Beschreibung
Wie werden bösen Jungs gemacht, wenn nicht in einer finstren Nacht ? _______ Ich empfehle, den Text in der Reihenfolge zu lesen.
Titelbild: Gilbert G. Groud
unter der Creative-Commons-Lizenz.
Kapitel vier : Interkulturelle Gedanken
Der Mann auf dem Feldbett hatte fast achtzehn Stunden geschlafen, einen flachen, traumlosen Schlaf, wie er ihn seit seiner Legionärszeit gewohnt war. Es war noch vor Sonnenaufgang, nur die unermüdlichsten Frühaufsteher innerhalb der lokalen Sperlingscommunity gaben bereits zaghafte Ansätze ihrer Sangeskunst zu Gehör. Mit einer einzigen schwungvollen Bewegung stand der Mann auf. Obwohl er dabei kaum ein Geräusch gemacht haben konnte, hörte er den Koreaner, der im vorderen Zimmer schlief, kurz schnauben und grunzen. Er war das schon von ihm gewohnt und deutete dies als sicheres Zeichen, dass er nun ins Bad gehen konnte, ohne eine überraschende Attacke seines Teamgefährten erwarten zu müssen. Der Koreaner war ihm von Anfang an zutiefst unsympathisch gewesen, aber sie waren beide Profis und wussten genau, wie wichtig der Beitrag des anderen für eine erfolgreiche Durchführung des Auftrags war. Er ließ etwas Wasser in das Handwaschbecken laufen, wusch sich, schaltete seine Taschenlampe ein und begann mit einer gründlichen Nassrasur.
Sein Gedanken schweiften weit über den Ozean, bis in die unendlichen Wälder seiner kanadischen Heimat, die er ganz sicher wiedersehen würde, wenn dieser Job erledigt war. Heimat, dieses Wort. Für seine in den fünfziger Jahren aus Deutschland eingewanderten Eltern war es stets ein besonderes, ja fast ein heiliges Wort gewesen. Besonders Mutter hatte immer nur mit leichtem Glanz in den Augen von der Heimat gesprochen, während der Vater mit aller Gewalt die deutschen Tugenden auf den einzigen Sohn zu prägen suchte und es dabei vor allem an der Gründlichkeit nicht mangeln ließ. Der Mann streifte das Rasiermesser am Beckenrand ab und musste unwillkürlich lächeln, als er an den tödlichen Unfall beim Baumfällen dachte, damals, als er mit seinem Vater ganz allein in den Wäldern war. Später war er von der Army nicht zuletzt wegen seiner Sprachkenntnisse nach Lahr im Schwarzwald versetzt worden. Ihm wurde recht schnell klar, dort seine sehr klaren Vorstellungen von effektivem Kriegshandwerk nicht verwirklichen zu können und so ging er nach seinem Wehrdienst zur Legion. Anschließend folgten verschiedene Einsätze mit einer südafrikanischen Privatarmee und seit einigen Jahren war er nur noch für seine jetzigen Auftrageber tätig. Und dieser Job, das hatte er unmissverständlich klar gestellt, würde sein letzter sein.
Zufrieden mit dem Ergebnis der Rasur, reinigte er das Messer und spülte das Becken aus. Zeit fürs Frühstück.
Der Koreaner schlief immer noch, und während er die Treppe hinunter stieg, dachte er kurz an jenes dubiose Restaurant in Manchester, das der Koreaner ganz sicher als erstes aufsuchen würde, wenn alles erledigt war. Einmal war er selbst dort gewesen, als sie das Team zusammenstellten. Ein Speiselokal der ganz besonderen Art, ausschließlich Stammkunden, von allen Katzen und streunenden Hunden der Nachbarschaft schon aus reinem Selbsterhaltungstrieb gemieden. Der Kanadier öffnete eine Büchse Dosenfleisch, nahm eine Packung Pumpernickel, ein kleines Glas Gewürzgurken und eine Flasche Orangensaft aus dem Küchenschrank und bereitete seine Mahlzeit.
Als der andere Mann aufwachte, war der Kanadier gerade nach draußen gegangen, um sein aus zahlreichen Liegestützen,Situps und Pushups bestehendes Training zu verrichten. Eigentlich war er gar kein Koreaner, sondern als Sohn eines Lao und einer Chinesin in einem kleinen Fischerdorf am Tonle-Sap-See in der kambodschanischen Provinz Siem Reap geboren. Seine Eltern waren bei der Evakuierung Battambangs von den Roten Khmer getötet worden, als er gerade elf Jahre alt war. Die Tante einer Nachbarin nahm sich des Jungen an und brachte ihn zu entfernten Verwandten nach Saigon. Wenig später wurde seine neue Familie verhaftet und zur Umerziehung in eines der Folterlager des Viet Cong gebracht. Er selber überlebte nur, weil er von einem Offizier, dessen Bursche auf eine Mine getreten war, im letzten Moment vom Laster geholt wurde. Drei Jahre danach marschierte er mit den vietnamesischen Truppen in Phnom Penh ein. Während der Besatzung fand er Gefallen am Soldatenleben, musste sich aber, nachdem er drei Kameraden im Streit die Kehlen durchgeschnitten hatte, nach Laos absetzen. Mittels gefälschter Papiere gelang es ihm einige Zeit später bei der südkoreanischen Armee unterzukommen. Danach war er einige Jahre lang für den Sicherheitsdienst eines Papierkonzerns in ganz Asien unterwegs gewesen, bis auch er zu seinen jetzigen Bossen weiter empfohlen wurde. Mittlerweile ein absoluter Experte für den Nahkampf, war er nur dann zufrieden, wenn er seine Kenntnisse zur praktischen Anwendung bringen konnte. Alles andere war ihm völlig gleichgültig.
Augenblicklich gab es für die beiden Männer nichts zu tun, als die Ankunft des Mannes aus Prag abzuwarten und die Ladung des Kleintransporters zu bewachen.
Sie hatten schon schlimmeres überstanden.