Kurzgeschichte
Du bist, weil Du warst

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"Eine Fingerübung zum Thema Vergangenheitsfahrstuhl"
Veröffentlicht am 13. August 2014, 16 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Elena Okhremenko - Fotolia.com
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Über den Autor:

Ich werd hier ab und an mal was posten - Das hilft mir sicher, bei der Stange zu bleiben.;)
Eine Fingerübung zum Thema Vergangenheitsfahrstuhl

Du bist, weil Du warst

Du wirst, weil Du warst

Die Tür öffnete sich. Unsicher trat ich aus dem Fahrstuhl. Wie jemand, der nicht weiß, ob er im richtigen Stockwerk gelandet ist, sah ich mich um. Kein Schild wies mir den Weg, kein Bürogebäude mit schwarzweißen Wegweisern war mehr vorhanden und doch war ich nicht orientierungslos, denn ich wußte sofort, wo ich war.

Es war dunkel und die Umgebung war mir vertraut. Trotz der Strahler sah ich den Mond und vereinzelte Sterne. Einige Grillen zirpten und ein Auto fuhr auf feuchter Landstraße vorbei. Die Gerüche, die Geräusche, die Gegend; wie

ein alter Bekannter umarmte mich meine Vergangenheit. Wir waren uns fremd geworden.

Ich trat auf den angestrahlten, feuchten Asphalt, die große Eiche wiegte sich sanft im Wind, aus dem Eingang  der Dorfdisco plärrte Musik, die ich noch nie gemocht hatte. Und doch war ich mir sicher, dass ich jetzt zweimal hier war.

20 Jahre zurück und an diesem Punkt in meinem Leben steige ich aus, um mich selbst zu sehen. Den Vergangenheitsfahrstuhl benutzen konnte ich nur einmal, hatte der Mann gesagt, der mir den Zutritt gewährt hatte.

Warum ausgerechnet hier? Ich war schon 15 Jahre nicht mehr hier gewesen,

nicht einmal im Geiste. Nein, das war gelogen Dieser Abend hatte mich oft beschäftigt, mir den Schlaf geraubt, mich nachts hin und hergewälzt. Aber auch das war schon seit einigen Jahren Vergangenheit.

Ich ging langsam in Richtung des Disco-Eingangs zu meiner Rechten, die dreieckigen weißen Rahmen mit versilbertem Glas über der Tür zeigten wie Pfeile nach oben. Links die Eiche, große Baumkrone, ein dicker Stamm mit grünstichigem Moos bedeckt.  Beides getrennt durch die einspurige Straße. Die Holzabsperrung vor den großen Türen am Straßenrand hätte auch vor einem Saloon stehen können; braunes,

knorriges, lasiertes, rundes Holz auf zwei Beinen. Ich lehnte mich an, die Beine gekreuzt und betrachtete den Baum, wie ich es damals so oft getan hatte.

Vereinzelt standen Gruppen oder Pärchen mit mir in der warmen Sommernacht, aber alle weit genug entfernt, dass mich ihre gelegentlichen Rufe oder ihr Gelächter nicht störten. Ein junger Besucher verließ die Disco und ich fragte ihn nach der Uhrzeit. „ Es ist 20 nach 3. Wenn Sie jemanden abholen wollen, fragen Sie die Sicherheitsleute, die lassen Sie sicher reinschauen und suchen“ Ich bedankte mich und er trollte sich. .  „Sicherheitsleute“? Security

sagte man vor 20 Jahren wohl auch noch nicht zu den Pressbären im engen muskelbetonten Anzug.  Er hatte mich gesiezt und dachte, ich müßte jemanden abholen! Unmöglich dass jemand wie ich aus freien Stücken hier war ohne Grund, ohne Auftrag. Ich war ein wenig gekränkt und fühlte mich älter als üblich.

Jetzt mußte der Streit gleich losgehn dachte ich und streckte mich, die Arme weit nach oben, die Beine bewußt angekrampft.

Warum war ich nicht an den Ort gereist, als ich meine Frau kennengelernt hatte? Warum nicht an den Tag, bevor mein Vater gestorben war? Warum war ich nicht zu meiner Geburt gereist um zu

sehen, wie sie mich direkt danach in den Helikopter verfrachten und in die Spezialklinik bringen würden? DAS wäre doch eine gute Idee gewesen. Ich hätte meine Mutter treffen können und ihr versichern, dass ich gesund und munter wiederkomme. Ich grinste in mich hinein, als ich dachte, dass dieser Zeitsprung mit mir in der Gummizelle oder dem Gefängnis geendet hätte, je nachdem, ob die Pfleger oder die Polizei zuerst vor Ort gewesen wären. Obwohl ich meinem Vater ja nicht unähnlich sehe, vielleicht hätten sie mir geglaubt - und so einen Herzschlag bekommen! Keine gute Idee.

Drinnen war sie, dass wußte ich ganz

genau. Helle Aufregung hatte mich vor 20 Jahren gepackt, als ich erfuhr, das sie auch da war. Komisch, dachte ich kopfschüttelnd, sie war doch Samstags meistens da gewesen, warum also die ganze Spannung?

Und sie war mit ihrem neuen Freund da. Tom. DTT, Der tolle Tom hatte ich ihn genannt, um meine Trauer und meinen Ärger zu überspielen, dass sie nicht mehr mit mir zusammen war.

Ich dachte daran, dass sie inzwischen auch verheiratet war, aber natürlich nicht mit ihm. Gott sei Dank! In meiner damaligen Verfassung hätte ich so eine Niederlage nicht leicht verkraftet und wäre richtig lange am Ringboden

liegengeblieben. Aber richtig lange! Ich hatte  ja auch so schon nach dieser Nacht kaum noch in meine Ringecke robben können, bevor ich andere Kämpfe fand, die es viel mehr wert waren.

