Kurzgeschichte
Lichter löschen

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"Lichter löschen"
Veröffentlicht am 07. April 2007, 32 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Lichter löschen

Lichter löschen

„Jedem Menschen stehen fünfzehn Minuten Ruhm zu,“ hatte der selige Andy Warhol einmal der gesamten Menschheit konstatiert.
Gut möglich, dass er dabei in erster Linie an die Bevölkerung der so genannten 1. Welt gedacht hatte, denn irgendwo im kongolesischen Busch zu Berühmtheit zu gelangen war sicher ungleich schwieriger, als in einer amerikanischen Kleinstadt.
Jagte man, beispielsweise, in einem Kuhdorf in Texas eine Volksschule in die Luft und brachte dabei acht bis zehn Kinder um, war man auf der ganzen Welt Tagesgespräch Nummer eins. Meuchelte im afrikanischen Dickicht eine Söldnertruppe ein Urwalddorf nach dem anderen bestialisch dahin – und das über vierzig Jahre lang – war das den Tageszeitungen in unseren Breiten gerade einmal eine kleine Notiz im Chronikteil wert.
Wenn überhaupt.
Und dann schrieben sie – in Unkenntnis der kongolesischen Dialektausformungen –auch noch sämtliche Namen falsch. Schwer, mit einem Namen wie Bwahnna Ngkotuglay Zharrati in Mitteleuropa berühmt zu werden.
Bruno Weyrer hatte da schon ein ganz anderes Ruhmespotential. Ausserdem hatte in den letzten Wochen selbst der ungebildetste Provinzjournalist aus Einöd am Walde kapiert, wie man diesen Namen korrekt buchstabierte.
Vom ungarischen Plattenseebis zum Hamburger Hafen kannte jedes Kind den Namen Bruno Weyrer – immerhin waren die Schauergeschichten rund um seine bemerkenswerte Person ausführlichst in allen Medien von der ungarischen Steppe bis Gibraltar und von Helsinki bis Ankara behandelt worden.

Bruno lächelte zufrieden und startete die CD, die er vom Radiosender als Erinnerung erhalten hatte, von Neuem.

NF: Herr Weyrer, ich begrüße sie als Gast in unserer Sendung Night Lights

BW: Guten Abend.

NF: Um gleich auf den Punkt zu kommen: Sie haben in den letzten fünf Wochen unsere Polizei, die gesamte österreichische Bevölkerung und sämtliche Medien auf Trab gehalten. Bis zum jetzigen Zeitpunkt weiß immer noch niemand Genaueres über ihren Aufenthaltsort zu sagen…

BW: Außer ihnen natürlich.

NF: Ja, genau. Nur gilt unser Interesse – also das des Senders – in erster Linie ihrer Person und ihren Ansichten im Allgemeinen. Das ist auch der Grund, warum wir heute Abend ausnahmsweise nicht aus dem Funkhaus in St.Pölten, sondern aus ihrem nur uns bekannten Versteck senden. Sie haben auch zugesagt, sich nach unserer Sendung unverzüglich den Behörden stellen zu wollen. Allerdings nicht, ohne vorher einer breiten Öffentlichkeit Fragen zu ihren Verbrechen beantwortet zu haben.

BW: Das ist richtig. Ich befürchte nämlich, missverstanden zu werden, wenn meine Statements irgendwo, aus dem Zusammenhang gerissen, auftauchen. Über ihre Sendung habe ich zuvor die Chance, die Zuhörer so zu informieren, wie ICH es für richtig halte – und nicht irgendein übereifriger Redakteur.

NF: Liebe Zuhörer, sie haben auch heute wieder die Möglichkeit, uns während der Sendung anzurufen und ihre Meinung und ihre Fragen zum Thema loszuwerden. Unzensiert, unverblümt und unerschrocken! Bei mir zu Gast ist heute der gesuchte Massenmörder Bruno Weyrer. Wir spielen etwas Musik und unterhalten uns danach mit meinem Gast über seine Ansichten. Unsere Telefonnummer lautet 0222/55 33 88… und hier ist für sie Marilyn Manson mit Tainted Love.


