Ein Sommertag in Breslau
Eine Welt und mehr von der entfernt
in der ich lebe
die Wege versperrt
die Brücken abgerissen
Erzählungen der Großmutter
verlorene Jugend
beweinte Vergangenheit
und jetzt
als wär es vorbestimmt
stehe ich am Oderufer
und Sommerwind streicht mir durchs Haar
sanft und melancholisch
wie eine Mutter ihrem Kind
die alten Häuser sind geliftet
sehen durchtrainiert und sportlich aus
über die Stadtplätze
die schon so viel ertragen mussten
hüpfen kleine Mädchen im rosa Hello-Kitty-Look
und quietschen laut vor Lebensfreude
die bärtigen Männer vom Motorradclub
schauen ihnen dabei zu
und versuchen nicht zu lächeln
vor dem Bioladen
junge Frauen ins Gespräch vertieft
und mit einem Auge beim Getränkefahrer
der Bierkästen verlädt und sein T-Shirt ausgezogen hat
die Winterstarre ist vorbei
die Paarungszeit angebrochen
trotzdem
die Luft atmet sich zäher als anderswo
vermutlich bilde ich mir das ein
und die rostroten Flecken auf dem dunklen Straßenpflaster
sind nur verwaschene Farbe und kein Blut
zum ersten Mal schäme ich mich Deutscher zu sein
und möchte mich bei fremden Leuten entschuldigen
wenigstens dafür dass ich kein Polnisch kann
später im Studentencafe
französische Chansonmusik
die Bedienung spricht mich auf Englisch an
und lächelt
ich sage beim Gehen
Czesz
und sie
auf Wiedersehen
und niemand findet das ungewöhnlich