Kurzgeschichte
Que Sera?

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"Que Sera?"
Veröffentlicht am 07. April 2007, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Que Sera?

Que Sera?

„Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, oder?“, raunte mir der Bassist leicht angesäuert quer über die Bühne zu, während der Drummer nur verständnislos den leicht gesenkten Kopf schüttelte und anschließend sein Bierglas in einem Zug leerte. Dem Saxofonisten war die herauf dräuende Diskussion vor Publikum hingegen völlig gleichgültig – er spielte, stets ohne eine Miene zu verziehen, was von ihm gewünscht wurde, denn er war auf der Bühne, um mit Arbeit Geld zu verdienen.
Und Arbeit MACHTE eben nicht immer Spaß – mein Gott…

Ich schickte, ob des Missmuts meiner Mitmusiker ein wenig verunsichert, einen flehentlich fragenden Blick in Richtung des Konzertveranstalters, der am anderen Ende des Zeltes mit einem Viertelliter grünen Veltliners innig zugange war und wurde nicht einmal ignoriert.
Allesamt studierte Jazzmusiker hatten wir uns nicht darum gerissen, diesen Gig zu bestreiten, aber die Kontostände von uns vieren hielten uns die Notwendigkeit dieses Auftrittes im Bierzelt von Klein-Hiermöchtichnichtwohnen-Nichteinmaldurchfahrenmüssen am Walde drastisch vor Augen. Wenn wir unsere Kassen zusammenlegten, konnten wir vielleicht gerade noch die fragwürdige Dorfschönheit an der Bar auf ein Cola-Rot einladen.
„Doch, das IST mein Ernst!“, zischte ich grimmig zurück und bedeutete dem Schlagzeuger, das ungeliebte Lied einzuzählen.Er bedachte mich mit einem unwilligen Gesichtsausdruck, tat aber schließlich doch seine Arbeit: „One-two-three, Two-two-three…“

Doris Day hatte dieses Lied schon nicht leiden können und es trotzdem ihr ganzes Leben lang singen müssen. Ich konnte mir richtiggehend ausmalen, wie sie am Rednerpult der Oscarverleihung stand, sich unter Tränen bei ihrer Familie, ihrem Regisseur und ihrem Produzenten bedanken wollte und vom Publikum mit Que-Se-Ra-Que-Se-Ra-Sprechchören daran gehindert wurde - sie durfte erst von der Bühne, wenn sie ZUMINDEST eine Strophe dargeboten hatte.

Ja, Publikum kann grausam sein.

In unserem Fall äußerte sich die Grausamkeit in einem 50 Euro-Schein, der alle fünfzehn Minuten von einem siebzigjährigen Feuerwehrmann ohne Zähne, aber mit einem Mordstrumrausch auf die Bühne geworfen wurde, begleitet von Worten, die wohl etwas Ähnliches bedeuten sollten, wie: „Schpüüts as no AMOI… no A ANZIX MOI… fia mi!“
Nun sind fünfzig Euro prinzipiell gar nichts Schlechtes – konkret 12,50 EUR pro Musiker, im Viertelstundentakt – nur, ob diese paar Netsch uns Musikschaffende für das Trauma, einen ganzen Abend lang beinahe ausschließlich Que Sera gespielt zu haben, tatsächlich ausreichend entschädigte, darf bezweifelt werden. Ganz zu schweigen, von dem Imageschaden, den wir erlitten – für alle anderen Zuhörer AUSSER dem spendablen Bsuff musste ja der Eindruck entstehen, unser Repertoire wäre äußerst bescheiden, wenn nicht gar unter dem Hund.
Mindestens einmal im Leben stellt sich jeder Berufsmusiker die Frage, wozu seit Bestehen der tonalen Musik dermaßen viele Liedtitel geschrieben wurden – im Bierzelt und auf Ö3 käme man locker mit immer den gleichen zwanzig Songs aus. Die paar Freaks, die auf Oscar Peterson oder Claude Debussy standen, sollten sich ihre Musik gefälligst selbst ausdenken – oder nach Möglichkeit ertauben.
„Nicht unfair sein!“, ermahnte ich mich während dieser Gedanken, immer noch im Dreivierteltakt schunkelnd, jede Situation erforderte eben die passende Geräuschkulisse.

