Das Wettrüsten beginnt. Es steht in den Zeitungen und im Fernsehen gibt es Sondersendungen.
Dabei hat es schon längst begonnen. Ein erbitterter Kampf um Rohstoffe, Platz, Lebensmittel, Leben. Die Zahl der Menschen steigt unaufhörlich während Platzmangel und Lebensstil keine Voraussetzungen dafür bieten.
Vor unserem Haus joggt eine Frau mit ihrem kleinen weißen Hund vorbei aber schalte ich den Fernseher ein sehe ich Hungersnöte und das Leiden vieler Menschen. Sie wollen sich nicht von den stärkeren Nationen unterdrücken lassen
aber es passiert. Es gibt stark gesicherte Grenzanlagen um die Menschen dahinter vor dem Zorn derer zu schützen die fast nichts haben. Für unseren Lebensstil rauben wir ihnen die letzten Ressourcen, bauen in ihren Ländern auf Plantagen an, lassen sie für uns arbeiten.
Und es wird sortiert. Wissenschaftler und Ingenieure bekommen Visa während anderen, die nichts für das Überleben ihres Staates tun, die Aufenthaltserlaubnis entzogen wird.
Es gibt einen Notfallplan wenn man die Menschen nicht mehr zurück drängen kann. Ich habe die Mappe auf dem Schreibtisch meines Vaters gesehen. Unterzeichnet von allen führenden
Industriemächten hinter der Mauer.
Jeden Tag versuchen es mehr Menschen durch die Grenze zu kommen, sie alle sind schon hinter der Mauer geboren. Genau wie ich. Ich kenne das Leben nicht anders als mit der ständigen Angst vor Anschlägen und dem Zorn der notleidenden Bevölkerung. Sie kennen kein Leben ohne Hunger und Unterdrückung.
Sie weigern sich zu arbeiten und werden geschlagen oder getötet es kommt auf den einzelnen nicht mehr an. Es gibt zu viele Menschen. Viel zu viele. Und wenn es so weiter geht wird es nicht mehr lange dauern bis wir die ersten Jets starten lassen um uns selbst auszurotten.
Der Planet ist kahl, große Teile der Wälder abgeholzt. Tierarten ausgerottet. Gehalten werden nur noch Nutztiere für die unersättliche Gier nach Fleisch.
4,000,000,000 Menschen unterdrücken
8,000,000,000 Menschen.
Manchmal erzählte mir meine Großmutter wie es vor der großen Mauer war. Es ging ihnen auch nicht gut und die stärkeren Staaten mischten sich ein aber manchmal kamen Leute in ihr kleines Dorf mit Ärzten die sie Impften sie mit dem nötigsten versorgten wenigstens eine Zeit lang. Sie erklärten was die Auslöser für viele Krankheiten waren und wie man vorbeugen konnte. Sie spielten mit den Kindern, bauten Schulen.
Heute kommt niemand mehr. Meine Oma hat mir das Lesen mit einem kleinen Fetzen Zeitung beigebracht. Wir leben immer noch in diesem kleinen Dorf. Vor
langer Zeit einmal sind die stärkeren Nationen gekommen haben angefangen unsere Rohstoffe zu holen aber teilweise haben sie auch für medizinische Versorgung und Bildung gesorgt. Jetzt hat man uns fallen gelassen. Sie holen zwar immer noch die Rohstoffe die wir hier haben aber an uns wird nicht mehr ein Reiskorn verschwendet. Ich weiß nicht wie es in ihrer Welt aussieht aber ich kann mir nicht vorstellen wie man mit so einer Schuld leben kann.
„Toivoa, Komm!“ ruft mich meine Großmutter. Schnell laufe ich zu ihr und sehe die Karawane von Geländewagen an uns vorbeifahren. Ihre Räder wirbeln den Staub in unsere ausgemergelten
Gesichter und ich muss anfangen zu Husten.
„Sie haben den Leiter der Mine drüben am Canyon umgebracht.“ Hörte ich ein Raunen durch die versammelte Menschenmenge gehen. Und ich sah die Gesichter der Männer die hinten auf einem LKW standen und für schuldig befunden worden waren. Man würde auch sie zur Strafe töten. Neben mir sank eine Frau schluchzend zu Boden, sie war kaum älter als ich und hielt ein Baby im Arm während sich ein zweites kleines Kind an ihrem Kleid festklammerte. Sie schluchzte aber niemand konnte ihr oder ihrem Mann helfen. Wir drehten uns um und gingen.
Sie blieb allein zurück. Als sich ihre kleine Tochter umdrehte und rief:
„Mama helfen.“
Ihre Rufe wurden verzweifelter als sie mir nach lief und an meinem Rock zog und zerrte bis ich stehen blieb.
„Du musst Mama helfen!“ sagte sie leise zu mir und sah mich mit bittendem Blick an. Ihre Haare waren zerzaust und standen weit von ihrem Kopf ab und sie war dünn, viel zu dünn.
Mir traten Tränen in die Augen, nahm ihre Hand und ging zurück zu ihrer Mutter die immer noch schluchzend im Staub lag. Vorsichtig legte ich eine Hand auf ihre Schulter und sie zuckte unter der Berührung zusammen. Dann dreht sie
ihren Kopf zu mir und ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ich half ihr hoch und begleitete sie zurück ins Dorf. Ihr Baby hatte die ganze Zeit nicht geweint und als ich es sah wusste ich auch warum. Es war tot.
„Dein Baby…“ begann ich aber sie riss sich los und lief davon.
Zwei Tage später als ich in einem See in der Nähe baden wollte sah ich das kleine Mädchen am Wasser sitzen. Vorsichtig ging ich näher und setzte mich zu ihr.
„Hallo.“ Sagte ich.
„Hallo.“
„Wie heißt du?“
„Sahasa. Und du?“
„Toivoa. Das ist ein schöner Name.
Sahasa. Und wie alt bist du?“
„Weiß ich nicht.“
Ich schätzte sie auf ungefähr sechs Jahre, aber es war nicht ungewöhnlich dass sie es nicht wusste. Die meisten die hier lebten wussten es nicht.
„Aha. Das Baby, es ist tot, oder?“ fragte ich weiter.
„Ja.“
„Hast du noch mehr Geschwister?“
„Ja, aber alle tot. Meine Mutter sagt mein kleiner Bruder ist nicht tot. Aber er ist tot. Er schreit schon lange nicht mehr. Und mein Papa ist jetzt auch tot.“
„Woher weißt du das?“
„Alle die mit dem LKW fahren sterben, oder?“
„Ja.“
„Es ist gut dass mein Papa tot ist. Er hat nur geschlagen. Er hat meinen Bruder geschlagen bis er gestorben ist. Und Mama und alle anderen auch immer.“
Sie sah mich an und ich war erstaunt über die Nüchternheit mit der Sahasa mir dass alles erzählte. Gestern bat sie noch so verzweifelt um Hilfe und jetzt ratterte sie die Ereignisse einfach so runter.
„Toivoa, ich bin noch klein. Aber nicht dumm.“ Mit diesen Worten stand sie auf und lief davon.
In den nächsten Tagen ging ich immer wieder zum See in der Hoffnung Sahasa würde dort sein. Aber sie tauchte nicht auf, auch im Dorf konnte ich sie nicht
finden. Ich hatte den Fetzen der Zeitung aus meiner Hütte geholt und wollte ihr das Lesen beibringen aber ich konnte sie nicht finden. Und sie ging mir auch nicht aus dem Kopf.
„Toivoa, los kümmer dich um das Feuer!“ Ich stand auf und fing an Holz zu sammeln und ein Feuer zu machen. Meine Großmutter hatte eine Ratte gefangen die wir heute Abend essen konnten. Das Fleisch tat gut und ich fühlte mich nach dem Essen gleich besser. Doch meiner Großmutter ging es immer schlechter. Sie brauchte immer mehr Hilfe und ich tat mein Bestes doch ich hatte kaum die Mittel.
Über meinen Kopf donnerten mehrere
Jets als ich loszog um etwas zu Essen zu finden. Doch statt Essen fand ich etwas anderes.
Sahasa. Sie lag zitternd und weinend unter einem Baum im Sand. Vorsichtig zog ich sie in meine Arme und streichelte über ihren Kopf. An ihrem Arm hatte sich eine Wunde entzündet und ihr Kopf war ganz heiß.
„Meine Mama ist tot.“ Sagte sie plötzlich und hörte auf zu schluchzen.
„Ich werde jetzt gehen.“ Fuhr sie fort. „Ich will hier weg.“
„Du kannst hier nicht weg.“ Meinte ich.
„Doch. Ich will unbedingt.“
„Aber du bist krank. Du kommst mit zu mir, mindestens bist du gesund bist.“
Widerwillig ließ sie sich zu mir helfen und ich legte sie auf meine Matte in unserer kleinen Hütte. Meine Großmutter bereitete einen Tee zu der ihr Fieber senken sollte und etwas für ihre Wunde. Dann bat sie mich nach draußen vor die Hütte.
„Toivoa, wir können uns das nicht erlauben jemandem zu helfen. Wir haben doch selbst nicht genug.“
„Und deshalb sollte ich sie unter dem Baum liegen lassen? Sie ist ein Kind.“
„Toivoa, jeder muss für sich selber sehen wie er zurechtkommt.“
„Sie bleibt.“ Entschied ich.
Wir konnten uns also nicht Mal mehr Hilfe erlauben? Wütend rannte ich los.
Ich lief bis es dunkel wurde. Und ließ mich schließlich auf den Boden sinken wo ich einschlief.
Sahasa ging es nach einigen Tagen besser und auch als sie ganz gesund war blieb sie. Wo hätte sie auch hingesollt. Sie war ein Schatz. Sie half wo sie nur konnte was gut war, denn meiner Großmutter ging es immer schlechter. Sie 54 Jahre alt, für unsere Gegend sowieso schon ein stattliches Alter aber bei der schlechten Versorgung würde sie nicht mehr lange durchhalten. Sahasa und ich mussten immer weiter laufen um Essen zu finden und hatten teilweise mehrere Tage lang kaum etwas oder gar nichts. Immer öfter wurden auch
Überfälle zwischen den eigentlich friedvollen Menschen im Dorf.
„Toivoa wenn sie kommen um die Frauen und Kinder für die Minen zu holen…“ die Stimme meiner Großmutter brach ab.
„Ich weiß“, flüsterte ich zurück. Aber ich war mir nicht sicher ob ich mein Versprechen halten konnte. Immerhin würde das Arbeiten in den Minen etwas zu essen bedeuten.
„Sahasa komm doch mal und mach etwas Feuer, während ich mich um Rahulolu kümmere.“ Rahulolu der Name meiner Großmutter war definitiv in einer anderen Zeit gewählt worden. Sahasa lief mit etwas Holz herbei und bemühte sich ein Feuer zu entzünden. Ich hatte es ihr
vor einigen Tagen beigebracht und sie lernte schnell.
Nach ein paar trockenen Beeren und etwas Reis, was heute als Essen reichen musste, schlief Rahu ein und Sahasa kuschelte sich zu mir.
„Ich habe Angst.“ flüsterte sie plötzlich.
