weiß ich aber auch

nicht. Tut mir leid.", murmelte ich entschuldigend. Louisa nickte und schwang sich auf Rocio. Dann begann ihr Part und ich versorgte schnell meine Pflegepferde. Anschließend ging ich nach Hause. Am nächsten Nachmittag erlaubte ich mir, Rango ein wenig zu reiten. Ohne Sattel und nur sehr kurz. Doch es tat ihm noch weh und so ließ ich es. Thorgal streckte neugierig seinen Kopf aus der Tür, als ich ankam. „Hallo, Hanna. Was machen wir heute?", fragte er. Ich zuckte die Schultern. „Auf was hast du denn Lust?", fragte ich zurück. Er lachte mich an. „Natürlich ausreiten, was denn sonst?"

Ich schmunzelte. „Ok, dann machen wir jetzt Dressur, du faules Stück." Thorgal warf mir einen bösen Blick zu, wagte aber nicht zu protestieren. Nachdem ich ein paar Runden Schritt geritten war, um ihn warm zu machen, übte ich zuerst Trickreiten mit ihm. Es klappte wunderbar. Danach war er wirklich komplett locker und ich fing an, ein wenig spanischen Schritt zu üben. Das Pferd kannte das schon und machte es brav. Etwas zu brav, wie ich fand. „Thorgal, sei mal ein bisschen frecher. Du siehst aus, als hättest du keinen Spaß daran.", erzählte ich ihm. Er warf mir einen bösen Blick zu. „Ich mag

Dressur nicht.", meinte er. „Das bisschen Dressur? Nur deine Beine ein wenig höher heben? Was ist denn daran so schwer?", fragte ich genervt. Thorgal gab auf und versuchte Freude zu heucheln. Zufrieden führte ich die Einheit fertig und entließ ihn danach in seine Box. Als nächstes kam Felicitas dran. Ich longierte sie ausgebunden. Anschließend nahm ich noch Hidalgo und ging einen Runde spazieren. Thorgal war sofort eifersüchtig. „Wie jetzt? Der darf raus, aber ich muss Dressur machen?", fragte er empört. „Morgen muss Hidalgo Dressur machen und du darfst pausieren.", erwiderte ich und Thorgal gab sich zufrieden. Ich machte

es dann auch so.

Kapitel 12

Am Freitagnachmittag kam Post aus Kaltenberg. Marion hatte geschrieben. „Hallo, Hanna. Wollte nur sagen, dass ich Karten für die Premiere in Kaltenberg besorgt habe. Wenn du willst, kannst du kommen. Ich würde mich freuen. Louisa kann auch mitkommen, wenn sie will. Es sind zwei Karten. Aber mehr Leute können wir ja leider nicht entbehren. Hoffe du kümmerst dich gut um Thorgal. Aber weiteres können wir ja am Freitag bereden. Küsschen, Marion." Ich lächelte. „Lou, wir fahren nach Kaltenberg.", rief ich ihr begeistert zu.

Seit es mir zu blöd war, Louisa immer ganz auszusprechen, nannte ich sie nur noch Lou oder Lulu. Ihr war das egal, sie wusste wer gemeint war. „Echt? Wieso wir? Du hast ja wohl kein Auto!", antwortete sie lachend. Ich streckte ihr kurz die Zunge raus und wedelte dann provozierend mit den Karten: "Und wer hat die Eintrittskarten?". „Ist ja gut, ich nehm dich mit. Hast du Lust, nachher noch mit mir ausreiten zu gehen?", lachte sie und wechselte das Thema. Ich verdrehte die Augen. „Nee, ich hasse Ausreiten, weißt du. Und Rango hätte überhaupt keine Lust dazu.", meinte ich sarkastisch und

grinste. Rango konnte man inzwischen wieder reiten. Aber ohne Sattel. Entweder ritt ich mit Pad oder ohne alles. Das war angenehmer für mich und für seine Wunden. Louisa zuckte die Schultern. „Wenn du mit dem Pferd klar kommst..." „Mittlerweile solltest du eigentlich wissen, dass Rango unter mir keine Faxen macht. Der kann brav sein, das ist unglaublich. Nur mit Chris hat er ein Problem.", kam es von mir. „Jaja, ist ja gut. Ich weiß es doch.", sie lachte leise. „Weißt du eigentlich, wann Chris wieder aus dem Krankenhaus kommt?", fragte sie weiter. „Nope. Aber anscheinend soll

es ihm schon besser gehen. Er steht halt noch unter Beobachtung und kann nicht länger als 15 Minuten laufen. Gerade wird untersucht, ob er bleibende Schäden davontragen wird." Ich war erst gestern wieder bei ihm gewesen. „Wahrscheinlich nicht, wie ich ihn kenne. Der hat einen ziemlichen dicken Schädel. Eigentlich dürfte er gar nicht im Krankenhaus liegen.", meinte Louisa und grinste. Ich lächelte ebenfalls und machte mich daran, Thorgal, Hidalgo und Felicitas zu bewegen. Es war Abend, als ich fertig war. Dann richtete ich Rango und schwang mich auf seinen bloßen Rücken. Louisa wartete mit Rocio schon

am Ausgang auf mich. Sanft drückte ich Rango die Schenkel in die Seite und das Pferd lief sofort los. Unter mir hatte der braune Wallach gelernt, auf feine Hilfen zu hören. Das würde wieder eine Umstellung mit Christophe werden. Eigentlich durfte man dem Pferd Chris gar nicht zumuten. Unsere Galoppstrecke ritten wir im Schritt. Man konnte ja auch nicht immer galoppieren. Rocio war deswegen ein bisschen aufgedreht, benahm sich aber. Wir galoppierten erst im Wald. Das hieß, Louisa galoppierte. Ich trabte nur. Mehr wollte ich Rango noch nicht antun. Doch dieser drängte zum Galopp. Na gut. „Wenn du unbedingt galoppieren

willst, meine Wunden sind es nicht.", sagte ich schulterzuckend zu ihm und Rango preschte los. Seine Mähne peitschte mir ins Gesicht und ich sah für kurze Zeit nichts mehr. Aber ich vertraute Rango. Dieser spannte alle seinen Muskeln an und ich konnte regelrecht spüren, wie die Energie durch seinen Körper floss. Bei Rocio hielt er an. Die zwei Pferde begrüßten sich kurz Nase an Nase und Louisa und ich ritten weiter. Eine große Runde machten wir nicht, denn wir wollten morgen sehr früh losfahren. Ich gab meine Verantwortung Karel weiter, der es gerne für wenige Tage übernahm, sich um Hidalgo, Rango,

Thorgal und Felicitas zu kümmern. Im Auto redeten wir nicht viel. Louisa war eine Stille, konnte aber prima mit Pferden umgehen. Ganz anders wie Marion. Sie konnte zwar ebenfalls gut mit Pferden umgehen, genauso gut, wie Louisa auch, aber Louisa war nicht so stürmisch manchmal. Sie ließ alles an sich vorbeiziehen ohne ein Wort zu sagen. Marion dagegen war selten richtig still. Sie lachte viel und sprach gerne. Es war so still nur mit Louisa, denn keiner von uns beiden sagte etwas. Nachdenklich blickte ich aus dem Fenster und summte leise Silbermond im Radio mit. „Kennst du das Lied?", fragte Louisa

mich irgendwann. „Klar, du nicht?", fragte ich erstaunt. „Nein, muss man das kennen?" Empört sah ich sie an. „Das ist Silbermond! Die machen gute deutsche Musik!" Louisa lächelte. „Ist ja gut, aber kennst du gute französische Musik?" Ich schüttelte den Kopf. Sie kramte kurz in einem CD Stapel und zog eine CD von David Guetta raus. Ich lachte sarkastisch. „Nee, den kenne ich überhaupt nicht." Louisa lachte ebenfalls und räumte die CD wieder weg. „Was hörst du denn gerne?", fragte sie mich. „Och, so alles Mögliche. Mein Lieblingslied ist Wind of Change von den Scorpions. Eher langsamer Pop oder Epische Musik. Two

Steps from Hell oder eben Fred." Louisa grinste. „Fred Laforêt, dass er so junge Fans hat... Dann wirst du nachher im siebten Himmel sein. Du weißt ja, dass er die Musik für Kaltenberg macht, oder?" „Natürlich. Er kann richtig gut komponieren. Aber nachher bin ich auch ohne das schon im Himmel. Das ist mein erstes Kaltenberg, musst du wissen. Seit drei Jahren will ich schon dahin. Aber nie hat es geklappt." „Na dann hast du ja Glück, dass du einen Job bei uns hast.", erwiderte Louisa und das Gespräch war damit beendet. In Kaltenberg kamen wir in einem kleinen Hotel unter. Dort wohnten auch

Marion und die anderen Darsteller. Louisa war von der langen Fahrt müde und so machte ich ihr einen Kaffee. Ein Weilchen saßen wir noch auf dem Balkon und unterhielten uns. Am Nachmittag gingen wir auf das Gelände der Ritterspiele. Heute Abend war die Premiere. Ich freute mich schon. Marion entdeckten wir Backstage. Sie saß auf einer kleinen Mauer und folgten den letzten Proben für heute Abend, ohne sich wirklich selbst zu beteiligen. Als sie mich sah, erhellte sich ihr Gesicht und sie schloss mich kurz in die Arme. Natürlich kam auch Louisa nicht zu kurz und nachdem wir uns alle

begrüßt hatten, begann auch schon das Ausfragen. „Wie geht es Thorgal?", wollte Marion zuerst wissen. „Ich hab ihn verhungern lassen.", kam es prompt von mir zurück. Marion sah mich erst entgeistert an, dann grinste sie. „Du fütterst doch gar nicht." „Nicht? Achso, dann ist er an Übermüdung gestorben. Oh edle Ritter, mein Pferd ist aus Müdigkeit zu Boden gestürzt! Helft mir, ich flehe euch an!", lachte ich und zitierte so eine Stelle aus der Show. Und Marion verdrehte die Augen. „Louisa, wie geht es ihm?", wandte sie sich schließlich an Louisa. „Oh, ich weiß doch nicht, was Hanna mit ihm gemacht hat. Aber Hanna, jetzt

wundert es mich nicht mehr, warum es im Stall so nach Verwesung gerochen hat. Nächstes Mal beerdigst du ihn, ja?", machte sie meinen Spaß mit und wir kicherten. Marion streckte mir die Zunge raus. „Ach, ihr seid blöd. Alle Beide." Louisa klatschte lachend mit mir ab. Schließlich wollte Ludo es auch wissen. Genervt verdrehte ich die Augen. „Weißt du Ludo, Hidalgo geht es gut, glaube ich." Marion, die seine Frage am Rande mitbekommen hatte, rief ein „Glaub ihnen kein Wort, die lügen wie gedruckt!", dazwischen. Ludo sah erst sie irritiert an, dann uns. Ich zuckte die Schultern und blickte unschuldig

zurück. Wir machten, dass wir von ihnen wegkamen, denn es kam gerade ein nasser Schwamm geflogen. „Also irgendwie erinnert mich das an Arena.", sagte Louisa grinsend und ich dachte wie sie an Christophe. „Hm, du könntest mir helfen, den nächsten Streich auszudenken. Er ist zwar zuerst dran, aber dann hab ich schon gleich was.", schlug ich vor. „Wenn du ganz fies sein willst, kannst du ihn nass machen und dann ins Heu werfen. Das ist ein extrem ekelhaftes Gefühl, glaub mir.", meinte Louisa lächelnd. Und ich nickte. „Klingt gut. Ok, sobald er wieder gesund ist." Anschließend

gingen wir ein wenig über den mittelalterlichen Markt schlendern. Unter all den Gauklern, Bauern und Adligen fühlte ich mich wie im Mittelalter. Natürlich waren auch Ritter und ihre Knappen da. Doch der Höhepunkt war der Abend. Louisa und ich kamen früh und so kamen wir auf die besten Plätze. Die Stimmung war richtig gut. „Lou, wenn wir so eine Stimmung mal in der Arena hätten, würde es bestimmt mehr Spaß machen zu reiten.", meinte ich. Sie sah mich an. „Ja, so eine Stimmung findest du bei der Nachtarena. Bei so einem Event zu reiten ist unglaublich." Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte ihre

Lippen. Es waren wirklich viele Leute da. Pünktlich fing es an und ich fieberte die gesamte Geschichte mit. Mehrmals bekam ich Gänsehaut, weil es so schön war, vor allem, als Marion und ihr Apfelschimmel Triste, auftraten. Viel zu schnell ging es vorbei und ich war restlos begeistert. Auch Louisa hatte es gefallen. Doch plötzlich fiel mir jemand auf. Ein Junge, der als Marco Luraschi vorgestellt wurde. „Ist das Marios Sohn?", fragte ich Louisa und diese nickte. Er konnte gut mit Pferden umgehen. Mir gefiel es, wie er sanft, aber bestimmt, dem Pferd die Befehle gab. Von ihm

konnte sich Christophe mal eine Scheibe abschneiden. Es war schon spät und so gingen wir zurück zum Hotel. Am nächsten Tag würden wir wieder zurückfahren.

Kapitel 13

Es war später Nachmittag, als wir wieder an der Arena ankamen. Eigentlich wollte Louisa mich gleich nach Hause fahren, aber ich hatte abgelehnt. So saß ich im Schatten von Bolero’s Box und spielte mit ein paar Strohalmen, die am Boden herumlagen. Hier fühlte ich mich am wohlsten. Bei den Pferden, bei der Arena-Crew und beim Europapark. Audrey fegte gerade den Hof. Ich stand auf, klopfte mir die klein gerupften Strohhalme von der Hose und machte mich daran, ihr zu helfen. Doch sie schüttelte den Kopf und

scheuchte mich zu Felicitas. Die Augen verdrehend verkrümelte ich mich schließlich zu der Stute, die am Boden ihrer Box lag. Als sie mich sah, rappelte sie sich auf und drohte mir, wie immer, zur Begrüßung. „Das solltest du dir dringend abgewöhnen. Mario findet das nicht lustig, wenn du die Ohren in seiner Anwesenheit anlegst.“ Felicitas sah mich gleichgültig an. „Mir grad egal. Du solltest nur nie vergessen, was ich von all dem halte.“ Grinsend halfterte ich sie auf und führte sie in die Arena, die sich gerade leerte. Ich wollte wissen, wie sie auf viele Menschen reagierte. „Hilfe. Hier sind ja noch mehr von euch Menschen!“,

knurrte sie entgeistert, wagte aber nicht, sich in meiner Anwesenheit schlecht zu benehmen. Brav trottete sie hinter mir her, als ich sie Schritt führte. Plötzlich rief jemand meinen Namen. „Hanna?“, fragte eine allzu bekannte Stimme. „Komm, Felicitas. Wir müssen hier weg.“, murmelte ich, als ich die Stimme meiner Physiklehrerin erkannte. Ich hatte etwas gegen sie. Und vor allem war sie eine Lehrerin. Die waren eine sehr neugierige Spezies. „Benimmst du dich?“, fragte ich leise und Felicitas nickte widerwillig. Schnell verknotete ich den Strick, dass er als Zügel wirkte und schwang mich auf ihren bloßen

Rücken. „Hanna? Was machst du hier?“, fragte meine Lehrerin noch einmal. „Felicitas. Galopp!“, befahl ich meiner Stute und sie tat wie geheißen. Als ich an ihr vorbeiritt, rief ich grinsend „Reiten!“ und trabte aus der Arena. „So schnell wieder draußen?“, fragte Louisa neugierig. „Da war jemand, den ich nicht unbedingt sehen wollte.“, erwiderte ich ruhig und führte Felicitas stattdessen auf dem Hof Schritt. Anschließend jagte ich sie im Galopp durch die Arena. Mit der Peitsche in der Hand ließ ich sie das Tempo frei wählen und beobachtete sie grinsend vom Boden aus. Felicitas gefiel es, sich mal wieder

richtig auszutoben und all die Energie abzulassen. 10 Minuten preschte sie im vollen Galopp durch den Sand, buckelte, stieg und machte Vollbremsungen. Lächelnd sah ich ihr zu. Danach stand sie mit bebenden Flanken da und blickte mich aufmerksam an. „Und was jetzt?“, fragte sie, sichtlich ruhiger und lieber als vorhin. „Ein bisschen Schritt und dann trainieren wir ein wenig die einseitige Belastung beim Trickreiten, ok?“ Felicitas nickte und war die restliche Trainingseinheit brav. Anschließend ging ich mit Thorgal, Hidalgo und Rango ein bisschen ins Gelände. Aber ich ritt sie nicht, sondern ließ sie frei um mich herum toben,

sodass sie ordentlich Bewegung hatten, ohne dass ich etwas machen musste. Ich wusste, dass sie nicht abhauen würden. Das würden sie sich niemals trauen und sie wussten auch gar nicht, warum sie abhauen sollten. Ihnen gefiel es bei uns. Immer wenn wir an verwunderten Spaziergängern vorbeiliefen, rief ich sie zu mir, weil manche Leute eben Angst vor den prächtigen Andalusiern hatten. Nach ungefähr einer und einer halben Stunde liefen wir zurück zur Arena. Mittlerweile dämmerte es schon und ich machte, dass ich nach Hause kam, denn morgen war ja wieder Schule. Nach der Schule am nächsten Tag,

besuchte ich Christophe. Dieser sah neugierig von seiner Lektüre auf, als ich hineinkam. „Tag.“, begrüßte ich ihn kurz und er nickte. „Wann darfst du wieder zu uns?“, fragte ich zuerst. „Morgen. Aber reiten soll ich vorerst nicht. Frühestens nächste Woche mit vielleicht 15 Minuten im Sattel am Tag und dann allmählich steigern. Aber ich kann dir dann wenigstens Rango wieder abnehmen.“ Sofort schüttelte ich den Kopf. „Nein, den bekommst du noch nicht. Du übernimmst Talo für die nächsten Wochen.“ Entsetzt sah Chris mich an. „Warum bekomme ich mein Pferd nicht wieder und muss den faulen Dickschädel

nehmen?“, protestierte er. „Weil du zuerst lernen musst, mit einem feinfühligen Pferd klar zu kommen. Talo verträgt harte Hilfen und braucht die auch. Aber Rango biege ich gerade soweit, dass Reiten für ihn nicht nur Schmerz bedeutet. Du hast ihm manchmal ganz schön weh getan, weil du eine harte Hand hast. Deswegen reitest du vorerst Talo und ich gebe dir nebenbei Unterricht im feinfühligen Reiten. Bevor du nicht lernst, dass Reiten nicht heißt, dass man die Beine in den Bauch des Pferdes tritt und den Zügel als Tauziehseil missbraucht, darfst du nicht auf Rango. Du kannst gerne mit ihm spazieren gehen und

Bodenarbeit machen, aber reiten wirst du ihn noch nicht. Klar soweit?“ Chris warf mir einen empörten Blick zu. „Du weißt ja, dass er mein Reitpferd ist und dir nicht im Geringsten gehört? Du hast also gar nichts zu sagen, ob ich mein Pferd reite oder nicht.“ Mein Blick verdüsterte sich. „Ich weiß, aber solange du dein Pferd so verletzt, hast du kein Recht auf ihn. Rango braucht eine sanfte Hand und wenn du ihn weiter so wie bisher reitest, ist das Pferd in spätestens drei Jahren schlachtreif. Und wenn Mario das rausbekommt, kannst du dir dein Job als Stuntreiter abschminken.“, erklärte ich

gelassen. Chris holte tief Luft und beschoss mich mit bösen Blicken. „Ist ja gut. Dann bekomme ich jetzt von dir Reitunterricht, obwohl du fünf Jahre weniger reitest als ich?“ Ich lächelte. „Kann gut sein, aber ich bin die, die die Pferde versteht. Und das macht meine Reiterfahrung um 100 Jahre wett.“ Wütend drehte sich Chris auf den Bauch und starrte missmutig die Wand vor seinem Bett an. „Weißt du, Rango hat dich wirklich gerne. Er liebt es, wenn du ihn streichelst, mit ihm spazieren gehst oder Bodenarbeit machst.“, versuchte ich ihn zu besänftigen. „Nur… Er versucht es

richtig zu machen in deiner Anwesenheit. Aber er kann das nicht, wenn du ihn blockierst und er nicht weiß, ob der Tritt in seinen Bauch jetzt eine Hilfe oder eine Bestrafung war. Rango liebt dich, Chris.“, fuhr ich leise fort. Christophe setzte sich wieder auf und drehte sich zu mir. „Ach ja, woher weißt du das eigentlich?“, fragte er. Ein leichter böser Unterton schwang in seiner Stimme mit. „Ich höre ihm nur zu und beobachte ihn aufmerksam.“, erklärte ich und spielte mit meiner silbernen Strähne, die vom letzten Vollmond noch übrig war, herum. Christophe seufzte. „Irgendwann wirst du die Wahrheit

erzählen, oder? Was gibst du den Pferden, dass sie dir so folgen?“ Statt einer Antwort lächelte ich geheimnisvoll. „Vielleicht in zwei Jahren. Nächste Saison erzähle ich es noch nicht. Aber übernächste vielleicht. Bis dahin wirst du dich noch gedulden müssen.“ Christophe brummelte was Unverständliches und ließ sich wieder in sein Kissen sinken. „Hier ist so langweilig. Du hast nichts Unterhaltungsmäßiges dabei?“, fragte er hoffnungsvoll. „Nee, leider nicht. Aber Morgen kannst du ja wieder kommen. Und Rango freut sich auf dich. Aber Reiten darfst du ihn vorerst nicht.“ Damit verabschiedete ich mich und ging

zur Arena. Heute würde ich mich mal wieder auf Rango setzten und richtig mit ihm Dressur üben. Als Rango den Sattel sah, weiteten sich seine Augen vor Entsetzten kurz, aber dann wurde er wieder ruhiger. „Deine Wunden sind recht gut verheilt. Mach dir keine Sorgen.“, murmelte ich leise und legte behutsam den Sattel auf seinen Rücken. Rango spürte es, wurde aber vor Angst vor den Schmerzen steif. „Hey. Großer. Dir tut doch nichts weh und du weißt, dass ich ganz anders reite als Chris.“ Rango biss die Zähne zusammen. Er fürchtete sich wirklich. Aber als ich ihm ganz sanft die Hilfen gab, entspannte

er sich ein wenig und ich ließ ihn zuerst im Schritt gehen. Der braune Wallach brauchte wirklich einiges an Zeit, bis er sich an meine Hilfen gewöhnt hatte. Doch dann fing er an, wieder Spaß am Reiten zu finden und ich musste ihn eher bremsen als treiben. Ich ließ ihn seitwärts gehen, Übergänge in ein anderes Tempo laufen und alles was mir sonst gerade einfiel. Rango machte es sichtlich Spaß und als Louisa mir irgendwann zusah, staunte sie nicht schlecht. „Hanna? Das Pferd sieht ja ganz anders aus!“ Ich lächelte und galoppierte mein Pferd zum Abschluss eine Runde. Der Galopp war versammelt und mit weit

ausgreifenden, aber nicht zu kleinen Sprüngen. Anschließend ließ ich die Zügel aus der Hand kauen und das Pferd streckte sich erleichtert. Hidalgo und Thorgal ließ ich frei in der Arena sich austoben und mit Felicitas machte ich eine halbstündige Dressureinheit. Ich merkte richtig, wie die bisher so eigenwillige Stute mit Tag zu Tag besser unter dem Sattel ging. In vier Wochen waren endlich Sommerferien. Ach wie sehr ich mich freute. Am nächsten Tag hatten wir Physik und es kam, wie es kommen musste. Vor der gesamten Klasse fragte meine Lehrerin mich, ob ich im Europapark

arbeitete. „Ja, nein, doch.“, druckste ich herum und gab mich dann geschlagen. „Worauf wollen Sie hinaus?“, fragte ich genervt. „Als was arbeitest du?“, bohrte sie weiter. „Als Pferdetrainerin in der Arena.“, brummelte ich. „Jeden Nachmittag?“ „Ja. Zufrieden?“, knurrte ich und starrte wütend in die Klasse. „Lass aber nicht deine Noten darunter leiden.“, warnte sie mich lächelnd und ließ mich in Ruhe. Gott sei Dank waren es die letzten zwei Stunden und ich stürmte gleich aus der Schule. Zurück zum Park. Mal wieder, dachte ich grinsend. Doch vor der Schule blieb ich erst einmal entsetzt

stehen. Ornella stand da. Sie trug eine große Sonnenbrille, um nicht sofort erkannt zu werden. In der Hand hielt sie einen Autoschlüssel. Ich lächelte sie freudig an. Eliza, die neben mir gelaufen war, stieß mich an. So fest, dass ich beinahe umflog. „Ist das… Ist das, Or… Ornella???“, fragte sie ganz außer sich. Sie war der größte Globefan der Geschichte. „Eliza, benimm dich, ja?“ Ihre Augen wurden groß und sie folgte mir wie in Trance. „Hey, Hanna!“, begrüßte mich Ornella lächelnd. "Hi", ich wedelte in die Richtung meiner Freundin. „Sie ist ein riesiger Fan vom Globe. Tut mir leid, aber ich habe nicht

mit dir gerechnet.“ Die Italienerin grinste. „Kein Problem. Ich hatte nämlich auch nicht vor zu kommen. Aber ich muss die erste Show heute nicht machen und da dachte ich, ich schlafe aus. Gerade war ich auf dem Weg zum Park und bin an deiner Schule vorbei gefahren. Da dachte ich, ich nehme dich mit. Komm, wir müssen los. Und für deine Freundin besorge ich noch was.“, sie kicherte und wir gingen zu ihrem Auto. „Warst du auch so ein Fan von uns?“, fragte sie auf der Fahrt. „Mehr Arena. Aber eure Show, Waterloo, ist das Zweitbeste im Park. Das war immer so zweigeteilt. Ich bin dickköpfiger als

Eliza. Deshalb habe ich sie im Sommer immer öfter in die Arena reingeschleppt, als ins Globe. Im Winter war ich immer so deprimiert, weil sie von der Arena nicht mehr da waren, dass wir immer mindestens zwei Globe Shows angesehen haben. So war das meistens gerecht aufgeteilt.“, erklärte ich unsere Showsucht von damals. „Aber das genialste war sowieso: Wir saßen vor dem Globe, damals noch im Alter von 14, und hatten eine heiße Diskussion, wer von euch besser singt. Ich war dein treuer Anhänger, Eliza vergöttert Gabi. Das ging dann Ornella, Gabi, Ornella, Gabi, Ornella, Gabi und so weiter. Einmal seid ihr vorbeigelaufen während

eines Streites.“, weiter kam ich nicht, denn Ornella bekam einen Lachanfall. „Ach, ihr wart das… Wir kannten euch durchaus. Mit der Zeit, ihr wart überall, ständig. Es verging kaum eine Woche, ohne dass wir euch gesehen haben. Wir fanden es irgendwie lustig. Ich meine, manche Fans sind ja voll aufdringlich und so, aber ihr seid immer nur dagesessen und eure Augen begannen immer vor Freude zu glänzen, wenn wir in der Nähe waren. Es war echt süß.“ An den Gedanken, dass wir früher manchmal kurz davor waren, sie zu stalken, wurde ich rot. „Ja, äh, das ist euch aufgefallen?“, murmelte ich. „Klar. Nach einer Zeit

schon. Wir waren manchmal kurz davor, euch anzusprechen, aber dann wussten wir nicht, was mir sagen sollten und haben es gelassen.“ Ich lachte leise. „Uns ging es genauso.“ Ornella nickte. „Wie sich das Schicksal wenden kann. Am Anfang warst du der größte Fan und jetzt kann man sich quasi als Freunde bezeichnen.“ Ich lächelte geheimnisvoll. „Tja, ein Wink des Schicksals.“, meinte ich und bezog es auch auf Vollmond. Damit war die Unterhaltung beendet. Als ich etwas später in der Arena ankam, entdeckte ich Chris als Erstes. „Hey! Christophe!“, rief ich lachend. Er warf mir einen fröhlichen Blick zu. „Hallo, Hanna. Ich bin echt froh, wieder hier zu

sein. Danke, dass du dich so gut um Rango gekümmert hast. Er sieht wieder richtig glücklich aus. Und ich sehe es ein, dass ich etwas falsch gemacht habe. Die Wunden tun mir im Herzen mehr weh, als ihm, glaube ich.“ Chris saß auf einem Stuhl im Schatten und freundete sich mit Talo an, der neugierig aus der Box schaute und es sichtlich genoss, sich von ihm kraulen zu lassen. Ich holte Rango aus der Box und putze ihn schnell. „Wieder ohne Sattel?“, fragte ich den hübschen Braunen. Dieser nickte. „Meine Wunden verheilen zwar, aber ich mag den Sattel nicht mehr, irgendwie habe ich ein bisschen Angst

vor ihm.“ Nachdenklich blickte ich das Pferd an. „Dann müssten wir eigentlich mit Sattel reiten, damit du diese Angst verlierst, aber heute noch einmal ohne.“ Ich lächelte und trenste ihn geschickt. Dann schwang ich mich auf seinen bloßen Rücken und ritt aus der Box hinaus. Chris freute sich, Rango zu sehen und folgte mir langsam zur Halle. Dort zeigte ich, wie schön Rango unter mir ging. Chris lächelte. So schön hatte er sein Pferd noch nie gesehen. Pferd und Reiter, Rango und ich, bildeten eine Einheit. Als ich galoppierte, sah ich, dass Chris den Atem anhielt. Das Pferd galoppierte unter mir wie in einem Traum. Mit weit ausgreifenden

Sprüngen, aber doch versammelt und so weich. Und ich saß auf ihm, als wäre ich ein Teil des Pferdes. Rango machte es sichtlich Spaß und als ich durchparierte, schüttelte er unwillig den Kopf, gehorchte aber doch meinem Willen. „Willst du auch so reiten, Chris?“, fragte ich leise. „Es sah wirklich gut aus, was ist aus meinem Pferd geworden?“, fragte er zurück. „Komm. Ich zeig es dir.“ Er kam zu mir und ich zog ihn vor mich auf den Pferderücken. „Du machst nichts. Absolut nichts. Ok?“, forderte ich. Er nickte stumm und ich drückte ihm die Zügel in die Hand. Dann legte ich meine Hand über seine, sodass ich

seine Hand führen konnte. Vorsichtig drückte ich, mit Christophes Füßen in Rangos Bauch, sodass das Pferd loslief. Als Chris sich mit den Beinen festklammern wollte, schob ich meine Füße zwischen seine und den Pferdebauch, damit er das ja nicht machte. „Du musst ihn sanft reiten. Verstehst du das? Wenn du die Beine in seinen Bauch drückst, wird das Pferd schneller. Festklammern geht gar nicht. Anlegen genügt, um mit dem Pferd Kontakt zu halten.“, erklärte ich. Vorsichtig ließ ich seine Beine wieder an Rangos Bauch. Die Zügelführung hatte ich unterdessen komplett selbst übernommen, weil Chris

sich vollständig auf seine Beine konzentrierte. Sobald ich spürte, dass er klammern wollte, schob ich meine Füße wieder als Barriere dazwischen. So führten wir es eine halbe Stunde fort, dann konnte sich Christophe nicht mehr konzentrieren. „Das können wir zum Trockenreiten öfters machen. Aber sonst nimmst du Talo. Ihn stört es nicht so sehr, wenn du mal einen Ausrutscher hast. Aber merk's dir: Die Beine gehören an den Pferdebauch, aber Festklammern geht gar nicht. Zum Treiben drückst du ein klein wenig zu, aber wirklich nur wenig. So hältst du auch das Pferd aufmerksam.“ Christophe nickte. „Ich werde es probieren. Und danke.“, sagte

er leise. Ich nickte und entließ Rango in seine Box. Als nächstes nahm ich mir Hidalgo vor. Ihn nahm ich mit Thorgal eine Runde ins Gelände und mit Felicitas trainierte ich wieder ein bisschen Trickreiten. Der Tag ging mal wieder viel zu schnell rum.

Kapitel 14

Auch der nächste Tag verging viel zu schnell. Schule, Arena, Christophe und Rango, Hidalgo, Thorgal und Felicitas. Es entwickelte sich eine Eintönigkeit, die immer aus demselben bestand. Die vier Pferde bewegen, Christophe Unterricht geben. So ging das 3 Wochen. Bis schließlich das Wochenende vor den Sommerferien begann. Da änderte sich schlagartig etwas. Zuerst einmal war wieder Vollmond. Am Samstagmorgen wurde ich von meinem Handy wach. Es piepste. SMS von Marion. Hallo Hanna. Wollte dich nur daran erinnern,

dass Vollmond ist :) In Kaltenberg läuft alles super, hoffe bei euch auch. Küsschen. Noch im Halbschlaf schrieb ich eine Antwort. Läuft alles super, Chris hat sich gut erholt, macht sich beim Reiten immer besser. Langsam kann er wieder auf Rango umsteigen, denke ich. Und wie soll ich nur Vollmond ohne dich überleben? Miss you. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Rango? So früh schon, aber wenn du meinst… Ich vermiss dich auch, hätte dich gerne wieder als Pferd gesehen… Aber du machst das schon, frag doch Louisa, ob sie dir beisteht. Meinst du, wir können sie einweihen? Gute Frage,

aber Louisa? Ich wusste nicht so recht. Christophe wäre mir lieber, denn durch den Unterricht hatte ich ziemlich viel Zeit mit ihm verbracht. Für jemand anderen hatte ich kaum genug Zeit, aber Louisa hatte mich ein bisschen unter ihre Fittiche genommen. Wie Marion. Wobei sie das auch nur tat, wenn sie genug Zeit hatte. Meistens hing ich alleine herum oder mit Maxime, mit der ich mich auch angefreundet hatte. Sie ritt nicht mit, war nur Backstagepersonal, aber eine ganz Liebe. Schließlich schrieb ich zurück. Ich weiß nicht, aber alleine will ich auch nicht sein, obwohl… die Pferde sind ein ganz guter Ersatz ;)

Doch Louisa... ich weiß nicht so recht. Irgendwann werde ich es sowieso allen sagen. Aber Louisa muss andererseits wieder fit sein Morgen. Ich bleib vermutlich allein. Von Marion kam Mitleid. Tut mir Leid, das nächste Mal bin ich wieder da. Viel Spaß heute. Ich bedankte mich, stand auf und machte mich fertig. Es war noch recht früh. Um Acht war ich im Park. Eine Stunde vor Öffnung. Ich erledigte meine Aufgaben und ging dann für das Voltigieren nach Hause. Agrento war schon angebunden, sonst hätte er sich wieder losgerissen, um zu mir zu stürmen. Ich drückte ihm einen

Kuss auf die Schnauze. „Ich vermisse dich total in der Arena, Großer.“, flüsterte ich. Agrento nickte traurig. „Genug geschmust?“, lachte Judith und trenste. Ich lächelte und ging mit den Anderen mich warm machen. Das Volti war super. Ich war richtig gut geworden. Doch ich konnte nur die Hälfte der Stunde mitmachen, denn dann setzten die Schmerzen ein. So fuhr ich zurück zur Arena. Dort setzte ich mich auf den Boden und wartete. Plötzlich rief jemand ganz laut meinen Namen. Ich stand auf. Zuerst bekam ich Kopfweh und die Welt drehte sich. Doch ich schaffte es, mich auf den Beinen zu halten und lief zu den

vorderen Boxen, wo die Stimme herkam. An einem Pfosten lehnte Ornella. Gabriella war auch da. Sie stand etwas abseits. „Hallo, Hanna. Du, ist das deine Freundin?“, fragte sie mich und holte ihr Handy heraus. Sie zeigte mir ein Video, in dem Eliza sang. Ich hob eine Augenbraue. „Ja, das ist sie. Warum hast du ein Video von ihr?“ Sie lächelte. „Wir suchten doch Leute als Schüler, habe ich dir doch erzählt. Das ist ihr Bewerbungsvideo.“ Ungläubig sah ich sie an. „Nicht dein Ernst…“, murmelte ich, brach aber ab, weil mir durch die plötzliche Aufregung schlecht wurde. Ich hielt mir den Bauch und hielt mich an Jentillos Box

fest. Ornella sah mich besorgt an. „Alles Ok? Soll ich dich nach Hause bringen? Wir haben sowieso keine Show mehr.“, fragte sie mich. Doch ich schüttelte schwach den Kopf. „Nee, ich bleibe über Nacht hier. Ich kann nicht in dem Zustand nach Hause.“, flüsterte ich, damit es keiner hörte. „Wieso denn? Ich kann dich mitnehmen.“, sagte Ornella. „Nein, weißt du, ich kann nicht nach Hause. Heute Nacht passiert etwas, was ich nicht verhindern kann, aber es soll keiner sehen.“, flüsterte ich noch leiser. Die Globe-Sängerin sah mich an. „Was denn?“, fragte sie. „Kann ich nicht sagen. Tut mir Leid, du würdest mich

nur auslachen, wenn ich es dir sagen würde. Aber schon ok.“ „Aber du kannst doch nicht alleine hierbleiben!“, protestierte Ornella. „Ich weiß, das wird langweilig, die letzten Male war immer Marion dabei, aber die ist zurzeit nicht hier.“, meinte ich und blickte nachdenklich die Stallgasse entlang. „Ich würde gerne hier bleiben, aber ich muss zurück. Und Gabi brauchen wir gar nicht fragen, die mag zwar Pferde, hat aber heute Nacht schon was vor.“, sie grinste schelmisch. Ich lächelte und blickte zu Gabriella. „Passt schon, ich komme schon zurecht. Morgen früh kannst du noch einmal vorbeischauen, aber frühestens nach Sonnenaufgang.“

Ornella nickte. „Ok, pass auf dich auf.“ Damit verschwanden die beiden Globe-Sängerinnen. Ich war kurz davor, irgendwen einzuweihen, da die Vollmondnächte waren immer schwer für mich waren. Aber wen? Ich schwankte zwischen Louisa, Chris und Maxime. Maxime war schon weg, Christophe war noch da, aber er war ein Mann. Er würde das nicht verstehen. Dem einzigen Mann, dem ich das sagen würde, wäre Ludo. Er war der Boss der Arena und hatte ein offenes Ohr für alles. Er würde es verstehen, aber er war nicht hier. Ich wollte gerade meinen ganzen Mut zusammen nehmen um Louisa zu fragen, da nahm sie es mir

schon ab. „Bleibst du über Nacht hier?“, fragte sie verwundert. Vorsichtig nickte ich. „Warum? Bist du so gerne bei den Pferden? Du siehst sie doch morgen wieder…“, meinte Louisa. „Ja, schon, die Sache ist die, ich kann nicht nach Hause. Nicht wenn Vollmond ist. Verstehst du, Lou?“, versuchte ich es zu erklären. Sie schüttelte heftig den Kopf. „Ich würde es dir gerne zeigen, aber ich weiß nicht… musst du morgen früh fit sein?“, fragte ich zuerst. Sie zuckte die Schultern. „Wenn du die Nacht durchmachen musst, warum nicht? Wenn es unbedingt sein muss bin ich dabei. Dann bist du nicht ganz allein.“, sagte sie lächelnd. Dankbar umarmte ich

sie kurz. „Du bist ein Schatz.“ Sie nickte. Lange mussten wir nicht warten, bis alle verschwunden waren. Als auch der Letzte gegangen war, kam Louisa auf mich zu. „Und jetzt erklär mir mal, warum ich das mitmache.“, sie setzte sich neben mich auf den Boden, auf dem ich schon seit einer halben Stunde saß. Zuerst zeigte ich mir meine Strähne. „Siehst du diese Strähne? Die habe ich erst seit dem ersten Vollmond, seit dem Tag, an dem es mir auch so schlecht ging, weißt du noch?“, fragte ich leise und Louisa nickte. „Gut, das war meine erste Nacht als Pferd. Und bevor du jetzt etwas sagen willst, lass mich ausreden und es dir

erklären.“ Warnend sah ich sie an. „Ok, ich sage nichts.“, versprach sie und ich begann: „Wann es angefangen hat, weiß ich selbst nicht. Schon seit ich ein kleines Kind war konnte ich mit Pferden sprechen. Ich verstehe sie und sie verstehen mich. Richtig. Nicht so wie ein Pferdeflüsterer. Bis ich hier angefangen habe, wusste ich auch nicht, warum es so ist. An meinem ersten Vollmond wurde mir jedoch offenbart, dass ich mich bei jedem Vollmond in ein Pferd verwandle. Mit silbernen Langhaar und weißem Fell. Angeblich stamme ich von Peganern ab, das waren Wesen aus einer Parallelwelt. Beziehungsweise sind, aber ich bin mir nicht sicher. Das

weiß ich auch nur aus Erzählungen der Pferde. Marion hat es mir zuerst auch nicht geglaubt, bis sie es gesehen hat. Und keine Sorge, wenn ich ein Pferd bin kann ich nach wie vor mit dir reden. Aber die Verwandlung ist jedes Mal eine Qual. Beim ersten Mal dachte ich, ich sterbe, weil der Körper sich noch nicht daran gewöhnt hatte. Beim zweiten Mal fiel es mir leichter und heute ist es wieder ein bisschen besser. Aber dazu erzähle ich dir nachher mehr, wenn es soweit ist.“ Erwartungsvoll sah ich sie an. Louisa warf mir einen fragenden Blick zu. „Sicher, dass du keine Fieberträume hast?“ Mein Blick wurde böse. „Du

musst mir nicht gleich glauben, du siehst es nachher. Aber bitte, ich hasse es, wenn man es so offensichtlich macht, dass man mir nicht glaubt.“ Louisa nickte. „Ok, müssen wir irgendetwas vorbereiten?“ Sie hatten immer noch den belustigten Unterton. „Nein, es sei denn du willst ein bisschen schlafen vorher. Bis es so weit ist, dürfte eigentlich noch Zeit sein, obwohl… Dunkel ist es ja und im Sommer braucht es dann auch nicht mehr lange, bis Mondhoch ist.“ Louisa schüttelte den Kopf. „Ich schlafe jetzt nicht. Nicht wenn es dir so schlecht geht.“ Beschämt drehte ich den Kopf. Aber sie hatte Recht. Mir ging es

schon wieder richtig dreckig. Schließlich schlug ich vor, in die Stallgasse umzuziehen. Draußen wurde es doch ein wenig kühl. Dort legte ich mich auf den kühlen Boden und versuchte mich zu beruhigen. Louisa saß nebendran und als es mir immer schlechter ging, begann sie zu zweifeln, ob sie das Richtige getan hatte. Doch sie rief keinen Arzt. Mondhoch sah ich nicht, ich spürte es. Mein Körper sprach für sich. Ich begann unkontrolliert zu zittern und mich zu winden. Mein Körper krümmte sich immer wieder und die Schweißausbrüche zeugten von der starken Anstrengung, die mein Körper

vollzog. Ich spürte das Fell an meinem Körper und zog mir schnell meine Sachen aus, damit diese es überlebten. Kurz darauf lag ich als hübsche Schimmelstute vor Louisa. Sie starrte mich ungläubig an. „Wenn ich es nicht sehen würde... Und Marion wusste das die ganze Zeit?“ Unschuldig nickte ich und rappelte mich auf. „So, jetzt bin ich wieder hergestellt. Hast du was vor? Ich bin nur einmal im Monat ein Pferd.“, sagte ich mit meiner klingenden Stimme. Louisa zuckte zusammen, nickte aber. „Kannst du Rocio ein paar Sachen für mich fragen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Das kann ich auch als Mensch, denk dir

etwas Besseres aus.“ Louisa dachte scharf nach. „Ist schon einmal jemand auf dir geritten?“ „Natürlich. Willst du auch ein magisches Pferd ausprobieren?“, fragte ich lachend und ging ein Stück in die Knie, damit sie auf meinen Rücken rutschen konnte. Louisa lächelte. „Klar doch.“ „Dann halt dich gut fest!“, sagte ich grinsend und trabte aus dem Stall, natürlich nahm ich noch Rocio mit. Auf direktem Weg ging es zur Galoppstrecke. Ich holte tief Luft und galoppierte los. Rocio folgte mir und ich spürte, wie auch er richtig rennen wollte. Frei sein! „Kannst du mal einen Moment runter?“, fragte ich Louisa und schlitterte aus

vollem Galopp in die Knie. Denn in mir drang es nach ein paar ordentlichen Bucklern. Louisa lachte und rutschte von mir runter. Sofort machte ich auf dem Absatz kehrt und hielt nach Rocio Ausschau, der etwas abseits graste. „Hey! Du Faulpelz!“, rief ich ihm zu und wir stürmten aufeinander zu. Ich buckelte aus Leibeskräften, legte waghalsige Wendungen ein und rannte mir die Seele aus Leib. Rocio ließ sich anstecken und unsre Hufe krachten immer wieder ineinander. Doch keiner von uns legte die Ohren an. Wir spielten nur. Und es tat gut, all die Energie abzulassen. Rocio schnappte nach mir. „Na warte,

den Faulpelz bekommst du zurück!“, rief er und wir krachten wieder ineinander. Ich lachte. „Du bist echt doof. Aber morgen musst du wieder fit sein, das weißt du ja?“ „Egal!“, er lachte ebenfalls und wir schlitterten wieder ineinander. Schließlich trotten wir völlig ausgepowert zu Louisa zurück. Diese grinste. „Ausgetobt?“ Ich stieß sie an, sodass sie beinahe das Gleichgewicht verlor. „Du weißt gar nicht, wie das manchmal notwendig ist.“ Sie schwang sich auf meinen Rücken. „Rocio!“, rief ich und der Hengst folgte mir. Louisa lächelte. Im langsamen Schritt ging es zurück und ich spürte, wie Louisa es nicht bereute dabei zu

sein. Aber für mich war es anders. Mit Marion war es schöner. Magischer. Louisa war eben nicht Marion. Diese war leider in Kaltenberg, aber sie würde bald wieder kommen. Meine Reiterin war müde, das spürte ich. „Ich bringe dich zurück, Lulu. Dann legst du dich schlafen.“, sagte ich. Wiederstrebend nickte sie. Und ließ zu, dass ich sie in meinem sanftesten Trab zurückbrachte. Als wir wieder im Stall waren, es war noch recht früh, ich hatte noch massig Zeit als Pferd, legte sie sich hin und schlief bald ein. Nachdenklich sah ich sie an. Nein, eigentlich konnte ich es ihr nicht zumuten, über mich Bescheid zu wissen. Vorsichtig, sodass sie es nicht

merkte, berührte ich ihre Schulter, versuchte ihre Gedanken zu erfassen. So wie ich es schon einmal bei Hidalgo gemacht hatte. Mit meiner vollen Konzentration suchte ich in all dem Schwarz ihrer Gedanken nach dem Erlebnis von heute. Ich konnte ihre Erinnerungen nicht sehen, nur die, nach der ich bewusst suchte. Diese war ein heller Fleck inmitten der Dunkelheit. Hochkonzentriert webte ich sie zu einer Nacht im Stall, in der es Rocio nicht gut ging. Er hatte Schmerzen gezeigt, aber inmitten der Nacht war es dann wieder besser geworden und Louisa hatte sich zum Schlafen gelegt. Alle Erinnerung an mich als Pferd ließ

ich verschwinden. Jeder noch so kleine Hinweis darauf, löschte ich. Es war nicht richtig, dass zu tun, aber Louisa kam damit nicht so klar wie Marion. So gerne hätte ich es ihr gezeigt. Aber ich konnte nicht. Als ich fertig war, waren nur ein paar Minuten vergangen. Traurig sah ich sie an und ging leise nach draußen. Morendo sah mich besorgt an, öffnete dann seine Boxentür, sammelte meine Kleidung vom Boden auf, stopfte sie umständlich, so gut es als Pferd eben ging, in einen Beutel, den er sich um den Hals hängte. „Dann müssen wir nicht da sein, wenn Louisa aufwacht.“, sagte er leise und ich

verstand. Wir würden es bei der Rückkehr als „morgendlichen Ausritt“ erklären. Zuerst liefen wir ein Weilchen durch den Wald. „Morendo, darf ich dich mal was fragen?“, murmelte ich. „Ja?“ Es war mir peinlich. „Kann ich überhaupt Kinder bekommen?“, fragte ich leise. Überrascht blickte mich das Pferd an. „Als Mensch ist man ja 9 und als Pferd 11 Monate schwanger. Wenn ich als Pferd Nachwuchs zeugen würde, könnte es sein, dass die Geburt nicht auf Vollmond fällt. Was dann? Als Mensch besteht die Gefahr, dass der Termin auf Vollmond fällt.“, versuchte ich zu

erklären. „Willst du die Wahrheit wissen?“, fragte das Pferd leise. „Du weißt es?“, fragte ich überrascht zurück. „Ja, ich habe mich immer für solche Halbwesen interessiert. Es gibt noch ein paar auf der Welt und ich kannte mal eine, die gehörte auch zu der Cavalcade, aber sie ist vor ein paar Jahren gestorben. Niemand, außer den Pferden, wusste um ihr Geheimnis. Sie zeigte es auch nie, sie fand es unheimlich, mit Tieren zu reden. Nur ein paar Mal, da hat sie uns ihr Herz ausgeschüttet. Sie war bis zu ihrem Tod Jungfrau. Das Pferd in dir lebt ungefähr 40 Jahre. Es lässt dich quasi nicht altern. Dafür

bekommst du auch eine längere Lebensdauer, glaube ich. Die Frau, die ich kannte, hatte sich selbst umgebracht. Als das Pferd sie verließ, hatte sie den Übergang nicht ausgehalten. Außerdem war sie einsam. Sehr einsam. Denn sie konnte nicht lieben. Keine Kinder bekommen, gar nichts. Nicht einmal einen Freund haben. Warum das so war, hatte sie nie gesagt. Aber es war schrecklich. Das Pferd in ihr war das einzige was sie am Leben hielt. Sonst hätte sie sich schon früher getötet. Das Pferd und ihre Vernunft hielten sie zurück. Sie war fast 60, in Menschenjahren, als das Pferd aufhörte an Vollmond zu kommen. Ihr

Körper sah aber noch aus wie Mitte dreißig. Aber innerlich war sie zerstört. Sie hat es nie wirklich verkraftet, etwas Anderes zu sein. Es führte zu ihrem Tod.“, sagte Morendo nachdenklich und fuhr leiser fort. „Nach ihr wurde ich benannt. Sterbend. Ich war noch ziemlich jung, als sie ihr letztes Jahr anfing. Immer war ich an ihrer Seite und man konnte richtig sehen, wie sie litt. Man sah ihr an, dass sie das nicht mehr lange mitmachen konnte. Und ich war immer an ihrer Seite. Und da mein Name vergessen war, taufte Mario mich Morendo. Sterbend. Damit wir immer an sie dachten.“ Den letzten Satz flüsterte er

nur noch. Er hatte sie gemocht. Sehr. Ich dachte über seine Worte nach. „Werde ich auch so enden?“, fragte ich weiter. Morendo schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht. Du bist geistig sehr stark. Ich hoffe, du wirst damit klarkommen. Denn es tut weh, glaub mir.“, antwortete er ruhig. Ich blieb stehen und blickte in den dunklen Wald. „Aber ich zahle einen hohen Preis für etwas, dass ich mir nicht ausgesucht habe.“, setzte ich an. „Ja, das ist wahr.“, bestätigte Morendo. „Deshalb haben mich die Jungs nie interessiert. Deshalb komme ich nicht mit Menschen klar. Und deswegen hasse ich Liebespaare.“, murmelte ich

leise. Es tat jetzt schon weh. Zu gut erinnerte ich mich an Heidi und Chris im Krankenhaus. Ich spürte noch immer den Schmerz, den ich bei ihrem Anblick empfunden hatte. Wie bei allen Liebespaaren, die ich glücklich miteinander sah. Mein Körper hatte gewusst, dass ich es nicht konnte. Würde ich je glücklich mit jemanden mein Leben teilen können? Wahrscheinlich nicht. Forever alone. Traurig sah ich auf meine Hufe. „Meinst du, ich schaffe das?“ Morendo stupste mich beruhigend an. „Klar, du bist stark, Hanna. Und jetzt lass uns ein noch ein Stückchen laufen.“ Im Schritt

liefen wir noch ein bisschen durch die Gegend bis die Sonne aufging und ich wieder ein Mensch wurde. Nachdem ich mich angezogen hatte, schwang ich mich auf Morendos Rücken und zog mein Handy aus der Hosentasche. Marion hatte sich noch nicht gemeldet. Es war ja auch noch fast Nacht. Ich brauche dich dringend hier. Morendo hat mir etwas Furchtbares erzählt :( Schrieb ich ihr und bei der Erinnerung daran bekam ich einen Kloß im Hals. Niemand, mit dem ich je richtig glücklich sein würde. Das einzige was mir blieb, waren die Pferde. Gedankenverloren spielte ich mit Morendos Mähne. Heute war

Sonntag. Noch drei Tage Schule. Dann konnte ich mich ganz der Arena widmen. Und heute war auch das Casting. Wie Eliza wohl abschneiden würde? Als es kurz vor acht war, ritt ich zurück zur Arena. Louisa erwähnte mit keinem Wort, was vergangene Nacht geschehen war, was ich ihr sehr hoch schätzte. So würde keiner misstrauisch werden. Denn Rocio ging es natürlich nach wie vor gut. „Hallo, Hanna.“, rief mir Guillaume entgegen. Er kam mir entgegen. „Seit wann bist du denn hier? Wenn du schon mit ihm reiten warst?“, fragte Guillaume neugierig. „Schon ein Weilchen, aber ich war nur im Schritt

unterwegs. Er ist wie immer voll einsetzbar.“, meinte ich und tätschelte den Apfelschimmel. Morendo schnaubte und ich ging mit ihm zu seiner Box, wo sein Frühstück auf ihn wartete. Da fiel mir ein, ich hatte seit gestern Mittag nichts mehr gegessen! „Du hast nicht zufälligerweise etwas zu essen?“, fragte ich Guillaume hoffnungsvoll. „Keine Zeit für das Frühstück gehabt?“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Nee, ich wollte den ruhigen Morgen genießen. Du weißt nicht, wie schön Sommermorgen sind.“, erklärte ich. „Leider habe ich nichts, aber du kannst gerne in eine Bäckerei gehen. Im Moment

bist du entbehrlich.“, meinte er lächelnd und ich nickte. Ich ging vorne am Haupteingang aus dem Park, wo ich auch prompt Ornella über den Weg lief. „Ach, guten Morgen, Hanna. Und? Wie war die Nacht alleine im Stall?“, fragte sie lächelnd. „Gut, so wie immer. Hast du was zu essen da? Ich bin am verhungern.“ Hoffnungsvoll blickte ich sie an. Ornella grinste und schüttelte den Kopf. „Ich kann dich aber gerne zum Bäcker begleiten.“, bot sie an, doch ich lehnte ab. „Danke, das bekomm ich allein hin, denke ich. Ich komm nachher mal vorbei, erzähl mir dann wie das Casting gelaufen ist. Ich will wissen, ob Eliza es

schafft.“, sagte ich noch und ging dann zum Bäcker. Als ich wiederkam, waren auch die Anderen in der Arena eingetrudelt. Ich hielt Ausschau nach Chris, als mein Handy vibrierte. „Was ist denn passiert? Ich kann leider nicht kommen, aber in einer Woche bin ich wieder da. Ist es so schlimm?“, kam es von Marion. Ich seufzte. „Ja, richtig schlimm, aber das muss ich dir unter vier Augen erzählen. Es ist schrecklich…“, schrieb ich zurück. Doch dann holte ich tief Luft, um meinen Kopf für einen neuen Tag freizubekommen, holte Rango und legte ihm sein Zaumzeug an. „Chris!“, rief ich laut nach meinem „Schüler“. Er

reagierte und schlenderte auf mich zu. „Hallo, Rango. Tag, Hanna.“, begrüßte er uns. „Heute darfst du ohne Sattel reiten, ohne mich hinten drauf. Ich denke, du bist so weit, dass Rango keinen Schock mehr von dir bekommt.“, erklärte ich die heutige Aufgabe. „Danke, als ob mein Pferd von mir ein Schock bekommt.“, meinte er ironisch. „Also wenn ich ein Pferd wäre, würde ich schreiend vor dir wegrennen“, kicherte ich und kassierte einen Reithandschuh, der mir voll ins Gesicht geworfen wurde. „Du Idiot, Schüler bewerfen ihre Lehrer nicht!“, tadelte ich ihn. Er zog eine Grimasse und schwang sich auf Rangos bloßen Rücken.

Vorsichtig nahm er Kontakt mit dem Pferdemaul auf und ritt an. Ich setzte mich auf einen Hocker am Rand und sah ihm zu. „Nicht klammern! Zügel locker, aber Beine trotzdem an den Pferdebauch!“, rief ich ihm das Übliche zu. Er machte immer dieselben Fehler. Nach einer halben Stunde ließ ich ihn traben. Christophe sah mich entsetzt an. „Ohne Sattel?!“ Ruhig nickte ich. „Du fliegst nicht runter, Rango strengt sich an mit dem Trab. Nicht wahr, Rango?“, grinste ich und das Pferd nickte übertrieben und ich tat so, als würde ich ihm das Kommando dazu geben. „Aber wenn ich hinunterfliege ist es deine Schuld!“,

beklagte er sich, trabte aber gehorsam an. Rango war wirklich weich, aber Christophes Sitz war schon wieder eine Katastrophe. „Nicht klammern, verdammt noch mal! Entspann dich! Sei locker. Rango macht nichts. Er trabt völlig ruhig. Du kannst dich auch an der Mähne festhalten, er trabt schon seine Runden.“, seufzte ich. Aber Christophe entspannte sich nicht. „Rango, Schritt!“, rief ich dem Pferd zu und Rango wurde langsamer. „Runter! Willst du erst sehen, dass es möglich ist?“, fragte ich genervt und Chris nickte. „Wie machst du das?“, fragte er verwundert. Wortlos schwang ich mich auf das braune Pferd und trabte locker

an. Völlig entspannt saß ich auf seinem Rücken, ließ die Zügel durchhängen und klammerte nicht. Nach einer Runde parierte ich durch, winkte Chris zu mir und ließ ihn hinter mich. „Halt dich an mir fest, wenn es sein muss, aber zuerst üben wir das entspannte sitzen ohne Sattel im Trab. Mit Sattel kannst du es ja.“, erklärte ich. „Bereit?“ Und als Chris nickte, trabte ich Rango an. Ich spürte wie Chris sich krampfhaft an meinen Schultern festhielt. „Entspannen! Rango strengt sich gerade an, seinen Trab so gemütlich zu machen, wie es geht und du schaffst es trotzdem nicht!“, fuhr ich ihn

an. Schließlich ließ ich die Zügel los, nahm seine Hände von meinen Schultern und streckte sie zur Seite. Doch Chris verspannte sich immer noch total im Rückgrat, der Hüfte und den Oberschenkeln. „Streck mal deine Beine zur Seite. Sodass sie Rango nicht berühren. Keine Sorge, ich hab dich.“, meinte ich und mit Widerwillen tat es Chris. Jetzt verkrampfte er sich im Rücken und der Hüfte noch mehr. „Atme mal aus und lass alle Muskeln locker.", befahl ich ihm. Ich konnte spüren, dass er sich für einen Moment entspannte, doch gleich darauf wurde er wieder steif wie ein Brett. „Lass los! Du

fällst nicht herunter!“, sagte ich. Immer noch hielt ich seine Hände zur Seite. Schließlich gelang es Chris, zumindest für zwei Runden völlig entspannt zu sein, doch dann verkrampfte er sich wieder. Als sein Pferd und er selbst klatschnass waren, für Rango war es nicht leicht sanft zu traben mit zwei Menschen und das auf Dauer, beendete ich die Stunde. Überschwänglich lobte ich Rango, bei Chris beließ ich es bei einem einfachen. „Allmählich wird es besser.“ Er ging sein Pferd versorgen. Ich holte Hidalgo und Thorgal, longierte beide ein bisschen und übte mit Felicitas weiter das Trickreiten. Als alle Pferde bewegt

waren, war es Nachmittag. Ich ging etwas Essen und begab mich dann zum Globe. Davor stand das Schild, dass keine Show heute stattfinden würde. Ich ging zum Hintereingang hinein und entdeckte auch schon die vier Solisten an einem Tisch sitzen. Gerade hörten sie sich die Gesangseinlage eines ziemlich untalentierten Mädchens an. Ich setzte mich an die Seite und nippte an der Apfelschorle, die ich mir gerade gekauft hatte. Als das Mädchen fertig war, stand ich auf. „Und? War sie schon dran?“, fragte ich Ornella. „Jap. Nicht mein Ding, aber Gabi hat ein Auge auf sie geworfen.“ Ich sah zu

Gabriella hinüber. „Wie war sie?“, fragte ich weiter. „Nun ja, ich fand sie etwas zu sehr depressiv, sie kann mit Gefühl singen, aber das sind eben mehr traurige Gefühle. Im Globe geht es um Belustigung der Menschen, nicht um eine Beerdigung.“, meinte Ornella trocken. Ich grinste. „Du kennst sie noch nicht. Sie ist absolut depressiv drauf die meiste Zeit. Mal schauen, wie lange ihr braucht, um sie fröhlich zu stimmen.“ Ornella verdrehte die Augen und widmete sich dem nächsten. Ein 18-Jähriger namens James. Ich sah ihn stirnrunzelnd an. Irgendwie kam er anders rüber. Ich spürte die Magie, die von ihm ausging. Verwirrt hob ich eine

Augenbraue und ging aus dem Globe. Zurück zur Arena. Dort empfing mich Louisa. „Wir üben noch ein bisschen die Stunts für dich als zukünftige Milady.“, empfing sie mich. Darauf kassierte sie einen bösen Blick. „Du weißt genau, dass ich nicht Milady spielen werde. Nicht vor nächster Saison.“ Louisa schmunzelte. „Falls mal jemand ausfallen sollte. Z.B. Marion ist ja in Kaltenberg, ich bin dann krank und Laura hat sich das Bein gebrochen. Wer weiß…“ Seufzend ergab ich mich meinem Schicksal. Den ganzen lieben restlichen Nachmittag trainierten wir für die Rolle. Etwas Spannendes passierte

erst nach der Schule, am nächsten Tag.

Kapitel 15

Wie gewohnt ging ich zum Zug, als ich Eliza entdeckte, die auch in Richtung Freiburg wollte. Sie hatten sie doch nicht genommen? Auch sie entdeckte mich. Ihr Gesicht verzog sich. Ich folgte ihr in dem Gedränge in den Zug. Auf einem Vierer ließ sie sich vor mir auf den Sitz fallen. „Was machst du hier?“, fragte ich. Wortlos drückte sie mir den Flyer von der Bewerbung in die Hand. „Sie haben dich doch nicht genommen? Oder?“, fragte ich zweifelnd. Eliza wurde wütend. „Genau deswegen habe ich es dir nicht früher erzählt!“, fuhr sie mich

plötzlich überraschend an und wollte davonstapfen. Doch ich hielt sie ab. „Wer ist denn dein Mentor? Ornella aber nicht, oder?“, versuchte ich sie zu beruhigen. „Nein, Gabriella. Und jetzt lass mich in Ruhe!“, schnaubte sie. „Erzähl mir doch, wie war das Casting?“ Sie begann zu erzählen, dass Ornella sich eine Tussi genommen hatte, Réka ebenfalls und nur Juan gescheit war und James genommen hatte. Na super, mal schauen wie lange das gut ging. Sobald wir in Rust waren, trennten sich unsere Wege. Ich machte mich auf den Weg zur Arena, wo ich gerade noch eine Show

erwischte. Christophe ritt Talo, wie besprochen. Ich traf Nicole, eine von Facebook, die ebenfalls sehr aktiv war und regelmäßig Bilder hochlud. Allerdings war sie nicht so backstage aktiv, wie Nicole Messer es war. „Was ist eigentlich mit Rango? Er sieht doch wieder ganz fit aus, wieso reitet Christophe ihn nicht?“, fragte sie verwundert. „Momentan bekommt er bei mir Reitstunden. Auf Rango, weil er einfach eine zu harte Hand für ihn hat. Deswegen reitet er momentan nur unter meiner Aufsicht Rango. Solange ist er auf Talo umgestiegen, der härtere Hilfen verträgt. Das hat er aber nicht freiwillig getan, glaub mir.“, erklärte ich und sah

zu, wie Louisa als Milady die Arena betrat. Ich richtete mein Augenmerk auf die Reitweisen und zeigte Nicole die Fehler. „Da, er reitet Talo schon wieder ziemlich hart.“, meinte ich und meinte damit, wie er Talo die Fersen in den Bauch rammte. Anbei prägte ich mir weiter die Rolle als Milady ein. „Bald ist Nachtarena. Bist du da auch da?“, fragte Nicole irgendwann. „Da bin ich auf jeden Fall, aber ob man mich sieht, ist eine andere Frage. Allerhöchstens im Publikum.“, meinte ich. „Schade. Aber erzähl, gibt es was Neues hinter den Kulissen? Nach der Sache mit Rango war es ziemlich ruhig

um euch.“, meinte sie. „Ja, wir hatten keine Zeit. Ich war vor allem mit den Pferden beschäftigt. Zurzeit habe ich ja Felicitas, Thorgal, Hidalgo und Rango in Pflege. Blacos ist unter Karels Fittiche. Und die Anderen waren mit sich selbst beschäftigt. Ach ja, Fabrice ist im Urlaub. Dann war ja noch die Sache mit Christophe im Krankenhaus. Er war mehrere Tage drin. Aber mittlerweile geht es ihm gut, wie du siehst.“, erklärte ich. Nicole nickte. Damit war das Gespräch auch beendet. Den Nachmittag verbrachte ich damit, meinen Trickreitpart zu üben. Falls der Extremfall eintreten sollte und ich Milady spielen musste. Als ich noch alle

drei Pferde bewegt hatte, ging ich ins Globe. Es war bereits ziemlich spät. Doch die vier Mentoren waren noch da. Sie saßen um einen Tisch, tranken Tee und besprachen ihren ersten Tag. Vorsichtig klopfte ich an. „Hallo, Hanna.“, meinte Ornella, als sie mich entdeckte. Ich nickte. „Und, wie stellt Eliza sich an? Und was macht deine Schülerin?“, fragte ich Ornella. „Also Eliza macht sich ziemlich gut, nur beginne ich zu zweifeln, ob ich die richtige Wahl mit Chantal traf. Sie lässt sich gar nichts sagen.“, beklagte sich Ornella. Ich nickte. „Wenn ich Zeit hätte, hätte ich gesagt, sie sollte mal vorbeikommen. Meistens bekomme ich

jede noch so hartnäckige Zicke weich.“, meinte ich grinsend. Doch Ornella schüttelte den Kopf. „Ich gebe mir noch ein paar Tage. Sollen wir eigentlich gehen?“, machte sie einen plötzlichen Themawechsel. „Nee, weißt du, ich komme hier her, weil ich hier übernachte.“, grinste ich ironisch. Ornella stand auf und wir begaben uns auf den Heimweg. Der nächste Tag verging ebenfalls wie im Flug. Felicitas war echt ein Lämmchen geworden. Mario Luraschi war auch zum ersten Mal, seit ich hier arbeitete, da. Der Regisseur der Show kam fast direkt aus Kaltenberg angereist „Wie weit bist du mit der irren Stute?“, fragte er gerade,

nachdem wir schon kurz miteinander geredet hatten. Ich freute mich sehr, ihn endlich kennenzulernen, aber anscheinend war er schon auf dem aktuellsten Stand der Dinge. Geheimnisvoll lächelte ich, sattelte die "irre" Stute und führte ihm Trickreiten mit ihr vor. Marios Augen weiteten sich vor Staunen. „Das warst wirklich du allein?“, fragte er ungläubig und als ich nickte, murmelte er nur was von „Wunderkind“. Anschließend ging ich ausreiten. Mario kam mit. Er nahm Hidalgo und ich ließ mich von Thorgal tragen. Rango überließ ich Chris zum longieren. Wie immer, wenn ich ausritt, ritt ich ohne

Sattel. Das hatte ich mir in den ersten Wochen so angewöhnt. „Reitest du immer ohne Sattel im Gelände?“, fragte er misstrauisch. „Ja, meistens. Nur wenn ich ein schwieriges Pferd habe, wie Felicitas. Ich finde das für beide Teile entspannender. Zwar verteilt der Sattel das Gewicht gleichmäßiger, macht es aber durch sein eigenes Gewicht fast wieder wett. Außerdem weiß ich, dass kein freundliches Pferd es unter mir wagen würde, zu buckeln, unsanft zu laufen oder auf irgendwelche dummen Gedanken kommen. Wieso eigentlich? Machst du das nicht?“ Mario schüttelte den Kopf. „Schon allein, um die Hilfen besser geben zu

können, reite ich immer mit Sattel.“, meinte er. „Aber ein Ausritt soll ja entspannend sein. Eine kleine Auszeit gegenüber dem Dressuralltag. Wenn ich den Sattel auf den Rücken des Pferdes mache, weiß es, es muss arbeiten. Wenn ich einen Geländeritt machen würde, indem ich dem Pferd gleichzeitig eine Dressurlektion vermitteln oder springen will, dann reite ich mit Sattel. Solange das Pferd keinen Sattel trägt, muss es sich nicht anstrengen. Du merkst richtig, wie entspannt manche Pferde dadurch werden. Und ich arbeite ja mit einer Methode, die gegenseitige Freundschaft und Vertrauen braucht.“, konterte

ich. „Also, ich arbeite ja mit Gehorsam und gutem Willen. Klar, Vertrauen braucht es immer. Aber nur Freundschaft reicht nicht aus, um dem Pferd Lektionen beizubringen. Ich meine, es ist ja schon eine Kunst, die Gestik und Mimik von Pferd und Mensch zu beherrschen.“ Ich grinste. Was Mario verwundert aufnahm. „Warum lachst du jetzt? Das ist doch so, es dauert Jahre bis du das Pferd und das Pferd dich versteht.“, meinte er. „Nun ja, ich zu meinem Teil brauche nur wenige Sekunden um den Pferd klar zu machen, was ich von ihm will.“ Hidalgo wurde unruhig. „Könnt ihr mal

aufhören zu diskutieren? Ich will galoppieren!“, beschwerte er sich. „Genau. Hier habe ich ein Beispiel: Hidalgo will galoppieren. Und ich kann ihn in den Galopp bringen, indem ich nicht viel mache, auch noch von einem anderen Pferd aus.“ Mario nickte verwundert. „Dann mach mal.“ Er hob die Hände und ließ die Zügel los. „Hidalgo. Du darfst.“, sagte ich grinsend und das Pferd stob los. Thorgal raste hinterher. Ich ließ ebenfalls die Zügel los, um mich an der Mähne festzuhalten. Ich beugte mich nach vorne, um einen besseren Halt zu haben. Mario hatte inzwischen sein Pferd gezügelt und es versammelt

galoppieren lassen, als ich mit Thorgal vorbeizog. Ich nahm die Zügel nicht auf, sondern sagte nur ein leises „Mach mal langsam, Mario kommt nicht mit“, zu meinem Pferd. Lachend drehte ich mich um und blickte ihn an. „Selten sehe ich jemand so glücklich auf einem Pferd sitzen. Du hast echt Potenzial, meine Nachfolgerin zu werden. Und wie ich sehe, kommst du allmählich auf den Stand der Anderen. Vielleicht kann ich dich in zwei, drei Jahren, wenn du keine Schule mehr hast, voll einsetzen. Aber mal schauen. Ich bin noch bis zur Mitternachtsöffnung in Rust, dann kannst du mir so zeigen, was du alles gemacht hast.“, meinte er und ließ

Hidalgo traben. Auch ich machte langsamer. Es brauchte nicht viele Hilfen um dies zu tun. Thorgal war ein vollständiges Verlasspferd, meiner Meinung nach. „Ich habe Christophe übrigens gesagt, er soll Talo vorübergehend nehmen, falls du dich wundern solltest. Hast du das mit Rango mitbekommen?“, fragte ich. Mario hob eine Augenbraue. „Nein, was ist denn passiert?“ Doch ich schüttelte den Kopf. „Nicht so wichtig, vergessen wir die Sache. Aber Chris darf Rango nur in meiner Anwesenheit reiten. Sonst lernt er es nicht.“, erklärte ich. „Ach, deshalb... Ich habe mich schon gewundert, warum Rango in der

Box steht, während Chris Talo nimmt.“ Ich nickte. „Morgen zeige ich dir, warum. Aber heute wird es zu spät.“ Denn als wir heimkamen, dämmerte es schon. Und wieder war ein Tag vergangen. Heute war der letzte Schultag. Das fand ich super, denn ab Morgen hatte ich sechs Wochen jeden Tag Zeit, hierher zu kommen. Mein Zeugnis war zwar etwa um eine Note schlechter geworden, doch es war mir ziemlich gleichgültig. Jetzt war ich nicht mehr die Klassenbeste. Und ich konnte mir denken, woran das lag. Durch die Arena hatte ich seit den Pfingstferien nichts mehr wirklich für die Schule getan. Nun

ja… Später, in Rust, tanzte ich regelrecht in die Arena. „Keine Schule mehr, Sommerferien, sechs Wochen keine Schule. Herrlich!“, jubelte ich, sodass Vincent und Karel einen Schock bekamen. Sie sahen mich schief an. „Du weißt ja, dass jetzt die Hauptsaison beginnt. Da musst du noch mehr arbeiten.“, meinten sie trocken. Ich schüttelte den Kopf. „Hier macht es mir Spaß. Und jetzt werde ich wahrscheinlich jede freie Minute hier investieren.“, erklärte ich. Schools out for summer von Alice Cooper singend lief ich durch die Stallgasse und verbreitete ein wenig

Stimmung. Louisa kicherte, Maxime verdrehte die Augen und Christophe flüchtete. Und Fabrice bekam einen Anfall. „Das ist Krank! Krank! Ich sag euch, sie ist verrückt!“, schrie er mit Lachtränen in den Augen. Daraufhin bekam ich so einen Lachanfall, dass ich mich verschluckte, husten musste und meinen scheußlichen Gesang vorerst einstellte. Plötzlich kam ein Schwall kaltes Wasser von oben. „Christophe, du Idiot“, fuhr ich ihn lachend an, denn ohne es zu sehen, wusste ich, dass er es war. „Ich dachte, wir müssen dein erhitztes Gemüt ein bisschen kühlen.“ Er grinste. Daraufhin sprang ich ihn an und wir lagen lachend

am Boden. „Jetzt bin ich klatschnass, du Depp!“, grinste ich ihn an. Aber heute war es auch warm. Sehr warm. Kevin, zum Beispiel, zog sein Hemd, seit der ersten Aufführung, nur noch für eine Show an. Für die weiblichen Arena-Fans, die an den vorderen Boxen standen, zu uns hinsahen, aber so taten, als fänden sie die Pferde so spannend, war das natürlich das Beste. Plötzlich tauchte Mario auf. „Na, ihr zwei? Ausgetobt?“, fragte er und ich stand auf. Chris blieb noch am Boden liegen, blinzelte zu Mario hinauf und fragte: „Der Boden ist so schön kühl. Darf ich noch ein Weilchen liegen bleiben?“ Ich grinste und gab ihm einen

leichten Tritt in die Seite. „Komm schon, Rango wartet nicht.“ Ich hatte Mario versprochen, dass ich ihm unsere Stunde zeigen würde. Christophe seufzte und rappelte sich auf. „Mit oder ohne Sattel?“ „Ohne.“ Er seufzte nochmal. Dann putzte er Rango über und legte ihm die Trense an. Anschließend nahm er den Hocker und rutschte auf den Rücken seines Pferdes. Ich sah ihn an. „Schaffst du es alleine? Oder soll ich dir wieder helfen?“, fragte ich. Chris warf mir zuerst einen bösen Blick zu, dann besann er sich was Besserem und deutete hinter sich. „Tu, was du nicht lassen kannst.“ Lächelnd rutschte

ich hinter ihm auf Rango’s Rücken. Soweit ich konnte, rutschte ich nach hinten, damit Chris Spielraum hatte. Er ritt an. Von mir kam ein Seufzer. „Das waren mindestens Trabhilfen.“, tadelte ich ihn und Christophe ließ sofort die Beine locker. Plötzlich blieb Rango stehen, weil Chris zu sehr am Zügel zog. Bevor er anreiten konnte, schob ich meine Füße wieder als Barriere zwischen ihn und Rango. Aber sobald er es merkte, entspannte er sich völlig und ich ließ ihn wieder an Rangos Bauch. Dann gab ich den Druck zum Anreiten. Es war ein kleiner, den ich von außen über Chris‘ Füße gab. „Sorry.“, meinte er und wurde mit der

Hand weicher. Er wurde mit jeder Unterrichtsstunde von uns immer besser. Außer dem einen Mal half ich im Schritt gar nicht mehr. Für das Traben ließ ich ihn allein, rutschte von Rangos Rücken und stellte mich in die Mitte des Sandplatzes. Er hatte sichtlich an seinem Sitz gearbeitet. Chris klammerte gar nicht mehr und war schön locker in der Hüfte. Auch Rango war kooperativ. Total brav akzeptierte er auch einen kleinen Ausrutscher, als sein Reiter wieder kurz klammerte. „Dann galoppier mal an.“, meinte ich schließlich als ich am Trab nichts mehr auszusetzten hatte. Bisher war er noch nie ohne Sattel

galoppiert. Ich konnte sehen, wie Chris die Zähne zusammenbiss und die Galopphilfen gab, an denen ich nichts auszusetzen hatte. Doch nach einer kurzen Klammerphase, zu der ich nichts sagte, sah ich wie sein Gesicht sich entspannte und er wieder seine gewohnte Haltung annahm. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Locker federte er die Bewegungen mit. Er liebte den Galopp. Aber wer tat das nicht? Mario kam zu mir in die Mitte des Zirkels. „Du kannst richtig guten Unterricht geben. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, mich hinter den Reiter zu setzen um ihm zu zeigen, wie er zu Reiten hat. Und Rango sieht ganz anders

aus. Du kannst das echt gut, Hanna.“ Über das Lob lächelte ich. „Danke, aber das war ja auch nötig. Ich meine jetzt nicht, dass er nicht reiten kann, aber wenn es um das Wohl der Pferde geht, kenne ich kein Pardon.“ Mario nickte. Meine Kleidung war während dem Unterricht wieder getrocknet und so ging ich anschließend zu Louisa, die wieder den Miladypart mit mir durchging. Sie wollte wissen, welches Pferd ich am liebsten für eine Aufführung nehmen würde und ich sagte Thorgal. Er sah einfach am edelsten aus und war am schönsten zum Reiten. Also übten wir mit Thorgal. Anschließend sattelte ich Felicitas und

nahm Hidalgo als Handpferd mit. Im lockeren Trab ritten wir eine kleine Runde im Gelände. Es war schon wieder spät, als ich mit den Pferden fertig war. Ich entschied noch einen Abstecher zum Globe zu machen. Davor saß Ornella auf einer Bank und wirkte traurig. Normalerweise saßen die Darsteller nie in der Öffentlichkeit auf einer Bank, sie bevorzugten es, im Backstagebereich zu bleiben. Ich ließ mich neben sie fallen. „Hi. Was ist los?“, fragte ich direkt. Ornella sah auf. Ihre Miene wirkte versteinert. „Ich weiß nicht, was ich machen soll. Chantal, meine Schülerin, ist die größte Zicke, die ich je gesehen habe. Am liebsten würde ich die Zeit

zurückdrehen und das andere Mädchen nehmen, das ich noch in Aussicht hatte. Aber feuern kann ich sie nicht einfach ohne einen Grund.“, erzählte sie mir traurig. „Verstehe. Ich kann mit solchen Menschen nicht umgehen. Mit zickigen Pferden ja, aber mit Menschen nicht, sonst hätte ich dir vielleicht helfen können.“, meinte ich nachdenklich. „Es reicht ja nur, wenn ich nicht meine ganze Energie in sie stecken müsste. Sie macht mich fertig. Ich bin mir nicht sicher, wie lange ich das schaffe.“, meinte sie traurig. „Sollen wir mal ausreiten gehen? Das ist die perfekte Ablenkung für so etwas. Kannst du reiten?“, fragte ich, um sie auf andere

Gedanken zu bringen. „Ein bisschen. Aber ich weiß nicht…“, murmelte sie. „Hm. Wie wäre es mit morgen Abend? Wenn Mario bereits in den Feierabend verschwunden ist und ich mit allen Pferden durch bin. Du könntest Morendo haben. Den habe ich schon lange nicht mehr im Gelände gehabt. Aber der ist absolut brav. Also in meiner Anwesenheit zumindest.“, schlug ich vor. Ornella blickte in die Ferne und schüttelte den Kopf. „Ich probiere es jetzt noch bis Ende der Woche. Danach können wir nochmal reden.“, wich sie aus. „Dann halt nicht. Fährst du nach Offenburg, oder soll ich mit dem Zug

los?“, fragte ich. Sie seufzte, stand auf und wir gingen.

