Romane & Erzählungen
Unbeschützte Kinder - 2. Kapitel

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"Geschichten von der anderen Seite der Gesellschaft"
Veröffentlicht am 09. Juli 2014, 12 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Geschichten von der anderen Seite der Gesellschaft

Unbeschützte Kinder - 2. Kapitel

2.Kapitel

Da fällt mir was ein.

Kennt ihr Nathalie K.? Ich kenne sie nicht persönlich, aber ich kenne einen Teil ihrer Geschichte aus der Presse..

Glaubt ihr wirklich, es ist komisch, dass sie es dann mit 17 endlich schafft, ihrem Folterer zu entkommen?

Das ist nicht komisch. Der Blödmann hat wahrscheinlich gar nicht gemerkt, dass sie ihn nicht mehr interessiert, weil sie zu alt geworden ist. Die „kindliche Unschuld“ war verbraucht und dann hat er in seiner Aufmerksamkeit, in seinem unbedingten Wollen sie zu behalten, nachgelassen,

was ihr die Möglichkeit gegeben hat zu entkommen. Und tapfer wie sie ist, hat sie es auch prompt gemacht.

Aber auch Nathalie K. ist dann sofort auf der anderen Seite der Gesellschaft gelandet.

Lese ich doch letztens in der Zeitung, dass ihr Vater nicht glaubt, dass sie gezwungenermaßen bei ihrem Vergewaltiger geblieben ist. Er glaubt, sie ist freiwillig bei ihm geblieben.

Wie muss man drauf sein, um zu glauben, dass jemand, noch dazu die eigene Tochter, sich freiwillig, jahrelang

in einem Kellerloch einsperren lässt, völlig isoliert, ohne Kontakt zu unbeteiligten Menschen, ohne Frischluft, ohne Grün, ohne die Freiheit zu tun und zu lassen, was man lustig ist, ohne die Möglichkeit sich zu wehren, selbst zu entscheiden, selbst zu handeln?

Dieser Mann hat es nicht geschafft seine Tochter davor zu beschützen, dass sie entführt, missbraucht und eingesperrt wird.

Und um das wieder gut zu machen, glaubt er, dass das ihre eigene Entscheidung war.

Anstatt sich in Grund und Boden zu schämen, weil er zugelassen hat, dass seine Tochter so etwas erleben muss, gibt er ihr die Schuld daran.

Bevor er jetzt endlich seinen Job übernimmt und anfängt seine Tochter zu beschützen, liefert er sie der Öffentlichkeit aus und diffamiert sie.

Willkommen auf der anderen Seite der Gesellschaft.

So ist das hier üblich, das ist hier normal. Wer hier lebt, muss das aushalten oder sterben.

Ach, jetzt habe ich mich ablenken lassen. Zurück zu meinem Mann...

Das einzige, das ich von ihm gebraucht hätte, wäre Schutz gewesen.

Er hätte mich durch Ehrlichkeit seiner Freundin gegenüber schützen können, oder durch ein ehrliches Gespräch mit mir, oder durch das Recht des Chefs.

„Lasst sie in Ruhe, weil ich es will!“

Aber nein, er hat mich bloß gestellt, um sich zu beschützen. Er hat mich geopfert, um selbst keinen Ärger zu bekommen mit seiner Freundin.

Halt mal, das kommt mir doch irgendwie bekannt vor. Habe ich das nicht schon mal erlebt?

Ach ja, richtig! Mein Vater....

Wenn man von den eigenen Eltern nicht beschützt wird, werden es andere schwer haben das zu tun. Und dann wird man ein unbeschütztes Kind und landet auf der anderen Seite der Gesellschaft.

Das mich das wütend und traurig macht, ist Euch bestimmt schon aufgefallen.

Es ist aber auch schwer zu verstehen, dass etwas, das man nicht selbst verschuldet hat, das als Tatsache allein das Leben schon schwer genug macht, von den Normalos als Grund dafür benutzt wird, einem das Leben noch schwerer zu machen.

Und es ist noch schwerer zu akzeptieren,

dass man diesem erweiterten Missbrauch genauso wenig entkommen kann, wie dem eigentlichen. Noch dazu gibt es für die Normalos keinen Grund an sich zu zweifeln, ihr eigenes Handeln zu überprüfen, sich schuldig zu fühlen.

Meinem Vater kann ich sagen, du bist schuld, du darfst das nicht. Er muss mich dann schon halb tot prügeln, um mich zum Schweigen zu bringen und zu verhindern, dass er bestraft wird. Aber er kann die Wahrheit darin nicht ändern.

Er kann nur nicht sagen, ich bin Schuld an ihrem Unglück, weil er damit zugeben würde, dass ER etwas falsch gemacht hat.

Die Normalos können einfach sagen, das geht mich nichts an. Da bist Du schuld dran.

Der Mann sagt, du bist selbst Schuld, dass ich Dich rausgeworfen habe. Du hättest Dich halt nicht in mich verlieben dürfen.

Er sagt nicht, ich trage Mitverantwortung, denn ich habe Dich dazu eingeladen, Dich in mich zu verlieben.

Er sagt, du bist selbst Schuld, dass ich dich mobben und ausgrenzen muss. Das ich Dich schlecht machen und verleumden muss.

Versteht ihr, was da mit mir passiert?

Als Kind meiner Eltern war ich dem Missbrauch ausgesetzt, ohne mich wehren zu können, aber mit dem sicheren Bewusstsein, das es falsch ist und nur nicht bestraft wird, weil ich keine Möglichkeit finde, aus diesem Missbrauch heraus zu kommen, und ihn öffentlich zu machen - außer ich riskiere Mord und Totschlag.  Und das meine ich nicht als Floskel.

Als Unbeschütztes Kind bin dem Missbrauch genauso ausgesetzt und er ist genauso falsch und gehört genauso bestraft.

Aber jetzt bin ich auf der anderen Seite der Gesellschaft und deshalb bin ich jetzt selbst schuld.

Ich habe nicht darum gebeten, hierher zu kommen, meine Herrschaften!

Nun der Missbrauch heißt nicht mehr sexueller Missbrauch. Wenn ich genau bin, muss ich zugeben, dass ich keinen Namen dafür kenne.

Aber es fühlt sich dort, wo man ihn fühlen kann, genauso an.

Vielleicht finde ich noch einen Namen dafür.

Es fällt Euch wahrscheinlich schwer zu

verstehen, was ich genau meine. Ich kann Euch ja noch so ein paar Erlebnisse von hier erzählen, vielleicht wird es dann einfacher für Euch.

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angie171921
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