„Ich auch.“
„Meinst du irgendwann wird es anders sein?“
„Ich weiß nicht, ich hoffe es aber glaube nicht.“
„Aber deine Großmutter hat mir erzählt dass es früher anders war…“
„Ja früher aber wer weiß schon wie es in Zukunft sein wird. Damals haben die Menschen auch daran geglaubt dass es
ihnen einmal so gehen wird wie den Menschen die jetzt hinter der Mauer leben.“
„Wie leben die Menschen dort Vo?“
„Ich weiß es nicht genau, sie haben Essen, Waffen, Medizin und Schulen. Aber genau kann ich es dir nicht sagen.“
„Und warum leben wir hier?“
„Weil wir hier geboren wurden.“
„Und wieso? Wer bestimmt das?“
„Das weiß ich auch nicht. Ist vermutlich Schicksal.“
„Was ist Schicksal?“
„Schicksal ist… Also Schicksal sind Ereignisse in deinem Leben auf die weder du noch jemand anderes Einfluss hat.“
„Das ist dumm, dieses Schicksal.“
„Tja.“
„Ich wüsste gerne wie es hinter der Mauer ist, dann könnte ich entscheiden wo es besser ist.“
„Ich weiß nicht ob es dort besser ist, sie haben zwar Essen, aber sie leben nicht wie wir mit der Natur und sie müssen mit einer irren Schuld leben.“
„Mit Schuld leben?“
„Das was sie ihrer Umwelt und uns antun meine ich. Ich könnte damit nicht leben. Zu wissen, dass ich auf Kosten von Milliarden von anderen Menschen lebe.“
Ich sah hinunter auf Sahasa, sie schlief dicht in meine Arme gekuschelt.
„Dayi, aufstehen meine Süße.“
„Mhhhh, was? Nein.“
„Du musst zur Schule. Steh auf unten wartet schon Frühstück.“
„Ja gleich.“
„In fünf Minuten komme ich gucken, sonst schaffst du es wirklich nicht.“
„Jahaaa.“
Mühsam brachte ich meinen Körper dazu das Bett zu verlassen. Ich schlurfte ins Bad und stellte mich unter eine warme Dusche, etwas anderes würde jetzt sowieso nicht helfen. Ich genoss das warme Wasser das mir den Rücken runterlief.
In der Küche standen Orangensaft, ein Tee, Pfannkuchen und Müsli. Ich nahm einen Schluck Tee und schob mir zwei Löffel Müsli in den Mund. So lecker die Pfannkuchen auch aussahen, mehr schaffte ich um diese Uhrzeit einfach nicht.
„Shain, ist Dayis Schulbrot fertig?“ hörte ich meine Mutter fragen. Er machte sich sofort an die Arbeit alles für mich einzupacken und in meine Tasche zu packen.
„Wo ist Papa?“
„Der ist heute Nacht schon zur Arbeit. Der Krisenstab ist eingetroffen, die Menschen geben einfach keine Ruhe.“
„Wundert dich das?“ entgegnete ich.
„Dayi, ich will das nicht hören und das weißt du! Dein Vater wie auch die anderen tun alles um dein Leben und das der anderen hier so angenehm wie möglich zu gestalten.“
„Aber zu welchem Preis.“ Murmelte ich.
„Ich glaube es ist besser du gehst jetzt zur Schule Dayi. Darüber diskutiere ich mit dir nicht.“
„Natürlich nicht.“
„Tschüss und viel Spaß mein Schatz!“
„Hmmm.“ Grummelte ich, packte meine Tasche und maschierte auf die Tür zu. Karyawan wartete in der schwarzen Limousine auf mich und fuhr los sobald ich eingestiegen war. Vor der Schule stand ein Haufen Schüler und starrte auf
ein Handy, als ich mich durch sie hindurch drängte hoben einige den Kopf und sagten
„Morgen Dayi.“
„Guten Morgen.“ Grüßte ich sie zurück.
„Da scheint ja ganz schön was im Busch zu sein.“ Begrüßte Huanjie mich.
„Wem sagst du das!“ Papa ist schon ganz früh heute Morgen los.
„Ich hoffe nicht dass sie jetzt anfangen.“
Die Stimmung an diesem Morgen war ganz komisch, obwohl die Sonne schien war es kalt und alle waren leicht panisch. Natürlich. Auch hier hatten die Menschen Angst was passieren würde sollten die Regierungen wirklich anfangen ganze Länder zu vernichten.
Aber sie war gewählt. Von allen die hier lebten. Alle Nachrichtensendungen die in der Schule gezeigt worden beschäftigten sich mit der Krisensitzung der Regierungen und zeigten Bilder von den Revolten überall. Die Menschen waren voller Wut und Gewalt. Jetzt entlud sich alles was sie über Jahrzehnte erlitten hatten in einer einzigen Welle der Gewalt und Zerstörung.
„Dayi? Hallo Dayi? Bist du da? Wir müssen los komm jetzt. Sag mal weinst du?“
„Ich? Nein, wieso?“ Erwiderte ich und wischte mir mit der Hand eine Träne aus dem Augenwinkel. Schnell lief ich Huanjie nach Richtung Klassenraum.
„Ich möchte, dass jeder von euch jetzt seine Ziele und Wünsche für die Zukunft auf einen Zettel schreibt.“ Begann unsere Lehrerin.
Die ganze Klasse hing etwas hilflos über den Zetteln, niemand von uns wusste genau wie unsere Zukunft aussehen würde. Wie die Welt nach diesem Krieg aussehen würde. Und auch unsere Lehrerin wusste es nicht. Aber sie tat wie jeder, genau wie meine Eltern, alles war gut und wir würden auch dieses Problem in den Griff kriegen. Und danach würden wir einfach normal weiterleben.
„Hallo Dayi!“ Begrüßte mich meine Mutter überschwänglich als ich von der
Schule nach Hause kam.
„Hey.“
„Shain hat in der Küche einen kleinen Imbiss für dich vorbereitet. Ich muss jetzt leider weg. Und im Wohnzimmer stehen noch ein paar Tüten mit Klamotten. Ich war einkaufen, guck doch mal ob sie dir gefallen.“
„Hmmm, ja.“
„Gut bis nachher Schatz.“
Shao kam angelaufen und bellte freudig. Ich beugte mich zu ihm runter und kraulte ihn.
„Ich war schon mit ihm draußen Miss Tving.“ Setzte Shain mich in Kenntnis, dass ich nicht mit ihm rausmüsste.
„Äh, schön. Danke Shain.“
Ich griff nach dem Sandwich, das er für mich vorbereitet hatte und verzog mich mit Shao in den Garten. Die Sonne war verschwunden aber das Gefühl geblieben. Ich nahm mir vor, den Fernseher nicht mehr anzuschalten für heute. Ich legte mich in meine Hängematte und schloss die Augen. Ich hörte irgendwo ein paar Vögel zwitschern und entfernt ein paar Autos fahren.
„… wir haben noch keine endgültige Entscheidung getroffen.“ Hörte ich die Stimme meines Vaters.
„Aber warum nicht?“ Fragte meine Mutter. „Ihr könnt doch nicht einfach zusehen wie diese… diese, naja du weißt
schon unsere Mitbürger da unten bedrängen und töten.“
„Das tun wir auch nicht Lussu. Aber es sind Menschen. Es sind immer noch Menschen. Wo ist Dayi?“
„Im Garten, sie schläft glaube ich.“
„Dayi? Schatz?“ Die Stimme meines Vaters war jetzt viel näher. Ich öffnete die Augen.
„Ja?“
„Kommst du mit Essen nachher?“
„Ich weiß nicht. Ehrlich gesagt habe ich keine große Lust mit euch Essen zu gehen.“
„Yiyi, komm schon.“
„Nenn mich nicht Yiyi. Musst du nicht überhaupt arbeiten. Wichtige
Entscheidungen treffen wie du es nennst?“
„Ja aber…“
„Was ja aber? Wenn du mit deiner Familie essen gehen willst dann können die „Menschen“ warten? Aber auch nur solange noch genug da ist, hab ich Recht? Du wirst schon dafür sorgen dass sie früh genug verschwinden. Richtig?“
„Dayi.“
„Daddy wie kannst du so etwas zulassen. Du warst immer jemand an dem ich mich orientiert habe, aber wie soll ich mich hieran orientieren?“ Tränen traten mir in die Augen.
„Dayi… Ich tue das nicht nur für mich.
Ich tue das für viele Menschen die dafür in Frieden und ohne Not leben können.“
Ich stand auf und ging.
„Shao komm!“ rief ich und er kam sofort angelaufen.
„Dayi, warte!“
„Nein.“
„Dayi. Komm her.“
„Nein.“
„Dayi, du kommst nachher mit Essen ob dir das passt oder nicht. Sei froh dass du etwas bekommst.“
„Dayi, musst du dich jetzt mit deinem Vater streiten?“
„Ich streite mich nicht mit ihm. Ich verachte nur seine Ansichten.“
„Ach Dayi meine kleine Rebellin.“
Zwitscherte meine Mutter.
„Du scheinst nicht zu verstehen dass daran auf Dauer kein Weg dran vorbei führt!“ Warf mein Vater ein.
„Ach nein? Klar wir müssten uns etwas einschränken.“
„Und willst du dich einschränken Dayi?“ hakte mein Vater nach. Ich antwortete nicht.
„Man hätte sich doch schon viel früher Gedanken darüber machen können.“ Meine Stimme war jetzt Tränen erstickt. Ich hasste es mit meinem Vater zu streiten.
„Hat man aber nicht Dayi. Du wirst lernen müssen dich damit zu arrangieren. Menschen sind so, sie denken nicht
fürchterlich weit in die Zukunft. Sei dankbar für das was du hast.“
Ich drehte mich um und lief die Treppe hoch. Ich wollte das keine Minute länger hören. Vor allem weil mein Vater mich ertappt hatte. Ich genoss mein Leben, alles zu bekommen ohne Sorgen zu Leben und es warf mich in einen unglaublichen Zwiespalt. Ich warf mich auf mein Bett. An der Wand hingen Fotos von Urlauben: Fitschi, Karibik, Alpen, Yukon, Süd Afrika. Wollte ich wirklich auf alles verzichten? Musste ich auf alles verzichten? Gab es keinen anderen Weg? Konnte man nicht beides haben?
Ich wurde durch ein Klopfen an meiner Tür in meinen Gedanken unterbrochen.
„Dayi, hier ist Mama. Kann ich reinkommen?“
„Mmmh ja.“
„Schatz machst du dich bitte fertig wir wollen bald los.“
„Ich will nicht mit.“
„Du kommst aber mit, dein Vater muss im Moment sehr viel arbeiten. Du solltest froh sein wenn er sich etwas Zeit für uns nimmt und ich möchte dass ihr euch wieder vertragt.“
„Ist ja schön dass du das möchtest.“
„Machst du dich jetzt bitte fertig wir warten unten.“
Ich stand auf, streifte mir ein weißes Kleid über und steckte meine dunklen Haare hoch. Auf dem Weg nach unten
griff ich mir noch ein rotes Tuch und passende Pumps.
Das Restaurant war wahnsinnig voll und bis zu unserem Tisch wurden wir von fünf Leuten aufgehalten und angesprochen.
Missmutig stocherte ich in meinem Salat herum, zu mehr reichte mein Appetit einfach nicht, während meine Eltern mehrere Gänge in sich hineinstopften.