Kapitel 16

Es war der Samstag der Mitternachtsöffnung. Als ich morgens an der Arena ankam war alles wie immer. Nur musste ich heute nicht „meine“ Pferde bewegen. Mario sattelte gerade Felicitas, als ich ankam. „Willst du sie reiten?“, fragte ich und er nickte. „Ich muss wissen, wie weit du sie gebracht hast.“ Damit schwang er sich auf ihren Rücken. Felicitas war brav. Sie machte alles, was er ihr sagte. Zwar nicht gerade mit Freude, aber sie machte es. Nachdem er sie getestet hatte, die ganze Stunde sah ich ihm zu, nickte er. „Ich nehme sie mit

zurück nach Frankreich. Hier brauchen wir sie ja nicht. Und die Box wird benötigt.“, meinte er geheimnisvoll. „Morgen früh nehme ich sie mit.“, erklärte er noch und mich stimmte das ein wenig traurig. Obwohl sie die größte Zicke gewesen war, war sie mir doch so ein bisschen ans Herz gewachsen. Denn schließlich war sie irgendwie mein Pferd gewesen, weil niemand außer mir sie freiwillig geritten ist und ich sie selbst ausbilden durfte. Was hieß ausbilden? Gehorsam beibringen traf es eher, denn sie konnte ja die Übungen. „Macht es dir eigentlich Spaß, Pferde auszubilden?“, fragte Mario mich

plötzlich. Konnte er etwa Gedanken lesen? „Wäre ich sonst Pferdetrainerin geworden?“, fragte ich grinsend zurück. Mario lächelte und sattelte Felicitas ab. Ich dagegen hatte nicht viel zu tun. Hidalgo ging heute schon in einer Show. Unter Guillaume. Aber was hatte Louisa mit Thorgal vor? Sie wollte es mir nicht sagen. So nutzte ich den freien Tag und lief ein bisschen entspannt durch den Park. Aber es war sehr viel los, so suchte ich mir den einzigen ruhigen Platz. Und der war doch wieder in der Arena. Den ganzen Morgen saß ich so in der Sattelkammer und putzte ein wenig die Ledersachen für heute Abend. Die

Nachtarena war immer ein riesiges Event: Es war voll bis obenhin, eine bombastische Stimmung und herausgeputzte Darsteller. Unterdessen hing ich ein wenig meinen Gedanken nach. Sollte ich für Marion einen Empfang bereiten und wenn ja, welcher? Grinsend dachte ich an die Unterhaltung in Kaltenberg, in der es um verhungerte Pferde ging. Ich könnte Thorgal als Skelett anmalen. Da fiel mir etwas Besseres ein. Blacos war doch sowieso schwarz. Für ihn hatte Karel die Bewegung übernommen, doch er wurde immer von Ludo geritten, wenn er da war. Neben Hidalgo war es ebenfalls sein

Pferd. Ich könnte ihn mit weißer Farbe als Skelett anmalen und Thorgal könnte ein Indianerpferd werden. Vielleicht „Welcome back, Marion“ oder so, könnte ich auch auf ein sein Fell malen. Naja, beließen wir es bei einem Pferd. Oder ich machte Thorgal richtig dreckig. Das war eine gute Idee. Machte wenig Arbeit und war doch ein guter Scherz. Erst als es Mittag wurde, legte ich meine Arbeit nieder und ging gedankenverloren etwas essen. In der Kantine gab es diesmal Kartoffeln mit Quark. Es schmeckte gar nicht so schlecht. Ich war alleine gegangen, denn

alle waren irgendwie beschäftigt und würden entweder später oder gar nicht essen gehen. Mitternachtsöffnung bedeutete immer Stress. Gegen zwei ging ich zurück. Ausreiten konnte ich heute auch nicht, da sie alle Pferde brauchten und die mussten auch voll einsatzfähig sein. Drei Mal musste fast jedes Pferd heute gehen. Wir regelten es so wie immer an vollen Tagen, dass jedes Pferd nicht mehr als zweimal gehen musste, aber ganz ging es nicht auf. Morendo und Irmao mussten alle drei Shows gehen. Als ich an der Arena ankam, empfing mich Louisa. „Kannst du Milady spielen?“, fragte sie und ich schüttelte heftig den

Kopf. „Es wäre aber gut, weil du nur den Part kannst. Und uns fehlt eine Person. Laura spielt die Leibgarde des Königs und ich müsste ein Teil der Leibgarde des Kardinals spielen. Du kannst diese Parts nicht, sonst hätte ich gesagt, lass uns mit etwas Leichtem anfangen.“, erklärte sie mir. „Muss das sein? Vor so vielen Menschen? Ich kann das nicht.“, versuchte ich mich erschrocken rauszureden. Flehend blickte mich Louisa an und ich gab nach. „Na gut. Wenn es sein muss, aber ich fühle mich nicht wohl damit.“ Louisa umarmte mich kurz. „Danke. Nimmst du Thorgal? Den hätte

ich für dich heute Abend eingeplant.“ Widerwillig nickte ich. „Ich wette du hast das geplant. Sonst hätten wir nicht so viel geübt und du nicht Thorgal reserviert.“, brummelte ich. Louisa lächelte nur geheimnisvoll. Missmutig ging ich anschließend zu Thorgal. „Hallo Schöner. Du darfst nachher unter mir als Miladys Pferd gehen. Heute Nacht.“, meinte ich. „Finde ich gut.“, meinte dieser. Ich streckte Thorgal die Zunge raus und schnappte mir den Striegel. Der Hengst war nicht gerade sauber. Gedankenverloren putze ich ihn. Als sein Fell glänzte, war auch ich zufrieden. Ich begab mich zu Louisa,

denn sie wollte mich sehen, um mir die Haare zu machen. Brünette Miladys gibt es nicht, hatte sie mir erklärt. „Wehe du färbst sie mir“, warnte ich sie, doch sie schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Keine Sorge. Ich flechte dir nur ein paar Strähnchen rein." Mittlerweile war es schon recht spät. Um Acht, um genau zu sein. Der Zeitpunkt für meine Auftritt rückte immer näher. Geduldig saß ich auf dem Stuhl und ließ zu, dass Louisa mir die Haare zu einem wahren Kunstwerk flocht. Sie brauchte eine geschlagene Stunde dafür. Als sie fertig war und ihre schmerzenden Finger massierte, klopfte es plötzlich an der

Tür. Vorsichtig wurde sie aufgemacht und Marion stand da. Meine Augen weiteten sich, ich rannte auf sie zu und fiel ihr um den Hals. „Mach deine Frisur nicht kaputt“, rief Louisa empört. Marion kicherte. „So freudig wurde ich noch nie empfangen.“, ihre Stimme klang ein bisschen müde und ich sah, dass sie leichte Augenringe hatte. „Warum bist du gekommen?“, fragte ich leise. „Erstens, weil ich dich sehen wollte und zweitens weil du mich sprechen wolltest.“ Bei dem Gedanken daran verfinsterte meine Miene sich schlagartig. Marion bemerkte es und sah mich fragend an. „Nicht hier, das ist

nichts für Lou‘s Ohren.“, meinte ich leise. „Lou?“, fragte Marion und grinste bei dem Spitznamen. Ich erwiderte ihr Grinsen. „Oder Lulu.“ Louisa zog eine Grimasse. „Aber du siehst jetzt wirklich blond aus, wen reitest du denn?“, wechselte Marion das Thema. „Dein Pferdchen. Ohne Sattel.“, sagte ich, einer plötzlichen Idee folgend. „Hä?“, machte Louisa. „Nun ja, das Trickreiten mache ich noch mit Sattel, aber danach ohne. Ich will wissen, wie die Fans darauf reagieren.“, antwortete ich schmunzelnd. „Sicher?“, fragte Louisa und ich nickte. „Jap, wenn schon, dann richtig.“, meinte ich schulterzuckend

und ging hinaus. Marion folgte mir. „Was wolltest du mir erzählen?“, fragte sie neugierig. „Etwas Schlimmes, aber nicht jetzt, vor dem Auftritt. Danach vielleicht. Morendo hat mir etwas von einer Frau erzählt, nach der er benannt wurde. Sie war auch ein Pferd.“, murmelte ich. „Oh.“, machte Marion nur. Doch ich lächelte. „Egal, lass uns das nachher durchkauen. Du weißt gar nicht, wir schrecklich einsam es ohne dich war. Und es war langweilig. Ich habe Chris das Reiten beigebracht und eure Pferde versorgt. Mehr nicht.“, fasste ich es kurz zusammen. „Klingt wirklich langweilig. Ich zu meinem Teil,

ich habe jeden Tag gekämpft.“, meinte sie. Seufzend holte ich den Sattel und übte kurz das schnelle absatteln. Es war bereits halb Zehn, als ich Thorgal endgültig sattelte und anfing, ihn warm zu reiten. Um Viertel vor Zehn stieg in mir die Spannung. Thorgal war jetzt warm geritten und wurde von Camille warm gehalten. Ich zog das Kostüm an. Für die Nachtarena wurde mir eine rote Bluse mit einem dazu passenden dunklen Ledergürtel gegeben. Marion schminkte mich noch ein wenig, aber nur ein kleines bisschen, weil sie fand, ich war ohne Schminke auch sehr schön. Charly, der stets das Vorprogramm in der

Arena meisterte, war schon längst in der Arena und zog sein Programm durch. Ich wurde immer nervöser und lief vor dem Eingang der Arena auf und ab. Bis Karel, der geduldig auf seinen Auftritt wartete, mich am Arm packte und mich festhielt. Dann erklang endlich die gefürchtete Stimme. „Volk des Europaparks, begrüßen sie nun den weisen Berater des Königs, Kardinal Richelieu. Heute in Begleitung seines verlängerten Armes, Milady de Winter.“ Der Nebel schoss aus den Seiten heraus und Karel führte mich, begleitet von Louisa und Vincent, die die Mönche spielten, hinaus. Mein Herz klopfte wie verrückt und als ich die vielen Menschen

sah, setzte es kurz aus. Doch ich atmete einmal tief durch und ich kniete mich tapfer in der Mitte der Arena hin und wartete, bis Karel seinen Segen gemacht hatte. Danach bot er mir seine Hand und ich deutete einen Handkuss an, anschließend stand ich auf und folgte Karel in Richtung Thron. Ich nahm den linken Aufgang, er den Rechten. Wie immer. Ich lächelte das Publikum an, als ich hinaufging. Ihre Blicke bohrten sich in meinen Rücken und es war mir unangenehm. Allmählich, während Karel mir seinen teuflischen Plan schilderte, verging meine Aufregung ein kleines Bisschen.

Wir wurden natürlich von Stéph belauscht, wie immer. Zum Schluss drückte er mir das Gift in die Hand und wir kletterten durch das Fenster aus der Arena hinaus. Kaum sicher unten angekommen, schwang ich mich auf Thorgal und wartete kurz, bis die Musketiere, Chris (immer noch unter Talo), Guillaume und Kevin herauskamen und Denis alias Porthos mich ankündigte. „Milady de Winter galoppiert!“, rief er und Thorgal schoss los. Gekonnt zog ich meinen Trickreitpart durch. Ich versuchte immer zu lächeln, wobei es mir nicht ständig gelang. Als ich durch war, rutschte ich von Thorgal und

öffnete den Sattel in Sekundenschnelle. Dann trabte ich zum Aufgang zwischen den Zuschauern und ritt hinauf. „Yeah!“, rief ich und galoppierte eine Runde über den unteren Umlauf. Ich trieb über den Applaus der johlenden Menge und ließ mich durch die Stimmung anstecken. Es machte mir Spaß zu galoppieren. Ich ließ zu, dass Thorgal und ich zu einer Einheit verschmolzen. Die zweite Runde ritt ich wieder mit Freuden. Als ich danach in die Mitte der Arena ritt, stoppte auch die Musik und ich deutete einen Gruß, wie bei der Dressur, an. Lächelnd bedeutete ich dem Publikum, ruhig zu sein und gab Thorgal sichtliche Hilfen,

sich hinzulegen. Ohne zu zögern, ließ er sich in den Sand fallen und ich rutschte von seinem Rücken. Ein paar Mal strich ich über seinen Hals und gab ihm eine Möhre, die ich aus der Hosentasche fischte. Dann ritten die Musketiere hinein. Ich sprach den Teil „Oh edle Ritter, mein Pferd ist aus Müdigkeit zu Boden gestürzt. Helft mir, ich flehe euch an!“ grinsend auf Deutsch mit, Marion tat das nicht so oft, wenn sie die Milady spielte. Immerhin war der Text ja Deutsch. Kevin rutschte von Jentillos Rücken und kam zu mir. Darauf kam Karel aus dem Publikum heraufgeritten. Schelmisch grinsend streckte ich Kevin die Zunge

raus und verpasste ihm eine Ohrfeige. „Guten Tag meine Herren, für so naiv hätte ich euch nicht gehalten.“, tönte es aus den Lautsprechern. Behutsam rutschte ich auf den liegenden Thorgal, der gleichzeitig aufstand. So standen wir gleich beide. Aus dem Arenaeingang ritten jetzt auch Julien und Christophe Clausier, die die Leibgarde des Kardinals spielten. Ich ritt zu ihnen, damit es das Verhältnis gab, die Bösen gegen die Guten. Magali, die an der Seite stand, drückte mir einen Degen in die Hand und auf Karels Befehl stürmten wir los. Es gab einen kurzen Kampf zu Pferd, wobei ich keine Mühe hatte, ohne Sattel oben zu

bleiben. Danach ritten die Musketiere die Runde und wir folgten ihnen. Lachend ließ ich meinen Degen über die Mauer bei den Zuschauern fahren und beugte mich dicht über Thorgals Hals, um ihn schneller werden zu lassen. Nach der zweiten Runde ritten die Musketiere hinaus und wir folgten mit einem größeren Abstand. „Gefällt es dir doch?“, fragte mich Karel als wir nebeneinander herritten. Mein Strahlen sprach Bände. Draußen gab ich Thorgal wieder in Camilles Hände. Ich steckte mir das Gift in die Tasche am Gürtel und begab mich langsam zur Seilbahn während der

Herzog und seine Frau gesucht wurden. Ich setzte mich auf die Stiege und wartete, bis der Ton ertönte, womit ich losfliegen durfte. Mit Schwung stieß ich mich ab, streckte meinen Arm in die Luft und mimte lachend Superman. Laura grinste, als sie mich auffing, sodass ich auf der Brücke landen konnte. Doch sogleich stieß ich sie und Vincent zur Seite und lieferte mir einen kurzen Kampf in dem Vincent mir das Gift klaute, es fallen ließ und beide von der Empore gingen. Ich lehnte mich an eine der Befestigungen und sah zu wie Stéph das Gift trank, die Musketiere die Leibgarde des Kardinals vom Pferd schoss und

Stéph sich ein Duell mit dem Kardinal lieferte. Als Stéph besiegt war, flog ich zum Thron und kämpfte mit den Musketieren. Ich tat es mit all meiner Eleganz und meinem Gespür für die Rolle. Doch Guillaume traf mich gewollt am Handgelenk und mir fiel er Degen, ebenfalls gewollt, aus der Hand. Ich schrie auf und tat so, als wäre ich besiegt. „Stopp. Wir haben die Milady jetzt, wir können Reden!“, rief Denis doch Karel nahm eine Pistole und schoss in meine Richtung. Stéph konnte den Schuss abwenden und er flog ein paar Mal durch die Arena, ehe er mich traf und ich einen mehr oder weniger eleganten Salto nach unten hinlegte. Auf

der Matte blieb ich mit geschlossenen Augen liegen, bis ich spürte, dass Julien mich am Gürtel fasste und mich über die Schulter warf. „So, du hast es überstanden.“, lachte er und ließ mich hinter dem Vorhang runter. „Ich habe es überstanden!“, wiederholte ich und strahlte über das ganze Gesicht. Doch ganz vorbei war es noch nicht. Wir warteten bis Karel mit den Musketieren fertig war und ich schwang mich wieder auf Thorgals Rücken. Denn jetzt kam der Schlusspart. Unsere Namen wurden vorgelesen und bei dem Namen Milady ritt ich hinaus. „Milady de Winter: Hanna!“, rief Porthos. Ich galoppierte Thorgal auf den unteren

Umlauf. Der Applaus ließ mich auf Wolken schweben und viel zu schnell war die Runde vorbei und ich reihte mich neben Julien ein. Als Karel zum Schluss kam, ritten wir noch zwei Zirkel und dann ging es hinaus. Jubelnd fiel ich Thorgal um den Hals. „Du warst so toll!“ Überschwänglich lobte ich ihn und freute mich, dass es vorbei war. Ich ritt noch eine Runde auf dem Hof, damit Thorgal, der ein wenig geschwitzt hatte, trocken wurde. Marion empfing mich schließlich an Thorgals Stall. „Gut gemacht, Hanna. Mario ist von dir auch ganz begeistert.“, meinte sie grinsend und ich lächelte. „Danke.“ Nachdem mein Adrenalin vom

Auftritt verebbt war, merkte ich, wie müde ich war. Doch wir stießen noch auf eine gelungen Nachtarena an. Ich mochte Sekt nicht wirklich und wusste noch nicht einmal, ob ich den trinken durfte, deswegen beließ ich es bei einem Glas Orangensaft (innerlich verfluchte ich mein Alter. Nur noch ein Jahr, dann war ich endlich volljährig). Allerdings drückte Louisa mir ein Glas Sekt in die Hand und ich verdrehte die Augen. „Wenn es sein muss.“, brummelte ich und stieß mit den Anderen an. „Auf unsere Milady.“, grinste Chris und ich streckte ihm die Zunge raus. Der Sekt war angenehm bitter und kühlte ein wenig.

Anschließend gingen wir hinaus und sahen uns das Feuerwerk zum Abschluss der Mitternachtsöffnung an. Danach ging ich nach Hause, denn ich war zum Umfallen müde.

Kapitel 17

Am nächsten Tag kam ich erst gegen Mittag, denn ich hatte ausschlafen müssen. Als ich wie üblich zuerst in Felicitas Box wollte, um sie zu reiten, musste ich feststellen, dass sie leer war. „Wo ist Felicitas?“, fragte ich verwundert. „Mario hat sie heute Morgen mitgenommen. Sie ist weg.“, meinte Maxime trocken und ich merkte, wie mich das traurig stimmte, obwohl ich es natürlich schon vorher gewusst hatte. Jetzt hatte ich endgültig kein Pferd mehr, um das ich mich kümmern konnte. Die nächsten Tage dürften dafür Ludo,

Marion und die ganzen restlichen Kaltenberger offiziell zurückkommen. Marion war nämlich wieder heute Morgen abgereist, um die letzten zwei, drei Shows in Kaltenberg noch mitzureiten, soweit ich es mitbekam. Also nahm ich mir Hidalgo und machte ein bisschen Bodenarbeit mit ihm. Ich wollte ihn gerade zurück in seine Box bringen, als ein Hänger vorfuhr, in dem es mächtig polterte. Verwirrt brach ich meine Arbeit ab und sah neugierig zu, wie Mario aus dem Jeep ausstieg und die Klappe hinten öffnete. Kurz darauf kam ein hübscher Falbe aus dem Hänger. Er stieg und versuchte sich nach Leibeskräften zu wehren. Mario

hatte alle Hände voll zu tun, das nervöse Tier ordentlich auf den Hof zu bringen. „Hanna? Kommst du mal?“, rief er und ich ließ Hidalgo stehen. „Mach die Halle auf und lass ihn hinein. Er soll sich die Umgebung anschauen können. Stell vielleicht ein erfahrenes Pferd oder so dazu.“, meinte er und ich nickte. Ohne etwas zu sagen, brachte ich das Pferd in die "Halle", schlug die Zeltplane zurück, damit Luft hinein kam, und holte Hidalgo. „Erklärst du ihm, wie es hier abläuft?“, fragte ich und das Pferd nickte. Dann ging ich zurück zu Mario und half ihm die ehemalige Box von Felicitas einzurichten. „Wer ist der Neue?“, fragte ich neugierig. „Das ist

Jovito, ein dreijähriger Andalusierfalbe.“, antwortete Mario. „Drei Jahre? Ist er denn überhaupt eingeritten und was macht er hier?“, fragte ich weiter. „Nein, er ist nicht eingeritten, aber anlongiert. Und was er hier macht?“, Mario machte eine dramatische Pause. Dann lächelte er mich an. „Er soll dein Pferd werden. Klar, auf dem Papier gehört er mir, aber inoffiziell ist er dein Pferd. Ich habe gestern gesehen, zu was du in der Lage bist. Und langsam finde ich, als meine neue Pferdetrainerin könntest du auch ein Pferd besitzen, mit dem du auftrittst und an dem du mir endgültig beweisen kannst, was du drauf

hast.“, sagte Mario und ich starrte ihn ungläubig an. „Was? Er soll MEIN Pferd werden?", unsicher sah ich ihn an und fuhr dann fort: "Außerdem bin ich noch gar nicht richtig deine Schülerin oder Pferdetrainerin, wie auch immer, das geht zurzeit doch gar nicht. Aber ich darf ihn selbst zureiten?“ Mario nickte. „Ich weiß, die Sache mit der Schülerin ist erst offiziell wenn du nach Frankreich kommst. Außerdem hätte ich nur eine Bitte: Er soll von allen zu reiten sein. Nicht nur von dir und er soll ein braves und zuverlässiges Trickreit- und Stuntpferd sein. Am besten ist, wenn du ihm noch ein paar kleine Kunststücke

beibringst. Aber konzentriere dich hauptsächlich auf das Einreiten. Die Übungen wie Hinlegen und so kann ich ihm über den Winter beibringen. Aber sonst kannst du in seiner Erziehung kreativ sein. Klar soweit?“, bat er mich und ich nickte sprachlos. „Wirklich? Sicher, dass ich nicht träume?“, murmelte ich. „Nein. Aber glaub mir, es ist Arbeit ein Pferd einzureiten.“, lachte Mario. Er streute das Stroh in die Box und wir beendeten unsere Arbeit. Ich ging in die Halle, wo Morendo sich leise mit dem verängstigten Pferd unterhielt. Als Jovito mich sah, schrak er auf und rannte ein Stück weg. „Wer bist du?

Warum kannst du uns verstehen? Warum?“, fragte er und sah mich mit angstgeweiteten Augen an. „Morendo, wir gehen zurück in die Box.“, rief ich stattdessen und Morendo kam. Ohne Halfter begleitete ich ihn in seine Box. Dann lief ich zurück zu Jovito. Der hatte sein Halfter von der Fahrt noch auf. „Kommst du?“, fragte ich leise. „Wer bist du?“, fragte er ängstlich. „Ich bin Hanna. Und du?“, fragte ich neugierig, obwohl ich es schon längst wusste. „Jovito, glaube ich.“, antwortete er und lief vor mir zurück, als ich vorsichtig auf ihn zukam. „Was willst du?“, fragte er weiter und starrte mich ängstlich an.

Er hatte Angst vor Menschen. Irgendetwas musste ihm passiert sein. „Wir gehen nur in deine Box, hier kannst du nicht bleiben. Wir brauchen den Platz zum trainieren.“ Doch Jovito wehrte sich dagegen. „Nein! Nicht in die Enge zurück!“ In seinen Augen war das Weiße zu sehen. „Keine Angst. Es ist nicht schlimm. Sie ist groß und hell.“ Er schloss die Augen und ergab sich seinem Schicksal. Soweit der Strick es zuließ lief er hinter mir her. In seiner Box zog ich ihm das Halfter ab und entschied, dass er genug Stress für heute erlebt hatte. Er sollte jetzt entspannen. Also ließ ich ihn alleine. Nachdenklich lief ich zu Thorgal.

„Wie ist er?“, fragte dieser neugierig. „Hm, ich weiß nicht. Ein bisschen traumatisiert, würde ich sagen. Er hat absolut kein Vertrauen in Menschen. Dabei brauche ich genau das, wenn ich mit ihm arbeiten will.“, murmelte ich und strich über sein Fell. „Auf was hast du Lust? Marion kommt bald wieder, deshalb lasse ich jetzt dich entscheiden.“, wechselte ich das Thema. Thorgal nickte. „Ich bin für ein bisschen longieren.“, sagte er und ich holte die Longe. Kurz darauf lief er um mich herum und nachdem er sich ausgetobt hatte, brachte ich ihn wieder in seine Box zurück. Kurz darauf ertönte Christophes

Ruf. „Hanna! Kommst du mal bitte?“, fragte er und lachte. Ich hob eine Augenbraue und kam. „Was gibt’s?“ „Deine Freundin ist da. Ihr Französisch ist grottenschlecht, aber sie würde gerne mit dir reden.“, meinte er und ich sah Eliza am Tor stehen. „Du kannst doch Deutsch.“, grinste ich zu Chris und er grinste zurück. „Lass sie ruhig im Glauben, ich kann es nicht. Ist ja auch fast so: Mein Deutsch ist nicht sehr gut.“ Ich zuckte die Schultern und begab mich zu Eliza. Diese hatte etwas in der Hand. Eine weiße Kappe, auf der sämtliche Unterschriften der Darsteller vom Globe waren. Sie überreichte sie mir. „Weil du

gestern so gut warst.“ Lächelnd bedankte ich mich und erzählte ihr von Jovito. „Nicht dein Ernst. Du hast ein Pferd?“, fragte sie mich und ich nickte lachend. „Aber noch will ich nicht, dass so viel Trubel um ihn geschieht, deswegen zeige ich ihn dir ein anderes Mal.“, erklärte ich und wir freuten uns gemeinsam. Anschließend ging sie und ich folgte ihr mit etwas Abstand. Ich wollte auch ins Globe. Dort saß Ornella auf der Bank außerhalb, hatte den Kopf in die Hände gestützt und blickte mich traurig an. „Ich schaffe es nicht.“, war das Erste was sie zu mir sagte. Ich setzte mich

neben sie. „Was ist denn das Problem?“, fragte ich leise. „Chantal. Sie verbraucht meine ganzen Nerven. Ich kann nicht mal mehr ins Globe. Ich habe Angst, dass ich anfange zu schreien und so. Hier draußen geht es, auch wenn immer mal wieder Fans kommen. Klar, ich hätte Zeit für meine Fans, aber nicht wenn ich so am Ende bin.“, murmelte sie. „Komm mit. Wir gehen zur Arena. Dort hast du deine Ruhe. Vielleicht gehen wir einfach kurz ins Gelände mit den Pferden, oder ein Stück spazieren. Dann bekommst du deinen Kopf frei und wir können nochmal in Ruhe darüber nachdenken.“, schlug ich vor und stand

auf. Ornella seufzte und stand ebenfalls auf. Ohne ein Wort zu sagen, gingen wir in die Arena. Dort setzten wir uns zuerst in den Schatten, weil gerade eine Aufführung war. „Du kommst also nicht mir ihr klar?“, fragte ich und fasste damit das Thema nochmal auf. Kläglich nickte sie. „Ich weiß nicht, was ich noch machen soll. Sie raubt mir den letzten Nerv.“, sagte sie traurig. Tröstend nahm ich sie in den Arm. Eine Weile blieben wir so. „Du warst gestern wirklich gut.“, sagte sie plötzlich und ich lehnte mich wieder an die Wand. „Wirklich?“, fragte ich zweifelnd. Ornella nickte. „Jap. Du und das helle Pferd, ihr saht wirklich gut zusammen

aus.“ Ich lächelte dankbar. „Mario hat mir für meine Leistung auch schon ein Pferd geschenkt. Ich darf es selbst zureiten.“ Ornella hob eine Augenbraue. „Ehrlich? Ist ja cool.“ „Weiß ich.“, grinste ich und stand auf. Dann reichte ich ihr eine Hand und half ihr hoch. „Komm, wir gehen ein bisschen spazieren.“ Und Ornella und ich liefen die ganz kleine Reitrunde, auch über den Weg, den ich als an Vollmond entlanglief. Sie war wie gewöhnlich ziemlich still und so dachte ich laut nach. „Sie lässt sich nichts sagen. Hmm… Kommt mir irgendwie bekannt vor.“, meinte ich nachdenklich und dachte an

Felicitas. „Ich hatte mal ein Pferd, das war ähnlich. Und ich habe es „besiegt“, wenn man das so nennen kann. Und ich habe einen ziemlichen Dickkopf.“, erklärte ich weiter. Ornella nickte stumm. „Kommt doch mal vorbei. Für euch habe ich immer Zeit.“, meinte ich. „Ja, ein Versuch ist es wert. Du hast Recht. Wann soll ich kommen?“, fragte sie direkt. „Wann du willst, aber wenn möglich nicht während einer Show. Und sag mir vorher Bescheid. Hast du meine Handynummer?“, fragte ich. „Nein, noch nicht. Aber gut dann ruf ich dich an.“, meinte sie und wir tauschten Nummern. Anschließend

kehrten wir zur Arena zurück und Ornella ging zu ihrem Auftritt. Ich kehrte zu Jovito zurück. Der Hengst warf den Kopf hoch und sah mich ängstlich an. Doch ich lehnte mich an die Wand gegenüber seiner Boxentür. „Willst du nicht ein bisschen raus?“, fragte ich so sanft wie möglich. Der Falbe versuchte vor meiner Stimme auszuweichen. Immer wieder schüttelte er den Kopf und rollte mit den Augen. In seinem Blick lag pure Panik. „Das kann nicht sein! Menschen können uns nicht verstehen! Was wollt ihr von mir?“, rief er. „Soll ich gehen?“, fragte ich leise, ohne auf seine Schreie zu achten. „Bitte! Ich kann das nicht!“,

murmelte er und ich ging wieder. Da heute Abend noch Imperio lief, hing ich ein bisschen im Park rum. Ornella und Gabriella würden dort singen. Ich kam erst spät Heim. Am nächsten Tag lief ich direkt zu der Box meines Pferdes. „Meines“ Pferdes. Es war merkwürdig ihn so zu nennen. Doch als ich ihn sah, stand er noch da. Es war also kein Traum gewesen. Diesmal öffnete ich die Boxentür. Der Falbe warf den Kopf hoch. Seine Nüstern blähten sich und er wich in die hinterste Ecke der Box zurück. Doch statt zu ihm zu gehen, ließ ich mich auf das Stroh sinken und machte es mir gemütlich. Mit dem Rücken an der

Wand saß ich nun einfach nur da. Jovito schnaubte ängstlich. „Was willst du?“, fragte er. „Nichts. Vielleicht dir ein bisschen etwas über mich erzählen.“, meinte ich schulterzuckend. So würde er sich an meine Stimme gewöhnen. Als er sich nicht regte, sondern mich nur aufmerksam ansah, begann ich. „Weißt du, eigentlich kann ich schon immer mit euch reden. Aber so richtig angefangen hat es mit Agrento, einem Schulpferd auf einem benachbarten Reiterhof. Auf ihm lernte ich reiten, wobei bei mir Reiten eigentlich ziemlich passiv ist. Ich sag ihm mehr, was ich will, das ist für beide Seiten angenehmer. Und im Gegensatz dazu sagt

er mir, was ich falsch mache, ob ich ihm wehtue und wenn er etwas will. Jedenfalls wurde er dann auch noch unser Voltigierpferd. Und ich wurde seine Pflegerin für das Wochenende, wenn ihn sonst niemand bewegte, da die Reitschüler an den Wochenenden ja nicht da waren. Wir verbrachten viel Zeit zusammen und bis heute ist er mir treu. Oft saß ich auch einfach nur bei ihm und er erklärte mir, wie Pferde denken und was sie an Menschen nicht so mögen. Das war manchmal ziemlich lustig, denn eigentlich sind wir uns gar nicht so unähnlich. Und wenn ihm mal was wehtat, dann hat er es mir gesagt. Auch die anderen Pferde wandten sich

bei Problemen meistens an mich. Ich war immer die, die sich so ein bisschen um die Pferde gekümmert hat. Agrento ist ein schöner, kräftiger Apfelschimmel, nicht so wie die anderen Pferde, mit denen ich aufgewachsen bin. Mein Vater züchtet ja auf einem anderen Hof Rennpferde, weißt du. Agrento ist ein bisschen wie Talo, wenn du weißt, wen ich meine. Ich kam dann jedenfalls vor einem halben Jahr hierher, was mein Leben komplett veränderte. Und ich meine damit nicht nur, dass ich jetzt als Pferdetrainerin tätig bin, sondern auch die Tatsache, warum ich mit euch reden kann. An Vollmond verwandle ich mich in ein Pferd.“,

erzählte ich, aber Jovito unterbrach mich. „Du tust was?“ Ein Lächeln umspielte meine Lippen. „Verwandlung. Angeblich stamme ich von Peganern ab, aber da musst du Morendo fragen, der kennt sich prima damit aus. Ansonsten.. Ich soll dich einreiten. Das klingt hart, ich weiß, aber ich werde viel mit Kommunikation arbeiten, also wird es wohl das entspannendste Einreiten, was ein Pferd je erleben wird…“, erzählte ich weiter und redete bis zum Mittag auf ihn ein. Auch das Pferd entspannte sich allmählich. Als ich Mittag Essen ging, waren wir schon so weit, dass er entspannt in

meiner Anwesenheit das Heu fraß. Als ich ging, blickte er mir hinterher. Mein Mittagessen bestand jedenfalls aus einem belegten Brötchen. Ich war schon wieder auf dem Rückweg zur Arena, als mein Handy vibrierte. Ornella rief an. „Jap.“, meldete ich mich. „Hi, können wir vorbeikommen?“, fragte sie. „Klar, obwohl… die Pferde werden gebraucht. Heute Abend wäre besser. Oder morgen früh, denn die erste Show ist erst um 12. Davor könnt ihr kommen.“, meinte ich. „Nee, lieber heute Abend. Wann ist eure letzte Show?“, fragte Ornella. „Um 16:15 Uhr. Am besten ihr kommt gegen 6, dann kannst du auch noch in eurer letzten

Show singen.“, meinte ich. „Ok. Gut. Dann bis nachher. Ciao.“, meinte sie und legte auf. Ich nickte und begab mich wieder zu Jovito. Doch Louisa hielt mich auf. „Morgen kommen die Kaltenberger wieder… Sollen wir ihnen eine Überraschung bereiten?“, fragte sie und lächelte. „Was verstehst du unter Überraschung?“, fragte ich zurück. „Nun ja… Ein kleiner Scherz vielleicht oder so?“ Da grinste ich. „Also so etwas, wie Blacos in ein Skelett zu verwandeln?“ Louisa lachte und nickte. „Aber wie willst du das machen?“ „Weiße Farbe und ein paar Spinnweben.“, erklärte ich und kicherte.

Louisa grinste. „Finde ich gut. Ok, das machen wir morgen Früh.“ Ich nickte und ging zu Jovito zurück. Aus dem Sack in der Futterkammer hatte ich zwei Möhren gezogen. „Willst du raus?“, fragte ich, nun, nachdem er mich nicht mehr als Feind ansah. Jovito war zwar noch misstrauisch, kam aber an die Boxentür. Ich halfterte ihn auf und führte ihn in die momentan leere Arena. Dort führte ich ein paar Runden Schritt. Danach nahm ich die Absperrung, die irgendjemand mal vor langer Zeit gezimmert hatte und stellte sie vor den Ausgang, damit er nicht abhauen konnte. Neugierig sah sich Jovito alles an. Seine Schnauze war vor nichts

sicher, doch mindestens genauso oft erschrak er sich. Der Falbe war eben noch sehr jung. Ich kletterte auf das Geländer der Arena und sah ihm zu. Erst als dem Pferd alles ungefährlich schien, begann er ein wenig zu traben. Schließlich fing er an zu buckeln und sich so richtig auszutoben. Ich sah ihm zu. Seine Muskeln spielten unter dem goldenen Fell wie ein Meer. Seine lange, offene Mähne wehte um ihn wie eine schwarze Wolke, während seine schwarzen Beine immer wieder in den Boden trommelten. Er war wirklich schön. Und mir wurde bewusst, dass ich mein Herz schon hoffnungslos an dieses Pferd verloren

hatte. Schließlich hatte sich der Falbe vollständig ausgetobt und trottete mit hängendem Kopf über den Sand. Als er schließlich eine geeignete Stelle gefunden hatte, ließ er sich auf den Boden fallen und wälzte sich ausgiebig. Nach ein paar Umdrehungen rappelte er sich wieder auf und schüttelte sich den Sand aus dem Fell. Zufrieden schnaubte er und sah sich noch einmal um. Dann machte er ein paar Schritte auf mich zu, blieb aber in genügend Entfernung zu mir stehen. Fragend blickte er mich an. „Was willst du jetzt machen?“ Ich lächelte über seinen Ausdruck. „Ich würde sagen, du bist in

deine Box entlassen.“, setzte ich an. „Ich habe aber irgendwie gerade Lust, noch etwas zu unternehmen“, sagte Jovito und ich blickte ihn überrascht an. „Gut, wenn du willst, gehen wir noch ein Stück spazieren. Dann kannst du dir die Gegend ansehen.“ Der Falbe kam näher. „Ok. Von mir aus.“ Ich rutschte vom Geländer hinunter und ging in die Sattelkammer. Dort fand ich ein vollständig neues Halfter. Es war rot. Dazu nahm ich mir einen schwarzen Strick und entschied, dass das von nun an Jovitos Sachen waren. Dann ging ich zurück in die Arena und halfterte dort das Pferd auf. Neugierig folgte der junge Hengst mir.

Ich lief extra langsam, damit er sich alles anschauen konnte. Trotzdem erschrak er sich häufig und nachdem wir eine Stunde gelaufen waren, war ich wieder völlig fertig. Doch ich verlor kein einziges Mal meine Geduld. Immerhin gefiel es ihm. Schließlich entließ ich ihn endgültig in seine Box und lehnte mich an die Stallwand. Gerade kam die heutige Planchette aus der Arena und ich erstarrte. Anderson spielte diese Figur heute. Ich zog mich etwas weiter in den Schatten zurück. Er erkannte mich immer wieder, als ich damals noch in der Arena saß, er war ein Teil meiner ehemaligen Europapark- und Arenasucht.

Doch seit ich hier arbeitete hatte ich ihn noch nicht gesehen. Bis jetzt hatten Thiago und Stéph alles gemacht. Immer wieder hatte er mir zugewinkt, damals. Mich wiedererkannt. Und das seit drei Jahren. Aber angesprochen hatte ich ihn noch nie. Ich hatte mich noch nie getraut. Doch jetzt lief er drei Meter vor mir über den Hof. Mittlerweile stand ich dicht an die Mauer gedrückt und hoffte, dass er mich nicht entdeckte, es war mir einfach nur peinlich. Was ich alles für Unsinn noch angestellt hatte, als ich noch meine Jahreskarte hatte, daran wollte ich gar nicht denken... Dieser Wunsch wurde mir dennoch nicht

erfüllt. Wie angewurzelt blieb er vor mir stehen. „Was machst DU hier?“, fragte er entsetzt. Wahrscheinlich dachte er, ich sei eingebrochen. „Ähhhm… Ist eine lange Geschichte.“, versuchte ich auszuweichen. Anderson sah ernsthaft entsetzt aus. Dieser Ausdruck mit der Planchette-Schminke sah äußerst komisch aus. Ich prustete los. „Du glaubst jetzt aber nicht ernsthaft, ich sei hier eingebrochen, um euch zu stalken, oder?“ Anderson hob die Schultern. „Ich ziehe es in Betracht.“ „Ernsthaft?“, ich kicherte immer noch. „Ja, was solltest du sonst hier machen?“, fragte er zurück. „Nun ja, es wäre vielleicht

auch möglich, dass ich endlich meinen Lebenstraum erfüllt habe und zu der Cavalcade gehöre. Naja, zumindest als Pferdetrainerin.“, meinte ich. „Ok, ich glaube doch die Stalkervariante. Wie ist das möglich? Du warst eine Zeit lang Backstagethema Nummer eins, wenn deine Cavalcadegeschichte wahr ist. Nicht, dass ich es glaube.“, meinte er. „Oh Gott, was wurde denn über mich erzählt?“, fragte ich vorsichtig. „Nun ja, wenn wirklich du es warst… Es war die Rede von einem Wunderkind in der Arena. Der sämtliche Pferde wie verzaubert folgen, die jedes Problem mit den Pferden in Griff bekommt und die

wie ein kleiner Sonnenschein unser Europaparkteam bereichert. So ähnlich habe ich das gehört.“ Ich holte tief Luft. „Okey. Dafür bring ich den Verantwortlichen um... Wunderkind… Als ob sie nichts Besseres zu tun haben, als über Neulinge zu diskutieren.“ Mein Blick wanderte in die Ferne. „Und ja, falls du mir immer noch nicht glaubst. Das sollte ich vermutlich sein. Auch wenn es völlig übertrieben ist. Doch Sonnenschein haben sie mich schon mal genannt. Dafür habe ich dem Verantwortlichen gezeigt, dass in mir der Teufel steckt.“ Anderson nickte nachdenklich. „Na gut, wir haben ja in den letzten zwei

Jahren nie miteinander geredet. Also ich bin Anderson.“, meinte er. „Hanna.“, gab ich zurück. „Und du arbeitest jetzt wirklich hier?“, fragte er und ich nickte. Beiläufig warf ich einen Blick auf die Uhr. „Ach du Scheiße, ich muss Morendo und Talo noch richten.“, meinte ich und mit einem Blick auf Anderson sagte ich noch: „Und du kannst gerne mitkommen, dann können wir uns weiter unterhalten.“ Er nickte und folgte mir. Morendo sah auf, als ich kam. „Was ist denn noch, Hanna?“, fragte er müde. Er musste heute alle drei Shows gehen. „Ich brauche ein zuverlässiges Pferd für ein wenig Gelände nur im Schritt.“, sagte

ich und strich ihm über den Hals. Morendo gähnte und folgte mir zur Sattelkammer. Dort warf ich ihm den Sattel lose über den Rücken, damit er ihn zu seiner Box tragen konnte und hängte ihm die Trense um den Hals. Ich selbst nahm eine Bürste und einen Hufkratzer in die Hand. Dann ging ich zur Box zurück und grinste Anderson an, der mit offenem Mund dastand. „Du bist immer für Überraschungen gut.“, meinte er. Ich lächelte und fuhr mit geübten Strichen über Morendos Fell bis er wieder vollständig sauber war. Anschließend sattelte ich ihn und machte das Gleiche mit Talo. „Wie lange bist du denn schon hier?“, fragte er

weiter. „Seit Pfingsten. Mittlerweile hält Mario mich aber für so gut, dass er mir ein Pferd geschenkt hat. Hast du schon den Falben gesehen? Das ist Jovito. Mein Goldstück.“, erklärte ich. „Das wird ja immer schlimmer! Jetzt ist man mal ein halbes Jahr nicht in der Arena und schon verpasst man das Beste.“, grinste er und ich trenste die beiden Pferde, drückte Talo Anderson in die Hand und nahm selbst Morendo. Ich zog ihnen noch einmal das Halfter über und band sie an der Außenwand der Arena an. Die Pferde dösten vor sich hin und ich ging hinaus, um außerhalb des Geländes auf Ornella und Chantal zu

warten. Dort traf ich Nicole Diwok. Sie saß mit Uwe, ihrem Freund, in der Holzhütte vor dem Arenator und genoss die Sonne. „Oh. Hallo, Hanna.“, begrüßte sie mich auf Deutsch. Ich lächelte und setzte mich mit dem Blick zu Rangos Box auf den Boden. „Du siehst irgendwie glücklich aus“, versuchte Nicole ein Gespräch zu beginnen. „Das bin ich.“, flüsterte ich mit geschlossenen Augen. „Wenn du so ein Pferd triffst… Es ist unglaublich. Einfach unglaublich. Du fühlst dich wohl bei deiner Arbeit. So richtig wohl. Und du wünschst, dass jeder Moment unendlich lang dauert. Ja, ich glaube, ich bin glücklich.“,

schwärmte ich leise. Nicole kicherte. „Bist du etwa verliebt?“ Ihr Grinsen war breit. Langsam nickte ich. „In ein Pferd, ja. Der Glückliche heißt Jovito und ist drei Jahre alt. Ein Hengst. Und wundschön.“, meinte ich und schloss verträumt die Augen. Ja, ich merkte richtig, wie ich mich in die Aufgabe, ihn zuzureiten, hineinhing. Vielleicht auch, weil er mein erstes eigenes Pferd war. Und sein Herz nicht so leicht zu haben war. Daran musste ich noch arbeiten. „Echt jetzt? Habt ihr ein neues Pferd?“, fragte sie neugierig. „Ja. Nun ja, er ist nur hier, weil ich hier wohne und ich ihn zureiten soll. Er ist ein Andalusierfalbe. Und so schön.“,

meinte ich. „Werden wir ihn auch mal in der Arena sehen?“, fragte sie weiter. Ich zuckte die Schultern. „Vielleicht. Am Ende der Saison, oder nächstes Jahr. Aber jetzt im Sommer nicht. Ich brauche die Zeit, um ihn zuzureiten. Und, um sein Herz zu gewinnen. Er ist noch ziemlich verschlossen gegenüber Menschen.“, fügte ich hinzu. „Hanna!“, ertönte plötzlich eine helle Stimme. Ich lächelte Ornella, ohne die Augen zu öffnen, an. Als sie neben mir stand, blinzelte ich gegen die Sonne, die mir ins Gesicht schien und sah zu ihr hoch. Langsam öffnete ich ein Auge. „Sollen wir?“, fragte ich und warf einen Blick auf ein hochgewachsenes

Mädchen, mit blonden Haaren und vieeeeel Make-Up. In Absatzschuhen stöckelte sie umher und warf den Pferden angeekelte Blicke zu. Na super, das konnte ja heiter werden. „Komm jetzt, steh auf, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“, grinste Ornella und reichte mir die Hand. Ich seufzte und ließ mich von ihr auf die Füße helfen. „Hi, schön euch zu sehen.“, begrüßte ich sie richtig. „Was wollen wir hier?“, fragte Chantal und scannte mich von oben nach unten ab. „Du stinkst nach Pferd.“, stellte sie trocken fest und ich lächelte. „Schön. Dann wäre das auch geklärt“, gab ich im selben Tonfall

zurück. Ornella seufzte leise. „Kommt mit.“, forderte ich sie auf und betrat das Gelände. Chantal sah mich böse an. „Ich soll jetzt zu diesen blöden Viechern? Ihh! Ich weigere mich!“, erklärte sie und stemmte ihre Absätze in den Boden. „Chantal. Punkt eins: Das sind keine Viecher, sondern Pferde. Punkt zwei: Ja, du sollst zu den Pferden, wir gehen reiten. Und du kommst mit.“, stellte ich klar. Chantal sah nicht sehr begeistert aus. „Was?!?!?! ICH soll auf die Vie… Pferde?“, wutschnaubend stand sie vor mir. „Das macht meine Frisur und meine Kleidung kaputt!“, meckerte sie. „Warum

legst du dich mit mir an?“, fragte ich ruhig. „Weil du es verdient hast. Und weil du mir nichts zu sagen hast.“, meinte sie. „Komm Ornella. Dann lassen wir sie halt hier stehen. Soll sie doch sehen, wie sie wieder ins Globe kommt.“, sagte ich schulterzuckend und Ornella folgte mir lächelnd. „Danke, Hanna.“, meinte sie leise. Als ich die gestöckelten Schritte hinter mir hörte, wusste ich, dass Chantal folgte. Ornella trug Jogginghosen und freute sich auf einen kleinen Ausritt. „Wen willst du?“, fragte ich Morendo leise. Er deutete auf Ornella. „Mit der Anderen setzte ich mich nicht auseinander.“, begründete er. „Du darfst

Morendo reiten. Der ist heute schon alle drei Shows gegangen, das heißt, viel machen wir sowieso nicht. Talo ging nur in der ersten Show. Chantal bekommt ihn, falls sie sich überwinden kann, wenn nicht, nehme ich ihn. Dann soll sie halt laufen.“, sagte ich, laut genug, dass Chantal es mitbekam. „Kannst du das überhaupt?“, fragte ich sie beiläufig und deutete auf das Pferd. Hochnäsig stolzierte Chantal an mir vorbei und betrachtete Talo angewidert. „Klar, kann ich das!“, erwiderte sie trotzig. Mühevoll zog sie sich auf Talo hoch, während Ornella, die durchaus schon mal geritten war, sich wesentlich eleganter auf Morendo schwang. Ich

selbst nahm Thorgal mit, damit auch er noch seine Bewegung hatte. Aber ich ritt ihn nicht. Nur zur Sicherheit hatte ich zwei Führstricke dabei, falls ich doch mal auf die Idee kommen sollte. Ich verknotete sie so, dass sie Thorgal nicht störten, aber trotzdem da waren, falls Spaziergänger kamen. Ich konnte ihn ja nicht in der Öffentlichkeit frei herumlaufen lassen. Im Wald würde ich ihn wieder frei lassen. „Können wir los?“, fragte ich leise. Ornella nickte, aber Chantal machte gar nichts. Sie saß einfach nur auf dem Pferd drauf und starrte missmutig in die Gegend. Anscheinend hatte sie beschlossen, nichts mehr zu sagen,

sondern mich einfach nur zu ignorieren. „Komm Morendo, Talo und Thorgal. Auf geht’s.“, lächelte ich. Und die Pferde setzten sich in Bewegung. Wie in einer Herde trotten sie mir hinterher und ich wählte eine kleine Route. Sobald wir außer Sichtweite von Besuchern waren, ließ ich Thorgal frei. Dieser freute sich mächtig und drehte erst einmal ein paar Runden im Galopp um uns herum. „Sicher, dass er nicht abhaut?“, fragte Ornella zaghaft. „Nein, sicher kann ich mir nie sein. Bei Pferden nicht. Aber Thorgal ist zuverlässig. Er wird wieder kommen. Ob das jetzt nach seinen paar Runden ist oder erst morgen früh, bleibt ihm

überlassen.“ Ornella sah mich fragend an. „Und das machst du einfach so?“ Ich zuckte die Schultern. „Ja, klar mache ich das. Wenn du Pferde von Anfang an zwingst, bei dir zu Bleiben, werden sie mit Sicherheit nicht wiederkehren. Wenn du allerdings sagst: Geh. Du darfst machen was du willst, werden sie sich nie weiter als 200 Meter von dir entfernen. Und dann kommen sie auch sicher wieder.“ Ich machte eine kurze Pause und drehte mich nach Thorgal um, der etwas hinter uns graste. Als er sah, dass ich ihn beobachtete, hob er den Kopf und trabte zu uns. „Siehst du?“, lächelte ich Ornella an. Sie

schüttelte den Kopf. „Du bist echt unglaublich, Hanna.“ „Danke.“, murmelte ich und ließ Thorgal neben mir herlaufen. Der helle Hengst hielt hier und da mal an, um zu grasen, lief aber artig mit der Herde mit. Nach ungefähr eineinhalb Stunden, waren wir wieder da. Chantal hatte den ganzen Ritt nichts gesagt, sonder hatte still ihr Schicksal ertragen. Sobald sie vom Pferd herunterkam, stolzierte sie davon und verschwand. Ornella half mir noch, Morendo und Talo zu versorgen. Thorgal entließ ich einfach in seine Box. Doch Talo führten wir noch ein bisschen über den Hof und mit Morendo wollten wir noch ein bisschen rausgehen,

damit er frisches Gras fressen konnte. Wir beobachteten den Sonnenuntergang und erzählten uns ein paar Geschichten. Irgendwann war auch Morendo müde und wir gingen wieder zurück. Die Dämmerung war eingetreten, als Louisa und ich noch Blacos Box herrichteten. Wir wollten sie in einen Sarg verwandeln und das schwarze Pferd morgen noch mit weißen Knochen bemalen. Es war schon spät, als ich mich verabschiedete. Morgen würde endlich Marion wieder kommen.

Kapitel 18

Der nächste Tag begann früh. Louisa und ich trafen uns und malten Blacos an. Es war einen lustige Angelegenheit und spätestens danach waren wir putzmunter und gut gelaunt. Audrey kam auch gerne früh, aber sie war dann meistens noch müde und nicht ganz so gut gelaunt. Unser lautes Gekicher musste sie schon von weitem gehört haben. Jedenfalls würdigte sie uns keinen Blick, als sie genervt in den Stall marschierte. Blacos ließ sich das alles brav gefallen. „Weißt du, Blacos, am besten, du benimmst dich noch so, als wärst du

tot.“, grinste ich. Blacos sah mich fragend an, taumelte dann ein bisschen hin und her und ließ sich auf den Boden fallen. Ich lachte. „Genau. Wenn du das nachher genauso machst, bekommt Ludo einen Anfall.“ Louisa kicherte, denn sie dachte, ich hätte Blacos das so beigebracht, und räumte die restliche weiße Farbe weg. „Sollen wir Marion auch ärgern?“, fragte ich Louisa. Diese nickte. „Aber wie?“, wollte sie noch wissen. „Also pass auf, Chris kommt ja auch erst später. Wir könnten Thorgal und Rango vertauschen. Oder noch besser, wir vertauschen Jovito und Thorgal, dann weiß sie nicht so schnell, wer das

Pferd in Thorgals Box ist.“ Louisa grinste. „Gut, holst du den Falben?“ Ich lief schon los. Jovito sah müde auf, als ich kam. Er wirkte nicht mehr so neugierig wie gestern. Eher resigniert. Er folgte mir zwar brav, war aber mit dem Herzen nicht dabei. Es wirkte sogar fast, als hätte er Angst vor mir. Ich war zwar irritiert, ließ mir aber nichts anmerken. Als das erledigt war, stupste mich Morendo an. „Du, der Neue hatte heute Nacht einen Albtraum. Er handelte von dir und dann hat mich nach dir ausgefragt. Nur, falls sein Verhalten dir komisch vorkommt.“, murmelte er. Ich hob die Augenbrauen. Dann setzte ich mich in die Nähe von

Thorgals Box, in der Jovito gerade stand. „Was ist?“, fragte ich das Pferd leise. Bei meiner Stimme zuckte der Wallach heftig zusammen. „Du darfst sie nicht hören! Ignoriere sie! Es ist eine Einbildung! Nur Träume können schön sein! Vertraue niemanden!“, murmelte er vor sich hin. Seine Augen waren voller Angst und als ich vorsichtig näher kam, schrak er zurück und drückte sich an die andere Seite der Box. „Vertraue niemandem!“, murmelte er zu sich selbst. „Du kennst sie nicht! Vertraue ihnen nicht!“, murmelte er weiter. Entsetzt riss ich die Augen auf. Er glaubte nicht, dass es ihm jetzt gut

ging. Was war ihm bloß passiert? Grübelnd lief ich zum Globe. Wie in jeder freien Zeit, zwischen den Shows, probten die Darsteller mit ihren Schülern. Eliza sang scheußlich, für meinen Geschmack, aber ich konnte ja auch Zsolts Gesang nicht leiden. Und Zsolt war Zweitbesetzung für Juan, aber manche liebten seinen Gesang. Wie immer setzte ich mich in eine Ecke, lehnte mich lässig an das Geländer und legte die Füße auf die anderen Sitzplätze. Es dauerte ein Weilchen bis Eliza mich sah. Sie winkte mir zu und ich lächelte. Ornella kam gerade vom Backstagebereich auf die Bühne und sie entdeckte mich gleich. Zielstrebig

steuerte sie auf mich zu. Sie wirkte glücklich. Fragend hob ich eine Augenbraue. „Keine Chantal heute oder warum siehst du so glücklich aus?“ Ornella nickte. „Sie ist krank. Angeblich.“ Wir grinsten uns an. „Und wie geht’s dir so?“, fragte Ornella. „Och. Ganz gut. Marion kommt nachher wieder. Endlich.“, seufzte ich. Ornella nickte. „Du hast sie vermisst, oder?“ Ich nickte kläglich. „Sehr. Aber ich geh mal wieder, ich wollte nur wissen, ob Chantal wieder Probleme macht.“, meinte ich. Die schwarzhaarige Frau nickte und ich trottete zurück zur Arena. Gelangweilt versuchte ich die Zeit bis heute Mittag tot zu schlagen. Es

gelang mir mit putzen von Pferden, Stallgasse fegen und Lederzeug fetten. Schließlich hörte ich das lang ersehnte Geräusch. Autos fuhren auf den Hof. So schnell ich konnte, räumte ich die Fettutensilien weg und stürmte hinaus. Marion stieg gerade aus Ludos rotem Auto aus. Sie lächelte mich an. Gelassen lief ich auf sie zu, aber als ich kurz vor ihr war, verließ mich meine Beherrschung und ich fiel ihr um den Hals. „Hey, Hanna! Ich war doch nur 4 Wochen weg.“, murmelte sie an mein Ohr. Ich seufzte leise. „Weißt du, dazwischen lag ein ganzes Leben, es hat sich so viel verändert ohne dich. Ich muss dir so viel erzählen,

aber nicht nur Gutes, Marion.“ Vorsichtig machte ich ein paar Schritte von ihr weg. Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter. „Hi, Hanna. Ich hoffe, meinen Pferden geht es gut.“ Das kam von Ludovic. Grinsend drehte ich mich um. „Erinnerst du an das, was ich dir gesagt habe? Blacos ist verhungert. Und außerdem ist er an mangelnder Bewegung wahnsinnig geworden.“ Der Mann hob die Augenbrauen und lief mit großen Schritten in Richtung Stall. Hastig folgte ich ihm. Das Gesicht wollte ich nicht verpassen. Ich kam direkt nach ihm an und der Schrei tönte durch den gesamten Stall. „Ahhhh! Was hast du mit meinem Pferd gemacht?“

Louisa wurde durch den Schrei aufmerksam und kam ebenfalls. Als sie Ludos Gesicht sah, prustete sie los und ich lachte mit ihr. Marion bekam einen riesen Schreck, als sie sah, dass Thorgal nicht in seiner Box stand. Bei dem Anblick von Jovito hob sie eine Augenbraue und musterte das neue Pferd skeptisch. „Was ist das für ein Pferd?“, fragte sie und auch Ludo sah es sich an. „Der ist aber noch jung. Wem gehört der?“ Ich lächelte. „Darf ich vorstellen? Jovito d‘ España. El caballo de Hanna!“ Meine Mischung aus Französisch und Spanisch war grammatikalisch bestimmt vollkommen falsch, aber das war mir

egal. Das Wort caballo kannten dennoch auch Marion und Ludo. „Dein Pferd?!“ Marion klang sehr ungläubig. „Exakt.“ Ludovic musterte den Falben. „Aber alt ist der noch nicht und seine Muskeln sind auch noch nicht gut aufgebaut. Hast du ihn dir gekauft oder was?“ Ich schüttelte den Kopf. „Mario hat ihn mir gegeben, damit ich ihn einreiten kann.“ „Nicht dein Ernst.“, murmelte Ludo kopfschüttelnd. „Doch, ist es.“ Marion lächelte. „Na dann, Glückwunsch.“ „Danke.“, antwortete ich erfreut. Jovito stand in der Ecke und blickte ängstlich zu mir. „Er hat Angst vor dir.“, stellte Marion dann

trocken fest. Ich seufzte leise. „Er denkt, ich wäre so etwas wie eine Hexe oder ein Albtraum. Er glaubt nicht an mich.“ Meine Freundin berührte mich tröstend am Arm. „Sollen wir uns nicht irgendwo hinsetzen und du erzählst mir alles?“, fragte sie. Ich nickte und sie führte mich in ein hinteres Eck, wo wir ungestört waren. „Du zuerst.“, sagte ich zu Marion. Sie nickte und begann. „Naja, eigentlich war es so wie jedes Jahr. Die Stimmung war super und es hat riesigen Spaß gemacht, mit den Pferden zu arbeiten. Vor allem Triste, mein Pferd für Kaltenberg, war mal wieder super. Du weißt gar nicht, was es für ein Gefühl

ist, an den vielen Menschen vorbei zu reiten und den Applaus zu genießen. Nur bei der Premiere ging es ein bisschen schief. Da ist Triste gestolpert und wir wären beinahe beide in den Sand gefallen. Aber nun ja, besondere Vorkommnisse... Nee, gab es eigentlich nicht. Aber jetzt du!“ Ich nickte und überlegte, wo ich anfangen soll. „Nachdem ihr gegangen seid, lag Chris noch eine Woche im Krankenhaus. Danach habe ich ihm Reiten beigebracht. Also wie man fein reitet und so. Nebenbei habe ich mich um eure Pferde gekümmert und Felicitas weiter trainiert. Das war so mein Alltag. Vollmond war schrecklich. Louisa hat es

einfach nicht so richtig verstanden, was mit mir vorgeht. Irgendwie habe ich sie dann alles vergessen lassen. Jedenfalls weiß sie nichts mehr über mich und mein Geheimnis. Naja. Und dann war Nachtarena. Den Teil kennst du ja. Jedenfalls kam ein paar Tage später dann Mario, der Felicitas mitnahm und mir dafür Jovito gab. Am ersten Tag lief alles super, doch am nächsten Tag holte ihn sein Trauma wieder ein. Tja und das war heute. Ach ja, was ich dir noch erzählen wollte.“ Ich holte tief Luft. „Morendo hat mir in der Vollmondnacht so einiges erzählt. Über die Frau, nach der er benannt wurde und ihr Schicksal. Weil, Marion, ich kann keine Kinder

kriegen. Ich kann nicht lieben.“, meine Stimme brach ab. „Aber das kannst du doch.“, sagte Marion leise. „Du liebst Pferde, du liebst deinen Job hier, du hast Freunde. Es kann also nicht stimmen.“ Ich schüttelte den Kopf. „Das meine ich nicht. Noch habe ich das alles, aber was ist, wenn ich alt werde? Ich werde euch überleben. Ich werde zusehen müssen, wie ihr sterben werdet und ich noch so viel Zeit vor mir habe. Und das auch noch allein, weil es nie einen Mann an meiner Seite geben wird. Und daran ist sie, die Frau, von der Morendo erzählt hat, gestorben. Weil sie es nicht ausgehalten hat. Weil sie allein war.