Bruno stoppte die Aufnahme und setzte sich auf den wackeligen, weißen Stuhl, um sich eine Zigarette zu rollen.
Außer dem Stuhl bestand das Interieur seiner Zelle noch aus einem Eisentisch, der am Boden fest geschweißt war, einem ebenfalls fixierten Stahlrohrbett, einer Aluminiumwaschmuschel und einer Toilette ohne Brille, die hinter einem Paravent verborgen war. Das einzige Fenster befand sich in zirka zwei Metern Höhe und war durch dicke Eisenstäbe gesichert. Die Zellentüre hatte in Bauchnabelhöhe eine kleine Klappe, durch die Essen und Trinken gereicht wurden. Persönlichen Besitz hatteBruno ausser Tabak, Papier, dem CD-Spieler und seiner CD mit der aufgezeichneten Radiosendung keinen mehr.
Wozu auch? Er hatte sein Lebenswerk vollendet und war mit sich im Reinen. Ausser, dass er Marilyn Manson nicht leiden konnte – das war auch so einer…
Er spulte die CD mit dem schnellen Vorlauf auf sechs Minuten und zwölf und drückte die Play-Taste.

NF: Herr Weyrer…

BW: Bruno.

NF: Äh… Bruno… für die Zuhörer, die sich jetzt erst zugeschaltet haben – ihnen wird zur Last gelegt, für die größte Mordserie der zweiten Republik verantwortlich zu zeichnen. Sie streiten das auch mit keiner Silbe ab – allerdings würde uns alle brennend interessieren, was sie veranlasst hat, sechzehn Menschen des öffentlichen Lebens zu töten.

BW: Nun, vielleicht ist es für die Zuhörer leichter zu begreifen, wenn ich zuerst ein wenig von mir erzähle und danach erst auf die Ausgelöschten zu sprechen komme.

NF: Natürlich… bitte.

BW: Meine Eltern, eine Kindergärtnerin und ein Finanzbeamter, haben es mir an nichts fehlen lassen. Im Gegenteil – ich musste einen Wunsch nur halblaut denken und schon wurde er mir erfüllt. Angefangen von einem Rennrad über Zeitschriften, modische Kleidung,….

NF: Möglicherweise wollten ihre Eltern damals mit diesen materiellen Zuwendungen etwas kompensieren…?

BW: Paperlapapp… ich weiß, worauf sie anspielen, aber ich muss sie enttäuschen. Meine Eltern haben mich sehr wohl geliebt, das auch gezeigt und viel Zeit mit mir verbracht…
Und was das Klischee vom als Kind misshandelten Gewalttäter anbetrifft : Ich kann mich auch nur an eine einzige Ohrfeige aus meiner Kindheit entsinnen… und die habe ich, nach eigenem Ermessen, mehr als verdient.

NF: Wofür genau?

BW: Meine Eltern haben mir beigebracht, die Natur und alle ihre Geschöpfe zu pflegen und zu respektieren, wofür ich ihnen heute noch dankbar bin. Dennoch habe ich mich in einem pubertären Anfall von Unvernunft dazu hinreißen lassen, mit dem Luftdruckgewehr auf Enten zu schießen – aus purem Jux. Dabei habe ich zwei von ihnen getötet, was mein Vater mir sehr übel genommen hat. Nach der Ohrfeige hat er dann wochenlang nicht mit mir gesprochen und ich habe meine Lektion gelernt.

NF: Das klingt nun aber schon etwas seltsam – aus dem Mund eines Massenmörders…

BW: Aus dem Zusammenhang gerissen – vielleicht. Aber genau das ist der Grund, weshalb ich im Radio sprechen wollte… in ihrer Live-Sendung… und nicht in einem Zeitungsinterview. Im Übrigen gefällt mir die Bezeichnung Massenmörder in Bezug auf meine Person nicht besonders. Meinem Verständnis nach handelt der landläufige Massenmörder aus purer Lust am Töten oder möchte die Menschheit ganz allgemein für irgendetwas bestrafen… manche legen die Bibel oder ein anderes berühmtes Werk aus der Literatur einfach falsch aus oder missbrauchen deren Botschaften als Rechtfertigung… Auge um Auge, Zahn um Zahn wäre so ein Beispiel…

NF: Bei mir zu Gast in Night Lights ist heute Bruno Weyrer und wir haben auch schon die erste Anruferin, die Christine aus Klosterneuburg. Guten Abend, Christine.

CaK: Guten Abend… also ich bin da jetzt noch nicht dahinter gekommen, wo da der Unterschied zwischen ihnen, Bruno, und einem gewöhnlichen Massenmörder sein soll… immerhin haben sie achtzehn Menschen…

BW: Sechzehn, bitte…

CaK: Sechzehn, okay… umgebracht, darunter den Finanzminister und Barbara Karlich. Für mich, die noch keinen einzigen Menschen getötet hat, IST das schon eine ziemliche Masse.

