Anke Ritter sitzt an ihrem Arbeitsplatz und ist enorm genervt. Von ihrem Leben, ihrem Job und dieser Welt im Allgemeinen. Und schon wieder ist ihr Computer ausgefallen. Das dritte Mal in dieser Woche. Außerdem klemmt ihr der neue 1 Euro Schlüpper von Kwik unangenehm in der Ritze. Sie wackelt etwas mit dem Hintern auf dem Stuhl hin und her um Abhilfe zu schaffen. Es wird nicht besser. Sie sagt leise „Scheiße“ und klingelt nach dem Büroleiter.
Was sie nur noch mehr nervt. Denn Hansen wird kommen. Hansen ist hier der Oberfuzzie, außerdem ist er ein Riesenarsch. Ein wirklich widerlicher Mensch und ein noch widerlicherer Vorgesetzter.
Niemand hier mag ihn. Anke schon gar nicht. Doch viele scheinen insgeheim eine fatale Angst vor ihm zu haben. Seine Beurteilungen entscheiden ob man m orgen noch einen Job hat oder nicht. Alle hier halten Hansen für ein Riesenarschloch. Anke hält ihn für noch weniger. Und das tut ihr gut, nimmt etwas von der Spitze ihres Ärgers. Es dauert bis der Mann bei ihr angelangt ist. Anke sitzt auf dem letzten Platz in der Reihe. Platz Nummer 20. Es sind insgesamt 4 Reihen, jeweils 20 Plätze, abgetrennt durch billige Sperrholzwände, so dass man sein Gegenüber nicht sehen kann. Nur undeutlich hört. Es herrscht ein stetiger, Singsang ähnlicher Geräuschpegel in diesem Großraumbüro, in dem dieses Callcenter
untergebracht ist. Nur Hansen hat ein kleines separates Büro, gleich neben der Teeküche und gegenüber dem Treppenhaus mit den Aufzügen.
Sie sieht ihn kommen. Und sie denkt was für ein armseliger kleiner Angeber dieser Hansen doch ist, mit seinem billigen grauen Anzug, den abgelatschten Schuhen und dieser lächerlichen Frisur.
„Sie haben schon wieder ein Problem?“ Fragt er barsch und ohne jeden Funken Mitgefühl.
„Der Rechner ist hin.“ Meldet sie, und deutet zwecks besserer Anschaulichkeit auf den schwarzen Bildschirm.
„Sie sind sicher dass das Gerät vorschriftsmäßig am Stromnetz
angeschlossen und eingeschaltet ist?“
„Natürlich!“ Und denkt dabei und daran, was für ein Riesenarschloch und dämlicher Saftsack dieser Typ ist, wenn er solch dumme Art von Fragen vom Stapel lässt.
„Dann lassen Sie mich mal sehen!“ Herrisch mit der linken Hand wedelnd vertreibt er sie von ihrem Stuhl. Anke steht auf, und mit dem stolzen Gesicht eines Eroberers entert der Herr Hansen den knarrenden Billig Bürostuhl - was Anke einen Hauch von Ekel über den Rücken treibt. Augenblicklich fühlt sie sich wie benutzt, missbraucht und beschmutzt.
Ihr Blick wandert hinaus hinter die Fenster, die man weder öffnen noch kaputt schlagen kann. Sie schaut ausgiebig und ungestört auf die Straßenszene vor dem Bürokomplex gegenüber. Ein wahrer Luxus. Denn der Herr
Hansen achtet streng auf seine Mitarbeiterinnen, duldet keine Ablenkungen die die Arbeitsleistung mindern könnten. Doch jetzt genießt sie diese kurze Abwechslung von ihrer mehr als geistlosen Arbeit. Sie schaut, und ihr Blick bleibt hängen an einem jungen Paar das offensichtlich wild miteinander streitend den Bürgersteig entlang stürmt. Die blonde Frau scheint zu weinen, während ihr Begleiter aufs höchste erregt auf sie einredet. Er fuchtelt mit seinen Händen, er scheint zu schreien. Anke kann durch das dicke Glas natürlich nicht einen Ton hören. Aber sie kennt diese Gesten, diesen Gesichtsausdruck des Mannes.
Mit wütenden Männern kennt Anke sich aus.
Der erste tüchtig wütende Mann in ihrem
Leben war ihr Vater. Ein wahres Musterexemplar in Sachen Wut. Schon beim kleinsten Anlass ein verschüttetes Getränk, ein unvorsichtiges Wort rastete der Mann regelmäßig aus. Er schrie, er zeterte, er faselte. Wobei seine verzerrte Fresse hübsch dunkelrot anlief, seine Adern an Stirn und Hals enorm anschwollen und seine Augen fast aus seinem Kopp ploppten. In seiner blanken Raserei neigte er immer öfter zu schmerzhaften Handgreiflichkeiten. Es hagelte Ohrfeigen, Faustschläge auf Schultern, in den Magen. Es gab Tritte in den Hintern, an die Schienbeine. Kopfnüsse…
Mit fünfzehn hatte sie es satt und machte sich davon.
Doch die wütenden Männer ließen sich nicht
so leicht abschütteln. Überall lauerten sie. Verkleidet als Polizisten, Sozialarbeiter, Chefs und Liebhaber.
Genau so wie dieser Hansen hier, dieser Vollidiot. Anke kann seine stumme Wut geradezu riechen. Er ist wütend auf Anke, die ihren Computer nicht selber in Gang bringt; er ist wütend auf diesen billigen Scheiß Computer, der ihm wichtige Zeit stiehlt; und er ist am Ende wütend auf sich selbst, weil er es mit seinen 28 Jahren und seinem ausgewachsenen Talent zum Arschkriechen nicht schon längst in die Geschäftsleitung geschafft hat.
Er ist stinkwütend als er mit letzter Geduld auf die Tastatur hämmert um diesem verschissenen Rechner wieder Leben
einzufordern.
Anke sieht ihm zu wie er da so rumfuchtelt und fummelt, und eine wahre Welle ungesunden Abscheus auf diesen Mann bricht sich über dem Scheitel ihrer Seele.
Anke fällt eine Entscheidung. Nimmt Jacke und Handtasche von dem Stuhl, schüttelt eine Strähne ihrer Haare aus der Stirn und sagt:
„Ich scheiß auf den Job hier, Hansen. Und ich scheiß auf dich!“
Sie geht hinaus, vorbei an der Teeküche, vorbei an den Toiletten. Hinaus und auf die Straße, wo sie tief die satte Luft einatmet. Ein kleiner Sieg. Bis zum nächsten beschissenen Job, dem nächsten beschissenen Chef, dem nächsten wütenden Mann.
Text: harryaltona
Cover: Rainer Sturm/www.pixelio.de