Marion, ich weiß nicht ob ich das schaffe.“ Ich schloss gequält die Augen und sie umarmte mich zögernd. „Denke nicht an morgen, lebe aufmerksam Augenblick. Wir alle werden sterben. Und wenn wir alle jetzt schon daran denken, könnten wir nicht leben. Versuche nicht daran zu denken, Hanna. Du schaffst das.“, murmelte sie in mein Ohr. Einmal holte ich tief Luft und schob dann das Thema bei Seite. Nach einer Weile stand Marion auf und reichte mir die Hand. „Alles klar, Hanna?“ Ich versuchte ein wenig zu lächeln und stand auf. „Hilfst du mir mit Jovito?“, fragte ich schließlich, um das Thema zu

wechseln. Marion nickte begeistert. „Na klar, immerhin ist er dein eigenes Pferd. Was hast du denn vor?“ „Ich möchte ein Stückchen spazieren gehen, damit er die Gegend besser kennenlernt.“, entschied ich kurzerhand und ging zu seiner Box. Als ich versuchte, ihn aufzuhalftern, machte er mir allerdings einen Strich durch die Rechnung. Er schmiss den Kopf hoch und wehrte sich nach Leibeskräften, aufgehalftert zu werden. „Nein! Lass mich in Ruhe! Hilfe! Lass mich einfach in Ruhe! Ich habe dir nie etwas getan!“ Seine Augen waren vor Angst weit aufgerissen und langsam begriff ich. Er würde mich nicht an sich

heran lassen. Dafür steckte das Trauma in ihm zu tief fest. Es war nicht so, dass er wie Felicitas keine Lust auf Menschen hatte, sondern er hatte Angst. Verzweifelt sah ich ihn an. „Du brauchst keine Angst haben. Ich versuche nur, dir zu helfen!“ Bei meinen Worten fing er an zu steigen und ging nun ins Drohen über. „Was ist es?“ Er meinte mich. Zuerst wollte ich etwas sagen, hielt mich dann aber zurück, denn das Es schmerzte. Es würde ihm nur noch mehr Angst machen. Langsam verließ ich seine Box. Meine Augen brannten. Ich war den Tränen nahe. Noch nie war mir so etwas passiert: Ein Pferd, das so traumatisiert

war. Just in diesem Augenblick bog zum Glück Marion um die Ecke. „Noch nicht fertig, Hanna?“, fragte sie lächelnd. Ich drehte mich um und als sie mein Gesicht sah, verschwand ihr Lächeln. „Was ist los?“, wollte sie wissen. „Versuch du mal, ihn aufzuhalftern. Mich lässt er nicht an sich heran. Ich bin für ihn wie ein Alien. Etwas Unbekanntes. Etwas vor dem er fliehen muss, aber nicht kann. Du bist ein normaler Mensch. Vielleicht lässt er dich in seine Nähe.“, sagte ich leise, um Jovito nicht noch mehr zu verängstigen. Marion nahm das Halfter aus meiner Hand und drückte mir Thorgal, der

geduldig am Strick auf uns wartete, in die Hand. Vorsichtig näherte sie sich Jovito und redete leise mit ihm. Er zuckte zwar heftig zusammen, als sie seinem Kopf näher kam, blieb jedoch zitternd stehen. Mit ruhigen Worten, die er nicht verstand, aber die er wenigstens von den anderen Menschen kannte, beruhigte Marion ihn. Wir tauschten wieder die Pferde und Jovito rollte zwar nervös mit den Augen, ließ sich aber willig von mir führen. Ich verzichtete auf jedes Wort, denn ich wusste, das war das größte Problem. Solange er mich nicht reden hörte, konnte er sich vorstellen, dass ich ein normaler Mensch war. Denn er

wollte nicht so sein, das wusste ich. In seinen Augen glänzte der Wunsch nach jemanden, dem er vertrauen konnte. Er wollte nicht so sein, wie er war. Aber er konnte es nicht ändern. Die Mauer des Traumas war dicht um seinen Geist gewebt. Wir waren erst wenige Schritte vom Hof, als Jovito schon an der Vielzahl der Autos erschrak, die ganz in der Nähe über die Autobahn zum Europapark donnerten. Mit Mühe schaffte ich es, ihn zu halten, während Thorgal meinen Part übernahm und beruhigend auf ihn einredete. Der blonde Hengst war zwar auch manchmal schreckhaft, aber die Autos kannte er. Nach der halben

Strecke war ich klatschnass vor Anstrengung, denn Jovito war so aufgeregt, dass ich alle Hände voll zu tun hatte, ihn zu halten. Marion seufzte. Hinter ihr lief ein ruhiger Thorgal, der geduldig wartete, wenn sich Jovito wieder aufregte. „Lass uns für den Rest des Weges tauschen, Hanna. So machst du dir doch eh keinen Gefallen.“, schlug sie vor. Doch ich schüttelte den Kopf. „Nein danke, Marion. Ich muss das allein durchziehen.“ Jovito erschrak wieder vor meiner Stimme und ich beruhigte ihn mit einem leisen Pfeifen. „Wenn du meinst.“, sagte Marion nur und ließ Thorgal noch ein bisschen von dem Gras naschen, das am Wegesrand

wuchs. Als wir wieder an der Arena waren, war ich vollkommen fertig und Jovito war es auch. Ich entließ das völlig verängstigte Pferd in seine Box und holte mir zuerst etwas zu trinken. Traurig setzte ich mich auf meine Lieblingsbank und überlegte, was ich als nächstes tun könnte. Denn jetzt waren alle wieder da und es gab nichts für mich zu tun. Vielleicht hätten manche Menschen, die gerade ein Pferd bekommen hatten, sich den ganzen Tag mit ihm beschäftigt, aber bei mir war es anders. Denn Jovito hatte eindeutig Angst vor mir und ich wusste nicht, was ich dagegen tun konnte. Eine Weile saß ich

so da und dachte an früher, als ich noch zur Fangemeinde der Arena gehörte. Wie sehr hatte ich mich auf jedes Foto von der Arenacrew gefreut. Vor allem, wenn es vom Backstagebereich kam. Ich wollte wissen, wie es dort aussah. Wie ihr Alltag aussah und wie sie das immer hinbekamen. Manche Tage drei Shows pro Tag, wenig Freizeit, denn am Wochenende waren ja schließlich auch Shows. Mittlerweile verstand ich die Leute hier, da ich jetzt mitten unter ihnen weilte. Sie hatten nicht allzu viel Zeit. Und auch alle meine Hobbys gestorben. Agrento sah ich fast gar nicht mehr, reiten und voltigieren hatte ich aufgehört

und auch das Akkordeon spielen, was ich früher so gerne gemacht hatte, ließ ich sausen. Selbst meine Familie meckerte, dass ich so wenig da war. Trotzdem wollte ich meinen Job nicht aufgeben. Da fiel mir plötzlich etwas ein. Früher hatte ich immer Videos von den Schulpferden gemacht. Für Youtube. Meiner Idee folgend, holte ich kurz darauf mein Handy, stellte es vor mir auf und drückte auf Aufnehmen. „Hallo ihr da draußen vor den Bildschirmen.“, grinste ich. „Gerade hatte ich eine richtig gute Idee, die glaube ich, auch euch gefallen wird. Da ich zurzeit mehr Zeit als beabsichtigt habe, könnte ich ja

anfangen zu Vloggen. So ein bisschen was über den Arena- Alltag erzählen und so mit der Kamera zeigen, was hier so abgeht. Ich denke, einige von euch werden das ganz interessant finden. Ich rede jetzt gerade auf Deutsch, schreibt mir aber bitten unten in die Kommentare, ob ihr lieber Deutsch mit französischem Untertitel oder Französisch mit deutschem Untertitel haben wollt.“ Ich machte eine kurze Pause. „Gut, dann will ich mal heute etwas Kleines starten und einfach mal was über unsere Pferde erzählen. Ach ja, für die, die mich noch nicht kennen: Mein Name ist Hanna, ich bin eine

Halbfranzösin oder Halbdeutsche. Sucht euch was aus. Seit Pfingsten bin ich hier dabei und kümmere mich um die Pferde. Ich trainiere sie ein bisschen und helfe, wo ich kann, versteht ihr? Mittlerweile hat Mario, unser oberster Chef, mir auch ein Pferd zugeteilt, den werde ich euch jetzt als Erstes zeigen.“ Während ich aufstand, drückte ich auf die Pausentaste und ging zu Jovitos Box. Dann schaltete ich wieder die Aufnahme an. „Also das ist Jovito. Unser neustes Pferd hier. Er ist drei Jahre alt, wird aber bald vier, uneingeritten und ich habe die volle Verantwortung für ihn. Quasi gehört er

mir.“ Als ich näher an die Box kam, zuckte Jovito heftig zusammen und floh in die hinterste Ecke seiner Box. „Seht ihr? Das ist das aktuelle Problem. Ich habe ihn noch nicht lange und der Arme hat furchtbare Angst vor Menschen. Vor mir ganz besonders. Man kann es mit einem psychischen Trauma vergleichen. Und ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. Allein wenn ich in seine Nähe komme, würde er schon am liebsten davonrennen. Hat jemand von euch eine Idee, was ich probieren könnte, um sein Vertrauen zu gewinnen? Komischerweise ist er bei Marion relativ brav. Natürlich hat er Angst vor ihr, wie vor allen

Menschen, aber nur bei mir ist er so extrem, dass er sich regelrecht gegen mich wehrt. Nicht so wie bei Felicitas damals…“, ich hielt inne, „Kennt ihr die Geschichte mit Felicitas überhaupt? Sie war jedenfalls ein vollkommen respektloses Pferd, das jeden angegriffen hatte, der zwischen ihrem Wille und ihr stand. Das war nicht so schön. Aber Jovito ist anders, er hat einfach nur Angst vor Menschen und ich weiß nicht, wie ich ihm zeigen soll, dass er uns vertrauen kann. Er lässt mich einfach nicht an sich ran! Naja, ich bin mal gespannt auf eure Vorschläge.“ Langsam wandte ich mich ab und

drückte auf Pause. „Was mache ich bloß falsch, Jovito?“, fragte ich leise, doch er gab keine Antwort. Kurze Zeit später lief ich mit der Handykamera über den Hof. „Das Pferdevorstellen verschieben wir auf nächstes Mal. Ich habe nämlich gerade Chris entdeckt. Und seht ihr was ich hier habe?“, fragte ich und hielt einen halbvollen Eimer Wasser in die Linse. „Heute ist es nämlich sehr warm, wisst ihr? Die meisten der männlichen Wesen rennen hier gerade ohne Oberteil rum und das müssen wir Mädels nutzen.“ Ich kicherte und versteckte mich hinter einem Zaun, an dem gleich Chris mit Rango vorbeikommen sollte. „Ihr müsst

wissen, Chris und ich bekriegen uns schon seit dem Video, das er von mir hoch geladen hat. Zwischenzeitlich hatte er mal einen Unfall und deswegen lag das in letzter Zeit eher flach. Das will ich jetzt ändern.“ Meine Stimme war nur noch ein Wispern mit unterdrücktem Kichern. Als ich Chris hörte, hielt ich die Kamera fester. „Drei, zwei, eins...“, zählte ich leise runter. „Achtung, Rango.“, schrie ich und kippte den kompletten Inhalt des Eimers über Chris. Dieser schrie entsetzt auf: „Hanna!“ Rango war durch meine Warnung rechtzeitig zur Seite gesprungen und sah seinen Reiter belustigt an. Chris dagegen

schüttelte nur den Kopf, sodass die Wassertropfen nur so umher geschleudert wurden. Rechtzeitig hielt ich mein Handy zur Seite. Die Aufnahme lief noch. Plötzlich traf mich selbst ein Wasserstrahl am Rücken. Ich fuhr herum und erkannte Ludo, der wohl keine Kontrolle mehr über den Wasserschlauch hatte. Oder er hatte sie doch und ließ sich nicht anmerken, dass er es absichtlich tat. „Aber zu uns sagen, wir wären die Kinder!“, kam es prompt von mir, als ich mich an eine Szene vor ein paar Wochen erinnerte. Da hatte er Chris und mich nämlich trennen müssen, da wir ein bisschen

gerauft hatten. Wie kleine Jungs eben. Ludo lachte in sich hinein. „Es ist doch so warm heute!“ Mit dem Handy in der Hand rannte ich auf ihn zu und versuchte ihm den Wasserschlauch zu entwenden, doch Ludo war zu groß und zu stark. Außerdem kam jetzt auch noch Chris an, der wahrlich keine guten Absichten hatte. „Sorry, Leute. Ich glaube mein Handy überlebt das nicht, wenn ich das jetzt noch länger aufnehmen muss. Meldet euch in den Kommentaren und kommt mal vorbei!“, plapperte ich hastig und beendete die Aufnahme. Anschließend rannte ich in die Umkleide, brachte mein Handy in

Sicherheit und kaum war ich wieder draußen, hatte Chris von irgendwo eine Wasserbombe aufgegabelt und diese zerplatze gerade an meinem dunkelroten Oberteil. „Das bekommst du zurück.“, lachte ich und stürzte mich auf ihn. Wir rollten lachend über den Boden, während Ludo uns kichernd mit dem Wasserschlauch komplett nass machte. Doch aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie Lou sich einen triefenden Schwamm geschnappt hatte und diesen gerade an Ludos Hinterkopf ausrang. Dieser war so überrascht, dass er den Schlauch fallen ließ, den sich sofort Kevin, der ebenfalls in der Nähe stand, schnappte und Ludo von oben bis unten

nassspritzte. Doch ich konzentrierte mich nicht weiter auf das Geschehen, sondern auf Chris der mich gerade mit einem Knie auf den Boden gedrückt hatte und mich hämisch ansah. Doch auf meine Beine hatte er nicht geachtet. Mit relativ wenig Schwung nahm ich mein Knie zwischen seine Beine und trotzdem schrie er schmerzhaft auf. „Tja, deswegen bin ich eine Frau“, lachte ich und kämpfte mich frei. Als ich kurz darauf wieder auf meinen Beinen stand, wurde ich gleich wieder attackiert und bekam den Wasserstrahl des Wasserschlauches direkt ins Gesicht. Marion zielte eigentlich auf Chris, doch der versteckte

sich etwas hinter mir. „Hey!“, beklagte ich mich und rannte auf Marion zu. Diese war zu meinem Überraschen noch relativ trocken. Daraufhin umarmte ich sie, nass wie ich war, und hinterließ eine mindestens genauso nasse Marion, da ich mittlerweile den Schlauch in der Hand hielt und ihr von unten ins Gesicht spritzte. Wenig später saßen wir lachend in der Sonne und ließen uns von den warmen Strahlen der späten Nachmittagssonne trocknen. Die stets freundliche Audrey hatte Kuchen dabei, der sehr lecker war. Karel, einer der Älteren hier, hatte inzwischen eine Kamera gezückt und

machte ein Bild von uns, wie wir alle am Boden saßen und Kuchen aßen. „Das zeige ich Herr Mack.“, kommentierte er, „Die Arbeitsmoral seiner Mitarbeiter.“ Ludo grinste. „Na und? Wir haben unsere Arbeit getan, den Pferden geht’s gut und hier ist es zumindest einigermaßen ordentlich.“ Karel zuckte die Schultern. „Also mich würde es nicht freuen, wenn ich meine Mitarbeiter beim Kaffekränzchen erwischte.“ Sobald ich trocken war, ging ich schließlich nach Hause, schnitt das Video, das ich heute gemacht hatte, zusammen und lud es in Facebook hoch. Anschließend ging ich schlafen. Dabei

hatte ich einen sehr merkwürdigen Traum: Ein helles Pferd, fast so hell wie ich an Vollmond, lief mit Jovito zusammen einen Weg entlang. Ich, ebenfalls als Pferd, stand etwas nebendran und sah den Beiden zu. Jovito wirkte entspannt und glücklich. „Was mache ich bloß falsch?“, fragte ich leise. Das helle Pferd hielt inne und blickte mich an. Langsam kam es auf mich zu. „Du musst ihm mehr Zeit geben, Hanna. Er braucht seinen Freiraum. Er muss es erst verstehen. Was du bist und was du von ihm willst. Gib ihm die Zeit. Lass ihn los, Hanna. Lass los, was du liebst, nur dann kehrt es zu dir zurück.“, damit

drehte sich das Pferd und verschwand mit Jovito zusammen in der Dunkelheit.

Kapitel 19

Am nächsten Vormittag, es war schon fast 12 Uhr, da ich heute ausgeschlafen hatte, dachte ich über meinen Traum nach. Lass los, was du liebst, nur dann kehrt es zu dir zurück. Unbewusst übertrug ich es auf mein Pferd. Wie sollte ich Jovito loslassen? Was meinte das fremde Pferd? Gedankenverloren schlenderte ich zu Jovitos Box. Der Wallach schnaubte erschrocken als ich kam. „Hallo, mein Schöner.“, flüsterte ich leise. Wie immer zuckte er bei meiner Stimme zusammen. Leise seufzend fuhr ich mir durch die Haare und überlegte. Ich kam

einfach nicht drauf, was ich mit ihm tun sollte. Also tat ich das Erstbeste, was mir einfiel: Ich nahm ihn mit in die leere Arena und ließ ihn frei. Ein paar Runden rannte er verängstigt von einer Seite zur anderen und suchte einen Ausgang. Natürlich hatte ich vorher die Arena ordentlich abgesperrt. Während ich auf einem der Sitze saß, drehte er seine Runden in wildem Galopp. Doch sobald ich mich bewegte zuckte er zusammen und unterbrach sich kurz. Sobald er sicher war, dass ich aber nichts vorhatte, tobte er weiter. Eine halbe Stunde sah ich ihm so zu, dann stand ich auf und kam zu ihm. Sofort verspannte sich das junge Pferd wieder

und stellte sich stocksteif hin. Vorsichtig griff ich nach seinem Halfter und führte ihn zurück in die Box. Jetzt war er wenigstens bewegt. Traurig setzte ich mich in die Nähe von seiner Box und überlegte, was ich tun konnte. Unterdessen sah ich auf Facebook. Mein Video hatte einige Likes bekommen und grinsend las ich die Kommentare darunter. „Geniale Idee, Hanna. Mach auf jeden Fall weiter!!!“ Irgendwer hatte eine Abstimmung gestartet, auf welcher Sprache ich die Videos machen sollte. Deutsch gewann mit deutlicher Mehrheit. Na, dann wollen wir mal weiter machen, beschloss ich und holte meine Kamera,

meinen Camcorder, den ich extra dafür mitgenommen hatte. Ich schaltete ihn ein und fing sofort an zu reden. „So, nachdem das Ganze gestern in einer Wasserschlacht geendet hat, möchte ich jetzt mit den Pferden weiter machen.“ Während ich durch die Boxen entlanglief und zu jedem Pferd etwas sagte, stieg die Sonne endgültig auf ihren höchsten Stand und eine drückende Schwüle legte sich über Rust. Heute war es echt verdammt warm. Deswegen verbrachte ich den Rest des Tages grübelnd in einer schattigen Ecke. Noch immer spuckte mir das „Lass los, was du liebst, nur dann kehrt es zu dir zurück.“, im Kopf

herum. Als es am Abend dann kühler wurde, begab ich mich wieder zum Globe. Chantal war wieder da, das merkte ich an der allgemeinen Stimmung. Sie und ein genervter James probten gerade das Lied "Tiger" von Abba. Eliza war beleidigt und schmollte wegen irgendetwas in der Ecke und Gabi sang, mit dem Mikro in der Hand, auf einer der Bänke sitzend, den Part von Eliza. Ornella raufte sich gerade die Haare und versuchte Chantal zu erklären, dass sie am Ende des Songs tiefer singen sollte, als sie es tat. Ich zu meinen Teil setzte mich einfach in die Ecke und beobachtete sie, während

vor allem James meine Aufmerksamkeit zog. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm, genauso wenig wie mit Elizas Hals. Ich schlug die Augen nieder und konzentrierte mich auf die blauen Energieströme. Wie gewohnt wurden sie sichtbar. Langsam hob ich meinen Blick und traute meinen Augen kaum. James schien vor Energie nur so zu pulsieren. Sein ganzer Körper leuchtete nur so, während Elizas Hals die Energie aus der Umgebung nur irgendwie bündelte und sie Eliza zur Verfügung stellte. So zumindest interpretierte ich es, denn für die gewöhnliche Seelenenergie, die jedes Lebewesen hatte, war es zu viel. Als ich genug gesehen hatte, schlug ich

schnell die Augen nieder und konzentrierte mich auf Chantals mehr oder weniger guten Gesang, sodass die Energieströme weniger wurden und schließlich ganz verblassten. Was waren die zwei? Ich beschloss der Sache auf den Grund zu gehen und ging zu Eliza. Sie versuchte zu lächeln, was ihr aber nicht gelang. Als sie mich sah, zog sie die Augenbraue zusammen und musterte mich fragend. "Hi, Eliza? Was gibt's?", fragte ich. "Hallo, Hanna. Bei mir ist alles gut und bei dir?" Sie schüttelte kurz den Kopf, als ob sie irgendein Bild vor ihrem inneren Auge vertreiben wollte. "Alles klar. Aber mit Jovito habe

ich zurzeit ein großes Problem. Sollen wir ein Stückchen gehen?", führte ich den Smalltalk weiter. Eliza nickte und wir standen auf. Als wir draußen in die Sonne gingen, sah sie mich noch einmal an und kniff fragend die Augen zusammen. "Was ist los? Sehe ich irgendwie komisch aus?", fragte ich vorsichtig. Oh Gott, hoffentlich glühten meine Augen nicht mehr. "Nee, das nicht. Aber ich meine, ein Pferd bei dir gesehen zu haben. War wahrscheinlich irgendeine Spiegelung, denn jetzt ist es weg. Bestimmt klingt das total merkwürdig...", sagte sie und schlug beschämt die Augen nieder. Konnte sie etwa erkennen, was ich an

Vollmond war? "Wenn du mir erklärst, was das an deinem Hals ist, erkläre ich dir das Pferd.", versuchte ich vorsichtig das Gespräch in eine bestimmte Richtung zu lenken. Eliza druckste ein wenig herum, bevor sie sich schließlich ein Herz fasste. "Na gut, aber versprich mir, bitte nicht zu lachen und nichts weiter zu erzählen. Denn ich bin, ich... ich bin eine Hexe, Hanna.", murmelte sie kaum hörbar. Eine was? Ich holte tief Luft. Also gab es doch mehr magische Wesen, als ich dachte. "Und jetzt du!", forderte Eliza mich auf, die die peinliche Situation auflockern wollte. "Naja, ich verwandle mich an Vollmond in ein

Pferd.", meinte ich schlicht. "Ich nehme an, dass es das ist, was du gesehen hast.", fuhr ich fort und Eliza war verwundert. "Und ich dachte, ich wäre allein mit der Übernatürlichkeit.", murmelte sie. "Meine Vermutung, warum du das Pferd nur vorhin gesehen hast, ist, dass es mit den blauen Energieströmen zusammen hängt. Ich habe sie vorhin wieder gesehen und vielleicht war die Magie in mir da so stark, dass du es ebenfalls wahr genommen hast. Und was ist das jetzt an deinem Hals?", fragte ich weiter. "Du siehst die Erdenergie auch?", sie klang überrascht, "An meinem Hals ist ein Amulett, dass die Energie aus der

Umgebung bündelt, damit ich damit zaubern kann oder so ähnlich. Hexen ziehen ihre Energie nämlich aus der Natur.", erklärte sie mir. Ich nickte. So war das also, dann hatte ich vorhin ja doch Recht gehabt. "Ich ziehe an Vollmond auch die Energie aus dem Boden. Kannst ja mal zuschauen.", meinte ich lächelnd. "Gerne!", freute sich Eliza und wir gingen zurück zum Globe. Am nächsten Tag lief ich wieder zuerst zu Jovitos Box, als ich an der Arena ankam. Das Pferd hatte sich nach wie vor nicht verändert. Noch immer war er total verstört und ließ mich kaum an sich ran. Nur mit Mühe und Not schaffte

ich es, ihn aufzuhalftern. Denn vergangene Nacht hatte ich wieder diesen Traum. Nur diesmal war er ausgereifter. Ich hatte genau gesehen wie Jovito über die Galoppstrecke gerannt war. Ohne Halfter und völlig frei. Und so hatte ich heute Nacht eine folgenschwere Entscheidung getroffen. Langsam führte ich ihn hinaus. Es hatte ein Umbruch in mir stattgefunden. Mein Gehirn war wie ausgeschaltet. Es war, als ob mich jemand anderes lenken würde. Die Trance traf mich ziemlich unvorbereitet und der Tunnelblick ließ mich alles um mich herum ausblenden. Plötzlich trat Marion neben mich, sodass ich heftig zusammenzuckte, was

sie aber anscheinend nicht merkte. "Hallo, Hanna! Wie geht's?". Sie drückte mir die üblichen Franzosenküsschen auf die Wangen. Stumm schüttelte ich den Kopf. Was machte ich hier bloß? Ich sollte mein Pferd wieder zurück in seine Box führen und es gut sein lassen, aber ich konnte es nicht. Meine Beine wollten mir nicht mehr gehorchen. Wortlos begleitete Marion mich. Jovito lief sogar einigermaßen gut mit. Er merkte, dass etwas anders war. Jeder Schritt war eine Qual für mich, jeder einzelne, der mich mehr von der Arena entfernte. Und trotzdem tat ich es. Es war so unbewusst und jeder Schritt riss mir ein größeres Loch in

mein Herz. Schließlich kam der entscheidende Weg. Ich hielt an, schloss kurz die Augen um mich zu sammeln. Wie in Zeitlupe glitten meine Finger, vollständig von selbst, zum Verschluss des Halfters und langsam öffnete ich es. "Was machst du da?", fragte Marion entsetzt. Meine Lippen formten stumm "Lass los, was du liebst.". Die Kontrolle über meine Handlungen hatte ich verloren. Immer und immer wieder murmelte ich den Satz vor mich hin. Wie ein Gebet. Unendlich langsam rutschte das Halfter schließlich von Jovitos Kopf. Marion versuchte mich aufzuhalten, doch ich ließ sie

nicht. Nun stand der Falbe völlig frei da. Er war verwirrt. "Nun geh schon!", forderte ich ihn kraftlos auf. Vorsichtig setzte er einen Schritt nach vorne. Als ich ihn nicht aufhielt, blickte er mich noch einmal kurz an. Doch mir kam es vor, als hätte er mich Ewigkeiten so angesehen. Der Blick seiner dunklen Augen würde ich so nie vergessen. Dann machte er einen Satz nach vorne und lief los. Ich sah seinem wilden Galopp nach, bis er im Wald verschwunden war. Es tat weh, ihn gehen zu sehen. Kraftlos lehnte ich mich an Marion, die mich tröstend umarmte. "Warum hast du das

getan?", fragte sie ruhig. Innerlich fiel ich zusammen. "Ich weiß es nicht.", murmelte ich kaum hörbar und ließ den Tränen, die seit letzter Nacht in meinen Augen brannten, freien Lauf. Wenig später lief ich mit gesenktem Kopf zur Arena zurück und wich dabei sämtlichen, fragenden, Blicken aus. Nur Ludo, der Arena-Boss, sprach mich direkt an: "Wo hast du Jovito gelassen?". Seine Stimme klang schneidend scharf. Schon wieder brannten Tränen in meinen Augen und ich hatte einen dicken Kloß im Hals. "Es tut... tut mir so Leid... Ich... ich war nicht ich selbst.", druckste ich umständlich herum und vermied seinen

Blick. "Sie hat ihn frei gelassen.", erklärte Marion an meiner Stelle. Ludo blickte uns entsetzt an. "Du hast WAS?!", fragte er ungläubig. "Ich... Er... muss vergessen. Seine Vergangenheit hinter sich lassen. Und das geht nur, wenn er seiner selbst Herr ist.", versuchte ich einigermaßen kräftig zu klingen. Ich scheiterte kläglich. Mir war klar, dass ich ihn wahrscheinlich nie wieder sehen würde. Ich ärgerte mich wirklich. Jetzt hatte ich einmal die Chance gehabt, ein eigenes Pferd selbst ausbilden zu dürfen und ich war kläglich gescheitert. Stattdessen lief er jetzt irgendwo draußen frei herum oder lag schon

verletzt am Boden. Wie jedes Pferd wird er in Gefangenschaft aufgewachsen sein und kam deshalb mit dem wilden Leben noch nie in Kontakt. Er wusste ja gar nicht, wie er sich selbst versorgen sollte und vor was er fliehen musste, um zu überleben. Wie sollte er es jetzt schaffen? Ich machte mir schreckliche Vorwürfe und in meinem Kopf entstand das Bild eines toten Falben mit wunderschöner, schwarzer Mähne. Mir wurde übel dabei. Um mich abzulenken half ich Chris mit Rango. Die zwei waren mittlerweile zu einem echten Dreamteam zusammen gewachsen und es machte Spaß, ihnen beim Reiten zu zuschauen. Das könnten

Jovito und du auch sein, flüsterte eine innere Stimme in mir. Ich schluckte die Tränen, die schon wieder kommen wollten, herunter und lief mit festen Schritten in die Arena. An meinem Stammplatz ließ ich mich nieder und beobachtete wie die Besucher zur zweiten Show eintraten. Kurz vor Beginn der Show kam noch Nicole und ihr Freund Uwe in die Arena gehechtet. Sie sahen mich und ließen sich neben mich sinken. "Hallo, Hanna. Wie geht's?", fragte Uwe mich. "Ganz gut, danke.", sagte ich kurz angebunden, nicht gewillt ein Gespräch anzufangen. "Deine Videos sind echt super, ganz Facebook liebt sie!", fuhr

Nicole fort. Ich nickte: "Danke.", meine Stimme klang ungewollt kalt und abweisend. Dennoch ließ sich Nicole nicht beirren. "Und was macht Jovito?", kam es wieder von ihr. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Plötzlich erinnerte mich alles hier an ihn. Die schwarzen Haare der Frau vor mir, das goldene Fell von Thorgal, der mit Marion gerade seine Runde am unteren Umlauf drehte. Alles kam wieder vor meinem inneren Auge hoch. Sein Fell, blutverkrustet. Ich hielt es hier nicht mehr aus. Ohne ein weiteres Wort an Nicole und Uwe, sprang ich auf und kletterte durch das Fenster hinter dem Thron zurück

zum Backstagebereich. Sobald ich die Leiter vom Dach auf den Boden geklettert war, rannte ich auch schon los. Ich achtete nicht darauf wie schnell und wohin meine Beine mich hintrugen. Aber irgendwann brach ich einfach zusammen. Auf dem staubigen Boden rollte ich mich zusammen und weinte leise. Noch nie hatte ich an einem Tag so viele Tränen vergossen und schon gar nicht wegen einem Pferd. Obwohl Jovito es sich noch gar nicht verdient hatte, gehörte ein, zugegeben sehr großer, Teil meines Herzen schon ihm. Als meine Tränen schließlich aufhörten zu fließen, ich hatte einfach keine mehr, wurde meine Sicht wieder klarer und ich

sah mich vorsichtig um. Unbewusst war ich zu der Stelle gelaufen, an der ich Jovito frei gelassen hatte. Meine Finger tasteten den Boden ab, als ob ich seine Hufspuren erspüren konnte und so ein Teil von ihm spürte. Aber da war nichts. Das Pferd hatte auf dem trockenen, rissigen Boden keine Spuren hinterlassen. Ich zog die Knie an und bettete mein Kinn darauf. In mir keimte ein Fünkchen Hoffnung. Vielleicht kam er ja doch zurück. Ich würde hier warten bis er zurück kam, beschloss ich, obwohl mein vernünftiges Oberbewusstsein mir zuflüsterte, dass es Hoffnungslos war. Ohne es verhindern zu können, tauchte vor

meinem inneren Auge ein Bild auf. Mit angezogenen Knien saß ich hier, meine Haare waren grau und mein Gesicht von Falten durchzogen. Blitzschnell verdrängte ich es. Da war immer noch das Fünkchen Hoffnung. An dieses klammerte ich mich, während ich auf dem heißen, trockenen Boden des Feldweges saß. Schon lange hatte es nicht mehr geregnet. Es wurde mal wieder Zeit, bevor die Ernte der Bauern vertrocknete. Es verging einige Zeit und die Dämmerung setzte schon ein. Vom harten Boden tat mir mittlerweile alles weh und da ich meine Position kaum geändert hatte, war ich total steif.

Außerdem plagte mich der Hunger und meine Kehle war wie ausgedörrt. Und trotzdem wollte ich hier immer noch nicht weg. Noch war das Fünkchen nicht verloschen. Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir. Steif drehte ich den Kopf. Marion. "Hanna! Ich habe dich schon überall gesucht! Nicole hat mir erzählt, dass du einfach aus der Arena gerannt bist. Was war los?", fragte sie besorgt. "Ich kann ihn nicht allein lassen, wenn er zurück kommt!", murmelte ich. Marion setzte sich neben mich und umarmte mich tröstend. "Er kommt bestimmt bald wieder. Mach dir keine Sorgen. Aber jetzt musst du mitkommen!", forderte sie

mich auf und drückte eine flache Hand auf meine Stirn. Entsetzt zog sie sie wieder zurück. "Du glühst ja!", rief sie entsetzt, "Hast du einen Sonnenstich, Hanna?", fragte sie vorwurfsvoll. Ich zuckte die Schultern. Das konnte aber gut sein. Schließlich saß ich jetzt schon den ganzen Nachmittag in der sengenden Sonne. Schwankend half sie mir auf und mir wurde schwindelig und auch ein wenig übel. Also hatte ich wohl doch einen Sonnenstich. Müde kämpfte ich mich zurück zur Arena, während Marion mich, so gut es ging, stützte. Wir schwiegen auf der gesamten Strecke. Wir hatten uns nichts mehr zu

sagen. Als wir an unserem Ziel ankamen, bugsierte Marion mich zuerst auf meine Lieblingsbank im Schatten und holte mir etwas zu trinken. Kurz darauf kam sie mit einer kühlen Wasserflasche wieder. Trotz meiner elenden Situation musste ich grinsen. "Danke, Mama.", lächelte ich. Marion lachte mich an. "Einer muss sich ja um dich kümmern.". Obwohl es mir gerade wirklich nicht gut ging, schaffte ich es aufzustehen und Ornella anzurufen. Sie nahm schon nach dem zweiten Klingeln ab. "Hallo, Hanna. Was gibt's?", fragte sie. "Hi, Ornella. Kannst du mich mit nach Hause nehmen? Marion meint, ich hätte voll de

Sonnenstich und mir geht's auch nicht wirklich gut.", trug ich meine Bitte vor. "Klar, kann ich machen. Ich komm gleich vorbei.", meinte sie und legte auf. Ich steckte mein Handy wieder in die Tasche und setzte mich wieder auf die Bank. Dann wartete ich. Es dauerte fast eine halbe Stunde bis ich Ornellas schwarze Haare und ihre dunkelblaue Jacke ausmachte. Sie kam gerade in den Backstagebereich und winkte mir zu. Vorsichtig stand ich auf und mir wurde wieder ganz schummrig. Langsam lief ich Ornella entgegen. Als sie mich sah, schüttelte sie nur vorwurfsvoll den Kopf. "Du siehst echt nicht gesund aus, Hanna. Weißt du das?",

begrüßte sie mich. "Hi. Ja, ich weiß. Den gesamten Tag bin ich in der Sonne gesessen, aber ich bereue es nicht.", erwiderte ich deprimiert. "Wieso das denn?", bohrte Ornella weiter und auf der gesamten Heimfahrt erzählte ich ihr, was mit Jovito passiert war. Am nächsten Morgen fiel endlich der ersehnte Regen. Vor lauter Anspannung ging ich sehr früh zur Arena. Dort lief ich als erstes zu Jovitos Box, in der Hoffnung, alles war nur ein böser Traum. Es war keiner. Die Box war leer und alles fiel wieder auf mich ein. Ich stützte mich an den Gitterstäben seiner Box ab und atmete schwer, während ich versuchte, die Albträume vor meinem

inneren Auge zu verdrängen. Die ganze Nacht hatte ich wegen der Sorge um mein Pferd kaum ein Auge zugemacht und wenn, dann hatte ich schreckliche Träume gehabt. Langsam nahm ich mir ein Regencape und machte mich auf den Weg zu der Stelle. Ich wollte nicht mehr an ihn denken. Es war einfach nur noch die Stelle. In der gleichen Position wie am vergangen Tag ließ ich mich wieder nieder und wartete. Der Regen wollte nicht aufhören. Es war dieser ekelhafte Dauerregen, der ständig auf mich einprasselte. Am Nachmittag kam Louisa mal vorbei und brachte mir eine heiße Schoki mit.

Dankbar nahm ich sie an und war froh, etwas Warmes im Magen zu haben. Im Regen war es doch merklich abgekühlt. Kaum zu glauben, dass du gestern noch einen Sonnenstich bekommen hast, dachte ich und starrte weiter an die Stelle, an der Jovito im Wald verschwunden war. Und auch am nächsten Tag blieb die Situation unverändert. Es regnete weiter ununterbrochen und ich sagte kein Wort mehr. Zu niemanden. Ich fraß die Trauer still in mich hinein. Selbst Ludo und Hidalgo, die im Regen einen kleinen, mehr oder weniger schönen, Ausritt machten und kurz bei mir vorbeischauten, konnten mich nicht

aufmuntern. Ludo versuchte ein wenig mit mir zu reden, aber ich gab ihm nur kurze und knappe Antworten und ging wenig darauf ein. Er versprach nach ihm Ausschau zu halten, sah ihn aber auch kein einziges Mal. Am Abend gaben sie im Fernsehen eine Flutwarnung für sämtliche Gewässer im Süden Baden-Württembergs, aus. Auch das nagte an mir. Der Altrhein neigte sowieso gerne dazu, zu überfluten und genau da hielt sich Jovito auf, wenn mich nicht alles täuschte. Obwohl er auch schon längst in der Schweiz sein konnte. Ich wusste es nicht. In der Nacht hatte ich wieder den Traum, der an allem schuld war. Wieder

lief das weiße Pferd mit der silbernen Mähne den Weg entlang. Wieder hörte ich seine Worte. Doch diesmal nahm ich es nicht einfach so zur Kenntnis. Ich rastete aus. "Du bist schuld, dass er weg ist, DU!", schrie ich es an. Da ich stehen geblieben war, war das Pferd einfach weiter gelaufen. Doch jetzt drehte es um und kam langsam wieder zu mir zurück. "Du hast das Richtige getan.", murmelte es beruhigend. Ich schüttelte den Kopf. "Nein, es war falsch! Er kommt nicht wieder. Nie! Und daran bist nur du schuld!", schrie ich weiter und begann mit den Fäusten auf es einzutrommeln. Tränen verschmierten meine Sicht und

meine Wut verwandelte sich urplötzlich in Trauer. In meinem Traum brach ich zusammen und wachte in der Wirklichkeit mit nassem Gesicht auf. Wie auch am vergangen Tag saß ich, am nächsten Tag, die ganze Zeit im Regen an der Stelle und rührte mich kaum. Am Nachmittag meinte ich im Regen einen goldenen Pferdekopf mit schwarzer Mähne zu sehen, aber ich stempelte es als Täuschung ab. Nur in meinem Unterbewusstsein ging der Funken Hoffnung weiter auf. So verging auch dieser Tag. Mittlerweile lief ich nur noch wie ein Zombie herum. Ich sprach nicht, ich aß und trank kaum und hatte keine Lust

mehr auf mein Leben. Auch heute saß ich im leichten Nieselregen da, allmählich wurde der Dauerregen doch weniger, als Marion wieder zu mir kam. "Du trauerst jetzt schon seit Tagen so. Fang doch endlich wieder an zu leben.", sagte sie ruhig. Missmutig schüttelte ich den Kopf und starrte weiter in den Wald. "Hanna! Hör mir jetzt genau zu: Er wird nicht wieder kommen, versteh das endlich! Du kannst nicht auf ewig hier sitzen bleiben. Das Leben geht weiter!", fuhr sie mich an, weil sie nicht wusste, wie sie mich sonst erreichen konnte, und hatte damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich drehte den Kopf von ihr weg, damit

sie meine Tränen nicht sah. Ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Es konnte nicht sein! Jovito lebte noch und würde auf jeden Fall wiederkommen. Etwas versöhnlicher streckte Marion ihre Hand nach mir aus, um mir aufzuhelfen. Doch ich lehnte ab, indem ich den Kopf senkte und mich mit dem gesamten Körper von ihr wegdrehte. Marion seufzte genervt. "Na gut, heute noch einmal. Aber das ist der letzte Tag und dann ist gut. Klar soweit?". Ich nickte und starrte wieder in Richtung Wald. Und da traute ich meinen Augen kaum.

Kapitel 20

Da stand er. Mit erhobenen Kopf und aufgerichteten Ohren. Sein Schweif wehte sachte im Wind. Ungläubig rieb ich mir die Augen. Immer noch stand er da, sah mich an und schien zu überlegen. Vorsichtig setzte er einen Schritt in meine Richtung. Dann machte Jovito einen Satz nach vorne und galoppierte los. In meinem Kopf waren sämtliche Gefühle erwacht. Depression, Traurigkeit und Sorge wurde von Glück, Freude und Erleichterung ersetzt. Unbewusst liefen mir die Freudentränen über die Wange. Wie in Trance stand ich

vom Boden auf und machte einen Schritt in seine Richtung. Doch dann hielt ich inne. Er sollte zu mir kommen. Es war ganz alleine seine Entscheidung. Ich schloss die Augen, spürte deutlich wie der Boden, aufgrund seiner Hufe, vibrierte. Der Wind, den er durch seine Geschwindigkeit erzeugte. Sein Atem, der schnell ging. Das Gesamtgefühl erzeugte eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper. Ich wollte meine Augen nicht öffnen. Die Angst, dass es nur eine Illusion war, gewann kurz Überhand. Erst als ich merkte, dass er in den Trab verfiel, zwang ich meine Augen, sich zu öffnen. Mein Falbe lief gerade im Schritt auf mich zu und blieb

dann zwei Meter vor mir stehen. Es war eindeutig Jovito, obwohl er fast komplett mit Schlamm bedeckt war. Seine Augen strahlten wieder Zuversicht und Hoffnung aus. Von der Angst war nichts mehr geblieben. "Hanna.", war das Erste, was er zu mir sagte. Er hatte sich sogar meinen Namen gemerkt. In mir explodierte der kleine Funken Hoffnung, der mich die letzten Tage am Leben gehalten hatte, zu einem Freudeninferno. Vorsichtig streckte ich meine Hand nach ihm aus, aber berührte ihn nicht. "Vito.", flüsterte ich zurück. Der Spitzname war mir gerade erst eingefallen. Er hörte sich so ähnlich an

wie Vitus, Leben. Und das war er: Lebendig. Das Pferd zuckte nicht, wie früher, bei meiner Stimme zusammen. Nein, es war ganz anders. Aufmerksam stellte er seine Ohren auf. Langsam lief er dann die restlichen Schritte zwischen ihm und mir und legte seine Schnauze sanft in meine ausgestreckte Hand. Vorsichtig kam jetzt auch ich näher, sodass ich direkt an seinem Kopf stand. Beide Hände hatte ich an seine Wangen gelegt und er ließ es zu, dass ich meine Stirn sanft an seine legte. Eine Weile standen wir so da und keiner von uns wagte es, sich zu rühren. Dann tastete ich vorsichtig weiter, bis meine Hand schließlich an seiner langen Mähne lag

und ich ihn umarmen konnte. Vito ließ das alles zu und ich war so froh, dass ich die Freudentränen nicht zurück halten konnte. So weinte ich leise in sein Fell. Nachdem wir endlich mit unserer Begrüßung fertig waren, schafften wir es auch, langsam in Richtung Stall aufzubrechen. Marion war die ganze Zeit in der Nähe gestanden und hatte uns beobachtet. Sie war sichtlich erstaunt, dass das Pferd doch noch zurück gekommen war. Jetzt wird alles gut, dachte ich und sagte leise zu Vito: "Lass uns nach Hause gehen, Großer." Er folgte mir von alleine, als ich mich in Bewegung setzte. Ein Halfter und Strick

brauchte ich nicht. Nicht mehr. An der Arena angekommen, hielten alle inne und blickten überrascht. Doch mein erster Weg führte zum Waschplatz. "Du siehst aus wie ein Schlammmonster.", lachte ich mein Pferd an. Vito schüttelte sich, sodass die Schlammspritzer nur so durch die Gegend flogen. "Ich weiß.", antwortete er belustigt. Also machte ich mich daran, seine Beine abzuspritzen. Für eine Ganzkörperwäsche war es im Moment zu kalt. "Und jetzt erzähl mal.", begann ich, "Was hast du die letzten drei Tage getrieben?" Vito seufzte kurz, begann dann aber zu erzählen. "Ich war viel unterwegs und habe mit den anderen Pferden geredet. Nachts war ich

immer hier und habe mich nach dir erkundigt. Obwohl ich Angst vor dir hatte, warst du mir dennoch nicht egal. Ich habe gesehen, wie sehr du wegen mir gelitten hast und bei jedem Wetter dasaßt und auf mich gewartet hast. Dies hat auch einen großen Teil meiner Rückkehr ausgemacht. Du warst jemand, dem ich was bedeutete. Jedenfalls hat Morendo mir, unter dem Versprechen, nichts von unseren Unterhaltungen dir weiterzusagen, alles über dich erzählt. Dass du an Vollmond ein Pferd bist, von wem du abstammst und so weiter. Ich habe eingesehen, dass ich falsch auf dich reagiert habe. Dich als Hexe abgestempelt ohne zu

fragen, was du bist. Es tut mir Leid, Hanna." Seine Entschuldigung machte mich erst einmal sprachlos. Klar, er war zu mir zurück gekommen und jetzt hatte ich etwas, worauf ich aufbauen konnte, aber dass er sich für sein Verhalten entschuldigte, hatte ich nicht erwartet. Schließlich konnte er ja nichts dafür. Nachdenklich zupfte ich einen Ast aus seiner Mähne und begann den restlichen Schlamm mit sanften Bürstenstrichen aus seinem Fell zu putzen. Als er schließlich wieder einigermaßen annehmbar war, fiel mir ein, was ich ja komplett vergessen hatte: "Hast du dich eigentlich irgendwo verletzt?", fragte ich

Vito und begutachtete ihn. Auf den ersten Blick sah ich nichts Auffälliges und auch er verneinte. Behutsam fuhr ich alle vier Beine von ihm ab, konnte jedoch nichts entdecken oder fühlen. Erleichtert seufzte ich auf und blickte ihn dann fragend an. "Was willst du jetzt machen?". Demonstrativ gähnte er. "Ich habe in den letzten paar Nächten kein Auge zugetan, ich würde gerne ein bisschen schlafen.", meinte er schläfrig. Also begleitete ich ihn zu seiner Box und setzte mich in die Ecke. Leise murmelte ich ein paar belanglose Dinge, um ihn, wie letztes Mal, an meine Anwesenheit und meine Stimme zu

gewöhnen. Das Pferd legte sich mit einem Stöhnen hin und bettet den Kopf auf meinen Schoß. Ich war ein wenig überrascht, denn er musste mir schon fast vollständig vertrauen, um das zu tun. Aber wahrscheinlich war er einfach zu müde, um das zu realisieren. Dennoch fing ich an, ihm sanft an den Ohren zu massieren und murmelte beruhigend auf ihn ein. Ich erzählte ihm vom Alltag in der Arena, von der Show und von meinem Fanleben davor. Ich merkte erst gar nicht, dass er eingeschlafen war und plötzlich merkte ich, wie ich selbst total müde war. Die letzten Nächte hatte ich vor Sorge und Angst nur schwer überstanden und es tat

gut, von allen Lasten befreit zu sein und nur mein Pferd in den Armen zu halten. Allmählich nickte ich selbst ein. "Hanna! Hanna!", hörte ich eine Stimme neben mir und ich spürte, wie mich jemand sanft schüttelte. Müde schlug ich die Augen auf und noch immer befand ich mich in Jovitos Box. Mein Nacken schmerzte von der unangenehmen Position, in der ich geschlafen hatte. Missmutig begann ich ihn zu reiben, in der Hoffnung, die Verspannung lösen zu können. Dann blickte ich nach rechts, wo eine brünette Milady mit mehr oder weniger blondem Haar kniete. "Hallo, Marion. Was gibt's?", fragte ich leise um Vito

nicht zu wecken, der immer noch mit gleichmäßigem Atem in meinem Schoß schlief. "Es ist schon Abend, Hanna. Hast du eigentlich keinen Hunger oder so? Du hast ja noch gar nichts gegessen... Und außerdem will ich dich ungern die Nacht hier lassen.", erklärte sie genauso leise. "Ist ja gut, Mama.", grummelte ich und schob Vitos Kopf sanft von mir. Das Pferd blinzelte ein wenig und ich drückte ihm noch schnell einen Kuss auf die Stirn. "Bis morgen, Großer.", hauchte ich ihm ins Ohr und stand schwankend auf. Mir schmerzten sämtliche Glieder, aber ich klagte nicht. Dafür war ich zu glücklich. Mein Pferd war wieder da und

ich hatte endlich etwas, worauf ich aufbauen konnte. Mit diesem Glücksgefühl ging ich nach Hause und schlief ein. Am nächsten Morgen besiegte meine Ungeduld über meine Vernunft und ich fuhr schon in aller Hergottsfrühe zur Arena. Ich konnte nicht warten, zu überprüfen ob alles nur ein Traum gewesen war. Unterwegs malte ich mir die schlimmsten Dinge aus, die passiert sein könnten in der Zwischenzeit, in der ich nicht bei meinem Pferd war. Als die Bushaltestelle "Europapark - Hotel Resort" kam und ich aussteigen musste, waren meine Fantasien schon so weit gegangen, dass meine Vernunft auch

schon zu sagen schien, Vitos Rückkehr war nur ein Tagtraum. Mit einem flauen Gefühl im Magen betrat ich schließlich den Stall und mein Herz setzte für einen Moment aus, als ich Vitos goldenen Kopf nicht in seiner Box ausmachen konnte. Vor Schreck blieb ich erst einmal stehen. Aber der Traum hatte sich so verdammt echt angefühlt, murmelte mein Unterbewusstsein und meine Vernunft schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Ich habe es gleich gesagt. Mach dir keine Hoffnungen! Am Ende wirst du eh nur schwer enttäuscht! Vorsichtig setzte ich einen Schritt in Richtung der Box. HALT!,

schrie meine Vernunft. Und mein Unterbewusstsein war einmal mit ihr einverstanden. Du wirst schwer enttäuscht werden, wenn du jetzt in die Box schaust und er nicht da ist. Plötzlich meldete sich da noch jemand. Vielleicht liegt er auch einfach nur am Boden und schläft. Das war meine, optimistisch denkende, rechte Gehirnhälfte. Kurzerhand beschloss ich auf sie zu hören und ging die letzten paar Schritte, die mich noch von der Box trennten. Tief durchatmend warf ich einen Blick in Vitos Box und mein Herz machte einen Freudenhüpfer. Am Boden lag ein gold-schwarzer Fellhaufen, der gerade

den Kopf hob, als er mich hörte. "Guten Morgen, Vito.", flüsterte ich leise und schlüpfte zu ihm in die Box. Der Falbe machte Anstalten sich zu erheben, doch ich schüttelte den Kopf. "Du kannst gerne liegen bleiben. Es ist eh noch viel zu früh.", winkte ich ab und setzte mich zu ihm. "Morgen, Hanna.", antwortete er dann verschlafen und blieb am Boden liegen. Wie am vergangenen Abend begann ich seine Ohren zu massieren und leise mit ihm zu reden. "Wie ist es eigentlich so, mit Pferden reden zu können?", fragte er neugierig und ich begann von Agrento zu erzählen. "Also ich finde es super, aber man muss

wahnsinnig aufpassen, dass keiner dich dabei erwischt. Wenn Menschen etwas merkwürdig vorkommt oder etwas nicht normal ist, dann glauben sie dir nicht sofort oder sagen, du bist verrückt. Agrento, mein Pflegepferd, war am Anfang etwas verwirrt, aber dann fand er es richtig toll. Er konnte mir alles erzählen, egal ob er Schmerzen hatte oder ob ihm einfach nur langweilig war. Das ist nämlich von Vorteil, da muss der Tierarzt nicht jedes Mal antanzen. Du kannst es mir einfach sagen und dann können wir dich ganz genau behandeln. Selbst der beste Tierarzt kann nie mit Sicherheit sagen, was genau dir weh tut. Und außerdem kann man mir sagen,

was einem gefällt und was nicht. Ob man Probleme hat und so. Dementsprechend kann man die Reitstunde gestalten. Wenn Agrento zum Beispiel Lust hatte zu springen, dann sind wir halt über ein paar Hindernisse gejagt. Denke jetzt aber nicht, dass alles nach deiner Pfeife tanzt.", grinste ich, "Ich habe da immer noch ein Wörtchen mitzureden.", endete ich schließlich. Jovitos Augen glänzten freudig. "Klingt super. Das ist ja ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe!" Verwundert hob ich die Augenbrauen. "Was hast du dir denn vorgestellt?" "Naja, eigentlich dachte ich, ihr Menschen macht einfach einen Sattel auf

mich drauf und zeigt mir, wie ich zu gehorchen habe. Und wenn ich das nicht mache, dann bestraft ihr mich. Aber so wie du das erzählst, klingt das super! Ich glaube, ich bin das erste Pferd, das sich auf das Einreiten freut.". Der Falbe wirkte richtig erleichtert. Ich dagegen hatte wütend die Stirn in Falten gelegt. Dachte er so über die Menschen? Woher hatte er das? Jeder, einigermaßen gescheite, Stall, erzog die Pferde zu einem Freund und nicht zu einem Sklaven. Oder irrte ich mich da? Ich wusste es nicht. Stattdessen fragte ich ihn. "Wie kommst du denn darauf? Normalerweise ist das Ziel eine freundschaftliche Beziehung

zwischen Tier und Reiter aufzubauen. Wobei ich nicht weiß, was genau man unter freundschaftlich verstehen kann. Schließlich ist das Tier doch nur in irgendeiner Art und Weise der Sklave. Immerhin muss es den Menschen durch die Gegend tragen. Doch wir Menschen sorgen für das Tier, geben ihm Futter und Wasser und achten darauf, dass es immer genug Abwechslung und eine saubere Umgebung hat.", erklärte ich. Mein Pferd schien nicht überzeugt. "Dort, wo ich herkomme, dort hat man uns geschlagen und so lange durch die Gegend gejagt, bis wir keine Lust mehr hatten und, was auch immer man mit uns machen wollte, geduldet haben.

Manche Pferde sind bis zu drei Stunden durch die Gegend gerannt, bis sie aufgaben und den Sattel angenommen haben. Mit mir ist es nicht ganz so weit gekommen, schließlich wurde ich ja relativ früh verkauft und zu einer ziemlich netten Frau gebracht. Sie hat mir das dann etwas sanfter, aber ähnlich beigebracht, was ich zu machen hatte. Und für mich war das damals ja auch in Ordnung, für mich gab es ja nichts Anderes. Doch dann habe ich dich kennen gelernt und plötzlich hat Reittier-für-Menschen-sein eine völlig neue Bedeutung.", er machte eine kurze Pause, in der er mich erwartungsvoll ansah. Als ich nur vollkommen entsetzt

blickte, sah er entschuldigend zu Boden. "Ich habe wirklich gedacht, das wäre normal.", murmelte er noch leise. "Wo kommst du nochmal her?", fragte ich ruhig, als ich mich wieder gefasst hatte. "Weiß ich nicht genau, es war dort sehr warm und als ich zu Mario gekommen bin, sind wir lange gefahren. Und er hat mich ständig irgendwie als spanisches Pferd vorgestellt.", meinte er. Achso, klar. Jetzt erinnerte ich mich wieder. Er kam aus Spanien. Während wir uns noch ein Weilchen unterhielten, brach der Tag an.

Kapitel 21

Als Erster kam Kevin, der sich zu mir in die Box setzte. Allerdings ziemlich am Rand, denn er wusste, dieser Moment gehörten Jovito und mir. Zuerst sagte ich nichts und kraulte einfach Jovito weiter, der immer noch am Boden lag. "Guten Morgen, Hanna.", meinte er schließlich und ich sah auf. "Morgen, Kev. Was gibt's?", grüßte ich zurück. Seine Augen begannen plötzlich zu strahlen, als er mir von seiner Idee erzählte. "Wir haben vor, heute Morgen einen Ausritt zu machen. Mit so gut wie allen. Marion kommt mit, Ludo, Damien, Karel und ich bis jetzt. Willst du auch

mit?", platzte er heraus und ich sagte natürlich nicht nein. Als ich aufstand, tat Vito es mir gleich. In zwei Sätzen erklärte ich ihm, was wir vorhatten. Der Falbe war sofort begeistert. "Darf ich auch mit? Ich laufe auch ganz brav nebenher und nerve niemanden.". Wenn es bei Pferden so etwas wie einen Hundeblick gab, hätte Jovito dafür jetzt volle Punktzahl bekommen. Lächelnd erbarmte ich mich. "Na gut,", sagte ich zu ihm und zu Kevin, "und welches Pferd soll ich nehmen?". "Bolero, denn Arnaud ist nicht da. Ist das ok für dich?", antwortete er und ich nickte. "Natürlich, ich fange dann mal an, ihn zu richten." Und mit diesen Worten

verließ ich Vito und ging zu Bolero. Mit wenigen Handgriffen richtete ich den hellen Apfelschimmel und ging wieder zu Vito um ihm kurz die Hufe auszukratzen und das Halfter überzuziehen. Auch wenn das Pferd lieber frei rennen wollte, ich musste ihn als Handpferd mitnehmen. Ganz frei konnte ich vor der halben Arena-Crew nicht verantworten. Schließlich verließen wir zu 17. den Hof. Marion und Thorgal, Damien und Irmao, Karel auf Blacos, Kevin auf Jentillo, Ludo und Hidalgo, Julien auf Latoso, Chris und Rango und ich auf Bolero mit Vito. Bolero war ein schneller, wendiger und fast weißer Apfelschimmel. Zwar war er

auch ein Andalusier, allerdings ähnelte er mehr einem Vollblut. Gemeinsam verließen wir schließlich den Hof. Es war ein tolles Gefühl mit der ganzen Gruppe reiten zu gehen. Auch den Pferden gefiel es, sie waren ja schließlich Herdentiere. Vito folgte artig am Führstrick und hielt immer den nötigen, respektvollen Abstand zu Bolero. Als wir schließlich das freie Gelände betraten, klickte ich Vito vom Strick ab und ließ ihn frei neben mir herlaufen. Ludo, der neben mir ritt, hob fragend die Augenbrauen. "Haut er dir nicht ab?". Grinsend schüttelte ich den Kopf. "Aber irgendwie ist das schon leichtsinnig. Gestern erst kam er wieder

und du lässt ihn wieder frei.", das war von Karel. "Nö. Ich bin mir sicher, dass er nicht abhaut. Außerdem wäre er dann schon längst weg.", erklärte ich lächelnd und blickte liebevoll zu meinem Falben. Der sah sich kurz verwirrt um. "Ist hier nicht die Stelle, wo du mich frei gelassen hast?" "Ja, stimmt. Wir sind an der Galoppstrecke.", den zweiten Teil sprach ich laut für alle aus. "Sollen wir?", fragte Chris, der locker, wie ein Westernreiter, im Sattel saß. Er hatte echt dazu gelernt. Ludo lächelte. "Warum nicht!", meinte er und seine Augen bekamen einen fröhlichen Glanz. Eigentlich war er ein fantastischer

Reiter, der niemals unkontrolliert galoppierte. Unter ihm sahen die Pferde immer komplett versammelt aus. Trotzdem liebte er, genauso wie fast jeder Reiter, das Gefühl der Freiheit, des wilden Galopps. "Wer als erstes im Wald ist!", rief ich begeistert und stand schon im leichten Sitz im Sattel. "Du garantiert nicht!", lachte Chris und kurz darauf preschten wir über die Galoppstrecke. Vito ließ es sich nicht nehmen und übernahm schon nach kurzer Zeit die Spitze. Schließlich war er der Jüngste und hatte keinen Reiter auf seinem Rücken. Dicht darauf folgten Bolero und ich, Kevin mit Jentillo und Chris, Kopf an Kopf. Aus

den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass die Anderen es langsamer angehen ließen und zu meinem Überraschen musste ich sogar feststellen, dass Marion ganz hinten war. Doch ich konzentrierte mich schon wieder auf die Strecke und auf mein Pferd. Oh, oh, dachte ich, gleich bist du wieder geistig weg. Ich lächelte. Es war doch viel schöner, sich vollkommen auf das Pferd einzulassen. In meinen Ohren begann es zu rauschen, als der Wind um meine Ohren peitschte. Wie ein Jockey kauerte ich mich im leichten Sitz zusammen, um es Bolero so einfach wie möglich zu machen. Jeden seiner Galoppsprünge federte ich in den Knien

mit und sein Schnauben drang bis in meine Seele ein. Das Pferd unter mir strengte sich mächtig an und es war am Ende doch von Vorteil, dass ich leichter als die Männer war. Langsam, aber sicher zog Bolero an Rango und Jentillo vorbei. Plötzlich gesellte sich ein weiteres Huftrommeln an meine Seite. Jovito rannte Nase an Nase mit Bolero. Mein Pferd sah mich an und was ich kurz in diesen Augen sah, würde ich nie mehr vergessen, das wusste ich. Er blickte mich voller Glück, Freiheit und Dankbarkeit an. Und vor allem leuchteten seine Augen regelrecht vor Freude. Es war nicht mehr der Blick von

seiner Ankunft. Verängstigt und abgestumpft. Nein, es war das Gegenteil. Und plötzlich fühlte ich mich, als würde ich auf Jovito sitzen und nicht auf Bolero. Der weiße Hals von Bolero schimmerte plötzlich golden und die sowieso dunkle Mähne wurde nachtschwarz. Ich schloss die Augen, wo sich das Bild in meiner Netzhaut einbrannte und dort blieb. Das einzige, was ich jetzt spürte, waren die gleichmäßigen, schnellen Galoppsprünge und der Geruch beider Tiere. Hier war ich Zuhause. Auf dem Rücken dieser wilden Tiere. Hier war ich zusammen mit meinem Partner, meinem treuesten Freund. Mein

Pferd. Wenig später parierten wir dann doch durch und ich ritt ein paar Volten im Schritt, damit Bolero sich langsam von seinem Renngalopp beruhigte. Natürlich waren wir die Schnellsten gewesen und kurz nach mir trudelten auch Chris und Kevin ein. Die Anderen waren nicht so wild galoppiert und folgten mit etwas Abstand. Doch Marion konnte ich in der Gruppe nicht ausmachen. Erst als ich die Augen zusammenkniff, sah ich sie im Schritt hinterher trotten. War sie nicht galoppiert? Normalerweise liebte sie den Galopp genauso wie ich. "Ich war übrigens schneller als du!", zog ich Chris grinsend auf, während ich

weiter im Schritt Kreise zog. Es war einfach zu verführerisch, ihn zu necken. Unser alter Battle hing immer noch irgendwo in der Luft, auch wenn wir ihn, seit seinem Unfall mehr oder weniger auf Eis gelegt hatten. "Du hast auch fast das schnellste Pferd aus dem Stall!", versuchte er sich zu verteidigen. "Fast?!", wunderte ich mich. "Der Falbe war schneller. Ich denke, dass wird er auch mit Reiter sein.", erklärte er und betonte Falbe ziemlich abfällig. Wenn Blicke töten könnten, wäre er jetzt tot vom Pferd gefallen. Er wusste genau, dass der Falbe einen Namen hatte. Und damit zog er mich gerade auf. "Er heißt Jovito, nur so nebenbei.", brummelte ich

giftig. Er lachte. "Jaja!" Beleidigt änderte ich mit Bolero die Richtung und ritt von ihm weg. Unterdessen holte uns auch der größte Teil der Gruppe ein. Ludo war mit Hidalgo an der Spitze und drehte sich suchend nach Marion um. Diese war die letzten Meter getrabt und hatte so wenigstens ein bisschen aufgeholt. "Was ist jetzt eigentlich los?", fragte der Arena-Boss. "Er lahmt ein bisschen. Glaube ich zumindest. Jedenfalls stimmt irgendetwas nicht.", meinte Marion und sah an den Vorderbeinen von Thorgal herunter. Ich lenkte Bolero und Vito neben Marion und zusammen ließen wir uns an das

Ende der Gruppe fallen, als sie im Schritt weiterritten. "Was ist los, Thorgal?", fragte ich das Pfers leise. Der blonde Wallach stöhnte nur leise. "Mein Bein tut schon wieder so weh. In letzter Zeit ist das total häufig. Immer wenn ich mein Bein ein bisschen mehr belaste, schmerzt es sofort. Lange Galoppstrecken sind nicht mehr drin. Und das Trickreiten in der Show bekomme ich nur mit zusammengebissenen Zähnen hin.", klagte er. Entsetzt sah ich ihn an. "Warum hast du das nicht früher gesagt?!" "Naja, weil bei Überbelastung mein Bein sowieso immer weh tut. Das war schon immer so. Aber in letzter Zeit

ist es besonders extrem.", murmelte er eingeschüchtert. "Das muss man dringend untersuchen, Thorgal. Das darfst du nicht so auf die leichte Schulter nehmen, denn normal ist das nicht.", tadelte ich. Marion hob die Augenbrauen. "Was hat er?" "Schmerzen bei Überbelastung des Beines. Das heißt, zu wilder Galopp kann er nicht mehr machen, wir müssen da dringend den Tierarzt mal kontaktieren. Das hört sich nämlich gar nicht gut an, zumal er das schon voll lange hat, wie er mir gerade erzählt hat.", erklärte ich. Marion nickte betroffen. "Ja, er lahmt öfters, aber dass es damit zusammenhängt, hätte ich

jetzt nicht gedacht." Wir kamen wieder in Richtung Arena und somit in die Nähe der viel befahrenen Zufahrtsstraße vom Europapark. "Jovito!", rief ich mein Pferd, "Du muss wieder an den Strick. Die Straße lasse ich dich ganz sicher nicht alleine überqueren!" Der Falbe, der etwas abseits über die Wiese getrabt ist, kam zu mir zurück. Ludovic war mittlerweile daran gewöhnt, dass die Pferde immer auf mein Kommando hörten. Trotzdem schüttelte er belustigt den Kopf. "Du weißt gar nicht, wie viel ich dafür geben würde, dass meine Pferde das auch so machen würden." Ich lachte.

"Tja, it's magic." Wenig später waren wir dann wieder in der Arena. Die Pferde waren zufrieden und versorgt und ich hatte auch nicht mehr viel zu tun. Ich würde Jovito jetzt eine Pause gönnen und erst heute Abend weitertrainieren. In der Zwischenzeit beschloss ich meinen Weg wieder zum Globe zu führen. Da heute relativ wenig los war, es regnete schon wieder und der Park hatte an den Gewässern schon mit Überschwemmungen zu kämpfen, begegnete ich unterwegs nicht vielen Leuten. Doch natürlich musste mir genau eine bestimmte Frau wieder über den Weg laufen. Nicole in Begleitung ihres Freundes

Uwe. "Hi.", begrüßte ich sie, als ich an ihr vorbeilief. Sie berührte mich kurz am Arm, um mich aufzuhalten. "Hallo, Hanna. Wie geht's?", versuchte sie mit mir ins Gespräch zu kommen. Auf irgendetwas wollte sie hinaus. Doch zuerst ging ich auf ihre Frage ein. "Gut. Und dir?" Sie lächelte. "Ich denke, ganz gut. Kommste mit ins Kaffi Hús? Dort ist heute das Fantreffen. Von der Facebook Gruppe. Dann können wir uns mal ein bisschen unterhalten und so.", erklärte sie. Ich lächelte. Natürlich kannte ich die Gruppe. Von Fans für Fans des Kaffi Hús. Das war ein Restaurant im isländischen

Themenbereich. Dort gab es Kaffee und Kuchen und was das Herz sonst so begehrte. Also, warum nicht, dachte ich und nickte. "Eigentlich wollte ich ins Globe, Ornella zuhören und so. Aber das kann ich morgen auch noch.", sagte ich. "Na dann, auf geht's." Wenig später saßen wir im gemütlichen Kaffi Hús alle beisammen. Draußen regnete es und innen war es schön trocken und warm. Es war unheimlich gemütlich. Zudem bekamen wir Kaffee spendiert, wobei ich lieber bei einer heißen Schokolade blieb. Ich war kein großer Fan von Kaffee. Ein paar der Anwesenden kannte ich schon von

Facebook. Vor allem die Administratoren der besagten Gruppe, die häufig etwas posteten und ich sie somit öfters auf ihrem Profilbild sah. Ich saß an der Theke und war mit Magdalena, einer der Mitarbeiterinnen ins Gespräch gekommen. Eine Weile unterhielten wir uns über das Kaffi Hús, doch dann schwenkte das Thema zur Arena und irgendwann kamen wir auf das Thema Pferde. Ich erzählte ihr gerade von Vito, als wir von Christophe angesprochen wurden. Er war der Admin der Gruppe. "Du bist doch Hanna, nicht?", fragte er. Ich nickte vorsichtig. "Ja, wieso?" "Ich habe dich erst jetzt entdeckt, aber dahinten sitzen ein paar Arenafans, die

dich schon ein Weilchen im Auge haben und mich geschickt haben, dich anzusprechen. Sie würden alles dafür geben, mal mit dir reden zu können.", grinste er. Lachend rutschte ich vom Barhocker herunter und verabschiedete mich von Magdalena. Dann lief ich zu der Ecke in der ein paar junge Frauen mich voller Begeisterung ansahen. Eine erkannte ich sofort. Es war Alisa, die auch in in meiner Nähe wohnte und genauso alt war wie ich. "Hallo.", grüßte ich grinsend und holte mir einen Stuhl vom Nachbartisch. Ich setzte mich dazu und blickte erwartungsvoll in die Runde. "Was wollt ihr wissen? Ihr platzt ja fast vor Neugier.", grinste ich.

"Alles.", meinte Alisa mit leuchtenden Augen. "Definier 'Alles'", gab ich, immer noch grinsend, zurück. "Gibt es was Neues?", fragte Nicole, die mich immerhin schon am besten aus der Runde kannte. "Lass mich überlegen, aber eigentlich nicht. Ihr habt ja die Videos gesehen, oder? Ach, aber es kann sein, dass ihr Thorgal nicht mehr so viel sehen werdet in der nächsten Zeit. Der Gute hat ein Problem mit seinem Bein. Wahrscheinlich werden wir ihn jetzt die nächsten paar Tage schonen müssen.", fasste ich kurz zusammen. Viel war wirklich nicht passiert. Abgesehen von der Sache mit Vito, aber die ließ ich unter den Tisch fallen. Alles

mussten sie nun wirklich auch nicht wissen. "Oh, das ist aber schade.", entfuhr es Alisa. "Kommt drauf an. Thorgal ist in einem Vollzeitjob. Jeden Tag zwei bis drei Shows, wobei wir wirklich versuchen, jedes Pferd nicht mehr als zwei Shows einzuspannen. Ist es da noch ein Wunder, dass die Pferde irgendwann zusammenklappen? Ich meine, es geht ihnen ja schon gut und so, aber in der Sommersaison, wo sie wirklich in Hochform sein müssen und sich keinen Fehler leisten dürfen... Und dann noch jeden Tag den Lärm des Parks auf ihren empfindlichen Ohren. Also ich weiß ja nicht.", meinte ich

trocken und hatte damit die Stimmung in Sekundenschnelle gesenkt. Einer blonden Frau entfuhr ein leises Oh. Leider wusste ich nicht, wie sie hieß. "Und wie steht's mit Jovito?", fragte Nicole, um die düstere Stimmung aufzulockern. Sie hatte ihn also doch nicht vergessen. "Wunderbar. Das Pferd ist ein echter Traum. Heute Morgen waren wir im Gelände mit der ganzen Gruppe und er ist zuerst als Handpferd mit. Dann habe ich ihn frei gelassen. Und ihr glaubt nicht, wie brav er war. Es war unbeschreiblich schön...", begann ich zu schwärmen, wurde allerdings von Alisa unterbrochen. "Jovito? Ist das der Falbe, der so

verschreckt war? Hast du sein Vertrauen endlich?" Verträumt lächelnd nickte ich. "Genau der, ich habe es endlich geschafft, sein Vertrauen zu gewinnen und glaubt mir, einfach war das nicht. Heute Abend trainiere ich noch ein bisschen mit ihm. In 5 Wochen soll er eingeritten sein. Und im Moment ist er noch fast roh. Das heißt, er ist nur anlongiert, Trense und Sattel kennt er noch nicht. Mario wäre es am liebsten, wenn er in 5 Wochen sogar Trickreiten gehen kann. Ich weiß also nicht, ob ich viel Zeit habe. Aber ich hoffe, ich werde noch ein paar Videos drehen können. Soll ich heute Abend eines vom Training machen?", fragte

ich. Es kam begeistertes Nicken. "Klar, alle deine Videos sind unglaublich super! Noch nie hat jemand so tiefe Einblicke in euren Beruf gewährt. Abgesehen natürlich von Nicole Messer und Fabrice.". Alisas Augen leuchteten. Fabrice war unser Techniker in der Arena. Er sorgte für den passenden Sound während der Show und zeigte gerne mal etwas aus unserem Alltag. Lachend und erzählend verbrachte ich den restlichen Nachmittag noch im Kaffi Hús. Am Abend lief ich schließlich wieder zur Arena und begab mich sofort zu Vitos Box. Der Falbe blickte neugierig.

