Romane & Erzählungen
Nur eine Reitstunde - 1. Ebene

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"Ein und diesselbe Geschichte von 5 verschiedenen Ebenen aus erzählt"
Veröffentlicht am 15. Juli 2014, 18 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Ein und diesselbe Geschichte von 5 verschiedenen Ebenen aus erzählt

Nur eine Reitstunde - 1. Ebene

NUR EINE REITSTUNDE

Sie hatte sich ein neues Pferd gekauft und wollte das Reitabzeichen machen.

Bis dahin war alles klar und einfach. Genau da hörte es aber auch sofort auf klar und einfach zu sein.

Das neue Pferd und das Reitabzeichen hatten nämlich eine Vorgeschichte, - eine Liebesgeschichte.

Sie hatte ihn vor fünf Jahren kennen gelernt, als sie ihre Tochter zum Voltigieren angemeldet hatte. Sie hatte ihn gesehen, war beeindruckt gewesen

und hatte auch gleich gewusst, dass sie sich von diesem Mann fernhalten musste. Er war entschieden zu gefährlich für sie.

Sie hatte ihn noch einmal getroffen - Monate später. Einem Reitschüler war das Pferd weggelaufen und kam aus dem Stall getrottet. Sie und der Mann hatten sich im selben Moment in Bewegung gesetzt, um dem Pferd nachzulaufen und ein Unglück zu verhindern. Sie waren im Gleichschritt nebeneinander hergegangen, hatten dasselbe gedacht, hatten dieselbe Energie ausgestrahlt und gleichzeitig bemerkt, dass das Pferd nur auf die Koppel laufen würde. Da hatte sie zu ihm

gesagt: „Na, der Fritz weiß auch, wo es schön ist!“ Und dann hatte sie sofort die Flucht ergriffen. Er war zu gefährlich für sie!

Sie hatte ihn wieder vergessen und die Zwischenzeit mit einem anderen Mann verbracht, aber Partnerschaften waren nicht ihr Erfolgsthema. Sie hatte es noch nie geschafft, einigermaßen erträglich mit einem Mann zusammenzuleben. Das wusste sie und sie hatte auch akzeptiert, dass sie es wohl nicht mehr schaffen würde. Eine lose Beziehung mit viel Distanz, das traute sie sich noch zu, zu mehr würde sie nicht fähig sein.

Dann traf sie ihn wieder. Sie wollte ihrer

Tochter Reitstunden zu Weihnachten schenken. Sie stand im Hallentor und sah ihn ein Pferd longieren. Sie wollte sofort wieder die Flucht ergreifen, aber der Reitlehrer ließ sie nicht gehen und dann war es schon zu spät. Er übergab das Pferd dem Stallknecht, um ihr einen Gutschein für Reitstunden auszustellen und sie hatte schon angefangen ihn zu lieben.

Im Februar, als es wärmer geworden war, wollte ihre Tochter die Reitstunden einlösen und sie sah ihn öfter. Sie suchte dann auch Gelegenheiten ihn zu treffen, besuchte ihn unangemeldet und hatte einige sehr anregende Gespräche mit ihm.

Einmal saß sie vor seiner Reithalle und beobachtete ihn bei der Arbeit. Sie saß in seinem Stuhl und vertiefte sich in ihre Gefühle. Sie versuchte herauszufinden, was geschehen würde, wenn sie versuchen würde ganz gesund zu werden, um mit diesem Mann zusammenleben zu können. Sie diskutierte mit ihren Göttern, ob sie diesen Weg auf sich nehmen sollte, ob sie es schaffen könnte, ob sie sich das wirklich antun sollte. Die Götter waren geteilter Meinung gewesen. Sie hatten gemeint, dass sie es schaffen könnte gesund zu werden, sie waren auch der Meinung gewesen, dass sie es nicht wegen diesem Mann tun sollte, weil er es

nicht schaffen würde. Sie war dagesessen, hatte ihre Liebe gespürt und den Mann angesehen. Dann hatte sie beschlossen, dass es den Versuch wert war, und sich sofort bei ihm zu einem Besuch angekündigt. Am Samstag würde sie vorbeikommen, hatte sie gesagt und er hatte genickt.

Schon als sie auf seinen Hof kam, hatte sie gewusst, dass es ein furchtbarer Tag werden würde. Es waren viele Leute herumgestanden und hatten auf ihn gewartet. Sie hatte sich das eine Weile angesehen und war wieder gegangen. Zitternd war sie durch den Wald zum Fluss gelaufen und hatte gebetet. „Bitte,

helft mir!“, hatte sie gebetet, „Bitte helft mir, allein schaffe ich es nicht. Ich habe viel zu viel Angst und ich bin viel zu schwach.“

Er war sehr abweisend zu ihr gewesen, an diesem Samstag. Er hatte sich steif gemacht und sie schräg angeredet. Freunde von ihm waren auch da gewesen. Sie hatten miteinander

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gescherzt und viel gelacht. Am Abend hatte er dann mit seinen Freunden die

Küche verlassen und sie kommentarlos sitzen lassen. „Komm, Antje, gehen wir.“, hatte er zu einer von ihnen gesagt und sie waren verschwunden.

Sie war noch eine Weile sitzen geblieben. „Na, das war es dann wohl.“, hatte sie gedacht und war nachhause gegangen, um der Trauer über eine verlorene Liebe Platz zu machen. Sie hatte die ganze Nacht geheult. Als der Schmerz über ihr Unglück kam, hatte sie die Götter gebeten, sie festzuhalten. Sie wollte sich nicht umbringen, wegen diesem Mann und wegen einer verlorenen Liebe. Sie hatte ihm noch einen Brief geschrieben und war dann erschöpft eingeschlafen.