„Dayi wollen wir nicht nochmal darüber reden?“
„Reden? Wieso du kennst meine Meinung und ich deine. Wir werden uns sowieso nicht einigen.“
„Du könntest es einfach akzeptieren wie jeder andere Mensch auch.“
„Ich bin aber nicht jeder andere Mensch! Nur weil ich nicht diese Plastik Mentalität meiner Mutter geerbt habe?“
„Entschuldige dich sofort bei deiner Mutter!“
„Nein.“
„Dayi!“
Ich stand auf und verließ das Restaurant. Wütend lief ich über die Straße als ich mich auf der anderen Straßenseite noch einmal umdrehte sah ich meine Eltern wie sie suchend ihre Blicke über die Straße schweifen ließen. Mein Handy klingelte und vibrierte in meiner Tasche, Papa. Hinter der nächsten Ecke holte ich es heraus und schaltete es ab. Ich wollte jetzt meine Ruhe haben. Die Straßen
lagen beleuchtet von ein paar Reklame Schildern vor mir und ich folgte der großen Straße. Bald wusste ich nicht mehr genau wo ich war, sonst fuhr ich immer nur im Auto durch die Stadt und ich musste mir eingestehen dass ich dabei selten wusste wo ich mich genau befand. Ich lief einfach weiter bis zu einem kleinen Bistro, setzte mich in die hinterste Ecke und bestellte einen Burger mit Pommes. Die Bedienung, etwas älter als ich und mit gekringelten pinken Haaren, musterte mich etwas kritisch. Ich sah an mir herunter ob ich einen Fleck auf meinem Kleid hatte aber es lag wohl einfach daran dass ich total overdressed war. Die Karte musternd
schlang ich das Essen hinunter und bestellte noch einen Kaffee. Die Nachrichten auf dem Fernseher zeigten wieder nur irgendwelche Politiker und die aufgebrachte Meute an den Grenzen und dem Rest der Welt. Ich bestellte einen weiteren Kaffee während ein älterer, dicker Herr mit fettigen Haaren und Brille mich mit seinen Augen fast auszog. In der besten Gegend der Stadt war ich hier wohl nicht gelandet. Als ich mein Handy einschaltete zeigte es 52 entgangene Anrufe und 25 SMS an. Alle von meinen Eltern. Ich biss mir auf die Lippe als mir klar wurde dass es jetzt nicht lange dauern würde bis mich hier jemand abholte. Meine Eltern ließen
bestimmt mein Handy überwachen und hatten mich längst geortet. Schnell bezahlte ich, schaltete das Handy ab und machte dass ich aus dem Laden rauskam. Ein Blick in mein Portemonnaie zeigte, noch etwa 150,- Mücken. Ich lief zu einem benachbarten Taxistand und setzte mich in das erste Taxi.
„Wo soll`s denn hingehen junge Dame?“ fragte der Fahrer mich freundlich. Gute Frage, dass wusste ich selbst nicht so genau. Ich nannte Huanjies Adresse. Wir fuhren ganz schön lange bis wir vor der weißen Villa, die bei diesem Licht kaum zu erkennen war, anhielten. Ich stieg aus bezahlte und lief durch das Tor das zu meinem Glück offen war, doch auch auf
mehrmaliges klingeln öffnete mir niemand. Ich hatte absolut keine Lust jetzt nach Hause zu gehen und eine Standpauke würde ich so oder so über mich ergehen lassen müssen. Mir kamen die Tränen als ich die dunkle Straße entlanglief. Irgendwann tauchten wieder Lichter und mehr Autos auf. Aus einem kleinen Kellerclub links von mir kamen ein paar Leute fröhlich lachend. Sie nahmen keine Notiz von mir. Warum auch? Wer war ich denn schon für die? Nur weil ich sonst auf irgendwelchen Empfängen rumgezeigt wurde? Ich lief weiter und langsam wurde mir kalt, also beschloss ich dass es wohl doch schlauer wäre mich auf den Heimweg zu
machen. Das würde schon schwer genug werden. Ich kannte nicht Mal den Namen der nächsten U-Bahnstation die bei mir zu Hause in der Nähe war. Frustriert kickte ich mit dem Fuß gegen eine leere Bierdose.
„Hee! Die heben Sie aber auf Fräulein!“ Erschrocken drehte ich mich zur Seite um zu sehen woher die Stimme kam. Von einem Polizisten. Na Super, war das jetzt sein Ernst? Ich hatte die schließlich nicht hierhin geworfen.
„Na wirds bald?“
„Jaja schon gut.“ Angeekelt griff ich nach der Dose und schmiss sie in den nächsten Mülleimer.
„Es ist eine Unverschämtheit! Wirklich.
Einfach den Müll hier herum zu werfen. Ich habe mich wirklich um wichtigeres zu kümmern!“
„Dann tun sie das vielleicht auch besser mal!“ Gab ich zurück und biss mir gleich darauf auf die Lippe. Das war wohl nicht die beste Idee gewesen. Aber der Polizist hatte sich schon abgewendet und stapfte davon. Da fiel mein Blick auf ein kleines Schild.
„One World Café“
stand dort. Und es brannte noch Licht ich ging näher heran und sah ein paar Leute zusammen sitzen. Vorsichtig öffnete ich die Tür.
„Entschuldigung aber wir haben leider schon geschlossen.“
„Schade.“ Murmelte ich.
„Ach Deas, jetzt sei doch nicht so.“ Meldete sich ein junges Mädchen aus der Gruppe zu Wort und erhob sich.
„Komm ruhig rein! Ich bin Vaymai. Also Mai.“ Sie lächelte mich an.
„Und du?“
Ich war total baff, etwas überfordert und starrte sie wohl nur blöd an.
„Hey? Alles gut?“ Sie lächelte immer noch.
„Äh ja klar. Ich bin Dayi.“
„Willkommen Dayi. Das sind Deas, Por, Lea und Trodaire.“ Auch die lächelten mich einladend an.
„Hi.“ War alles was ich von mir gab.
„Komm setz dich ersteimal.“ sagte Mai
und klopfte einladend mit der Hand auf den freien Platz neben ihr. Sie goss mir Kakao ein und die anderen musterten mich. Mein Blick schweifte über ihre Gesichter und durch den Raum. Er war in warmen bunten Tönen gestrichen und überall hingen große Fotos von Menschen aus der ganzen Welt an den Wänden. Weiße und Schwarze, Schwarze und Asiaten, Asiaten und Latinos. Alle zusammen. Und alle lachten.
„Also Dayi“, holte mich Lea zurück in die Runde, „Was machst du denn um diese Uhrzeit so ganz alleine hier draußen.“
„Ich hatte ein bisschen Stress mit meinen Eltern.“
„Ja die sind manchmal fürchterlich.“ Gab Deas zurück.
„Wie alt bist du?“ Trodaire stellte diese Frage und mir viel auf dass sie als einzige nicht lächelte sondern mich eher mit Misstrauen betrachtete.
„16. Und ihr?“
„Ich bin 17.“ Antwortet Mai „Por ist 20, Deas 18, Trodaire 17 und Lea 14.“
„Also wie kommst du hier her?“ hakte Deas nach.
„Wie gesagt, ich hatte Streit mit meinen Eltern und dann bin ich abgehauen.“
„In dem Aufzug?“ Stichelte Por.
„Wir waren Essen.“
„Muss ja ´n feiner Laden gewesen sein.“ Vermutete Trodaire, sie wirkte immer
noch misstrauisch.
„Äh was hat das jetzt damit zu tun?“ Gab ich zurück.
„Nichts, nichts! Musst ja nicht gleich patzig werden!“ Trodaire hob abwehrend die Hände.
„Ich… ich…“ Mir fiel nichts ein.
„Nicht streiten“ bat Mai. Trodaire stand auf und verließ demonstrativ den Raum.
„Mach dir nichts draus, sie ist halt ´ne kleine Zicke.“ Por zwinkerte mir zu und Lea musste kichern.
„Das hab ich gehört!“ Ertönte Trodaires Stimme aus einem benachbarten Raum.
Ich nippte an meinem Kakao und merkte wie müde ich war. Ein Gähnen konnte ich nicht mehr unterdrücken.
„Vielleicht gehen wir alle besser mal Richtung Bett!?“ Mai sah fragend in die Runde. Ein Blick auf die große Holzuhr verriet mir auch die Zeit. 3.46 Uhr. Ich stand auf.
„Wie kommst du nach Hause?“ fragte Por.
„Mal gucken…“
„Ich könnte dich fahren.“ bot Deas an.
„Nein das musst du nicht. Danke.“
„Ist echt kein Problem ich muss eh fast durch die ganze Stadt. Komm schon. Ich tu dir nichts!“
„Na gut.“ Insgeheim war ich froh über sein Angebot denn ich war wirklich sehr Müde und hatte nur sehr wenig Lust nach einem Taxi zu suchen.
Er führte mich durch einen Hintereingang in einen Hof indem ein Sportwagen stand. Ehrlich gesagt war ich etwas überrascht, ich hatte mehr mit einem verbeulten Lieferwagen oder etwas in der Art gerechnet. Die Sitze waren weich und kaum hatte ich mich gesetzt, schoss der Wagen auch schon aus der Einfahrt in die Nacht.
„Und wo wohnst du?“ Fragte er.
„Wie wo wohne ich?“
„Na wo soll ich dich hinbringen?“
„Äh… Achso, klar.“ Ich nannte meine Adresse. Gott entweder war ich total übermüdet oder sehr dämlich.
Auf den Straßen begegneten wir immer weniger Autos je näher wir meinem
Zuhause kamen.
„Was seid ihr eigentlich für eine Gruppe?“
„Wir? Keine Ahnung. Leas und Pors Eltern betreiben das Café. Por kenne ich schon ewig und Mai ist irgendwann aufgetaucht. Ich weiß es ehrlich gesagt gar nicht mehr so genau und Trodaire haben River und ich mal aufgegabelt. Ähnlich wie bei dir sie hatte auch Stress mit ihren Eltern. Sie ist jetzt mit Por zusammen und wohnt auch bei ihm.“
„River?“
„Ja, er war heute Abend nicht da aber er gehört auch dazu.“
„Ah.“
„Wir sind fast da, meinst du wir sehen dich wieder?“
„Mich wieder? Ja weiß nicht… Also ich…“
„Vielleicht schläfst du erst Mal und denkst Morgen drüber nach?“
„Ja danke. Wir sind da hier ist es.“
„Hier wohnst du?“ fragte Deas ungläubig.
„Ja mein Haus erkenne ich dann doch noch.“
Er musterte das Tor.
„Stimmt was nicht?“ fragte ich.
„Doch, doch, alles okay. Dein Nachname ist Tving oder?“
„Ist es das? Wegen meinem Vater?“
„Äh ja also. Mach´s gut.“
Auf einmal schien er es eilig zu haben dass ich ausstieg. Ich tat ihm den Gefallen und er fuhr davon. Ich sah dem Auto nach bis die Lichter hinter der nächsten Biegung verschwanden.
Bei dem Gedanken was mich gleich Erwarten würde wurde mir ganz schlecht. Ich tippte den Code für das Tor ein und es öffnete sich quietschend, der Wachmann dahinter sah auf und sprach dann etwas in sein Funkgerät.
Das Haus war, wie erwartet, voll erleuchtet und meine Eltern natürlich nicht am Schlafen. Vermutlich hatten sie die halbe Stadt auf den Kopf gestellt. Die Tür wurde mir vor der Nase aufgerissen und meine Mutter stürmte auf mich zu.
Sie riss mich in ihre Arme.
„Ich bin ja so froh dass dir nichts passiert ist!“ seufzte sie.
„Aber was hast du dir nur dabei gedacht?“ Ehrlich gesagt hatte ich gar nichts dabei gedacht.
„Dayi du glaubst gar nicht was ich durchgemacht habe!“ Jammerte sie während sie mich ins Haus zog, wo Shao mich freudig begrüßte während mein Vater mich eher mit kühlen Blicken bedachte. Irgendwie beruhigte mich das Gefühl ihn an meiner Seite zu haben. Mein Magen zog sich zusammen als mein Vater anfing zu sprechen:
„Ich glaube das reicht jetzt Lussu und du gehst besser ins Bett Dayi.“
Wie? Das war alles? Ich konnte es nicht fassen aber ruhig würde ich nicht schlafen, trotz meiner Müdigkeit. So etwas hatte ich mir noch nie erlaubt und wer wusste schon was mich am Morgen erwartete. Doch als ich gegen 15.00 Uhr aus dem Bett kroch taten meine Eltern als wäre nichts gewesen.