"Hallo, Hanna. Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.", begrüßte er mich sofort. "Hi, Großer. Nee, weißt du, ich gehe immer ohne mich zu verabschieden.", sagte ich sarkastisch und kam dann auf mein eigentliches Anliegen zurück. "Aber weißt du, eigentlich wollte ich noch ein bisschen mit dir trainieren.", eröffnete ich ihm. Für einen Augenblick, kaum wahrnehmbar, wurde sein Blick wieder verängstigt, doch nur eine Millisekunde später war er wieder voller Vorfreude. "Und was meinst du mit trainieren?", fragte er dann vorsichtig. "Ich habe gehört, du bist schon anlongiert. Eigentlich wollte ich nur mal kurz

schauen, wie weit du damit bist und was du alles schon kennst. Weißt du was eine Trense ist?", fragte ich direkt. Der Falbe schüttelte den Kopf. "Noch nie gehört. Aber vielleicht kenne ich es vom Aussehen. Zeig mal, bitte.", bat er mich und ich holte schnell eine Trense aus der Sattelkammer. Nachdenklich blickte Jovito sich die Trense an. "Habe ich schon einmal gesehen, ja. Aber ohne diese komische Stange da.", meinte er und deutete auf das Gebiss. "Ok, alles klar, das ist ein Gebiss. Aber wir werden das jetzt zuerst ohne machen und dich dann langsam daran gewöhnen.", erklärte ich ihm das Training. Das Pferd nickte

zustimmend. Also holte ich die Kamera, positionierte sie am Rand vom Sandplatz der Arena und holte Vito. Ich hatte ihm eine gebisslose Trense übergezogen. Nur am Halfter wollte ich ihn jetzt auch nicht longieren. Das konnte ich immer noch machen, wenn wir schon etwas weiter waren. Ich schaltete die Kamera ein und sah in die Linse. "Hallo ihr Rocheforts-Reich-Suchtis da draußen vor dem Bildschirm!", begrüßte ich sie grinsend. "Ich werde jetzt das Training mit Vito anfangen und ihr dürft zuschauen. Heute steht ein bisschen longieren an. Leider habe ich nämlich keine Ahnung, was mein Großer drauf hat. Aber das werden

wir jetzt hoffentlich rausfinden." Ich hob die Longierpeitsche vom Boden auf und lief mit Vito in die Mitte der Arena. Die Peitsche hatte ich nur, weil ich Vito nur zeigen wollte, wie man es normal machte. Normale Menschen konnten ja schließlich nicht nur so mit Stimme arbeiten, wie ich es tat. Schließlich war sie doch nicht nötig, wie ich schnell bemerkte. Vito war ein sehr arbeitswilliges Pferd. Er hörte auf jede kleine Geste von mir und war konzentriert bei der Sache. Zuerst ließ ich ihn aber nur Schritt gehen. Sein Schritt war sehr weich. Sein Rücken bewegte sich kaum und doch ging er ordentlich mit weit ausgreifenden

Schritten, die dennoch immer auf der imaginären Linie zu blieben schienen. Mit den Hinterhufen trat er ordentlich unter und seine Hufspuren deuteten auch auf einen absolut reinen Schritt. Ich war hin und weg. Das Pferd hatte allein vom Schritt her verdammt viel Potenzial. Überrascht ließ ich ihn antraben. Hier ging er ebenfalls taktklar und mit leicht federndem Rücken. Der Trab würde wunderbar zum Sitzen sein, dass sah ich schon. Innerlich sah ich mich schon nur noch ohne Sattel reiten. Bei der Vorstellung musste ich grinsen. Auch seine Haltung entsprach der, eines fast perfekten Dressurpferdes. Natürlich hatte er hier und da ein paar

Fehler. Aber er war erst drei! Ich konnte nicht erwarten ein absolut perfektes Pferd zu haben. Das merkte ich auch an seiner Konzentration, mehr als zehn Minuten hielt er nicht konzentriert durch. Dann wurden seine Schritte unklar und er fiel in der Haltung etwas auseinander. Ich merkte das und ließ ihn wieder Schritt gehen. Gespannt sah er mich an, soweit die Ausbinder es zuließen. Diese hatte ich ihm, um ihn einen Gefallen zu tun, verwendet. Die Ausbinder halfen ihm, seine Haltung zu behalten. Es war für Pferde doch irgendwann sehr anstrengend, den Hals gleichmäßig unten zu lassen und den Rücken gewölbt zu

halten. Die Ausbinder waren quasi wie eine Stütze für ihn. Eigentlich sollten Pferde sich nicht zu sehr auf die Ausbinder legen, aber ich ließ ihn das tun. Denn, hey, das Pferd wurde erst in ein paar Wochen vier Jahre alt! "Und?", fragte er schließlich. "Du bist unglaublich, Vito. In dir steckt Potenzial, ich fasse es echt nicht.", schwärmte ich ihm vor. Geschmeichelt senkte dieser den Kopf. "Dankeschön." Ich ließ ihn noch ein bisschen um mich herum laufen, bevor ich schließlich die Trense löste und ihn abgurtete. Danach stand das Pferd völlig frei neben mir und genoss es, wie ich ihn sanft kraulte. Inzwischen war Ludo zu uns

gestoßen und beobachtete unser Training. Anscheinend wollte sich der Arena-Boss selbst ein Bild von Vitos Talent machen. "Kennst du den spanischen Schritt, Vito?", fragte ich mein Pferd und dieser schüttelte den Kopf. "Ok, du musst einfach nur deine Vorderbeine bei jedem Schritt etwas weiter nach oben und vorne strecken, verstehst du?", versuchte ich es ihm zu erklären. "Nee, nicht ganz, aber ich probiere es mal.", antwortete der Falbe und begann vorsichtig loszulaufen. Er machte es nicht ganz richtig. Er hob sein Bein nur etwas weiter nach oben anstatt es noch nach vorne zu strecken. Außerdem

verhaspelte er sich ständig mit den Beinen und das sah nicht ganz so aus, wie es sollte. Lachend winkte ich ab. "Lass, mal. Ich zeig es dir." Grinsend stellte ich mich neben ihn. "Mach das Gleiche wie ich, ok?", wies ich ihn an. Zuerst hob ich mein Bein angewinkelt nach oben, im rechten Winkel zu meinem Oberkörper. Vito verfolgte meine Bewegung genau und hob ebenfalls sein Bein nach oben. Anschließend streckte ich mein Bein nach vorne, immer noch im rechten Winkel zu meinem Bauch. Vito tat es ebenfalls. "Das ist der spanische Gruß. Das ist also fast wie der spanische Schritt, nur ohne Bewegung.", erklärte

ich und das Pferd nickte konzentriert. Anschließend setzte ich mein Bein wieder, etwas weiter vorne als die Ausgangsposition, ab und tat es mit dem anderen Bein genauso. Vito nickte begeistert, er hatte es verstanden. Im spanischen Schritt lief er neben mir her, aber trotzdem schaffte er es nicht ganz. Immer wieder machte er sich einen Knoten in die Beine oder vergaß ein Bein hochzuheben. Lächelnd hörte ich nach 10 Minuten auf. Vito fiel es wirklich schwer, sich so lange zu konzentrieren, auch wenn er für mich alles gab. "So, das reicht für heute", sagte ich zu Ludo und der Kamera und schaltete Letztere aus. "Weißt du, wie

lange ich gebraucht habe, um das meinem Pferd beizubringen? Und dein Pferd macht das nach fünf Minuten! Wie machst du das?", fragte er verwundert. Ich lächelte wissend und brachte Vito zurück in seine Box. "Gute Nacht, Süßer. Hab dich lieb.", flüsterte ich ihm zum Abschied ins Ohr und fing an, meine Sachen zu packen. Ludo war mir gefolgt und lehnte jetzt an Boleros Box. "Kommst du morgen?", fragte er und ich nickte. "Natürlich. Mein Pferd bewegt sich schließlich nicht von alleine. Wieso eigentlich? Gibt's was Wichtiges?" Ludo stieß sich von der Box ab und kam langsam auf mich zu. "Ja, der Tierarzt

kommt morgen früh. Laut Impfpass hat Vito noch nicht alle Impfungen, die wollen wir morgen nachholen. Vielleicht wäre es ja ganz passend, wenn du dabei wärst.", erklärte er. "Ok, alles klar. Bis morgen, ich gehe jetzt.", verabschiedete ich mich und Ludo brummte mit seiner tiefen Stimme ein "Salut".

Kapitel 22

Als ich am nächsten Morgen gerade gehen wollte, hielt mich meine Mutter auf. "Gehst du wieder zur Arena?", fragte sie leicht säuerlich. "Ja, der Tierarzt kommt und ich sollte dabei sein, wenn er mein Pferd impft.", erklärte ich, während ich meine Schuhe band. "Dein Pferd?!", fragte meine Mutter verwundert. Ups, das hatte ich ja noch gar nicht erzählt. "Ja, er heißt Vito und ist-", weiter kam ich nicht. "DU HAST EIN PFERD GEKAUFT UND ICH, ALS DEINE MUTTER, WEISS NICHTS DAVON?!", rastete sie aus. Kleinlaut duckte ich mich ein wenig.

"Äh, ja. Naja, er gehört Mario, aber ich habe volle Verantwortung für ihn.", versuchte ich zu erklären. "Du könntest mal mehr mit uns machen. Immerhin sind wir deine Familie. Es fehlt ja nur noch, dass du dort einziehst. In letzter Zeit hast du kaum ein Wort mit uns gewechselt. Du bist nur noch hier zum schlafen, ist dir das eigentlich nicht aufgefallen. Immerhin haben wir noch dein Sorgerecht, vergiss das nicht. Du bist noch keine 18!", fuhr sie mich weiter an. Oh, ja. Verdammt. Vielleicht war ich doch ein wenig zu oft in der Arena gewesen. "Naja. Ich liebe die Arena, das weißt du. Nach den Sommerferien nehme

ich mir mehr Zeit für euch, aber im Moment ist das echt schwer. Ich muss das Pferd einreiten und trainieren. Außerdem sind meine gesamten Freunde dort. Aber ihr könnt ja mal vorbei schauen.", grinste ich frech. "So nicht, Fräulein! Morgen bleibst du hier und unternimmst etwas mit uns, verstanden!", erklärte sie mir ihr letztes Wort. Kleinlaut nickte ich. "Ok. Alles klar.", murmelte ich und lief schnelle die Haustüre hinaus und ließ sie hinter mir zufallen. Manchmal färbte das französische Temperament doch von meinem Vater ab. Eine Stunde Zug- und Busfahrt später stand ich wieder da, wo ich hingehörte.

Die Tierärztin war schon da und gab Hidalgo irgendwelche Spritzen in den Hals. Ich halfterte Vito auf und begann ihn ein wenig auf dem Hof herumzuführen. Der Falbe war noch nicht ganz wach, obwohl es für Pferde eigentlich schon lange Tag war. Müde trottete er hinter mir her. "Hast du heute Nacht nicht gut geschlafen?", fragte ich ihn besorgt. "Doch, schon. Aber es ist definitiv noch zu früh. Die anderen Pferde sind ja richtige Frühaufsteher!", brummelte er und gähnte. "Bist du noch so jung, dass du noch so viel Schlaf brauchst?", fragte ich grinsend, wohl wissend, dass Pferde mit spätestens zwei Jahren eigentlich schon einen

Schlafrhythmus eines erwachsenen Pferdes hatten. "Lass mich. Ich bin halt ein Langschläfer!", protestierte er und schlug ärgerlich mit dem Schweif. Lachend kraulte ich ihn am Mähnenkamm und führte ihn zur Tierärztin, die gerade mit Hidalgo fertig war. Die brünette Frau reichte mir die Hand. "Hallo, also ich bin Sabine, die Tierärztin hier. Wer ist denn der Schöne?", fragte sie und nickte zu Vito. "Das ist Jovito, mein dreijähriger Andalusierhengst.", erklärte ich und die junge Frau nickte. Sie nahm ein kleines Heft, auf dem groß "Jovito" stand und blätterte es durch. "Ok, er bekommt eine Tetanus Auffrischung und einmal

Tollwut. Ist er brav bei Spritzen oder hat er was dagegen?", fragte sie. "Hast du Angst vor Spritzen?", fragte ich Vito und dieser blickte das spitze Teil in der Hand der Ärztin nachdenklich an. "Eigentlich nicht, nein.", meinte er und ich wiederholte es für sie. Sicherheitshalber nahm ich den Strick etwas kürzer, doch Vito war echt brav. Er zuckte zwar kurz zusammen, als die Spritze seine Haut durchbrach und schielte misstrauisch zu seinem Hals, war aber bei der zweiten Spritze absolut brav. Lächelnd lobte ich ihn. "Sehr gut, Großer. Dann ist ja alles schon vorbei.", lächelte ich und führte ihn zurück zu seiner

Box. Nach Vito war Thorgal dran. Er bekam ebenfalls ein paar Impfungen und Marion wollte ihn schon wieder in seine Box bringen, als ich sie aufhielt. "Moment, können wir noch kurz sein Bein röntgen? Bei hoher Belastung, sprich schnellem Galopp und Trickreiten, fängt er an zu lahmen.", fragte ich und die Ärztin nickte. "Natürlich, wo soll's denn sein?" "Das ist unterschiedlich, aber meistens vorne links.", meinte Marion und hielt Thorgal fest, der neugierig das tragbare Röntgengerät beäugte. "Ok, wir schauen uns mal alles an." Die Ärztin stellte es das grüne Teil zwischen seine

Vorderbeine und fuhr den angeschlossenen Computer hoch. Kurz darauf hatte sie das Bild und gespannt sahen Marion und ich mit darauf. Allerdings konnte ich nichts Sonderbares erkennen. Die Frau dafür schon. Sie schüttelte den Kopf. "Rein theoretisch müsste ich gar nicht weiter röntgen. Allerdings muss ich wissen, ob er das an allen Beinen hat. Aber ich denke nicht, so ausgeprägt ist es jetzt auch wieder nicht.", erklärte sie. "Was hat er denn überhaupt?", fragte Marion neugierig. "Osteoporose. Knochenschwund. Aber erst im Anfangsstadium, das heißt, es ist gut zu behandeln, doch Trickreiten könnt ihr

jetzt vergessen, das wisst ihr, oder? Mich wundert's, dass sein Bein da noch nicht gebrochen ist.", murmelte sie. Marion wurde schlagartig weiß. Sie wandte sich ab und verschwand im Stall. Ihre Miene war versteinert und kalt. Auch ich begann zu verstehen. Wenn Thorgal nicht mehr im Trickreiten gehen konnte, konnte er nicht hier bleiben. Und für Mario war er dann auch Nutzlos. Oh. Mein. Gott. Langsam dämmerte es mir. Wir mussten Thorgal weggeben. In dem Augenblick wurde mir ganz kalt. Thorgal gehörte einfach dazu. Ich konnte mir keine Arena ohne den hübschen Cremello vorstellen. Er war

alles für Marion. "Können wir das nicht mit Medikamenten behandeln?", fragte ich vorsichtig. Die Tierärztin zuckte mit den Schultern. "Eigentlich ja schon, aber Trickreiten könnt ihr echt vergessen." Ich zuckte zusammen. Nein, das durfte nicht sein. "Können wir ihn trotzdem noch ein Weilchen behalten?", fragte ich, hoffnungsvoll. "Naja. Auf ein paar Wochen mehr oder weniger kommt es jetzt eigentlich auch nicht an. So schlimm sieht es jetzt auch nicht aus. Aber macht in Zukunft langsam, ok? Vielleicht keine drei Shows mehr am Tag mit ihm und im unebenen Gelände muss es sowieso nicht sein, alles klar?", ihre Stimme klang mitleidig. Besser als

nichts. Immerhin. Langsam nickte ich. "Also gut, ich verschreibe euch ein Medikament, das hilft den Knochenschwund immerhin ein bisschen zu stoppen.", meinte sie und damit war für sie diese Sitzung beendet. Doch für uns war es das noch lange nicht. Schweigend führte ich Thorgal zu seiner Box zurück. Dieser wurde inzwischen immer aufgeregter. "Was ist jetzt mit mir los? Sag schon", nervte er mich die ganze Zeit. Aber ich konnte es nicht sagen. Ich konnte es nicht aussprechen. Er musste gehen. Meine tolle Ich-hab-ein-Pferd Wunderwelt wurde von diesen dunklen Schatten überlagert. Thorgal stand aufgedreht in

seiner Box, er wollte es immer noch wissen. Doch ich musste mich zuerst um Marion kümmern. Ich wollte jetzt überhaupt nicht in ihrer Haut stecken, ich wusste genau, was Verlust war. Immerhin war ich diejenige, die nicht fähig war zu lieben. Und genau deshalb brauchte sie jetzt eine Schulter zum Anlehnen. Ich fand sie in der hintersten Ecke der Arena. Sie saß im Schatten unter der Treppe und hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Ohne ein Wort setzte ich mich neben sie und nahm sie in den Arm. Worte waren jetzt völlig überflüssig. Es gab nicht einmal mehr Hoffnung, so wie bei mir, als Vito

verschwunden war. Sie hatte nichts mehr, woran sie sich klammern konnte. Ihr Pferd war weg. Ihr Lebensinhalt. Klar, sie war Stuntfrau, sie hatte schon viele Pferde in ihrer Karriere gehabt, doch an Thorgal hing sie besonders. Denn er mochte sie ebenfalls sehr. Und das gab es bei Pferden nicht so oft. Sie kannten zwar so etwas wie Freundschaft, wie im menschlichen Sinne, aber man konnte es nicht damit vergleichen. Pferde waren nämlich nicht so leichtgläubig wie Menschen. Pferde hängten ihr Herz erst an eine Person, wenn sie sich todsicher sind, dass sie ihr vertrauen können und was der Mensch von ihnen will. Zumindest

Letzeres war manchmal sehr schwer für Pferde rauszufinden. Und wenn es ein Band zwischen Pferden und Menschen gab, dann war es sehr stark. Für Mensch wie für Pferd. Marion hatte sich an mich gelehnt und starrte traurig in die Leere. Ihr Blick schien Löcher in die Wand, uns gegenüber, zu bohren. "Was soll ich bloß ohne ihn machen, Hanna?", murmelte sie leise. "Noch haben wir Zeit mit ihm, Marion. Und die gilt es zu genießen. Lebe für den Tag, sonst verpasst du noch so viel schöne Zeit mit ihm.", versuchte ich sie aufzumuntern. Marion antwortete nicht. Ihr Blick war absolut leer und emotionslos. Es tat mir

selbst weh, sie so zu sehen. "Soll ich es Thorgal sagen?", fragte ich schließlich leise und sah Marion fragend an. Sie nickte mechanisch, doch seelisch war sie nicht wirklich hier. "Komm.", murmelte ich sanft und zog sie sanft hoch. Wie in Trance folgte sie mir und wäre ich nicht so geduldig und verständnisvoll gewesen, hätte ich ihr schon längst eine saftige Ohrfeige verpasst, damit sie endlich aufwachte. Aber ich verstand sie. Vor Thorgals Box wollte Marion wieder gehen, die Augen tränengefüllt, doch ich hielt sie fest. Thorgal sah nachdenklich von ihr zu mir und wieder zurück. "Was ist los?", fragte er vorsichtig, ängstlich

vor der Antwort. Ich atmete einmal tief durch, bevor ich es ihm sagte. "Du musst gehen, Thorgal. Du hast eine schlimme Krankheit, bis Ende der Sommerferien musst du weg. Es tut mir so leid.", flüsterte ich und hasste dabei jedes einzelne Wort, was ich aussprechen musste. Entsetzt sah er mich an. "Nein.", murmelte er, "Das kann nicht sein. Mir geht's doch vollkommen gut, es ist alles gut. Ich kann hier bleiben. Ich werde die Zähne zusammenbeißen, wenn mein Bein wieder wehtut. Ich mache alles, aber bitte, lasst mich hier.", flehte er mit einem Ausdruck in den Augen, den ich nicht deuten

konnte. "Deine Knochen bauen sich ab, Thorgal. Das kann man nicht heilen. Wir würden dich nur umbringen, wenn wir dich länger hierlassen würden. Aber glaube mir, Marion geht es mit dieser Vorstellung auch nicht gut. Es ist das Beste für dich, Thorgal. Du wirst jetzt Medikamente bekommen, damit wir deinen Fortgang länger heraus zögern können. Und du musst viel Calcium zu dir nehmen, damit deine Knochen sich stärken." Doch Thorgal wollte mir nicht glauben. Er warf den Kopf nach hinten und seine blonde Mähne peitschte nur so durch die Gegend als er begann, sich mächtig

aufzuregen. "Ich bleibe hier! Ihr könnt mich nicht einfach wegbringen! Ich werde mich weigern und keinen Schritt vom Hof machen!", schrie er schon fast vor Verzweiflung. Meine Augen wurden nun auch feucht. Dass ein Pferd selbst so sehr an der Arena hing, hatte ich nicht gedacht. Leise erklärte ich Marion, was Thorgal gesagt hatte und ging, um die Beiden alleinzulassen. Mein Weg führte mich zu Vito. Es war unfair, das wusste ich. Es konnte doch nicht sein, dass ich jetzt mit meinem eigenen Pferd so glücklich war und Marion zur selben Zeit so leiden

musste. Still setzte ich mich zu ihm in die Box und Vito kam sofort zu mir. "Alles klar?", fragte er mich besorgt. Stumm schüttelte ich den Kopf. "Thorgal muss uns verlassen.", sagte ich trocken. "Oh.", machte Vito nur. Er kannte Thorgal noch nicht so gut. Leise seufzte ich, stand dann wieder auf und machte mich daran, ihn zu putzen. Der Goldfalbe stand absolut ruhig da und döste vor sich hin. Er genoss es richtig, wie ich mit sanften Strichen über sein glänzendes Fell bürstete. Als ich endlich ausgeglichen genug war, um den Verlust von Thorgal nicht versehentlich in das Training einzubauen,

begann ich, Vito zu satteln. Ich tat es nur, damit das Pferd sich an das merkwürdige, harte Teil, wie er es nannte, zu gewöhnen. Zuerst sah er mich ängstlich an, doch als ich ihm ausführlich erklärte, was ein Sattel ist, gab er Ruhe. Vorsichtig legte ich den Sattel schließlich auf seinen Rücken. Vito beäugte ihn neugierig, aber auch ängstlich. "Keine Sorge, Großer, ich werde ihn noch nicht festmachen. Es geht nur darum, dass du dich daran gewöhnst.", entschied ich mich schließlich um und kraulte ihm beruhigend den Hals. Der Sattel von Hidalgo passte ihm sowieso nicht so

richtig. Arnaud musste meinen Hengst dringend vermessen, um ihm einen eigenen zu machen. Oder Ludovic. Der machte zwar nur leidenschaftlich gerne Kopfstücke, konnte mein Pferd aber trotzdem vermessen. Und Sattler hatten sie alle gelernt. Es gehörte zu der Ausbildung eines Stuntreiters dazu. Irgendwann würde ich es auch noch lernen müssen, das wusste ich. Schließlich führte ich mein Pferd an der Longe in die Arena, weil da einfach mehr Platz war, als auf dem kleinen Sandplatz, den ich sonst als benutzte. Er hatte jetzt einen Longiergurt drauf, denn den kannte er schon besser als den Sattel, hatte ich festgestellt. Ich

longierte Vito ein Weilchen ausgebunden bis ich von Ludo, mal wieder auf dem Sandmobil, hinaus gescheucht wurde. "Gleich ist wieder eine Show!", rief er mir zu und ich verlegte meine Arbeit ins Gelände. Immer noch mit Longiergurt, aber die Ausbinder baumelten nur locker an der Seite, begann ich ein wenig mit ihm spazieren zu gehen. Vito war im Gelände nun deutlich ruhiger als früher. Er erschrak sich wirklich kein einziges Mal und ich war mächtig stolz auf ihn. Als ich wieder kam, war die Show kurz vor dem Ende und sobald alle Reiter und Pferde aus der Arena draußen waren, kam ich hinein. Mein Falbe sollte so früh

wie möglich an die Menschen gewöhnt werden. Kaum sah Vito die ganzen Menschen, wurde er nervös. "Keine Angst, Großer.", lächelte ich, "Die kommen nicht zu dir hinunter. Außerdem, sie verlassen doch alle die Arena, oder nicht?", grinste ich. Langsam nickte mein Hengst. "Ja, schon. Trotzdem sind es viele Menschen...", murmelte er und schaute ängstlich in alle Richtungen. Seine Ohren waren komplett aufgerichtet und seinen Kopf hatte er in die Höhe gestreckt. Lächelnd lehnte ich mich ein bisschen an ihn und sah zu, wie, vor allem kleine Kinder, mich ehrfürchtig

ansahen. Plötzlich machte ich rötliche Haare aus, die Nicole gehörten. Die Showfotografin winkte mir grinsend zu. Ich kam näher an den Zaun, der mich von den Zuschauern trennte. "Hallo.", lächelte sie mich an. Ich lächelte zurück und sah sie fragend an. "Dein Blick sagt mir schon wieder, dass du auch Bilder von jedem neuen Pferd aus der Arena haben willst.", grinste ich und Nicole nickte bestätigend. "Hast du Zeit?", fragte sie zuerst und ich nickte. "Ja, denke schon. Haben wir Zeit, Vito?", fragte ich mein Pferd grinsend. Er nickte und ich tat es ihm gleich. Nicole lachte und schüttelte den Kopf. Dann holte sie ihre Kamera

heraus und schoss ein paar Fotos von mir und Jovito. Nach ein paar Minuten, Nicole hatte selbst nicht allzu viel Zeit, war das kurze Shooting beendet und ich übte noch ein bisschen spanischen Schritt mit Vito. Der Falbe wurde wirklich immer besser. Anschließend zeigte ich ihm das Hinlegen. Vito gefiel es und er vertraute mir mittlerweile auch recht gut, um solche Sache für mich zu tun. Lachend spielte ich mit ihm, wie er so am Boden lag. Lief um ihn herum und legte mich überall auf ihn drauf und neben ihn. Jovito fand das ziemlich lustig und am Ende lagen wir beide lachend im Sand.

"Du kannst dich echt nicht konzentrieren!", grinste ich und kraulte ihn ein wenig. Anschließend versorgte ich ihn und musste mit Überraschen feststellen, dass mit Jovito die Zeit viel zu schnell verging. Also ging ich wiederwillig nach Hause.

Kapitel 23

Der nächste Tag war der reinste Horror für mich, ich wusste zwar, dass Ludo sich um Jovito kümmern würde, aber trotzdem war es nicht so toll für mich, ihn einen ganzen Tag lang nicht sehen zu können. Ich saß wie auf heißen Kohlen und nervte meine Eltern damit so extrem, dass sie aufgaben, mit mir zu reden und es zu bereuen begannen, mich von der Arena abgehalten zu haben. Aber sie waren ja auch selber schuld, dachte ich mir grimmig. Am Abend ging ich früh ins Bett. Damit ich das letzte bisschen Zeit zwischen mir und der Arena auch noch tot geschlagen

bekam. Kaum war ich am nächsten Tag wieder in der Arena angekommen, stürmte ich auch gleich zu Jovitos Box. Mein Gott, du bist ja regelrecht süchtig nach deinem Pferd und der Arena, fuhr es mir durch den Kopf und ich grinste bei dem Gedanken. Mein Goldfalbe stand in wie gewohnt in seiner Box und fraß Heu. Als ich kam warf er vor Freude den Kopf hoch und das Heu wurde plötzlich nebensächlich. Das war, für ein Pferd, schon irgendwo ungewöhnlich. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, bei mir vermenschlichten sich die Pferde und das Gefühl der Freundschaft zu dem Pferd bekam eine

ganz andere Bedeutung. Wie immer, wenn ich das Pferd sah, musste ich lächeln und ein Glücksgefühl durchströmte mich. Ich ging zu ihm in die Box und kraulte ihn, zur Begrüßung, am Hals. "Guten Morgen, Großer.", begrüßte ich ihn lächelnd. "Hallo, Kleine.", kam es von ihm zurück. "Hey! Ich bin nicht klein!", beschwerte ich mich halbherzig. Jovito konnte man einfach nicht böse sein. "Du nennst mich auch immer Großer, dann bist du ja wohl mein passendes Gegenstück.", sein Ton klang belustigt. "Habe ich gestern etwas verpasst?", fragte ich schließlich neugierig, aber Vito schüttelte seinen

Kopf. "Nein, abgesehen davon, dass ein Mann da war, dem sie alles gezeigt hatten und der anscheinend nur als Vertretung hier sein soll, hat Hidalgo erzählt. Ich habe keine Ahnung wie er hieß.", meinte mein Hengst und senkte seinen Kopf wieder zu dem Heu. Neugierig geworden setzte ich mich neben sein Heu und fragte weiter. "Und was hat Ludovic mit dir gestern gemacht?" "Meinst du den riesigen Mann mit den braunen Haaren, der gestern gemeint hat, er muss mich durch die Arena jagen?", fragte er und sah leicht verärgert aus. "Jap, genau. Wieso? Hat er was Schlimmes gemacht?", fragte ich besorgt. "Nein,

aber ich hatte keine Lust auf Bewegung und habe ihn ein bisschen geärgert.", antwortete er und schlug mit dem Schweif, als müsste er eine lästige Fliege verscheuchen. Ich versuchte meinen Hengst böse anzuschauen, was mir aber kaum gelang. Es ging nicht, ich konnte ihm nicht böse sein. Frustrierend. "Was genau hast du gemacht?", mit zusammengekniffen Augen sah ich ihn an. "Nur ein bisschen nach ihm gegiftet und mal kurz drohend das Bein in seine Richtung gehoben. Nichts Schlimmes.", antwortete er trocken. "Och, Vito. Musste das sein? Er ist der Chef hier, du solltest ihn respektieren und nicht nur

das machen, was ich will. Du musst ja nicht ständig brav sein, aber du könntest wenigstens ein paar gute Manieren haben!", brummelte ich, leicht wütend. Aber wie gesagt, dem treuen Blick aus den schwarzen Augen konnte man nicht lange Böse sein. "Ist ja gu-", setzte er an, wurde aber von Louisa unterbrochen. "Guten Morgen, Hanna. Wie geht's?", begrüßte sie mich und ich stand auf, um auch sie zu begrüßen. Nachdem wir uns die Wangenküsschen gegeben hatten, antwortete ich ihr. "Ganz gut und dir? Gibt's bei euch was Neues?". Lou zuckte mit den Schultern. "Alles wie üblich. Wir haben Ersatz für Damien

besorgt, da er ja eine Zerrung am Fuß hat. Vielleicht kennst du ja Fred, er macht die Musik für unsere Show.", erklärte sie und meine Augen wurden groß. "Der Frédéric Laforêt?! Mein Lieblingskomponist?!", fragte ich und meine Augen wurden noch größer. Lou lachte. "Genau, der. Über den hatten wir es ja auch auf der Fahrt nach Kaltenberg." "Wo ist er? Ich muss ihn kennenlernen!", rief ich und riss im selben Moment die Boxentür so schnell auf, dass Vito einen Satz nach hinten machte. "Musst du mich so erschrecken?", brummelte er, doch ich beachtete ihn nicht. "Irgendwo dahinten.", meinte Lou und

wedelte mit der Hand in Richtung Eingang. Sofort stürmte ich los, als hätte ein "normaler" Teenager Justin Bieber entdeckt. Ob dieser allerdings von ihm davon rannte oder zu ihm hin, war so eine Sache, dachte ich grinsend. Doch weit kam ich nicht, denn ich rannte mit voller Geschwindigkeit in Ludovic hinein. "Hey, hey, hey!", machte dieser, "Wo willst du denn so eilig hin?" Ich wollte ihn zur Seite schieben, doch gegen den muskulösen Hünen hatte ich keine Chance. "Fred.", japste ich schließlich, denn von dem kurzen Schnellsprint war ich ganz außer Atem. Wo war denn nur meine Kondition hin, wenn man sie

brauchte? "Mach mal langsam, Hanna. Fred ist ein sehr ruhiger Typ, er hat es nicht gern, wenn er überfallen wird.", tadelte Ludo und sah mich mit zusammen gekniffenen Augen an. Bettelnd sah ich zurück. "Ich mach auch langsam, ok?" Ludo seufzte genervt. "Lass mich ihn wenigstens vorwarnen. Du bist echt der schlimmste Wirbelwind, den ich je getroffen habe. Warte hier." Damit marschierte er davon und ich sah ihm sehnsüchtig hinterher. Unruhig verlagerte ich mein Gewicht von einem Bein auf das Andere und starrte in die Richtung, in der er verschwunden war. Fred war ein Komponist. Und dazu noch unheimlich

begabt in seinem Bereich. Seine Musik stellte sogar die von Two Steps from Hell in seinen Schatten. Klar, Two Steps from Hell waren auch sehr gut, aber nach dem x-ten Mal hören waren sie irgendwie langweilig und das war etwas, was Freds Musik, in meinen Augen, auszeichnete. Ihn fand ich selbst nach dem 100. Mal Hören noch nicht langweilig. Immer wieder fragte ich mich, wie er überhaupt auf solche Ideen kam. Denn seine Komposititonen erzählten Geschichten, die ganze Bücher füllen könnten, und dennoch in Stücke gepackt werden konnten, die nur sechs Minuten dauerten. Seit ich das erste Mal seine Musik gehört

hatte, war ich von dieser Musik gefesselt. Selbst Eliza, die oft mit mir in der Arena war, damals, als wir noch nicht unsere Jobs hatten, konnte mich nicht verstehen. Aber sie musste es auch nicht. Denn die Musik berührte einen erst, wenn man die Gefühle und die Geschichte dazu im Kopf hat. Das passiert meistens in Sekundenschnelle in einem Kopf und man merkt es gar nicht, doch bei Fred war das damals nicht ganz so. Seine Musik hatte so viele unterschiedliche Facetten, dass ich mich gar nicht satt hören konnte und wie gesagt, ein Musikstück von ihm konnte so viele Geschichten enthalten, dass man gar nicht wusste, wohin damit.

Ja, diese Musik hatte mich inspiriert. Seitdem ich das wusste, wollte ich ihn unbedingt mal kennen lernen. Den Mann kennenlernen, der so etwas auf die Reihe brachte. Und jetzt war es endlich soweit, denn Ludo kam gerade wieder in mein Sichtfeld. Im Schlepptau hatte er Fred. Dieser grinste wissend, als er sah, wie aufgeregt ich war. Ludo deutete schließlich auf mich. "Das ist Hanna, sie ist ein großer Fan von dir.", erklärte er lächelnd. Fred nickte und stellte sich ebenfalls vor, obwohl wir beide wussten, dass ich weiß, wer er war. "Also ich bin Fred.", meinte er, die Hände locker in den Hosentaschen, den Kopf gesenkt. Er war extrem

schüchtern, das konnte ich ihm ansehen. Wenn Ludo ihn nicht geholt hätte, hätte er wohl einen Bogen um mich gemacht. Seine braunen Haare hatte er größtenteils unter einer dunklen Cap versteckt, die er fast bis über seine stahlblauen Augen gezogen hatte. Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, dass er vor mir stand. Zuerst wusste ich allerdings nicht, was ich sagen sollte und so beließ ich es bei einem einfachen: "Und ich bin die, die deine Musik liebt." Zum ersten Mal sah er mich richtig an, dann grinste er. "Wie alt bist du?", fragte er, nun neugierig. "Siebzehn. Aber das ist noch lange kein Grund, deine Musik nicht zu mögen.",

wiedersprach ich gleich, denn ich konnte mir denken, was er gerade dachte. Denn in den Köpfen der meisten älteren Leute war meine Generation sehr klischeehaft. Jeder in meinem Alter soll angeblich Rap hören, sich lässig kleiden, nur noch am Handy oder Computer sitzen, rauchen oder Drogen nehmen und nichts für die Schule machen. Ok, es gab solche Leute und die kannte ich auch gut genug, dennoch waren sie eher in der Unterzahl. Dabei sollte Fred es eigentlich wissen. Mit 48 Jahren war er durchaus noch jung. "Es freut mich, dass du meine Musik magst.", sagte er schließlich. "Du hast auch echt total Talent. Aber eine kleine

Frage hätte ich da: Wie kommst du darauf? Es gibt ja so viele Melodien auf dieser Welt, wie erfindest du da wieder eine neue? So viele Töne gibt es ja letztenendes doch nicht, oder doch?", fragte ich schließlich, was mir schon seit Jahren auf dem Herzen lag. "Das ist eine lange Geschichte, komm, setzten wir uns irgendwo hin.", schlug er vor und wir setzten uns auf die Holzbank. Anschließend begann er zu erzählen. Gespannt lauschte ich ihm und hin und wieder machte er eine Pause, um einen tiefen Zug an seiner selbstgedrehten Zigarette zu nehmen. Mir kam das gerade Recht, denn ich brauchte Zeit um die neuen Informationen zu verarbeiten.

Wie seine Kompositionen, dachte ich. Man muss Zeit investieren, um sie zu verstehen. Wir saßen lange da, um genau zu sein, zwei Stunden und unterhielten uns. Ich merkte gar nicht, wie die Zeit verging, Fred war eigentlich nicht der gesprächige Typ, aber wenn wir uns über Musik unterhielten, vor allem über seine, blühte er regelrecht auf. Gespannt lauschte ich ihm und war wie gefesselt. Er war wie seine Musik. Schließlich mussten wir doch aufhören zu reden, denn er musste sich für die Show richten und ich musste Vito noch bewegen. Erst wollte ich ihn longieren, doch dann entschied ich mich um und

ließ ihn über Trabstangen und kleine Hindernisse frei springen. Eigentlich waren Andalusier ja keine Springpferde, aber höher als 50 Zentimeter ließ ich ihn auch nicht springen. Obwohl Andalusier auch daraufhin trainiert werden konnten. Einige springende Spanier gab es schon, aber von Natur aus waren es eher Barockpferde. Jedenfalls förderte dies seine Beweglichkeit. Als wir nach dem Training wieder ein bisschen herumalberten, ließ ich ihn aufrecht hinliegen und schwang ein Bein über sein Rücken. Vorsichtig ließ ich mich dann auf seinen Rücken sinken, als würde ich auf ihm reiten. Jovito war zuerst irritiert, aber er

vertraute mir genug, um am Boden liegen zu bleiben, was ich ihm hoch anrechnete. Liebevoll kraulte ich ihn und lobte ihn ausführlich mit der Stimme. Nach ein paar Minuten stand ich auch schließlich wieder auf und mein Hengst rappelte sich erleichtert vom Boden auf. Er schüttelte sich den Sand aus dem Fell und ich gab ihm einen Möhre. Dann brachte ich ihn wieder zurück in seine Box. Auf der Suche nach etwas Essbarem, lief ich gerade über dem Hof, als ich ein bekanntes Gesicht ausmachte. Bei Fred stand eine ältere Dame, mit hellgrauem Haar und unterhielt sich lächelnd mit ihm. Irgendwo hatte ich das Gesicht

doch schon einmal gesehen... Angestrengt durchforstete ich mein Gehirn, bis ich schließlich die gesuchte Information wiederfand. Rocheforts Reich, ah ja... Wirbt ständig für Freds Musik... Stimmt! Mir kam die Erleuchtung. Es war Lilo! Natürlich. Dank ihr war ich ständig auf dem neuesten Stand, was meinen Lieblingskomponisten betraf. Ständig postete sie in den Facebookgruppen etwas von ihm. Mich störte das aber nicht. Sollte ich überhaupt hingehen und 'Hallo' sagen? Innerlich wägte ich meine Entscheidungsmöglichkeiten ab. Hunger gegen jemanden, den ich noch nie in

meinem Leben persönlich kennen gelernt hatte, aber es gerne ändern würde. Mein Magen knurrte und ich entschied, dass Lilo warten musste. Sie würde nachher bestimmt auch noch da sein. Ich wusste, das war nicht nett, aber sie kannte mich ja auch noch nicht. Gerade wollte ich aus der Arena huschen, um endlich mein lang ersehntes Mittagessen zu bekommen, als Fred mich rief. "Hey, Hanna! Kommst du mal bitte? Ich möchte dir jemanden vorstellen!" Mist, dachte ich und sagte meinem Traum vom Mittagessen auf Wiedersehen. Seufzend drehte ich mich wieder in seine Richtung und lief zu

ihnen. "Hallo.", grüßte ich, "Was gibt's?" "Hanna, das ist Lilo, eine gute Freundin von mir.", erklärte er und sah mich erwartungsvoll an. Artig, wie ich war, sagte ich natürlich auch ihr Hallo. "Das ist also der junge Fan, von dem du gesprochen hast?", fragte sie und er nickte. "Und wie geht's eigentlich Miguel?", wollte Lilo wieder von Fred wissen, anscheinend war das ihr Gesprächsthema vorher gewesen und auch ich hörte neugierig zu. Miguel war für Fred wie Vito für mich. Er war stets das dunkelbraune Pferd unter dem schwarzen Ritter. Von der Ferne und auf

Bildern wirkte er jedoch meistens ganz schwarz. So gut kannte ich den Hengst nicht, aber auf manchen Bildern wirkte er dunkelbraun und auf Anderen ganz schwarz. Ich vermutete, er war ein Winterrappe. "Wenn er nicht gerade in den letzten drei Tagen irgendetwas Dummes angestellt hat, geht es ihm ganz gut.", schmunzelte Fred. "Na, da freut man sich ja.", meinte Lilo. "Ja, ich reite ihn aber auch nicht mehr so viel wie früher. Wir kommen beide in die Jahre...", erzählte Fred weiter. Erstaunt blickte ihn an, so alt sah er doch gar nicht aus! Ich wusste, er war noch nicht einmal 50... "Aber so alt bist du doch noch gar

nicht!", protestierte ich schließlich. "Doch, für das Stuntgeschäft schon. Da musst du jung, ausdauernd und beweglich sein. Du kannst das noch gar nicht verstehen, du stehst ja gerade am Anfang deines Lebens!", meinte er und wuschelte mir durch die Haare, als wäre ich ein kleines Kind. Ich kniff die Augen zusammen und blickte ihn böse an. Lilo grinste ein wenig: "In spätestens dreißig Jahren wirst du es auch verstehen!" Ja, wenn ich ein Mensch wäre, dachte ich und eine Welle aus Trübsal überflutete für kurze Zeit meine Seele. Schnell dachte ich an Vito und mein seelischer Zustand wurde wieder etwas fröhlicher. "Wie lange bist du eigentlich

noch hier?", fragte ich Fred schließlich, um das Thema zu wechseln. "Eine Woche ungefähr. Vielleicht auch mehr. Mal sehen..." Oh super, da hatte ich ja noch alle Zeit der Welt, ihn besser kennenzulernen. "Kommst du auch zum Zuschauen in die nächste Show?", fragte Lilo mich und ich nickte. "Natürlich, wenn Fred dabei ist, ist das doch selbstverständlich.", grinste ich. Fred verdrehte die Augen. "Mon Dieu... Dann seht ihr ja, wie ich mich blamiere!", winkte er ab. "Du blamierst dich doch nicht!", kam es von mir und Lilo setzte noch ein "Du bist ein fantastischer Reiter", hinzu. "DAS kann ich noch nicht beurteilen, ich

habe dich noch nicht zu Pferd gesehen.", grinste ich frech auf Lilos Kommentar. Fred lächelte ein wenig. "Ich werde versuchen es einigermaßen gescheit hinzubekommen." Ich verließ die beiden wieder, denn ich hatte gerade Chris entdeckt, der versuchte sich mit einer handvoll Heu an mich anzuschleichen. Ich tat so, als hätte ich es nicht bemerkt und lief pfeifend in Richtung Wasserschlauch. Chris folgte mir genauso unauffällig. Zumindest versuchte er es. Als ich kurz davor war, lief ich extra langsam um auf ihn zu warten. Kurz darauf spürte ich auch schon das Heu in meinem Haar. Blitzschnell drehte ich das

Wasser auf, nahm das Heu von meinem Haar und machte es nass. Bevor Chris kapierte, was ich vorhatte, hatte ich ihm das nasse Heu auch schon ins Gesicht gerieben. "Hanna, ich hasse dich.", meinte er und kniff die Augen zusammen. "Vielleicht solltest du mal das Anschleichen üben.", grinste ich ihn an. "War das so auffällig?", jammerte er weiter. "Ja. War es. Definitiv." Lachend wandte ich mich von ihm ab und ging wieder in Richtung Fred. Ich hatte gesehen, dass er gerade dabei war, sein heutiges Pferd, Irmao, zu richten. Interessiert beobachtete ich ihn dabei. Fred machte das gut, aber ich merkte,

dass es ihm unangenehm war, dass ich ihm zuschaute. Irmao genoss es, wie Fred sanft mit ihm umging. Er war nicht wie Chris, den man bremsen musste. Nein, er war ganz anders. Dennoch wurde er sichtlich nervöser, als ich ihm weiterhin zusah und so ließ ich ihn in Ruhe. Anschließend schlenderte ich, auf der Suche nach Lilo, die Stallgasse entlang. Ich wollte sie fragen, ob wir uns die Show gemeinsam ansehen wollten. Bei Ludo fand ich sie schließlich und geduldig wartete ich, bis sie sich fertig unterhalten hatten. Die kurze Zeit nutze ich, um nochmal ein bisschen nachzudenken. Über Marion und Jovito.

Wie sollte es jetzt weitergehen? Was sollten wir mit Thorgal machen, damit er die letzten paar Wochen bei uns noch genießen konnte? Es war wirklich nicht fair gegenüber Marion und ich konnte mir vorstellen, was sie gerade durchmachte. Jeden Tag musste sie nun zusehen, wie Vito und ich glücklich waren, während ihr die Gewissheit blieb, Thorgal nur noch für einige Wochen zu haben. Daran zu denken schmerzte sogar mir, obwohl ich nicht die gleiche Bindung zu Thorgal hatte, wie Marion sie besaß. Ich wurde mehr oder weniger sanft aus meinen Gedanken gerissen, als Lilos Schritte direkt vor mir erklangen. Meine

Aufmerksamkeit richtete sich an sie und ich lächelte ein wenig. "Kommst du gleich mit in die Arena?", fragte ich und sie nickte. "Natürlich, Fred will ich nicht verpassen.", antwortete sie mir und wir gingen in die Arena, wo wir uns auf die Plätze links neben dem Thron setzten. Kaum dass wir saßen, strömten auch schon die anderen Besucher durch den Haupteingang in die Arena. Entspannt lehnte ich mich in dem gelben Plastiksitz ein wenig zurück und sah Charly zu, der, wie üblich, sein Vorprogramm durchzog. Es war immer das Gleiche, aber dennoch lustig, wie er mit den Besuchern seinen Schabernack

trieb. Manche umarmte er einfach nur, anderen hängte er einen Fuchsschwanz an den T-Shirt Saum und wieder andere ließ er um die Wette rennen. Als er schließlich fertig war, begann auch schon die Show. Während die Musketiere im "Kebab" lachten und scherzten, kletterten die Bösen, das waren heute Fred, Marion, Damien und Julien, aus dem Fenster. Fred lief direkt an uns vorbei und lächelte, als er uns sah. Kurz darauf kämpfte er auch schon gegen die Musketiere und wir konnten sehen, dass er seine Sache sehr gut machte. Vielleicht war er ein bisschen

zurückhaltender und langsamer als seine Mitkämpfer, aber das fiel fast gar nicht auf. Er war nun mal ein ruhiger Mensch, der es langsamer angehen ließ. Dennoch erkannte ich das versteckte Talent, was in ihm steckte. Ein Talent zum kämpfen. Aber warum hielt er sich denn zurück? Ich leitete meine unausgesprochene Frage an Lilo weiter. "Ja, er ist nunmal sehr schüchtern und für ihn ist das hier ja quasi Premiere. Eigentlich geht er in seiner Rolle als Ritter, vor allem als schwarzer Ritter, richtig auf. Schau mal nächste Woche nochmal, ich wette, da ist er dann nicht mehr so. Da wirst du sein Talent erst richtig sehen.". Ok, das

war ein gutes Argument. "Na, dann... Ich bin ja oft genug hier.", grinste ich. "Sei froh, dieses Glück haben nicht alle! Das ist meistens nur Zufall, wenn du bei Mario Luraschi angenommen wirst. Die meisten werden, obwohl sie Talent haben, abgelehnt. So viele Leute könnte er gar nicht aufnehmen! Wie hattest du das eigentlich geschafft?", erklärte sie und versuchte sich nebenbei noch auf Fred zu konzentrieren. "Mein Vater kannte ihn schon ein wenig. Er hat schon hin und wieder ein paar Pferde an ihn verkauft. Wir haben zwar keine Andalusier, sondern fast ausschließlich französische Traber, aber er braucht auch manchmal ein Pferd für irgendeinen

Film, in dem ein Andalusier schlichtweg zu grob aussieht. Es gibt einige gute und erfolgreiche Rennpferde, die aus unserem Stall sind. Also ich würde sagen, das sind einfach gute Beziehungen.", ich grinste ein wenig. "Dann kannst du dich echt glücklich schätzen. Mario bekommt täglich eine Menge Anfragen, es ist selten, dass er eine Stelle suchen lässt. Aber ich nehme an, in deinem Fall war es auch eher Ludo, der gesucht hat. Nicht Mario, der hat nämlich die Qual der Wahl unter vielen Bewerbern. Kannst Ludo ja mal fragen, aber schau mal, da kommt er!", wechselte sie ziemlich plötzlich das Thema und deutete auf den Eingang der

Arena, aus dem gerade Ludo, heute mal wieder mit Louisa als Milady an der Hand, marschierte. Wie jedes Mal, wenn ich die beiden nebeneinander sah, musste ich breit grinsen. Dieser Größenunterschied war einfach zu genial. Lou war ja ziemlich klein, vielleicht gerade mal 1,60m und Ludo mit seinen zwei Metern, überragte sie um mehrere Köpfe. Wenig später, als Fred nochmal kämpfte, war er schon etwas schneller unterwegs als vorhin. Er kämpfte direkt vor uns und lachte aber mehr, als dass er böse war. Immerhin wurde er gerade mehr oder weniger gewollt von Guillaume, der ein Musketier war,

besiegt. Schließlich stieß Guillaume ihn auf die Mauer vor uns und er schlitterte über die Absperrung beinahe auf uns. Im letzten Moment konnte er sich aber noch abbremsen und blickte uns unschuldig an. "Hallo.", grinste er und stand auf. Guillaume packte ihn und warf ihn über die Absperrung zurück auf den Sandplatz der Arena. Zwar machte er kein Rad über den Zaun, wie man es meistens machte, aber dennoch flog er imposant in einer Hockwende darüber. Es war Fred sichtlich anzusehen, dass er den Job liebte. "Er behauptet immer, er war im früheren Leben ein Ritter.", meinte Lilo, die meinem Blick gefolgt war. Ich lachte.

"Dann war ich früher ein Pferd!". "Sicher?", grinste Lilo zurück. "Ja, wenn du willst, kannst du ja heute Abend bei meinem Training mit meinem Pferd zuschauen. Wobei... Ich denke, das ist nicht ganz so spannend.", schlug ich ihr vor. "Wenn ich nichts Besseres zu tun habe...". Sie lachte leise und wurde wieder still, denn jetzt kam der spektakuläre Endkampf zwischen den Musketieren und dem Kardinal auf dem Thron. Dies war ebenfalls einer meiner Lieblingsszenen. Wobei man bedenken musste, dass ich die gesamte Show liebte. Wie immer besiegten die Musketiere Ludovic gerade so, aber

trotzdem nicht so richtig und die Show war beendet. Denn Ludo, alias der Kardinal, sprang mehr oder weniger selbst von der Thronempore, stieg die Rampe im Sand zum Backstagebereich hinunter und schrie "Ich komme zurück!". Denis schnappte sich die "Liste", auf der natürlich nichts draufstand, aber er tat so, als würde er die Namen der Darsteller, wie ein Knappe auf einem Ritterturnier, vorlesen. Kaum, dass Fred aufgerufen wurde, fingen Lilo und ich an zu jubeln. Wobei ich definitiv lauter war. Fred sah kurz zu uns und schüttelte grinsend den Kopf. Wir lachten und applaudierten natürlich auch

für die anderen. Einer musste sie ja motivieren... Schließlich standen wir wieder im Backstagebereich und warteten geduldig, bis der Trubel sich gelegt hatte. Denn alle mussten jetzt ihre Pferde versorgen. Ich ging zu Kevin, dem Obermusketier, wie ich ihn gerne nannte. Er spielte meistens D'Artagnan, also die Hauptrolle. Er stand bei Jentillo, seinem Lieblingspferd und fütterte ihm gerade die Möhren, die jedes Pferd nach der Show bekam. Da Jentillo in den vorderen Boxen stand, also auch für die Besucher sichtbar, waren einige Besucher an der Tür zur Stallgasse

versammelt und sahen Kevin zu. Da Kevin wie immer sehr nett war, verteilte er ein paar der Möhren an die Besucher und sie durften sie dann dem Pferd geben. Er hatte noch sein blaues Oberteil von der Aufführung an, hatte aber seine schulterlangen, extrem gegeelten Haare zusammengebunden. "Hi, Kev.", begrüßte ich ihn. "Hi, Hanna.", gab er zurück, mehr konzentriert auf die Besucher als auf mich. Immerhin musste er aufpassen, dass Jentillo keinem die Hand abbiss. "Ich habe heute etwas gesehen, was mir nicht so gefallen hat...", begann ich und Kevin wandte sich mir komplett zu. "Was?", fragte er vorsichtig. "Wenn ihr

auf dem Pferd steht und euch dann wieder hinsetzt, dann lasst ihr euch ja quasi richtig in den Sattel fallen, ohne euch irgendwie abzubremsen. Hat Mario euch das so beigebracht?". Es sollte kein Vorwurf sein, ich hatte mich nur gewundert, da uns im Voltigieren das komplett anders beigebracht wurde. Schon früher war mir das aufgefallen und jetzt war es mir gerade wieder eingefallen. Er hob die Augenbrauen. "Ja, hat er. Aber wie sollten wir uns auch abbremsen? Das ist ein Trickreitsattel, der ist extra so gepolstert...", erklärte er. Erleichtert atmete ich aus. "Ja, ok. Nur damals, im Voltigieren wurde uns

immer eingetrichtert, wir sollten ja langsam und vorsichtig einsitzen. Und uns ja mit den Armen abfangen. Da habe ich mich nun gefragt, ob das bei euch normal ist..." Kevin nickte. "Es ist normal. Aber bedenke, es gibt schon einen extremen Unterschied zwischen Trickreitsattel und Voltigierdecke. Der Sattel hat ja eine extreme Polsterung von gut 15 Zentimetern und die Voltigierdecke hat nur fünf Zentimeter oder weniger. Und außerdem, wie willst du dich am Sattel abfangen? Du hast keine so tollen Griffe wie am Votligiergurt." Er lächelte. "Ja, stimmt. Ich war mir nur nicht sicher...", erklärte ich noch einmal

entschuldigend. Eigentlich hättest du ja auch ein Pferd fragen können, ob es ihm wehtut, dachte ich. Naja, egal. Es klang logisch, was Kevin erzählte. Schließlich meldete sich mein Magen. Oh, eigentlich wollte ich ja noch etwas essen gehen, dachte ich, aber vorhin wurde ich ja auch unterbrochen. Durch Fred und die Show. Da vergaß man gerne mal sein Essen. Und da wundert man sich, warum ich schlank bin... Grinsend verließ ich die Arena und ging, wie immer, in mein Lieblingsrestaurant. Das Restaurant am See. Es war im Österreichischen Stil gehalten, da es auch im österreichischen Themenbereich stand. Es war sehr

gemütlich dort und ich liebte es, wenn man während dem Essen noch den entspannenden Blick auf den See vom Abenteuerland hatte. Dort fuhren, wie üblich, die Boote der Attraktionen "Dschungelfloßfahrt" und "African Queen". Gemütlich aß ich meine Lasagne und genoss diese Momente der Stille. In diesem Restaurant war nie viel los. Außerdem war heute schönes Wetter und da saßen die Meisten draußen, auf der Terrasse. Die Sonne schien wieder, seit Vito zurückgekehrt war. Obwohl der Wetterbericht weiterhin Dauerregen angekündigt hatte. Ja, es war kein komplett blauer Himmel, aber nach

Regen sah es jetzt nicht wirklich aus. Mit der Zeit war es ruhiger geworden. Ein weiterer Tag neigte sich dem Ende zu. Aber ich wollte noch kurz mit Vito trainieren. Ich entschied, es jeden Tag so zu machen. Morgens das richtige, ernste Training und abends ein entspannendes Training. Da ich heute Morgen aber schon ein ruhiges Training gemacht hatte, holte ich wieder den Sattel von Hidalgo. Vito beäugte ihn zwar misstrauisch, aber als er das Teil erkannte, entspannte er sich wieder. Doch diesmal hatte ich etwas Anderes vor. Statt den Sattel einfach nur auf seinen Rücken zu legen, wie das letzte Mal, begann ich ihn diesmal ganz

langsam fest zu machen. "Was machst du da?!", fragte Vito misstrauisch. "Ich mache den Sattel fest. Irgendwann musst du es ja lernen und wir haben eigentlich nur bis zum Ende der Sommerferien Zeit und das ist schon in vier Wochen. Am liebsten wäre mir sogar, wenn du in drei Wochen soweit bist, dass man dich reiten kann.", erklärte ich. Mein Pferd seufzte: "Das wird stressig, oder?" Ich nickte und begann, ganz langsam, zuerst den Brustgurt zuzuschnallen. Am Trickreitsattel hatte man sogar vier Gurte, die man festmachen musste. Drei für den Bauch und einen für die Brust, damit der Sattel auch ja nicht

verrutschte. Sonst würde es sehr unangenehm für den Trickreiter werden. Doch bei ihm machte ich es noch nicht wirklich richtig fest, wie es eigentlich gehörte. Immerhin kannte er es noch nicht so gut. Blöderweise kam gerade Ludo um die Ecke. "Was machst du da mit meinem Sattel?", wollte er, leicht säuerlich, wissen. "Vito hat noch keinen. Und deinen kennt er schon.", erklärte ich. "Ach, dahin ist mein Sattel neulich verschwunden!", lachte Ludo sarkastisch. Er war nicht so begeistert, dass ich mir einfach seinen Sattel nahm, ohne ihn zu fragen. "Du könntest deinem Pferd selber einen Sattel machen!

Das macht man bei uns so. Oder hast du irgendwo schon einmal Trickreitsättel zum Verkaufen gefunden?", fragte er. Unschuldig schüttelte ich den Kopf. "Aber ich kann das doch gar nicht!", beschwerte ich mich schließlich. "Dann bringe ich es dir bei. Das gehört nämlich zu deiner Ausbildung dazu.", gab Ludo vor und ich nickte geschlagen. "Ok. Aber wie lange dauert das denn? Rein theoretisch bräuchte ich den ja sofort...", meinte ich. "Alles klar, dann besorge ich heute das Material und dann fangen wir morgen an.", sagte er. "Und was soll ich solange nehmen? Den Sattel haben wir ja nicht von heute auf Morgen fertig.", fragte ich

und blickte Ludos Sattel an. "Gut, du kannst weiterhin meinen nehmen. Und frage das nächste Mal vorher, bevor du dich an meinem Zeug vergreifst. Aber auf Dauer wird das auch nicht gut gehen mit meinem Sattel. Aber im Moment geht es halt nicht anders.", gab er sein Einverständnis. Ich bedankte mich lächelnd: "Super! Danke, Ludo!" Dann zog ich Vito die gebisslose Trense über und führte ihn in die leere Arena. Lilo war, welch Überraschung, bei ihrem "Adoptivsohn", wie sie Fred gerne nannte. Die zwei standen in der Stallgasse und unterhielten sich. Was sie wohl so viel zu besprechen hatten? Jedenfalls lief ich an ihnen vorbei,

sodass sie mich entdeckten und beschlossen, mir zuzuschauen. Für Vito war es ungewohnt, komplett gesattelt umherzulaufen. Aber er musste es können. Vier Wochen hatte ich nur noch. "Du darfst dich damit aber nicht wälzen, Vito.", sagte ich streng zu meinem Pferd und ließ ihn dann frei herum laufen. Mein Pferd stand dennoch stocksteif da und bewegte sich nicht. "Das ist aber so merkwürdig mit dem Zeug!", klagte er und grinsend schüttelte ich den Kopf über seinen Einwand. Schließlich setzte ich mich selbst in Bewegung und lief neben Vito her, der mir breitwillig folgte. Nach ein paar

Runden im Schritt, damit er auch warm wurde, fing ich an zu joggen und Vito trabte neben mir an. Er schüttelte sich aber hin und wieder, weil ihm das Zeug auf seinem Rücken immer noch nicht gefiel. Doch dann wechselte ich meine Position in die Mitte und Vito wollte mir zuerst folgen, doch mit einer Handbewegung in seine Richtung schickte ich ihn wieder hinaus. Jovito trabte nun schneller, da ich ihm nicht mehr das Tempo vorgab. Seine Schritte waren raumgreifend und er trat ordentlich unter. Da ich ihn allerdings ohne Ausbinder laufen ließ, war seine Haltung dementsprechend ziemlich auseinandergefallen. Den Kopf hatte er

weit noch vorne und ein bisschen nach unten gestreckt und seine Bewegungen waren alles andere als gleichmäßig. An den langen Seiten der ovalen Arena wurde er immer wieder schneller, wobei er an den kurzen Seiten immer langsamer wurde. Nach einer Weile streckte ich die Hand zur Seite aus, als würde ich ihn mit einer Peitsche antreiben wollen. "Jovito... Galopp!", befahl ich ihm und der Falbe sprang sofort in einen schwungvollen Galopp. Seine offene, nachtschwarze Mähne wehte hinter ihm her, wie eine dunkle Wolke. Unter dem Sattel waren seine Sprünge aber dennoch nicht so sicher, wie sonst als,

wenn er frei war. Dennoch war seine Ausstrahlung so wie immer. Edel, Wild und Schön. Allmählich ließ ich ihn schneller werden und Vito strengte sich an. Er legte sich richtig in die Kurven und den Sand, den er mit seinen Hufen durch die Gegend wirbelte, flog sogar bis zu mir. Nach zwei Minuten war er allerdings schon ziemlich außer Atem und so ließ ich ihn wieder traben. Allmählich wurde er unter dem Sattel sicherer, das konnte man wunderbar sehen. Mit jeder Minute, die verging, wurden seine Schritte sicherer und langsam fing er auch an seine Haltung wieder aufzunehmen. Soweit es ohne

Ausbinder eben für ihn ging. Am Ende trabte er mit gewölbten Hals und schönen, versammelten Trabtritten um mich herum. Ich lächelte ihn an und ließ ihn wieder Schritt gehen. Von selbst drehte mein Pferd noch ein paar Runden, während ich mich hoch zu Lilo und Fred auf die Zuschauertribüne setzte. Sie saßen in der ersten Reihe an der Kurve beim Thron. Anbei ließ ich die Absperrung der Arena offen, sodass Vito zu uns kommen konnte, wenn er wieder einigermaßen abgekühlt war. "Du machst das echt gut, für dein Alter.", meinte Fred und ich lächelte über das Kompliment. "Dankeschön, aber Jovito

ist auch echt super zum Ausbilden. Er ist so lieb.", geriet ich schon wieder ins Schwärmen. Und wie auf Stichwort kam mein Pferd die Rampe zum unteren Umlauf, also zu uns, hoch. Er streckte seine Nase zu uns und ich begann ihn ein wenig zu kraulen. Entspannt legte er seinen Kopf auf meiner Schulter und suchte bewusst meine Nähe. Ich war stolz auf ihn. Vor einigen Tagen hätte er sich das nicht getraut. "Bist du denn schon einmal auf ihm gesessen?", fragte Lilo und ich schüttelte den Kopf. "Nein, ich trainieren ihn ja erst seit drei Tagen. Da kann ich mich doch noch nicht einfach so auf mein Pferd setzen!", widersprach

ich. "Wieso nicht? Immerhin muss er auch irgendwann die Muskeln dafür aufbauen. Du musst ja nicht gleich galoppieren, sondern einfach nur sitzen.", entgegnete Fred. Zweifelnd blickte ich ihn an. "Sicher?" Fred nickte. "Ja, ich halte ihn dir fest, wenn du willst." Ich sah fragend Vito an, der aus meinen Sätzen den Zusammenhang wohl geschnallt hatte. "Klar, ich werde schon nicht zusammenbrechen. Wir können ja das jeden Tag machen und steigern dann auch langsam die Geschwindigkeit.", meinte er. "Ok. Aber dann ohne Sattel, er muss erst noch seinen eigenen bekommen. Hidalgos passt ihm nicht so

gut und ich will ihm nicht gleich wehtun.", erklärte ich und schnallte den Sattel hinunter. Anschließend gab ich Fred die Zügel und holte schnell noch aus der Futterkammer eine handvoll Möhren. Kurz darauf stand ich zögernd wieder neben Vito, der ganz gelassen dastand und sich nicht beirren ließ. Zaghaft bugsierte ich ihn neben die Mauer, die die Zuschauer vom unteren Umlauf trennte. Dann stellte ich mich selbst auf die Mauer und kam vorsichtig näher zu Vito. Dieser blickte neugierig, als ich ihm eine Möhre gab und wurde auch ein bisschen ungeduldig. Natürlich wusste er schon ein bisschen

wie es sich anfühlte, von der Zeit, als wir gespielt hatten. Aber da saß ich nie mit meinem gesamten Gewicht auf ihm, sondern stand mehr über ihm, wenn er lag. Ich stand jetzt neben seinem Rücken und blickte fragend zu allen Beteiligten. Lilo nickte mir aufmunternd zu und Fred streichelte Vito liebevoll am Hals. Dieser blickte völlig entspannt in die Runde. Um ihn nicht zu erschrecken fuhr ich zuerst einfach mal mit der Hand über meine Sitzfläche. Vorsichtig legte ich dann mein Bein über seinen Rücken und ließ mich sanft auf ihm nieder. Vito verspannte sich zuerst ein bisschen, da er meine Nervosität wohl deutlich

spürte, aber als Fred ihn weiter mit Karotten fütterte, wurde er wieder ganz gelassen. Der Rücken von meinem Falben war ziemlich bequem. Er hatte keinen besonders hohen Widerrist und sein Rücken fiel auch nicht an den Seiten steil ab, sondern war eher rund. Lächelnd lobte ich mein Pferd und kraulte ihm beruhigend den Hals. Ich sah uns schon in Zukunft fast nur noch ohne Sattel reiten, vom Bau her war Vito wie geschaffen dafür. Langsam beugte ich mich nach vorne, sodass ich auf Vitos Hals lag und in sein Fell hinein lächelnd, umarmte ich ihn. "Ich habe dich sooo lieb.", flüsterte ich an seinen

Hals und Vito schnaubte wissend.

Kapitel 24

Am nächsten Morgen brachte Ludo einen Stapel Leder und was man sonst noch so für einen Sattel brauchte, mit. Anschließend holte er ein Maßband und ich begleitete ihn zu Vito, der wartend in seiner Box stand. Er nahm verschiedene Messungen an Vito vor und diktierte mir die Werte, die ich auf einen Zettel schrieb, den er mir vorher gegeben hatte. Mein Pferd ließ das geduldig über sich ergehen. Kurze Zeit später saßen wir in dem roten Umkleideraum, in dem Ludo sich am liebsten aufhielt. Er hatte sogar mal sein Pferd mit hinein genommen, wie die

tollen Backstagebilder von Nicole damals in Facebook bewiesen hatten. Ludo hatte seinen Sattel geholt und legte ihn, als Vorlage auf einen Stuhl vor uns. Ich kniete am Boden und versuchte, mithilfe einer Schablone, den ersten Teil von meinem zukünftigen Sattel auf das Leder zu zeichnen. Ludo beobachtete mich und arbeitete selbst am nächsten Teil. Wir legten unsere Arbeit erst nieder, als er sich für die erste Show richten musste. Auch ich fing an, Vito ein wenig herzurichten, damit ich ihn nochmal an die Arena voller Leute gewöhnen konnte. Charly, unser Clown für das Vorprogramm wartete schon auf seinen

Einsatz und ich führte Vito am Halfter zu ihm. "Hallo.", begrüßte ich ihn lächelnd und begrüßte mich ebenfalls. "Hi, Hanna. Willst du mit ihm auch in die Arena?", fragte er gleich und ich nickte. "Ja, er muss sich irgendwann daran gewöhnen. Stört es dich? Ich kann das auch nach der Show machen, wobei es mir lieber wäre, wenn ich auch kurz vor der Show schon eine kleine Runde gedreht hätte.", fragte ich, doch Charly nickte. "Klar, wenn du mir nicht die komplette Show stielst!", lachte er. "Nö, nur eine Runde, dann bin ich wieder draußen.", grinste ich und wir warteten zusammen, bis die ersten Besucher hinein strömten. Als kurz

darauf die meisten saßen, nickte Charly mir zu und ich führte Vito in die volle Arena. Sofort wurde der Falbe unruhig und sah sich ängstlich um. "Eine Runde und dann sind wir wieder draußen.", versprach ich ihm und das Pferd nickte ängstlich. Nervös tänzelte er neben mir her, während wir unseren Weg durch den Sand fortsetzten. Einige kleine Kinder standen schon am Geländer und wollten den Hengst anfassen, doch ich schüttelte den Kopf und führte mein Pferd weiter innen, sodass sie keine Chance hatten. Kurz darauf traf ich auch eine Frau, die ein kleines Mädchen an der Hand hielt. "Darf sie mal

streicheln?", fragte die Frau und deutete auf ihr Kind. Ich schickte Vito weiter in die Mitte, hinter mich und stellte mich selbst näher an den Zaun, an dem sie stand. "Nee, das geht bei ihm nicht. Er ist noch selbst sehr jung und findet Menschen nicht so toll.", erklärte ich kurz und die Frau führte ihr enttäuschtes Kind weg. Vito stand in der Zwischenzeit zitternd in der Mitte und wusste nicht genau, wo er hinschauen sollte. Ängstlich blickte er die Menschenmassen an und wusste nicht, wie er reagieren sollte. Ich kraulte ihm beruhigend den Hals und führte ihn noch ein Stückchen näher zu den Menschen. Doch schließlich reichte

es dem Pferd. "Hanna, ich kann das nicht.", murmelte er und stemmte die Beine in den Boden. Flehend sah er mich an. "Ok, dann gehen wir wieder. Wir wollen ja nichts überstürzen.", meinte ich beruhigend und führte ihn wieder in Richtung Ausgang. Erleichtert schnaubte Vito und sah mich dankbar an. "Aber nach der Show gehen wir nochmal kurz hinein, es ist wichtig, Großer, dass du das lernst.", sagte ich sanft, aber bestimmt und mein Pferd nickte geschlagen. Während der kompletten Show führte ich meinen Falben im Hof Schritt und langsam wurde er wieder völlig entspannt. Dies änderte sich allerdings schlagartig,

als wieder vor dem Eingang der Arena standen und geduldig warteten, bis alle Darsteller hinausgeritten waren. Unruhig trat Vito wieder von einem Bein auf das andere und blickte nervös zu dem schwarzen Vorhang, der uns noch zu dem Eingang von der Arena trennte. Schließlich zogen Audrey und Camille den schweren, schwarzen Stoff zur Seite und ich ging mit Vito einen Schritt zur Seite, damit die Reiter auf ihren Hengsten genug Platz hatten. Es dauerte noch eine Weile, bis sich das Chaos der sieben Pferde gelegt hatte und alle aus dem Weg waren. Dann betrat ich mit meinem Pferd im Schlepptau wieder die Arena. Da jetzt

einiges weniger los war als vorher, beruhigte sich Vito schnell wieder. Ganz am Ende, als kaum noch jemand da war, ließ er sich so sogar darauf ein, den spanischen Schritt zu präsentieren. Das kleine Publikum applaudierte fleißig für unser kleines Kunststück, worauf Vito vor Entsetzten erst einmal einen Satz zur Seite machte. "Was ist das?", fragte er ängstlich. "Das machen die Menschen so, wenn ihnen etwas gut gefällt. Also das ist vollkommen positiv, da brauchst du keine Angst haben.", erklärte ich und lobte ihn lachend. Vito sah fordernd zu unserem kleinen Publikum und hob nochmal das Bein zum spanischen Gruß. Lächelnd präsentierte ich ihn und wir

bekamen wieder Applaus. "Das gefällt ihnen also.", stellte mein Pferd neugierig fest und wollte noch weitermachen. Doch ich schüttelte lachend den Kopf. "Es reicht jetzt. Morgen darfst du das wieder machen." Immer noch lachend führte ich ihn schließlich wieder die Arena hinaus. Vito schmollte ein wenig, nahm es aber hin. Anschließend führte ich ihn in seine Box und ging auf die Suche nach einem Gebiss, welches Vito passen sollte. Große Auswahl hatte ich nicht, da ich auf gar keinen Fall eine Stange in sein junges Maul machen wollte. Wir hatten nicht so viele gebrochene Gebisse.