NF: Nun, Bruno, ganz haltlos finde ich das Argument von der Christine ja nicht. Was sagen sie dazu?

BW: Also… Christine, wenn sie streng mathematische Betrachtungen zu Grund legen, hört sich die Zahl 16 nach einer Masse an. Bemühen wir allerdings als Grundlage die menschliche Moral, habe ich mit der Auslöschung dieser 16 Personen unserer Gesellschaft einen Gefallen getan…

CaK: Einen Gefallen?!

BW: Da muss ich wieder ein bisschen ausholen. Zum besseren Verständnis, Frau Christine, möchte ich nur kurz darauf hinweisen, dass die verschiedenen Gesellschaften – ob das nun ein westlicher Industriestaat oder eine tibetische Yakhirtengruppe ist – immer auf der Suche nach einer Leitfigur, einem Anführer oder einer Lichtgestalt sind. In jedem Kulturkreis unseres Planeten haben sich die Menschen ihren Messias gesucht, den einen Auserwählten, der sie leiten und führen … und, meinetwegen auch erlösen soll… Können sie mir bis hierher folgen?

NF: Ja.

CaK: …äh… ja?

BW: Der Auserwählte soll uns führen,… wie ein Licht im Dunkel, weil … wir womöglich auf unsere Errettung hoffen dürfen. Genau wissen wir es nicht, aber wir hoffen. Da haben die Christen ihren Jesus – keine Ahnung, ob die Bibel Recht hat, aber die Christen hoffen es.
Die Moslems haben ihren Propheten Mohammed – aber auch keine Ahnung, ob der eine Ahnung hatte… die Briten haben die Queen, die Punks Sid Vicious, die Pianisten Oscar Peterson , die Nazis Hitler , die Satanisten den Teufel,…

NF: Bruno, wollen sie Hitler und den Teufel allen Ernstes als Lichtgestalten bezeichnen?!

BW: Selbstverständlich! Millionen Menschen haben sich von Hitler ein Wunder erhofft. Er hat es ihnen ja auch versprochen… Und, obwohl wir heute wissen, dass er sie – gelinde gesagt – enttäuscht hat, gibt es immer noch Menschen, die ihm folgen…

CaK: Ja, aber was hat das mit den 16… ?

BW: Ganz einfach. Hitler, der Satan, Milosevic, Saddam, Charles Manson, der Kommunismus, Privatfernsehen und der Cola Light-Mann sind alles Lichtgestalten, … weil sie heller leuchten, als wir anderen… Lichter, die uns führen gewissermaßen…

NF: … nur manchmal in die falsche Richtung…?

BW: Nur manchmal in die falsche Richtung, genau!

CaK: …ts… Lichter, die uns führen, Lichter, die uns führen… Sind SIE womöglich auch so eine Lichtgestalt? Na, dann danke schön…

BW: Aber wo! Ich bin keine Lichtgestalt. Ich habe nur herausgefunden, dass manche unserer Leitfiguren in die falsche Richtung lenken, obwohl sie es besser wissen, und habe sie aufgehalten.

NF: Aufgehalten heißt umgebracht?

BW: Ein philosophisches Standardproblem: Könnten sie in der Zeit reisen, wie es ihnen passte, würden sie ins Wien von 1920 reisen und Adolf Hitler erschießen, weil sie wüssten, was er alles anrichten würde, bliebe er weiterhin am Leben?

CaK: …äh… pff…?

Äh und pff - genau. Bruno schaltete an dieser Stelle den CD-Player wieder ab, bereitete Tabak und Papier vor und drehte sich eine weitere Zigarette. Er hatte es sich erst in den letzten drei Wochen hier in der Anstalt angewöhnt, zu rauchen. Ein anderer Insasse hatte ihn darauf gebracht. Und, obwohl Bruno nach dem Genuss einer Zigarette stets einen Geschmack im Mund hatte, als hätte er eine getrocknete Kuhflade zerkaut, rauchte er von Tag zu Tag mehr.
Es war einfach himmlisch gut, den warmen Rauch zu inhalieren, die Augen zu schließen und so lange nicht auszuatmen, bis man allmählich merkte, wie die Nervenenden stumpf geworden waren.
Bruno zündete die Selbstgewuzelte an und ließ die CD weiterlaufen.