„Vo? Ich hab Hunger.“
„Ich weiß.“
„Lass uns losgehen und etwas suchen.“
„Na gut, ich komme gleich. Warte kurz.“
Stundenlang streiften wir durch die Wüste und alles was wir bisher gefunden hatten war eine Hand voll trockener Beeren. Ich wollte mich langsam auf den Heimweg machen denn bald würde es dunkel werden aber Sahasa drängte mich weiter. Plötzlich lief sie zielstrebig auf ein Gebüsch zu und verschwand dahinter.
„Vo, komm!“ rief sie.
Ich lief um den Busch herum und sah
Sahasa die neben einem Tierkadaver stand. Ein Lächeln umspielte meine Lippen als ich mich herunter beugte. Lange war das Tier noch nicht tot. Jeder von uns packte es an den Beinen und wir zogen los. Bei dem Gedanken an das Essen lief mir das Wasser im Mund zusammen. Durch Sahasas Fund hatte sich unsere Laune merklich gebessert und wir lachten und scherzten die ganze Zeit. Sahasa erzählte mir irgendwelche Witze bis sie plötzlich immer langsamer wurde und ich sie fast zog.
„Sahasa, komm! Beeil dich ein bisschen. Bald wird es dunkel.“
„Ich kann nicht. Das Atmen tut mir weh.“
Mir ging es da nicht anders mit jedem Zug brannte meine Kehle mehr aber wir mussten weiter. Als es immer schlimmer wurde ließ ich das Tier los und hielt mir mein T-shirt vor Mund und Nase, was allerdings nicht viel half. Sahasa lag auf der Erde und röchelte ich half ihr auf aber sie konnte kaum mehr stehen trotzdem versuchten wir weiter voran zu kommen. Wir hatten uns gerade einige Meter weit geschleppt als es einen riesigen Knall gab und überall um uns herum die Erde zu explodieren schien.
„Bomben!“ schrie ich und Panik überschwemmte mich. Sahasa klammerte sich an meine Hand und gemeinsam hetzten wir auf einen Felsvorsprung zu.
Wir konnten wieder schneller laufen aber das Atmen wurde immer schwieriger. Um uns herum Feuer und über uns das Dröhnen der Jets. Knapp hinter uns knallte ein Baum um und hätte Sahasa um ein Haar getroffen. Ich schrie kurz auf aber sie schien es gar nicht zu merken. Wir liefen einfach immer weiter auf den Fels zu. Als wir ihn erreicht hatten kauerten wir uns darunter zusammen. Sahasas Atmung ging noch schneller als meine und war viel zu flach.
„Sahasa, hör mir zu. Ruhig Atmen. Auch wenn es weh tut.“ Die letzten Worte konnte auch ich nur noch hervor würgen und mir war bewusst wie lächerlich das klingen musste. Langsam drehte sie ihren
kleinen Kopf in meine Richtung. Ihr Blick war starr vor Angst und sie zitterte. Das mit dem Atem wurde zwar nicht besser aber zumindest auch nicht schlechter. Die Explosionen um uns herum wurden weniger und der Rauch verzog sich langsam. Als ich die Sterne sah keimte wieder Hoffnung in mir auf und ich spürte meinen Überlebenswillen zurückkommen. Sahasa lag schlafend in meinen Armen und ich streichelte ihr über den Kopf bis sie aufwachte. Langsam setzten wir unseren Weg durch die brennende Wüste fort. Meine Freude stieg je näher wir dem Dorf kamen. Ich wollte meine Großmutter nur noch in die Arme schließen und das alles vergessen.
Wir gingen immer schneller und unsere Atmung normalisierte sich trotz Schmerzen. Ich hatte eine Schürfwunde am Arm und Sahasas Knie waren aufgeschlagen. Von unseren Schrammen ganz zu schweigen. Wir kamen an dem Baum vorbei, unter dem ich Sahasa gefunden hatte. Jetzt war es nicht mehr weit. Wir stapften weiter durch den Staub und dann sah ich das Dorf, bzw. das, was noch davon übrig war.
Wie betäubt sank ich auf die Knie, aber was hatte ich erwartet. Natürlich waren auch hier Bomben gefallen. Ich spürte wie eine Hand mir über den Kopf streichelte. Langsam stand ich auf und lief zu dem Platz wo unsere Hütte
gestanden hatte, vorbei an verkohlten Überresten anderer Hütten und Leichen mit schrecklich verzerrten Gesichtern und teilweise verkohlt. Auch mein Zuhause sah nicht anders aus, nichts außer ein paar Tonkrügen war noch heile. Und dann fand ich Rahulolu. Sie lag halb unter einem Haufen Schutt begraben da. Wieder füllten sich meine Augen mit Tränen, mein Zuhause war zerstört. Niemand schien mehr zu leben und vor allem Rahu, Rahu war tot. Ich hatte mir oft Gedanken darüber gemacht wann sie sterben würde, aber immer hatte ich die Vorstellung sie würde friedlich einschlafen. Jetzt lag ihr Staubiger Leichnam im Sand neben zig
anderen Toten und außer mir würde niemand trauern. Ich drehte mich zu Sahasa um, fast Ausdruckslos war ihr Gesicht und ich beneidete sie in diesem Moment darum dass sie ihre Gefühle abschalten konnte. Wohl der Vorteil einer lieblosen Kindheit.
Wie ferngesteuert stand ich auf, nahm Sahasa an die Hand und wir liefen zurück zu dem Baum. Meine Wut und Trauer wich allmählich einer bleiernden Müdigkeit und ich sackte unter dem Baum zusammen.
„Toivoa! Toivoa!“ Immer wieder schrie sie meinen Namen. Aber ich konnte irgendwie nicht zu ihr kommen. Es quälte mich aber ich konnte mich nicht
bewegen.
„Toivoa!“ Immer wieder ihre Schreie. Sie hörte nicht auf, ich wollte mir die Ohren zu halten aber auch das ging nicht. Mir wurde heiß und kalt und alles stank nach Rauch und verbranntem Fleisch. Flammen, Menschen die um Hilfen schrien und Rahu. Immer wieder sah ich ihr schmerzerfülltes Gesicht vor mir. Ein Baby schrie und dann verdunkelte sich alles vor Rauch.
Verschwitzt und schwer atmend schreckte ich hoch. Es war hell und um uns herum lagen nur noch die verkohlten Reste, das Feuer war aus. Ruckartig drehte ich mich um aber Sahasa ging es gut. Wieder kamen die Bilder aus meinem
Traum oder es waren echte Erinnerungen, ich konnte es nicht unterscheiden aber vor allem wollte ich jetzt nicht daran denken.
Als ich mich aufsetzte fielen ein paar Beeren aus meiner Tasche als ich meine Hand hineinschob spürte ich, dass sie ganz voll war. Schnell weckte ich Sahasa, auch sie musste großen Hunger haben.
„Sahasa. Sahasa? Komm wach auf!“
„Was ist denn?“
„Hier, iss etwas.“
„Danke. Wenn jetzt alles zerstört ist gehen wir, oder?“
Fragend sah sie mich an. Das alles war erst letzte Nacht passiert und das erste
was sie sagte nachdem aufwachen war ob wir jetzt gehen. Manchmal verstand ich dieses Kind nicht, obwohl ich zugeben musste dass sie Recht hatte. Aber wohin sollten wir.
„Äh ja, wir werden gehen.“
„Und wohin?“
„Weiß ich nicht.“
„Zur Grenze! In die andere Welt.“ Sagte sie bestimmt.
„Na ich weiß nicht.“
„Eine andere Option sehe ich nicht.“
„Was? Eine andere Option siehst du nicht.“
Unwillkürlich musste ich über den Ernst in ihrer Stimme lächeln. Schnell schob sie sich die letzten Beeren in den Mund
und stand auf.
„Komm jetzt, wir müssen los. Es ist bestimmt weit bis dahin.“
Und dann stapfte sie los. Plötzlich blieb sie stehen drehte sich um und fragte:
„In welche Richtung müssen wir?“
Gute Frage denn ich wusste es auch nicht, also stiefelten wir einfach in eine beliebige Richtung los. Die Sonne brannte und das Atmen viel uns nach wie vor schwer. Ich wunderte mich woran das lag denn wir hatten uns inzwischen ja ausgeruht.
„Ich bin schon richtig gespannt, Vo.“ Meinte Sahasa.
„Ich auch Sahasa, ich auch.“
Antwortete ich müde, ich glaubte nicht
daran dass wir es bis zur Grenzen, geschweige denn darüber hinweg schaffen würden. Aber ich wollte ihr den Optimismus nicht nehmen. Es wurden immer mal wieder Geschichten erzählt dass es Menschen geschafft hatten in die Staaten hinter der Mauer zu reisen und ich glaubte daran. Es wäre zu schade nicht daran zu glauben dass es möglich war.
„Dann haben wir gaaaaaaaanz viel essen Vo, bestimmt oder?“
„Bestimmt Hasa.“
„Und ein großes Haus und Eiscreme, ich wollte immer schon mal Eiscreme essen.“
„Ja Eiscreme ist bestimmt super!“
„Bleibst du dann trotzdem bei mir Vo?“
„Natürlich, immer.“
… In der letzten Nacht flogen mehrere Jets über den kleinen Staat. Bei dem Einsatz wurden vermutlich 7 Millionen der 10 Millionen Einwohner getötet. Durch den Einsatz von Giftgas erwartet man in den nächsten Wochen weitere Todesfälle, da durch das Einatmen des Gases die Lungen schwer beschädigt werden. Sprecher der Regierung kommentierten den Angriff als gelungen und er hätte gezeigt dass dieses Vorgehen funktioniere. Man äußerte sich nicht darüber ob in nächster Zeit weitere Einsätze zu erwarten sind. In dem betroffenen Land hätte man nun Platz
große Teile unseres Mülls zu entsorgen und besonders dreckige Industrie anzusiedeln.
Als weiteren Erfolg der Aktion betrachtete man, dass die Unruhen massiv zurückgegangen seien. Es sei allerdings fraglich wie lange die Menschen eingeschüchtert seien. Die Menschen hier…
Ungläubig starrte ich auf den Fernseher. Wie verzweifelt musste man denn sein? Ich legte das angebissene Toastbrot zurück auf meinen Teller. Der Appetit war mir vergangen. Ich lief nach oben, zog mir Sportsachen an und verließ das Haus. Shao sprang ganz wild um mich herum als ich anfing loszulaufen. Den
Menschen denen ich auf dem Weg in den Park begegnete war nichts von den Geschehnissen der letzten Nacht anzumerken. Sie liefen herum als wäre nichts geschehen, alle trugen ein nahezu erleichtert wirkendes Lächeln im Gesicht. Ich joggte immer schneller und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Der Park war ziemlich voll aber Shao und ich bahnten uns einen Weg. Je länger ich lief, desto klarer wurde mein Kopf und ich konnte mich beruhigen. Ich joggte über die kleine Brücke die über den kleinen Bach führte in dem Kinder planschten.
„Hey, Dayi!“
hörte ich eine laute Stimme hinter mir.
Ich fuhr herum und zog die Kopfhörer aus meinen Ohren. Suchend sah ich mich um.
„Oh, hey.“ Antwortete ich Deas.
„Gehst du oft laufen?“
„Naja, manchmal. Eher selten vielleicht. Wieso?“
„Ach nur Smalltalk. Wie gehts dir?“
„Gut. Super. Dir?“
„Äh,ja… Mir natürlich auch.“
„Ah schön. Ich… Ich lauf dann mal weiter.“
„Ja mach das. Ich wollte auch nur kurz Hallo sagen.“
„Ja schön. Also dann.“
Ich winkte kurz und begann wieder loszulaufen.