Am nächsten Tag machte sie mit ihrem Pferd einen Spaziergang, versuchte mit einer Freundin nicht darüber zu reden, was passiert war, und fing an sich zu erholen. Am Abend merkte sie, dass sie ihn noch immer liebte. Sie rief ihn an und bat ihn, den Brief ungelesen wegzuwerfen.

Es dauerte sechs Wochen, bis sie von diesem Teil ihrer Krankheit genesen war. In diesen sechs Wochen besuchte sie ihn selten.

Dann beschloss sie Reitstunden bei ihm zunehmen. Einmal in der Woche ritt sie bei ihm, ging nach Hause, beweinte ihren Kummer und ihr Unglück und fing an sich auf nächste Woche zu freuen. Es

vergingen Monate. Sie hatte seine Freundin kennen gelernt, sie hatten aufgehört miteinander zu reden, er hatte ihr ihren Platz genommen und sie fing an sich bei ihm unwohl zu fühlen. Jedes Mal, wenn sie bei ihm gewesen war, hoffte sie, sie hätte endlich den Punkt erreicht, an dem sie aufhören konnte, ihn zu lieben. Jedes Mal musste sie feststellen, dass es noch nicht soweit war.

An Weihnachten warf er sie raus. Sie war erleichtert gewesen und hatte gedacht, jetzt sei endlich alles vorbei. Sie nahm in einer anderen Reitschule Stunden, hatte ihr Pferd weit von ihm weggebracht und versuchte jeden

Kontakt zu ihm abzubrechen. Sie hatte gehofft, dass die Liebe sterben würde, wenn sie ihn nicht mehr sah. Aber die Liebe lebte weiter.

Im März verkaufte ein Freund von ihr sein Pferd. Sie hatte das Pferd schon lang bewundert und beschloss es zu kaufen. Das Pferd stand bei dem Reitlehrer auf dem Hof. Es war sehr kalt und sie konnte es nicht gleich umziehen. Sie ergab sich in ihr Schicksal und wollte es bei ihm stehen lassen. Er wollte sie nicht. Er wollte ihr auch das Pferd nicht überlassen. Es sei zu kalt, das Pferd sei krank, sie sei nicht die richtige Reiterin für das Pferd,... Nach zwei Wochen zwang sie

den Freund, ihr das Pferd zu geben, und sie brachte es weit weg von dem Reitlehrer.

Als sie das Pferd ritt, begann sie daran zu zweifeln, ob er wirklich der tolle Pferdemann sei, den sie immer in ihm gesehen hatte. Dem Pferd ging es sehr schlecht, dem Pferd ging es wie ihr. Wieder hoffte sie, dass das nun endlich der Todesstoß für ihre Liebe sei, und wieder täuschte sie sich. Sie liebte ihn immer noch. Mittlerweile war sie auch etwas stolz darauf, dass sie so lieben konnte.

Sie merkte, dass sie mit dem Pferd gut zurecht kam und wollte auf Turniere mit ihm gehen. Dafür brauchte sie das

Reitabzeichen.

Sie ging mit einer Freundin zu ihm und fragte, ob sie das Reitabzeichen bei ihm machen könnte. Er sagte es ihr zu und lud sie zu einer Springstunde ein. Sie war keine erfahrene Springerin und auch ihr Pferd hatte wenig Übung. Aber das, was sie bei den Reitstunden in der anderen Reitschule gelernt hatte, sollte für das Reitabzeichen leicht ausreichen. Sie sagte also zu und fuhr mit ihrem Pferd zu ihm. Ihr Pferd arbeitete engagiert mit ihr zusammen und sie sprangen ganz passabel. Nach der Reitstunde sagte er ihr, dass sie nicht gut genug seien. Das erste Mal, seit sie sich kennen gelernt hatten, widersprach

sie ihm und er warf sie wieder

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raus. Jetzt war für sie klar, dass er ein schlechter Reitlehrer war. Sie nahm ihr Pferd und fuhr wieder nach Hause.

Sie liebt ihn noch immer. Sie braucht ihn nicht, da ist nichts mehr an ihm, was sie bewundert. Wenn sie ihn zufällig auf der Straße trifft, ist sie noch immer beeindruckt. Sie hat keine Angst mehr und wenn sie ihn sieht, hat

sie nicht mehr das Gefühl, dass sie fliehen sollte. Die Gefahr, die von ihm ausgeht, hat sie besiegt. Und wenn sie ihn getroffen hat und nach Hause kommt, geht das Leben einfach weiter, da sind keine Tränen mehr, kein Kummer und kein Unglück.

Nur manchmal fragt sie sich, was sie falsch gemacht hat, dass diese ganze Angelegenheit so verlaufen ist und nicht wenigstens ein bisschen verträglicher.

Die Götter sagen, dass sie gesund ist. Es hilft ihr nur nichts mehr.

Die Götter sagen, dass sie bereit wäre für eine Beziehung. Da ist nur kein Mann, der sie interessieren würde.

Vielleicht ist das alles nur geschehen, um

sie davon zu überzeugen, dass es besser für sie ist, ohne Mann zu leben.

Vielleicht ist das alles auch nur geschehen, um sie darüber hinweg zu täuschen, dass sie tatsächlich niemals gesund werden kann.

Was die Wahrheit ist, wird sie wohl erst erfahren, wenn er es schafft, mit ihr zusammen zu leben.

Also nie.

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