NOT THE NEXT TOPMODEL
Hi, hab ich gesagt, und der Typ da hinter dem Tresen schaut mich nur kurz an und fragt dann nach meinem Anliegen.
Anliegen?
Ich will mich nicht anliegen. Ich bin hier um mich ihnen zu präsentieren; sie in Staunen versetzen, in Verzückung und Anbetung. Ich bin hier um denen da zu zeigen was wahre Schönheit und Anmut und Grazie ist. So dass sie mich bewundern, mich beneiden und nicht
mehr umhin können als mir die besten Jobs zu geben.
Anliegen?! Nee, ey. Und ich schmeiß mich in Pose. So als wenn man voll was Wichtiges mitzuteilen hat oder was voll Cooles zu verkaufen hat. Dann guck ich mir diesen Anliegen - Typen genauer an.
OK. Keine schlechte Frisur, kantiges Kinn, markante Wangenpartie, fast Porenlose Haut, guter Hals, und der Rest steckt in einem Hollister - Shirt, Designerjeans und italienischen Spitzenlatschen. Ganz nett.
Aber alt ist der, boooah! Steinalt, ey. Bestimmt schon 25 der Typ, der
mich jetzt mit einem Blick anschaut der voll unmissverständlich zum Ausdruck
bringen soll das ich ihm ungeheuer auf die zarten Nerven gehe.
Also sag ich ihm: „Ich bin hier um meine Karriere als Supermodel zu starten. Und ihr solltet dem Herrn auf Knien danken das ich mir dafür eure Agentur ausgesucht habe.“
„Ach was!?“ Sagen die etwas zu sinnlichen Lippen im Gesicht des uralten Typen. Und weiter: „Sie haben ihre Set - Karte dabei? Einen Lebenslauf? Referenzen? Einen Personalausweis? Reisepass?“
„Nee ey, hab ich keins von all diesen Dingen.“ Sag ich. Und wer braucht schon all diesen Kram um vor Kameras zu posieren?
Der Typ lässt einen wie gequälten Seufzer hören. Und fragt weiter
seine dummen Fragen:
„Sind Sie überhaupt schon volljährig?“
Also… was spielt denn das jetzt für ne Rolle? Ich bin jung, sehe Spitzenmäßig aus und habe die richtigen Maße. Außerdem kann ich geradeaus gehen, so Modelmäßig meine ich, ich kann sitzen, springen und laufen ohne dabei mein aufgesetztes Dauerlächeln zu verlieren. „Noch nich ganz.“ Versuche ich zu erklären.
Noch nicht ganz ist lustig. Dabei bin ich gerade sechzehn geworden. Aber man kann ja nie früh genug anfangen seinen Traum zu leben. Hab ich mal irgendwo
gehört. Irgendwo in einem voll krass gemachten Werbespot. Denn bestimmt nich von meinen Eltern. Die Beiden alten Modemuffel lagen mir seit Jahren in meinen lieblich geformten Ohren, von Wegen dass das Modeln kein richtiger Beruf sei. Und das ich mich tunlichst um meine Bildung kümmern sollte, um einen anständigen und soliden Ausbildungsplatz zu finden. Ey, aber nich mit mir!
Ich bin zum Modeln geboren. Denn warum sonst hätte mich Gott, oder wer auch immer, mit solch einer Menge Schönheit und Liebreiz ausgestattet? Aus welchem anderen Grund hätte er mich mit so einem sechsten Sinn für ´s
Posen vor Kameras beschenkt?
Danke dafür, Gott. Oder sonst wer.