„Dayi, warte nochmal.“
„Ja?“
„Dayi Tving.“
Jetzt klang er gar nicht mehr amüsiert und fuhr fort:
„Ist ja schön dass es dir gut geht nachdem was dein Vater da letzter Nacht veranstaltet hat.“
„Was?“
„Jetzt tu nicht so. Auch du behütetes Kind wirst wohl von dem Massaker erfahren haben.“
Ich biss mir auf die Zunge, aber er war noch nicht fertig:
„Kommst da neulich mitten in der Nacht in unser Café gestiefelt und machst einen auf langweiligen Teenager und in
Wahrheit bist du Dayi Tving. Wahrscheinlich hat dich dein Vater noch geschickt!“
Was ging denn bitte jetzt ab? Ich war total vor den Kopf gestoßen und wusste gar nicht genau wovon er eigentlich sprach.
„Was hat denn mein Vater damit zu tun.“
„Ach komm schon, du weißt genau was ich meine.“
„Nein zufällig nicht. Und ich muss mich von dir hier nicht so anmachen lassen. Tschüss.“
Ich schaltete meine Musik wieder an und lief davon. So musste ich mich hier mitten auf der Straße nicht anmachen lassen.
„Wo bist du denn gewesen?“ begrüßte mich meine Mum.
„Etwas joggen.“
„Schön.“ Sie lächelte mich an.
Mein Handy klingelte und Jie fragte mich ob wir shoppen gehen. Schnell sprang ich unter die Dusche, zog mich an und machte mich auf den Weg. An unserem gewohnten Treffpunkt wartete ich aber sie tauchte nicht. Ich rief sie an und sie sagte sie könne doch nicht kommen, sie hatte wohl etwas Stress mit ihren Eltern. Stattdessen erschien Mai.
„Hallo Dayi.“
„Hallo.“ Grummelte ich.
„Ist irgendwas? Warum bist du denn so unfreundlich?“
„Ich bin unfreundlich?“ Gab in empört zurück. „Deas ist unfreundlich. Er hat mich heute Morgen im Park so angemacht wegen irgendeiner Scheiße von der ich nur die Hälfte verstanden hab.“
„Hey, nicht so aufregen. Lass uns einen Kaffee trinken gehen und du erklärst mir das genauer ja?“
„Ja.“ Sagte ich kleinlaut.
Ich bestellte eine große Tasse Cappuccino und erzählte Mai in allen Einzelheiten von meinem Morgen. Als ich fertig war hatte sich ihr Gesichtsausdruck verändert.
„Du bist Dayi Tving? Die Tochter von Effort Tving?“
„Ja.“
„Oh Man.“
„Wieso?“
„Naja. Effort Tving. Ich wusste gar nicht dass er eine Tochter hat.“
„Hat er aber.“
„Dayi, du weißt doch was dein Vater tut, oder?“
„Ja natürlich.“
Langsam dämmerte es mir, da hätte ich ja auch früher mal draufkommen können.
„Deas ist da besonders empfindlich und…“
„Um das mal klarzustellen: Mein Vater macht das, NICHT ich. Willst du wissen worüber wir uns an dem Abend gestritten haben? Es ging nicht darum ob
meine Schuhe zu hoch waren oder ich auf eine Party wollte. Es ging um diesen Einsatz. Ich liebe meinen Vater und ich bin so verzweifelt über das was er tut.“
Tränen traten mir in die Augen.
„Kannst du dir eigentlich vorstellen wie das ist wenn man ganz alleine mit seiner Meinung dasteht und einem immer nur gesagt wird du musst dich damit arrangieren?“
„Oh Dayi, das wusste ich nicht.“
Mai hatte mir die ganze Zeit aufmerksam zugehört.
„Natürlich nicht, weiß ja auch niemand dass es mich gibt.“
„Ich mag dich Dayi.“ Sagte sie plötzlich, ihr Handy klingelte.
„Warte mal kurz, ja?“
Ich nickte.
„Hey River.“
…
„Was? Ist ja hamma.“
…
„Okay gut, ja mach ich.“
…
„Ich? Kaffeetrinken bei Emmas.“
…
„Ja kannst du machen.“
…
„Ja du auch. Ciao.“
Sie legte auf.
„Das war River. Er gehört auch zu unserer Clique.“
„Ja weiß ich.“
„Oh, naja. Auf jeden Fall finde ich du solltest öfter mal zu uns kommen. Weißt du ob sie noch andere Angriffe planen?“
„Leider ja.“
„Und wann?“
„Irgendwann nächste Woche aber genau weiß ich es nicht.“
„Hmmmm.“ Sie seufzte. „Weißt du die Staaten?“
„Nein. Papa erzählt mir das ja nicht ich bekomme dass nur durch Zufall mit.“
„Jaja, schon klar.“
Die Tür des kleinen Cafés schwang auf und ein großer, schlanker Junge mit kurzen blonden Haaren betrat den Raum. Suchend ließ er seinen Blick schweifen bis er gefunden hatte was er suchte und
zielstrebig darauf zuging.
„Hey Mai.“
„Hey. Das ist River und das ist Dayi.“ Stellte sie uns vor.
„Hey Dayi.“
Begrüßte er mich und rutschte dann auf die Bank zu Mai. Er Bestellte einen normalen Kaffee und sah uns mit großen, grün blauen, Augen erwartungsvoll an.
„Dayi ist die Tochter von Effort Tving.“ Begann Mai.
„Aha.“ erwiderte River kühl und musterte mich.
„Und was macht sie hier?“
„Sie ist meine Freundin.“
„Sie? Effort Tvings Tochter!“
„Ja genau. Problem?“
„Naja…“
„Ich geh dann jetzt.“ Sagte ich und stand auf.
„Dayi, jetzt lass dich von dem Blödkopf hier nicht vertreiben.“
„Ich muss sowieso los. Ciao.“
„Tschüss, wir sehen uns aber?“
„Klar.“ Ich zwinkerte ihr zu und verließ das Café. Dann rief ich Karyawan an, dass er mich abholt.
Die einst lebhaften Dörfer und kleineren Städte an denen wir vorbeikamen waren nun vollends zu Geisterstädten verkommen. Überall lagen Leichen und es stank erbärmlich weswegen wir immer froh waren wenn wir sie wieder verließen. Ich wusste immer noch nicht wohin wir liefen, ich konnte nicht mal mit Sicherheit bestimmen ob wir uns nicht im Kreis bewegten.
Nach den Angriffen war es noch schwieriger an Essen zu kommen und vor den wenigen noch lebenden Menschen die wir trafen nahmen wir uns in Acht um nicht überfallen zu werden.
Wir hatten uns in den Orten einiges brauchbares zusammengesammelt.
„Ist es noch weit Vo?“
„Nein Sahasa.“
„Wie weit denn noch?“
„Nur noch einige Tage.“
„Einige Tage? Das stimmt nicht.“
„Nein?“
„Nein bestimmt nicht. Ich weiß wann du lügst.“
Da hatte sie Recht. Aber ich war schwach und so froh dass ich Sahasa hatte denn sie erfüllte mich immer wieder mit neuer Hoffnung.
„Aber das ist mir egal, weißt du? Es ist mir egal wie lange ich laufen muss, Hauptsache ich komme irgendwann an.
Mit dir Vo.“
„Ja bestimmt.“
Ich lächelte und fuhr fort:
„Weißt du Hasa, es wird alles gut. Es wird bestimmt alles gut.“
Und ein kleines bisschen schenkte ich meinen Worten Glauben. Die Wahrheit sah ganz anders aus: Ich hatte keine Ahnung wo wir uns befanden, jeder Tag war ein neues Spiel um Leben und Tot. Während wir wanderten suchten wir nach Essen und Trinken aber wurden trotzdem immer schwächer. Das Atmen tat unglaublich weh, auch wenn ich mich inzwischen etwas daran gewöhnt hatte. Sahasa war auch ständig am Husten und ich fragte mich wie lange sie noch
durchhalten würde. Aber sie stapfte mit einer unglaublichen Zuversicht durch die Wüste.
Gees, stand auf dem Ortsschild einer größeren Stadt. Gees hatte ich schon einmal gehört. Wir gingen also nicht in die richtige Richtung.
Die Häuser und Geschäfte der Stadt wirkten verlassen und waren teilweise zerstört.
„Hörst du das Vo?“
„Ja.“
Man konnte ganz deutlich Geräusche eines Hammers vernehmen. Wir folgten den Geräuschen und stießen schließlich auf eine Gruppe von etwa 20 Menschen.
„Mama komm schnell! Hier sind neue!“
rief ein kleiner Junge. Eine kleine, rundliche Frau kam auf uns zu und lächelte.
„Hallo. Wie schön, kommt her! Keine Angst wir klauen nicht. Wir versuchen hier gemeinsam uns wieder ein kleines Leben aufzubauen. Habt ihr Hunger?“
„Ja und wie!“ Platzte Sahasa heraus. Es gab einen Eintopf und wir mussten erzählen woher wir kamen und wie es uns ging. Auch diese Menschen hatten Atemprobleme und sie wussten auch warum. Man hatte uns vergiftet. Unsere Lungen waren für immer stark geschädigt. Ich hoffte inständig dass die Piloten und alle weiteren Verantwortlichen für diesen Angriff
einmal bestraft würden. Wie kann man den einfach ein ganzes Land dahinraffen?
Wir waren ein schon ein paar Tage in Gees als uns der kleine Junge alle weckte.
„Große Laster!“ rief er immer und immer wieder.
Ich schrak hoch und auch die anderen wurden wach. Vorsichtig gingen wir zum Eingang des Gebäudes das wir zu unserem Schlafplatz gemacht hatten. Vor dem Haus rollte eine Kolonne LKW entlang. Sahasa griff nach meiner Hand.
Die Anhänger waren in Signalfarben und ich vermutete nichts Gutes in ihnen.
„Was ist das?“ flüsterte Sahasa.
„Ich weiß nicht.“
„Sind das die, die die Bomben geworfen haben?“
„Ja. Bestimmt. Sahasa bitte sei vorsichtig die dürfe dich nicht sehen!“
„Bin ich.“ Versprach sie mir.
Ich zitterte am ganzen Körper vor Angst. Wir verzogen uns zurück ins Gebäude um uns zu beraten. Die meisten waren dafür sich zu verstecken bis sie wieder abgezogen waren. Aber wie lange würde es dauern? Und ich wollte gar nicht wissen was passiert wenn sie uns fanden.
Wir verbrachten den Tag damit uns irgendwie zu beschäftigen, niemand traute sich nach draußen und immer wieder rollten LKW vorbei.
Ich wartete bis alle eingeschlafen waren, dann lief ich zu Sahasa und weckte sie leise.
„Sahasa, schnell pack deine Sachen zusammmen! Wir gehen.“
„Wir gehen?“
„Ja, komm.“
Wir schlichen uns aus der Halle ohne dass jemand aufwachte und in das Dunkel der Ruinenstadt.
Gees war größer als ich erwartet hatte und es dauert lange bis die Häuser aufhörten aber was uns erwartete war auch nicht besser. Vor uns lag eine riesige Anlage, von Flutlichtstrahlern beleuchtet. Die LKW die wir den ganzen Tag gesehen hatten parkten fein
säuberlich in einer Reihe und wurden ausgeladen. Überall schrien die Männer etwas. Es war eine Müllkippe. Sahasa und ich versteckten uns hinter einem kleinen Häuschen als zwei Männer vorbeikamen:
„Das ist echt die letzte Drecksarbeit hier! Gut dass wir den Scheiß nicht zu Hause behalten.“
„Ja. Ich will nicht neben so etwas leben.“
„Wer will das schon?“
„Aber ich bin froh wenn die Fässer und der Rest hier sicher verstaut ist. Dann müssen wir den Rest nur noch abwerfen.“
Den Rest abwerfen? Was war das
überhaupt für Zeug?