BW: … umgebracht erst als final solution, als endgültige Lösung des Problems – aber erst, nachdem ich alle friedlichen Möglichkeiten ausgeschöpft und ausprobiert hatte… die Chefin vom ORF, zum Beispiel, die Frau Lindner, hat auf kein einziges e-mail und auf keinen Brief von mir zurück geschrieben. Telefonate mit mir hat sie wochenlang kategorisch verweigert. Ich habe ihr nur erklären wollen, dass MILLIONEN Menschen ihr unbewusst folgen, indem sie das Programm ansehen, das SIE ausgewählt hat. Dass die Zuseher das auch glauben, was sie sehen. Folglich habe ich sie ersucht, nur zu senden, was hilfreich und wahr ist… im Interesse der Menschheit.

NF: Sie hat aber nicht auf sie gehört.

BW: Den Rest der Geschichte kennen sie ja…

CaK: Unglaublich… sie hat kein EINZIGES Mal geantwortet?

BW: Genau.

CaK: Und der H.C. Strache? Hat ihnen der auch nicht geantwortet?

BW: Im Gegenteil, er hat sogar ein paar Male zurück gemailt, seine Ansichten erläutert und sogar gemeint, man möge sich einmal auf ein Gespräch treffen… Das haben wir dann auch getan – und ich muss sagen, er war ein ausgesprochen angenehmer Gesprächspartner. Er tat sich zwar mit der Grammatik manchmal ein bisschen schwer, … aber äusserst angenehm…

NF: Dann kann ich nicht ganz nachvollziehen, warum auch er…

BW: Weil der Herr Strache mich im Laufe des Gespräches ins Vertrauen gezogen und sinngemäß behauptet hat: „Wir betreiben in Wirklichkeit pausenlos Schadensbegrenzung – ein großes Problem verstecken wir einfach hinter ein paar kleinen – so lange, bis alle es vergessen haben. Dann machen alle weiter, wie bisher und alle sind glücklich.“
Der Mann hat unverblümt zugegeben, seine Anhänger zu betrügen und kundgetan, das auch weiterhin tun zu wollen!

NF: …seine Fans in die falsche Richtung geführt…
Liebe Zuhörer sie sind live auf Night Lights, bei mir ist heute Abend Bruno Weyrer. Rufen sie uns an! 0222/55 33 88 ist unsere Nummer und hier kommen Tom Jones und The Art Of Noise mit Kiss.


Diesen Titel übersprang Bruno nicht. Er dämpfte seine Sebstgewuzelte am Fußboden aus, verschränkte die Arme auf dem Tisch und legte seinen Kopf darauf. „You don´t have to be rich to be my girl, you don´t have to be cool to rule my world…” summte er leise den Text des Liedes mit dem Tiger mit und freute sich, dass da einer zur Abwechslung einmal keine oberflächliche Beziehung besang. Egal, wer du bist – ob reich schön, groß, dick, gescheit oder nicht – ich will nur deine Zeit von und einen Kuss. Dann geht es uns allen besser.
Bruno fand, die Menschen sollten viel mehr küssen – die Welt wäre auf einen Schlag die Bestmögliche.
Bush küsst Osama – kein 9/11, kein Krieg gegen den Terror, Jörg Haider küsst Harry Stoijka – fünfsprachige Ortstafeln, der Papst küsst Gerry Keszler, Paris Hilton küsst Stephen Hawkings und Itchy küsst Scratchy.


NF: Wir haben einen neuen Anrufer in der Leitung. Es ist der Horst aus Rust am Neusiedlersee. Einen schönen guten Abend, Horst.

HaRN: Grüß sie.

NF: Horst, jetzt ist es gerade um die Fehlbarkeit und auch die Unaufrichtigkeit unserer Lichter gegangen. Monika Lindner, Strache, der Finanzminister, der Kärntner Landeschef und viele andere mussten deswegen ihr Leben lassen. Glauben sie, führt uns das in eine bessere Welt?

HaRN: Die Idee vom Bruno ist ja an und für sich nicht schlecht… wenn wer eine falsche Sau ist – gleich weg mit ihm. Das machen die Menschen doch schon immer so… oder überhaupt alle Verbrecher… wo sollen wir die alle unterbringen? NOCH ein teures Gefängnis bauen, wo wir sowieso zuwenig Beamte zur Bewachung haben? Nein, nein, … gleich WEG mit ihnen!