Schließlich fand ich jedoch ein einfach Gebrochenes, das ganz in Ordnung aussah. Damit ging ich wieder zurück zu meinem wartenden Falben. Dieser blickte das Metallding in meiner Hand misstrauisch an. "Was soll das denn sein?", fragte er argwöhnisch und ich grinste. "Das ist ein gebrochenes Gebiss, das musst du in den Mund nehmen, damit, wenn ich dich später reite, die Hilfen besser wirken.", erklärte ich und zeigte es ihm. Immer noch misstrauisch beschnupperte Vito das Gebiss in meiner Hand und berührte es sogar vorsichtig mit seinen Lippen. "Ihh!", schreckte er zurück, "Das ist ja ganz kalt und

hart!" "Das ist normal so, aber probier es zuerst aus, ich werde dir sowieso ein Neues kaufen müssen, es geht jetzt nur um die Größe, weil nicht alle sind gleich groß.", erklärte ich grinsend und Vito machte breitwillig sein Maul auf. Sanft legte ich das Gebiss an die richtige Stelle und hielt es dort fest. Probeweise kaute der Falbe ein wenig darauf herum, aber es schien ihm keine Schmerzen zu bereiten. "Gansch schön ungewohnt.", nuschelte er durch das Gebiss. Aber es passte ihm einigermaßen. Vielleicht war es ihm auch eine Nummer zu groß. Gut, dann würde ich gleich heute Abend ein Neues kaufen, eine Nummer kleiner.

Denn morgen begann wieder das Wochenende, da wusste ich nicht, ob ich allzu viel Zeit hatte. Probeweise holte ich noch ein anderes Gebiss, was mir eine Nummer kleiner erschien. "Welches gefällt dir besser?", fragte ich schließlich und er deutete auf das Kleinere. "Das ist nicht so breit und dick.", meinte er und ich wusch das Passende ab und steckte es ein. Ich würde eine Vorlage gebrauchen. Wenn ich es hatte, konnte ich ihn auch endlich vollständig an die Trense gewöhnen. Doch für heute hatte ich eigentlich Arbeit am langen Zügel geplant, damit er mal ein bisschen das "Lenksystem" kennenlernte. So tat ich es

auch. Mithilfe zweier Longen führte ich ihn durch die Arena. Vito verhaspelte sich zwar noch ziemlich oft, da er Links und Rechts noch nicht unterscheiden konnte und anders wusste ich nicht, ihm zu sagen, wo er hinmusste. Nebenbei arbeitete ich mit den richtigen Hilfen und am Ende waren wir sogar so weit, dass er fast völlig ohne meine stimmliche Hilfe in die richtige Richtung lief. Mal wieder wurde mir vor Augen geführt, wie ich von meiner Gabe abhängig war. Es war so einfach. Vito wusste sofort, was ich von ihm wollte, wenn ich es ihm sagte. Allmählich lernte ich, meine Gabe zu schätzen. Den

restlichen Tag verbrachte ich noch mit der Arbeit an meinem Sattel.

Kapitel 25

Eine Woche fast ununterbrochenes Arbeiten, brauchte ich für Vitos Sattel. Nebenbei hatte Ludo sich alle Mühe gegeben und eine wunderschöne Trense für Vito gezaubert, soweit es seine Zeit zuließ. Im Gegenzug für seine Arbeit nahm ich seine Pferde mit ins Gelände und bewegte sie. Vitos Training machte mir und ihm unglaublich viel Spaß und brauchte eine Menge Zeit. Ich war fast nur noch bei Vito und ließ sogar meine Freunde ein wenig hängen. Wobei Eliza sowieso selbst beschäftigt war und Marion mich ja täglich sah. Sie verstand am Besten, was ich gerade für Stress

durchmachte. Wo sie nur konnte und die Zeit es ihr zuließ, half sie mir mit meinem Pferd. Sie führte mich im Schritt auf Vito durch den Hof, oder baute kleine Hindernisse für unser Training auf und ab. Mittlerweile war ich nämlich so weit, dass ich Vito im Schritt schon ein wenig ritt. Natürlich noch ohne Sattel, da ich ihn ja erst noch fertig machen musste. Zwei Wochen und ein Tag waren jetzt vergangen, seit Vito und meine Geschichte erst so richtig angefangen hatte. Jetzt hatte ich nur noch genau 20 Tage, bis die Sommerferien vorbei waren. Und bis dahin sollte Vito fertig eingeritten sein.

Es würde eng werden, das wusste ich. Doch nun war erst einmal Montag und der Sattel war endlich fertig. Er war ein wahres Meisterstück geworden, wie ich fand. Wir hatten zu dem normalen schwarz des Sattels noch hier und da ein paar rote Verzierungen eingestickt. Schon von Anfang an war klar gewesen, dass wir Vitos Lederzeug nach einem roten Thema halten wollten. Seine Trense war im Grundton schwarz, hatte aber, passend zu seinem Sattel, rote Stickereien auf dem Stirn- und Nasenriemen. Ludo hatte ganze Arbeit geleistet und mir gefiel mein neues Lederzeug für mein Pferd unglaublich gut. Zudem passte es meinem Pferd wie

angegossen und auch Vito fand es ganz bequem. Zudem war heute auch wieder Moondancer-Tag, wie Marion mir am Morgen lachend mitgeteilt hatte. Jetzt würde auch Vito endlich Moondancer kennenlernen. Darauf freute ich mich schon unglaublich. Und Marion war natürlich auch wieder mit am Start. Sie freute sich riesig auf das erste Mal seit zwei Monaten, mich wieder in Pferdegestalt zu sehen. Ich ließ es heute langsam angehen, da sich die Wechslung der Gestalt wieder langsam in Schmerzen bemerkbar machte. Zur Probe zog ich Vito heute zum ersten Mal seine neue Trense an und erzählte ihm nebenbei von

Moondancer. Auch er war ziemlich neugierig darauf. Nach ein paar Einstellungen hatte ich ihm auch die Trense passend gemacht und Vito schüttelte probeweise den Kopf. Es hielt alles fest. Und sie gefiel ihm sogar selbst ganz gut. Sie saß ihm angenehm auf dem Kopf und scheuerte nirgends. Das Gefühl, etwas am Kopf zu haben war ihm jedoch nicht neu. Das Halfter kannte er ja gut genug und auch die gebisslose Trense war ihm nicht fremd. Und seine Bewegungsfreiheit wurde ja nicht eingeschränkt. Schließlich befestigte ich auch zum ersten Mal seinen Sattel auf seinem Rücken. Fertig gerichtet führte ich ihn

auf den Hof und stellte probehalber mal einen Fuß in den Steigbügel. Dann verlagerte ich ein bisschen Gewicht auf den Steigbügel und Vito ließ es ganz gelassen über sich ergehen. "Jetzt mach schon, Hanna.", brummelte er irgendwann ungeduldig, "Ich werde schon nicht umfliegen". Lachend stieß ich mich vom Boden ab und landete sanft auf seinem Rücken. Jetzt ritt ich zum ersten Mal mein Pferd so richtig. Ohne, dass mich jemand führte. Die Muskeln in seinem Rücken hatte das Pferd inzwischen ordentlich aufgebaut, was auch das Ergebnis von harter Bodenarbeit war. Marion, die gerade aus der Arena

geritten kam, da eine Show gerade fertig war, gesellte sich zu mir. "Kommst du mit ins Gelände?", fragte ich sie und sie nickte. "Natürlich, wenn du dein Pferd zum ersten Mal selber reitest. Aber warte noch kurz, ich hole schnell die Kamera.", erklärte sie sich einverstanden und warf mir Thorgals Zügel zu. Seit ich Marion erklärt hatte, wie mein Camcorder funktionierte, hielt sie sämtliche Fortschritte von Jovito und mir auf Film fest. Ausschnitte daraus luden wir regelmäßig auf Rocheforts Reich hoch, was auf guten Anklang stieß. Innerhalb einer Minute war Marion wieder da und es konnte losgehen. Ich

richtete mich ein wenig im Sattel auf und legte meine Unterschenkel an Jovitos Bauch. Der Falbe lief sofort los und ich war stolz darauf, ihn so feinfühlig ausgebildet zu haben. Eigentlich musste ich nur an Schritt denken und schon lief er los. Die Zügel ließ ich anfangs noch locker durchhängen und nahm sie erst im Laufe der Zeit immer mehr auf. Es war ein tolles Gefühl, mein Pferd zum ersten Mal so richtig zu reiten. Wir passten wunderbar zusammen, wie ich fand. Es war, als bestünde ein geheimer Gedankenstrom zwischen uns. Ich trieb meinen Falben ein bisschen voran, sodass er nun die Spitze

übernahm. So konnte ich sehen, ob er nicht nur Thorgal hinterherlief, sondern auch wirklich auf meine Hilfen hörte. Thorgal musste sowieso langsamer machen, da er ja seine lieben Probleme mit dem Bein hatte. Marion hatte dies inzwischen erfolgreich verdrängt und versuchte sich mit allem Abzulenken, was ihr gelegen kam. Nur manchmal traf ich sie noch, völlig in Gedanken versunken, bei Thorgal an und das waren die Momente, wo ich ihr auch tröstend beistand. Dann saßen wir als lange Minuten so da, und selbst Thorgal war dann als ganz ruhig und versuchte, Marion die Trauer zu nehmen. Mittlerweile hatten Marion

und ich sogar einen neuen Besitzer gefunden, der wie für Thorgal gemacht war. Sie hieß Conny und war ziemlich nett. Fast ausschließlich ritt sie Freizeit und hatte nicht mehr so viel mit Thorgal vor. Da könnte er in Ruhe und frei von Schmerzen leben, bis an sein Lebensende, was hoffentlich noch 20 Jahre dauerte. Jetzt bogen wir gerade in den Wald ein, in dem der sandige Weg war, der zum Galopp einlud. Ich war noch nie auf Vito galoppiert und wollte mir das für einen besonderen Moment aufheben. Jetzt wollten wir deshalb zuerst Traben. Noch nie war ich vorher auf ihm getrabt, da ich ohne Sattel einfach nicht

den Halt für den Trab hatte und ich wollte Vito nicht gleich am Anfang in den Rücken fallen, nur weil ich seinen Trab noch nicht kannte. Doch jetzt war eigentlich ein guter Zeitpunkt. Marion schien meine Gedanken gelesen zu haben und grinste ein wenig. "Lass uns traben.", schlug sie vor und ich nickte grinsend. "Lass mich aber ein bisschen voraus, damit er nicht mitzieht, sondern das von sich aus macht.", sagte ich mit Bedacht, dass Vito nicht verstand, was ich sagte. Er sollte wirklich nur auf Hilfen antraben und nicht einfach nur Thorgal hinterherlaufen. Sanft drückte ich meine Schenkel fester

an seine Seiten und nahm den Zügel etwas kürzer. Vito zögerte, trabte dann aber an. Sofort verfiel ich in das Leichttraben, da ich seinen Trab absolut noch nicht kannte. Allerdings stellte sich meine Vorsicht als unbegründet heraus. Klar, Vito hatte einen schwungvollen Trab, aber er war so raumgreifend, dass er eigentlich schon wieder ziemlich gut zu sitzen war. Also saß ich wieder aus und sah mich fragend nach Marion um. Sie filmte unseren ersten Trab und Thorgal lief mit losem Zügel hinter Vito her. Lächelnd zeigte ich ihr das Daumen-hoch Zeichen und konzentrierte mich wieder auf mein

Pferd. Für Vito war es noch ziemlich ungewohnt mit Gewicht auf dem Rücken zu traben und deswegen verlor er immer mal wieder kurz seinen gleichmäßigen Takt und einmal stolperte er sogar, aber schnell hatte er sich wieder gefangen und munter setzte er seinen Weg fort. Am Ende der Strecke parierte ich ihn sanft wieder durch und den Rest unseres Ausrittes liefen wir im Schritt, damit sich Vito an den Sattel gewöhnte. Marion genoss es ebenfalls, still und langsam den Weg entlangzulaufen. Sie genoss sowieso jede Zeit, die ihr noch mit Thorgal blieb. Wenig später kamen wir dann auch in der

Arena an und da ich mich nicht, aufgrund der Schmerzen, überanstrengen wollte, lag ich für den Rest des Tages einfach nur auf meiner Bank im Schatten und sah den Anderen zu. Als sich schließlich die Arena geleert hatte, fing ich an, unser Nachtquartier zu richten. Marion schlief kurz darauf auch ein wenig und ich saß bei Vito in der Box und versuchte, mit seiner Hilfe, die Schmerzen auszublenden. Es gelang mir auch mehr oder weniger. Vito und ich unterhielten uns die meiste Zeit über das "Pferd-sein" und irgendwann erreichte der Mond auch seinen Höchststand. Seufzend krabbelte

ich aus Vitos Box, ließ meine Kleidung zu Boden fallen und schloss die Augen. Die Schmerzen, die die Verwandlung mit sich zog, tanzten mir wie orangene Flammen vor meinem inneren Augen. Mit zusammengebissenen Zähnen schaffte ich es, keinen Laut von mir zu geben. Ich wollte Vito nicht beunruhigen. Die Verwandlung ging rasch voran, sodass ich knapp eine Minute später als Pferd am Boden lag. Schwankend stand ich auf, der Gang auf vier Füßen war am Anfang immer ungewohnt für mich. Dann lief ich langsam zu Marions Quartier und weckte sie mit einem leisen Brummeln. Als sie müde die Augen aufschlug,

erblickte sie mich und lächelte ein wenig. "Hallo, Moondancer.", murmelte sie verschlafen und richtete sich auf. Sie folgte mir, als ich zurück zu Vitos Box ging. Seine Augen wurden groß, als er mich das erste Mal als Pferd sah. "Wow, Hanna!", sagte er erstaunt, "Du bist echt schön." Lachend wandte ich mich ab. Kurz dachte ich, was wohl wäre, wenn ich die typischen Stuten-Hormone hätte. Morendo hatte mir vor kurzem erst erklärt, dass ich, als Pferd, noch sehr menschlich roch und auch für sie mehr wie ein Mensch wirkte. Grinsend malte ich mir aus, was passieren würde, wenn es nicht so wäre. Als einzige Stute in einem Stall

voller Hengste. Ach, du meine Güte... Zusammen verließen wir den Stall. Marion, die inzwischen wieder Thorgal geholt hatte, ihn aber nicht ritt, Vito, der immer noch vollkommen fasziniert war und ich. Ich bot Marion meinen Rücken an, damit sie Thorgal entlasten konnte und ich mich für ihre Unterstützung bedanken konnte. Wir beide wussten, dass sie es liebte, auf einem "magischen" Tier zu sitzen. "Genau das habe ich vermisst.", meinte sie, als sie es sich schließlich auf meinem Rücken bequem gemacht hatte und meinen Widerrist kraulte, was ich mit einem wohligen Brummeln quittierte. Sie konnte das unglaublich gut. In

solchen Situationen verstand ich Thorgal, der manchmal wie in Trance war, wenn Marion ihn kraulte oder sonst irgendwie liebkoste. Genüsslich streckte ich den Hals nach vorne und trottete hinter Thorgal und Vito her, die unsere übliche Ausrittstrecke entlang liefen. "Sollen wir eigentlich mal galoppieren?", fragte ich in die Runde und Marion verstärkte automatisch ihren Griff in meiner Mähne. Als ich daraufhin Zustimmung erhielt, grinste ich breit und sofort schossen wir los. Mit Marion auf dem Rücken war ich deutlich langsamer als die zwei trainierten Andalusier vor mir und so hatten sie mich bald

abgehängt. Vorsichtig verband ich meine Energieströme mit der Energie aus dem Boden. Dann verbreiterte ich dieses Band ein wenig und da schoss die Energie regelrecht in meinen Körper. Marion beugte sich automatisch ein wenig nach vorne, als ich beschleunigte. Meine Hufe trommelten über den Feldweg und ich bewegte meine Beine so schnell, wie ich es noch nie getan hatte. Kurz darauf holte ich die beiden Andalusier ein, die sich ein hartes Kopf-an-Kopf-Rennen lieferten. Lachend zwickte ich Vito spielerisch in den Hals, als ich an ihm vorbeizog. Durch die hohe Geschwindigkeit

klammerte sich Marion ordentlich mit den Beinen an meinem Bauch fest. Normalerweise hätte ich das kritisiert, aber bei dem Tempo verstand ich es. Sie jauchzte vor Freude einmal kurz auf und ich streckte meine Nase in den Wind. Dieser fuhr in meine Nüstern und füllte mich mit einem Lebensgefühl aus, das kaum zu beschreiben war. DAS war Freiheit. Jeden einzelnen Muskel konnte ich in meinem Körper spüren. Die Energie aus dem Boden fuhr in sie hinein, sodass sie nicht müde wurden. Jede Faser spannte sich, lockerte sich wieder und das in meinem Galopprhythmus. Meine Sprünge waren nun richtig lang, ich

vermutete, ich legte pro Galoppsprung gut vier, wenn nicht sogar fünf oder sechs Meter zurück. Viel zu schnell kam mir der Wald entgegen und somit die Kurve, in der ich wohl oder übel langsam machen musste. Sonst würden Marion und ich beide auf dem Boden liegen. Unwillig schüttelte ich den Kopf und verlangsamte meine Galoppsprünge, bis sie schließlich langsam und kontrolliert waren. Die anderen beiden Pferde verlangsamten ebenfalls, aber wohl mehr, weil sie nicht mehr konnten. Im ruhigen Schritt, damit wir uns alle von dem wilden Galopp erholen konnten, bewegten wir uns in Richtung

Sprungstrecke. "Willst du springen?", fragte Marion verwundert. Ich nickte. "Klar, aber zuerst ohne Reiter. Immerhin bin ich noch nie gesprungen und ich will dir nicht wehtun.", erklärte ich und Marion grinste. "Wie süß.", meinte sie und zog das süß in die Länge. "Nachher landen wir beide im Dreck und ich bin dann die, die sich schlimmer verletzt", fügte ich daraufhin noch lachend dazu. Meine Reiterin streckte mir beleidigt die Zunge raus. Wenig später waren wir auch schon an der Strecke angekommen. Es waren Natursprünge, die irgendjemand mal dort hingebaut hatte. Zwei der vier Sprünge waren

umgestürzte Bäume, ein Sprung war eine niedrige Hecke und ein Sprung war ein alter Bewässerungsgraben für die alten Tabakplantagen, die es hier vor 100 Jahren gab. In der Ortenau, vor allem bei Rust, hatte man früher Tabak in Massen angebaut, aber heute zeugte nicht mehr viel davon. Kaum ein Feld beherbergte noch diese Pflanze. "Also, Jungs?", fragte ich in die Runde und sah die zwei Hengste neben mir an, "Wer hat Lust auf eine Runde Freispringen?". Vito nickte begeistert aber ich sah ihn tadelnd an. "Die letzten zwei Sprünge machst du mir aber nicht, die sind noch zu groß für dich. Das musst du erst noch trainieren.". Thorgal

wägte auch ein bisschen ab. "Ok, ich mache aber auch nur die ersten zwei Sprünge. Ich will nicht, dass mein Bein schon wieder wehtut.". Ich warf Marion einen bedeutenden Blick zu und sie rutschte breitwillig von meinem Rücken. Dann trabte ich zum Anfang der Strecke, damit ich genügend Anlauf hatte. Denn ich wollte den Anfang machen. Aus dem Stand galoppierte ich an und testete noch im Laufen den Untergrund. Er war fest, sodass ich mich gut abstoßen konnte. Der erste Baum kam immer näher und als ich kurz davor war, schwang ich meine Vorderbeine in die Luft und stieß mich gleichzeitig mit den Hinterbeinen

ab. Kurz fühlte ich die Schwerelosigkeit, bevor ich wieder auf dem Boden aufkam. Ich hatte etwas wenig Schwung gehabt und flog deshalb nur knapp über den Stamm. Das einzige, was mich daran hinderte, den Baum zu streifen, waren meine Beine, die ich ganz fest angezogen hatte. Die Landung war ziemlich hart, da ich es noch nicht gewöhnt war zu springen, aber ich federte es gut ab. Allerdings stolperte ich ein bisschen und taumelte kurz, bevor ich mein Gleichgewicht wieder gefunden hatte und mit kräftigen Sprüngen auf den Graben zusteuerte. Hier setzte ich mehr in die Weite, sprang

aber zu früh ab, sodass ich nur mit viel Strecken meines Körpers, das andere Ende erreichte. Meine Hinterbeine landeten zum Teil im Graben und ich brauchte kurz, bis ich wieder zu meinen gleichmäßigen Galopp zurückgefunden hatte. Beim vorletzten Hindernis schätzte ich den Sprung richtig ein und gekonnt flog ich ohne weiter Zwischenfälle drüber. Dann kam das letzte Hindernis. Es war der dicke, alte Baum, der von Moos bedeckt war. So fest ich konnte stieß ich mich vom Boden ab und flog gen Himmel. Es fühlte sich so viel besser an, als das Gefühl, dass ein Reiter je haben konnte. Die Spannung meiner

gesamten Muskeln. Das Adrenalin. Die Gewissheit, dass ich selber dafür verantwortlich war. Es reichte nur ein Fehler und schon wäre Schluss mit Lustig. Mich überlief eine Gänsehaut, die man unter meinem weißen Fell aber nicht sehen konnte. Es kam mir vor wie in Zeitlupe, als ich hinüber glitt. Viel zu früh berührten meine Hufe den Boden wieder und ich federte meinen Sprung gekonnt ab. Allmählich wurde ich doch besser. Mit wehender Mähne galoppierte ich schließlich wieder zu meinen Kameraden zurück. Marion lächelte mich an, als ich mit glänzenden Augen zu ihr trabte. "Los Marion, ich nehme dich mit!", forderte

ich sie liebevoll auf und ohne zu Zögern rutschte Marion auf meinen Rücken. Mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt, sodass es ihr nicht mehr unangenehm war, auf mir zu sitzen, nur weil ich mit ihr reden konnte. "Aber nur die ersten zwei Sprünge, Hanna. Keiner will hier ja, dass du dich verl-", sie verstummte, als ich ihre Energieströme mit meinen verband, sie sehen ließ, was ich sah. Ich behielt die Verbindung bei und lief im Schritt etwas weiter zurück, um mehr Anlauf zu haben. Marion war zwar absolut schlank, aber trotzdem merkte ich die 60 Kilo genau. Deutlich mehr Schwung war nötig, um uns beide gesund über das

Hindernis zu bekommen. Vorsichtig galoppierte ich schließlich los, immer noch mit Marion verbunden. Sie schnappte nach Luft, als sie das Hindernis schnell näherkommen sah. Lachend stieß ich mich vom Boden ab und flog mit einem guten Abstand über das Hindernis. Ohne Umschweife galoppierte ich weiter zum nächsten Hindernis. Meine Augen maßen innerhalb von Sekunden die Höhe ab und welchen Schwung ich brauchen würde. Angestrengt nahm ich den Kopf nach oben, um einen besseren Überblick zu haben. Im Turniersport wurde den Pferden genau das verwehrt. Fast alle Springpferde trugen Martingal. Klar, ich

selbst war kein Gegner davon, doch dennoch brauchte ich den Überblick für das Hindernis. Mit ganz hohem Kopf konnte man nicht springen, das war mir klar. Doch ich brauchte den erhobenen Kopf um einen Überblick zu bekommen. Kurz vor dem Hindernis fiel ich wieder in meine gewohnte Haltung und stieß mich kräftig ab. Mühelos überwand ich den Graben und wollte schon auf das nächste Hindernis zusteuern, als Marion mir etwas ins Ohr schrie: "Hanna, nein! Spring nicht, dass ist zu gefährlich für ein ungeübtes Pferd mit Reiter!" Kurz drehte ich den Kopf, sah ihre blau leuchtenden Augen ins Leere starren. Sie sah immer noch mit meiner Sicht.

Aber ihr Gesicht war leicht panisch. Kurz entschlossen wandte ich mich wieder dem Hindernis zu. Bei der Hecke war es nicht so schlimm, wenn wir streiften. Ich sammelte meine gesamte Kraft und flog in die Höhe. Dennoch hatte ich die Hecke etwas falsch eingeschätzt, ich spürte die picksenden Äste am Bauch, als ich streifte. Mein silberner Schweif verhakte sich in den Ästen und als ihn rauszog, blieben einige meiner Haare an der Hecke hängen. Es ziepte für einen Moment, doch ich steuerte bereits das letzte Hindernis an. Das schwerste. Der alte Baum. Marion krallte sich vor Schreck an mir fest, aber dennoch

bereit, jeden Moment loszulassen. Immerhin war sie Stuntreiterin. Sie wusste, wie man fallen musste. Doch etwas fesselte sie auf meinen Rücken. Meine Sicht fand sie wohl viel zu spannend. Mit einem kurzen Blick scannte ich den Baum ab, bereit, in die Höhe zu fliegen. Im richtigen Moment spannte ich alle meine Muskeln an und stieß vom Boden ab. Für eine Ewigkeit schienen wir so in der Luft zu hängen, ehe die Schwerkraft wieder ihren Tribut forderte und mich hinunter holte. Gekonnt flog ich die Kurve über den Baum, die Beine dicht an meinen Bauch gepresst. Ich hatte sehr knapp kalkuliert. Meine Hufspitzten streiften

das dunkelgrüne Moos und ich wollte gerade wieder am Boden aufsetzen, als mir meine Hinterbeine den knappen Sprung zur Rechnung stellten und hängen blieben. Ich hätte es auch geschafft, wäre da nicht der eine kleine Ast, an dem mein rechter Hinterhuf hängen blieb. Der Boden war noch viel zu weit entfernt, als dass ich hätte normal aufsetzten können. Mein Bein bremste meinen gewaltigen Schwung so extrem schnell aus, dass es knackste und ich mit der Schnauze voran in die dunkle Erde flog. Zuerst knallte mein Körper noch voll gegen den Baum, bevor mein Bein endlich freikam und ich einen Überschlag

machte, um schließlich zusammengerollt am Boden liegen zu bleiben, sofern man das bei einem Pferd so bezeichnen konnte. Mein Gehirn war wie vernebelt, aber zumindest wurde mir nicht sofort schwarz vor Augen. Einige Punkte tanzten mir trotzdem in der Sicht herum und ich musste mit Entsetzen feststellen, dass Marion nicht mehr auf meinem Rücken war. Nach dem Überschlag ist das ja wohl klar, dachte ich sarkastisch und sah mich nach ihr um. Sie saß am Boden und schenkte mir einen tadelnden Blick. Ihr Rücken war ebenfalls mit der Walderde bedeckt, also nahm ich an, sie hatte sich gekonnt abgerollt. Stuntreiterin

eben. Ich selbst lag noch immer ziemlich komisch am Boden und musste zuerst wieder meine Glieder sortieren. Als ich einigermaßen ordentlich wieder am Boden lag, kam Vito, in Begleitung mit Thorgal, auch endlich um die Ecke. "Hast du dir etwas getan?", fragte mein Falbe sofort besorgt, doch ich schüttelte den Kopf. "Im Moment tut mir noch nichts weh.", erklärte ich und stellte meine Vorderbeine auf, um aufstehen zu können. Doch sobald ich mit den Hinterbeinen ebenfalls aufstehen wollte, fuhr mir ein stechender Schmerz durch den gesamten Körper. Mein rechtes Hinterbein tat bei Belastung unglaublich weh. Marion war inzwischen

auch wieder aufgestanden und trat zu mir. "Siehst du! Jetzt lahmst du! Du bist doch echt ein Dickkopf, Hanna.", meinte sie vorwurfsvoll. "Ja, aber ich wollte dir eben beweisen, dass ich das kann.", murmelte ich schuldbewusst und ließ den Kopf hängen. "Hanna, du musst mir gar nichts beweisen! Du bist schon unglaublich genug, wenn ich auf dir reite.", sagte sie liebevoll und kraulte meinen Hals. "Kannst du gehen?", fragte sie mich nach einer kurzen Pause schließlich und ich nickte müde. "Dann lass uns gehen und Zuhause sehen, was man machen kann.", meinte sie und noch immer mit schlechtem Gewissen, trottete ich hinter

ihr her. So gut wie möglich versuche ich mein Bein zu entlasten, was mir aber nicht immer gelang. So waren wir extrem langsam. Wir brauchten eine gute Stunde, um wieder zurück zur Arena zu kommen. Normal wäre vielleicht eine viertel Stunde. Erschöpft ließ ich mich dort, zusammen mit Vito, in den Sand der Arena sinken. Das Pferd bot mir eine Schulter zum Anlehnen an, was ich dankbar annahm. Ich war vollkommen am Ende. Mein Bein schmerzte durch den langen Weg, den ich zurücklegen musste, höllisch. Dabei war es gar kein so langer Weg gewesen, doch mir kam es so

vor. Kurz darauf kam Marion wieder, mit irgendetwas in der Hand, was ich nicht erkennen konnte oder wollte. Vorsichtig tastete sie mein Bein ab und schüttelte nur den Kopf. "Hanna, Hanna... Was machst du nur für Sachen...", meinte sie und lächelte leicht. Als ihre Hand vorsichtig mein Bein berührte, zuckte ich zuerst heftig zusammen, denn mein Bein war angeschwollen und dadurch äußerst empfindlich. "Dein Bein glüht ja regelrecht.", stellte Marion dann trocken fest und nahm ihre Hand wieder zurück. "Und was hat das zu bedeuten?", gab ich zurück. "Also ich würde sagen, du verwandelst dich jetzt erst einmal zurück

und dann gehst du zum Arzt. Aber vorher machen wir dich noch sauber. Du bist ja voller Erde.", schlug sie vor und sah mich prüfend an. Mein weißes Fell war immer noch mit der Erde vom Sturz bedeckt und ich sah mehr braun als weiß aus. "Na gut, mach das.", stimmte ich zu und stand vorsichtig auf, um mein rechtes Hinterbein nicht zu belasten. Als ich später in der Stallgasse, bei Vitos Box, stand kam mir ein weiterer Gedanke. "Und was sagen wir eigentlich unseren Kollegen? Das ich vom Pferd gefallen bin? Wohl kaum...", fragte ich. "Wie wäre es mit 'In der Dusche ausgerutscht'?", fragte Marion kichernd

zurück und fuhr damit fort, mein weißes Fell zu bürsten. Sie konnte das echt richtig gut. Es fühlte sich an wie eine Massage, so wie sie es machte. "Sehe ich so dumm aus?", rief ich empört und blickte Marion böse an. Sie lachte nun lauter und schlug "Böse stolpern?", vor. "Wenn du so unkreativ bist, nehmen wir doch 'Von der Treppe gefallen, weil diese nass war und somit sehr rutschig war'.", schlug ich, nun auch kichernd, vor. "Ok, aber das war dann deine Idee!", gab Marion grinsend zurück und wir mussten beide lachen.

Kapitel 26

Am nächsten Morgen wachte ich, an Vito gekuschelt, auf. Wie immer, nach der Pferdenacht, war ich nackt und mein Haar glänzte silbern. Als ich mich ein wenig bewegte, fuhr ein stechender Schmerz in meinen rechten Knöchel und ich warf einen Blick an meinem Bein hinunter. Hoppla, dachte ich, als ich den riesigen blau-lila Fleck auf besagter Stelle entdeckte. Zudem war das ganze ziemlich dick angeschwollen und belasten konnte ich es auch kaum. Umständlich richtete ich mich ein wenig auf und zog mich an den Gitterstäben hoch. Anschließend humpelte ich in die

Umkleidekabine, um mir meine Kleidung wieder anzuziehen. Dann setzte ich mich wieder zu Vito und beobachtete ihn, wie er langsam aufwachte. Müde blinzelte er und schlug dann die Augen auf. Sein Blick fiel auf mich und ich lächelte. "Guten Morgen, Hanna.", meinte er und rappelte sich auf. "Hast du silberne Haare?", fragte er plötzlich und sah mich merkwürdig an. "Ja, die sind noch von heute Nacht übrig geblieben.", erklärte ich und seine Augen wurden größer. "Dann bist du ja wirklich ein Pferd. Es war gar kein Traum!", sagte er verwundert. Lachend strich ich ihm über die Stirn. "Was meinst du, warum ich mit euch reden

kann?". "Ich hatte es noch nicht so richtig geglaubt, ich wollte es erst mit eigenen Augen sehen.", gab er nachdenklich zurück. "Jetzt hast du es ja gesehen.", lächelte ich, aber Vito wurde schlagartig ernst. "Dann ist das mit dem Sturz ja auch passiert!", rief er entsetzt. "Sieht so aus.", murmelte ich und zeigte ihm mein Fuß. "Oh.", machte Vito nur. Da kam Marion, sie warf einen Blick in die Box und schüttelte lachend ihre langen Haare. "Wusste ich doch, dass ich dich hier finde! Wie geht's deinem Fuß?", fragte sie sofort. "Ich würde sagen er ist blau, angeschwollen und tut weh. Also allen im allen eigentlich ganz

gut.", meinte ich sarkastisch und Marion grinste. "Komm, wir gehen zum Arzt.", schlug sie vor, wobei es mehr wie ein Befehl klang. Seufzend zog ich mich an den Gitterstäben der Box hoch und verabschiedete mich von Vito mit einem kurzen Kuss auf die samtweiche Nase. Kurz darauf saßen wir beim Arzt, der meinte, mein Knöchel wäre angerissen. Aber gebrochen nicht ganz. Zum Glück fragte er nicht, wie es passiert war. Er verschrieb mir eine Schiene und ich sollte mein Bein auf jeden Fall schonen. Als ich erwähnte, das ich sehr viel mit reiten zu tun hatte, verschrieb er mir auch noch eine Woche Reitverbot. Na

super. Aber ich kannte mich zu gut. Drei Tage, das wusste ich, würde ich maximal aushalten ohne auf dem Rücken von irgendeinem Pferd zu sitzen. Ich konnte ja ohne Sattel reiten, da wurde mein Knöchel auch nicht so sehr belastet. Etwas später waren wir dann wieder in der Arena. Als ich Vito erzählte, dass ich nicht reiten durfte, stimmte ihn das ebenfalls ein wenig traurig, was mich überraschte. Normalerweise freuten sich die Pferde ja, wenn sie frei hatten und nicht noch jemanden durch die Gegend tragen mussten. Da ich nichts Besseres zu tun hatte, beschäftigte ich mich mit dem Flechten

der langen Mähnen einiger Pferde. Dabei saß ich auf den Boxentüren, um meinen Knöchel nicht zu belasten. Fast alle Pferde hier trugen ihre Mähne mindestens bis zum Halsende. Es waren ja alles Hengste und Ludo meinte so schön: "Man solle den Pferden ihre Haarpracht ja nicht nehmen!". Auch wenn ich der Ansicht war, für Stuntpferde seien lange Mähnen ziemlich unpraktisch. Immerhin könnten sie sich damit irgendwo verhaken, hängen bleiben oder bei Feuerstunts könnte sogar die ganze Mähne anbrennen! Aber genau um so etwas zu verhindern, flocht ich mit viel Liebe, zumindest versuchte ich einigermaßen sanft zu

sein, nun die Mähne von Talo. Allerdings war ich kein großer Künstler und die Zöpfe sahen nachher mehr schlecht als recht aus. Audrey, die das eigentlich am liebsten machte, stand zufälligerweise in meiner Nähe und kicherte. "Ich glaube, das musst du noch üben!", grinste sie und kam zu mir. Dann machte sie einige Zöpfe nochmal auf und versuchte zu retten, was noch zu retten war. Sie machte das außerdem in der dreifachen Geschwindigkeit wie ich. Neidisch sah ich ihr dabei zu. Warum konnte sie das nur so gut? "Ich habe das schon zu oft gemacht!", grinste sie, als sie meinen erstaunten

Blick bemerkte. Ich schüttelte nur den Kopf und rutschte von der Boxentür hinunter, darauf bedacht, mein Bein nicht zu belasten. Auf dem linken Bein hüpfte ich die Stallgasse entlang in Richtung Thorgal, um Marion ein bisschen zu helfen, die ihr Pferd ebenfalls einzöpfelte. Wie immer machte sie ihrem Pferde einen Bauernzopf und ich sah ihr dabei aufmerksam zu. Immerhin wollte ich es auch lernen. Als Marion gerade mit der Hälfte fertig war, sah sie mich grinsend an und hielt mir die Stelle hin, an der sie aufgehört hatte. Ich verstand die Aufforderung natürlich sofort und kam zu ihr in die Box gehumpelt. "Ich bin

aber nicht gut darin.", warnte ich sie noch, bevor ich ihr die Strähnen von Thorgals Mähne aus der Hand nahm. Dann begann ich vorsichtig, das angefangene Werk zu vollenden. Natürlich war ich um Ewigkeiten langsamer als meine Freundin, die mir streng auf die Finger sah und korrigierte, wenn ich wieder schief wurde. Schließlich hatte ich es geschafft und die schmerzenden Finger reibend, begutachtete ich mein Werk. So schlimm sah es gar nicht aus. Klar, man konnte die Stelle, an der Marion aufgehört hatte, deutlich sehen, doch ich fand das nicht so schlimm. Und die Besucher der Show achteten eh nicht so

genau darauf. Um den restlichen Mittag zu vertreiben schlenderte ich im Park umher und sah mir die Flamenco Show an. Mit meinem Fuß wollte ich sowieso nicht durch den gesamten Park laufen. Selbst das Globe war dafür zu weit entfernt. Ich war froh, als am Abend wieder etwas Ruhe eingekehrt war und ich endlich noch ein bisschen Vito bewegen konnte. Dieser war nun den ganzen Tag in der Box gestanden und litt darunter, dass ich meinen Fuß nicht belasten konnte. Doch nun ließ ich ihn in der Arena frei rennen und das gefiel ihm ganz gut. Seine freien Bewegungen zauberten mir ein Lächeln ins Gesicht. Er war so

schön. Die Abendsonne färbte die Wolken am Himmel orange und die Arena versank in der Dämmerung in einem mystischen Licht. Und inmitten ein Wirbelwind, eine goldene Kreatur, die begeistert durch die Arena fegte. Er erinnerte mich an ein Video, was ich vor langer Zeit mal auf Youtube gefunden hatte. Es enthielt ein Gedicht, was ich einfach nur liebte. Aus dem Himmel wurde ein Windhauch gesandt. Und aus dem aufgewirbelten Sand erschien eine Kreatur, so schön, so rein. Seine Bewegungen, so anmutig. Seine Seele, so freundlich. Seine Freundschaft, so

loyal. Sein Herz, so ungezähmt. Trotzdem hat es eine Bindung zu dem Menschen, wie kein Anderer... Um für immer als Gottes wertvollste Schöpfung in Erinnerung zu bleiben. Das Pferd. Und genau das war Vito gerade. Ein Pferd, das so anmutig wirkte, wie ein Araber. Es tat so gut, ihm zuschauen zu können und dabei wissen zu dürfen mit diesem Wesen befreundet zu sein. Nach einer Weile wurde mein Falbe aber wieder ruhiger und stellte sich zu mir ans Geländer. Er sah mich von unten so treuherzig an, dass ich lachen musste. "Was willst du?", fragte ich grinsend. So

einen Hundeblick setzte er nur auf, wenn er irgendetwas wollte. "Hast du noch ein paar Möhren?", fragte mein Pferd unschuldig zurück. "Nein, aber einen Apfel.", grinste ich und holte den Apfel vom Mittagessen aus der Tasche. Da im Menü der Kantine immer ein Apfel inbegriffen war, hoben wir die meistens für die Pferde auf. Manchmal nahmen wir auch mehrere mit, je nachdem, welcher Küchenchef da war. War es nämlich der Chef persönlich, der Essen ausgab, konnte man nur einen Apfel mitnehmen. Sobald er aber nicht mehr da war, steckten uns das Personal dort sogar manchmal Äpfel zu, was wir natürlich dankend

annahmen. Ich gab ihm eine Hälfte und steckte die andere Hälfte wieder in die Tasche, dann setzte ich mich auf die schwarzen Gummimatten des unteren Umlauf, also auf den Boden und fing an, Vito an den Nüstern zu kraulen. Dieser streckte seinen Kopf wohlig durch das Geländer zu mir nach oben und prustete mir ins Gesicht. "Komm, setzt dich drauf. Ich trage dich zurück in den Stall.", bot er schließlich an und ich stand vorsichtig auf, wobei ich das Geländer als Stütze missbrauchte. Dann schwang ich mich darüber, sodass ich mich nur noch auf Vitos Rücken fallen lassen musste. Allerdings tat ich ihm den Gefallen und

setzte mich vorsichtig, so gut es eben mit meinem Fuß ging, auf seinen Rücken. Als ich schließlich bequem saß, trottete Vito auch schon los, allerdings in die falsche Richtung. "Vito?", fragte ich vorsichtig, "Der Ausgang ist rechts und nicht links." Vito schüttelte belustigt den Kopf. "Ich möchte etwas ausprobieren.", erklärte er. "Oh nein, Vito. Denkst du daran, dass ich eigentlich Reitverbot habe?", tadelte ich, leicht ärgerlich. "Jaja, ich weiß. Du wirst schon nicht runterfallen.", versuchte er mich zu beruhigen, doch so ganz glaubte ich ihm nicht. Als wir am Ende des Sandplatzes waren, drehte

sich Vito wieder in Richtung Ausgang und fing an, im spanischen Schritt loszulaufen. Innerlich schlug ich die Hände über dem Kopf zusammen. Spanischer Schritt war sowieso ziemlich schwer für einen Vierjährigen und dann noch mit Reiter? "Wenn wir nachher beide im Sand liegen, dann kannst du was erleben!", meinte ich, ohne Ernst. Vito schüttelte nur lachend seine lange Mähne, die immer noch nicht eingezöpfelt war. Ich hatte einfach zu große Angst, dass ich seine schöne Mähne verschandelte. Da Vito die Beine ziemlich weit nach oben nahm, schwankte sein ganzer Körper und ich schloss erst einmal die Augen,

um das nicht mit ansehen zu müssen. "Wir werden beide im Sand liegen!", murmelte ich immer wieder, doch Vito schaffte es ohne Probleme. Als wir dann wieder in seiner Box waren, warf er mir noch einen abfälligen Blick zu. "Du könntest mir mal mehr vertrauen!" "Ist ja nicht so, als dass ich ohne Sattel auf dir draufsitze, obwohl du alle Möglichkeiten hast, mich in Sekundenschnelle zu Matsch zu verwandeln.", grinste ich und küsste ihn auf die Nase. "Eigentlich gar keine so schlechte Idee.", gab er, ohne Ernst, zurück. "Du bist so doof!", meinte ich noch, bevor wir beide in schallendem Gelächter

ausbrachen. Natürlich hielt ich mich nicht an das Verbot vom Arzt. Vor Kurzem hatte ich mich nämlich an den Ausritt mit Bolero, Vito und allen anderen erinnert. Als wir damals über den Galoppweg gejagt waren. Und der Wunsch, endlich auf Vito zu galoppieren, war wieder in mir erwacht. Der Traum vom ersten eigenen Galopp auf meinem Pferd. Auf dem Pferd, dass ich selbst zugeritten hatte. In das ich so viel Liebe gesteckt hatte und wegen dem ich so gelitten hatte. Kurzerhand hatte ich beschlossen, ich würde es heute machen. Seit der Vollmondnacht waren nun genau drei Tage vergangen. Es war Freitag in der

dritten Woche der Sommerferien. Und ich war wahnsinnig aufgeregt. Den Morgen verbrachte ich mit dem richten von Vito. Der Falbe musste glänzen, denn wir wollten den Galopp filmen. Rocheforts Reich freute sich garantiert, auch wenn nicht nur sie damit gemeint waren. Ich hatte eine Festplatte, auf der unser gesamter Werdegang filmisch dokumentiert war und ich war so froh darum. Eine Stunde brauchte ich für meine Arbeit, doch es konnte sich sehen lassen. Vitos lange Mähne hatte ich noch mit Mähnenspray eingesprüht, sodass sie jetzt schön glänzte. Seinen Schopf hatte ich eingeflochten, sodass

er nicht im Weg war, wenn wir galoppierten. Marion hatte unterdessen Aguilito gerichtet. Sie wollte Thorgal nicht noch mehr belasten und der Fuchs hatte einen ruhigen Galopp. Immerhin musste sie nebenbei noch die Kamera festhalten. Während ich Vito geputzt hatte, hatte ich mich außerdem entschieden, ohne Sattel zu reiten. Klar, ich wusste, das war absolut gefährlich, da ich seinen Galopp ja gar nicht kannte, aber das war mir egal. An der Longe und beim Freirennen hatte ich ja schon gesehen, dass Vito keinen allzu schwungvollen Galopp hatte. Er war mehr der Typ, der flach, doch dafür richtig schnell

galoppierte. Schließlich holte ich seine Trense, die ich immer noch bewunderte. Ludo hatte vor Kurzem noch ein paar goldene Schnallen hinzugefügt, sodass die Trense jetzt ziemlich edel wirkte. Doch für den Winter würde ich ihm noch eine normale Dressur Trense kaufen. Die hochwertige, selbstgemachte, war mir eigentlich zu schade. Es war ja eine Showtrense. Vito folgte mir, als ich ihn auf den Hof führte. Dort wartete Marion mit Aguilito bereits. Chris und Rango standen ebenfalls etwas abseits. "Gehen sie auch mit?", fragte ich Marion, die nickte. "Ja, aber sie werden ein bisschen hinterher reiten. Eigentlich

wollten sie heute ausreiten gehen und da haben sie sich uns angeschlossen.", erklärte sie. "Kein Problem.", meinte ich nur. Vito machte sich rücksichtsvoll für mich kleiner, damit ich leichter auf ihn draufkam. Immerhin wollte ich ihm nicht in den Rücken fallen und meinen Fuß nicht belasten. Manchmal war er ganz schön ein Gentleman und manchmal dagegen, was eigentlich häufiger der Fall war, ein total fauler Teenager, der nicht mehr machte, als er musste. Und für diesen vielseitigen Charakter liebte ich ihn. Nie konnte ich genau sagen, was seine nächste Aktion war. Marion hatte in einer Hand die Zügel und

in der anderen Hand den Camcorder. So ritten wir vom Hof. Meinem Fuß ging es mittlerweile ein bisschen besser. Zwar konnte ich ihn immer noch nicht vollständig belasten, aber mit der Schiene konnte ich zumindest einigermaßen wieder laufen. Mein Pferd kaute locker auf dem Gebiss und ich ließ die Zügel durchhängen. Im Schritt ritten wir zu der Galoppstrecke. Als wir schließlich am Anfang des Feldweges standen wurde ich immer nervöser. Das übertrug sich sogar auf Vito, der ungeduldig mit dem Huf scharrte. Aber auch er hatte ein bisschen Angst. "Was ist, wenn ich etwas falsch mache?", fragte er mich

leise und ich kraulte ihm beruhigend den Hals. Dann beugte ich mich nach vorne. "Du machst schon nichts falsch. Alles wird gut gehen.", flüsterte ich ihm ins Ohr. Sein Kopf drehte sich zu mir. "Aber was ist, wenn du runterfällst?", fragte er leise. Wie süß er sich Sorgen um mich macht, dachte ich schmunzelnd. "Vito, ich reite jetzt schon so lange. Selbst wenn ich runterfallen sollte, dann war es mein Fehler und nicht deiner. Lass es uns einfach genießen!", lachte ich, um meine eigene Nervosität zu überspielen. Marion hob die Kamera schließlich auf mich. "Läuft!", rief sie noch und ich drehte Vito so, dass wir direkt in die

Kamera sahen. "Also, ihr da draußen. Ihr Arena Fans!", grinste ich, auf Deutsch. "Das was ich jetzt mache, dürft ihr auf gar keinen Fall nachmachen. Vielleicht kennt ihr ja noch den hübschen Hengst hier.", meinte ich und deutete auf Vito, "Ihn habe ich selbst eingeritten und heute steht unser erster Galopp an. Also das ist auch für Vito eine Premiere. Es ist das erste Mal, dass er mit einem Menschen galoppiert. Normalerweise macht man das auch zuerst an der Longe, aber ihr wisst ja, ich habe einen Dachschaden.", ich grinste ein wenig. "Also, nicht nachmachen! Auf gar keinen Fall. Das ist extrem gefährlich,

weil ihr seht ja, ich sitze hier auch noch ohne Reithelm und Sattel. Wir filmen das Ganze jetzt. Dann könnt ihr ja sehen, ob ich das überlebe. Andererseits habe ich auch eine Bindung zu dem Pferd, die nicht jeder hat. Seine ganze Entwicklung unter dem Sattel habe ich selbst geführt und ich bin auch bisher die Einzige, die auf seinem Rücken sitzt. Also ich weiß schon, was ich hier mache.", erklärte ich und drehte mich dann von der Kamera weg. Jetzt war es endlich so weit. "Bereit?", fragte ich Marion noch und ich sah, dass sie nickte. "Wir schaffen das, Vito!", sagte ich liebevoll zu meinem Hengst. Dieser

tänzelte nervös über den lehmigen Untergrund des Feldweges. Ein letztes Mal holte ich tief Luft und gab Vito dann die Galopphilfen. Dieser sah mich nochmal fragend an und als ich nickte, galoppierte er langsam aus dem Stand an. Er versuchte möglichst sanft zu sein, was ich auch merkte. Zuerst hatte ich mich noch in der Mähne festgehalten, doch es war nicht notwendig. Sein Galopp war noch viel besser, als ich es mir vorgestellt hatte. Ein wenig schwungvoller, als ich dachte, aber es ließ sich wunderbar sitzen. Ich richtete mich weiter auf und federte die Bewegungen des Pferdes locker in der Hüfte

mit. Als ich mich endlich sicher fühlte, das war schon nach zwei, drei Galoppsprüngen, wurde ich auch entspannter und drückte Vito ein bisschen die Schenkel in den Bauch. "Du bist noch viel zu brav!", rief ich, "Ich falle nicht runter, galoppiere ruhig etwas wilder!" Das ließ sich Vito nicht zweimal sagen. Durch seinen Körper ging ein Ruck und er streckte sich im Wind. Damit ich ihn nicht behinderte, beugte ich mich ebenfalls ein wenig nach vorne. Seine Mähne peitschte mir ins Gesicht und ich spürte die vielen Muskeln unter mir arbeiten. Da war wieder die Freiheit, die ich so sehr

liebte. Langsam ließ ich die Zügel aus der Hand gleiten und ließ endgültig los. Ich streckte meine Arme zur Seite, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Vito galoppierte immer noch und es tat so gut, endlich wissen zu können, dass man sein Ziel erreicht hatte. Naja, ganz erreicht hatte ich es nicht, aber ich war so weit, dass ich endlich sagen konnte, Vito eingeritten zu haben. Dieser Prozess von Einreiten zog sich über den Rest seines Lebens, denn immer lernte er dazu. Immer konnte ich ihm etwas Neues beibringen. Doch im Moment war ich einfach nur glücklich, auf meinem Pferd über den Weg zu jagen. Mein Kopf

war im Moment einfach nur noch leer, das einzige Gefühl dass ich empfand, war die Liebe und das Vertrauen für mein Pferd. Und die Freiheit, die es mir brachte. Alles andere war vergessen. Es gab nur noch Vito und mich. Das Ende der Strecke kam viel zu schnell, aber ich wusste, dies war nur der Anfang unserer gemeinsamen Geschichte. Der Anfang einer Geschichte voller Vertrauen.

Kapitel 27

Mein Hengst wurde langsamer und verfiel schließlich in den Schritt. Er atmete schneller als vorher, aber er schien genauso glücklich wie ich es war. Erwartungsvoll drehte er den Kopf zu mir. "Und?", fragte er und ich fiel ihm überglücklich um den Hals. "Du bist das beste Pferd der Welt.", seufzte ich nur und kraulte ihn an der Brust. "Und du bist der beste Mensch der Welt.", antwortete er sanft. Marion kam zu mir, in der Hand die Kamera. "Wow.", meinte sie nur und ritt näher zu uns. "Wieso?", fragte ich lächelnd, "Sah es aus, als ob ich gleich

runterfallen würde?" "Im Gegenteil.", lachte Marion verträumt. "Es war wunderbar, euch zusehen zu können. Ihr seid ein Team und das hat man gesehen. Ich zeige dir nachher die Aufnahmen, dann kannst du es ja selbst sehen.". Ich nickte lächelnd und ritt wieder im Schritt an. Vito war so toll zum Reiten. "Marion?", fragte ich nach einer Weile schließlich und sie sah mich fragend an. "Was ist?" "Hast du schon einmal Wanderreiten gemacht?", fragte ich nachdenklich. "Nein, ich bin mit Trickreiten ganz glücklich. Wieso? Willst du das mal machen?", fragte sie und ich nickte begeistert. "Das wäre bestimmt toll. Vielleicht sogar in

nächster Zeit, um Vito besser an den Sattel zu gewöhnen und ihm den letzten Feinschliff in seiner Ausbildung zu geben. Wenn er nämlich, sagen wir jetzt drei Tage, wirklich nur unter dem Sattel ist, lernt er es vielleicht am besten. Und es ist ja nicht so, als dass er den Sattel nicht schon kennt. Er würde sich einfach besser an ihn gewöhnen.", erklärte ich meine Idee, die mir gerade erst gekommen war. "Wohin denn?", mischte sich das betreffende Pferd nun ebenfalls ein. "Ich dachte so mal zurück in mein Heimatdorf. Das ist ja nicht so weit entfernt. Das sind nicht mehr als 60 Kilometer von hier. Und dann könnten

wir ja noch einen Umweg durch den Schwarzwald machen, da ist es viel entspannender. Das Ziel wäre dann Kehl-Sundheim, wo Agrento mittlerweile steht. Da wohne ich ja auch. Dort gibt es einen schönen Reitstall, da kannst du dann übernachten.", erklärte ich Vito und dieser nickte. "So in drei, vier Tagesetappen. Je nach deiner Kondition könnten wir das auch nur in zwei Tagen schaffen, aber wir wollen ja nicht hetzen.", erklärte ich weiter. Marion hatte ebenfalls zugehört. "Das können wir ja nochmal durchsprechen. Aber jetzt lass uns doch einfach den Ausritt genießen.", meinte sie und ich nickte. "Ok.", lachte ich und trabte Vito

sanft an. Talo folgte ihm sofort, ohne dass Marion viel tun musste. Chris, der die ganze Zeit weiter hinten geblieben war, galoppierte plötzlich an uns vorbei und lachte mich an. Neben mir parierte er wieder zum Trab durch und sah mich neckend an. "Zeit für eine Revanche?", schlug er vor und meinte damit unseren Ausritt damals, als Vito noch nicht eingeritten war. "Wenn du meinst, du hast eine Chance...", grinste ich nur, denn ich wusste noch genau, wie er damals gesagt hatte, Vito sei das schnellste Pferd im Stall. Rango schlug nur selbstgefällig mit dem Schweif. "Gegen meine Erfahrung habt ihr keine Chance.", schnaubte er abfällig

und ich verkniff mir ein lautes Lachen. "Wir werden sehen.", sagte nun auch Chris und ich drehte mich zu Marion um. "Machst du auch mit?". Doch sie schüttelte den Kopf. "Galopp ja, aber Aguilito ist nicht schnell genug, um mit euren Pferden mitzuhalten.", entschuldigte sie sich. Natürlich, Aguilito war etwas dicker, als unsere durchtrainierten Andalusier und hatte einen ruhigen Galopp. Gegen die wendigen, schlanken und schnellen Körper von Vito und Rango hatte er keine Chance. Das war definitiv unfair. Also ließ Marion sich an den Schluss fallen und Chris und ich hielten weiter vorne an. Er deutete nach vorne. "Von

hier bis zum Waldende.", erklärte er die Strecke und ich sah sie abschätzend an. Sie war nicht sehr lang und so konnte ich, ohne Vitos Kräfte zu schonen, direkt Vollgas geben. Darauf freute ich mich schon. "Hast du gehört Vito?", fragte ich schelmisch. "Die meinen, sie können uns besiegen. Aber wir sind als Erster wieder aus dem Wald draußen, da können sie noch so lange rennen.", erklärte ich ihm die Strecke, wobei ich wieder auf meine Formulierung achten musste, damit Chris nicht misstrauisch wurde. Dieser schüttelte nur grinsend den Kopf. "Auf die Plätze... Fertig... LOS!", schrie er und Vito machte einen gewaltigen Satz nach vorne, sodass ich

kurz mit dem Gleichgewicht zu kämpfen hatte. Immerhin ritt ich ja ohne Sattel. Aus Vorsicht war Vito deshalb langsamer geworden, was Rango einen kleinen Vorsprung schaffte. Doch nur wenige Augenblicke später hatte ich mich gefangen und Vito ließ seine völlige Kraft frei. Ich konzentrierte mich nur noch auf die trommelnden Hufe meines Pferdes und beugte mich dicht über seine Mähne, damit ich ihm keinen Windwiderstand entgegen brachte. Rango war nur noch knapp einen Meter vor uns, Vito galoppierte schon dicht neben seinem Bauch. Chris saß ebenfalls im leichten Sitz auf seinem Pferd und feuerte Rango lautstark

an. In meinen Ohren begann es durch den Wind, den Vito erzeugte, zu rauschen und die Umgebung flog nur so vorbei. Langsam, aber sicher, zog mein Falbe schließlich an Rango vorbei. Mir war bewusst, dass ich durch die hohe Geschwindigkeit schon wieder ein wenig klammerte, aber dadurch saß ich sicherer und auch Vito schien sich dadurch angestachelt zu fühlen. Mit Sattel wäre das garantiert einfacher gewesen. Die Zügellänge ließ ich mein Pferd selbst bestimmen und dieser nutzte das auch voll aus und streckte seine Nase flach in den Wind. Die schwarze Mähne versperrte mir die

Sicht, aber ich vertraute meinem Hengst. Er würde uns schon sicher an das Ziel bringen. Schließlich galoppierten wir Kopf an Kopf mit unseren Gegnern. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass die Ziellinie bedrohlich nahe kam. Auch Vito sah das und ein kräftiger Ruck ging durch den Körper des Pferdes, als es noch ein letztes Mal seinen gesamten Muskeln in Bewegung setzte, um schneller zu werden. Jetzt zogen wir an Rango vorbei. Mit einer Pferdelänge Vorsprung gewannen wir schließlich und lächelnd fiel ich Vito um den Hals. "Du bist der Allerschnellste.", lobte ich ihn, aber

mein Pferd antwortete nicht. Er war noch zu sehr außer Atem. Auch Chris und Rango waren vollkommen fertig und dazu noch mies gelaunt. "Ich habe es dir ja gleich gesagt.", lachte ich Chris aus. Dieser ritt beleidigt im Schritt davon. Ich dagegen wartete noch auf Marion. Sie war zwar ebenfalls galoppiert, aber hatte langsam gemacht. Aguilito war ja sowieso nicht ganz der Schnellste und war heute schon zwei Shows gegangen. "Lässt du uns hier verstauben?", neckte ich sie in Anspielung darauf, dass sie nicht ganz so schnell war wie ich. "Ja, natürlich. Du solltest dein 'Goldstück' mal wieder polieren! Er glänzt gar nicht

mehr!", grinste sie zurück. "Ach was. Das kommt schon noch. Schau lieber mal dein Pferd an. Das ist schon ganz rostig vom langen Marsch!", machte ich weiter. Der Fuchs warf mir einen bösen Blick zu. "Dafür kann ich aber nix!" "Das ist nicht rostrot, das ist schönes, kräftiges Bronze!", verteidigte Marion Aguilito ebenfalls. "Also wenn du das als Bronze bezeichnest ist Vito doch glänzendes Gold.", grinste ich. "Jaja, im Herzen sind sie doch alle Gold wert.", beendete Marion damit unsere Diskussion. "Dir fällt nur kein Gegenargument ein.", brachte ich die Situation kichernd auf den Punkt und Marion verdrehte die

Augen. "Gleich schmeiße ich dich vom Pferd.", drohte sie mir ohne Ernst. "Versuch's doch.", erwiderte ich und streckte ihr die Zunge raus. Das war eine schlechte Idee. Provozier niemals eine Stuntfrau, die das zu ihrem Beruf gemacht hat. Ehe ich mich versah war Marion mit einem Satz neben mich galoppiert und gab mir einen kräftigen Stoß in die Hüfte. Natürlich war ich nicht darauf vorbereitet und rutschte, wie in Zeitlupe vom bloßen Rücken meines Pferdes. Da ich keinen Sattel hatte, an dem ich mich festhalten konnte, war mein Sturz nicht aufzuhalten. Jovito war jedoch rechtzeitig stehen geblieben und

beobachte nun, wie ich unsanft, aber im Stehen auf dem Boden landete. Zum Stunttraining gehörte eben auch das richtige Fallen und so war ich wieder auf den Füßen gelandet. Vom Boden sprang ich jetzt Marion von hinten an und zog sie ebenfalls aus dem Sattel. Während ich mich an ihrem Rücken festklammerte, hatte sie keine Chance oben zu bleiben. Durch mein Gewicht am Rücken hatte sie auch nicht die Möglichkeit, auf den Füßen zu landen und so fielen wir beide lachend auf den Waldboden. "Du bist so blöd, Hanna!", lachte Marion und rollte sich wieder auf die Füße. Dann gab sie mir ihre Hand und half mir hoch. "Und jetzt

wieder auf den Pferderücken mit dir. Immerhin wollen wir ja heute noch ankommen. Chris denkt garantiert, wir sind auf der Strecke liegen geblieben.", lachte sie immer noch und schwang sich auf den Rücken von Talo. Solche Ausritte liebte ich. Locker, spaßig und entspannend. Der nächste Tag war wie immer, nur lernte ich diesmal jemanden Neues kennen. Wobei ich ihn ja eigentlich schon kannte. Es war Marco, der junge Reiter aus Kaltenberg und Marios Sohn. Ich erkannte ihn fast sofort, als ich ihn entdeckte. Das war erst gegen Mittag, als ich vom Training mit Vito zurückkam. Wir hatten heute den großen

Sandplatz des Reitvereins Rust als Trainingsplatz genommen. Dort waren die Bedingungen einfach viel besser. Gegen einen kleinen Geldbetrag durften wir diesen regelmäßig mitbenutzen. Das einzige Problem war, dass sie dort auch Stuten stehen hatten. Aber Vito war dafür ziemlich brav gewesen. Marco war ungefähr in meinem Alter, hatte braune mittelkurze Haare und blaue Augen. Ludo und er saßen auf den weißen Plastikstühlen, die sie wohl aus den Umkleiden herausgetragen hatten und unterhielten sich ein wenig. Ich beachtete sie nicht weiter und führte Vito in seine Box. Ruhig nahm ich ihn den Longiergurt ab und brachte diesen

zurück in die Sattelkammer. Anschließend holte ich noch ein paar Möhren für mein Pferd. Kurze Zeit später stand ich wieder bei Vito, der an ein paar Heuhalmen kaute und aufsah, als ich seine Box betrat. Ich ließ mich auf das Stroh am Boden sinken und der Falbe kam sofort zu mir gelaufen. "Ich rieche etwas Leckeres.", meinte er neugierig und senkte seinen Kopf zu mir herunter. Lachend begann ich ihn mit den Möhren zu füttern. "Wer ist der Typ eigentlich, der da bei Ludo war?", fragte mein Pferd weiter. "Das ist Marios Sohn. Er heißt Marco.", erklärte ich. "Achso.", meinte Vito nur. Liebevoll strich ich meinem Pferd über

die Wangen, als dieser seinen Kopf bei mir ließ. Plötzlich stieß er mich jedoch fest mit seiner Schnauze gegen den Bauch, sodass ich rückwärts in das Stroh fiel. "Hey!", lachte ich, doch Vito ließ sich nicht beirren. Er stellte seine Vorderhufe direkt neben meine Arme und fesselte mich so an den Boden. "Ich bin stärker als du.", schmunzelte mein Hengst und ich lachte. "Aber ich bin kleiner.", grinste ich und wand mich zwischen seinen Vorderbeinen direkt unter seinen Bauch. Ehe sich mein Pferd versah, war ich von dort auch schon hervorgekommen und nun lag ich lachend auf seinem Rücken. "So schnell wendet sich der Spieß.", sagte ich nur

liebevoll und drückte ihm einen Kuss in das goldene Fell. "Redest du mit deinem Pferd?", fragte plötzlich eine männliche Stimme. Ich drehte den Kopf und blickte direkt in Marcos blaue Augen. "Ja, denke schon.", antwortete ich wahrheitsgemäß. "Du hast ein hübsches Tier.", führte er das Gespräch weiter. Worauf wollte er hinaus? Wegen Smalltalk war er garantiert nicht hierhergekommen. "Danke.", sagte ich schlicht. "Du bist ja Hanna, oder?", fragte er und ich nickte schließlich. "Ich bin Marco.", gab er zurück. "Weiß ich, ich habe dich in Kaltenberg gesehen.", erklärte ich. "Oh, das wusste

ich nicht.", murmelte er. Marco sah weg und wurde ein wenig rot. "Auf was willst du eigentlich hinaus?", fragte ich schließlich. "Naja, Achterbahn fahren ist allein langweilig. Und mein Bruder ist mit seiner Freundin unterwegs.", sagte er schlicht. "Und da hast du gedacht, du fragst mal mich, da ich ja bestimmt Zeit habe.", grinste ich und rutschte schließlich von dem Rücken meines Pferdes. "Jaaaa.", antwortete er gedehnt, "So ungefähr." Lachend schüttelte ich den Kopf. "Klar doch! Ich ziehe mir nur schnell etwas anderes an.", rief ich und war schon in der Umkleide verschwunden. Kurze Zeit später stand ich in Jeans und

frischem T-Shirt vor ihm. "Ludo hat wohl keine Lust mit dir Achterbahn zu fahren, oder wie?", grinste ich. Marco zuckte lächelnd die Schultern. "Schon, aber der ist an die Showzeiten gebunden. Und du bist außerdem in meinem Alter, da fühle ich mich wohler." "Dann lass uns gehen.", sagte ich gut gelaunt und wir verließen die Arena. "Mit wem warst du dann heute morgen unterwegs?", fragte ich schließlich. "Mit meinem Bruder. Aber zu dritt ist es ja blöd mit den ganzen Bahnen, da sie ja meistens nicht mehr als zwei Sitze pro Reihe haben, und dann bin ich irgendwann zu euch geflüchtet.

Außerdem ist er nicht der größte Fan von Achterbahnen, genauso wie seine Freundin. Es war langweilig mit denen.", erklärte er. "Achso. Was willst du zuerst fahren?", fragte ich. "Silver Star.", meinte er und seine Augen begannen zu leuchten. "Deine Lieblingsbahn?", fragte ich lachend und er nickte. "Meine auch.", meinte ich und ging zum EP-Express. Dies war eine Hochbahn, die gemütlich durch den ganzen Park fuhr. Da der Silver Star am anderen Ende des Parks lag, hatte ich wenig Lust zu laufen. Also fuhren wir in den griechischen Themenbereich, der direkt neben dem Französischen lag. In Frankreich stand nämlich der Silver

Star. Die Wartezeit hielt sich in Grenzen. Dafür, dass Sommerferien und somit Hauptsaison war, war wenig los. Wir standen nur zwanzig Minuten. Als wir den Hügel hinauffuhren schloss ich die Augen, denn es war ziemlich entspannend. Die 67 Meter, die es hochging wurden aber nicht von Allen gut aufgenommen. In der Reihe hinter uns unterhielten sich ein paar junge Mädchen darüber: Sie standen kurz vor einer Panikattacke. Ich schmunzelte und öffnete die Augen erst, als es steil nach unten ging. Die Fahrt dauerte nur knapp drei Minuten und dann war es auch schon

wieder vorbei. Marco war nun auch ganz zufrieden und so gingen wir weiter zu Euro Sat. Dies war eine Dunkelachterbahn, eine der ältesten Bahnen im Park, die in einer großen Stahlkugel gebaut worden war. Darin war es fast dunkel, nur ein paar Laser erhellten die Strecke. Ich mochte diese Bahn nicht so. Man wurde sehr viel hin und her geschleudert und wenn man nicht aufpasste, bekam man auch schnell blaue Flecken davon. Doch Marco wollte es fahren, als taten wir das auch. Bis Parkschluss fuhren wir Achterbahnen und der war heute erst um 21:00 Uhr. Marco war furchtbar nett

und es machte unheimlich viel Spaß mit ihm durch den Park zu schlendern. Als letztes fuhren wir Atlantica, die Wasserachterbahn direkt neben der Arena. Die Strecke der Bahn führte sogar über den Backstagebereich der Arena. Dort sahen wir, wie Camille den Hof fegte. Lachend riefen wir sie und als sie uns entdeckte, winkte sie uns. Wir kicherten und ignorierten die fragenden Blicke der anderen Mitfahrer. Immerhin waren wir nicht alleine in dem Boot, das 16 Leute fasste. Natürlich wurden wir klatschnass, aber das war von Atlantica auch nicht anders zu erwarten. Das war nämlich die Bahn mit dem höchsten Nässefaktor, wenn man

nicht gerade bei Fjord Rafting Pech hatte. Fjord Rafting war nämlich ziemlich launisch. Bei den kreisrunden, sich drehenden Booten, die den Wildwasserkanal hinunterfuhren wurde man manchmal gar nicht nass und ein anderes Mal komplett. Leider wurde man nur dann komplett nass, wenn man es am wenigsten gebrauchen konnte. Doch bei Atlantica wurde man grundsätzlich komplett nass. Da war es egal, wo man saß und wie schnell sie eingestellt wurde. Man konnte diese Bahn nämlich auch abbremsen, um den Nässefaktor etwas zu verringern. Doch das half selten etwas. Nass betraten wir schließlich wieder die

Arena. "Ihr seht glücklich aus.", grinste Lou zur Begrüßung, als sie uns sah. Da man noch den Geburtstag von dem einen Flamenco Tänzer gefeiert hatte, waren die meisten noch da. Die Flamenco Tänzer waren ziemlich gut mit uns befreundet, weil wir ja denselben Backstagebereich hatten. "Oh, wir hatten einen tollen Nachmittag. Nicht wahr, Marco?", grinste ich und dieser nickte. "Natürlich! Sollen wir eigentlich noch reiten gehen?", fragte er mich schließlich. "Es ist halt schon kurz nach Neun.", meinte ich nachdenklich. "Na und? Dann schlafen wir morgen halt aus!", rief Marco voller Vorfreude und zog mich lachend in den

Stall. Er schob mich vor Vitos Box. "Auftrensen!", befahl er mir und nahm sich selbst Pelegrino, Ludos Pferd, das dem Arena Boss höchstpersönlich gehörte. Aber der Braune ging manchmal auch in den Shows mit. Ohne Sattel ritt ich vom Hof. Marco ritt mit Sattel. Mich beschlich das Gefühl, dass ich dringend Vito besser an den Sattel gewöhnen sollte, sonst würde Mario die Krise bekommen. Die Abendsonne schien auf uns herunter und im Schritt ritten wir in Richtung Wald. Es mochte vielleicht kitschig klingen, aber für mich war dieser Ausritt im Sonnenuntergang der schönste Abschluss

des Tages, den ich je hatte. Marco war ausnahmsweise mal ruhig, was für ihn eher ungewöhnlich war. Er war der quirlige Typ, der gerne redete und viel lachte. Genauso wie ich. Dennoch hatte er seine ruhigen Seiten und eine lernte ich gerade kennen. Wir hatten nicht vor zu galoppieren. Warum auch? Die Pferde hatten ja heute schon gearbeitet und wir waren auch erschöpft. Im Wald blieben wir dann doch nicht lange, da die Schatten der Bäume doch schon eine gewisse Kühle spendeten und es ein wenig kalt wurde. Da war uns der Feldweg, der ohne Bäume war, schon lieber. Links und rechts waren Äcker und die Abendsonne

warf unsere Schatten noch weit in die Maisfelder hinein. "Du kannst wunderbar reiten.", meinte Marco irgendwann und ich sah ihn erstaunt an. "Danke.", meinte ich nach einer Weile geschmeichelt, "Du aber auch.". Er machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ach was." "Was findest du an meinem Reitstil denn so toll?", fragte ich schließlich neugierig. "Deine Art und Weise. Du gibst eher weniger Hilfen und lässt das Pferd entscheiden. Nur die wichtigsten Entscheidungen übernimmst du. Und das Pferd macht das mit und wirkt dadurch richtig entspannt und lässig. Ich wüsste gar nicht, wie ich das machen sollte. Mir

wurde das Reiten so beigebracht, dass ich sofort versammelt reite. Mittlerweile laufen die Pferde unter mir automatisch so. Viel Entspannung ist da eigentlich nicht mehr. Aber du kannst das ja so, dass die Pferde innerhalb von Sekunden zwischen Entspannung und Arbeit wechseln können. Und das bewundere ich bei dir.", erklärte er. "Danke.", murmelte ich und lächelte beschämt. Das hatte noch keiner zu mir gesagt. Da ich nicht wusste, was ich sonst noch darauf sagen sollte, blieb ich ruhig. Irgendwo war das zwar auch unhöflich, denn eigentlich müsste ich jetzt ein Gegenkompliment geben. Aber ich wusste nicht, wie ich das sagen

sollte. Sein Reitstil war durchaus fast perfekt. Er war eben sehr wie sein Vater. Das Pferd lief unter Kontrolle und aufmerksam. Im Gelände, so wie wir gerade ritten, war das zwar überhaupt nicht notwendig, doch er hatte bereits gesagt, dass er das automatisch machte. Es gab so Leute, bei denen das Pferd, sobald der Reiter auch nur drauf saß, sofort versammelt ging. Dabei taten diese noch gar nichts. Aber die Ausstrahlung des Reiters von langem, erfahrenem Reiten, sprach oft für sich. Die Pferde fühlten diese Ausstrahlung und gingen aus Respekt sofort ordentlich. Genau das tat jetzt auch Pelegrino. Der Braune lief

ordentlich durch das Genick und wirkte trotzdem irgendwo entspannt. Natürlich war er nicht so entspannt, wie Vito es war. Dieser lief nämlich mit weit nach vorne gestrecktem Hals und eher schlurfenden Schritten. Man sah ihm an, dass er schon keine Lust mehr hatte. Nach einer Stunde kamen wir wieder Zuhause an. Jetzt bezeichne ich die Arena schon als Zuhause, dachte ich grinsend und rutschte von Vitos Rücken. Dann brachte ich das Pferd wieder in seine Box zurück und ging zu Marco, der gerade Pelegrino absattelte. "Alles klar?", fragte ich. "Ja, denke schon.", meinte er nur und nahm den Sattel von dem Rücken seines Pferdes.