„Die Menschen hier sind auch wirklich blöd.“
„Haha ja. Hätten ja auch selber merken können das der Fleck hier nichts wert ist.“
Ich spürte die Wut in mir aufkochen. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte diesem Kerl meine Meinung gegeigt aber meine Angst hielt mich davon ab. Tränen flossen über mein Gesicht.“
„Vo? Was hast du?“
„Ach nichts Hasa.“
Mein Zuhause wurde zu einer Müllkippe. Sie hatten meine Familie, mein Volk umgebracht für eine Müllkippe? Sollten sie den Scheiß doch bei sich lagern.
Vorsichtig liefen Sahasa und ich weiter. Immer weiter weg, von diesen Männern, diesem Müll. Ich verabscheute sie. Sie hatten überhaupt keine Skrupel, waren alle Menschen so die hinter der Mauer lebten? Waren sie so oder wurden sie so erzogen? Ich konnte mir nicht vorstellen dass alle so waren. Ich wollte es mir nicht vorstellen. Aber eine Frage blieb: Wie konnten diese Menschen mit einem guten Gewissen ins Bett gehen und wieder aufstehen?
Als ich das Gefühl hatte das wir weit genug entfernt waren ließ ich mich in den Sand fallen und zog Sahasa in meine Arme die sofort einschlief aber mir gingen die Gedanken einfach nicht aus
dem Kopf. Hätten wir überhaupt die Chance jemals hinter der Mauer zu leben? Wir hatten ja nicht mal einen Pass. Es gab keinen einzigen schriftlichen Beleg über unsere Existenz. Wir waren einfach nur hier und wollten in Ruhe leben. Braucht man dafür eine Erlaubnis oder eine Geburtsurkunde? Können wir nicht in Frieden leben oder uns wenigstens in Ruhe lassen?
Die Sterne funkelten über mir an einem wolkenlosen Himmel. Es war wunderschön und ich war unglaublich dankbar dafür dass ich auf dieser Erde sein durfte. Diesen Augenblick konnte mir niemand nehmen und auch den Himmel nicht. Ob es wohl noch mehr
Leben gab irgendwo da draußen? Intelligente Geschöpfe die es schafften sich ihren wunderschönen Planeten in Frieden zu teilen. Ich hoffte es sehr.
Ich stand in meinem Schrank und überlegte was ich anziehen sollte. Blau oder besser Rot? Ich entschied mich für cremefarben. Meine Mutter erschien und flocht mir mit ihren schlanken Fingern geschickt und schnell eine Frisur.
„Du siehst toll aus, mein Schatz.“ Meinte sie und lächelte mich an.
„Danke.“
„Wenn du noch lächeln würdest.“ Sie zwinkerte und ich musste grinsen. Dass war die Mutter die ich liebte.
Sie nahm mich an die Hand und zusammen gingen wir nach unten wo Papa schon wartete.
„Und?“ fragte sie ihn.
„Wundervoll!“ Rief mein Vater und hielt uns die Tür auf. Ihm war dieser Ball sehr wichtig und ich wollte ihm den Abend nicht vermiesen obwohl ich nur rumsitzen würde.
Die Limo hielt vor dem Haupteingang vor dem schon jede Menge Fotographen warteten.
„Bis gleich.“ Sagte er und stieg aus.
Wir fuhren weiter bis zu einem Hintereingang. Es sollte keine Fotos von ihm mit uns geben und auf dem Ball selbst war Presse verboten. Er holte uns ab und gemeinsam betraten wir den riesigen Saal. Ich war nun das dritte Mal hier und doch wurde ich immer wieder
erschlagen von dem ganzen Gold und den alten Gemälden die die Wände zierten. Neben uns ragten Säulen bis zur hohen Decke auf und der ganze Raum war gefüllt mit Menschen. Die High Society sozusagen, Politiker, hohe Tiere der Wirtschaft und des Militärs mit ihren Familien. Was soll´s dachte ich, setzte ein Lächeln auf und begann das Höflichkeitsgetue mit Küsschen hier und Küsschen dort.
„Dayi, Schätzchen!“ begrüßte mich die Frau eines Beraters meines Vaters, „Du wirst von Jahr zu Jahr schöner. Es ist ja kaum zu glauben! Wie alt bist du?“
„15.“
„Du siehst so erwachsen aus. Kommst
ganz nach deinen Eltern.“
Immer schön weiter lächeln dachte ich. Ich drängelte an ihr vorbei um den Anschluss an meine Eltern nicht zu verlieren. Etwas weiter vorne entdeckte ich das feuerrote Kleid meiner Mutter. Sie setzte sich an einen Tisch und ich mich zu ihr. Mein Vater betrat ein kleines Podest und begann mit seiner Rede. Leise öffnete ich meine Tasche und zog mein Handy heraus. Eine SMS von Mai:
Hey Dayi,
tut mir leid das mit River. Hast du Lust heute Abend vorbeizukommen? Er kommt auch nicht.
Mai
…
Hi Mai
Ach Jungs halt… Heute Abend kann ich nicht. Leider. Vielleicht wann anders. Ich würde aber wirklich gerne kommen.
D
…
Hmmm… Schade. Wo bist du?
…
Auf dem OC-Ball.
…
Oh mein Gott…
…
Das musst du mir nicht sagen. Aber ich kann hier nicht weg.
…
Mach das Beste draus! ;) Ich hoffe wir
sehen uns bald!!
…
Ich auch!
Ich seufzte und schob mein Handy zurück in meine Tasche. Meine Mutter strahlte zu mir herüber. Das war halt genau ihre Welt, beide meiner Eltern fühlten sich hier wohl nur ich nicht. Was war bloß bei mir schiefgelaufen.
„Ähem… Entschuldigung. Möchtest du vielleicht tanzen?“
Ich schrak aus meinen Gedanken, ich hatte gar nicht mitbekommen dass mein Vater fertig geredet hatte und an unseren Tisch zurückgekehrt war, und schaute in das Gesicht eines jungen Mannes. Eines
ausgesprochen hässlichen. Aber was soll`s dachte ich vielleicht ist er ja ganz nett. Ich stand auf nahm seine Hand. Meine Mum warf mir einen irritierten Blick zu aber ich folgte ihm auf die Tanzfläche. Eines musste ich ihm lassen, er laberte zwar nur Scheiße aber er trampelte nicht nur auf meinen Füßen rum. Er war bestimmt nicht der beste Tänzer, aber auch nicht der schlechteste. Während er von seinen tollen Noten faselte und der Uni die er bald besuche würde ließ ich den Blick über die Tanzfläche schweifen und auf der anderen Seite stand jemand der mir bekannt vorkam. Ich konnte ihn noch nicht genau erkennen aber als er sich
umdrehte sah ich sein Gesicht und war mir 100% sicher dass es River war. Nur, was machte der hier?
„… und auf der Uni werde ich auch weiter Polo spielen, du magst doch Polo oder?“
„Äh ja klar. Das ist ganz toll.“ Ich löste mich aus seinem schwitzigen, klammerndem Griff und ging zielstrebig auf River zu.
„Hey River.“ Erschrocken fuhr er herum und sah mich überrascht an.
„Was willst du?“
„Was machst du hier?“
„Das geht dich nichts an.“
„Ach nein? Wissen denn deine ´Freunde´ dass du hier bist?“
„Du wirst ihnen doch nichts…“
„Ah Neta, du hast also Dayi schon kennengelernt.“
Ammon stand plötzlich vor uns. Ammon war einer von Papas Ministern und obwohl dieser schon älter war, war die Ähnlichkeit zwischen ihm und River unübersehbar.
„Wie es scheint.“ erwiderte River.
„Dann ich will ich euch auch nicht weiter stören. Wo ist denn dein Vater Dayi?“
„Äh der sitzt dahinter an dem runden Tisch.“
„Danke.“
„Neta?“ Ich sah ihn fragend an.
„Was willst du eigentlich?“ fuhr er mich
an.
„Nichts, ich war nur überrascht dich hier zu sehen. Du kamst mir so vor als wärst du eher Kontra gegenüber diesem System. Wissen deine Freunde das du Ammons Sohn bist?“
„Nein.“ Antwortete er zerknirscht.
„Und vermutlich auch nicht dass du Neta heißt?“
„Nein. Und du wirst auch nichts sagen verstanden?“
„Es geht mich ja nichts an, aber warum sagst du es nicht einfach?“
„Weil die das nicht verstehen. Die mögen so Leute wie uns nicht.“
„Mich schon.“
„Das denkst du, Mai vielleicht aber die
anderen sind da ziemlich rigoros.“
„Aber wir können doch nichts dafür.“
„Das ist denen aber egal.“
„Ah. Schade.“
„Dayi, das sind meine Freunde und sie sind mir sehr wichtig. Ich wäre dir also sehr dankbar wenn du…“
„Schon klar.“
Ich drehte mich um und ging in Richtung meines Tisches davon.
„Dayi…“ hörte ich ihn noch sagen. Ich kämpfte mich durch die tanzenden Menschen und wurde plötzlich am Arm festgehalten.
„Wieso bist du einfach gegangen?“ Es war dieser komische Kerl.
„Was geht dich das an?“
„Ich hab genau gesehen wie du mit diesem Typen da drüben gequatscht hast.“
„Na und?“ Sein Griff wurde immer fester.
„Was na und? Ich habe dich zuerst gesehen. Du tanzt mit mir, nur mit mir.
„Du hast mir doch nicht zusagen mit wem ich tanze!“ Sein Griff wurde noch fester. „Aua, du tust mir weh lass mich los.“
„DU… GEHÖRST… ZU… MIR!“ Stieß er hervor und ich bekam seinen Mundgeruch ab.“
„Lass mich los!“ Ich versuchte mich aus seinem Griff zu befreien aber er war erstaunlich stark.
„Ich lass dich los aber du bleibst bei mir.“
„Das denkst du.“
Er drückte immer weiter. Plötzlich wurde sein Griff lockerer bis er ganz losließ. Mein Arm entspannte sich, tat aber immer noch weh.
„Das machst du NIE wieder.“ Hörte ich eine bekannte Stimme sagen.
„Bestimmt nicht.“ Jammerte der Typ. Neta stand ganz ruhig da und hielt den Arm des anderen verdreht auf dessen Rücken. Ich sah mich um aber von den anderen schien niemand den kleinen Vorfall zu bemerken. Als ich Neta danken wollte war er schon weg, ich trat dem offensichtlich kranken Typen
gegens Schienbein und ging zurück zu unserem Tisch.
Eine Woche war vergangen seit wir die Müllhalde gesehen hatten. Ein paar Mal waren Jets über uns hinweg gedonnert aber sie hatten nichts abgeworfen. An das Wandern hatten wir uns inzwischen gewöhnt und wir wurden immer fitter obwohl das Atmen nach wie vor beschwerlich blieb. Wir waren in Richtung Osten von Gees aufgebrochen und ich hoffte so an die Küste zu gelangen. Die Grenze zum Nachbarstaat mussten wir schon längst überschritten haben. Hier schienen sie nicht gewesen zu sein ab und zu kamen wir durch kleinere Dörfer aber den Menschen
schien es den Umständen entsprechend gut zu gehen. Niemand von ihnen hatte etwas von einem Angriff mitbekommen und so hoffte ich eine größere Stadt zu erreichen um endlich Informationen zu bekommen. Wir erreichten Anamp. Schon Kilometer vor der Stadt lagen größere Ortschaften und es herrschte Verkehr, die Luft wurde schlechter aber Hasa und ich waren froh auf so viele Menschen zu treffen. An einem Kiosk griff ich nach einer Zeitung:
Große Angst vor weiteren Angriffen!
Nach den Bomben Abwürfen im vergangen Monat, bleibt eine große Angst dass weitere Staaten angegriffen werden. In den schuldigen Staaten
sprach man des Weiteren auch noch von Vergasung ganzer Landstriche. Trotz der Befürchtungen gehen die Unruhen weiter. Die Menschen hier wollen kämpfen.
