Sommertraum
Das Wasser rauschte in ihren Ohren. Schon wieder hatte sie eine Welle unter Wasser gezogen und ihre Lungen drohten zu platzen. Wie war sie nur in diese aussichtslose Situation geraten? Noch eben stand sie doch mit ihm oben am Aussichtspunkt, spürte den frischen Sommerwind in ihren Haaren und blickte aufs Meer hinaus. Doch nun kämpfte sie um ihr Leben. Eine weitere Welle zog sie unter Wasser und langsam ging ihr die Kraft aus gegen die Strömung anzukämpfen. Da spürte sie plötzlich kräftige Hände, die sie nach oben zogen, hinaus aus dem Wasser. Sie sah ihre
Mutter, Tränen im Gesicht eilte sie auf sie zu. In ihren Augen stand Besorgnis und die eine Frage, die auch sie quälte: Was war passiert?
„Ich war mit ihm oben am Aussichtspunkt“ erzählte sie. „Wir waren mit dem Auto da, wollten picknicken.“ Ihre Mutter schien verwirrt. Sie wusste ja noch nichts von dem Freund ihrer Tochter. Die Liebe war noch ganz frisch, doch sie hatten sich in der letzten Zeit öfters getroffen. „Wir sind an den Rand der Klippe gegangen. Er wollte mir was zeigen, hatte er gesagt“ berichtete sie weiter. „Und plötzlich spürte ich einen Stoß und fiel den Felsen hinunter ins Wasser.“ Sie zitterte, als sie die Worte
sagte. Es war unmöglich, dass er ihr so etwas antuen würde. Doch in ihren Ohren klang immer noch sein gemeines Lachen, als er sie in den Wellen kämpfen sah. Sie schaute sich um. In Decken gehüllt saß sie auf dem kleinen Parkplatz nahe dem Aussichtspunkt. Da sah sie ihn. Er fuhr gerade mit dem Fahrrad an dem kleinen Platz vorbei. Sein Blick streifte sie nur für den Bruchteil einer Sekunde, doch sie erkannte ihn sofort: Das kurze braune Haar, die dunklen Augen und dieses schiefe Lächeln, in das sie sich in diesem Sommer so unsterblich verliebt hatte. „Da“ sagte sie und ihre Mutter folgte ihrem Blick zu dem Jungen, der angehalten hatte und sich zu einigen
anderen Jungen gesellt hatte um das Spektakel zu beobachten. Sie sprang auf und rannte auf ihn zu. „Du mieser Verräter!“ schrie sie und griff ihn an seinem T-Shirt. „Du hast versucht mich umzubringen!“ Ihre Mutter kam, versuchte sie zu beruhigen. „Ich verstehe nicht, was das alles soll“ sagte nun er. „Ich habe dieses Mädchen noch nie in meinem Leben gesehen!“ Das verdutzte Schweigen und die verwirrten Blicke die auf diese Aussage folgen waren fast greifbar.
Wenige Wochen nach diesem Vorfall wurde sie eingeliefert. Psychiatrie. Niemand hatte ihr mehr geglaubt. Sie habe sich alles nur eingebildet, in einer
Traumwelt gelebt. Auch ihre Mutter dachte das. Doch seine Version der Geschichte kauften sie ihm alle ab. Nur sie nicht. Doch sie war ja verrückt.