"Kann ich dir helfen?", fragte ich vorsichtig. "Eigentlich nicht.", sagte er und schüttelte den Kopf. Einerseits wollte ich noch nicht gehen, aber unnötig herumstehen wollte ich auch nicht. Mittlerweile war schon 22 Uhr und ein Bus würde eh nicht mehr fahren. Ich nahm mein Handy aus der Tasche und rief meine Mutter an. "Wo bleibst du?", meldete sie sich sofort. "Parkschluss war erst um Neun und danach waren wir noch ausreiten. Kannst du mich abholen?", fragte ich schließlich vorsichtig und hörte ein Stöhnen auf der anderen Seite der Leitung. "Hanna, es ist um 10! Du hast doch oft genug schon in Rust

übernachtet, dann kannst du das heute ja auch mal tun!", seufzte sie. Das war meine Familie, wie ich sie kannte. Die Vollmondnächte hatte ich bisher immer mit einer Übernachtung bei Marion umschrieben. "Ja, von mir aus. Aber dann beklage dich nicht mehr, dass ich so selten bei euch bin.", brummelte ich und legte auf. "Komm doch zu uns mit ins Hotel! Wir haben noch ein Bett frei.", schlug Marco vor und ich hob die Augenbrauen. "Habe ich Französisch geredet?", fragte ich vorsichtig, denn eigentlich hätte er nicht verstehen können, was ich mit meiner Mutter geredet hatte. Denn sie war ja eigentlich

Deutsch, konnte Französisch aber wunderbar. "Ja, wieso?", antwortete Marco verwirrt. "Meine Mutter ist eigentlich Deutsche. Aber da mein Vater französisch ist, kann sie ganz gut Französisch und ich kann beide Sprachen. Aber da ich jetzt in den gesamten Ferien nur Französisch geredet habe, habe ich ganz vergessen zu wechseln.", erklärte ich und Marco nickte. "Verstehe. Aber du kannst wirklich mit zu uns kommen. Wir haben noch einen Platz im Hotelzimmer frei.", bot er mir nochmal an. "Und wenn ich ein Massenmörder bin? Du kennst mich doch gerade mal einen Tag!", grinste ich. "Egal, ich vertraue

dir.", meinte er und umarmte mich. "Falls nicht, bekommst du es mit mir zu tun!", raunte er in mein Ohr und ließ mich wieder los. Lachend stieß ich ihn von mir weg. "Du bist so verrückt!". "Natürlich bin ich das. Es ist mein zweites Ich!", rief er und begann mich schelmisch grinsend zu kitzeln. Schon nach wenigen Sekunden kamen mir die Tränen vor Lachen, also beschloss ich dem Ganzen ein Ende zu machen, wand mich aus seinem Klammergriff und stieß ihn mit einer schnellen Bewegung nach hinten. Marco erhaschte jedoch den Saum meines T-Shirts und zog mich mit in seinen Fall, sodass wir beide im Stroh von Pelegrinos Box landeten.

"Huch. War das Notwehr?", fragte er lachend und ich knurrte ihn gespielt an. "Hör auf, so zu sein. Sonst sterbe ich vor Lachen.", sagte ich, gefährlich und bleckte die Zähne. Sofort wurde Marco ernst und sah mich unschuldig an. Allerdings zuckten seine Mundwinkel und ich sah, dass er diese Maske nicht lange halten konnte. Und wirklich. Nur zwei Sekunden später prustete er wieder los und nebeneinander lagen wir schließlich lachend im Stroh. Es tat so gut, einfach nur unbeschwert lachen zu dürfen. Es ließ mich alle Sorgen über Thorgal, Marion und den Zeitdruck mit dem Einreiten vergessen. Nach einer Weile konnten wir schließlich

aufhören zu lachen und ich sah, wie Marco aufstand, um den Sattel von Pelegrino endlich wegzubringen. Ich blieb dagegen noch am Boden liegen und lächelte still in mich hinein. Marco war mir jetzt schon ein richtig guter Freund geworden. Und das nach diesem einen Tag, den wir zusammen verbracht hatten. Kurze Zeit später stand er wieder an der Boxentür und sah auf mich herab. "Komm jetzt, du sollst doch nicht die Nacht hier verbringen. Was wird meine Mutter wohl denken, wenn wir so spät kommen." Lachend stand ich auf und klopfte mir das Stroh von der Reithose. "Weiß sie überhaupt davon?", fragte ich

grinsend und Marco nickte ehrlich. "Ich habe sie gerade angerufen.", erklärte er und zupfte mir das restliche Stroh aus dem Haar. "Hübsche Farbe.", meinte er irgendwann und hielt meine silberne Strähne hoch. "Ach, das ist misslungen. Eigentlich sollte es blond werden, aber die Frisöse hat sich vergriffen.", meinte ich, als perfekte Notlüge und zuckte mit den Schultern. Marco kicherte. "Steht dir.", sagte er trotzdem und ich lächelte. "Danke." Dann ging ich in Richtung Umkleide. Dort hatte ich, seit meiner ersten Vollmondnacht, stets frische Kleidung deponiert. Ich stopfte sie in einen Rucksack und ging damit zurück zu

Marco. "Also jetzt können wir gehen.", meinte ich und wir liefen zum Ausgang. Zusammen mit seiner Mutter, Fadila und seinem großen Bruder, Lucio, wohnte er in einem Zimmer im Hotel Santa Isabel. Sie empfingen mich mit offenen Armen und meinten es sei kein Problem, wenn ich eine Nacht bei ihnen bliebe. Was ich dann auch tat.

Kapitel 28

Am nächsten Morgen wurde ich durch das Gefühl geweckt, angestarrt zu werden. Ich öffnete vorsichtig die Augen und blickte direkt in Marcos sanftes Gesicht. Er saß einige Meter vor meinem Bett und beobachtete mich. Ein Lächeln erschien auf meinem Gesicht, als ich an den vergangenen Tag dachte. "Guten Morgen, Hanna.", flüsterte er und sah mich aus seinen eisblauen Augen direkt an. "Morgen, Spanner.", grinste ich zurück. "Nur weil ich hier sitze?", fragte er unschuldig. "Ja, du könntest auch aus dem Fenster schauen.", gab ich zurück. Marco drehte

sich demonstrativ um. "Ich bin heute nicht im Park. Wir fahren nach Freiburg. Wenn wir schon in Deutschland sind, müssen wir das auch nutzen.", fuhr er dann fort. "Achso. Wie viel Uhr ist eigentlich?", fragte ich dann. "Halb zehn. Aber keine Sorge, Lucio schläft auch noch.", antwortete er und drehte sich wieder zu mir um. "Zeit zum Aufstehen.", kommentierte ich dazu nur und stand auf. Dann verschwand ich kurz ins Bad, um mich umzuziehen. Geduscht hatte ich schon am vergangenen Abend. Wenn man den ganzen Tag bei Pferden war, kam man nicht darum herum, jeden Abend zu

Duschen. Kurze Zeit später stand ich wieder in meinen schwarzen Reithosen und meinem blauen Europapark T-Shirt in dem Zimmer. Das T-Shirt konnte man in jedem Shop im Europapark erwerben und ich hatte mir mal wieder den Vorteil als Mitarbeiter gegönnt, weniger zu zahlen. Ich verabschiedete mich höflich von allen und sagte nochmal Danke, bevor ich wieder das Zimmer verließ. Marco begleitete mich bis zum Parkeingang. Dort umarmte er mich. "War schön mit dir.", murmelte er noch. "Man sieht sich bestimmt irgendwann wieder.", lächelte ich und erwiderte seine Umarmung. Dann gab er mir noch

zum Abschluss die üblichen Franzosenküsschen und ich verschwand wieder in die Arena. Den Ersten, den ich dort sah, war Chris. Er schraubte seinem Pferd gerade die Stollen an die Hufeisen. Als er mich entdeckte, grinste er frech. "Du strahlst ja regelrecht! Marco hat dir ganz schön den Kopf verdreht, was?", fragte er und lachte lauthals. Ich zog hörbar die Luft ein. "Du bist so ein...", fauchte ich und ließ das Schimpfwort offen in der Luft hängen. Ich ahnte, was er vorhatte und ging in seine Richtung. "Wehe, du verbreitest hier Gerüchte! Da läuft gar nichts.", stellte ich klar und blickte ihn böse an. "Ach, noch nicht geküsst?",

stichelte er weiter. "Nein." antworte ich trocken, machte auf dem Absatz kehrt und lief zu Vito. Das Pferd hatte dafür mehr Verständnis. Obwohl... auf den Gedanken war ich noch gar nicht gekommen, dass zwischen Marco und mir etwas laufen könnte. Klar, Marco war nett, lustig und lieb. Aber wir hatten erst einen Tag zusammen verbracht und hatten festgestellt, dass wir viel gemeinsam hatten. Ob da allerdings mehr war als Freundschaft, wusste ich nicht. Ich war noch nie in meinem Leben verliebt gewesen. Wie auch? Ich konnte ja gar nicht, wenn Morendos Aussage stimmte. Nachdenklich begann ich mein Pferd zu

putzen. Wie immer war Vito so gut wie sauber, da die Boxen penibel sauber gehalten wurden. Keiner der Schimmel durfte auch nur einen Mistfleck auf dem Fell haben. Dann brachte ich Vito in die Arena, wo ich ihn wieder rennen ließ. Der Falbe genoss das regelrecht und ich setzte mich wieder auf das Geländer und sah ihm zu. Die Zeit verflog regelrecht und ich merkte erst, dass wir schon kurz vor Zwölf hatten, als einer der Backstagemitarbeiter, die für die Türöffnung und die Ordnung in den Rängen der Zuschauer zuständig waren, bereits hinunter zu den wartenden Zuschauern ging, um das Tor zu öffnen.

"Willst du nicht raus, Hanna?", fragte er, doch ich schüttelte den Kopf, einer plötzlichen Idee folgend. Er zuckte die Schultern und verschwand in Richtung Tor. Ich räumte lediglich die Absperrung weg, damit sie nachher nicht im Weg war. Vito sah mich erwartungsvoll an. "Sind wir jetzt fertig?", wollte er wissen, doch ich schüttelte den Kopf. "Nein, aber gleich kommen die Zuschauer, dann muss alles hier weg sein.", erklärte ich und konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie mein Falbe nervös herumtänzelte. "Nicht wieder so viele Menschen, oder?", fragte er noch hoffnungsvoll und wieder verneinte ich. "Da werden schon einige

kommen." "Muss das sein, Hanna?", fragte er noch und diesmal nickte ich. "Ja. Aber ich bin ja da. Dir wird schon nichts passieren.", versuchte ich ihn zu beruhigen. Geschlagen seufzte mein Falbe und starrte auf den Boden. Ich begann, ihn ein wenig durch die Gegend zu führen, während die Zuschauer in die Ränge strömten. Viele sahen mich erwartungsvoll an, als ob sie von mir etwas erwarteten. Doch da musste ich sie leider enttäuschen, vielleicht konnten wir allerhöchstens noch den spanischen Schritt zeigen, wenn wir wieder die Arena verließen. Vito benahm sich sogar. Auch wenn er

am liebsten davon gerannt wäre. Da ich aber ganz ruhig blieb, ließ er sich davon anstecken und blieb ebenfalls ruhig. Am Ende präsentierten wir wirklich noch den spanischen Schritt, wofür wir auch ein wenig Applaus bekamen. Der kam jedoch ziemlich überraschend und mein Pferd schrak zurück und riss mir beinahe den Strick aus der Hand. Ruhig nahm ich ihn wieder auf und beendete die Übung. Eigentlich kannte der Falbe das Geräusch, doch diesmal war es etwas überraschend gekommen. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Kurz darauf waren wir wieder draußen. Vito mochte so viele Menschen nach wie vor nicht, doch allmählich schien er sich

daran zu gewöhnen. Liebevoll drückte ich ihm noch einen Kuss auf die Nase und ging wieder zu Marion, die, wie immer in letzter Zeit, bei Thorgal stand, um leise mit ihm zu reden. "Soll ich dolmetschen?", fragte ich leise und grinste ein wenig. Marion zuckte zusammen. Ihr Blick war dunkel und hatte jede Lebensfreunde von früher verloren. "Nein, jetzt nicht. Ich muss doch gleich in die Arena.", murmelte sie nur und schwang sich auf den Rücken ihres gesattelten Pferdes. Thorgal trabte artig in Richtung Arena. Seine Beine hatten wir jetzt immer schwarz bandagiert und jeden Abend bekam er Calciumtabletten und noch so ein

Medikament, dessen Name ich mir nicht merken konnte. Da ich nichts Besseres zu tun wusste, ging ich mal wieder ins Globe. Da gerade keine Show lief, ging ich in den Hintereingang hinein und sah hinunter in den Backstagebereich, wo Eliza und James nebeneinander auf dem Boden saßen und lachten. Die zwei verstanden sich mittlerweile echt gut und, obwohl es Eliza ständig abstritt, schienen sie wie ein Paar. "Hi, El. Tag, James.", begrüßte ich sie und setzte mich neben sie. "Hallo, Hanna. Lange nicht mehr gesehen.", meinte Eliza nur abfällig. "Wieso? Hast du mich vermisst?", fragte ich lachend. "Nee, nicht wirklich. James

war ein guter Ersatz.", meinte sie nur trocken. "Was ist denn los?", fragte ich sie schließlich. "Das fragst du noch?!", schrie sie beinahe. "Jap, denke schon.", antwortete ich grinsend. "Seit zwei Wochen versuche ich schon, dich zu erreichen, doch du hast nie Zeit für mich! Eine tolle Freundin bist du!", knurrte sie nur. "Wärst du doch vorbeigekommen.", erklärte ich, nun ebenfalls eiskalt. "War ich. Viermal hintereinander. Doch immer hast du mich abgewimmelt.", meinte sie sauer. Daran konnte ich mich gar nicht mehr erinnern. Mist, dann war es wohl eine ernste Sache. "Hast mich ja durch deinen

braunhaarigen Typen ersetzt, ich weiß es schon.". Oh, mit ihr war wohl echt nicht zu spaßen. "Wann denn?", fragte ich schließlich. "Gestern habe ich dich mit ihm im Park gesehen!", sie betrachtete auffällig desinteressiert ihre Fingernägel. "Achso. Das war Marco. Er war nur gestern ausnahmsweise da und deshalb sind wir nunmal zusammen durch den Park gelaufen.", erklärte ich sanft, doch Eliza wollte das nicht hören. "Für ihn hast du Zeit, aber für mich nicht?", ihre Stimme klang ziemlich sauer. "Was meinst du warum ich hier bin?", fauchte ich wütend. "Ah, die Dame hat sich mal von ihrem Thron gehoben und ist zum

armseligen Volk hinuntergestiegen.", antwortete sie nur abfällig. "Ach, weißt du was?", fragte ich sauer. Ich hatte jetzt echt keine Lust mehr. "Fahr zum Teufel, Eliza. Wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben willst, ist mir das doch egal. Ein eigenes Pferd zuzureiten beansprucht Zeit und die habe ich die letzten zwei Wochen dadurch kaum gehabt. Verstehe das endlich. Du hast ja jetzt auch James, da kann es dir ja egal sein!", schrie ich und verließ mit zügigem Schritt das Globe. Die Tür zur Umkleide knallte ich hinter mir zu. Es war mir ehrlich egal. Nur weil ich mich mal zwei Wochen um meine beste, Verzeihung, ex-beste Freundin

gekümmert hatte, hieß das doch noch lange nicht, dass sie mir egal war. Doch jetzt war es mir egal. Sollte sie doch bei James bleiben. Die nächsten paar Tage verbrachte ich mit der Planung meines Wanderrittes. In der letzten Ferienwoche sollte es nämlich soweit sein und man konnte nie früh genug anfangen zu planen. Um genau zu sein war das nämlich schon nächste Woche und mir wurde mal wieder bitter bewusst, dass die Sommerferien doch nur sechs Wochen hatten. Danach würde ich nicht mehr so viel Zeit mit Vito verbringen können. Nachdenklich breitete ich eine Landkarte vom Ortenaukreis auf dem

Boden aus. Es war leicht zu sagen, wo ich langreiten würde. Ich musste nach Straßburg. Direkte Luftlinie waren das vielleicht nicht mal 50 Kilometer, doch ich würde einen großen Umweg durch den Schwarzwald reiten. Meine Route sollte über Seelbach bis Oppenau und von dort direkt nach Sundheim führen. Insgesamt waren das vielleicht drei Tagesetappen. Vielleicht auch vier, wenn ich einen Zwischenstopp in Appenweier machte. Dort wohnte mein Onkel. Ich betrachtete die Karte und markierte dann die entsprechenden Abschnitte. Anschließend holte ich mein Handy und telefonierte mich jeweils zu den entsprechenden Ställen und Hotels

durch. Geschlagene drei Stunden brauchte ich, bis ich alles organisiert hatte. Insgesamt würde ich wohl 150 Euro ärmer sein, aber das war mir egal. Denn das war es mir wert. Anschließend machte ich mich daran, Vito zu bewegen. Der Falbe brauchte seine Bewegung schließlich. Da es schon fast 20 Uhr war, das war der heutige Parkschluss, führte ich Vito wieder in die Menschenmassen im spanischen Themenbereich. Umso schneller er sich daran gewöhnte, desto besser. Mittlerweile war er ja fast daran gewöhnt, aber so richtig Showbereit war er noch

nicht. Ruhig führte ich Vito das Tor hinaus, das direkt an den öffentlichen Bereich grenzte. Dort waren die Besucher. Täglich liefen mehrere Tausend über diese Fläche. Aufmerksam sah sich mein Falbe um. Sicherheitshalber nahm ich den Strick kürzer, doch, wie immer, war Vito brav. Fast brav. Naja, nicht ganz brav. Als er sich kurz umgesehen hatte, begann er, spaßeshalber, ein wenig den Hengst zu spielen. Er stellte den Schweif auf und begann spielerisch um mich herumzutänzeln. Lachend kraulte ich ihm den Hals. "Was soll das denn wieder?", fragte ich. "Den Menschen

gefällt es!", bemerkte mein Goldfalbe nur und deutete auf die Menschen, die mittlerweile um uns herum standen. Grinsend zupfte ich am Halfter, als Vito auch noch den spanischen Schritt präsentierte. "Lass es. Du brauchst dich nicht wichtigmachen!", erklärte ich. "Wieso? Es macht Spaß." Wirklich, ein paar der Menschen um uns herum applaudierten. "Jetzt komm wieder zurück auf den Boden!", meinte ich nur, als Vito sich immer mehr aufführte. Doch dieser hörte nicht wirklich auf mich. "Hey!", knurrte ich. "Benimm dich jetzt oder wir gehen zurück in den Stall." Kurz hielt mein Pferd inne. Dann blitzten seine

Augen plötzlich auf und er stieß sich ganz sanft mit den Vorderbeinen vom Boden ab. Er ging nur ein paar Zentimeter vom Boden weg, doch es schien ihn zu bestätigen. Das nächste Mal stieß er sich kräftiger ab und stieg prächtig. Wir hatten das noch nie geübt, es war gefährlich. Aber das wusste nur ich. "Komm sofort runter!", fuhr ich ihn an. Mein Pferd schwankte ein wenig und schien nicht wirklich ausbalanciert, weshalb er mir sofort gehorchte. "Es reicht!", sagte ich ärgerlich und führte ihn zurück in den Stall. Jetzt war ich wütend. Jetzt hatte ich ihm einmal erlaubt, sich ein bisschen so

aufzuführen und schon nutze er das aus. Das sollte er nicht. Im Stall brachte ich ihn direkt zu seiner Box zurück. "Was hast du dir dabei gedacht?", fuhr ich ihn an. Vito blickte irritiert. "Ich habe doch gar nichts gemacht!", rief er empört. "Nein... überhaupt nichts... Du bist ja nur gestiegen!", gab ich sarkastisch zurück. Jetzt blickte Vito traurig. "Ich dachte, du fändest das toll.". "Ja, wenn du es können würdest. Aber wir haben das noch nie trainiert und ich will nicht, dass du unkontrolliert steigst! Das ist gefährlich für dich, für mich und für alle in der Umgebung. Du könntest dich nach hinten überschlagen

und ohne das richtige Training ist das lebensgefährlich!", entgegnete ich bitter. "Aber, ich wollte doch nur...", setzte Vito an, doch ich unterbrach ihn. "Weißt du, ich will dich doch nicht verlieren...", erklärte ich, nun mit sanfter, liebevoller Stimme. Ich legte meine Stirn an seine und fing an, seinen Nacken zu kraulen. Vito seufzte leise. "Es tut mir Leid. Ich mache das nicht mehr.", entschuldigend sah er mich an und den treuen, dunklen Augen konnte ich wieder mal nicht böse sein. "Ist schon gut.", lächelte ich und drückte ihm einen Kuss auf die Nase. Dann wandte sich mein Pferd wieder ab und begann ein wenig an dem Heu zu

knabbern, das in seiner Box lag. Ich dagegen wusste nicht mehr, was ich tun sollte, also ging ich nach Hause. Meine Eltern waren nicht Zuhause, als ich ankam. Stattdessen lag ein Zettel auf dem Tisch. Es war ein Plakat für das Sommerfest unseres Reitstalles. Nächste Woche, Dienstag. Am Montag wollte ich in Straßburg ankommen. Wie passend, dann konnte ich ja meine Künste präsentieren. Und Vito würde zum ersten Mal einen richtigen Auftritt haben. Vielleicht konnte ich ein wenig mit ihm seine erlernten Kunststücke zeigen, auch wenn es nicht so viel war. Ich konnte aber auch ein wenig Trickreiten zeigen. Noch kannte mein

Pferd die einseitige Belastung überhaupt nicht. Aber ich konnte ja auch nur so Sachen wie Standwaage und Stehen zeigen. Eigentlich wollte ich mich auf die Freiheitsdressur spezialisieren. Denn darin waren wir und Vito schon unschlagbar. Überall lief er mir hinterher und solange ich ihm zeigte, dass etwas ungefährlich war, lief er auch über unbekannte Gegenstände. Neulich waren wir durch einen Bach gegangen und auch das hatte er gemeistert. Schließlich aß ich noch eine Banane und machte mich dann bettfertig. Immerhin war es schon kurz nach 11 Uhr. Diese Nacht träumte ich

wieder: Das schneeweiße Pferd mit dem silbernen Langhaar lief über den federnden Waldweg. Es sah sich nicht um, es rannte immer weiter. Obwohl ich von außen zusah, wusste ich, dass ich es war. Die Hufe gleichmäßig trommelnd über dem Boden. Das unermüdliche Schnauben wies daraufhin, dass es noch lange nicht müde war. Um sie herum war ein blauer Schleier, der man kaum wahrnahm. Dennoch war er da. Sah ich wirklich so als Pferd so? Es war schön, das war keine Frage... Die Stute blieb nun stehen und sah sich nach jemandem um. Ihre rehbraunen

Augen erfassten die Bewegung eines goldenen Hengstes. Er kam näher und war kurz darauf bei ihr. Liebevoll steckten sie die Nasen zusammen und liefen im Schritt nebeneinander her. Ich musste lächeln. Das war doch Vito! Was sie nicht wussten, weiter oben, viel weiter oben, als je ein Mensch kommen würde, sahen zwei hellgraue Pferde zu ihnen hinunter. Das eine hatte eine bronzefarbene Mähne, die aber von dem hohen Alter, das es besaß, schon mit grauen Strähnen durchzogen war. Das andere war ebenfalls mal weiß gewesen, doch die vielen Jahre ließen es grau scheinen. "Was sollen wir nur mit ihr machen?",

fragte das eine, eine Stute. "Ich weiß es nicht. Wir werden sie weiterhin beobachten, und dann mal abwarten, was aus ihr wird.", antwortete das Pferd mit der bronzefarbenen Mähne. Ein Hengst. "Wenn sie soweit ist, wird sie irgendwann selber ihren Weg zu uns finden. Aber jetzt wollen wir sie vorerst in Ruhe lassen, komm Ajax.", meinte die Stute und wandte sich von dem Tor ab. Der Hengst folgte der Stute wortlos.

Kapitel 29

Samstagmorgen in der vorletzen Ferienwoche, begann ich, frühmorgens schon, Vito herzurichten. Denn heute wollten wir losreiten. Mein Pferd kaute noch ein wenig auf dem Heu herum, während ich ihm schon die Satteltaschen festmachte. Anschließend füllte ich diese. Nur das notwendigste war dabei. Frische Kleidung, Regenponchos und einen gefüllten Kulturbeutel für mich und in der anderen Tasche hatte ich einen Striegel, Bürste und Hufkratzer, ein wenig Kraftfutter und Leckerlies für Vito. Dazu trug ich einen Rucksack mit Essen

und Trinken für mich und meinem vollaufgeladenen Handy, das aber ausgeschalten war. Meinen Camcorder hatte ich natürlich auch dabei. Ich wollte meinen ersten Wanderritt in einem Videotagebuch festhalten. Mir fiel gerade auf, ich könnte ja direkt anfangen. Ich holte also die Kamera heraus und schaltete sie ein. "Hallo, da draußen vor den Bildschirmen. Ihr seht hier einen gepackten Jovito.", fing ich direkt, auf Deutsch, an und schwenkte kurz zu meinem Falben, der neugierig in die Kamera sah. "Wir wollen jetzt auf einen großen Ausritt gehen. Am Dienstag sind wir dann in Straßburg. Wer will, kann

uns zuschauen, wir werden eine kleine Vorführung haben. Bei dem Reiterfest auf dem Hof von meinem Vater. Ihr findet ihn als Trabergestüt Fernay auch im Internet. Vito wird auch dort übernachten. Aber am Dienstag sind wir auf jeden Fall beim Fest. So heißen wir übrigens auch mit Nachnamen: Fernay. Gleich geht es los und ich bin schon ziemlich aufgeregt. Ich werde ein bisschen vloggen, damit ihr auch etwas zu sehen bekommt. Na dann, bis nachher.", meinte ich und schaltete die Kamera wieder aus. Dann holte ich die schöne Trense von Vito. Eigentlich war sie zu schön, um sie als normale Reittrense zu verwenden,

doch ich wollte aber auch kein Geld für eine neue Trense ausgeben. Und Vito passte sie ja und lag ihm auch angenehm am Kopf. Als wir wenig später fertig gesattelt auf dem Hof standen, sah ich noch einmal zurück. Marion lehnte am Stalltor und blickte mich ruhig an. In letzter Zeit wirkte sie immer abweisender. Ihre grünbraunen Augen wirkten dunkler als früher und manchmal lagen tiefe, lila Schatten unter ihren Augen. Oft tauchte sie auch stark geschminkt auf, um zu verstecken, wie fertig sie war. Der Abschied von Thorgal machte ihr eindeutig zu schaffen. Und ich verlasse sie jetzt einfach in ihrer

schwersten Zeit, fuhr es mir durch den Kopf. Schöne Freundin bist du... In mir nagte das Gewissen und so drehte ich mich nochmal um und lief zu ihr zurück. Ohne ein Wort umarmte ich sie. Sie seufzte nur. "Ich kann auch hier bleiben...", setzte ich an, doch meine Freundin schüttelte den Kopf. "Bloß nicht! Du bist noch so jung, genieße deine Zeit! Nachher ärgerst du dich nur um jede verschwendete Sekunde in deinem jungen Leben. Noch kannst du alles machen. Du hast so viele Möglichkeiten. Dein Pferd ist gesund, jung und voller Energie. Nutz das, Hanna.", sagte sie energisch und klang, als müsste sie sich

selbst überzeugen. Ich verstärkte meinen Griff, um sie zu trösten. Sie erwiderte. Nach einiger Zeit schob sie mich schließlich von sich in Richtung Vito. "Jetzt steig endlich auf und ab mit dir. Sonst schaffst du deine ersten 20 Kilometer nicht.", lächelte Marion, mit Tränen in den Augen. Lachend gab ich ihr noch die Bises, die Franzosenküsschen, auf die Wange und schwang mich auf den Rücken meines geduldigen Pferdes. Wobei er nicht wirklich geduldig war. Vito mochte es, einfach nur im Schatten zu stehen und vor sich hin zu dösen. Obwohl er mittlerweile vier war, das hatte ich vor

kurzem in seinem Pass gelesen, war er absolut noch ein Teenager. Energiesparend und langschläfrig, doch wenn er wollte konnte er richtig frech und aufgedreht sein. Wie ein normaler, menschlicher Teenager eben. Ich winkte Marion noch ein letztes Mal zu, warf noch schnell einen Kontrollblick in die Taschen und ertastete mein Handy in der Jackentasche. Alles war vollständig. Dann richtete ich mich auf und drückte meine Waden in den Bauch meines Falben. Mein Ziel war schließlich, mein Pferd an die normalen, überwiegend stimmlosen Hilfen zu gewöhnen. Vito gehorchte. Im Schritt ritten wir

schließlich vom Hof. Wir mussten uns nach Osten halten. Unsere Route hatte ich vergangene Tage oft genug studiert. Wir mussten immer in Richtung Schwarzwald. Nach Seelbach. 22 Kilometer. Das war nicht besonders viel, das wussten wir beide. Im Schritt würden wir vielleicht 5 Stunden brauchen. Zuerst ging es aber nach Ettenheim und von dort auf einen Feldweg durch das Gelände nach Seelbach. Dort würden wir die Nacht verbringen. Mein Plan beinhaltete auch ein Ausdauertraining für mein Pferd. Irgendwann musste er ja bis zu 15 Minuten am Stück galoppieren und das konnte er noch nicht

wirklich. Deswegen fingen wir jetzt leicht an. Morgen war die Strecke schon deutlich größer und heute war Zeit zum warmmachen. Ich redete nicht viel und schweifte deshalb mit meinen Gedanken mal wieder ab. Wenig später kreisten meine Gedanken natürlich wieder um Thorgal und Marion. Wir waren bei seiner zukünftigen Besitzerin gewesen und hatten uns die Umgebung angeschaut. Conny hatte einen ziemlich schönen Stall und alle wussten, dass es Thorgal dort gut gehen würde. Nur er selbst glaubte immer noch nicht daran. Kein Pferd denkt auch an die

Zukunft! Der blonde Hengst genoss die zusätzliche Fürsorge von Marion sehr und war zurzeit rundum zufrieden. Für ein Pferd gab es keine Zukunft, wie der Mensch sie betrachtet. Pferde leben aufmerksam im Augenblick. Nur die Vergangenheit, schwerwiegende Erfahrungen, brannte sich in ihr Gedächtnis ein. Dumm waren Pferde ja nicht, auch wenn sie ein kleines Gehirn hatten. Genauso wie sich die schlechten Erfahrungen einbrannten, taten es auch die Guten. In den wenigen Wochen, in denen Vito jetzt bei mir war, hatte er so viele gute Erfahrungen gemacht, dass er

mir wahrscheinlich für den Rest seines Lebens vertraute. Sofern ich es nicht ausnutzte. Als ich meinen rechten Knöchel kurz im Steigbügel bewegte, ziepte es dort kurz. Das war der letzte Rest meiner Verletzung. Da ich ja auch so viel Magie in mir hatte, war die Verletzung sehr schnell geheilt. In den ersten paar Tagen trug ich noch eine Bandage, aber schon kurz darauf konnte ich voller Energie wieder mit Vito um die Wette rennen. Nur hin und wieder meldete sich mein Knöchel kurz, als Zeichen, dass es noch nicht vollständig geheilt war. Ludo hatten wir dann schließlich erzählt, dass ich vor Übermut den steilen

Aufgang vom unteren Umlauf in die Arena hinuntergestürzt war. Er hatte nur gegrinst, denn da war ich nicht die Erste. An der Sommernachtsparty vergangen Jahres, der Tag, an dem der Park bis Mitternacht offen hatte, hatte es auch eine Nachtarena gegeben. Stéph hatte vor Übermut, weil es sehr voll war und er ziemlich aufgeregt war, einen kleinen Sprung oder einen falschen Schritt gemacht, so genau wusste ich das nicht mehr. Jedenfalls war er ebenfalls dort hinunter gestürzt und war einen Monat nicht mehr in der Arena zu sehen. Er hatte damals die gesamte Show über gehumpelt und ich nahm an, dass er sich auch irgendetwas

am Fuß gemacht hatte. Doch plötzlich riss mein Pferd mich aus den Gedanken. Abrupt blieb er stehen und ich nahm schnell die Zügel wieder auf. Allmählich war die Warmreitzeit für die heutige Strecke nämlich vorbei. Vor uns war ein Getreidefeld, das gerade von einem Mähdrescher abgeerntet wurde. Vito fand diese große, grüne Maschine gar nicht toll und tänzelte nervös auf der Stelle. Mit leisem Pfeifen versuchte ich ihn zu beruhigen. Pfeifen war eine Methode, die Ludo gerne anwandte, denn in der Arena gingen beruhigende Worte gerne unter und es wurde bei manchen Shows ja

auch gesprochen. Es konnte das Pferd irritieren. Deswegen hatte Mario einen guten Mittelweg mit Pfeifen gefunden. Er nannte dies selbst Siffloter. Ich hatte diese Technik gerade übernommen und Vito von Anfang an daran gewöhnt. Jetzt zahlte es sich aus und das Pferd hörte willig auf meine beruhigenden Laute. Zwar rollte er noch nervös mit den Augen, blieb aber brav stehen. Der Mähdrescher entfernte sich nämlich gerade von uns, wobei ich wusste, dass er früh oder später wieder umdrehen würde und direkt an uns vorbeifahren würde. Wir standen direkt neben dem Gerstefeld, welches er sich vorgenommen hatte. Ich entschied

vorerst nicht weiterzureiten und blieb mit meinem Falben auf dem Feldwegs stehen. Dieser hatte sich inzwischen wieder beruhigt und beobachtete die grüne Maschine interessiert. Momentan war sie nämlich ziemlich weit entfernt, drehte aber gerade wieder um. Als sie wieder langsam auf uns zu kam, verspannte sich mein Pferd erst und begann dann wieder umherzutänzeln. Es war aber eine Situation, an die er sich gewöhnen musste. Vor allem, wenn jetzt wieder die Erntezeit begann. Hätte er weiterhin Angst, musste ich auf entspannende Geländeritte, während der nächsten paar Wochen, verzichten. Und das wollte ich garantiert

nicht. Als die Maschine nur noch wenige Meter von uns entfernt war, warf Vito sich herum und wollte davon stürmen, doch mit Mühe und Not konnte ich ihn halten, sodass er schweißgebadet stehen blieb. Vito stieg verängstigt, wobei er nicht mehr als einen halben Meter vom Boden hochkam. Wir hatten es nämlich immer noch nicht geübt und mein Pferd lernte aus seinen Fehlern. Der Fahrer des Mähdreschers sah das und hielt rücksichtsvoll kurz an. Er öffnete das Fenster und rief: "Soll ich kurz warten, bis du vorbei bist, Mädchen?" Ich lächelte. Es gab also

noch freundliche Bauern. Konzentriert ritt ich mit Vito einige Volten, um ihn ein bisschen von der Maschine abzulenken. "Nein, aber haben Sie kurz Zeit? Er ist noch sehr jung und ich möchte ihm die Möglichkeit geben, sich den Mähdrescher anzusehen.", antwortete ich schließlich. Der Fahrer nickte freundlich und stellte den Motor ab. "Natürlich. Wenn du nicht eine halbe Stunde brauchst..." Lächelnd bedankte ich mich und ritt näher an den Mähdrescher dran. Mein Pferd schnaubte nervös, aber vertraute mir genug um nicht wieder einen Satz nach hinten zu machen. Schließlich stieg

ich ab und führte ihn zu der grünen Maschine. Widerwillig folgte mein Falbe mir und fing schließlich sogar an mit seiner Nase das, durch die Sonne, warme Metall zu erkunden. Der Fahrer war sehr geduldig und immer wieder bedankte ich mich. Als Vito nach zehn Minuten schließlich entschieden hatte, dass der Mähdrescher ungefährlich war, startete der Fahrer wieder den Motor. Zuerst machte Vito einen Satz nach hinten, aber er beruhigte sich schnell wieder. Noch ein letztes Mal trabte ich um die Maschine herum, bedankte mich noch ein letztes Mal und setzte dann meinen Weg

fort. Am frühen Abend kam ich dann in Seelbach an. Mein Weg führte zuerst in die Hauptstraße. Dort wohnte eine nette junge Frau, die ein paar Pferde hinter ihrem Haus stehen hatte. Vito hatte dort noch Platz. Sie war zwar nicht meine erste Wahl gewesen, doch es war schwer, jemanden zu finden, der kein Problem mit Hengsten hatte. Sogar sie hatte ich erst überzeugen können, als ich vielfach beteuerte, dass Vito absolut umgänglich war. Ich kramte in meinem Rucksack und holte das Adressbuch heraus, indem sämtliche wichtige Adressen für unsere Reise standen. Noch ein paar Häuser

weiter und ich war da. Am langen Zügel ließ ich meinen Falben das letzte Stück gehen. Kurz darauf war ich vor dem weißen Haus, aus dessen Richtung mir der typische Pferdegeruch entgegen wehte. Gerade wollte ich absteigen und klingeln, als eine junge brünette Frau aus dem Haus stürmte. "Sie sind Hanna, stimmt's?", fragte sie außer Atem. Ich nickte lächelnd. "Ach, wissen Sie, ich bin noch nicht volljährig. Sie brauchen mich nicht Siezen. Und wie heißen Sie?", fragte ich nach ihrem Namen, während ich die Steigbügel hochschlug. "Jasmin, aber duze mich bitte." "Ok.

Kann ihn gleich in den Stall bringen?". Ich nickte zu Vito und begann die Sattelgurte zu lockern. "Natürlich. Folge mir, ich zeige wo es hingeht. Schönes Pferd übrigens.", meinte sie und ich murmelte ein schüchternes Danke. Sie tippte einen Zahlencode an das Schloss neben einer Tür ein. Sofort sprang diese auf. Wir kamen in eine geräumige Scheune in der es angenehm nach Leder und Heu duftete. "Ich habe Hunger.". Vito begann an seinem Gebiss herumzukauen. Ich ignorierte ihn und hielt an, als Jasmin es ebenfalls tat. "Du kannst deinen Sattel dort hinhängen.", meinte sie und zeigte auf einen Balken, der aus

der Wand ragte. Mit einer Hand öffnete ich die Satteltasche und zog Vitos rotes Halfter hinaus. Dann öffnete ich die Trense, zog ihm das Halfter über und begann die Satteltaschen von seinem Rücken zu nehmen. Kurze Zeit später war mein Pferd komplett abgesattelt und erleichtert streckte er sich. Den Sattel hing ich an den vorhergesehen Platz und legte die Taschen und die Trense daneben. Ich würde das Gebiss später waschen. Jasmin beobachtete mich neugierig. "Was ist das überhaupt für ein Sattel? So einen habe ich ja noch nie gesehen.", fragte sie. "Das ist ein Trickreitsattel. Du warst doch garantiert bereits im

Europapark, oder?", gab ich zurück. "Natürlich, er liegt ja nur 20 Kilometer entfernt...", meinte sie. "Warst du schon einmal in der Arenashow?" Sie nickte. "Von dort kommen wir her. Ich arbeite dort und darf die Pferde ausbilden.", lächelte ich stolz. "Echt jetzt? Wow...", staunte Jasmin, "Aber bringen wir dein Pferd lieber gleich zu den anderen. Er sieht sehr erschöpft aus." Ich folgte ihr in den hinteren Teil der Scheune. Dort öffnete sie ein Tor und gab mir so den Blick auf einen schönen Paddock frei. Zwei Warmblüter standen dort und sahen uns neugierig an. Vito wieherte zur

Begrüßung und die beiden Wallache antworten ebenfalls mit einem Wiehern. Fröhlich öffnete Jasmin das Tor zum Paddock und die beiden Pferde kamen auf sie zu. Eines war ein Brauner und der andere war ein hübscher Fuchs mit drei weißen Beinen. "Das sind Simba", sie deutete auf den Fuchs, "und Rambo.". Sie tätschelte den Hals des Braunen. "Das ist übrigens Vito.", stellte ich auch mein Pferd vor. Dieser beschnupperte nun neugierig Rambo. "Hey, Simba. Guck mal.", rief dieser seinen Freund und der Fuchs kam auch zu uns. "Wir haben einen Neuzugang." "Also ich bin Vito und das ist Hanna, mein Mensch. Sie kann mit uns reden.",

stellte er uns vor. Lächelnd wand ich mich ab und holte ein wenig Kraftfutter aus einer Satteltasche. Ich gab es meinem Falben, der es dankbar fraß. Simba und Rambo hielten etwas Abstand, denn Vito hob drohend sein Hinterbein, als sie auch etwas wollten. Sie hatten beide keine Lust, sich mit dem Gast anzulegen, zumal Vito etwas breiter und muskulöser gebaut war als sie. Warmblüter und feurige Spanier hatten nun doch einen relativ großen Unterschied im Körperbau. Als Vito glücklich und zufrieden war, ging ich wieder. Jasmin hatte leider keinen Platz mehr in ihrem Haus, sie hätte mich auch eingeladen. Doch so

ging ich in ein Hotel, das ganz in der Nähe war. Schon lange hatte ich für diese Nacht gebucht und allzu teuer war es auch nicht. Da Seelbach nur ein kleines Örtchen war, gab es eben keine 4-Sterne Hotels, wie im Europapark. Jedenfalls checkte ich ein, begab mich in mein Zimmer und warf meinen Rucksack zuerst einmal lustlos auf das Bett. Zum Umfallen war ich müde und ich war froh, endlich in einem Bett liegen zu können. Doch zuerst musste ich duschen. Während ich mir den Dreck des Rittes vom Körper wusch, entspannten sich auch meine steifen Glieder ein wenig. Den ganzen Tag im Sattel war selbst für

mich, obwohl ich das eigentlich gewöhnt sein musste, anstrengend. Nachdem ich mich etwas erfrischt hatte, zog ich mir eine schwarze Jogginghose und ein frisches T-Shirt über und ging noch schnell im benachbarten Döner Abend essen. Während ich das erste Stück meiner Käsepizza abriss, holte ich mein Handy heraus und rief Marion an. Ich nahm einen ersten Bissen, während es am anderen Ende der Leitung tutete. Marion lies es nicht lange klingeln. "Hi, Hanna. Alles klar?", meldete sie sich sofort. "Hi...Keine Sorge, ich lebe noch!", lachte ich, um sie zu beruhigen. "Dann ist ja gut. Wie geht es dir und

deinem Hengst?", fragte sie weiter. "Ganz gut. Er genießt gerade sein Leben bei zwei Wallachen auf einem großen Paddock. Ein bisschen kaputt war er schon, aber er fand den Ausritt ganz toll. Es war übrigens wirklich schön, aber Gott sei Dank geht die nächste Etappe fast nur durch den Wald. In der Sonne war es heute doch sehr warm.", fasste ich den heutigen Tag zusammen. "Und wie geht es dir?", fragte ich weiter. "Alles gut, so wie immer.", antwortete sie mit merklich kühler gewordenen Stimme. Irgendetwas war los, das spürte ich. "Nein ist es nicht, sonst würdest du nicht so klingen.", brachte ich die Sache auf den Punkt.

"Nein, genieße jetzt deinen Wanderritt und wenn du wieder da bist, dann können wir ja uns wieder lange unterhalten.". Ihre Stimme klang nun tapferer, als ob sie ein Lächeln aufgesetzt hatte, um mich nicht zu beunruhigen. Aber sie hatte Recht. Am Telefon konnte man so etwas nicht klären. "Wenn etwas ist, komme ich auf schnellsten Weg wieder zurück.", bot ich an, doch Marion lehnte ab. "Nein, ich habe dir ja schon gesagt, du sollst auf dem Ritt alles vergessen und einfach nur deine unbeschwerte Zeit im Sattel genießen. Und vergiss nicht, heute Abend noch etwas für dein Lunchpaket morgen zu kaufen. Morgen

ist Sonntag!", erinnerte sie mich daran, dass ich noch schnell zum Edeka musste. "Ok, das hätte ich jetzt beinahe vergesse. Ich esse aber zuerst meine Pizza fertig, dann gehe ich sofort los.", versprach ich. Am anderen Ende hörte ich Marion leise lachen. "Dann Guten Appetit, kannst dich ja morgen Abend wieder melden.", verabschiedete sie sich. "Ciao.", legte ich auf und widmete mich wieder meinem, mittlerweile nur noch lauwarmen, Essen. Wenig später hatte ich auch schon fertig gegessen und als ich kurz auf die Uhr sah, zuckte ich zusammen. So ein Mist! Es war schon viertel vor Acht. Ich hatte noch genau 15 Minuten um zum Edeka zu

sprinten. Das tat ich auch. Zum Glück war der Supermarkt nicht allzu weit entfernt. Schnell kaufte ich etwas zu Essen und zu Trinken für mich ein und nahm noch ein paar Äpfel für mein Pferd mit. Danach lief ich direkt ins Hotel und fiel todmüde ins Bett.

Kapitel 30

Mit den sanften Tönen der Flying Stars Fanfare wurde ich am nächsten Morgen wach. Die Intromusik vom Europapark zauberte mir, wie immer, ein Lächeln ins Gesicht und innerlich war ich schon wieder an meinem Lieblingsort, dem Europapark. Doch als ich die Augen aufschlug wurde ich wieder zurück in die Realität katapultiert, als ich an die weiße Decke meines Hotelzimmers sah. Seufzend schlug ich die Decke meines gemütlichen Bettes weg und machte mich fertig. Kurze Zeit später saß ich beim Frühstück und schmierte mir ein

Marmeladenbrötchen. Nebenbei dachte ich an mein Pferd. Wie üblich... 30 Kilometer wollten wir heute zurücklegen, so konnten wir es allmählich steigern. Nach Oppenau war es schon ein ganz schönes Stück. Morgen wollten wir die gleiche Strecke zurücklegen und somit direkt nach Straßburg kommen. Dort wartete bereits mein Vater und eine Box für Vito. Meine Mutter war allerdings in Sundheim aktiv, zuerst wurde mir auch ein Platz in diesem Stall angeboten, in dem meine Mutter Vorstand war. Doch die Boxen meines Vaters waren größer und auch ein wenig nobler. Meine Mutter selbst gab in Sundheim hin und wieder

Reitunterricht und war Schriftführerin. Gelegentlich lagen sich meine Eltern deswegen in den Haaren. Mein Vater meinte nämlich, sie solle doch mehr für seinen Stall machen, aber meine Mutter dachte etwas sozialer und wollte ihre Arbeit in einen öffentlichen Verein stecken. Nachdem ich gefrühstückt hatte, packte ich meine wenigen Sachen wieder zusammen und verließ das Hotel. Kurze Zeit später stand ich wieder vor dem Haus von Jasmin und klingelte. Ein kurzer Blick auf meine Armbanduhr bestätigte, dass ich pünktlich war. Gestern hatten wir uns nämlich auf neun Uhr geeinigt und kurz darauf öffnete sie

auch schon die Tür. "Ach, guten Morgen, Hanna.", begrüßte sie mich lächelnd und ich grüßte zurück. "Morgen, Jasmin. Leben alle Vierbeiner noch?", fragte ich gut gelaunt. "Um genau zu sein, ich war ich noch gar nicht hinten. Aber wir können sofort gehen!", schlug sie vor und nahm sich einen Schlüsselbund, der hinter der Haustür hang. Ich folgte ihr. Sie öffnete die Tür zum Stall wieder mit dem Code und zusammen betraten wir die Scheune. Vito stand schon erwartungsvoll an dem Gatter, das zum großen Paddock führte. Wahrscheinlich hatte er mich schon gehört. Simba und Rambo standen dagegen etwas weiter

hinten und schlugen sich gegenseitig die Fliegen aus dem Gesicht. "Hallo, Schönheit. Hast du dich gut erholt?", fragte ich und drückte ihm einen Kuss auf die samtweiche Nase. Er blies mir sanft ins Gesicht. "Natürlich. Ich bin wieder voller Energie.", erklärte er und ich strich ihm liebevoll über den Hals. Anschließend holte ich einen Liter Kraftfutter aus meinen Satteltaschen und gab es ihm zuerst. Er brauchte die Energie nachher. Danach richtete ich ihn wieder und schon eine gute Stunde später standen wir startklar auf dem Hof. "Danke nochmal für alles, Jasmin.", bedankte ich mich nochmal

und zog einen Zwanziger aus meinem Geldbeutel. Doch Jasmin schüttelte den Kopf. "Nee, du. Lass mal stecken. Es war mir eine Ehre, jemanden aus der Arena zu beherbergen.", lächelte sie und ich bedankte mich erneut. Dann verabschiedeten wir uns und ich ritt los. Heute führte unsere Strecke fast ausschließlich durch den Wald. Das war deutlich angenehmer als gestern. Im Wald war es schattig und kühl und es waren weniger Fliegen unterwegs. Auch nutzte ich die federnden Waldwege um hin und wieder mal Tempounterschiede zu reiten. Am liebsten jagte ich nach wie vor im Galopp durch den Wald und es tat so gut, einfach mal wieder das

Gefühl von Freiheit zu bekommen. Auch Vito gefiel es. Er liebte die Geschwindigkeit genauso wie ich. Wenn er nicht gerade zu faul dazu war. Doch wenn man ihn mal überredet hatte, war er nicht mehr zu bremsen. Wir machten auf einer kleiner Lichtung Mittagspause. Nachdem ich Vito ein wenig Kraftfutter und ein paar Äpfel gegeben hatte, aß ich selbst zu Mittag. Es war nur ein Sandwich und eine Flasche Wasser. In der Nähe fand ich einen kleine Quelle, die mir einen einigermaßen sauberen Eindruck machte. Ich führte Vito dorthin und dieser trank erstmal ein paar Minuten lang das frische, kühle Wasser.

Anschließend nahm ich ihm den Sattel hinunter und ließ ihn ein bisschen frei auf der Lichtung herumlaufen. Mein Falbe nutzte dies auch, um sich einmal ausgiebig zu wälzen. Gott sei Dank hatte ich Putzzeug dabei. Ich zu meinem Teil nutze die Zeit der Pause um ein bisschen im Gras zu liegen und einfach mal abzuschalten. Meine Arme hatte ich hinter meinem Kopf verschränkt und ich beobachtete den Himmel über mir. Im Ohr hatte ich das sanfte Malmen meines Pferdes, der genüsslich das Gras, das hier wuchs, verspeiste. Beinahe wäre ich eingeschlafen, hätte ich weit in der Ferne nicht ein wildes, unkontrolliertes

Huftrommeln gehört. Sofort war ich hellwach und auch Vito hatte innegehalten und sah mit aufgerichteten Ohren in die Richtung, aus der es kam. Es kam immer näher zu uns und ich stand wieder vom Boden auf, um ein paar Schritte in die Richtung zu tun. Mittlerweile kam zu den dumpfen Galoppgeräuschen auch ein Knacken der Äste vor uns dazu. Durch den dichten Wald konnte ich nicht wirklich etwas sehen und so bekam ich es langsam mit der Angst zu tun. Vorsichtshalber trenste ich Vito mit flinken Fingern und kaum war ich fertig, gab es ein gewaltiges Knacken vor uns und ein schwarzes Pferd stürzte

aus dem Unterholz vor uns. Anscheinend war es gestolpert und nun strauchelte es heftig. Beinahe wäre es uns vor die Füße gefallen, doch im letzten Moment fing es sich und blieb kurz zitternd stehen. Auf seinem Rücken war ein Sattel befestigt, der schon gefährlich schief hing. Ein Steigbügel war noch da, der andere schien gerissen zu sein. Die Trense schien etwas zerfetzt und auch von den Zügeln war nicht mehr als ein Fetzen am Trensenring übrig geblieben. Überall dort, wo das Lederzeug am Körper saß, hatte sich weißer Schaum durch die Reibung von Leder auf Schweiß gebildet. Nur einen kurzen

Moment stand es verwirrt da, ehe es wieder einen Satz nach vorne tat und wieder losstürmte. Ich zögerte kaum eine Sekunde und war schon auf Vitos Rücken gesprungen. Dieser wartete noch artig auf mein Zeichen, ehe er hinterher stürmte. Da der Rappe schon sehr erschöpft war und Vito mal wieder seine absolute Schnelligkeit bewies, hatten wir das fremde Pferd schnell eingeholt. Vito schnitt dem Rappen den Weg ab und brachte ihn so zum Stehen. Beruhigend streckte ich die Hand aus, doch das Pferd zuckte zurück. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, hielt mich aber im letzten Moment zurück. Was, wenn sie auch

nicht damit klar kommt, dass ich mit Pferden reden kann?, fuhr es mir durch den Kopf. Vito sah mich kurz fragend an, dann schien er zu kapieren. "Hallo. Wir wollen dir nichts tun.", sagte er so sanft wie möglich. Das Pferd sah mich fragend an und mir fiel auf, dass es gar kein Rappe war, sondern ein nassgeschwitzter Dunkelbrauner. Doch jetzt ließ er wenigstens zu, dass ich ihm beruhigend über den Hals strich. Es sagte nichts. "Also, das ist Hanna. Sie kann mit uns reden!", stellte Vito mich vor. "Hallo.", murmelte ich leise, damit sie nicht sofort damit überrumpelt wurde. Doch das Pferd zuckte nicht einmal mit der Wimper. "Das kenne ich.

Mein Mensch kann das auch.", erklärte das Pferd mit einer schönen, hellen Stimme. Eine Stute war es also. Auch Vito merkte das und ein kurzer Ruck ging durch seinen Körper, als er automatisch ein bisschen in Hengstpose fiel. Er richtete sich auf und präsentierte sich ein wenig. Ich musste ein wenig schmunzeln, doch wurde auch hellhörig. "Was?!", fragte ich schließlich erstaunt, "Warum bist du dann davongerannt?" "Ich habe mich erschrocken und dann hat das Mädchen auf meinem Rücken so extrem geschrien, dass ich nicht mehr da bleiben konnte. Meine Ohren klingeln immer noch deswegen...", meinte sie

trocken. "Na super... Das hast du echt toll gemacht. Wie heißt du überhaupt?", meinte ich sarkastisch. "Romera. Meistens werde ich aber Rommy gerufen.", erklärte sie. "Und wo kommst du her?", fragte ich weiter. Ich hatte vor, sie zurückzubringen. "Oberkirch. Glaube ich. Zumindest erzählt mir Sylvia immer davon." "Wer ist Sylvia?", unterbrach ich sie. Die Stute holte tief Luft. Und begann dann zu erzählen... "Sylvia kenne ich schon seit meiner Geburt. Sie ist schon alt, hat bald ihr zweites Leben hinter sich, wie sie zu sagen pflegt. Sie kümmert sich um unsere kleine Herde und hilft anderen

Pferden. Das kann sie richtig gut. Vor 17 Jahren war sie eine Zeit lang etwas komisch drauf, das könnte dich interessieren. Ich war noch nicht so alt, gerade mal zwei Jahre. Die ganze Zeit hat sie von einem Nachfolger, einem weiteren Moondancer, erzählt. Doch sie hatte nie einen Beweis, was ihr sehr zu schaffen gemacht hat. Andauernd meinte sie, sie spüre wie nah der Moondancer sei. All die letzten Jahre war sie auf der Suche nach ihm und in letzter Zeit ist es wieder hochgekocht." Erstaunt sah ich die Stute an. Moondancer, so nannte mich Marion auch! "Ich habe diesen Sommer angefangen, mich zu verwandeln.

Vielleicht hat sie das gemerkt...", meinte ich nachdenklich, "Kannst du mich zu ihr bringen?" Rommy nickte. "Ok. Aber erst sollte ich meine Reiterin wieder aufsammeln." Wenigstens war sie vernünftig. Also gingen wir zur Lichtung zurück und ich machte Vito wieder fertig. Dann nahm ich Rommy die Trense ab, damit sie sich an den zerrissenen Stellen nicht noch mehr aufrieb. Ich tauschte sie gegen Vitos Halfter und nahm sie als Handpferd mit mir. Dann setzten wir unseren Weg in Richtung Oppenau fort. Unterwegs erzählte mir Rommy breitwillig alles über die Ausbildungsmethoden von Sylvia, die

meinen ziemlich ähnlich waren. Wir waren im zügigen Tempo unterwegs. Immerhin lag irgendwo ein Mädchen bewusstlos am Boden. Nach einer guten Stunde fanden wir sie auch. Es war ein junges, blondes Mädchen. Ich nahm sie hoch und legte sie über Romeras Rücken. Diese hatte ein wenig Schuldgefühle, ignorierte diese aber. Drei Stunden später kamen wir schließlich in Oppenau an. Ich brachte Vito in seinen Stall. Es war ein Reitverein, der mir freundlicherweise für diese eine Nacht eine Box gestellt hatte. Das junge Mädchen auf Rommys Rücken brachte ich in das Krankenhaus, indem ich einen Krankenwagen rief.

Nachdem mein Pferd glücklich und zufrieden in seiner Box stand, brachte ich auch die Stute in eine Box, in der sie kurz bleiben konnte. Anschließend suchte ich mein Hotel, meldete mich an und brachte meine Sachen in mein Zimmer. Wenig später stand ich dann wieder im Stall und richtete Rommy. Nachdem ich kurz mit Sattel in der Halle getrabt und galoppiert war, empfand ich ihre Gangarten als angenehm genug. Also nahm ich ihr den kaputten Sattel vom Rücken und ließ ihn in dem Stall, indem Vito die Nacht verbrachte. Dann verknotete ich meinen langen Führstrick so, dass ich eine Ersatztrense hatte. So ritt ich nur mit

Halfter von dem Hof und Rommy schritt zügig in Richtung Heimat. Ich vertraute ihr, da ich selbst nicht wusste, wo sie wohnte. Nachdem ich sie nochmal ein Weilchen im Schritt locker gemacht hatte, trabte ich zuerst ein bisschen und genoss später schon den wilden Galopp durch den Wald in Richtung Oberkirch. Rommy legte sich richtig ins Zeug und so brauchten wir nicht allzu lange. Als wir später in den Hof trabten, der an das Haus von Sylvia angrenzte, stürmte schon wenig später eine Frau, Mitte Vierzig, auf uns zu. "Wo ist Olivia?", rief sie entsetzt, als sie mich auf Rommy sitzen sah. Hinter ihr kam eine alte Frau aus dem Haus

gehumpelt. "Sylvia, ich habe sie gefunden!", begrüßte Rommy die alte Dame. Ihr Gesicht war von Falten durchzogen und ihr Haar war zwar noch braun, aber sehr ausgedünnt. Wahrscheinlich hatte sie das Gen, das für ewig braune Haare sorgte. Meine Oma hatte das auch. Doch zuerst antwortete ich der Mutter von Olivia, wie ich annahm. "Im Krankenhaus. Sie war bewusstlos, da sich Rommy erschrocken hatte.", erklärte ich und reichte ihr den Zettel mit der Adresse, der mir vorhin von den Ärzten gegeben wurde. Zu spät merkte ich meinen Fehler. Dadurch, dass ich Romera bei Namen genannt hatte, war

Sylvia sofort aufgefallen, wer ich war. Doch die Mutter schien nichts zu merken. Stattdessen setzte sie sich schnell in ihr Auto und brauste davon. Sylvia kam langsam auf mich zu. "Ich bin Sylvia.", stellte sie sich vor und reichte mir die Hand. Ich ergriff sie. "Mein Name ist Hanna.", antwortete ich, "Romera hat mir viel von Ihnen erzählt.". Damit gab ich mich sofort zu erkennen, aber das machte mir nicht so viel aus. "Dann bist du also das Mondkind, das ich all die Jahre gesucht habe.", meinte sie nachdenklich. Mit Schwung rutschte ich von dem bloßen Rücken der dunkelbraunen Stute und knotete den Zügel

auseinander. "Wohin soll ich sie bringen?", fragte ich schließlich und deutete kurz mit dem Kinn zu Romera. "Komm mit, die Weide ist ein wenig von hier entfernt.", erklärte Sylvia und lief ein Stück voraus. Ich folgte ihr zusammen mit der Stute. Kaum waren wir ein paar Schritte vom Hof gegangen, sprach sie mich nochmal an. "Erzähl mal, wie alt bist du und wo steht dein Pferd...", fing sie an. Innerlich seufzte ich, ließ mir äußerlich jedoch nichts anmerken. "Ich bin 17. Mir gehört ein 4-jähriger Andalusierfalbe. Ihn habe ich komplett selbst ausgebildet und mittlerweile

arbeite ich als Pferdetrainerin im Europapark. Mehr spannendes gibt es eigentlich nicht zu erzählen.", fasste ich mein Leben in wenigen Sätzen zusammen. "Ach was, natürlich gibt es mehr zu erzählen. Wann hattest du zum Beispiel deine erste Verwandlung? Ich kann dir erst alle deine Fragen, die du sicherlich hast, beantworten, wenn ich mehr über dich weiß.", erwiderte Sylvia. "Na gut. Meine erste Verwandlung war diesen Sommer. Seitdem habe ich mich ungefähr vier Mal verwandelt. So genau habe ich das nicht dokumentiert... Aber ich kann schon immer mit den Pferden reden. Und meine Ausstrahlung soll einer

Leitstute ähneln, sagt einer der erfahrenen Pferde andauernd zu mir. Er selbst kannte ebenfalls ein Mondkind, wie du uns nennst. Allerdings ist sie ungefähr da gestorben, als ich auf die Welt kam.", erklärte ich. "Mario Luraschis Cavalcade?", bohrte die alte Dame weiter. "Ja, woher weißt du das?", antwortete ich verwirrt. "Das war Nathalie. Ihre Geschichte war nicht so toll verlaufen, wie sie sollte.". Sie klang nachdenklich. "Aber woher...?", wollte ich fragen, doch Sylvia legte die Finger auf die Lippen und bedeutete mir still zu sein. "Lass mich erst erzählen, dann beantworten sich vielleicht ein paar

Fragen von selbst. Also, zuerst: Alle Mondtänzer haben eine Verbindung zueinander. Das wirst du alles verstehen, sobald du älter wirst. Momentan ist dein Körper und dein Geist noch nicht ausgereift genug, um diese feinen Verbindungen zu spüren. Doch man kann sie durch die Energieströme, die du hoffentlich schon kennst, bemerken und verfestigen. Deswegen weiß ich über dich Bescheid und über Nathalie. Da ich jahrelang an diesen Verbindungen gefeilt habe, merke ich sogar die restlichen Mondkinder, obwohl sie auf der ganzen Welt verstreut sind. Es gibt ganz genau sieben von uns auf der Welt. Nie mehr

und nie weniger. Dein Geburtstag dürfte auch der Todestag von Nathalie sein.", ihre Stimme schweifte kurz ab. Aber sie hatte Recht. Morendo war ungefähr 19 Jahre alt. Das war noch relativ jung für ein Pferd, jedoch alt für ein Stuntreitpferd. Doch er machte seinen Job gut und hatte absolut keine Probleme mit seiner Gesundheit. Zudem war er noch genauso belastbar wie junge Pferde, sodass er ein perfektes Pferd für das Stuntgeschäft war. Zuverlässig, erfahren und kräftig. Doch Sylvia war noch nicht fertig. "Ich werde dir jetzt die Sache mit Angan erzählen. Wir müssen die Geschichte nacheinander erzählen. Aber bringe jetzt

erst bitte Romera auf die Koppel.", sagte sie ungeduldig und ich bemerkte, dass wir schon eine Weile vor einem Koppeltor standen. Ich öffnete dieses, ließ Rommy frei und verschloss es wieder. Anschließend sah ich Sylvia erwartungsvoll an. "Wie geht's weiter?", fragte ich neugierig und fügte noch: "Angan kenne ich aber schon." hinzu. Meine Gesprächspartnerin hob misstrauisch die Augen. "Wie viel?", wollte sie wissen. "Nicht viel, nur dass es eine Parallelwelt zu unserer ist. Und das ein Tor bei Island liegt.", gab ich entschuldigend zurück. "Ok, alles klar. Das heißt, wir dürfen

jetzt ganz von vorne anfangen: In Angan gab es Peganer. Geflügelte Pferde, die sich in Menschen verwandeln konnten. Sie entdeckten irgendwann das Tor zur Menschenwelt. Jedenfalls, um es kurz zu fassen, sind ein paar Peganer in die Menschenwelt gekommen. Doch im Fortschritt der Modernisierung war es kaum noch möglich, ein Leben als Peganer zu führen. Zudem haben sie sich immer mehr mit der normalen menschlichen Rasse vermischt, sodass es heute keine reinen Peganer mehr gibt. In manchen Familien fließt das Blut noch. Und diese werden bevorzugt, wenn es darum geht, einen neuen Vertreter der Peganer auf Erden zu

berufen. In den letzten paar Jahren werden sie allerdings ziemlich vernachlässigt, sodass die Mondkinder nicht mehr wirklich gebraucht werden. Doch das Gen wird trotzdem weitergegeben. Vielleicht kann man die Vertreter ja irgendwann mal wieder gebrauchen... Jedenfalls wird das Gen bewusst von dem Götterpaar Ajax und Arija überwacht und weitergegeben. Es gibt sie und sie haben auch die Macht, die man heutzutage als göttlich bezeichnen würde.", erklärte sie weiter. Moment mal, die zwei kannte ich ja! Vor kurzem hatte ich doch von ihnen geträumt... Wir machten uns auf den Weg zurück zu

Sylvias Haus. Währenddessen erzählte sie weiter. "Das Gen von Nathalie hat also dich erwischt, nehme ich an. Man fängt dann ungefähr mit 17 an, sich zu verwandeln. Das kennst du ja schon.". "Moment mal, was sind eigentlich die Nebenwirkungen davon und gehen die irgendwann weg?", unterbrach ich sie. "Nebenwirkungen?", kam es von ihr verwundert. "Zum Beispiel die Schmerzen bei der Verwandlung oder die Sache mit der Liebe.", setzte ich an. " Achso. Da gibt es keine großen Nebenwirkungen. Die Schmerzen hören spätestens nächstes Jahr auf. Lass deinem Körper Zeit, sich

daran zu gewöhnen. Und das mit der Liebe weiß ich nicht wirklich. In meinem gesamten Leben habe ich mich nie wirklich für männliche Wesen oder so interessiert. Also in diesem Gebiet weiß ich auch nicht mehr, als dass wir uns nicht fortpflanzen können und deshalb auch nicht lieben können. Also nicht lieben, in diesem Sinne. Liebe im Sinne von starker Freundschaft dagegen ist vollkommen erlaubt. Das war damals Ajax' Idee, dass mit dem nicht-lieben-können. Er hat uns diese wertvolle Gabe der Menschen genommen. Ich habe sie nicht vermisst, aber Nathalie ist zum Beispiel daran gestorben. Andere Nebenwirkungen gibt es eigentlich keine.

Zumindest keine negativen. Aber was vielleicht noch erwähnenswert ist, dass du älter wirst als normale Menschen.". Sie sah mich nachdenklich an. "Aber du bist ja noch blutjung, da muss man sich noch keine Sorgen machen." "Wie alt bist du eigentlich?", fragte ich. "120 Jahre ungefähr. So genau weiß ich das nicht mehr. Mein zweites Leben hat angefangen, als ich 69 war. Mein Pferd ist abgestorben und ich alterte wieder.", beantwortete sie mir meine Frage. "Übrigens, um nochmal auf die Verbindung unter den Mondtänzern zurückzukommen: Jeder von uns hat einen eigenen Energiestrom, den man ausmachen kann. So können wir auch in

Verbindung bleiben. Allerdings ist dies nicht so einfach und erfordert einiges an Konzentration und Übung. Hin und wieder solltest du das üben. Ich stelle mich dafür auch gerne zur Verfügung, da ich annehme, ich bin die einzige Moondancer in deiner direkten Nähe. Moment, ich zeige dir schnell meinen Strom, damit du ihn leichter wiederfindest. Denn jeder Strom hat seine eigene Note. Er ist wie ein Fingerabdruck, aber sieh selbst..." Sylvia nahm meine Hand. "Schließe die Augen und konzentriere dich. Öffne deinen Geist ein wenig und lass zu, dass ich unsere Ströme verbinde.", wurde mir befohlen und ich

gehorchte. Das Verbinden fiel mir leicht. Immerhin hatte ich das oft mit Marion gemacht. Wenn auch eher unbewusst. Ich spürte genau, wie Sylvia sich sanft durch das Durcheinander meiner Energieströme schob und sich am Rande meiner Seele mit mir verband. Sofort wurde ich von neuen, starken Gefühlen überflutet. "Konzentriere dich auf die Art meines Stroms! Nicht auf das, was er mit sich bringt!", hörte ich plötzlich Sylvias Stimme klar und deutlich im Kopf. Wie geheißen riss ich mich zusammen und tastete mit meinen Strömen am Rande des fremden Stroms. Er hatte eine gleichmäßige, dennoch eine unebene

Oberfläche. Ein wenig wie die Form von Wasser, ohne dass es flüssig war. Ganz im Gegenteil: Der Strom war ziemlich fest. Als ich näher tastete entdeckte ich noch mehr. Er schmeckte ein wenig wie Meersalz und Algen. Und im Ohr hatte ich plötzlich ein Meeresrauschen. Vor Augen hatte ich einen schönen Sandstrand am Meer. Zudem roch es plötzlich ziemlich gut nach frisch gebackenen Keksen und Eisschokolade. Doch plötzlich zog sich der Energiestrom zurück und ich öffnete die Augen. Meine Augen glühten wohl wieder, denn ich sah wieder mehr blau als Natur. "Das reicht für's Erste.", meinte Sylvia

nur. "Du bist am Meer aufgewachsen. Habe ich Recht?", fragte ich grinsend. Sylvia wandte lachend den Kopf ab. "Das stimmt. Und du bist ein Waldkind, oder?", gab sie zurück. Lächelnd hob ich die Schultern. "Keine Ahnung!" "Doch. Dein Strom ist die reinste Natur. Eine Lichtung, voller Glühwürmchen. Kennst du diese?", fragte sie wissend zurück. Ich nickte. "Doch, die kenne ich. Zweimal war ich schon dort und ich liebe sie...", murmelte ich nur. "Die Verbindungen mit den blauen Strömen, wie du sie verwenden kannst und wo du sie verwenden kannst ist zu komplex zu erklären. Mit der Zeit wirst du es von selbst herausfinden. Wichtig

ist vorerst nur, dass du weißt, dass du überhaupt Verbindungen herstellen kannst. Wenn ich dir das jetzt alles erkläre, sitzen wir nächstes Jahr noch hier. Versuche auch mal hin und wieder eine Verbindung zu deinem Pferd herzustellen. Aber pass immer auf, wenn du Geheimnisse hast: Diese sind bei einer solchen Verbindung nicht immer sicher. Deswegen lerne zuerst deinen Geist soweit zu verschließen, dass du kontrollieren kannst, wie viel du erzählst. Danach kannst du solche Verbindungen zu jeder Person schließen, wie du willst. Doch wenn du es nicht kontrollieren kannst, kann es sein, dass wichtige, persönliche Informationen in

falsche Hände geraten. Beabsichtigt oder unbeabsichtigt. Normale Menschen können nicht über ihre Ströme kontrollieren, also passe auch immer auf, mit wem du das machst und wie viel du von seiner Privatsphäre stören willst. Die blauen Energieströme sind ein komplexes Thema, dass jeder für sich selbst herausfinden sollte. Am besten du übst täglich.", endete Sylvia ihren langen Absatz über die Ströme. Aufmerksam hatte ich ihr zugehört, doch vieles war mir durch Erfahrung auch schon bekannt. Schon damals hatte ich Verbindungen aufgebaut. Zum Beispiel Marion war mein beliebtestes Opfer. Doch damals,

als ich Louisa vergessen ließ, was passiert war, schien ich das wohl instinktiv auch schon gemacht zu haben. Den ganzen Abend unterhielten wir uns darüber, doch arg viel Neues erfuhr ich nicht mehr. Zumindest nichts, was noch interessant für mich sein könnte. Später vielleicht irgendwann. Wie immer rief ich Marion am Abend an und erzählte ihr kurz meinen Tag. Sie hatte ebenfalls Neuigkeiten. "Du, wusstest du, dass Chris mit Heidi Schluss gemacht hat?", fragte sie mich. "Ähm, nein... Irgendwie nicht.", sagte ich vorsichtig, während ich innerlich laut losprustete. Das war ja sowas von klar gewesen. Heidi war, meiner Meinung

nach, ziemlich oberflächlich. Zumindest wirkte sie so, näher kannte ich sie nicht. "Ja, er hat sie per SMS abserviert.", hörte ich Marion nun auch ein wenig kichern. "Was für ein Gentleman.", kommentierte ich belustigt. "Natürlich. Frag mich nicht was der Grund war, aber anscheinend ist er neu verknallt. Keine Ahnung, wer diesmal sein Opfer ist.", nun lachte sie richtig. "Und wie hat Heidi darauf reagiert?", wollte ich neugierig wissen. Das war viel besser als so manche Klatschzeitschrift. "Ach, die habe ich vor kurzem sogar gesehen. Sie ist total am Boden zerstört. Chris war doch ihre Liebe des Lebens...". Ich schmunzelte.