Ein weiteres Problem sind die Liefereinstellungen von Medizin und technischen Geräten. Die Krankhäuser sprechen von großen Engpässen, da nationale Hersteller nicht die Kapazitäten und für viele Stoffe auch nicht das Know-how besitzen. „Wir können nur hoffen, dass die Politiker zur Einsicht kommen.“ Sagt unser Präsident, „Einem diplomatischen Gespräch stimmen sie nicht zu. Wir sind hilflos! Selbst wenn wir alle Armeen der betroffenen Staaten zusammen kämpfen lassen würden hätten
wir keine Chance.“
Ich ließ die Zeitung sinken. Giftgas, deshalb also die Atembeschwerden. Ich steckte die Zeitung zurück in den Halter, denn Geld sie zu kaufen hatte ich nicht. Eigentlich hätte ich auf diese Informationen auch verzichten können. War Anamp sicher? Sollten wir vielleicht hierbleiben?
„Vo? Ist hier die Grenze?“
„Nein. Die ist noch weit weg!“
„Dann weiter!“
Wir verbrachten die Nacht in einem verlassenen Zelt einer Hilfsorganisation. Auch die mussten auf Befehl ihrer eigenen Regierung das Land verlassen. Aber ich schlief so gut wie lange nicht
mehr. Das Zelt bot Schutz und um uns herum waren viele Menschen.
Bevor wir loszogen klaute ich in einem kleinen Geschäft eine Karte. Doch bei der Kilometerzahl bis Apastaran wurde mir ganz schlecht. Wir klauten noch ein bisschen Obst und Brot und machten uns auf den Weg. Wir brauchten dringend Geld. Wie sollten wir sonst aus Apastaran wegkommen. Je näher wir der Stadt kamen desto mehr Menschen begegneten wir auf dem Weg. Sie alle wollten mit einem der Schiffe hinter die Mauer und niemand hatte einen Pass. Er wäre wohl auch unnötig da wir niemals ein Visum erhalten würden.
Doch durch die vielen Menschen mit
denen wir plötzlich zogen wurde es auch schwieriger etwas zu essen zu finden. Und immer wieder starben auch welche. Eines Abends brach über uns ein Regenwetter herab. Na klar ausgerechnet jetzt musste die Regenzeit beginnen. Es schüttete und es gab weit und breit keine Möglichkeit sich irgendwo unterzustellen. Nur ein paar karge Bäume. Trotzdem zog ich Hasa schnell dorthin. Es hörte überhaupt nicht mehr auf sodass wir schließlich klitschnass einschliefen.
Als ich aufwachte nieselte es nur noch aber wir saßen in einem riesigen Schlammfeld. Der Boden war rutschig und das Wasser stand uns teilweise bis
zu den Knöcheln. Ich weckte Hasa. Und wir zogen weiter. Die Sonne kam heraus und unsere Kleidung trocknete wieder aber Hasa schien etwas abbekommen zu haben. Sie hustete und schniefte wie verrückt. Trotzdem versuchte sie tapfer weiterzugehen aber ich sah ihr die Qualen an. Schließlich sagte ich zu ihr sie solle Huckepack auf mich klettern und sich gut festhalten. Zusätzlich band ich sie mit einem Tuch fest. Zum Glück war sie nicht sehr groß. So stolperte ich nun weiter. Ich redete mit Hasa um mich abzulenken aber sie schlief irgendwann ein. Auch gut. Alleine ging ich nun weiter etwas abseits der anderen. Sie waren nicht nett, sie kämpften alle um
ihr eigenes Leben und wenn man nicht aufpasste klauten sie einem das letzte bisschen was man noch hatte. Als es dunkel wurde suchten sich die meisten von ihnen einen Platz zum Schlafen aber ich ging weiter. Die Sterne über mir funkelten und gaben mir Mut, Hoffnung und Kraft ich war selbst erstaunt wie lange ich noch laufen konnte bevor ich erschöpft in den Sand fiel.
Ich löste den Knoten des Tuchs vor meinem Bauch und legte Hasa darauf. Ihre Stirn war ganz heiß und ihre Haut glänzte. Ich wickelte sie so gut ich konnte ein und zog sie in meine Arme. Hoffentlich wurde sie schnell wieder gesund.
In der Nacht wachte sie öfter auf, geplagt von Schmerzen und Alpträumen. Ich erzählte ihr Geschichten um sie und mich zu beruhigen.
Am nächsten Morgen ging es ihr nicht besser. Sie klagte über Kopfschmerzen und konnte kaum stehen. Also blieb mir nichts anderes übrig als sie wieder zu tragen denn hier bleiben war für mich keine Option. Mit Hasa auf dem Rücken war ich nicht so schnell wie sonst und musste öfter Pause machen aber trotzdem schaffte ich einige wichtige Kilometer. Wir erreichten den letzten Ort vor Apastaran aber dort konnte oder wollte mir niemand mit ihr helfen. Inzwischen war ihr Fieber weiter
gestiegen und sie hatte Schüttelfrost bekommen. Jeden Abend betete ich sie würde es schaffen. Sie war alles was ich noch hatte. Am liebsten hätte ich mich in dem kleinen Ort ausgeruht aber dafür hatte ich keine Zeit wenn wir Apastaran erreichen wollten. Also trug ich die zitternde Hasa weiter. Tag für Tag. Inzwischen lagen wir weit zurück von den anderen und waren umgeben von neuen Menschen. Ich fragte mich ernsthaft wie wir es alle unbemerkt auf die Schiffe schaffen wollten denn die wurden bestimmt unglaublich stark kontrolliert. Es wurden immer wieder Geschichten erzählt von Leuten die es geschafft hatten, aber ich glaubte von
den 200 denen wir schon begegnet waren würden es vermutlich nicht mal 5 auf ein Schiff schaffen bzw. die Überfahrt überleben und hinter der Mauer zurechtkommen. Plötzlich wurde mir schmerzlich bewusst wie aussichtslos unser Plan eigentlich war aber da ich keine Idee hatte wohin ich wollte und es Hasas Traum war lief ich weiter.
Sie war kaum noch wach und ansprechbar und das Fieber schien gar nicht zurückzugehen. Es wurde immer schwieriger uns beide zu ernähren. Aber weit konnte es bis Apastaran nicht mehr sein.
Jetzt kamen uns auch Menschen entgegen die berichteten wie aussichtslos
und gefährlich die ganze Sache sei aber trotzdem kehrte kaum jemand um. Alle marschierten weiter. Aus allen Richtungen strömten die Leute auf Apastaran zu und in der Dämmerung hatten wir die Höhen vor Apastaran erreicht. Vor uns lag in der Dämmerung ein Lichtermeer. Ich war erschlagen von dem Anblick denn so etwas hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Die Stadt war riesig und hell erleuchtet, in weiter Ferne sah man wo die Lichter aufhörten und das Meer anfing. Das Meer. Ein lächeln huschte über mein Gesicht.
„Hasa, schau! Wir haben es fast geschafft!“
„Danke Vo.“ Flüsterte sie.
Erschöpft legte ich mich hin und schlief unter dem erleuchteten Himmel von Apastaran ein.
„Vo! Komm!“ wurde ich von einer zarten Stimme geweckt.
„Hasa wie gehts dir?“
„Egal, komm wir müssen weiter!“
„Kannst du überhaupt laufen?“
„Klar siehst du?“
Sie stand auf, fiel aber gleich wieder hin.
„Siehst du Hasa. Schon dich noch ein bisschen du wirst deine Kräfte noch brauchen.“
Ich fühlte ihre Stirn die immer noch ganz heiß war und ihre Augen glänzten.
Also hob ich sie wieder auf meinen Rücken und band sie fest.
Aspastaran lag nun staubig und lärmend vor uns. Voller Energie lief ich den karg bewachsenen Hügel hinunter und auf die Stadt zu. Hier gab es viele Autos und LKW. Außerdem flogen immer wieder Flugzeuge über unsere Köpfe. Die Stadt war dreckig und laut. Die Menschen die dort lebten musterten uns mit mitleidigen Blicken als wollten sie sagen: Wir wissen was ihr vorhabt, aber ihr werdet es nicht schaffen.
Die Zeitungen berichteten von weiteren Angriffen aber nicht mal das konnte meine Laune trüben. Wir hatten Aspastaran erreicht.
Ich blinzelte, machte meine Augen ganz auf und erinnerte mich daran dass ich in einem Flugzeug saß. Langsam setzte ich mich auf und schob die Verblendung des Fensters hoch. Um uns herum waren Wolken doch teilweise konnte ich einen Blick auf die Länder darunter werfen. Ich blickte auf den Bildschirm um zu sehen wo wir uns befanden, kurz vor der Grenze. Ich konnte die riesigen Autobahnen sehen die darauf zuführten nur um an einer großen Grenzanlage zu enden.
Kaum hatten wir den einen Kilometer breiten Grenzbereich überflogen lag
unter uns dichter Wald und es waren eine ganze Zeit kaum Orte zu entdecken.
Nach etwa drei weiteren Stunden setzte der Flieger auf. Ich sprang heraus denn ich wollte mich so schnell wie möglich mit Mai treffen.
„Was hast du denn Dayi?“
fragte meine Mutter überrascht während sie die Treppe aus dem Flugzeug hinabstieg.
„Ich? Ach nichts. Aber ich bin noch verabredet“ erwiderte ich.
„Schön. Weißt du schon wann du zurück sein wirst?“
„Äh, nein ehrlich gesagt nicht.“
„Auch kein Problem, ruf Karyawan einfach an.“
„Gut mach ich.“
Meine Mutter schien gute Laune zu haben. Ich musste grinsen und folgte ihr aus dem Flugzeug.
Ich bat unseren Fahrer mich im Zentrum rauszulassen und ging los, ich merkte dass ich immer schneller wurde weil ich mich so freute. An der Ecke vor dem Café blieb ich erstmal einen Moment stehen um Luft zu holen. Als ich einigermaßen zu Atem gekommen war betrat ich das Café. Eine hübsche, ältere, schlanke Frau bediente gerade eine Familie und ich stellte fest, dass es gut gefüllt war. Aber zwischen all den Gesichtern konnte ich Mai oder sonst jemanden aus der Gruppe nicht ausfindig
machen. Enttäuscht drehte ich mich um als die Frau mich leicht an der Schulter berührte und sagte:
„Bist du Dayi?“
Ich nickte stumm.
„Hi, ich bin Layla. Komm mal mit.“
Sie bahnte sich einen Weg durch den engen Raum und ich folgte ihr bis in einen kleinen gemütlichen Raum. Er war in einem warmen Rot gestrichen und es hingen bunte Bilder an den Wänden. Möbliert war er mit etwas abgenutzten Sofas auf denen es sich Mai, Lea, Por und River gemütlich gemacht hatten.
„Hey Dayi!“
Mai stürmte auf mich zu und schloss mich in ihre Arme.
„Du musst unbedingt diesen Tee probieren! Layla hat ihn von einem tollen Markt.“
„Äh gut.“
Die anderen begrüßten mich mit Kopfnicken während mir Mai eine Tasse des Tees eingoss. Ich nahm die dampfende Tasse entgegen und Mai sprudelte los:
„Ich bin ja soooooo froh, dass du gekommen bist! Das macht mich einfach so fertig was in letzter Zeit alles so passiert ist. Aber in wenigen Tagen legt in Aspastaran die…“
„Mai, halt den Mund.“ Fuhr River sie an.
„Aspastaran?“ Ich warf einen fragenden Blick in die Runde aber aus keiner ihrer
Mienen war etwas abzulesen.
„Ach kommt schon! Wieso darf ich ihr das denn nicht sagen?“ schmollte Mai.