Nach Doris Day, der Achten, entschieden wir, Pause zu machen, um weiteren Folterattacken des Feuerwehrmannes zu entgehen, und flüchteten vor unserer eigenen Musik an die Schnapsbar im Nebenzelt. Um dem Ruf des Trinkers, der jedem Musiker sowieso vorauseilte, gerecht zu werden, bestellten wir uns eine Runde Marillenschnaps. Sollte die nicht ausreichen, uns Trost, Kraft und Würde zu spenden, würde eben eine weitere folgen – trinkt sich ja leicht, so ein Fruchtsaft…
Als wir uns soeben dazu aufgerafft hatten, die uns aufgetragene Bürde der Bierzeltbeschallung fortzusetzen, erblickten wir, keine fünf Meter von uns entfernt und umringt von überwutzelten Feuerwehrehefrauen, unseren Peiniger mit dem üblen Musikgeschmack. Allem Anschein nach befand er sich schon seit geraumer Zeit hier im Schnapszelt und hatte – eiligst angestellten Recherchen unsererseits zufolge – zumindest das achte Que Sera nicht mitbekommen, da man die Musik vom Hauptzelt hier gar nicht hören konnte. Zwar wussten wir noch von früheren derartigen Veranstaltungen, dass es über die Maßen gefährlich sein konnte, ungefragt mit den Ortsansässigen in mündlichen Kontakt zu treten, ohne dass uns ein Bühnenrand vor ihnen schützte, – überhaupt, wenn Alkohol im Spiel war – dennoch ließen wir es uns nicht nehmen, den Feuerwehrmann nach dem Grund für sein seltsames und kostspieliges Verhalten zu fragen.
„Des woar goar net fia mi, des Liadl“, sagte er in gepflegtestem Veltlinerisch - das wir nur deshalb verstehen konnten, weil wir einst in Wien beim Heurigen mit Götz Kaufmann einen Crashkurs in dieser gar nicht so seltenen Sprache belegt hatten – und fuhr erklärend fort:
„Des woar fia mei Ex-Oide!!“
Fälschlicherweise nahmen wir nun an, er würde immer noch so sehr an seiner ehemaligen Frau hängen, dass ihn das Lied von Doris Day stets ihrer gedenken ließ und ihm ein paar schöne Erinnerungen an gemeinsame Stunden bescherte – aber da hatten wir uns gründlich getäuscht.
„I scheiß jo auf de schwindliche Scheibm, owa de Ex is heit mit ian Neichn do und de zwaa megn des no vüü wenicha, wiar i….“, wurde der Mann nun konkreter in seinen Ausführungen, „… i woit afoch, dass se de zwaa uandlich äagan!“

Es war ja zuvor schon schlimm genug gewesen, seichte Unterhaltung für Menschen zu machen, die diese liebten, aber als bezahltes Ärgernis gehandelt zu werden, hatte uns an diesem Abend den letzten Rest von Stolz und Würde genommen. Der Schlagzeuger verkaufte noch in der selben Nacht seine Trommeln an den Höchstbietenden ( EUR 26,40 ), der Bassist nahm sich auf dem Heimweg das Leben – und meine Wenigkeit tauschte sein Piano über ebay gegen zwei Flaschen Jamaika-Rum und wechselte zur schreibenden Zunft.

Der Saxofonist hingegen soll augenblicklich seine Gagenforderungen verdoppelt und ihn Schmerzensgeldforderungen umbenannt haben - er gilt heute als einer der bestbezahlten Musiker Europas.
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