Heidi sagte das zu ziemlich jeden ihrer männlichen Freunde, die sie hatte. Und so hatte dieser Begriff bei ihr etwas an Bedeutung verloren. "Wieso eigentlich per SMS?", fragte ich weiter. "Meinst du, ich kenne Einzelheiten?", gab Marion zurück. "Natürlich. Du redest doch so viel!". Marion schnaubte. "Als ob. Außerdem war das erst heute Morgen, dafür weiß ich sogar schon fast alles!". "Kein Problem, du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Die ganze Sache ist so auch lustig genug.", kicherte ich. "Nun ja, bleibt nur noch die Frage wegen welcher neuen Flamme er Schluss gemacht hat...", meinte Marion

nachdenklich. "Das kannst du ja heute Nacht überlegen, aber ich muss jetzt schlafen.", wimmelte ich sie ab und legte auf. Schließlich musste ich morgen wieder sehr früh aus dem Bett. Anschließend duschte ich noch und legte mich daraufhin wirklich schlafen. Und wieder erreichte mich diese Nacht ein Traum. Er war unklar. Ajax lief unruhig auf und ab. " Sie hat Sylvia getroffen...", meinte er nachdenklich. "Aber sie glaubt ihr. Das ist doch zumindest ganz gut.", Arija sah zu ihm hinüber. "Vorsicht. Sie ist hier.", Ajax lief in meine Richtung. Plötzlich wurde mein Sichtfeld schwarz und verschwommen.

Ich bekam nur noch Gesprächsfetzen mit, die nicht besonders freundlich klangen. Wohl eher warnend und vorsichtig. "... sie ist stark...der Junge... wann soll... kommen...im Winter...vertraue nicht... gefährlich..." Plötzlich wurde es wieder klar. "So, so. Du bist also immer noch hier. Geh jetzt wieder!" Ajax' Stimme klang, als duldete sie keine Widerrede. Er kam langsam auf mich zu. Dann wurde ich heftig nach hinten gestoßen und erst jetzt merkte ich, dass ich auf vier Beinen stand. Moondancer. Dann fiel ich von dem Podest, auf dem

die zwei Götter standen und fiel unendlich ins Schwarze. Ich erwartete einen Aufprall, doch der blieb aus. Stattdessen wachte ich klatschnass in meinem Hotelzimmer auf. Ich trank ein Glas Wasser und hoffte, es war nur ein Traum und keine Botschaft. Denn positiv war das ganz sicher nicht gewesen.

Kapitel 31

Da dada da da dadaa, da da dadadadadadaaaa... Flying Stars Fanfare. Vielleicht sollte ich mal einen anderen Weckton einstellen. Mit diesem Gedanken tastete ich verschlafen nach meinem Handy und schaltete es aus. Beim ersten Mal mag es vielleicht noch ok sein, von diesem Stück geweckt zu werden. Beim zweiten Mal reichte es auch noch. Doch spätestens nach dem dritten Mal brauchte man Attack of the Black Knight, um aufstehen zu können. Das Streichorchester der Fanfare war zwar laut, aber zäh. Black Knight hatte

wenigstens noch einen ordentlichen Beigeschmack von E-Gitarre. Beide Stücke waren Elemente der Klassik, die mit einem großen Orchester aufgenommen wurden und irgendwie episch klangen. Wie wäre es mit Rihanna, Martin Garrix oder Eminem?, meldete sich irgendeine innere Stimme in mir. Lass mich, ich bin bisher immer mit Klassik klargekommen! Solche Radiohits bin ich von meinem Radiowecker gewöhnt und da stehe ich erst recht nicht auf!, antwortete ich ihr, drehte mich auf den Bauch und vergrub grummelnd mein Gesicht in dem weißen

Kissen. -Und wenn du nicht sofort aufstehst, verpasst du deinen Ritt.- Halt die Klappe!, fuhr ich sie an. Nachdem ich noch einmal tief Luft holte, entschied ich mich schließlich doch aufzustehen. Na super, jetzt rede ich mal wieder mit mir selber, dachte ich noch sarkastisch und schwang die Beine aus dem Bett. Dadurch schoss mir sofort das Blut in die Beine und mir wurde zuerst einmal schwindelig. Selbstgespräche fördern übrigens die Intellige- HALT JETZT ENDLICH MAL DEN RAND! Daraufhin war meine innere Stimme

ruhig. Wenn ich es jetzt schon so weit brachte, mich selbst schlecht gelaunt zu machen, konnte der Tag ja nur besser werden. Ich zog mir eine frische, jeansartige Reithose an und ein rotes T-Shirt. Damit sah ich sogar ganz gut aus, wenn ich heute Mittag in Kehl ankommen wollte. Anschließend frühstückte ich und packte dann mein Zeug zusammen. Viel war es ja sowieso nicht. Dann nahm ich meinen Camcorder wieder in die Hand, denn mir fiel auf, dass ich gestern ganz vergessen hatte zu vloggen. Ich machte mich zu Fuß auf den Weg in Richtung

Stall. "Hallo, ihr Arena-Suchtis da draußen!", grüßte ich grinsend, "Wie bereits bekannt sein dürfte, bin ich momentan unterwegs. Wanderritt und so... Auch hier nochmal die herzliche Einladung, zu meinem Ziel zu kommen. Morgen ist das Fest auf dem Traberhof Fernay. Ich zeige dort ein wenig, was mein Falbe so drauf hat. Es ist übrigens halb zehn Uhr morgens und ich bin unterwegs zu meinem Pferd, um wieder loszureiten. Vito war übrigens super brav und hat in den zwei Tagen mehr gelernt, als bisher unter dem Sattel. Ich denke, in den Herbstferien könnt ihr uns hin und wieder mal in der Arena anschauen.

Doch dazu werde ich, wenn es dann soweit ist, nochmal etwas sagen. Und versprechen will ich auch noch nichts. Es grenzt an ein Wunder, dass Vito so schnell gelernt hat und ich bin auch, ehrlich gesagt, ziemlich froh darüber. Denn wenn jetzt wieder Schule beginnt habe ich keine Zeit mehr. Mario möchte aber, dass ich das Pferd noch dieses Jahr fertig bekomme. Aber momentan liegen wir perfekt im Zeitplan und auch Jovito macht den Eindruck, als dass er diesem Druck locker standhalten kann. Übrigens. Momentan bin ich in Oppenau.". Ich schwenkte den Camcorder einmal über die Landschaft. "News gibt es eigentlich keine, da ich ja

zurzeit gar nicht in Rust bin. Aber wenn etwas schwerwiegendes passiert, werde ich schon noch berichten." Nachdenklich schaltete ich den Camcorder aus. Hatte ich eigentlich schon die Sache mit Thorgal erzählt oder wollten wir die geheim halten? Da ich es nicht wusste und kein Risiko eingehen wollte, würde ich das auch nicht erzählen. Marion machte eine schwierige Zeit durch und solche liebgemeinten Mitleidsfloskeln von irgendwelchen Arenafans machten das Ganze nur noch schlimmer. Kurz darauf kam ich in dem Stall an, in dem auch mein Pferd stand. Er hatte mich kommen gehört und begrüßte mich

mit einem leisen Wiehern, als ich die Stallgasse betrat. Seinen Kopf hatte er neugierig aus dem Fenster der vergitterten Box gestreckt und mit aufgerichteten Ohren erwartete er mich. Er zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht und liebevoll kraulte ich ihm kurz die weiche Stirn. "Guten Morgen, Kleine.", begrüßte er mich sanft und ich fuhr ihm durch die dichte Mähne. "Morgen, Großer! Bist du für die letzte Etappe bereit?", antwortete ich. Als mein Pferd nickte, begann ich ihn zu richten, was nicht allzu lange dauerte. Nebenbei bekam er noch seine morgendliche Ration Kraftfutter. Schon eine halbe Stunde später waren

wir wieder aufbruchsbereit. Mit dem Gedanken an Kevin, der es pflegte, auf sein Pferd zu springen, anstatt normal aufzusteigen, schwang ich mich direkt vom Boden auf den Rücken meines Falben. Wozu brauchte man als Stuntreiter auch Steigbügel? Mit sanften Schenkelhilfen gab ich Vito schließlich die Anweisung zum Anreiten und am langen Zügel ritt ich im Schritt los. Währenddessen holte ich meine Kamera noch einmal aus dem Rucksack. "Also jetzt sind wir unterwegs. Wir sehen uns Morgen!", sprach ich noch schnell meine Abschiedsworte und filmte noch ein wenig die Umgebung und den Blick von Vitos Rücken

aus. Heute war mein Pferd wirklich brav. Allmählich schien er sich an die unbekannten Situationen zu gewöhnen und mir immer mehr zu vertrauen. Ich musste ihm schon gar nicht mehr gut zureden, sondern ohne zu fragen lief er nun an unbekannten Dingen vorbei oder darüber. Nebenbei fing ich noch an, die einseitige Belastung zu trainieren, indem ich mein Gewicht noch mehr verlagerte, als es zum Reiten eigentlich notwendig war. Vito war eigentlich auch an Gewichtshilfen gewöhnt und deshalb nahm er das zuerst falsch auf. Doch nachdem ich einige Missverständnisse

mündlich beiseite geräumt hatte, nahm mein Pferd das Training gleichgültig zur Kenntnis. Hin und wieder schwankte er kurz, doch das Gleichgewicht verlor er nicht. Noch übte ich ja ausschließlich im Schritt und nur ein kleines bisschen. Ein Wanderritt war auch so anstrengend genug. Am späten Abend kam ich, wie vorhergesagt, in Straßburg an. Ich trabte auf den Hof und, obwohl Vito keine Hufeisen trug, wurden sämtliche Pferde und Menschen auf uns aufmerksam. Meinen Vater entdeckte ich auf der Trainingsrennbahn. Er saß im Sulky und trabte mit einem Pferd über den festen

Erdboden. Langsam parierte ich meinen Falben durch und ritt im Schritt an den Rand der Ovalbahn. Mein Vater entdeckte mich fast sofort und beendete die Runde. Jovito blickte unterdessen neugierig zu den ganzen Pferden. "Ich fühle mich fett.", bemerkte er dann trocken. Ich prustete los. "Das sind Vollblüter. Natürlich siehst du dagegen dick aus." Glucksend ritt ich zum Ausgang der Ovalbahn, um meinen Vater in Empfang zu nehmen. Dieser stieg gerade von seinem Sulky runter und begann das Pferd von dem Wagen zu befreien. "Hallo, Hanna.", begrüßte er mich auf Französisch. Ich

schwang mich von dem Rücken meines Pferdes, um ihm die Bises zu geben. "Hallo, Dad. Das ist übrigens Vito, von dem ich schon so viel erzählt habe.", erklärte ich und deutete auf meinen Falben. Mit dem prüfendem Blick eines Pferdezüchters begutachtete mein Vater das Pferd. "Hübsches Pferd. Schöner, gleichmäßiger Körperbau. Ausdrucksstark und schnell. Gut und relativ gleichmäßig bemuskelt. Insgesamt ein schönes, hochqualitatives Reitpferd.", meinte er fachmännisch. "War der nicht teuer?", wollte er wissen. "Keine Ahnung. War mehr oder weniger ein Geschenk.", antwortete ich. "Ach, du liebes bisschen. Wie alt ist er

denn?!", ungläubig sah mein Vater sich die Zähne meines Pferdes an. "Du musst doch Unmengen an Geld ausgegeben haben! So ein gutes Pferd verschenkt man nicht einfach so!". "Mario Luraschi hat ihn mir geschenkt.", antwortete ich ruhig. "Achso. Alles klar!", lachte Dad. "Komm, wir suchen eine Box für den hübschen Kerl.", meinte er noch und ich folgte ihm in den langen Stall. Im Stall fanden wir schnell eine leere Box, da wir zurzeit relativ wenige Pferde hatten. In letzter Zeit lief das Geschäft mit den Pferden gut und einige wurden diese Saison schon verkauft. Innerhalb weniger Minuten, unter dem

prüfenden Blick meines Vaters, versorgte ich Vito. Dieser war froh, endlich wieder Stroh unter den Füßen zu haben und ließ sich gleich mal zu einem ausgiebigen Wälzen nieder. Anschließend folgte ich meinem Vater zu seinem Auto. "Wir gehen noch deine Mutter abholen und fahren dann nach Hause. Morgen wird ein langer Tag.", erklärte er. "Machst du deinen Auftritt morgen?", fragte er dann. Ich nickte. "Ja, auf jeden Fall. Aber viel wird es nicht, dass kann ich dir gleich sagen. Soweit sind Vito und ich noch nicht.", gab ich zurück. "Ok, das reicht ja. Fünf bis zehn Minuten reichen vollkommen.", meinte er

beruhigend und trat auf das Gas. In Richtung Sundheim brausten wir davon. Mein Vater blieb dort im Auto sitzen, während ich mich auf die Suche nach meiner Mutter machte. Ich fand sie in der Reithalle, in der sie einige Kinder beim Spielen beaufsichtigte. "Salut, Maman.", redete ich sie auf Französisch an. Mehr unbewusst als bewusst. "Du kannst auch Deutsch mit mir reden.", erklärte sie mir daraufhin auf Deutsch. "Na gut. Ich bin halt so extrem im Französischen drin.", meinte ich grinsend, "Aber dein Mann wartet draußen im Auto, wir wollen gerne nach Hause fahren.". Sie runzelte die Stirn. "Seit wann kommt er denn hier auf den

Hof gefahren?" "Weil er nach Hause will und nicht allzu lange auf dich warten möchte.", grinste ich. Wegen den zwei unterschiedlichen Höfen lagen sie sich schon lange in den Haaren. Dennoch liebten sich meine Eltern und das war auch gut so. Schließlich folgte sie mir zurück zum Auto. Nach einer kurzen, schweigsamen Fahrt, kamen wir schließlich Zuhause an. Dieser Abend war das erste Mal seit langem, dass die gesamte Familie gemeinsam zu Abend aß. Meine Mutter kochte einen leckeren Kartoffel-Schinken-Käseauflauf, den alle liebten. Sogar mein kleiner Bruder, der gerade mitten in der Pubertät steckte, meckerte

mal nicht. Wenn ich ihn so betrachtete, war ich froh, aus dieser Phase raus zu sein. Danach schwenkte das Gesprächsthema am Tisch zu dem bevorstehenden Fest auf der Rennbahn über. "Wie viel Platz habe ich eigentlich?", fragte ich. "Die gesamte Rennbahn. Reicht das?", gab mein Vater zurück. "Natürlich! Das ist mehr als genug! In der Arena habe ich ja auch nur 20 Meter Platz und das hat bisher immer gereicht.". "Dann ist ja alles gut.", lächelte mein Vater. "Und wie viele sollen kommen?", fragte ich weiter. "Oh, wir rechnen schon mit einer großen

Menge." Ich schluckte. Na super. Vito liebte große Mengen immer noch nicht und es war ihm ein Dorn im Auge, vor denen auch noch aufzutreten. Meine Mutter deutete meinen Gesichtsausdruck richtig. "Wieso? Ist dein Pferd noch nicht daran gewöhnt?", fragte sie auf Französisch, damit alle am Gespräch teilhaben konnten. Das Deutsch von meinem Vater war grauenvoll. "Maman! Er ist erst vier und war vor zwei Monaten noch völlig verstört. Da kann ich sowas eigentlich gar nicht von ihm erwarten!", rechtfertigte ich mich. "Ok, ich habe es ja verstanden!", antwortete sie und begann, den Tisch

abzuräumen. Ich stand auf und half ihr. "Wir müssen nachher noch schnell die Blumen für die Pferde suchen.", erklärte meine Mutter etwas später. "Welche Blumen?", fragte ich verwundert. "Die Plastikblumen für die Pferdemähnen. Willst du eigentlich auch welche?" "Ja, welche Farben hast du denn?" "Fast alles. Hauptsächlich weiß, aber auch rot, blau und grün und dann auch noch schwarz.", zählte sie auf und machte die Spülmaschine an. "Rot oder weiß kannst du mir geben. Das dürfte am besten zu einem Falben passen." "Alles klar. Komm, wir schauen mal nach." Ich folgte meiner Mutter zu unserem Abstellraum. Zumindest war es das mal

früher. Mittlerweile war aus dem Abstellraum eine kleine Sattelkammer geworden, in der jede Menge Pferdesachen lagen. "Halte Ausschau nach einem kleinen, blauen Karton.", wies meine Mutter mich an und ich begann zu suchen. Sie tat das gleiche und nur wenige Minuten später rief sie triumphierend: "Hab sie!" "Dann hätte ich dir ja gar nicht helfen müssen.", grinste ich und sah mir den Karton genauer an, den sie in der Hand hielt. Nachdem ich ihn geöffnet hatte, stachen mir viele kleine Plastikblüten ins Auge. Sie hatte nicht untertrieben. Es waren sehr viele in allen Farben. An jeder war ein Draht befestigt, sodass

man sie gut in die Mähne flechten konnte. "Ok, die nehmen wir morgen mit.", meinte ich nur, nahm den Karton und stellte ihn auf den Flur, damit er morgen nicht hierblieb. Anschließend ging meine Familie duschen. Einer nach dem anderen. Vor allem mein Bruder brauchte mal wieder Ewigkeiten. Ich holte unterdessen das Telefon und meldete mich mal wieder bei Marion. "Hallo? Wer ist da?", meldete sie sich. Achso, sie kannte ja gar nicht meine Festnetznummer. "Ich bin's, Hanna.", grinste ich, obwohl sie es nicht sehen konnte. "Achso, hatte mich schon gewundert.", gab sie lachend zurück.

"Ich wollte nur sagen, dass ich heil angekommen bin. Gibt es was Neues?", fing ich direkt an. "Ja, weißt du, Hidalgo hat plötzlich Asthma bekommen und liegt die ganze Zeit röchelnd im Stroh. Louisa ist von der Brücke in der Arena gestürzt und liegt jetzt im Koma und ich, nun ja... Das ist schwer zu erklären. Aber ich hänge irgendwo zwischen Tür und Angel fest und kann mich nicht mehr bewegen." Zuerst blieb ich verwirrt still. Doch dann hörte ich ihr schallendes Gelächter. "Du machst Scherze, oder?", fragte ich, immer noch verwirrt. "Mensch, Hanna! Hier ist alles wie immer! Kennst du Sarkasmus?", sie lachte immer noch. "Vorgestern warst du

noch todunglücklich und jetzt bist du wieder lustig? Wie kommt denn dieser Sinneswandel?", fragte ich verwundert. "Naja, darf ich denn nicht lustig sein?", murmelte sie, jetzt wieder traurig. Was war heute nur mit ihr los? Doch plötzlich wusste ich Bescheid. "Sag mal, Marion: Bist du etwa betrunken?" "Nein, wie kommst du denn darauf?", meinte sie, unschuldig. Ok, es ging. Aber sie hatte auf jeden Fall etwas mehr getrunken, als sie durfte. "Doch, du bist es. Aber ganz ehrlich, das hätte ich dir nicht zugetraut.", meinte ich belustigt. "Ok, vielleicht. Aber nur ein kleines bisschen.", rechtfertigte sie sich. "Du weißt genau, Alkohol ist auch

keine Lösung.", tadelte ich. "Es war kein Alkohol. Das war Wein!", meinte sie ärgerlich. "Geh schlafen, Marion. Darüber reden wir ein anderes Mal.", lachte ich. "Hey, ich will aber noch ein bisschen reden." "Nein, Marion. Geh jetzt schlafen und lege die Weinflasche weg, falls du sie noch nicht ausgetrunken hast!". "Die ist schon leer.", sagte sie traurig. "Welch ein Glück. Und jetzt geh schlafen. Gute Nacht.", lachte ich. "Nacht.", antwortete sie nur und ich legte auf. Dass ich das noch erleben durfte. Die vernünftige Marion hatte zu tief ins Glas geschaut.... Den Grund dafür wollte ich gar nicht wissen. Obwohl, ich konnte ihn

mir denken. Die Sache mit Thorgal machte ihr mehr zu schaffen, als sie zugeben wollte. Naja, morgen werden wir es sehen. Denn morgen Abend wollten Ludo und Marion kommen, um uns mit dem Hänger abzuholen, damit Vito wieder in seinen gewohnten Stall zurückkonnte. Doch jetzt musste ich dringend schlafen gehen, die letzten Tage waren anstrengend gewesen. Nachdem ich endlich duschen konnte, fiel ich auch schon in mein Bett und schlief kurz darauf auch schon. Der morgige Tag würde anstrengend werden.

Kapitel 32

Diesmal wurde ich nicht von irgendeinem Lied von meinem Handy geweckt. Es war das ganz normale Piepen meines normalen Weckers. 6:30 Uhr. Definitiv zu früh, aber das musste sein. Also stand ich auf und zog mich an. Und nur eine Stunde später stand die ganze Familie im Stall. Es wurde schon gefüttert und so fand ich Vito fressend in seiner Box. Wie immer hielt er inne, um mich kurz zu begrüßen. Auch ich umarmte ihn kurz und begann dann mit der Reinigung meines Pferdes. Er sollte wenigstens glänzen, wenn wir uns schon

blamierten. Während ich mit gleichmäßigen Bürstenstrichen über sein Fell fuhr, kam meine Mutter mit einer handvoll Plastikblüten zu mir. "Ich lege sie dir dahin.", erklärte sie und legte die Blumen in de Futtertrog. Daraufhin kam Vito an seinen Trog und beschnupperte das unbekannte Zeug. "Das kann man nicht essen!", lachte ich. "Ich merk's.", murrte mein Falbe beleidigt. Schmunzelnd setzte ich meine Arbeit fort. Eine halbe Stunde später konnte man keinen schmutzigen Fleck mehr auf Vitos Fell finden und seine Mähne fiel lockig und durchgekämmt auf seine Schulter. Seufzend begann ich dann meine Arbeit

mit einflechten. Es war nicht meine Lieblingsarbeit. Definitiv nicht. Und wie erwartet war mein Ergebnis nicht das Allerbeste, doch es ging. Mithilfe der Blüten rette ich noch, was noch zu retten war und schließlich stand ein wunderschöner Vito vor mir. Doch plötzlich musste ich kichern. "Du siehst ein wenig aus wie eine Stute.", verkündete ich. "Wie bitte?!", empörte sich mein Hengst und wollte sich schütteln, doch ich rief schnell: "Nicht! Du machst deine Frisur kaputt!". Rechtzeitig hielt mein Pferd inne. "Na gut, aber nur weil du es bist.", sagte er dann schmollend und widmete sich wieder seinem Heu. Ich

ging unterdessen hinaus und holte mir die Zeiteinteilung. Wir hatten noch mehr als genug Zeit. Also half ich noch ein wenig bei den letzten Vorbereitungen. Gegen Mittag trudelten die ersten Leute ein. Laut Zeiteinteilung war ich direkt nach der Rede meines Vaters dran. Das war eigentlich die beste Zeit. Denn da würden noch richtig viele Leute zuschauen. Ob ich das jetzt allerdings gut oder schlecht finden sollte, wusste ich nicht. Gegen 14 Uhr begann ich, Vito endgültig fertig zu machen und ritt in einer ruhigen Ecke ein paar simple Dressurübungen wie Volten,

Schlangenlinien und Tempounterschiede, um ihn warm zu machen. Was ich anfangs nicht bemerkte: Meine Mutter stand am Zaun und sah mir zu. Nach einer Weile rief sie mich. Erstaunt sah ich zu ihr. "Was ist?", wollte ich wissen. Sie winkte mich zu sich, also kam ich an den Zaun. "Und du hast ihn wirklich selbst ausgebildet?", fragte sie zuerst. "Ja, habe ich. Wieso?" "Nicht schlecht. Er geht richtig gut, aber man merkt ihm noch deutlich an, dass er erst vier ist.", nachdenklich kraulte sie Vitos Stirn, der sie neugierig beschnupperte. Doch dann reichte sie mir einen Halsring. "Würde es dir was ausmachen, mit Halsring zu

reiten? Es soll ein besonderer Auftritt werden." Erschrocken sah ich sie an. Das kannte Vito doch gar nicht! "Das hat er noch nie gemacht.", meinte ich nur ruhig. "Komm schon, Hanna. Ich sehe, dass das Pferd mehr drauf hat, als du mir zeigen willst. Den hast du doch nie im Leben in zwei Monaten selber so weit gebracht!", ihre Stimme klang befehlend. Wortlos nahm ich ihr den Halsring aus der Hand und nahm Vito die Trense ab. Dann drückte ich meiner Mutter diese in die Hand und sie lächelte. "Na, also. Geht doch.", meinte sie nur trocken. "Was ist das?", fragte mein Pferd zuerst verwundert. "Ein Halsring. Höre ab jetzt

einfach nur noch auf meine Stimme, das bringe ich dir ein anderes Mal bei.", erklärte ich sichtlich sauer. "Bist du wütend auf mich?", interpretierte der Falbe es falsch. "Nein, aber auf meine Mutter. Mit Trense fühlen wir uns beide wohler, aber sie meint unbedingt, ich soll den Halsring nehmen." "Achso, dann brauche ich mir ja keine Sorgen zu machen.". "Nein.", sagte ich sanft. Dann ritt ich von dem Abreiteplatz hinunter in Richtung Rennbahn. "Bist du soweit, Vito?", fragte ich seufzend. "Bereit wenn du es bist.", antwortete er liebevoll. Erst dann sah ich die vielen Menschen auf der Tribüne sitzen. "Oh, nein...", sagte ich daraufhin

gequält. "Was?". Vito drehte fragend seinen Kopf zu mir. "Schau mal auf die Tribüne.", meinte ich nur und sah weg. Sofort spannte sich mein Pferd an. "Muss das sein?", fragte er leise. "Ja, leider. Aber sie kommen ja nicht hinunter. Wir haben den ganzen Platz für uns.", versuchte ich ihn zu beruhigen. "Ok, ich vertraue dir.", antwortete er mit fester Stimme. "Danke.", sagte ich, ebenfalls mit dem Versuch, stark zu klingen. Es bedeutete mir wirklich viel, dass er so etwas sagte, doch ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn mein Vater war fertig mit seiner Rede. "... Und jetzt

sehen wir meine Tochter mir ihrem Pferd!", kündigte er mich an. "Ok, los, Vito. Wir traben jetzt bis in die Mitte des Platzes und dort verbeugst du dich. Ok?", wies ich ihn an und statt zu antworten, tat Vito einfach das, was ich sagte. Im ruhigen Trab lenkte ich ihn auf den vorhergesehenen Platz und er tat wie geheißen. Danach schwang ich mich von seinem Rücken und präsentierte zuerst mit ihm den spanischen Schritt. Unterdessen klangen die sanften Geigentöne von Lindsey Stirling aus dem Lautsprecher. Ich hatte nämlich vorher gesagt, dass ich ein wenig Musik brauchte. Eigentlich wollte ich zuerst Freds Musik nehmen, da die

einfach besser zum Trickreiten passte, doch dann hatte ich sich mein Laptop formatiert und die CDs mit den Sicherheitskopien konnte ich auf die Schnelle heute Morgen nicht ausfindig machen. Meine Lieblingsmusik hatte ich nämlich immer noch zusätzlich auf CD. Also hatten wir uns auf eine Youtube Playlist von Lindsey geeinigt. Daraufhin stimmte ich gerade meine Übungen mit Vito ab. Da wir noch nicht so viel konnten und er sich nicht vor so vielen Menschen hinlegen wollte, beschränkten wir uns nur überwiegen auf das freie Nebenherlaufen. Hin und wieder baute Vito noch eine spektakuläre Hinterhandwendung ein, die ich grinsend

mit einer Möhre belohnte. Das ganze ging nicht so lange und so schwang ich mich kurz darauf wieder auf seinen Rücken und wir stellten uns für das Trickreiten auf. Passend dazu erklang gerade der Dubstepteil von Take Flight. Lieber wäre mir ein Lied von Fred gewesen, das für das Trickreiten komponiert wurde, doch ich hatte jetzt keine Zeit, dieser Musik hinterherzutrauern. Also trieb ich Vito in den Galopp und präsentierte zuerst das Stehen und dann die Standwaage. In der nächsten Runde stellte ich mich wieder hin und machte aus dem Stehen eine Rolle von seinem Rücken. Vito war darauf nicht vorbereitet und taumelte

kurz. "Hanna!", schrie er entsetzt und konnte sich gerade noch so fangen, indem er langsamer galoppierte. "Sorry.", rief ich gegen den Galoppwind an und schwang mich wieder auf seinen Rücken nachdem ich einige Schritte neben ihm hergelaufen war. In der dritten und letzten Runde, scherte ich noch, sodass ich kurz rückwärts auf ihm saß, das gleiche tat ich dann auch rückwärts und somit saß ich wieder vorwärts. Ich parierte den erschöpften Vito wieder durch, verbeugte mich mit ihm ein letztes Mal und ritt dann wieder hinaus. Lächelnd lobte ich ihn draußen noch. "Hast du gut gemacht. Ich bin stolz auf

dich.", meinte ich dann nur und drückte ihm einen Kuss auf den Hals. "So viele Menschen sind mir trotzdem nicht geheuer.", kommentierte Vito nur trocken und blickte noch einmal zurück. "Du weißt schon, dass das noch viel größer werden kann. Nächstes Jahr rechne ich fest damit, dass du mit in der Arena läufst.", erklärte ich und er stöhnte auf. "Daran arbeiten wir jetzt nach den Sommerferien.", erklärte ich weiter. "Super, echt toll.", seit wann konnten Pferde sarkastisch sein? Grinsend tätschelte ich ihn nochmal am Hals und stieg dann ab, um ihn zu versorgen. Im Stall traf ich auf Marion, die

gedankenverloren eines der Rennpferde an der Nase kraulte. Der Schimmel genoss das sichtlich. So viel Aufmerksamkeit bekam er selten. "Oh, hallo Marion!", rief ich grinsend. Schmerzverzerrt verzog sie das Gesicht und massierte sich die Schläfen. "Nicht so laut! Ich habe höllische Kopfschmerzen.", jammerte sie. Ich prustete los. "Selber schuld! Alkohol ist bekanntlich auch..." "Keine Lösung. Jaja, ich weiß.", schnitt sie mir das Wort ab. "Aber ihr habt das gut gemacht, ich habe euch zugeschaut. Ludo kommt in einer Stunde mit dem Hänger vorbei, dann nehmen wir euch mit.", kündigte sie noch an. "Ok, alles

klar. Danke! Und wie geht's dir so?", fragte ich zurück. "So wie immer.", meinte sie nur und ihr Gesicht wurde schlagartig ernst. "Oh, das wollte ich nicht. Tut mir leid.", sagte ich sofort entschuldigend, denn ich wusste, ich hatte sie so wieder an ihre heikle Situation erinnert. "Nein, nein. Passt schon.", gab sie kalt zurück, bemüht, ihre Emotionen zu verstecken. Mitleidig kam ich auf sie zu und nahm sie in den Arm. "Das wird schon.", murmelte ich beruhigend. Doch sie schüttelte heftig den Kopf. "Morgen, Hanna. Morgen soll er schon gehen!", sagte sie, unglaublich traurig. "Morgen schon? Ich dachte am Sonntag?", gab ich

entsetzt zurück. "Ist eine lange Geschichte.", meinte sie nur und ich wusste, dass sie das nicht weiter erzählen wollte. "Ok, ich bin morgen auf jeden Fall da.", sprach ich ihr meinen Beistand aus. "Danke.", seufzte sie nur. "Soll ich dir helfen, Vito transportbereit zu machen?", fragte sie schließlich. "Klar." Ablenkung tat immer gut. Also gingen wir zurück zu Vito, der Marion freudig begrüßte. "Er hat dich gerne.", erklärte ich lachend seine Schmuseattacke. "Er ist aber auch echt süß.", grinste Marion. "Weißt du was? Wenn bei mir wieder Schule anfängt, habe ich ja viel weniger Zeit, ihn zu bewegen und weiter

auszubilden. Willst du das nicht übernehmen, sodass ich nicht mehr jeden Tag kommen muss?", fragte ich und Marion sah mich erstaunt an. "Echt jetzt? Natürlich würde ich das machen!", sagte sie dann begeistert. "Alles klar. Dann komme ich nur noch jeden zweiten oder dritten Tag. Das ist entspannender!". Marion lächelte nur und begann mein "Kunstwerk" von geflochtener Mähne zu entwirren. "Von weitem sah es ja gar nicht so schlecht aus, aber jetzt frage ich mich: Was zur Hölle hast du mit seiner Mähne angestellt?", Marion lachte laut. "Du weißt doch, dass ich eine absolute Niete darin bin.", entschuldigte ich mich und

begann, den Schweif zu entflechten. Vito ließ das geduldig über sich ergehen. "Endlich habe ich diese dämlichen Blüten aus dem Haar raus.", kommentierte er dazu nur und fraß genüsslich sein Heu weiter. Manchmal war er ziemlich verfressen. Nach einer halben Stunde hatten wir es dann endlich geschafft, die Katastrophe von geflochtenem Langhaar wieder zu beheben und ich begann, das restliche Lederzeug von Vito zusammenzusuchen, welches wieder zurück nach Rust musste. Pünktlich, als Ludo kam, wurden wir fertig und Vito stand mit Transportgamaschen wartend in seiner

Box. Als ich mein Pferd zum Hänger führen wollte, stemmte es jedoch die Beine in den Boden und rührte sich keinen Meter mehr. "Da gehe ich nicht mehr rein!", beklagte er sich ängstlich und mir fiel es wieder ein. Seit er in der Arena war, hatte er keinen Fuß mehr in einen Hänger setzten müssen und davor hatte er nur schlechte Erfahrungen damit gemacht. "Willst du wieder zurück in die Arena oder nicht?", fragte ich, leicht genervt. "Schon, aber nicht mit diesem Ding da!". Er deutete auf den Hänger. Liebevoll strich ich ihm über den Hals. "Komm schon. Nur weil du schlechte Erfahrungen damit gemacht hast, heißt

das noch lange nicht, dass es immer so ist!", widersprach ich. "Muss es unbedingt sein?", fragte er dann und sein Widerstand begann zu bröckeln. "Ja. Sonst kannst du nicht wieder zurück nach Hause. Außerdem geht die Fahrt nicht so lange. Maximal eine Stunde, mehr nicht.", versprach ich. Er blinzelte müde. "Na gut. Aber nur, weil du es bist.", gab er sich schließlich geschlagen und ich lächelte triumphierend. "Na also, geht doch!" Im Hänger hing auch bereits sein Heunetz bereit und spätestens als er das entdeckte, war er ganz entspannt. Als wir hinter ihm die Klappe schlossen, zuckte er zwar kurz zusammen, aber wir

ließen die Plane oben, sodass genug Licht in den Hänger fiel. Das wirkte beruhigend auf mein Pferd. Ich verabschiedete mich noch schnell von meinen Eltern und dann fuhren wir auch schon wieder zurück in Richtung Heimat. Wir redeten nicht so viel, da ich von den vier Tagen Höchstleistung erschöpft war, Marion wieder tief in Gedanken versunken war und Ludo sich auf die Autobahn konzentrierte. Nur kurz erzählt ich, wie es gewesen war. Aber Sylvia erwähnte ich in keinem Wort. Das ging Ludo nichts an. Vielleicht würde ich es Marion später erzählen. Ich wusste es noch nicht. Jedenfalls kamen wir dann eine

dreiviertel Stunde später in Rust an. Vito freute sich, endlich wieder in seiner gewohnten Box zu stehen und nachdem er sich in dem Stroh einmal ausgiebig gewälzt hatte, legte er sich hin und kurze Zeit später lag ein tiefschlafender Hengst in dem Stroh. Um ihn nicht zu wecken, ging ich leise zu Thorgal, um mich von ihm zu verabschieden. Da Marion heute eigentlich frei hatte, war sie, sobald alles aufgeräumt war, auch wieder gegangen und nun saß ich bei Thorgal in der Box und streichelte liebevoll seine Nase. "Hat sich Marion eigentlich von dir verabschiedet oder konnte sie das nicht?", fragte ich irgendwann. "Doch,

hat sie. Den ganzen Morgen. Wir waren auch heute nochmal ausreiten. Nur wir zwei in der Morgensonne.", erklärte er traurig. "Weißt du was? Das ist der beste Weg, dich zu verabschieden. Du musst noch ein letztes Mal deine Freiheit hier genießen.", meinte ich und holte schnell seine Bandagen für die Beine. Thorgal freute sich nur ein wenig. Die Trauer des Abschiedes hatte auch von ihm Besitz ergriffen. Kurze Zeit später verließen wir die Arena. Mittlerweile war es schon Abend und die untergehende Sonne tauchte alles in ein orangenes Licht. Thorgal lief völlig frei neben mir. Er trug nur die Bandagen. Mit

hängendem Kopf folgte er mir, als ich in Richtung Galoppstrecke lief. "Los jetzt, Thorgal. Genieße deine Freiheit noch ein letztes Mal.", sagte ich leise und machte eine Armbewegung, die die umliegenden Felder umfasste. Der blonde Hengst ließ sich das nicht zweimal sagen. In wildem Galopp stürmte er davon. Erschöpft legte ich mich ins Gras eines Feldes und starrte den orangenen Himmel an.

Kapitel 33

Ich musste wohl eingenickt sein, denn ich wurde wach, als sich etwas Großes, Warmes neben mich legte. Thorgal lag da und spendete mir Schatten. "Hast du dich ausgetobt?", fragte ich verschlafen. Er nickte stumm. Eine Weile lagen wir so da, bis er schließlich mich sanft anstupste. "Darf ich dich noch ein letztes Mal durch den Wald tragen?", fragte er vorsichtig. "Natürlich.", lächelte ich schwach, rappelte mich auf und rutschte auf seinen Rücken. Unter mir stand er auf und im Schritt setzten wir unseren Weg fort. Mit geschlossenen Augen genoss

ich seine Bewegungen und die Wärme, die von seinem Fell ausging. "Ich werde dich vermissen, Thorgal.", sagte ich leise. "Ich weiß." Er klang so traurig, dass mich das zu Tränen rührte. So ein Pferd fand man selten. Ein Pferd, das so treu war und so sehr an einem Menschen und einem Ort hing. "Aber das Leben geht schließlich weiter. Wir werden dich auf jeden Fall mal besuchen kommen. Vielleicht noch nicht am Anfang, wenn der Trennungsschmerz noch stark ist, aber spätestens in den Herbstferien.", meinte ich liebevoll. "Und wenn ihr nicht kommt, komme ich zu euch.", drohte Thorgal mir mit dem Versuch, lustig zu

sein. Es klappte nicht so richtig. "Aber wir können ja auch froh sein, jemanden gefunden zu haben, der dir weiterhin die Medikamente geben kann und dir den verfrühten Ruhestand angenehm machen kann. Jetzt genieße noch dein restliches Leben und irgendwann, nach hoffentlich langer, langer Zeit, bist du und Marion wieder vereint und dann könnt ihr zusammen über so viele Wiesen galoppieren wie ihr wollt. Frei von Schmerzen und Sorgen.", meinte ich leise. "Na hoffentlich erst in langer Zeit. Aber, Hanna, ich habe auch Angst, dass Marion mich irgendwann vergessen wird!", sprach er seine größte Sorge

aus. "Das wird sie nicht. So ein Pferd, wie dich, vergisst man einfach nicht mehr. Du bist einzigartig, Thorgal. Und ich denke, dass Marion kein besseres Pferd wie dich je wieder finden wird. Also denke immer an die schönen Momente, die ihr gemeinsam verbracht habt und denke immer mit einem Lächeln an deine Jahre mit ihr zurück. Du wirst uns allen fehlen.", sprach ich ihm Mut zu. "Danke, Hanna. Ich bin so froh, dass ich dich kennenlernen durfte. Zwar nicht für lange Zeit, aber du hast uns allen in der Arena wieder gezeigt, wie viel Spaß unsere Arbeit machen kann. Natürlich tat sie das auch vorher, aber

Marion hatte damals schon ganz recht. Kleiner Sonnenschein passt zu dir." Lächelnd umarmte ich den Hengst. "Ich bin auch froh, euch alle zu kennen. Früher warst du übrigens mein Lieblingspferd in der Show.". "Wegen meiner Farbe?", fragte er schelmisch. "Auch.", gab ich zu, "Aber vor allem wegen deiner Art. Du hast alles für Marion gemacht, ihr saht zusammen immer perfekt aus und wie du ihr vertraut hast, fand ich immer richtig super. Ich habe euch beide vergöttert.". Mittlerweile waren wir wieder aus dem Wald draußen und der lange Feldweg zurück nach Rust erstreckte sich vor uns. Thorgal sah ihn abschätzend an.

"Und ich wette, davon hast du immer geträumt.", meinte er verschmitzt und galoppierte an. "Natürlich! Ich liebe das!", lachte ich nur und genoss die Kraftmaschine unter mir. Natürlich war sein Galopp mit Reiter nicht mehr das, was er mal war. Ihm fehlte mittlerweile schlicht und einfach die Kraft in den Beinen, um noch wild zu galoppieren. Doch ich genoss es auch so. Während die Felder nur so an mir vorbeizogen, sah ich nach vorne und fühlte den Weg mit. Indem ich meine Pferdesinne immer weiter austreckte, ertastete ich schließlich auch die Energieströme von Thorgal. Ich schloss die Augen, verband unsere

Ströme und als ich die Augen aufschlug, blickte ich mit Thorgals Sicht. Ich spürte, wie er den wilden Galopp vermisste, aber nicht schneller machen wollte, weil er Angst vor den Schmerzen hatte. Er hatte auch die Ausdauer nicht mehr, da er immer langsamer machen musste, als die anderen Pferde. Also probierte ich etwas Neues. Wenn ich als Pferd Energie aus dem Boden ziehen konnte, konnte ich meine Energie nicht auch an Thorgal weiterleiten? Statt nur die Verbindung beizubehalten, ließ ich jetzt auch ein weniger meiner Energie in seinen Kreislauf fließen. Sofort konnte ich spüren, wie ein Ruck durch den

Körper des Pferdes ging und es sich wohler fühlte. Doch gleichzeitig wurde ich erschöpfter. Das war wohl der Preis. Und durch den Körper von Thorgal konnte ich keine Energie aus dem Boden ziehen, sodass ich ein wenig schläfrig wurde. Also löste ich die Verbindung und genoss noch die letzten Galoppsprünge des blonden Hengstes. Dann fiel er freiwillig wieder in den Schritt und die letzten paar Meter trottete er zurück zur Arena. "Weißt du, Thorgal,", setzte ich an, als wir wieder im großen Hof der Arena standen, "Wir könnten Marion noch eine kleine Erinnerung machen. Ich habe meine Kamera dabei.". Thorgal blickte

erstaunt. "Wie jetzt? Du willst einen Film über mich drehen?". Ich nickte. "Ein kleines Video oder so. Nichts Großes. Solange es noch hell ist, können wir nochmal kurz raus ins Gelände gehen. Danach vielleicht noch in der Arena.", erklärte ich ihm meine Idee. "Ok, alles klar.", sagte Thorgal erfreut und ich holte schnell meine Kamera. Anschließend gingen wir wieder zu unserer Galoppstrecke. Ich filmte Thorgal, wie er frei über das Feld galoppierte und kurz im Wald, aber da es relativ dunkel war, konnte man nicht mehr viel sehen. Doch ich nutze das Licht und ließ Thorgal so laufen, dass

man nur noch seine Silhouette sah. Es war schon ziemlich dunkel, als wir wieder in der Arena ankamen und spät noch dazu. Meine Mutter rief mich sogar an, und fragte wo ich denn blieb, doch ich antwortete nur, dass ich noch etwas Wichtiges zu tun hatte und deswegen über Nacht in Rust blieb. Das erste, was wir in der Arena drehten, war eine Abschiedsrede von Thorgal. Für Marion wiederholte ich die Worte auf Französisch. "Hallo, meine Liebe.", begann er leise. Ich versuchte seinen Tonfall genau nachzuahmen, damit es besser rüberkam. Denn seine Stimme war voller Emotionen, die ich nicht alle in

Worte fassen konnte. "Wir haben nicht viel Zeit miteinander verbracht, ich weiß. Eigentlich nur fünf Jahre und doch waren es fünf wundervolle Jahre. Es waren viel zu wenige, denn eigentlich hätten wir den Rest unseres Lebens miteinander verbringen können. Dieser Abschied hätte nicht sein müssen und ich mache mir unglaubliche Vorwürfe deswegen. Doch, Marion, ich möchte mit dem Wissen gehen, dass es dir gut geht. Ich wünsche dir alles Gute für deine weitere Zukunft und trauere nicht unserer gemeinsamen Zeit nach. Irgendwann werden wir uns wiedersehen. Die Zeit mit dir war die Schönste meines gesamten Lebens und

ich weiß, du wirst ein großes Loch in meiner Seele hinterlassen. Kein anderer Mensch hat mich je so gut verstanden, wie du es tatest. Nicht mal Hanna, die mit mir richtig reden kann. Sie hat eine Fähigkeit, die bei uns nie von Nutzen gewesen wäre. Du hast mir immer gezeigt, wie glücklich ich als Pferd sein kann und was Vertrauen bedeutet. Wir beide wussten sofort, wann es dem anderen schlecht ging und ich wünschte, so eine Person wie dich, hat jedes Pferd. Doch das ist fast unmöglich und so bin ich verdammt froh, dich damals kennengelernt zu haben. Und selbst wenn es jetzt, nach all diesen glücklichen Jahren, vorbei ist,

hoffe ich doch, dass die Erinnerung bleibt. Unsere Geschichte ist jetzt leider zu Ende, obwohl wir beide es nicht wollten. Der endgültige Abschied muss es aber nicht sein. In Gedanken werde ich bei dir bleiben, so wie ich es all die Jahre getan habe. Wenn ich es irgendwie ändern könnte, würde ich hier bleiben, doch ich weiß auch, dass es hoffnungslos ist. Es tut mir so sehr weh, dich jetzt gehen zu lassen. Du solltest wissen, Marion, für dich wäre ich auch gestorben. Die Freundin, die ich in dir gefunden habe, wird es kein zweites Mal geben. Aufgeben ist niemals leicht, doch ihr habt mir klar gemacht, dass ich es tun muss. Ein Abschied ist

niemals leicht, vor allem nicht, wenn er endgültig ist, doch die Vernunft sagt uns, wir müssen uns voneinander verabschieden. Und ich möchte mit dem Wissen gehen, dir gesagt zu haben, wie sehr ich dich gern habe. Marion, du wirst mir fehlen." Thorgal endete und ging vorsichtig zur Kamera, um noch ein letztes Mal respektvoll den Kopf zu neigen. Dann drehte er sich um und ging mit langsamen Schritten aus dem Bild. Die letzten Worte hatte ich mit Tränen in den Augen übersetzt. Thorgal war ein fantastisches Pferd. So eine Beziehung hatten noch nicht einmal Vito und ich. Diese Beziehung war so viel mehr als Freundschaft. Sie war tiefstes Vertrauen

und stilles Verständnis. Keiner hatte je richtig mit dem anderen geredet und doch verstanden sie einander, als würden sie reden. Für diese Beziehung hegte ich höchsten Respekt gegenüber den Beiden. Die Kamera hatte ich auf den Boden des unteren Umlaufs abgestellt und saß selbst etwas weiter hintendran. Mit eigenen Händen hätte ich die Kamera am Ende nicht mehr halten könnten. Mit zitternden Fingern machte ich sie schließlich aus. Diese Rede hatte mich, ehrlich gesagt, selbst ein wenig überwältigt, auch wenn sie nicht mir galt. Ein paar Minuten brauchte ich noch, um

mich emotional zu beruhigen. Doch dann wollte ich weiter drehen. Die nächsten Szenen handelten von ein paar Dressurübungen, die Thorgal völlig frei präsentierte. Ich bestand auch auf ein paar Detailaufnahmen, damit es ein richtig gutes Video wurde. Dieser Dreh dauerte nochmal zwei Stunden, sodass es schon nach Mitternacht war, als ich endlich fertig war. Jetzt kam der anstrengendste Teil für mich. Noch heute Nacht wollte ich das Video schneiden. Dafür eignete sich der Computer in dem kleinen Technikraum in der Arena am Besten. Fabrice, dessen Reich das eigentlich war, würde mich wahrscheinlich dafür umbringen, wenn

er das rausfand, doch das war mir im Moment egal. Dieser Rechner war Leistungsstark und hatte auch Internet, womit ich mir mein Schneideprogramm nochmal schnell herunterladen konnte. Eigentlich war dies kostenpflichtig, doch da ich es bereits gekauft hatte, hatte ich die Codes noch in meinem E-Mail Ordner und so hatte ich eine halbe Stunde später mein komplettes Schneideprogramm inklusiv aller Zusatzeffekte, dich ich mir je heruntergeladen hatte, auf dem Computer. Zuerst schnitt ich Thorgals Rede ein wenig zusammen. Damit war ich schnell fertig, da es da nicht wirklich was zum Schneiden gab.

Allerdings hinterlegte ich es noch mit Knowing me, Knowing you von Abba, damit es die richtige Note bekam, da ich die Emotionen von Thorgal natürlich nicht originalgetreu nachgeredet hatte. Und das Lied hatte ja fast die gleiche Botschaft. Als ich mir das Resultat ansah, liefen mir dann doch ein paar Tränen über die Wange. Ich speicherte die Datei auf eine leere DVD, die ich mir ebenfalls von Fabrice klaute, und legte dieses Projekt vorerst zur Seite. Das Geld dafür würde ich ihm Morgen geben, falls er es merken würde. Seufzend dachte ich an die Schimpftirade, die er wohl über mich loslassen

würde. Anschließend fing ich an, das endgültige Abschiedsvideo von Thorgal zu schneiden. Als Musik nahm ich ein langsames, trauriges Klavierstück und die nächsten paar Stunden war ich mit Schneiden beschäftigt. Auch wenn es hinterher nicht mehr so aussehen würde, als ob ich dafür Stunden verbrauchte, war das Schneiden eines jeden Videos meistens das aufwendigste. Die Sonne ging schon auf und es wurde 8 Uhr morgens, als ich das Video endlich fertig bekam. Ich lud es in Facebook hoch, damit die Fans auch wussten, was mit Thorgal passiert war und am Abschied teilhaben

konnten. Als Beschreibung schrieb ich nur: Goodbye Thorgal, we will miss you <3 Den Rest hatte ich im Video bereits gesagt. Dass er wegen der Krankheit gehen musste und man es nicht ändern konnte. Natürlich verlinkte ich Marion noch mit darauf, damit sie es sehen musste. Mit tiefen Augenringen schaltete ich schließlich den Computer aus und machte mich auf den Weg, um ein bisschen spazieren zu gehen. Anders würde ich nicht wachbleiben und die aufgehende Sonne lud regelrecht dazu ein. Um halb Neun tauchte ich wieder in der Arena auf. Dort traf ich zuerst auf Guillaume, der mit einer Tasse Kaffee in

der Hand auf einem Stuhl in der kühlen Morgensonne saß. Ich nahm mir ebenfalls einen Stuhl und setzte mich neben ihn. "Morgen.", grüßte ich müde und er nickte nur, als er die Tasse erneut ansetzte, um einen Schluck zu nehmen. "Habt ihr noch welchen?", fragte ich dann und nickte zu seiner Tasse. "Keine Ahnung, da musst du Audrey fragten. Sie hat ihn gemacht.", antwortete er nur. Also stand ich auf, um mich auf die Suche nach der netten, jungen Frau zu machen. Und wirklich, ich fand sie bei der Kaffeemaschine, wie sie sich gerade eine Tasse mit dem heißen Getränk vorbereitete. "Ach, guten

Morgen, Hanna.", meinte sie nur. "Morgen.", gab ich zurück und gähnte. "Willst du auch?", sie hob die Tasse in ihrer Hand ein wenig. Dankbar nickte ich. "Natürlich, wenn du noch welchen hast." "Klar, einer muss ja Kaffee für die ganze Crew machen, sonst bewegen die keinen Muskel!", grinste sie und holte eine Tasse aus dem Wandschrank über der Maschine. Sie schenkte mir ein und drückte mir die Tasse in die Hand. Anschließend folgte sie mir hinaus und setzte sich ebenfalls zu Guillaume und mir. Eigentlich war ich ja kein großer Fan von Kaffee, aber ich war, wegen der schlaflosen Nacht, ziemlich

müde.

Kapitel 34

Wenig später kam auch Ludo in die Arena marschiert. "Guten Morgen!", rief er fröhlich. Na, da hatte aber einer gute Laune. "Morgen.", kam es aus unserer Richtung. Allerdings etwas genervt. Ludo verschwand in die Umkleide, um sich ebenfalls einen Kaffee zu holen. "Gibt es heute irgendetwas besonderes?", fragte er dann, als er sich zu uns setzte. "Thorgal muss gehen.", sagte ich nur trocken und spielte mit dem Henkel meiner, inzwischen leeren, Tasse. "Achso. Kommt Marion dann überhaupt?", fragte Audrey nachdenklich. "Wenn sie sich nicht allzu

sehr betrunken hat, dann ja.", grinste Guillaume müde über seinen schlechten Witz. Es war an keinem vorbeigegangen, wie sehr die blonde Frau an dem Verlust litt. "Und wann wird er abgeholt?", das kam wieder von Ludo. Ich zuckte nur mit den Schultern, doch Audrey antwortete mit: "So gegen 11 Uhr." Das war in genau zwei Stunden. Gerade war nämlich neun Uhr und die ersten Parkbesucher strömten in den Park. Die Lautstärke schwappte auch allmählich zu uns herüber. Vorbei war also die Nachtruhe des Europaparks. "Na dann. Lasst uns was arbeiten.", sagte Ludo irgendwann, stand auf und klatschte

einmal kurz in die Hände. Seufzend räumte ich Tasse und Stuhl weg und half Audrey mit dem ersten Ausmisten der Boxen, um weiterhin nicht im Sitzen einzuschlafen. Wenig später tauchte auch Marion auf und ich legte sofort meine Arbeit nieder. Maxime löste mich ab und machte an meiner Stelle weiter. Meine Freundin war aufgelöst, das konnte ich sehen. Ihre blonden Haare hatte sie zu einem unordentlichen Dutt hochgesteckt und nicht ein Strich Schminke zierte ihr Gesicht. Wortlos nahm ich sie am Arm und führte sie in die Umkleide. "Warum bist du überhaupt gekommen?", wollte ich sanft

wissen. "Milady spielt sich leider nicht von allein.", erklärte sie mir traurig und starrte die Wand hinter mir an. "Danke übrigens für dein Video. Wann hast du das denn gemacht?", versuchte sie das Thema zu wechseln. "Ich war die ganze Nacht hier und habe daran gearbeitet. Sag aber Fabrice bitte nicht, dass ich seinen Computer benutzt habe. Er wird mich umbringen.", seufzte ich nur. Plötzlich kam mir ein flüchtiger Gedanke. "Nein, ich habe vergessen, das Programm zu deinstallieren!", rief ich und schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Na super, jetzt würde er es auf jeden Fall merken. Marion

lächelte schwach. "Wir werden ja sehen, vielleicht findet er es ja gar nicht so schlimm." "Du bist gut. Sein Computer dort oben ist sein Heiligtum!", jammerte ich. Doch da fiel mir die gebrannte DVD ein, die ich noch für sie hatte. Ich holte sie aus meiner Tasche und gab sie hier. "Schau das bitte heute Abend an.", befahl ich ihr leise. Sie nickte wortlos und steckte die DVD ein. Zum Glück fragte sie nicht, was es war, es sollte ja eine Überraschung werden. Plötzlich ertönte ein Schrei aus der Stallgasse. "HANNA!!!", rief, natürlich, Fabrice. Ich verzog das Gesicht und versteckte mich hinter Marion, als ein wütender Fabrice in der Umkleide

auftauchte. Er verschränkte die Arme vor der Brust und blieb im Türrahmen stehen. "Ist ja schön und gut, dass du Videos machst, aber musst du dafür meinen Computer verwenden?", fragte er ruhig. Zu ruhig, für meinen Geschmack. "Tut mir echt leid. Kommt nicht nochmal vor.", sagte ich zerknirscht. "Das hoffe ich für dich.", meinte er nur, etwas sanfter. Anscheinend hatte er meine Entschuldigung vorerst akzeptiert. Gott sei Dank. Erleichtert atmete ich aus, als er sich umdrehte und wieder verschwand. "Komm, wir richten Thorgal für die Abreise.", erklärte Marion dann

irgendwann. Es war halb Elf. Ich war froh über die Ablenkung, denn meine Augen schmerzten mittlerweile von dem langen Aufhalten. Wie schaffte ich das an Vollmond nur? Ach ja, die Energieströme... Marion putzte ihren Thorgal noch ein letztes Mal und ich gab ihm noch ein letztes Mal seine Medizin. Thorgal schluckte die Calciumtablette mittlerweile sogar ohne Apfelbestechung. Er hatte sich daran gewöhnt. Meine blonde Freundin ließ sich Zeit mit dem Putzen, sie wollte jetzt jede Sekunde mit ihrem Hengst genießen. Damit ließ ich sie alleine und hielt mich mit dem Beobachten von Chris

und Rango wach. Der braunhaarige Mann schraubte gerade wieder die Stollen an die Hufeisen seines Pferdes. "Habe gehört, du bist jetzt wieder Single...", versuchte ich ein Gespräch anzufangen. "Hm.", nickte er nur. "Woher weißt du das eigentlich? Ich meine, du warst ja gar nicht hier.", fragte er dann nach einer Weile. "Marion hat es mir erzählt.", sagte ich schulterzuckend. Chris ließ Rangos Huf los und sah mich jetzt endgültig an. "Und woher weiß sie das?", fragte er interessiert. "Da habe ich keine Ahnung! Du fragst mich Sachen!", empörte ich mich grinsend. "Und wer ist die Glückliche eigentlich?", fuhr ich dann

fort. Chris fiel die Kinnlade hinunter. "Sag mal?! Hat dir das alles Marion erzählt?", fragte er, sichtlich erstaunt. "Ja.", lachte ich. "Oh, ok. Eigentlich hatte ich das gar nicht erzählt. Da muss sie schon ziemlich nachgeforscht haben...", sagte er dann nachdenklich, "Ist das ein Zeichen dafür, dass es sie interessiert?". "Könnte sein." ich zuckte mit den Schultern. Da erhellte sich das Gesicht von Chris ein wenig. "Na dann.". Er klang sichtlich erfreuter. Mir kam der Geistesblitz. "Du, das war aber nicht wegen ihr?". Chris' Miene verfinsterte sich. "Das geht dich gar nichts an!", grummelte er. Entschuldigend hob ich die Hände und

ging wieder, da ich ein Auto gehört hatte, das vorgefahren war. Und wirklich. Es war Conny, die gerade den Pferdeanhänger in den Hof manövrierte. Ich schluckte, jetzt wurde es also ernst. Sie stieg gerade aus dem Auto hinaus. "Hallo.", grüßte sie erfreut. "Hallo.", gab ich trocken zurück. "Hast du Transportgamaschen?", fragte ich dann. Sie nickte und holte aus dem Kofferraum vier blaue Gamaschen. Ich brachte sie Marion, die gedankenverloren leise mit Thorgal redete. Sanft berührte ich sie an der Schulter. "Es ist soweit.". Sie zuckte zusammen, nahm aber brav die Transportgamaschen und befestigte sie

an Thorgals Beinen. Dann nahm sie den Führstrick, atmete einmal tief durch, hob den Kopf ein wenig und folgte mir hinaus. Vor Conny versuchte sie selbstbewusst zu wirken, was ihr auch ganz gut gelang. Sie war eben auch eine gute Schauspielerin. Zum Glück hatten wir den gesamten Papierkram bereits vorher erledigt, sodass wir das Pferd nur noch in den Hänger führen mussten. Thorgal wehrte sich nicht. Er wusste, dass es zwecklos war und er hatte sich damit abgefunden. Mit hängendem Kopf trottete er hinter Marion in den Hänger. Kurz darauf kam diese aus der kleinen Tür wieder hinaus. Sie gab ihrem Hengst einen letzten Apfel und

verschloss dann diese Tür. Unterdessen hatte Conny die große Hängerklappe geschlossen und man konnte nur noch Thorgals Rücken sehen. Dann redete sie noch ganz kurz mit Marion, bevor sie sich in ihr Auto setzte und den Motor starrte. Ein letztes Mal ertönte ein lautes, kräftiges Abschiedswiehern aus dem Hänger. "Auf Wiedersehen!", rief Thorgal damit und nur wenige Sekunden später ertönten die Antworten aus dem Stall. Vito gab es zurück, Morendo und Blacos. Die restlichen Pferde blieben ruhig. Dann drehte Conny um und fuhr langsam davon. "Ich werde euch immer im Herzen behalten.", rief Thorgal dann

noch, indem er sich beinahe verrenkte, um noch einen letzten Blick auf uns zu erhaschen. Leise wiederholte ich die Worte für Marion, die regungslos neben mir stand und ihrem Pferd nachsah. Sie versuchte ein wenig zu lächeln, doch es gelang ihr kaum. Chris kam langsam näher und umarmte sie zögerlich tröstend. Sie erwiderte und als ich die beiden so ansah, wurde mir plötzlich klar, für wen Chris mit Heidi Schluss gemacht hatte. Sanft hielt er sie in den Armen und diese Art ließ keine Zweifel mehr übrig. Er hatte seine neue, große Liebe gefunden. Bedeutungsvoll runzelte ich nur die Stirn und verzog mich wieder in den

Stall. Wenig später kam dann auch Marion, die immer noch nicht allzu glücklich wirkte. Ich seufzte, als ich sie sah. "In dem Zustand kannst du unmöglich die Milady spielen!", kommentierte ich ihr trauriges Aussehen. "Und wer sonst?", fragte sie genervt. "Ich. Das ist eine gute Art und Weise, Vito endlich mal daran zu gewöhnen und viel ist heute sowieso nicht los. Allerdings bräuchte ich für das Trickreiten ein anderes Pferd. Vito hat das Gleichgewicht noch nicht.", erklärte ich. "Danke.", lächelte Marion ehrlich. "Wie wäre es mit Aguilito? Den hätte ich heute sonst genommen.". "Ja, das ist eine gute Idee.", stimmte ich

zu. Wir taten es auch so. Zwar war ich ein bisschen tollpatschig als Milady, weil ich das lange nicht mehr trainiert hatte, doch Vito war brav und ich bekam es auch einigermaßen hin. Viele Leute waren heute sowieso nicht da. Nach der ersten Show, während die anderen Essen gingen, legte ich mich einfach auf den kalten Fliesenboden der einen Umkleide und versuchte ein wenig Schlaf nachzuholen. Meine Augenringe hatte ich überschminken können, doch meine Energie ließ sich nicht einfach so herzaubern. Und da kein Bett in der Nähe stand, musste der Steinboden

herhalten. Was ich nicht bemerkte, Chris machte ein Foto von mir und stellte es später auf Facebook. Und dann auch noch ausgerechnet in Rocheforts Reich. Als Ludo mich weckte, war es bereits eine halbe Stunde vor der zweiten Show. "Die zweite Show fängt bald an.", grinste er und ich rappelte mich müde auf. Wie immer, wenn man nur kurz im Tiefschlaf war, fühlte ich mich etwas gerädert und durch den kalten Boden war ich etwas steif geworden. Noch im Halbschlaf taumelte ich zu Vitos Box, richtete ihn schnell und ritt ihn warm. Aguilito wurde von Maxime warm gemacht, die ihre Freude daran hatte.

Auch die zweite Show bekam ich einigermaßen gut hin, auch wenn ich vorher noch eine Runde über den Hof joggen musste, damit meine steifen Muskeln wieder warm wurden. Vor der dritten Show schlief ich nicht nochmal. So einen großen Zeitunterschied hatten diese nämlich nicht. Doch statt Vito noch ein drittes Mal nehmen zu müssen, beschränkte ich mich diesmal nur auf Aguilito. Der Fuchs war die Belastung besser gewöhnt als mein junger Falbe. Nach der letzten Show ging ich dann zügig nach Hause und sah nochmal in Facebook. Und welches Bild prangte mir da total entgegen? Natürlich. Das Bild

von Chris, wie ich am Boden lag und schlief. "Unser Baby war so müde, dass sie sogar auf dem kalten, dreckigen Steinboden schläft.", hatte er darüber geschrieben. So ein Depp, dachte ich nur müde und las mir die Kommentare durch: "Warum war sie denn müde?" oder "Süß!" Ärgerlich zog ich die Stirn in Falten. "Ich hatte die Nacht kein Auge zugetan wegen dem Video! Das hatte ich alles innerhalb dieser Nacht gedreht und geschnitten! Natürlich war ich da müde!", rechtfertigte ich mich sauer als Kommentar und ging danach schlafen.

Kapitel 35

Tja, und dann fing die Schule wieder an. Die letzten drei Tage der Sommerferien hatte ich damit verbracht, Marion und Vito miteinander vertraut zu machen, damit sie ihn wirklich zur Hälfte übernehmen konnte. Meinem Falben gefiel das anfangs nicht so gut, doch als ich es ihm ausführlich erklärte, warum wir das so machen mussten, gab er schmollend nach. Nebenbei konzentrierte ich mich auf die Schule, denn jetzt kam ich endlich in die Abschlussklasse und da mir mein Abitur wichtig war, durfte ich das wohl nicht versauen. Innerhalb acht Jahren das

komplette Lehrprogramm des Gymnasiums durchzulaufen war auch so anstrengend genug und ich wollte ja noch das bilinguale Abitur machen, sodass ich in Frankreich und in Deutschland gleich gute Chancen auf einen Arbeitsplatz hatte. Heute war wieder Vollmond, wie mich Marion heute Morgen freundlich per SMS erinnert hatte. Chris hatte abgesehen von seiner offensichtlichen Aktion am vergangenen Donnerstag, als Thorgal ging, keine weiteren Annäherungsversuche gestartet und heute Abend wollte ich nochmal mit Marion über dieses Thema reden, da sie anscheinend immer noch nicht kapierte,

dass sie der Grund war, weshalb Chris momentan noch Single war. Jedenfalls saß ich gerade gelangweilt im Französischunterricht und starrte aus dem Fenster. Wir hatten einen neuen Französischlehrer bekommen, der noch nicht so ganz kapiert hatte, dass ich französische Grammatik nicht nötig hatte. "Hanna, würden Sie so freundlich sein und wenigstens so tun, als ob Sie dem Unterricht folgen würden, anstatt gelangweilt aus dem Fenster zu sehen?", fragte er mich höflich. Ich hatte mich noch immer nicht daran gewöhnt, dass die Lehrer uns jetzt mit Sie anredeten, aber das war anscheinend in der 12.