Der Typ da, der mit der markanten Kinnpartie, fängt wieder an zu reden:
„Nun, wenn Sie noch nicht volljährig sind benötigen wir zumindest eine Einwilligungserklärung ihrer Eltern. Aber das Sie anscheinend über keinerlei Erfahrungen und Vorkenntnisse in diesem Metier verfügen, kann ich Ihnen versichern das eine Anstellung in dieser Agentur sehr sehr schwierig wird.“
Was…? Was quatscht dieser Typ da? Ich und keine Erfahrung in diesem… äh? In diesem was? Und klar doch habe ich Vorkenntnisse. Schließlich hab ich schon als Kind gemodelt. Das war zwar
nur n kleiner Job für irgendeinen Asi - Katalog. Aber immerhin. Das war auch Arbeit. So in voll unsexy Unterwäsche da rum zu hüpfen. Aber der Fotograf war wirklich begeistert von mir. Der hat so Sachen wie „fänomenall“ und „Päderasten - Puppe“ gesagt. Und dann hat er mich noch zu ner extra Session eingeladen. Das war zwar abends und bei dem Typen in der Wohnung, aber das hätte der bestimmt nich gemacht wenn ich ihm nich hübsch genug gewesen wäre, ey. Der hat dann auch noch extra bezahlt. Wahrscheinlich weil ich so n komisches Gesicht gemacht hab, weil der Typ da mit so Unterwäsche für Erwachsene
rübergekommen ist, und ob ich die nich mal anziehen möchte? Das würde mir doch nun wirklich den nötigen ultimativen Sexy - Look verleihen, hat der gesagt. Hab ich dann auch gemacht, klar doch, ey.
Der Typ da, ihr wisst schon wer, klopft mich jetzt förmlich mit seinen Bonbonaugen ab. So voll auf Einschüchtern aus, der alte Sack.
„Wäre das dann alles?“ Fragt der.
Im Ernst, ey. Fragt mich das! Ob das alles wäre? So als wenn der Typ irgend n echt wichtiger Vollzeit - Frittenverkäufer bei Burger Queen wäre. Ob das alles wäre? Natürlich ist das alles! Das bin ich!! So süß und perfekt
und Kamerageil wie eine Sechszehnjährige nur sein kann. Und das ist alles noch echt! Ich bin echt! Eine echte Seltenheit auf dieser beschissenen Welt wo alles retuschiert, gefaket und Photoshop - Verlade ist. Wenn ich zwei Jahre älter wäre, volljährig und Elternunabhängig, runderneuert und perfekt optimiert, würde dieser arrogante Saftsack sowas nicht mal wagen zu fragen. Denn dann müsste der Typ glatt auf die Knie fallen vor all der Schönheit und Eleganz die ich verströme. Ich, dann frisch designt, mit neuen Brüsten, kleinerer Nase, perfekten Wangenknochen und einem wirklich göttlichen Kinn, würde diesem
Vorzimmer - Vollpfosten nur mein anbetungswürdiges Profil unter die Nase halten und er würde ohne weitere bescheuerte Fragen seinen Chef herbeirufen und alles andere wäre nur noch leise Formalität.
„Sie wissen ja wie Sie hinauskommen.“ Sagt der Kerl jetzt. Und: „Einen schönen Tag noch.“
Ey, klar weiß ich wie man hier raus kommt. Bin doch nich blöd, ey. Der denkt wohl ich hätte nix in der Birne. Okay, ich bin keine Astrophysikerin oder ne Schmuckdesignerin, aber ne Tür werde ich wohl noch finden, ey. Ich dreh mich also um, so richtig keck und burschikos, gehe so ganze fünf Schritte
und zerre dann an nem Türgriff. Und Zack! Dahinter ist nur n Wandschrank. N Schrank voller Mäntel, Regenschirmen und abgestandener Luft. Ich mach die Tür lieber wieder zu und sehe den Typen sich einen abgrinsen. So richtig schadenfroh und schleimig und wie überlegen er sich mir gegenüber fühlen muss. Ich hätte jetzt echt große Lust hier eine ordentliche Szene zu machen. So richtig hysterisch und kreischend, zeternd und geifernd über die Auslegware zu stampfen. Doch es gibt keine Kamera hier. Niemand der mich filmt, fotografiert; niemand der es sich später anschauen kann. Und darum wäre es gar nicht wirklich passiert,
versteht ihr? Es wäre einfach nur eine seltsame Geschichte in meiner Erinnerung geworden; eine Anekdote die ich irgendwann meiner besten Freundin erzählen würde.
Also gehe ich jetzt einfach.
Einen schönen Tag noch, ey.
Text: harryaltona
Cover: nicomania/www. pixelio.de