Noch 10 Minuten schätze ich, dann kommt sie raus und geht zu seinem Wagen. Wo sie ihn dann mit Ihrer besten Freundin in Flagranti erwischen würde. Hah ein Klassiker! Ihre beste Freundin Jenny eröffnete dann für mich das Spiel, weil sie mich unten in den Barkatakomben ausfindig machen und sich an meiner Schulter ausweinen würde. Mein Beschützerinstinkt nimmt natürlich sofort die Ausmaße des Riesengebirges an und sobald es die

Umstände erlauben suche ich sie. Und treffe sie beide, DTT und sie, er beschwichtigend, sie wütend und verzweifelt wie man es eben erwarten kann nach so einer Offenbarung.

Natürlich war sie mir nicht gleich in die Arme geflogen, stattdessen hatte ich alles noch komplizierter gemacht, hatte Tom angeschrien und er schrie zurück. Drohgebärden wie bei Löwen oder Tigern oder Walrössern während der Revierkämpfe. Die Leute hatten sich umgedreht obwohl wir direkt hinter dem DJ gestanden hatten und der Lärm der Musik ohrenbetäubend gewesen war. Eine Szene wie aus West Side Story, dachte ich heute. Romeo und Julia er

ein Capulet, ich ein Montague. Natürlich: Ich war schließlich Romeo gewesen, er nur ein Irgendwer! Heute wußte ich, dass meine Julia nie in dieser Gegend gewesen war.

Seine Freunde hinter ihm und, so schwer ich das heute auch glauben mochte, meine Freunde hinter mir. Sie zogen uns auseinander, bei ihnen arbeiteten die Synapsen noch ordnungsgemäß und der Urinstinkt hatte noch nicht übernommen.

Das wäre das 1. Mal gewesen, dass ich aus einer Disco geflogen wäre, dachte ich und grinste meinen Freund, den Baum, an. Aber so war es besser und ich fühlte Dankbarkeit. Noch heute.

Ich hatte sie dann nach Hause gefahren,

denn natürlich waren sie und ihre beste Freundin mit ihm hierher gekommen. Sie hatte die ganze Fahrt über geweint und ich war stumm wie ein Fisch geblieben. Nicht mal das Radio war an. Sie hatte mich umarmt und wir hatten uns versprochen, am nächsten Tag zu sprechen.

„Der nächste Tag“ sagte ich leise zu niemandem und kehrte in mich. Der nächste Tag war verrückt gewesen, ein wirrer flirrender Albtraum meiner Teenagerzeit. Denn am nächsten Tag hatte ich sie angerufen um zu ihr zu kommen. Das ging jedoch nicht. Sie war verabredet. Mit ihm. Wieder und immer wieder mit ihm. Am nächsten Tag war

ich wieder abgemeldet und alles war so, als wäre nie etwas geschehen. Keine Konsequenzen, als wäre die Nacht ebenfalls per Zeitreise verschluckt worden. Das war das Ende vom Ende gewesen. Gut, wenn ich ehrlich mit mir war, zog sich auch das Ende vom Ende noch über Monate hin, aber die Grundsteinlegung findet hier und jetzt statt.

Jetzt wußte ich, warum ich hierhergereist war. Ich wollte etwas tun, wollte mir helfen. Wollte dafür sorgen, dass ich mich für sie nicht weiter zum Affen machte. Wollte DTT süffisant lächelnd erklären, was für eine sinnlose Veranstaltung dieser ganze Hahnenkampf

wäre. Aber das war Quatsch! Absoluter Blödsinn.

Ich erhob mich von dem Holzsteg und ging langsam Richtung Fahrstuhl, den Blick fest auf den Asphalt gerichtet, Sichtweite maximal 2 Meter. Tunnelblick? Vielleicht. Vielleicht horchte ich auch nur in mich hinein.

Ich hatte Schmerzen nach diesem Abend, an dem ich doch eigentlich nur in der zweiten Reihe gestanden hatte. Trauer, Verzweiflung, Einsamkeit, meine drei Begleiter. Wie so oft bei ihr. Die Schmerzen waren riesig und lang gewesen, aber auch wichtig und gut.

Es stellt sich doch immer wieder die Frage, wer  man ist und ob man das

mag, was man ist. Es hätte auch alles anders ausgehen können. Wie immer. Ich fragte mich ob ich wollte, dass es heute anders ausgeht. Ich fragte mich, was mit mir geschehen würde, wenn ich heute eingreife und mich selbst rette, so dass mein Ich von damals sich nicht mehr selbst retten muß.

Und außerdem: Konnte ich mich überhaupt retten? Gute Ratschläge sind auch Schläge und ich glaube, ich hatte schon damals eine Aversion, Ratschläge anzunehmen, wenn es um sie ging. Immer diese Einschränkungen; ich glaube… Ich war stur wie ein Bock gewesen, wenn es um sie ging und Alle Anderen hatten Unrecht. Immer!

Ich blickte auf und stand direkt vor der Fahrstuhltür. Der Spiegel im Inneren schenkte mir ein schiefes Lächeln meines zur Seite geneigten Kopfes. Ich drückte den „Tür zu“-Knopf und drehte mich um. Ihre blonde Mähne wehte im Wind und sie ging, in ihren Jackentaschen kramend über die Straße in Richtung Parkplatz. Dann war die Tür zu und im Metall der Bodenplatte sah ich mich lächeln, während der Fahrstuhlmotor leicht wimmernd zu surren begann…

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Stilgar08
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