„Sie ist eine Tving! Wie sollen wir ihr denn vertrauen?“ Grummelte River.
Mai warf ihm einen bösen Blick zu, sagte aber nichts weiter.
Aspastaran. Das sagte mir etwas, aus dieser Stadt kamen glaube ich immer die großen Tanker durch den „Save Channel“ hinter die Grenze. Einer der größten Häfen in der anderen Welt. Aber River war ja wohl die falscheste Schlange vom Dienst. Mir konnte er nicht vertrauen? Er war ja hier ganz klar der Arsch der seinen „Freunden“ nicht die Wahrheit sagte.
„Also was ist in Aspastaran Ne…“
„Dayi!“ Rivers Stimme schnitt durch die Luft, „wag es nicht!“
„Gut. Was ist in Aspastaran?“
Nach meiner Frage war es gespenstisch still im Raum alle warteten gespannt was als nächstes passieren würde.
„Bitte.“ Flüsterte River und warf mir einen flehenden Blick zu.
„Sag mir was in Aspastaran ist?“
„Nein. Das kann ich nicht. Ich kann dir nicht vertrauen.“
„Aber dir kann man vertrauen oder wie?“
„Ja.“
„Bist du dir ganz sicher? Du sagst immer die Wahrheit?“
„Dayi…“
„Was ist hier eigentlich los?“ funkte Mai dazwischen.
„Nichts. Ich gehe besser.“ Sagte ich, stand auf, griff nach meiner Tasche und verließ den Raum.
„Warum bist du immer so scheiße zu ihr, River?“ hörte ich Mai fragen, „Was meinte sie damit ob du die Wahrheit sagst?“
„Glaubst du ihr jetzt mehr als mir?“ Fuhr er sie an.
„Naja, wieso sollte sie so etwas sagen?“
„Ihr könnt mich alle mal, wisst ihr das? Wenn ihr das lieber mit ihr machen wollt!“
„Eigentlich währt ihr beide nicht schlecht. Aber wir müssen uns vertrauen
können und ihr scheint das nicht zu schaffen.“
„Ehrlich ihr könnt mich alle mal! Tschüss.“
„River…“
Ich verabschiedete mich gerade von Layla als River aufgebracht an mir vorbei und nach draußen stürmte, griff nach meinem Kaffee und lief ihm nach.
„Was hast du eigentlich für ein Problem?“
„Ich will dich nicht dabei haben.“
„Weil du mir nicht vertrauen kannst? Neta?“
„Ich habe meine Gründe warum ich es ihnen nicht sage aber das heißt nicht, dass ich nicht zu 100 Prozent hinter
ihnen stehe.“
„Und die wären?“
„Geht dich ´n Scheißdreck an.“
„Aha. Glaubst du ich lass mich einfach so von dir rausekeln? Ich weiß noch nicht mal worum es eigentlich genau geht.“
„Und es wäre auch besser wenn es so bleibt!“
„Weil du das ja auch alles am besten weißt? Selbstverständlich werde ich gleich zu meinem Daddy laufen und ihm berichten. Ich mache sowieso nichts lieber.“
„Ach weißt du Dayi… Lass uns einfach in Ruhe und geh in deine behütete, heile Welt.“
„Du glaubst auch bei mir wäre alles perfekt oder? Du solltest es doch am besten wissen: Ammon Jr.! Ist ja nicht gerade so als würde dein Vater Anstalten machen die Pläne aufzuhalten. Soweit ich informiert bin legt er beinah täglich neue vor und ist total geil auf Massenvernichtungswaffen.“
River traten Tränen in die Augen. Er drehte sich um und verschwand.
Wir ließen uns vom Strom der Menschen mitreißen. Wie ein riesiger Zug zogen wir durch die Stadt, voller Hoffnung auf ein besseres Leben. Jeder hatte mitgenommen was man tragen konnte und so schubste und stolperte man durch die Menge. Unser Weg endete an einem alten Containerstellplatz in der Nähe des Hafens. Es schien als hätten sich schon tausende Menschen dort einen Platz zum Schlafen ergattert. Auch Sahasa und ich drängten zwischen den Leuten hindurch und suchten nach einem freien Fleck aber der war gar nicht so leicht zu finden, außerdem war es tierisch laut
uns es stank bestialisch.
Weit hinten an einem alten Lagerhaus fanden wir schließlich ein halbwegs geschütztes Plätzchen.
Erschöpft ließen wir uns auf den Boden fallen, um uns herum redeten die Menschen von den Schiffen bei denen die Besatzung am bestechlichsten bzw. die Bewachung am schlechtesten war aber als ich die Preise hörte wurde mir ganz schwindelig. So viel Geld würden Hasa und ich niemals zusammenbekommen. Wir hatten gerade genug um ein paar Tage lang Essen zu kaufen. Mir wurde bewusst wie Aussichtslos unsere Lage war, selbst wenn wir es auf eines der Schiffe
schaffen sollten hatte ich keine Idee wie wir die Zeit an Board überleben wollten. Wir waren gestrandet in Aspastaran wie schon so viele vor uns. Jeden Tag würden wir die Schiffe sehen die ablegten Richtung „Save Channel“. Tränen traten mir in die Augen als sich die Dämmerung über die Stadt senkte. Ich versuchte zu schlafen aber nach den vielen dunklen Nächten unterwegs war das hier schwierig, denn durch den Hafen wurde es kaum Dunkel und man konnte das Scheppern des Be- und Entladens hören.
Nach einer unruhigen Nacht packten Hasa und ich unsere Sachen und machten uns auf den Weg zum Hafen. Ein riesiges
Areal in dem ungefähr 90 Tanker, Container- und Kriegsschiffe lagen. Außerdem war es unglaublich gut gesichert. Mehrere hohe Elektrozäune, Kameras und Wachpersonal. Die wenigen Durchgänge wurden scharf kontrolliert. Ich musste schlucken. Hasa und ich gingen den Zaun entlang immer beobachtet von den Wachleuten und Kameras bis wir hinter dem Zaun ein riesiges weißes Schiff erblickten. Es strahlte im grellen Sonnenlicht und mit goldenen Lettern stand riesengroß am Bug der Name: Mary.
Als wir weitergingen konnten wir auch das Heck erkennen es gehörte zur Marine eines der Staaten hinter der Grenze und
dahinter lagen noch viele weitere allerdings graue Kriegsschiffe. Beater, Glory, Victory, Honor, Freedom, Fearless,… las Hasa die Namen der Zerstörer.
Aber die Mary hatte es mir angetan. Mit ihr würde ich die Reise sofort antreten aber mir war klar dass die Chance sich auf der Mary zu verstecken gleich null war. Ich wandte den Blick ab und Hasa und ich gingen ein Sandwich kaufen. In Aspastaran gab es so viele Läden mit Dingen dich ich noch nie gesehen hatte, sogar die fertig eingeschweißten Sandwiches waren neu für mich. Ich beobachtete Sahasa wie sie in ihr Schinken-Käse biss und war unendlich
froh sie bei mir zu haben.
„Na wollt ihr auch mit einem Schiff über die Grenze?“ Der Imbissbetreiber hatte sich zu uns gesetzt.
„Ja.“ Hasas Augen strahlten.
„Na viel Glück euch!“
„Danke, das werden wir brauchen.“ Erwiderte ich.
„Habt ihr denn genügend Geld?“
„Ich weiß nicht wie viel man genau braucht aber ich fürchte nicht.“
„Ihr könntet hier eine Zeit lang arbeiten, ich bräuchte Hilfe und ihr könntet eure Reisekasse etwas aufbessern, außerdem schneien hier auch öfter mal Seeleute rein, vielleicht könnt ihr da Kontakte knüpfen.“
„Äh ja warum nicht.“ Ich wusste gar nicht was ich sagen sollte zu diesem Angebot, so oft hatte ich gehört es wäre schwer in Aspastaran Arbeit zu finden. Hoffentlich meinte dieser Mann es ernst und zockte uns nicht nur ab.
Aber es schien so. Wir verbrachten die Tage in dem Imbiss und bekamen einen anständigen Lohn. Auf den Containerstellplatz kamen immer öfter Leute vom Hafen. Zunächst hatten alle Angst aber die mit denen sie sprachen waren danach unglaublich gut gelaunt, allerdings wollte niemand sagen worum es dabei ging. Dadurch entstand eine Unruhe denn niemand hatte bisher so recht durchschaut wonach die Leute
ausgesucht wurden.
Eines Tages, mir war ein Karton runtergefallen also bückte ich mich hinter dem Tresen, betraten zwei Männer den Laden. Sie fingen an zu reden und ich blieb hinter dem Tresen.
„Hoffentlich klappt das mit der Mary, ist schon gefährlich und wir haben so etwas halt noch nicht gemacht.“
„Mach dir mal keine Sorgen. Ich hab die Unterlagen meines Vaters schon im Griff. Die Mary nimmt die Leute mit und wird sie auch hinüberbringen“
„Ich hoffe du hast Recht.“
„Hab ich. Jetzt scheiß dir mal nicht so in die Hosen.“
„Ist denn noch was frei?“
„Ja ´n bisschen Platz ist noch frei.“
„Hallo? Ist jemand hier?“
„Äh hier bin ich. Hallo. Was möchtet ihr?“
„2 Cokes und 2 Käsesandwhiches bitte.“
„Zum Mitnehmen?“
„Ja.“ Antwortete der größere von den beiden etwas ungeduldig.
Ich beeilte mich alles zusammenzupacken und schob es ihnen über den Tresen rüber.
„7,55 bitte.“
Er schob 10 über den Tisch, dann drehten sie sich um und verschwanden. Mary, dachte ich. Das war doch dieses riesige weiße Schiff was im Hafen lag. Ich wollte gar nicht wissen, was sie mit
den Menschen vorhatten.
Langsam mussten Hasa und ich mal eine Möglichkeit finden auf eines der Schiffe zu kommen. Noch einmal kamen Männer in das Lager, aber seit ich die beiden im Imbiss belauscht hatte versteckten wir uns vor ihnen. 2 Tage später lief die Mary aus mit hundert Flüchtlingen an Bord. Hasa und ich gingen jeden Tag den Zaun am Hafen entlang, in der Hoffnung irgendeine Möglichkeit zu finden ihn zu überwinden und auf eines der Schiffe zu gelangen. Aber von Tag zu Tag schwand meine Hoffnung mehr. Aspastaran hatte sich für uns wie für viele andere auch, in eine Sackgasse verwandelt.
Dachte ich zumindest bis Patmough
auftauchte und uns erzählte dass die Schiffe alle nach 10 Tagen nochmal einen Hafen vor der Grenze zum Tanken und dem Aufnehmen einiger weniger Waren anlaufen. Hasa und ich machten uns mit einigen wenigen auf den Weg nach Tela. Der Weg war weit und beschwerlich. Zwischen Aspastaran und Tela lag Wald und Wüste und der Weg war sehr lang. Aber ich hatte beschlossen, dass wenn wir überhaupt eine Chance haben wollten, wir dorthin mussten.
FeinGeist Ja, es gibt zu viele Menschen - und es werden täglich mehr ... Was bin ich froh, dass ich diesen Tag, an dem Europa endlich überrannt wird, nicht mehr miterlebe - der einzige Vorteil des Alters, würde ich mal denken. Die erste und [wahrscheinlich) einzige Generation die ohne Krieg im eigenen Land leben durfte ... |
Friday Nun ich hoffe nicht, dass Sie zur einzigen Generation gehören! Ich hoffe Sie lesen die Geschichte weiter, ich habe mir sehr viel Mühe gegeben keine wirklichen Länder zu verwenden um nicht das klassische Bild von Europa und Afrika zu zeichnen. Viel Spaß noch mit meiner Geschichte! Friday |