Beschreibung
Es handelt sich bei dieser sehr knappen Kurzgeschichte um eine Erzählung, die ich 2007 in der Schule für das Fach Literatur geschrieben habe.
Ich tat mich mit der Wahl des Genres ein wenig schwer, denn diese Geschichte könnte wohl genauso unter Krimi/Thriller eingetragen werden, worauf ich auf Grund der düsteren Atmosphäre jedoch nun verzichtet habe.
Bläulich schimmerte der Schein der Polizeisirenen an diesem kalten Winterabend. Schwere Wolken hingen über dem schwarzen Horizont der abgeschiedenen Amish-Siedlung und warfen dicke Tropfen auf das hölzerne Schulgebäude. Ein schmales Haus aus alten Tagen mit nur drei Räumen, mit gelben Polizeibändern vom Rest der Gesellschaft isoliert.
Ein merkwürdiger Dunst schoss in die Nase des Kriminalbeamten, der sich mit ungetrübter Miene über einem zugedeckten Kadaver aufhielt und den noch halb offenen Leichensack als Unterlage für seine Papiere missbrauchte. Seine Arbeit unterbrach er nur um an seinem lauwarmen Kaffee zu nippen; nur kurz, ehe er wieder mit dem Stift bestimmt und wohlgeführt über das gelbe Papier kratzte. Er war der einzige Mensch im größten Raum des Gebäudes, das der Schule als einziger Lehrraum zur Verfügung stand. Die Tische waren umgeworfen, die Stühle zerbrochen, einige wenige Patronenhülsen waren, wie stumme Zeugen, auf dem hölzernen Boden verteilt.
Der zweite Raum war nur schwach beleuchtet. Der Deckenleuchter war zerschossen und raubte dem Waschraum jegliches Leben. In einer noch viel finsteren Ecke kauerte eine schmale Frau, sie wippte mit ihrem Oberkörper immer wieder nach vorne und nach hinten. Nach vorne, nach hinten, nach vorne, nach hinten. Ihr Blick hingegen bewegte sich kaum. Dieser war auf die gegenüberliegende Ecke fixiert, in der ein Rucksack voller Wäsche deponiert war. Auch ein weiterer Kriminalbeamter befand sich in diesem Raum. Weitaus mitfühlender als sein schon erwähnter Kollege, denn er griff nach einer riesigen Decke die sich zuvor im Rucksack befand und legte diese der Frau immer wieder zu Herzen. Diese murmelte nur teilnahmslos „So ...kalt. So kaaalt.“ aus aufgeplatzten Lippen und stieß die Decke voller Ekel fort.
Im letzten Raum stemmte ein weiterer Kriminalbeamter seine baumdicken Arme in die breiten Hüften. Obwohl der Schatten des Raumes ihn umhüllte ging eine deutlich spürbare Dominanz von diesem bulligen Kerl aus. Er sprach konsequent auf den Mann vor sich ein, justierte immer wieder den Lichtstrahl der schwachen Zimmerlampe auf das Gesicht des Verhörten und erinnerte an die Szene eines drittklassigen Agentenfilms. Und all dies in dem Büro der Lehrkraft einer Amish-Gemeinde.
Der Verhörte konnte sein Grinsen nicht absetzen. Trotz des Schlags, den einer seiner ehemaligen Gemeindemitglieder ihm mit einem Stuhl versetzte und so seine endgültige Rache vorzeitig beendete, trotz der triefenden Wunde die nun an seinem Hinterkopf pochte, trotz der Beamten die ihn nun immer wieder den Zorn über diese spontane Nachtschicht spüren ließen. Trotz allem war er der Gewinner dieser Nacht, denn er fühlte sich glücklich. Wieder einmal hatte er heute das volle Spektrum menschlicher Krankheit erlebt, daran teilgenommen und sich selbst integriert. Sie machten ihn zu dem was er war. Die Amish-Gemeinde, die sich von der restlichen Gesellschaft distanzierte und verteufelte. Der Beamte aus dem Lehrraum, der genüsslich neben einem toten Kadaver seinen Kaffee trank und diesen als Schreibtisch nutzte. Der Beamte aus dem Waschraum, der in seinem Wahn aus Hilfsbereitschaft mehr Schaden als Nutzen brachte. Die Lehrerin, die er sich in dieser Nacht als Belohnung nehmen wollte und sich in ihrer Kälte gegen die einfache, warme Decke wehrte. Der Beamte aus dem Büro, der, im tiefsten Winter gehüllt in Hawaiihemd und Sonnenbrille, in völliger Agenten-Coolness auf ihn einschlug. Und natürlich der Lehrer, der Ehemann der Lehrerin, der nun kalt und tot auf dem hölzernen Boden als Schreibtisch diente, ihn schon 20 Jahre zuvor schikanierte und mit Religionspropaganda fütterte. Sie alle machten ihn zu dem was er nun war. Einen 32-jährigen Verbrecher, der in seinem ganz eigenen Wintermärchen nach 10 Jahren wieder in seine alte Amish-Gemeinde zurückkehrte und das alte Lehrerpärchen des Nachts hier antraf.
Als er an die kommende Nachrichten und Zeitungsartikel dachte wurde sein Grinsen noch breiter. Er dachte an Schlagwörter wie Bluttat, Amoklauf und Täter. Doch er wusste wer die wahren Täter waren. Er fletschte die Zähne beim Grinsen. Sein Speichel war mit Blut durchtränkt und unkontrolliert spie er eine Ladung davon auf das schillernde Hawaiihemd des Beamten. Und schlagartig wurde es dunkel um ihn herum. Eine Faust bohrte sich in sein Gesicht, warf den Kopf in den Nacken und ließ ihn für den Rest dieser Nacht in das Reich der Träume entschwinden.