Klasse üblich. "Ich kann Ihnen das neue Verb, dass Sie da gerade an die Tafel geschrieben haben, nachts um halb zwei noch konjugieren, selbst wenn ich Stockbesoffen wäre.", antwortete ich gelangweilt auf Französisch. Das Wort Stockbesoffen kannte der Lehrer, der eigentlich deutsch war, nicht und so ging er nur auf meinen ersten Satz ein. "Ach ja? Dann schreiben Sie das doch bitte einmal an die Tafel.", sagte er mit hochgezogenen Augenbrauen und reichte mir die Kreide. Betont lässig schlurfte ich an die Tafel und ohne nachzudenken schrieb ich die komplette Konjugation in Höchstgeschwindigkeit auf die grüne

Fläche. Der Lehrer überflog es kurz und erstaunt sah er mich an. "Ich kann es Ihnen auch noch zum fünften Mal erklären, dass ich Zuhause mehr Französisch rede als Deutsch. Wissen Sie, ich bin zur Hälfte Französin.", erklärte ich genervt und setzte mich wieder an meinen Platz. Der Lehrer seufzte nur und machte mit seinem Unterricht weiter. Ich starrte weiter aus dem Fenster und beobachtete gerade zwei Katzen, die miteinander kämpften. Doch plötzlich stoben sie auseinander und ein lautes Wiehern ertönte. Oh. Mein. Gott, war mein erster Gedanke, das kann doch jetzt nicht sein Ernst sein! Mit einem

Seufzen ließ ich den Kopf auf den Tisch fallen. Draußen stand ein völlig freier Vito, der sich suchend umsah, um sich dann am Gras, was hier wuchs, zu erfrischen. Von hinten ertönte Gekicher. "Guck mal, Hanna. Da ist ein Pferd!", wurde ich aufgezogen. Ich war in meiner Klasse als allgemeine Pferdenärrin bekannt. "Weiß ich.", gab ich genervt zurück. "Ist das deins?", fragte irgendeiner spaßhaft und als Eliza neben mir laut loslachte, war es endgültig vorbei mit der Ruhe im Klassenzimmer. Wir hatten beschlossen, Arbeit und Schule voneinander zu trennen und waren jetzt wieder Freunde. "Das ist doch Vito,

oder?", fragte sie kichernd und starrte hinaus. "Jaaaaa, das ist er!", jammerte ich und stand auf. Der Lehrer hatte es mittlerweile aufgegeben uns zu beruhigen und saß jetzt wartend auf seinem Stuhl. Ich öffnete das Fenster und rief meinen Falben kurz. Sofort schmiss der Hengst seinen Kopf hoch. "Wusste ich doch, dass du hier bist!", rief er vergnügt und galoppierte an das Fenster. Als er seinen Kopf in das Klassenzimmer steckte, das im Erdgeschoss lag, war jetzt selbst der ruhigste Schüler wach. Alle wollten das Pferd einmal berühren und ich grinste nur. Als ob wir im Kindergarten waren. Vito war allerdings

kein ruhiges Kindergartenpferd und so machte er erschrocken einen Satz nach hinten, als alle auf ihn zustürmten. Schließlich schob ich mich durch die Traube, die sich am Fenster gebildet hatte und kletterte aus dem Fenster zu meinem Hengst. "Du sollst doch nicht abhauen!". Vorwurfsvoll sah ich ihn an. "Mir war langweilig.", klagte er als Entschuldigung. "Reite uns mal was vor!", rief jemand aus dem Zimmer. Ich sah an mir herunter. Mit einer Jeans wollte ich nicht auf den bloßen Rücken meines Pferdes. Das rieb nicht nur unangenehm auf Vitos Haut, sondern ob die Hose das auch aushalten würde, wusste ich nicht. "Geht nicht mit Jeans,

aber ich kann euch etwas anderes zeigen!", rief ich grinsend. "Und was?", fragte Vito neugierig, der den Zusammenhang wieder aus meinen Worten gezogen hat. "Spanischen Schritt zum Beispiel?", fragte ich lächelnd. Vito gähnte. "Natürlich, deine Lieblingsübung.", seufzte er und setzte zu einem schönen spanischen Schritt an. Eliza grinste und applaudierte. Der Rest der Klasse machte mit. Doch bevor ich weitermachen konnte, holte ich zuerst mein Handy und rief Marion an. "Vermisst ihr zufälligerweise ein Pferd?", fragte ich lachend. "Ist er bei dir?", gab sie besorgt zurück. "Ja, an

meiner Schule. Frag mich nicht wie er es bis hierher geschafft hat." "Er muss heute Nacht ausgebrochen sein, anders kann ich es mir nicht erklären. Wir wollten dir zuerst nichts sagen als wir es heute Morgen entdeckt haben, aber gefunden hatten wir ihn dann doch nicht. Wir sind gleich mit dem Hänger da. Schau mal, ob er sich irgendwo verletzt hat, eine kurze Strecke ist es nun doch nicht von Rust bis zu dir.". "Ja, klar, ich schaue schnell nach. Daran hatte ich jetzt gar nicht gedacht, er sieht noch so frisch aus!", meinte ich und beobachtete meinen Falben skeptisch. "Gut, bis gleich.", antwortete Marion nur und legte auf. Ich steckte

mein Handy zurück in die Tasche und tastete dann die Beine von Vito ab. Alles war noch ganz. "Wie geht es dir eigentlich, nachdem du 30 Kilometer am Stück zurückgelegt hast?", fragte ich mein Pferd. "Ganz gut. Ich bin in Etappen galoppiert, sodass ich zwischendurch als noch kurze Pausen gemacht habe. Und ich bin ja schon gestern Abend aufgebrochen, kurz nachdem ihr alle gegangen seid.", erklärte er, als sei es das Normalste der Welt. "Spinnst du eigentlich?", fuhr ich ihn an, "Du hast in deinem Stall zu bleiben!" Ich redete extra nicht so laut, damit meine neugierigen Klassenkameraden das

nicht mitbekamen. In ihren Augen war ich schon verrückt genug, da wollte ich die Tatsache, dass ich mit Pferden reden konnte, lieber geheim halten. "Darf ich eigentlich mal auf ihm sitzen?", fragte Eliza mich irgendwann. Überrascht drehte ich mich zu ihr um. "Natürlich, komm.", forderte ich sie auf. Das ließ sich meine Freundin nicht zweimal sagen. Rasch kletterte sie aus dem Fenster und trabte zu mir. Ich schmiss sie hoch und Vito blickte mich erst einmal neugierig an. "Bin ich jetzt etwa dein Pony zum Ponyreiten?", fragte er vollkommen ernst, aber mit einem belustigten Glitzern in den Augen. "Komm schon, Großer.", lächelte ich und

Vito folgte mir artig. Die anderen ließ ich natürlich nicht auf mein junges Pferd drauf, das war mir zu riskant. Da konnten sie noch so betteln. Stattdessen entschied ich mich doch, ein wenig selbst zu reiten, allerdings missbrauchte ich meine Stoffweste als Unterlage. Und als Vito sich für mich hinlegte, damit ich ganz in Ruhe aufsitzen konnte, war das Staunen groß. So ritt ich ein paar Dressurübungen. Nach einiger Zeit bekam ich noch mehr Zuschauer, doch ich missachtete sie, um ruhig zu bleiben. Das würde sich nämlich auf mein Pferd auswirken und konzentriert musste ich auch noch sein, wenn ich ritt. Immerhin ritt ich gerade

zum ersten Mal völlig frei. Deswegen ritt ich auch nicht schneller als Schritt. Nach einer halben Stunde kam dann schließlich Chris mitsamt Hänger angefahren. Seine Rolle in der Show war ersetzlich und so hatte er sich erbarmt, mich abzuholen. Ich ritt zu ihm. "Hast du die Trense dabei? Dann kann ich noch kurz eine Runde Galopp zeigen.", lachte ich und deutete auf mein Publikum. Nicht alle waren wirklich daran interessiert, was ich hier machte, doch es war eine gute Art und Weise, den Unterricht zu schwänzen. "Ja, habe ich zufälligerweise.", meinte er grinsend und holte sie. Mit flinken Finger trenste er schnell mein Pferd,

damit ich nicht absteigen musste und sogleich fühlte ich mich viel sicherer, als ich die Zügel in der Hand hielt. Natürlich vertraute ich meinem Falben vollkommen, doch er war nun doch noch nicht so ganz ausgebildet, um völlig frei unter mir zu gehen. Zur Freude aller Anwesenden jagte ich kurz darauf im vollen Galopp über die Wiese. Doch in der schnellen Gangart spürte ich deutlich Vitos Erschöpfung, die er vorher nicht zugeben wollte. Also beließ ich es bei vier kleinen Runden. und stieg hinterher wieder ab. Ganz zum Schluss verbeugte sich Vito noch auf mein Zeichen hin und dann führte ich ihn in den Hänger, damit er wieder nach

Hause konnte. "Und wenn du mir noch einmal aus der Arena abhaust, dann bekommst du aber gewaltig was hinter die Löffel!", warnte ich ihn noch, bevor ich die Klappe schloss und wieder, diesmal durch den Haupteingang, in den Unterricht ging. Meine Jeans war zwar jetzt ziemlich dreckig und ich roch vollkommen nach Pferd, doch es war mir egal. Sie hatten gewollt, dass ich reite und dann mussten meine Klassenkameraden auch mit den Konsequenzen leben. Am Abend saß ich dann wieder in der Arena und wartete geduldig auf die Verwandlung. Marion lehnte momentan noch an der Wand und blickte mich

erwartungsvoll an. "Also, was willst du?", fragte sie, denn ich hatte sie zum Gespräch herbestellt. Entspannt legte ich zuerst mal meine Beine auf den Tisch, der in dieser Umkleide immer stand und lehnte mich im Stuhl zurück. "Wie sehr magst du Chris?", fragte ich direkt. Marion öffnete zuerst den Mund, um etwas zu sagen, schüttelte aber dann den Kopf und wurde ein wenig rot. "Wie kommst du denn darauf?", fragte sie schließlich neugierig. "Bist du eigentlich blind?", lachte ich nun. Sie zuckte mit den Schultern und sah mich erwartungsvoll an. "Ganz ehrlich, Marion. Jeder Blinde mit Krückstock sieht, wie sehr Chris dich

anschmachtet. Der hat wegen dir mit Heidi Schluss gemacht!" "Gar nicht!", unterbrach Marion mich, biss sich auf die Lippe und sah beschämt weg. "Willst du mich etwa mit ihm verkuppeln?", fragte sie dann vollkommen ernst. "Nö, nur dir den nötigen Tritt geben." Erstaunt hob sie die Augenbrauen. "Und was ist, wenn ich gar nichts von ihm will?". Seufzend vergrub ich mein Gesicht in den Händen. "Lüg mich nicht an. Ich habe es doch gesehen, wie sehr du die Zeit mit ihm genießt!" Marion gab sich geschlagen. "Na gut, er sieht schon ganz gut aus und ist unheimlich nett. Aber ich weiß nicht so recht...",

zweifelte sie. "Geh mal ein bisschen auf seine Flirtversuche ein, er wird dann bestimmt den ersten Schritt machen. Ich werde mich da aber raushalten.", versprach ich. "Das merke ich!", lachte sie und sah mich bedeutungsvoll an. "Einer musste dir sagen, dass er Gefühle für dich hat.", grinste ich nur. "Dass ich das von jemanden höre, der behauptet, nicht lieben zu können...", schmunzelte sie bedeutungsvoll. "Ja und? Nur weil ich es nicht kann, heißt es doch lange nicht, dass ich das nicht kenne!", grinste ich zufrieden. Marion gab endgültig auf. "Ok, du hast gewonnen. Ich werde mich mal ein bisschen in Richtung Christophe

orientieren. Aber du weißt schon, dass du was erleben kannst, wenn das nur ein geplanter Streich von dir und Chris gegen mich ist.", warnte sie mich noch mit erhobenem Finger und ließ mich dann wieder in der Umkleide allein. Damit ich eine Beschäftigung hatte, ließ ich Vito noch frei durch die Arena rennen und übte anschließend das Steigen mit ihm. Allerdings so, dass er es seitlich neben mir lernte und nicht vor mir. Das sollte er nämlich gleich mitlernen: Man steigt nicht vor Menschen. Erstens war das unartig und zweitens konnte das gefährlich werden. Am Ende unserer Lektion konnte Vito seine Beine vollkommen kontrolliert in

den Himmel schwingen. Am Stehenbleiben mussten wir allerdings noch dranbleiben, da er das Gleichgewicht immer noch nicht hatte. Sowieso machte mir sein Gleichgewicht Sorgen. Dies war so wichtig für das Trickreiten und mein Pferd war einfach noch nicht ausbalanciert genug.

Kapitel 36

Die Zeit verging schnell bis zum Abend und so war auch Mondhoch nicht mehr weit. In einer Decke gehüllt saß ich in der Stallgasse und übte an Marion die Verbindungen der blauen Ströme. Bereitwillig stellte sie sich als Opfer zur Verfügung und ich arbeitete an der Verschließung meines Geistes und daran, wie viel ich von ihr unbewusst erfahren wollte. An was ich dann doch nicht vorbeikam, waren die Gefühle von Chris, die ihre Ströme sogar leicht rosarot färbten. Aha, das war also die "rosarote Brille" des Verliebt-seins. Bevor ich noch mehr ungewollt rausfand,

zog ich mich rasch aus ihrem Geist zurück. Etwas zu schnell, denn Marion zuckte erschrocken zusammen, denn sanft war ich nicht gewesen und sie spürte meinen Geist schon deutlich genug, um wissen, dass sie nicht mehr allein in ihrem Körper war. "Was hast du herausgefunden?", fragte sie misstrauisch, denn ich hatte ihr vorher von den Gefahren erzählt. Dennoch hatte sie zugestimmt, als Opfer hinzuhalten. Unschuldig zuckte ich mit den Schultern. "Eigentlich nichts Besonderes, aber bei deinen Gefühlen für Chris wollte ich nicht in die Einzelheiten gehen. Deine Ströme sind

sogar leicht rötlich deswegen!", lachte ich. Beschämt wandte Marion den Kopf ab. "Warte nur ab, bis es dich irgendwann erwischt.", sagte sie beleidigt und verschränkte die Arme vor der Brust. "A pro pos. Wie sieht es eigentlich mit dir und Marco aus?", lenkte sie das Thema bewusst auf mich. "Gar nichts. Seit dem Tag hier habe ich nichts mehr von ihm gehört. Er hat sogar meine Freundschaftsanfrage auf Facebook bisher ignoriert!", jammerte ich. "So schlimm?", fragte Marion gespielt übertrieben und strich mir mitfühlend über die Schulter. "Jaaaa! Das habe ich nicht verdient.", gab ich betont schmollend zurück. "Ohhhh,

armes Hanna!", sie betonte extra noch grinsend die Es-Form. Vor kurzem hatte ich mich gefragt, was ich denn eigentlich war. Denn es hieß ja: Das Pferd. Seitdem zog mich Marion immer mit dieser Form auf. Ich war froh, dass sie schon einigermaßen über den Verlust von Thorgal hinweg war. Aber Chris und Vito hatten sie erfolgreich abgelenkt. Jetzt konnten wir über unsere kleinen Scherze schon wieder unbeschwert lachen und meinen eigenen Schmerz, wegen der Verwandlung, verdrängte ich. Darin war ich gut geworden. Oder der Schmerz wurde wirklich weniger. So ganz genau war ich mir nicht

sicher. Jedenfalls stieg der Mond immer höher und erreichte schließlich seinen Höchststand. Dadurch, dass es langsam Herbst wurde, ging es immer schneller und ich blieb auch länger ein Pferd. Solange, bis die Sonne wieder aufging. Im Winter würde das anstrengend werden, wenn die Sonne erst gegen acht oder neun Uhr aufging. Kurze Zeit später stand ich dann als weiße Stute in der Stallgasse und streckte mich zuerst einmal ordentlich. Vier Beine waren definitiv angenehmer als zwei. "Komm, Marion. Wir gehen unsere Lichtung suchen!", rief ich vergnügt und

ohne zu zögern schwang sich meine Freundin auf meinen Rücken und ich trabte vom Hof. Vito, der schon länger rausgefunden hatte, wie man eine Boxentür öffnete, folgte uns. Auffordernd sah er mich an. "Ich wette, ich bin schneller als du." "Natürlich! Mit Marion auf dem Rücken bist DU schneller!", sagte ich nur. Marion überlegte nicht lange. Sie rutschte von meinem Rücken, sobald wir an der Galoppstrecke ankamen und hob die Hand. "Bereit?", fragte sie uns grinsend. "Ja!", sagte ich ernst und begutachtete die Strecke, die vor mir lag. Allerdings mehr aus Gewohnheit als mit Sinn

dahinter. Mittlerweile kannte ich unsere Galoppstrecke in- und auswendig. "Auf die Plätze... Fertig... Los!", rief sie und wir beide schossen los. So schnell ich konnte, galoppierte ich nun über den Weg und ich fühlte mich mal wieder richtig frei. Rennen war so schön... Vor allem, wenn einem die Kraft nicht ausging. Und ich wurde als Pferd ja stetig damit versorgt. Mit jedem Mal, in dem meine Hufe den Boden berührten, floss die Energie, die durch die Muskelanstrengung verbraucht hatte, wieder in mich hinein. Dagegen hatte meine Falbe keine Chance, der zwar schneller gewesen war, aber gegen Ende sichtlich

erschöpfter wurde. Lachend überholte ich ihn kurz vor dem Ziel, dem Waldrand, und stoppte. "Wie machst du das nur?", fragte Vito keuchend. "Ich bin kein normales Pferd!", meinte ich nur vergnügt und trabte eilig zu Marion zurück, die uns hinterhergelaufen war. Sie war noch ein ganzes Stück hintendran und so trug ich sie im Galopp zu Vito zurück. Der Vollmond spendete ein angenehmes Licht, sodass es nicht ganz stockfinster war im Wald. Im Schritt machten wir uns dann wieder auf die Suche. Mithilfe der Energieströme schickte ich Gedankengänge in die Welt hinaus. Es war nur das Bild, das ich von der

Lichtung im Kopf hatte. Und plötzlich tauchte ganz in der Nähe wieder das Reh auf. Liebevoll blickte ich es an und folgte ihm in das Unterholz. Vito lief mir mit etwas Abstand hinterher. Kurz darauf kamen wir vor der Trauerweide an, die den Eingang zu der Lichtung bildete. Davor stand, wie immer, der mächtige Hirsch mit dem leuchtenden Geweih. Respektvoll neigte ich den Kopf vor ihm und er ging ein Stück zur Seite. Daraufhin schob ich mit der Nase die tief hängenden Äste zur Seite und betrat meinen Lieblingsplatz. Heute war nicht so viel los auf dieser magischen Lichtung. Nur ein paar Hasen spielten am anderen Ende,

sonst wirkte dieser Platz wie ausgestorben. Einzig die Glühwürmchen spendeten wieder das Licht, welche übrigens wieder in großer Zahl vertreten waren. Marion rutschte von meinem Rücken, lehnte sich an einen Baum am Rand und schloss die Augen. Sie genoss die Atmosphäre hier genauso wie ich. Vito hatte sich inzwischen den Hasen angeschlossen und belustigt sah ich zu, wie die Kleinen den Großen ärgerten, indem sie ihm vor der Nase umher sprangen. Mit einem wohligen Seufzen ließ ich mich dann auf den Boden fallen und sah ihnen weiter zu. Hier fühlte ich mich wohl. Hier war ich

Zuhause. Die nächste Zeit verging wie im Flug. Ich war nur noch jeden zweiten oder dritten Tag in der Arena, kümmerte mich aber auch mehr um die Schule, Eliza und ließ meine Kontakte im Globe noch ein bisschen aufleben. Da Marion jetzt Vito mittrainierte, wurde ich im eigenen Training mit dem Pferd viel entspannter, da ich nicht mehr dem Druck mit dem Einreiten ausgesetzt. Stattdessen gewöhnte ich den Hengst auch immer mehr an das Reiten nur mit Halsring, den ich mir behelfsmäßig aus einem Strick gebastelt hatte. Marion und Chris kamen sich selbst immer näher und schließlich gestanden

sich beide ihre Liebe. Auch über ihren Schmerz über den Verlust von Thorgal kam Marion immer mehr hinweg. Natürlich fehlte er ihr immer noch, doch sie gewann ihre Lebensfreude schnell zurück. In dem Punkt war sie so viel anders als ich. Wenn Vito gehen müsste, wäre ich wahrscheinlich einige Monate in Trauer versunken, bevor ich wieder allmählich zu Leben anfing. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie die Wintermonate wurden. Denn mir war klar, dass er ein Teil meiner Seele war und ich nicht einfach so ohne ihn leben könnte. Vielleicht mochte das etwas übertrieben klingen, doch ich war eben kein normaler Mensch. Moondancer-Sein

hatte eben Vor- und Nachteile. Ob ich die Sache mit dem Seelenpferd als Vorteil oder Nachteil sehen sollte, wusste ich noch nicht. Jedes Mondkind hatte dieses eine Pferd. Sein Gegenstück, der Pate für sein inneres Pferd. Diese beiden Pferde waren miteinander verbunden. Starb das eine, starb auch das andere. Das hatte Sylvia mir erklärt. Und Vito war wohl mein Seelenpferd. Genau gesagt wurde das nie, doch man spürte es. Ende September hielt auch der Herbst im Park Einzug. Da Herbst im Park auch als Halloween bekannt war, wurde das Traumland, wie es in der Werbung gerne genannt wurde, zu einem Albtraum.

Innerhalb einer Nacht stellten einige Mitarbeiter alle 160000 Kürbisse auf. Dafür wurden Freiwillige gesucht und Eliza, James und ich ließen uns das nicht zweimal sagen. Obwohl es eigentlich ein Schultag war, blieben wir den ganzen Abend wach und halfen mit. Zum Glück wurden wir in die gleiche Gruppe eingeteilt und so hatten wir verdammt viel Spaß. Wahrscheinlich waren wir das Team, das hinterher am besten drauf war, denn mit unserer guten Laune hatten wir die ganze Gruppe angesteckt. Auch die bekannten Horror Nights begannen, die ich mit Chris und Marion besuchte. Der Herbst war eindeutig die

beste Zeit des Jahres. Überall hingen nun künstliche Spinnweben, die Kürbisse lagen überall herum und überall fand man einige Gruseleffekte. Doch die Horror Nights waren das Beste. Fünf Häuser in denen man von vielen Live-Erschreckern verängstigt wurde, die Eisshow, die allerdings, wie jedes Jahr, sehr, sehr freizügig von den Darstellern präsentiert wurde, und viele Gruselfiguren, die dich einfach mal so antanzten. Leider durfte ich noch nicht in den Vampire's Club, wofür mich Eliza gewaltig auslachte. Die war nämlich vor kurzem 18 geworden und durfte in die Disco des Jahres hinein. Ich dagegen musste mit meinen jungen 17 Jahren

draußen bleiben. Stattdessen genoss ich meine unbeschwerte Zeit mit Vito jetzt im Herbst. Marion und ich hatten uns darauf geeinigt, dass Vito mit dem Gleichgewicht einfach noch nicht so weit war, dass wir das effektiv trainieren konnten. Also beließen wir es darauf beruhen und entschieden, dass Mario dafür bessere Methoden hatte. Vito und ich genossen unsere Zeit mit vielen Ausritten im Herbst und selbst Regen konnte uns nicht davon abhalten. Nur bei Gewitter blieben wir im Stall. Und das kam selten. Nebenbei übte ich noch verstärkt für einen Auftritt in der Arena. Entweder als Leibgarde des bösen

Kardinals oder als Milady selber. Jedenfalls hatte ich immer eine böse Rolle und das gefiel mir. Der brave Typ war ich nie, wenn ich die Wahl hatte. Ich fieberte den Herbstferien nun immer mehr entgegen, denn dann konnte ich auch endlich mehr in der Show mitspielen und meine Zeit wieder völlig mit Vito verbringen. Zwischendurch war sogar noch einmal Vollmond, doch es regnete und so blieben wir in der Arena und machten kleine Spaßaufnahmen mit meiner Kamera. Zum Beispiel redete ich als Pferd und Marion tat so, als wäre sie die Bauchrednerin. Doch schon nach zwei Stunden mussten wir so sehr lachen, dass Aufnehmen unmöglich

wurde. Und so genoss ich das letzte Mal Moondancer gemeinsam mit Marion. Den nächsten Vollmond war ich nämlich allein, da nach den Herbstferien alle zurück nach Frankreich kehrten. Abgesehen von Ludo und den Reitern, die in der Umgebung wohnten. Doch daran wollte ich noch nicht denken. Ich war ein Pferd, ich lebte im Augenblick.

Kapitel 38

Am Hauptweg parierte ich das Pferd wieder durch, da das Tröpfeln gleichmäßig blieb und ich entschied, dass ich das bisschen Regen noch aushalten konnte. Doch plötzlich zuckten Vitos Ohren zurück und der Falbe drehte den Kopf. "Äh... Hanna...", meinte er nur und deutete nach hinten. Verwundert drehte ich den Kopf. "Ach du liebes Bisschen.", murmelte ich nur, als ich die dichte graue Regenwand immer näher auf uns zukommen sah. Innerhalb weniger Sekunden hatte uns die Wand erreicht und grelle Blitze zuckten über den Himmel. Der Donner

erschallte laut über unseren Köpfen und Vito zitterte am ganzen Leib, war dennoch zu verschreckt, um plötzlich loszurennen. Sicherheitshalber stieg ich ab und führte ihn unter einen kleinen Baum. Die höheren Bäume um uns herum fungierten als Blitzableiter, falls doch ein Blitz in unsere Richtung schlagen würde. Heftige Windböen fegten um uns herum und ich hatte teilweise Mühe, mich auf den Beinen zu halten. Trotz, dass wir unter einem Baum standen, der wenigstens ein bisschen den Regen abfederte, waren wir innerhalb von Sekunden durchnässt. Ich hatte die Zügel über den Kopf meines Falben

gezogen und hielt diese mit beiden Händen, damit Vito mir sie nicht plötzlich aus der Hand reißen konnte. Mein Falbe war sowieso schreckhaft genug und die unglaublich lauten Donner machten das Ganze nicht besser. Nervös zitternd stand er da und drängte sich dicht an mich. Ruhig ließ ich das über mich ergehen. Solche Schauer waren hier in der Ortenau nicht selten und so kannte ich das. Innerhalb von fünf Minuten waren diese wieder vorbei. Doch diesmal ging es länger. Der Wind wurde immer stärker und einige Bäume neigten sich schon gefährlich nahe zu Boden. Der Boden war vollkommend durchweicht und ich wusste, reiten war

jetzt quasi unmöglich. Der rutschige Boden würde jeden Schritt zur Qual machen und durch den dichten Regen sahen wir eh nicht mehr viel. Plötzlich wurde es im Wald taghell und aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie direkt hinter uns ein Blitz in den Baum eingeschlagen hatte. Darauf kam ein so gewaltiger Donner, dass Vito einen Satz nach hinten machte und mir die Zügel aus der Hand riss. Seine Augen rollten panisch, als er noch rief. "HANNA! PASS AUF!!!!" Der Baum, in den der Blitz eingeschlagen hatte, neigte sich gefährlich nah zu mir und ich brauchte eine Sekunde, um die Situation zu

erfassen. "Hanna!", schrie Vito nun immer wieder verängstigt und erst jetzt realisierte ich, dass der Baum genau auf mich drauf fallen würde, wenn ich nicht schleunigst aus dem Weg kam. Seit dem Blitz waren vielleicht nur Sekunden vergangen, doch es kam mir vor wie in Zeitlupe. Mit einem Satz wollte ich mich in Sicherheit bringen, doch der schlammige Untergrund machte mir einen Strich durch die Rechnung. Ich rutschte aus, fiel auf den Boden und versuchte wieder aufzustehen. Doch in der Hektik gelang es mir nicht. Ich fand keinen Halt auf dem Boden und panisch

versuchte ich aus der Gefahrenzone zu kriechen. Es schien mir, als käme ich nur um wenige Zentimeter vorwärts. Der Regen rann mir in die Augen und meine Handflächen schmerzten. Irgendwie musste ich sie beim Fall wohl aufgeschürft haben. Der Baum kam immer näher, doch es war wie in einem Albtraum. Man rennt und rennt und rennt, doch kommt nicht von der Stelle. Ich kniff die Augen fest zusammen, während ich versuchte, wieder wegzukommen. Zu langsam, ich war zu langsam! Und dann kam der Aufprall. Zuerst fiel der Baum einmal auf den Boden und ich schaffte es gerade noch, ein Bein aus der

Gefahrenzone zu ziehen. In mein rechtes Bein fuhr ein gewaltiger Schmerz. Durch die mächtige Krone wurde der Baum noch einmal am Boden abgefedert, doch ich war wie gelähmt und konnte die Sekunde, die ich dadurch gewonnen hatte, nicht nutzen. Mit seinem vollen Gewicht fiel der riesige Baum schließlich endgültig zu Boden und mein Bein klemmte direkt darunter. Der Schmerz schoss mir innerhalb von Sekunden durch den gesamten Körper und ich schrie laut auf. Vito hörte das. "NEIN!! HANNA!!!", schrie er entsetzt und kam sofort zu mir gerutscht. Laufen konnte man das nicht mehr nennen. Meine Schmerzenstränen

vermischten sich mit dem Regen und die Kälte machte sich nun deutlich bemerkbar. Mit seinem gesamten Gewicht lehnte Vito sich gegen den Baum und versuchte ihn zur Seite zu schieben. Doch gegen den mächtigen Baum hatte mein Pferd keine Chance. Außerdem rutschte er mit den Hufen immer wieder ab. Nach einigen panischen Versuchen gab er schließlich auf und legte sich neben mich, um mir Wärme und Trockenheit zu spenden. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, mein gesamter Körper schien durch die Kälte wie eingefroren zu sein und der Schmerz machte alles in mir taub. "Geh und hole Hilfe.", flüsterte ich

schwach und kämpfte gegen den Drang an, einfach die Augen zu schließen und in eine bodenlose Schwärze zu fallen. "NEIN! Ich lasse dich hier nicht allein!", rief Vito entsetzt und rückte näher an mich heran. "Geh schon, allein schaffen wir das nicht!", seufzte ich und legte meine Wange in den Schlamm. Wie gerne würde ich jetzt einfach in dieses schwarze Loch fallen, dass sich vor mir aufgetan hatte. Lange würde ich das nicht mehr schaffen. Die Verlockung war zu groß. Mit klammen Händen löste ich mit letzter Kraft noch die Riemen seiner Trense, damit er sich nicht in den runterhängenden Zügeln verfing. Vito schüttete diese ab und die

schwarze Trense fiel neben mir zu Boden, "Geh schon!", forderte ich ihn noch ein letztes Mal auf, bevor ich endgültig die Augen schloss. Der Regen prasselte mir ins Gesicht, doch zumindest der Wind schien aufgehört zu haben. Oder ich spürte ihn schon nicht mehr. Das Loch war so verlockend, also ließ ich mich einfach fallen. Die schwere Schwärze legte sich über mich, wie eine Decke und ich konnten nur noch hören, wie Vito mit erstickter Stimme rief: "Hanna, bleib ja bei mir.". Dann bebte der Boden kurz, als er sich entfernte. Ich hörte auf zu fühlen, ich hörte auf zu denken und ich hörte auf zu existieren.

Schwärze, überall nur Schwärze. Vitos Sichtweise Ich sah zu, wie Hanna vor mir das Bewusstsein verlor. Das durfte nicht sein! Allein konnte ich ihr nicht helfen, das war klar. "Bleibe ja bei mir!", rief ich noch, bevor ich mich umdrehte und davongaloppierte. Es erforderte meine gesamte Konzentration, den Weg durch den Regen zu finden und nicht wegzurutschen. Doch ich musste mich beeilen, sonst gäbe es sie vielleicht nicht mehr. Ein Leben ohne Hanna, das konnte ich mir nicht vorstellen. Sie war so viel mehr als nur mein Mensch. Ohne sie konnte

ich nicht leben, das wusste ich. Also galoppierte ich mit meiner gesamten Geschwindigkeit nun über die Galoppstrecke. Zwar ging mir die Kraft aus, doch es war mir egal! Mehrmals rutschte ich jedoch weg und einmal fiel ich sogar hin, doch ich merkte es gar nicht. Nur der brennende Schmerz an meinem Vorderbein bewies, dass ich mich wohl aufgeschürft hatte. Es interessierte mich nicht. Der Schlamm flog nur so auf mein Fell und ich wusste, ich sah garantiert mehr braun als blond aus. Doch es interessierte mich nicht. Dann endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich mein Zuhause.

Laut machte ich mich bemerkbar, indem ich einmal laut wieherte. Sofort drehten sich sämtliche Pferdeköpfe zu mir. "Wo ist Hanna?" "Was ist passiert?", riefen sie alle durcheinander. Doch mich interessierte nur Ludo, der Arena-Boss, wie mir Hanna erklärt hatte. Er lehnte an der Stallwand und redete mir irgendwem, den ich nicht kannte. Ich galoppierte auf ihn zu und stieß ihn so heftig an, das er taumelte und beinahe umfiel. Jetzt hatte ich wenigstens seine Aufmerksamkeit. Verwundert drehte er sich um und sagte irgendetwas, was ich nicht verstehen konnte. Die Sprache der Menschen konnte ich nicht verstehen, es waren nur undeutliche Laute. Doch er

klang fragend. Also deutete ich nur auf meinen Rücken und rief Aguilito zu, auf dem Marion saß, er solle mitkommen. Auf dem Fensterbrett zwei Schritt weiter lag so ein komisches Ding, das Hanna Handy nannte. Man brauchte es, um andere Leute anzurufen und sie benutzte es auch, um zum Beispiel den Arzt zu rufen. Also musste das auch mit. Ich trabte zu dem Fenster, nahm sanft das Metallteil zwischen die Lippen und brachte es Ludo, der es verwirrt einsteckte. Als er immer noch nicht verstand, legte ich mich vor ihm nieder und deutete immer wieder auf meinen Rücken. Warum beeilte er sich nicht? Es ging um

Hanna! Doch dann rief Marion etwas und er sah sie kurz verwirrt an, doch dann rutschte er auf meinen Rücken. Endlich! Bevor er irgendetwas sagen konnte, preschte ich schon davon und Aguilito folgte mir. Unsere überraschten Reiter versuchten uns zu bremsen, doch ich ließ es nicht zu. Ludo war zwar schwerer als Hanna, doch die Tatsache, dass es um Leben oder Tod ging, ließ mich immer neue Kraft ausfindig machen. Ich rannte, wie ich noch nie gerannt war. Mein ganzer Körper schmerzte von der Anstrengung, doch ich wollte nicht aufgeben. Für Hanna konnte ich nicht

aufgeben. Marion stand mittlerweile im leichten Sitz im Sattel und ließ ihrem Fuchs die Zügel lang. Ludo hatte auch aufgegeben, mich bremsen zu wollen und saß nun, leicht nach vorne gebeugt, auf meinem Rücken. Der Regen hatte mittlerweile wieder aufgehört. Das Gewitter schien weitergezogen zu sein. Zum Glück. Im Wald musste ich ungewollt wieder abbremsen, um nicht auszurutschen. Dennoch kamen wir schnell an dem Baum an, unter dem Hanna lag. Als Marion das sah, schrie sie erschrocken auf und auch Ludo schnappte erschrocken nach Luft. Noch während ich durchparierte, hatte er schon sein

Handy gezogen und redete in das Ding hinein. Marion war von Aguilitos Rücken gerutscht und kniete nun neben Hann am Boden. Diese lag immer noch regungslos am Boden, doch als ich näher kam, konnte ich ihr Herz schlagen hören. Zwar nicht mehr so kräftig wie normalerweise, aber es schlug noch. Traurig senkte ich den Kopf und pustete ihr den Schlamm aus dem Gesicht. "Du bleibst für mich am Leben, ja?", befahl ich ihr leise, obwohl ich wusste, dass sie es nicht hören konnte. Ludo war inzwischen um den Baum herumgegangen und rief dann etwas Marion zu. Sie nahm ihren Fuchs am

Zügel und bedeutete mir, ihr zu folgen. Verwirrt tat ich es. Auch wenn ich lieber bei Hanna geblieben wäre. Ludo nahm die Baumkrone am oberen Ende und bedeute Marion, ebenfalls zu schieben. Doch zusammen waren die Beiden zu schwach. "Komm, Augilito. Wir müssen ihnen helfen.", sagte ich eilig und drückte mit meiner Brust gegen das Ende des Baumes. Auch Aguiltio half mit und wirklich: Der Baum bewegte sich einige Zentimeter. Doch weit kamen wir nicht, denn plötzlich ertönte eine laute Sirene und vor Schreck galoppierte ich einige Meter zur Seite, denn ein riesiges, rotes Auto mit einem blauen Licht bretterte

gerade den Waldweg entlang. Ludo gab ein heftiges Handzeichen und das Auto fuhr langsamer. Marion nahm Augilito und mich zur Seite und redete beruhigend auf uns ein. Auch Augilito war das Monstrum nicht geheuer, doch wohin sollten wir fliehen? Zitternd blieben wir bei Marion und sahen zu, wie einige Männer aus dem Monstrum ausstiegen und kurz mit Ludo redeten. Sie sollten nicht reden, sondern Hanna endlich befreien! Unruhig tänzelte ich auf der Stelle und beobachtete sie. Am liebsten wäre ich zu ihnen gerannt, um ihnen einen gewaltigen Arschtritt zu verpassen. Ich beherrschte mich jedoch. Dann verschwanden die Menschen in

dem Auto und kurz darauf kamen sie mit stinkenden, scharf aussehenden Geräten zurück, die ich nicht kannte. Sie setzten diese bei Hanna an den Baum und plötzlich ertönte ein lautes, dröhnendes Geräusch, dass mir in den Ohren wehtat. Was machten diese Spinner? Wollten sie Hanna umbringen?! Ohne auf Marion zu hören, trabte ich zu ihnen und blickte ängstlich zu den gefährlichen Dingern. Ludo drückte mich jedoch sanft weg und murmelte etwas Beruhigendes. Diese Dinger trennten den Baum in mehrere Einzelteile. Unruhig sah ich dabei zu und nur wenige Minuten später hatten die Männer ein großes Stück aus

dem Baum herausgetrennt, dass sie zur Seite rollen konnte. Jetzt war wenigstens Hanna frei. Als ich ein Blick auf ihr Bein werfen konnte, verschlug es mir die Sprache. Es war unnatürlich verdreht, schlammig und ich konnte Blut erkennen. Viel Blut. Angwidert sah ich weg. Das wollte ich nun wirklich nicht sehen. Einige andere Menschen, die bisher an der Seite gestanden waren und mir noch gar nicht aufgefallen waren, rannten nun zu meinem Mädchen hin und legten sie auf eine Trage. Dann verfrachteten sie Hanna in ein weißes Auto. Marion drückte Ludo Augiltos Zügel in die Hand und folgte den Menschen in das Auto.

Dann fuhren sie eilig davon. Wo brachten sie Hanna hin? Sie konnte sie mir doch nicht so einfach wegnehmen! Ärgerlich wollte ich ihnen folgen, doch etwas an meinem Hals hinderte mich daran. Ludo hatte einen Strick um meinen Hals gelegt und hielt mich nun fest. Das hasste ich. Wenn man mich um meine Freiheit nahm und nicht das tun ließ, was ich unbedingt wollte. Und da fuhr einfach mein Mädchen davon und ich durfte nicht hinterher. Ärgerlich folgte ich Ludo, als er sich auf den Fuchs schwang und wieder zurück in Richtung Arena ritt. Er ließ mir ja keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Natürlich war

ich stärker als er, das wusste ich, doch Hanna hatte mir oft genug gesagt, dass ich gefälligst Respekt zu haben hatte vor dem Boss. Mit hängendem Kopf folgte ich Ludo also schließlich zurück nach Hause. Dort wurde ich zuerst einem Vollbad mit warmem Wasser unterzogen. Mein ganzes Fell war voller Schlamm und erst nach der Aufregung wurde mir bewusst, wie kühl es war. So stand ich dann zitternd in der Box, bis mich Audrey, glaubte ich zu erkennen, holte und mich mit warmen Wasser und Seife wieder sauber machte. Anschließend trocknete sie mich ab, was ich sogar ganz genoss. Dadurch vergaß ich für kurze Zeit meine

Sorgen um Hanna und ließ es mir einfach gut gehen. Auch auf meine Wunde wurde irgendetwas gesprüht, was zwar im ersten Moment brannte, dafür aber später ganz wohltuend wirkte. So stand ich wieder in meiner Box, hatte den Kopf aus dem Fenster gestreckt und wartete auf Hannas Rückkehr. Wieder Hannas Sicht Als ich aufwachte, sah ich nur weiß. Zuerst wusste ich nicht, was passiert war, doch dann fiel es mir wieder ein. Das Gewitter, der Baum und wie ich darunter lag. Vito sollte Hilfe holen. Vito. Genau. Ging es meinem Hengst

gut? Ich blinzelte gegen das helle Licht und starrte an die Decke. Weiß. Überall war es nur weiß. Anscheinend war ich im Krankenhaus. Als ich mich kurz auf meinen Körper konzentrierte, merkte ich, dass mein rechtes Bein in einem riesigen Gips steckte und ein wenig ziepte. Aber weh tat mir im Moment nichts. Langsam drehte ich den Kopf. Au!, beinahe hätte ich aufgestöhnt. Mein Kopf dröhnte gewaltig. Doch so konnte ich wenigstens meine Mutter sehen, die an dem kleinen Tisch im Zimmer saß und irgendeine Zeitschrift las. Wie geht es Jovito?, wollte ich fragen, doch es kam nur ein schwaches

"Jovito?", heraus. Sofort drehte meine Mutter den Kopf und blickte mich an. "Endlich! Du bist wach!", rief sie erleichtert. "Wie geht es dir?", fragte sie dann und kam an mein Bett. "Wie geht es Jovito?", fragte ich noch einmal deutlicher. Diesmal sogar verständlich. "Dem geht es gut. Er hatte nur eine kleine Wunde am Bein. Aber die Frage ist wie geht es DIR?" Erleichtert atmete ich aus. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie ich die Luft angehalten hatte. Meinem Pferd ging es gut, ich lebte auch noch, also war alles ja gut. "Mir geht es ganz gut.", antwortete ich schließlich auf die Frage meiner Mutter. "Was ist nach dem Unfall geschehen?",

wollte ich weiter wissen. "Keine Ahnung. Da musst du Marion oder Ludo fragen. Marion war vorhin übrigens auch da, sie ist dann aber relativ bald gegangen. Sie musste ja noch ihre Show durchziehen.", erklärte meine Mutter. "Wie lange war ich weg?" "Gestern Nachmittag war der Unfall. Anschließend bist du direkt in die Notaufnahme gekommen und dein Bein wurde in einer OP wieder zusammengeflickt, wie lange das allerdings jetzt dauern wird, bis es vollständig verheilt ist, weiß ich nicht. Aber sechs bis acht Wochen auf jeden Fall, haben die Ärzte gesagt. Doch der Bruch ist bei dir überraschenderweise

sehr glatt und nicht zersplittert, wie es bei einem solchen Unfall normal wäre. Allerdings mussten die Ärzte sehr viel nähen.", meinte meine Mutter nur. "Ok, dann ist ja gut.", nickte ich und lehnte mich in meinem Kissen zurück. "Und wie lange muss ich hierbleiben?", bohrte ich weiter. "Nicht so lang. Sie wollten dich auf jeden Fall hierbehalten, bis du aufwachst und dann schauen sie mal, wie es dir geht. Gelegentlich kommt als mal eine Schwester vorbei, die nachsieht. Momentan hast du noch einen Liegegips dran, doch sie wollten, eben wenn du aufwachst, relativ bald einen Gehgips an dein Bein machen. Ich habe ihnen nämlich erklärt, was deine

Leidenschaft ist und dass du es nicht aushalten wirst, ohne zu reiten.", lachte meine Mutter. "Und was haben sie da gesagt?", grinste ich. "Du solltest eigentlich nicht reiten, wenn es nicht unbedingt sein muss, doch sie werden dir auf jeden Fall einen Gehgips machen, der nicht ganz so plump ist, damit du möglichst viel Beweglichkeit beibehältst." Schmunzelnd blickte ich die Decke an. "Dann ist ja gut. Ohne Reiten werde ich nämlich auf gar keinen Fall auskommen. Vor allem jetzt nicht, in den letzten paar Tagen, bevor Vito geht.". Bald, viel zu bald, würden sie gehen. Und Vito mitnehmen. Ich wollte nicht

daran denken. Jedenfalls kam schon eine halbe Stunde später eine Krankenschwester vorbei, die mich kurz nach meine Befinden fragte und als ich ihr sagte, dass es mir gut ging, machten sie den Gehgips dran und mir wurden noch ein paar Schmerzmittel mitgegeben. Denn ich erfuhr, dass ich unter Schmerzmittel stand. Deswegen auch das merkwürdige Ziepen in meinem Bein. Als meine Mutter mich nach Hause fahren wollte, nötigte ich sie noch dazu, in der Arena vorbeizuschauen. "Hallo.", rief ich grinsend, als ich die Arena betrat. Sofort wurde ich von einem lauten Wiehern begrüßt.

"HANNAAAAAAAAAAAAA!", tönte es aus Vitos Richtung. Schmunzelnd machte ich mich auf dem Weg zu ihm. Nervös tänzelte mein Hengst in seiner Box umher und spielte am Schloss seiner Box rum. Marion hatte vor kurzem ein Extra-Schloss angebracht, damit er nicht wieder auf dumme Gedanken kam. Mit flinken Fingern öffnete ich seine Box und fiel ihm um den Hals. "Du lebst noch!", schnaubte Vito erleichtert und prustete mir durchs Haar. Liebevoll kraulte ich ihn am Mähnenkamm.

Kapitel 37

Tja, und dann waren die Herbstferien da. Gerade bereitete ich meinen ersten offiziellen Auftritt als Leibgarde vor und richtete dafür meinen Falben. Das "Kostüm" hatte ich schon an. Da die meisten Kostüme maßgeschneidert wurden, war mir das von Louisa ein bisschen zu klein, doch es ging. Damien, Guillaume und Arnaud, die mit mir die Leibgarde spielten, waren bereits auf das Dach geklettert und so beeilte ich mich, mein Pferd nach dem Aufwärmen wieder in die Box zu bringen. Anschließend kletterte ich zu ihnen hoch und durch das kleine Fenster

gelangen wir sofort auf den oberen Umlauf der Arena. "Wohin willst du?", wollte Damien wissen und blickte sich um. "Mir egal, aber am liebsten wäre mir die rechte Seite.", erklärte ich und sah die zwei Treppen an, die dort hinunterführten. "Ich übernehme die Hintere.", erklärte ich dann und machte mich auf den Weg. Kurz darauf stand ich vor der Treppe und blickte böse auf die Menschen unter mir. Ich sah zu, wie Stéphane den Sandplatz betrat und die Anfangsszene begann. Nur einige Augenblicke später gab Damien ein Zeichen und wir machten uns bemerkbar. Anschließen provozierten wir die Musketiere und

kämpften ein wenig. Es ging mir leicht von der Hand, da ich oft genug dafür geübt hatte. Als Vito in die Arena musste, war er zwar etwas nervös, aber nicht ganz so panisch wie früher. Ich schaffte es, ihn einigermaßen zu beruhigen und die Show ordentlich durchzureiten. Denn dafür hatten wir ebenfalls trainiert. Am Ende, als wir zum Schlussapplaus noch einmal auftreten mussten, erschrak sich mein Falbe ziemlich heftig und ich hatte alle Hände voll zu tun, um ihn ruhig zu halten. Doch sobald er hinter Latoso die Abschlussrunde galoppieren konnte, wurde er wieder ruhig. Anschließend versorgte ich den Hengst

und lief zur Parade. Diese lag genau zwischen zwei Shows von der Arena und so hatte ich genug Zeit, sie mir in Ruhe anzusehen. Da heute nicht wirklich viel los war, experimentierte ich aus Langeweile, die ich hatte, während ich auf die Parade wartete, mit den blauen Strömen. Ich bemerkte, dass ich auch Energie aus ihnen nehmen und diese dann beliebig verformen konnte. Aus Lust und Laune heraus, formte ich einen kleinen Schmetterling, der dann langsam um mich herumflog. Es erforderte eine Menge an Konzentration, doch ich schaffte es, die Energie in der Luft zu halten. Wenn ich ihn nicht mehr wollte, würde er einfach zu der Energie

zerfallen, aus der er geschaffen war. Wenn er flog, hinterließ er eine kleine blaue Glitzerspur hinter sich, die langsam zerfiel. Es sah gut aus. Ich ließ den Falter in meine Hand fliegen und legte die Handflächen über ihn, sodass die Besucher nicht allzu neugierig darauf reagierten. Nebenbei schloss ich die Augen, sodass man meine leuchtenden Augen nicht sehen konnte. Ich achtete auf die Musik, damit ich die Halloweenparade kommen hörte. Pünktlich um zwei Uhr begann diese. "This is Halloween, this is halloween!", tönte es aus den Lautsprechern. Ich öffnete die Augen und ließ den blauen

Schmetterling wieder frei. Er setzte sich auf meine Schulter und ich versorgte ihn mit ein bisschen Energie aus meinem Körper. Dadurch sah er schöner und kräftiger aus. Zuerst durfte er zu Jonathan fliegen, der ihn schief ansah, dann den Kopf schüttelte und sich wieder seiner Arbeit zuwandte. Der Eisshowartist fuhr im Wagen mit dem Hexenkessel, indem er es sich gerade gemütlich machte. Als Ornella, Gabi, Réka, Ferenc und Juan als Waterlooensemble in Geisteroutfit vorbeifuhren, ließ ich ihn um ihre Köpfe fliegen. Wie ein kleiner übermütiger Engel. Ornella streckte die Hand aus, und der Falter landete in ihrer

Hand. Sie gab ihn Gabi weiter, die ihn fasziniert ansah. Er erhob sich aus ihrer Hand und flog um Juans Kopf, der nach ihm schlug, wie eine lästige Fliege. Der Schmetterling wich geschickt aus, schlug einen Salto und verkrümelte sich zu Thiquino, der ja auch hin und wieder Planchette bei uns in der Arena spielte. Dort setzte er sich auf die Schulter von ihm und blieb sitzen. Der Mann sah auf und erblickte mich. Er grinste mich an und der Schmetterling krabbelte über seinen Arm. Er flog zurück zu mir und ich ließ ihn um meine Finger herum fliegen. Meine blau leuchtenden Augen hatte er entweder nicht bemerkt oder ignoriert.

Ich war ganz froh darüber und ließ das magische Tier wieder verschwinden. Der heutige Tag sollte ein schöner werden. Ich wollte mal wieder ausreiten gehen. Mittlerweile hatte der Herbst vollkommen Einzug gehalten, die Verabschiedung rückte immer näher, doch daran wollte ich gar nicht denken. Braune Blätter lagen überall im Wald verstreut und Vito und mir machte es unheimlich viel Spaß, durch diese Blätterhaufen zu rennen. Die Herbstferien waren so entspannend für mich. Marion wollte am Tag der letzten Show vorbeikommen und Vitos Ausbildungsstand ansehen. Marion und ich hatten uns geeinigt, das Pferd nicht

weiter auszubilden, sondern nur das bereits Gelernte zu vertiefen. Und so gingen wir zu dritt manchmal einfach nur spazieren. Vito bekam einen Halsring, der immer noch aus einem behelfsmäßigen Strick bestand, und so wechselten wir uns mit Reiten ab. Dazu hatte ich vor kurzem endlich eine normale Trense gekauft, damit ich die Showtrense nicht immer verwenden musste. Vito war das ziemlich egal, auch wenn ihm die Showtrense besser gefiel. Die war schließlich maßgeschneidert. Mein Falbe bekam sogar langsam Winterfell und verlor somit auch sein Sommerfell, was mich dazu nötigte, mein

Pferd stundenlang zu putzen mit dem Ergebnis, dass immer noch nicht alle Haare entfernt waren. Hinterher sah der Stall immer ziemlich blond aus. Die dünnen Sommerhaare verteilten sich überall auf dem Boden und Maxime regte sich jedes Mal darüber auf, da sie ja für das Stallgassenfegen verantwortlich war. Natürlich half ich ihr nach Leibeskräften oder tat es sogar ganz allein. Immerhin waren es die Haare von meinem Pferd. Schließlich trenste ich meinen Falben und führten ihn ohne Sattel hinaus auf den Hof. "Kommst du mit, Marion?", fragte ich sie, als sie mir im Miladykostüm über den Weg lief. Sie

schüttelte den Kopf. "Ich würde gerne, aber du siehst ja, ich bin beschäftigt.". Entschuldigend hob sie die Schultern und machte sich wieder auf den Weg, um Aguilito zu richten. "Dann gehen wir halt allein.", murmelte ich an Vitos Ohr und schwang mich auf seinen bloßen Rücken. Mittlerweile hatte ich die Sprungkraft, um locker vom Boden auf den Pferderücken zu springen. Ludo hatte das mit mir trainiert, da es ja auch die eine Übung beim Trickreiten gab, in der man über den Pferderücken sprang. So musste Vito schon lange nicht mehr in die Knie gehen, so wie früher. "Gehst du Ausreiten?", wollte Ludo schließlich wissen, als ich mich in

Richtung Tor aufmachte. "Ja, wieso?", gab ich zurück. Der Arena-Boss zuckte die Schultern. "Da hinten wird es ein bisschen schwarz.", meinte er nur und deute in den Himmel etwas weiter entfernt. "Alles klar, ich werde rechtzeitig zurücksein.", erklärte ich und ritt im Schritt vom Hof. Der Himmel heute war allgemein ziemlich bedeckt, doch es sah aus, wie es an einem normalen, grauen Herbsttag eben aussah. Der Himmel war grau und das wenige Grün, das noch da war, verlieh dem ganzen eine eher traurige Note. Ich war kein Fan vom Herbst, den Winter und den Sommer mochte ich lieber. Der Herbst war zwar wundervoll

zum Ausreiten und die ganzen lästigen Fliegen waren nicht mehr da, doch ich wusste nie, was ich morgens anziehen sollte. Morgens schien noch die Sonne und es schien ein warmer Tag zu werden und dann zog ich ein T-Shirt an und es wurde richtig kalt. Heute hatte ich mich auf einen Mittelweg geeinigt und eine Jogginghose und ein T-Shirt mit Weste angezogen. Im gemütlichen Schritt ging es also Richtung Galoppstrecke, doch wir galoppierten heute nicht. Nur einen kurzen Trab erlaubte ich uns. Vito war nämlich ziemlich verspannt, nachdem er die vergangenen Tage in der Show mitgehen musste. Marion hatte ihn

nämlich auch mal ausprobiert als Milady. "Wir waren schon lange nicht mehr bei der Lichtung.", meinte ich schließlich, als wir im Wald waren. Letzten Vollmond hatten wir, aufgrund Regens, schon wieder in der Arena verbringen müssen. Ich war es leid, eingesperrt zu sein. Das Pferd in mir sehnte sich nach der Erde unter den Hufen und dem Wind in der Nase. Selber die Kraft zu spüren, die man zur Verfügung hatte. Nicht den Abklatsch, wenn man auf dem Pferd saß. Für normale Menschen war schon das Reiten selbst ein Gefühl von absoluter Freiheit, doch wenn man es einmal selbst erlebt hatte, was es heißt, ein Pferd zu sein, war alles andere nur

noch langweilig. Schließlich kamen wir an der Stelle an, an der wir bisher immer das Reh trafen. Zwar sah die Stelle jetzt bei Tageslicht ganz anders aus, als bei Vollmond, doch ich erkannte deutlich die Stelle, an der wir bisher immer in das Unterholz gegangen sind, um zu der Lichtung zu gelangen. Vito folgte dem kleinen Trampelpfad in den Wald hinein und gemeinsam machten wir uns auf die Suche. Er scheuchte hier und da ein paar letzte Vögel auf, die noch nicht in den Süden geflogen waren, doch ansonsten war es todesstill im Wald. Als würden sich die Tiere vor irgendetwas

verkriechen. Wir suchten nicht lange. So viele Trauerweiden gab es ja schließlich gar nicht in diesem Wald. Die alte, mächtige Trauerweide, die wir suchten, stand etwas abseits des Trampelpfades und mochte für den normalen Menschen nicht besonders wirken, doch es ging ein magisches Strahlen von ihr aus, dass wahrscheinlich nur Tiere empfangen konnten. Am Rande meines Bewusstseins merkte ich dieses Strahlen und ich war mir sicher, dass das die gesuchte Trauerweide war. Ich schwang mich von Vitos Rücken und schob die Äste beiseite. Jetzt stand kein Hirsch davor, der den Eingang bewachte und als

ich einen Blick auf die Lichtung erhaschte, war ich zuerst enttäuscht. Doch was hatte ich erwartet? Wieder das Paradies, das mich hier jedes Mal an Vollmond erwartete? Über dem Gras lag jetzt eine dicke Schicht von braunen Blättern und dort, wo immer die Rehe standen, konnte ich jetzt einige moosbewachsene Steine sehen, die mir in der Dunkelheit bisher nie aufgefallen waren. Sogar ein kleiner Bach kreuzte eine Ecke der Lichtung. Warum war mir der nie aufgefallen? Jetzt, in der Stille, war das Plätschern deutlich zu hören. Plötzlich kam der große Hirsch aus dem Unterholz getreten. "Hallo, Hanna.",

hörte ich seine Stimme plötzlich laut und deutlich in meinem Kopf. Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. Seit wann konnten Hirsche reden? "Alle Tiere können es, nur ob Menschen es verstehen können ist eine andere Frage." Anscheinend hatte ich laut gedacht. Seine Stimme klang majestätisch und veranlasste mich dazu, respektvoll den Kopf zu neigen. "Aber ich dachte, ich kann nur mit Pferden reden.", gab ich schließlich zurück. "Ich bestimme, wer mit mir reden kann und wer nicht. Das hat mit deiner Begabung gar nichts zu tun.", antwortete er sanft und kam langsam näher. "Ich wollte dir nur sagen, dass

diese Lichtung hier jetzt in die Winterruhe gehen wird. Im Winter ist die Magie hier nicht so stark wie sonst. Suche uns nicht, wir werden dir rechtzeitig Bescheid geben, wenn wir wiederkehren. Doch jetzt muss ich mit meiner Herde weiterwandern. Pass auf dich auf, kleine Mondtänzerin.", endete er und blickte mich liebevoll an. Dann drehte er sich langsam um und schritt elegant von der Lichtung. Der Wächter verschwand und mit ihm schien die Magie endgültig aus der Lichtung zu verschwinden. Traurig senkte ich den Kopf und führte meinen Falben von der Lichtung. Anschließend schwang ich mich wieder

auf seinen Rücken und ritt den Trampelpfad entlang zurück zum Hauptweg. Noch auf der Strecke fing es allmählich an zu tröpfeln und ich trabte Vito, damit wir schneller nach Hause konnten. Allzu nass wollte ich schließlich nicht werden.

Kapitel 39

Eine Weile standen wir so da, bis mich jemand an der Schulter berührte. "Hallo, Hanna.", grinste Marion und ich fiel ihr um den Hals. "Marion!", lächelte ich nur. "Was ist eigentlich passiert, nachdem ich bewusstlos wurde?", fragte ich sie direkt. "Komm mit. Das erzähle ich dir jetzt nicht hier zwischen Tür und Angel.", erklärte sie und ich verschloss schnell die Boxentür von Vito wieder. Dann folgte ich ihr die Umkleide, wo ich mich auf einen Stuhl fallen ließ und ihr zuhörte, wie sie mir alles bis ins kleinste Detail erzählte. Von Vito, der beinahe durchgedreht wäre

und Ludo, der nicht kapiert hatte, was Vito von ihm wollte. Von der Feuerwehr und den Kettensägen, mit denen sie mich befreit hatte. "Tja, aber jetzt bist du wieder hier, einigermaßen gesund und fröhlich. Das ist doch alles, was zählt.", endete sie. "Was für ein Happy End.", lachte ich dramatisch und winkte Chris zu, der gerade an der Umkleide vorbeilief. "Ach, hallo Hanna!", lächelte er und setzte sich zu uns. Liebevoll drückte er Marion zur Begrüßung einen Kuss auf die Lippen. "Du bist also wieder da.", meinte er dann. "Komm schon, ich war nur 24 Stunden weg. Werde ich hier etwa von jemand vermisst?", grinste ich

vergnügt. "Nein, es war ganz angenehm ohne dich.", sagte Chris mit vollem Ernst und ein wenig böse. Daraufhin kassierte er einen verärgerten Schlag von mir auf den Arm. "Vergiss nicht, wer damals dein Pferd wieder enttraumatisiert hat!", erinnerte ich ihn an die Sache mit Rango, die jetzt schon einige Monate zurücklag. "Das warst du, ich weiß...", sagte er nachdenklich, jetzt fiel ihm wohl kein Gegenargument mehr ein. "Weißt du Chris, wenn ich morgen wieder hier bin, darfst du mal auf Vito reiten.", schlug ich ihm zur Versöhnung vor. Er hob die Augenbrauen. "Wie soll ich das jetzt interpretieren?", fragte er ruhig. "Als

Ponyführen-Möglichkeit oder als Ausnahme, weil Vito dein Heiligtum ist und du mir jetzt endlich vertraust?", schlug er vor. Über seine erste Möglichkeit lachte ich laut. "Letzteres.", brachte ich noch hervor. Wir blieben noch ein Weilchen sitzen, ehe sich Marion und Chris wieder für ihren Auftritt richten mussten. Ich ging anschließend wieder zurück zu meiner Mutter, die sich inzwischen die ganzen Pferde hier angesehen hatte. Sie stand gerade bei Hidalgo und liebkoste den Hengst. "Gehen wir?", fragte ich sie dann und sie nickte eilig. "Natürlich." Damit liefen wir zurück zum Auto und schon eine halbe Stunde später waren

wir wieder Zuhause angekommen. Da ich, aufgrund der Schmerzmittel, noch ziemlich fertig war, legte ich mich auch gleich ins Bett und war wenige Minuten später schon weggedöst. Und dann kam der Tag, den man auch Saisonabschluss nannte. Ein letztes Mal Europapark für diese Saison. Ein letztes Mal Arena, ein letztes Mal Vito. Natürlich würde er noch nicht heute gehen, doch Morgenmittag war es soweit. Sämtliche Mitarbeiter waren gut drauf und die Stimmung im Park war bombastisch. Hier und da wurde schon aufgeräumt, doch ich wusste, das meiste würde man in den nächsten zwei

Wochen machen. Die letzten Shows waren so viel anders als normal. Wir durften nämlich das machen, was wir wollten. Und viele Darsteller nutzten das aus. In manchen Shows trugen zum Beispiel die Frauen die Männerkostüme und die Männer trugen die Kleider der Frauen. Es war urkomisch. Auch an den Attraktionen wurde mehr gelacht, als ernsthaft gearbeitet. Ich fuhr noch ein letztes Mal, zusammen mit Eliza, unsere Lieblingsbahnen und so pendelten wir am Morgen zwischen Silverstar und Geisterbahn hin und her. Am Nachmittag war es dann soweit.

Zusammen mit Louisa malte ich wieder Blacos als Skelett an, damit die Zuschauer ein bisschen was zum Lachen hatten. Danach setzte ich mich zusammen mit Chris in das Publikum, denn er konnte ebenfalls nicht mitreiten, da er gestern unglücklich bei einem Stunt gefallen war und jetzt auch humpelte. So setzten wir uns pünktlich zu Beginn der Show in die Arena. Wir nahmen einen Platz in der Nähe des Thrones. Chris hatte noch eine Tube Schlagsahne dabei. Wofür, das wusste ich noch nicht. Dann begann es. Am Anfang war noch alles wie immer. "Am 18. August 1651 gelang es Kardinal

Richelieu den König von Frankreich zu überreden, die Papiere zur Auflösung der Garde der Musketiere zu unterschreiben. Unsere Freunde Arthos, Porthos, Aramis und D'Artagnan wurden zurück in ihre Heimatdörfer geschickt." Die Erzählstimme endete und Planchette betrat die Arena. Stéphane hatte es sich nicht nehmen lassen, die letzte Show selbst zu spielen. Wie auf Kommando begannen alle zu jubeln und Planchette freute sich sehr, weshalb sie nicht wieder hinter dem Vorhang verschwand. Sie richtete ein wenig die Tische und dann kam Porthos, alias Denis Jaquillard, hinein. "Planchette! Wie geht es dir?", rief er

auf Deutsch mit seinem heftigen, französischen Akzent. Anschließend begrüßte er noch das Publikum und lief dann zu Stéph. "Weißt du was? Ich bin im Ruhestand!", verkündete er und die "Dame" sah ihn fragend an. "Oh, warum?" "Die Einheit der Musketiere ist aufgelöst, vorbei, fertig!" Die zwei unterhielten sich noch ein wenig, doch es war nichts Außergewöhnliches. Nicht einmal als die Musketiere kamen und die Anhänger des Kardinals sie provozierten. Der Kampf anschließend war auch gewöhnlich. Es wurde erst neu, als Marion und Ludo auf dem Thron saßen und die Hexe das Gift brachte, womit Marion als Milady,

den Herzog von Buckingham umbringen sollte. Heute war es eine größere Flasche als normal und sie taten so, als wöge die Flasche etliche Kilo, was mich zum Kichern brachte. Planchette hörte den Plan mit, gab ihn an Porthos weiter und der rief die Musketiere. Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen, als ich sah, dass sie unter ihrem Überwurf nichts anhatten. Normalerweise hatten sie immer ein weißes Hemd darunter. Die Antwort wurde mir geliefert, als kurz darauf das Trickreiten stattfand. Marion zog alles noch normal durch, doch Guillaume, Julien und Kevin taten dies nicht. Ich bekam einen Lachanfall,

als ich sah, dass sie komplett oben ohne das Trickreiten durchführten. Zumal sie ja nicht einmal sichtbare Muskeln hatten, sah das urkomisch aus. Chris neben mir grinste. "Kann ich froh sein, dass ich das nicht mitmachen muss.", meinte er nur. "Ach was, das käme bestimmt gut. Marion hätte sich gefreut.", lachte ich und widmete mich wieder dem Spektakel. Leicht bekleidet waren nicht nur die Musketiere, wie ich später feststellte. Auch Ludo hatte kein Oberteil unter seinem Kardinalsanzug, worüber sich Planchette sehr freute, welche übrigens keine Hose unter dem Rock anhatte. Das waren Aussichten, die dem gesamten

Publikum Lachtränen in die Augen trieben. Später erfuhr ich dann auch, wofür die Sahne war. Chris stand auf und brachte sie Marion, als sie ihren Endkampf auf dem Thron führte. Guillaume kämpfte gerade gegen sie, als sie ihre letzte Waffe einsetzte. Obwohl sie schon gefangen wurde, sprühte sie Guillaume die gesamte Sahne ins Gesicht. Es war viel zu lustig, um ernst genommen zu werden. Nach der Show ging ich mit Chris wieder in den Backstagebereich. Ich half Marion noch kurz ihren Braunen zu versorgen und ging dann in die Umkleide, in der uns auch die ganze

restliche Gruppe schon erwartete. Irgendjemand hatte Sekt mitgebracht und jeder, der den Raum betrat, bekam ein Glas in die Hand gedrückt. Ich war definitiv kein Fan von Sekt, doch ich trank ein Glas mit. Anschließend feierten sie noch ein Bisschen, doch ich verzog mich zu Vito. Der Falbe fraß in Ruhe sein Heu. "Morgen gehst du zu Mario.", erklärte ich ihm. "Ich weiß.", murmelte er nur traurig. "Was soll ich ohne dich nur machen?", meinte ich leise. "Weiterleben. Wir sehen uns ja wieder.", sagte er trocken. "Lass uns noch ein letztes Mal raus.", schlug er schließlich vor. Seit dem Unfall waren wir nicht

mehr draußen gewesen und ich hatte ehrlich gesagt auch ein wenig Angst. Vito spürte dies. "Komm schon, Hanna. Schwing dich rauf. Die Sonne geht gerade unter, das ist die schönste Zeit des Tages!", versuchte er mich zu überreden. "Ich darf doch gar nicht!", versuchte ich ihm zu widersprechen. "Hat dich das jemals daran gehindert, das zu tun, wofür du bestimmt bist?", fragte er zurück. Lächelnd umarmte ich ihn und er legte sich für mich nieder, damit ich mein Bein nicht unnötig belasten musste. Anschließend trottete er vom Hof. Schweigend genoss ich diesen Moment, während sich mein Pferd selbstständig

einen Weg suchte. Ich dachte einige Monate zurück. Ein völlig verstörter Hengst, der kein Vertrauen besaß, mich als Hexe bezeichnete und Menschen gegenüber unglaublich misstrauisch war. Jetzt saß ich hier, in der Abendsonne auf ihm, völlig frei. Er trug weder Sattel noch Trense. Seine neue Trense hatte das Unwetter nicht überlebt. Durch den heftigen Regen und den Schlamm war sie vollkommen verschlissen. Ich hatte sie wegwerfen müssen. Unsere Entwicklung war vielleicht nicht normal verlaufen, doch waren wir jemals normal gewesen? Ich, ein Freak, der mit Pferden reden konnte und mein

Seelenverwandter. Ein Hengst, der mir blind vertraute und alles für mich tat. Mir vielleicht sogar das Leben gerettet hatte. Er meinte selbst, dass wir jetzt Quitt seien. Vielleicht hatte ich, seiner Meinung nach, auch sein Leben gerettet. Wo wäre er gelandet, wenn er mich nicht getroffen hätte? Unser Zusammentreffen hatte unser beider Leben vollkommen verändert und ich war so froh, den Falben kennengelernt zu haben. So einen Hengst traf man nicht oft an. Jetzt, da dieser Sommer vorbei war, konnte ich sagen. Es war der schönste Sommer in meinem gesamten Leben gewesen. So viele neue und verschiedene

Leute hatte ich kennengelernt, neue Freunde gefunden und das erste Mal so richtig das Gefühl gehabt, dass meine Gabe eine Verwendung hatte. Dass ich nicht nutzlos war. Jetzt war ich nicht mehr als die Tochter des Züchters Fernay bekannt. Jetzt war ich Hanna, die Pferdetrainerin. Dieser Sommer hatte mein Leben auch so stark verändert: Vollmond gewann eine neue Bedeutung und vielleicht war ich auch reifer geworden, durch das Training in körperlicher Hinsicht aber auch in seelischer. Es war ein Sommer voller Höhen und Tiefen gewesen. Von emotionalen Tiefpunkt bis hin zum unendlichen

glücklich-sein, war alles dabei. Das hatte meinen Horizont erweitert. Vielleicht hatte ich vorher nicht gewusst, was es wirklich bedeutet, wenn man glaubt, jemanden für immer verloren zu haben. Vielleicht hatte ich nicht gewusst, was es bedeutet, am Ziel angekommen zu sein, glücklich zu sein und vor allem, was Freiheit wirklich ist. "Denke nicht so viel nach, Hanna.", riss mich mein Falbe plötzlich aus den Gedanken. "Weißt du, dass ich dich unendlich lieb habe?", fragte ich ihn leise. Liebevoll drehte er den Kopf. "Nicht so sehr, wie ich dich in meinem Leben brauche.", gab er sanft

zurück. Glücklich umarmte ich ihn kurz. "Wenn ich aber schon reite, dann lass uns wenigstens galoppieren.", lächelte ich. "Halt dich fest.", sagte Vito nur sanft. Dann galoppierte er an. Und während ich unter mir die kräftigen Muskeln spürte, kamen wir dem Horizont immer näher.

Epilog

Ich wollte nicht dabei sein, wenn sie gingen. Dennoch saß ich jetzt im Europapark, auf einer Bank vor dem Globe und starrte ins Leere. All die glücklichen Momente mit ihnen zogen vor meinem inneren Auge vorbei. Und ich musste hierbleiben. Doch plötzlich schwappten Emotionen zu mir herüber. Es war Vito, wie er in den Hänger geführt wurde. Er wollte eigentlich nicht dort hinein, doch Widerstand brachte nichts, das wusste er. Mit hängendem Kopf trottete er hinter Ludo in den Hänger, sah teilnahmelos zu, wie er angebunden

wurde und ignorierte das Heu, das vor seiner Nase hing. Er hatte keinen Appetit mehr. Erschrocken brach ich die Verbindung ab. Wir beide dachten an den Anderen und deswegen hatten die Energieströme wohl unsere Gefühle übertragen. Plötzlich hörte ich noch ein letztes, trauriges Wiehern. Es war Vito. Traurig senkte ich den Kopf. Mir rannen ein paar Tränen über die Wange. Dann spürte ich plötzlich, wie sich seine Anwesenheit immer weiter entfernte und ich schließlich nichts mehr von meinem Pferd spüren konnte. Er war weg. Ein Seelenpferd, das hatte mir Sylvia

erklärt, war ein Teil deiner Seele. Trennung war schmerzhaft, vor allem, wenn sie für eine lange Zeit war. Sechs Monate. Sechs verdammte Monate ohne den hübschen Falben. Warum war ich nur ein Mondkind? Warum mussten meine Gefühle stärker sein, als die von normalen Menschen? Warum lebte ich im Augenblick? Denn der Augenblick sagte mir, dass Vito weg war. Und das tat weh. Traurig zog ich die Knie an und vergrub mein Gesicht daran. Eine Weile saß ich so da, bis mich jemand sanft an der Schulter berührte. Es war Marion, die ich bereits an der Art und Weise, wie sie mich berührte,

erkannte. Langsam hob ich meinen Kopf. Wortlos umarmte sie mich. Ich erwiderte diese Umarmung und prägte mir das noch ein letztes Mal ein. Diese Umarmung hatte mir so viel Kraft gespendet in meiner schwersten Zeit und immer wieder war sie für mich da gewesen. Sie war mir eine gute Freundin geworden während diesem Sommer. Nach einer kleinen Weile, löste sie die Umarmung und gab mir etwas in die Hand. Es war eine kleine, goldene Kette mit einem Anhänger in Form eines Herzen. "Mach es auf.", sagte Marion leise und deutete auf das Herz. Ich tat wie geheißen und mir sprangen zwei

kleine Bilder ins Auge. Auf der linken Seite war ein Bild meines Falben und auf der anderen Seite war ein Bild der gesamten Arenagruppe. Zusätzlich sah ich ein paar schwarze Fäden in die Kette eingearbeitet. "Das sind Haare aus Vitos Mähne.", erklärte Marion, als sie meinen fragenden Blick bemerkte. "Danke.", flüsterte ich nur, doch es kam von Herzen. Schwach lächelte ich sie an und sie nickte nur. "Mach's gut, Hanna! Wir sehen uns bald wieder!", verabschiedete sie sich und setzte zum Gehen an. Einige Meter weiter drehte sie sich nochmal um. "Au revoir!", rief sie und lächelte. "Auf Wiedersehen.", gab ich schwach

lächelnd zurück. Dann verschwand sie im Märchenwald und ließ mich hier zurück. Doch ich wusste, wir würden uns wirklich Wiedersehen. Ich hoffte es von ganzem Herzen. ~Ende~

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20Agi04
Die Agi von Wattpad ist nun auch hier angekommen, um ihre Werke mal einer anderen Generation anzubieten.
15 Jahre jung, weiblich und größter Europapark-/Arenafan der Geschichte.
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TaraMerveille Habe gerade damit begonnen, dein Buch zu lesen. Ich finde die Idee wirklich sehr gut, dein Schreibstil gefällt mir. Und es ist ein Buch mit Pferden - was mich noch mehr begeistert.
Vor langer Zeit - Antworten
20Agi04 Dankeschön :) Ich hoffe es gefällt dir nach zwei Kapiteln immer noch!
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