BW: Verzeihung, Horst. Ich glaube, sie haben mich missverstanden. Das Wort Verbrecher trifft ja bei Weitem nicht auf alle Inhaftierten zu. Viele der eingesperrten Straftäter haben gar kein Verbrechen begangen…manche hatten einfach Pech, … waren ungeschickt,… viele Verbrechen sind gar Unfälle, … man darf nicht alle Menschen in einen Topf werfen. Die wahren Verbrecher sind doch jene, die ein Verbrechen an der Menschheit – und auch noch vorsätzlich – begehen… Verführer sozusagen…Man kann doch auch einen Mörder nicht einfach nur an der einen Tat messen, man muß viel eher…

HaRN: …ist ja logisch, dass sie jetzt die Mörder in Schutz nehmen, wo sie doch selber…


Die einzige Stelle, die Bruno auf dieser CD partout nicht leiden konnte, war die , wo ihn dieser Vollidiot Horst aus Rust am Neusiedlersee versuchte, zu belehren. Er spulte weiter.
Diesen dummen Neonazi brauchte er wirklich nicht zu seinem Glück. Der hatte auch noch den Nerv gehabt, zu fragen, wer denn nach Brunos Meinung noch aller verdient hätte, zu sterben. So ein ignoranter Volltrottel.
Selbstverständlich niemand hatte es verdient zu sterben. Bruno hatte doch niemanden umgebracht, nur weil sich der als Arschloch herausgestellt hatte. Es war nie um die Person selbst gegangen, sondern um die missbrauchte Machtstellung derselben. Aber wie sollte man das diesem burgenländischen Kleingeist begreiflich machen, wenn es selbst ein Reinhard Fendrich nicht begriffen hatte. Seine Drogengeschichten – na gut, das war im Musikermillieu einfach so. Das wusste man allgemein und die meisten Künstler waren obendrein nicht so dumm, ihren Drogenkonsum öffentlich zu machen. Wem sollte denn das nützen?
Fendrichs Scheidung hatte schon niemanden interessiert, seine letzten Alben ebenso wenig. Wen bitte kümmerte es denn da noch, dass er das letzte Vierteljahrhundert Gras zum Einschlafen und Koks zum Wachwerden brauchte? Der Mann war Musiker und sollte gefälligst Musik machen, denn dafür wurde er ja auch bezahlt. Punkt.
Bruno ärgerte sich nun über Fendrich, denn dessen Auslöschung wäre vermutlich noch am Ehesten zu vermeiden gewesen, wenn der ein kleines bisschen mehr Einsicht gezeigt hätte…
Play.


NF: … bedanken wir uns bei dem Anrufer Horst aus Rust am Neusiedlersee und haben einen weiteren Zuhörer in der Leitung… hallo, wer ist dran?

LuST: …mhm…

NF: Hallo, hier ist Night Lights – mit wem spreche ich?

LuST: Da ist der Lukas.

NF: Hallo Lukas, woher kommst du denn?

LuST: Aus der Steiermark.

NF: Du klingst noch sehr jung. Wie alt bist du denn?

LuST: …acht… einhalb.

NF: Fein, Lukas. Rufst du alleine an, oder gemeinsam mit deinem Papa oder wem anderen?

LuST: Alleine. Von meinem Handy.

NF: Sehr gut. Lukas, was möchtest du denn von meinem Gast Bruno wissen?

LuST: Ich will wissen, ob ihm das Spaß gemacht hat, die vielen Leute umzubringen.

NF: Bruno, hat es ihnen denn Spaß gemacht?

BW: Aber Gott bewahre! NATÜRLICH nicht. Es war IMMER nur Pflicht, aber niemals, NIE, ein Vergnügen. Wem, bitte, macht es denn schon Freude, zu töten? Ich meine, welchem vernünftigen und normalen Menschen?

LuST: SIND sie normal?

BW: Genauso normal wie du und wahrscheinlich deine Eltern,… unser Bundespräsident und die meisten anderen auch.

LuST: Mein Papa hat gesagt, sie sind nicht normal, weil sie so viele Leute umgebracht haben… und sie gehören in ein Kazett, weil sie geistesgestört sind… und dort werden sie verglast mit den ganzen anderen Mongos, sagt der Papa…

NF: WIE bitte?

LuST: Verglast!

BW: Weißt du denn, was das ist, ein KZ?

