Kurzgeschichte
Die Physiotherapie - Forumsbattle 34

0
"Die Physiotherapie - Forumsbattle 34"
Veröffentlicht am 08. September 2014, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Ronald Schuster, Funny-p@www.freeimages.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Langsam scheine ich in das Alter zu kommen, in dem man Unwichtiges mehr beiseite schiebt, sich auf die Dinge konzentriert, die einem lieb und wert sind und immer weniger darauf gibt, was die anderen darüber denken. Schreiben scheint ein integraler Bestandteil dieses Vorgangs zu werden.
Die Physiotherapie - Forumsbattle 34

Die Physiotherapie - Forumsbattle 34

Die Physiotherapie

Ich muss eingeschlafen sein. Das passiert mir öfter, wenn ich am Behandlungstisch vor mich hin chillend das Ende meiner Interferenztherapie abwarte. Noch bevor ich die Augen öffne überlege ich, was mich eigentlich gestört hat. Nein, es war nicht das sonore Geräusch des Kontrollgeräts, da ist noch ein anderes kleines, schabendes und schleifendes Geräusch. Ich öffne die Augen und sehe eine wunderhübsche Blondine, deren Haar zu einem mächtigen Zopf geflochten ist, der jedem Lockenwickler die Existenzberechtigung abzusprechen scheint. 

In der weissen Arbeitskleidung der Physiotherapeuten sitzt sie auf dem wackeligen Stuhl in meiner Behandlungskabine. Sie bearbeitet hingebungsvoll einen ihrer Fingernägel mit einer Nagelfeile. Der ist feuerwehrrot lackiert, wie all seine Kollegen. Bei näherer Betrachtung sehe ich aber, dass an den Spitzen der Nägel kleine dreieckige Zähne aufgemalt sind. Jeder Fingernagel für sich sieht aus wie ein kleines, weit aufgerissenes Haifischmaul.

Noch bevor ich mir eine Meinung über diese ungewöhnliche Bemalung bilden kann, greift sie sich ein Blatt Papier von dem Tischchen, auf dem das Kontrollgerät steht, hält es in der linken Hand und macht mit der rechten Hand

eine kleine, aber dennoch ungestüm anmutende Bewegung, so dass die Nägel gegen das Papier schnellen. Sichtlich zufrieden betrachtet sie das Ergebnis in Form von fünf tadellos getrennten Papierstreifen, die zu Boden rieseln. Habe ich vor ein paar Sekunden noch darüber nachgedacht, wie ich ein Gespräch mit dieser Schönheit einleiten könnte, so sind meine Gedanken nun eher davon bestimmt, möglichst unbeschadet aus meiner Behandlungskabine herauszukommen. Zu spät. Sie hat bemerkt, dass ich aufgewacht bin und betrachtet mich mit einem Interesse, das wundersam erscheint in Anbetracht der Tatsache, dass sie eine

bildhübsche Endzwanzigerin ist, ich jedoch einen nicht wirklich vorteilhaft alternden Mittfünfziger darstelle. »Gib mir den Chip, Kleiner.« Nahezu liebevoll betrachtete sie bei diesen Worten ihre Fingernägel. »Chip? Was für ein Chip?« War das Einzige, was ich hervorbrachte und ich wirkte dabei auf mich selber wie ein zwölfjähriger Lausebengel. »Kleiner, schau dich an. Du bist nicht heldisch veranlagt. Mach es dir nicht schwerer als nötig. Gib mir einfach den Chip«. Sie kaute auf ihrem Kaugummi und wartete auf eine Antwort. Unter dem Fenster hatten

ein paar Jugendliche ihren Spaß im Park. Man konnte das Fratzengeballer bis herauf hören, trotzdem das Wetter ziemlich windig war. Mir war gar nicht bewusst, an den Knöpfen des Überzugs am Behandlungstisch zu friemeln, während ich überlegte, wie ich ihr klarmachen konnte, dass ich keine Ahnung hatte, wovon sie sprach. Jedenfalls dauerte es ihr zu lange. Sie stand auf und ging die zwei Schritte rüber zu dem Tischchen mit dem Kontrollgerät. »Zeit, ein wenig Remmidemmi zu machen und die Geschichte zu forcieren.« Damit drehte sie den Regler für die Stromstärke ruckartig nach rechts. Ich sah, wie der Balken der Anzeige sich maximierte und gleichzeitig