LuST: Ein Gefängnis… für Volltrottel? …Sagt der Papa…

NF: Lukas, ist dein Papa vielleicht in der Nähe vom Telefon? Vielleicht möchte er ja auch mit uns reden…

LuST: …äh… das geht aber nicht…

NF: Ist er denn nicht zu Hause?

LuST: … doch…

BW: Ich traue mich zu wetten, dass du uns heimlich angerufen hast. Stimmt das zufällig, Lukas?

LuST: … nein… ein bisschen… der Papa darf das nicht wissen, dass ich da angerufen habe, weil … sonst kriege ich wieder … eine Wat … eine W-A-T-S-C-H-E-N…

NF: Eine was? Eine Watschen?

LuST: W-A-T-S-C-H-E-N … ja, weil er dann wieder böse wird … und dann schmeisst er die Flasche wieder herum… und dann liegen überall die Scherben…

BW: …

NF: …

LuST: …und dann bin ich wieder schuld, … wenn die Mama…huh…

BW: Die Mama, … was macht denn die, wenn dein Papa…

LuST: Die kriegt dann auch ihre W-A-T…

NF: Lukas, wieso glaubst du denn, dass ausgerechnet DU Schuld hast an diesen schrecklichen…

LuST: Die Mama ist nämlich nicht so stark wie der Papa. Letztens hat die Mama zum Arzt müssen, aber der Papa hat sie nicht gelassen, wegen dem blauen Auge, weil, was sagen sonst die Nachbarn, hat der Papa gesagt… das wird schon wieder, hat er dann geschrien…

NF: Äh… pfff… was… äh … macht denn dein Papa beruflich? Was arbeitet denn der Papa?

LuST: Weiss ich nicht, aber der ist fast immer daheim, weil er hat letztens gesagt… ui,… ich muss aufhören, da kommt…

NF: Lukas?... Lukas, bist du noch da?... Lukas!


Bruno stoppte die CD wiederum, zündete sich die nächste Zigarette an und betrachtete schweigend die weiß gekalkte Wand seiner Zelle. Von Anfang an hatte er nicht unbedingt das größte Vertrauen zu Nora Frey gehabt – was sollte man schon von einer Radiosprecherin halten, die Heinz Prüller geheiratet hatte und gelegentlich in Bierzelten eine Tombola moderierte…
Aber Bruno hatte die Frau schwer unterschätzt.
Statt ihn, wie abgemacht, nach der Live-Sendung den Behörden zu übergeben, hatte sie maßgeblich dazu beigetragen, dass Bruno seinen siebzehnten Auftrag noch erfüllen hatte können, bevor man ihn inhaftiert hatte. Sie hatte ihm die Telefonnummer vom kleinen Lukas aus der Steiermark verraten. Dumm, dass sie deswegen nun ein Gebäude weiter in Untersuchungshaft saß …
Aber zum Wohle des großen Ganzen musste man einfach ein paar Opfer bringen – so, wie ein paar Jahre Gefängnis, oder ein Leben, beispielsweise.


Bruno paffte an seiner Zigarette, sah durch das vergitterte Fenster in die Mittagssonne hinaus und wartete auf sein Essen, das jeden Moment durch die Klappe seiner Zellentüre geschoben werden musste. Leberkäse mit Spinat und Rösterdäpfeln hieß der Fraß heute, schmeckte aber vermutlich genau gleich, wie die Augsburger mit Kochsalat vom Montag und die Knödel mit Ei von gestern – nach Unverstand und Heuchelei.
Bruno beschloss, sich den Rest der Aufnahme des Interviews zu schenken und stattdessen nach dem Mittagessen einen Brief an Lukas aus der Steiermark zu schreiben. Und einen an seine Freundin Nora, in dem er ihr genau erklären würde, warum er heute, hier in seiner Zelle, die er alleine bewohnte und die nie jemand betrat, sein achtzehntes Licht löschen würde.
Andy Warhol hatte nicht ganz Recht behalten – Bruno Weyrer hatte wesentlich mehr als fünfzehn Minuten gehabt.


















ENDE


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scheerzeit

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Dragonfly *deleted* Moment mal.... - Warum habe ich eigentlich den Eindruck, ich hätte all das schon einmal gelesen!
Gehe ich falsch in der Annahme, das dieser Text schon einmal veröffentlicht wurde?
Gruss Stefan
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Micha2071 Lichter - Ja ganz toll, aber das sagte ich dir ja schon als Gastautor.
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