durchjagte ein Schmerz meinen Körper, den ich in dieser Intensität noch nie erlebt hatte. Ich schrie auf, waidwund wie ein Tier, aber sie drückte gleichzeitig meinen Kopf gegen den Behandlungstisch, so, dass nur ein unterdrücktes Stöhnen meinen Mund verließ. »Gib mir endlich den verdammten Chip, oder ich grille dir dein Sitzfleisch«, flüsterte sie fast zärtlich und gleichzeitig schraffieren ihre Fingernägel ein Muster auf meinen Rücken und erinnern mich an die messerscharfe Gefahr, der ich ausgesetzt bin. Ich spanne meine Muskeln an, will mir die Elektroden vom Körper reißen, diese blonde Gefahr zur Seite stossen und schreiend aus der Kabine flüchten, bevor sie mich erwischt

und mir den Garaus machen kann. Gerade in dem Moment berührt mich eine sanfte Hand an der Schulter und schüttelt mich leicht. »Alles gut?« Ich öffne die Augen. Der Behandlungstisch, das Kontrollgerät, der Sessel, alles da. 


Nur die Therapieassistentin ist dieselbe Brünette, die meine Behandlung auch begonnen hat. Ich drehe den Kopf, nichts. Nur die Kabinenwand. Keine Blondine, keine Gefahr. Einfach nur ein böser Traum. Noch nie bin ich so froh gewesen, dass die Behandlung endlich fertig war. Ich fühle mich ziemlich dumm, setze mich auf und mir fällt nichts Besseres ein, als meine

Therapeutin zu fragen »Wissen sie vielleicht, was ein Hupatz ist?«

0

Hörbuch

Über den Autor

Papiertiger
Langsam scheine ich in das Alter zu kommen, in dem man Unwichtiges mehr beiseite schiebt, sich auf die Dinge konzentriert, die einem lieb und wert sind und immer weniger darauf gibt, was die anderen darüber denken. Schreiben scheint ein integraler Bestandteil dieses Vorgangs zu werden.

Leser-Statistik
50

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
phoebe2210 *lach* Einfach herrlich geschrieben und die Vorgabe-Wörter sind passend eingesetzt. Eine super schöne Geschichte!
LG, Conny
Vor langer Zeit - Antworten
welpenweste Hallo Papiertiger,
damit hast du keineswegs eine Geschichte zerrissen, wie die Therapeutin ihr Blatt, sondern ein amüsantes Buch abgeliefert, das mir sehr gut gefallen hat!
Lg
Günter
Vor langer Zeit - Antworten
Papiertiger Freut mich, dass es dir gefällt :) Ist mir übrigens tatsächlich während so einer Behandlungssitzung eingefallen...
lg
Helmut
Vor langer Zeit - Antworten
welpenweste Ach ja, die Krallen am Rücken. Ich nenne es aber eigentlich nicht "Sitzung" - lach!
Lg
Günter
Vor langer Zeit - Antworten
KatharinaK Sehr geeignet zum Vorlesen. Großes Kino. Ich war versucht, Mitleid mit dem Protagonisten zu haben. Viel Glück in der Schlacht - ohne Haifischzähne auf den Fingernägeln.
Liebe Grüße,
Katharina
Vor langer Zeit - Antworten
Papiertiger Nein, Mitleid verdient er sicher nicht, der alte Knacker :) Freut mich, dass es dir gefallen hat.
lg
Helmut
Vor langer Zeit - Antworten
Frettschen Na, du träumst ja Sachen!
Es hat mir gefallen, deine Geschichte zu lesen.
Sehr gut geschrieben.
Vor langer Zeit - Antworten
Gabriele Klasse Geschichte - sie gefällt mir!!
Da ich auch häufig bei Physiotherapeuten bin, kann ich nafühlen, wie wunderbar es ist, aus so einem Traum zu erwachen.... *grinst*
Glückwunsch und viel Erfolg beim Battle,
Gabriele
Vor langer Zeit - Antworten
derrainer hallo papiertiger ,
eine schöne geschichte , was man sich so alles erträumt
wenn auch nicht der schönste traum , aber wer sagt auch das träume immer schön sein müssen

gruß rrainer
Vor langer Zeit - Antworten
Papiertiger Vor allem muss man sich merken, was man geträumt hat. Das ist bei mir nur sehr selten der Fall :) Danke für den Favo.
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
19
0
Senden

118143
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung