Romane & Erzählungen
Gustav Bürger oder der verhinderte Spießer

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"Raimund Fellner"
Veröffentlicht am 17. Mai 2014, 14 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
© Umschlag Bildmaterial: Günter Neupel
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Über den Autor:

Schriftsteller und Philosoph M.A.
Raimund Fellner

Gustav Bürger oder der verhinderte Spießer

Verhinderte Spießer

  Gustav Bürger haderte mit seinem

Schicksal. Er hatte dieselbe Diagnose wie ich, nämlich die halluzinatorisch paranoide Schizophrenie. Wie bei mir war es möglich mit Medikamenten den Gehirnstoffwechsel so zu regulieren, dass diese Krankheit weggedämpft war. So war ein klares gesundes Denken dank der geeigneten Medikamente möglich, die erst Mitte der 1950er Jahre entdeckt worden waren. Und doch bestand die Gefahr, dass die Krankheit die Oberhand gewann. Dann musste die Dosis dieser Antipsychotika erhöht werden oder

andere Wirkstoffe dieser Art gewählt werden. Es war immer wieder eine stationäre Behandlung notwendig. So wurde Gustav schon mehrmals in seinem Leben zurückgeworfen. Es war ihm nicht möglich sein Volkswirtschaftsstudium abzuschließen, er musste sich als Hilfsarbeiter verdingen, wenn es ihm nicht gelang, einen angenehmeren Job zu bekommen. Immer wieder, wenn er sich hochgerappelt hatte, verlor er seinen Job, weil er wieder krank wurde, und er musste von vorne anfangen.

  Gustav fühlte sich unschuldig. Warum musste gerade ihn diese geächtete Krankheit immer wieder treffen. Er hatte schon als Student eine soziale

Einstellung, wie er mir versicherte, und hatte ein Herz für die Armen, die nicht so privilegiert waren wie er als Student. Er wollte sich doch nur das Leben eines biederen Spießers aufbauen. Eine Frau finden, ein Haus bauen oder kaufen, zwei Kinder und ein Auto für sich und eines für seine Frau. Er wollte doch nur zufrieden bieder dahinleben mit zwei bis drei Urlauben im Jahr in einem angesehenen Beruf in geachteter Position. War das zu viel verlangt? Er war sich wirklich keiner Schuld bewusst. Und dann immer wieder diese Krankheit, die ihn aus dieser Laufbahn herausriss.

  Gustav Bürger glaubte tief innerlich an

Gott. Aber weil ihn Gott mit dieser Krankheit immer wieder schlug, rächte er sich an ihm, indem er das Dasein Gottes bezweifelte. Er war aus der Kirche ausgetreten. Trotzdem ging er immer wieder abends zum Taizé-Gebet in die Münchener Paulskirche und genoss diese durchgeistigte gemeinschaftliche Atmosphäre, die Gott erahnen und spüren ließ. Auch besuchte er Gottesdienste, wobei er jedes Mal nach der Predikt das Gotteshaus verließ. Denn immer, wenn er in all diesen Zusammenkünften, Gott erfühlte, strafte er Gott, indem er dieses Angerührtsein auf Autosuggestion zurückführte. Alles nur Einbildung, meinte er. Jedenfalls

"nix gwiß weiß man", wie der Bayer sagen würde. Egal wie Gott sich bemerkbar machte. Es ließ sich immer als Einbildung und Halluzination abtun. Es konnte immer sein, dass er ein Wirken Gottes, das er zu bemerken erspürte, nur ein Placebo-Effekt der Wunschvorstellung war. Auch nahm er sich Zeit zur Besinnung und Meditation. Wenn ihn Gott anrührte, auch im Gebet, - denn hin und wieder betete er, - so tat er diese sacht-zarte Verbindung mit Gott als autogenes Training ab.

  Gustav stellte die Theodizee-Frage für sich: Wie kann es einen guten Gott geben, wenn er ihn immer wieder in diese salonunfähige Krankheit fallen

ließ? Er hatte nichts verbrochen und trotzdem wurde er so hart geschlagen. Da verdiente es Gott, dass er an ihm zweifelte. Er wollte doch nichts anderes sein als ein ganz normaler Spießer. Warum ließ Gott das nicht zu?

  Während mein Freund Gustav Bürger von Spießerarbeit träumte, hatte ich in meiner Jugend geträumt von einem Leben ohne Arbeit im Amüsement mit Bea, meiner hartnäckig fortwährenden Liebe, ohne störende Kinder. Als Unternehmer wollte ich andere für mich arbeiten lassen. Im Gegensatz zu Gustav Bürger kam ich mir nicht schuldfrei vor. Meine Krankheit diente meiner Bekehrung. Weil unsere alten Träume ein

Gemeinsames hatten, nämlich den Genuss von Annehmlichkeiten, scherzten wir hin und wieder darüber, was uns alles verwehrt war aufgrund unserer Krankheit. Gott verwehrte uns den Porsche, das Haus mit Garten, die Yacht, den mehrfachen Fern- und Wellness-Urlaub. Gustav hatte immerhin ein Auto, wenn auch einen kleinen Popel-Mercedes, wie er meinte. Jedoch ein Porsche und ein geräumiger Luxus-Mercedes war ihm wie mir verwehrt. Und so malten wir uns in der Phantasie aus, was uns alles an Luxus fehlte. Wir überzeichneten derart, dass unausgesprochen klar wurde, dass wir um keinen Deut glücklicher wären als

jetzt, wenn all unsere Phantasien Wirklichkeit wären. Ich dachte mir insgeheim: Vielleicht ist das Schweben in diesen Luxusphantasien viel schöner als eine realisierte Wirklichkeit.

  Die Liebe zum anderen Geschlecht hatte Gustav wie ich schon mehrmals erfahren. Aber im Gegensatz zu mir gab es aus all diesen lustvollen Begegnungen keine Favoritin bei Gustav. Ich vermutete zwar, es gäbe sie doch bei ihm. Nur war Gustav wie viele Zeitgenossen wohl Meister im Verdrängen einer solchen herausragenden Liebe, weil eine solche ihn zu sehr schmerzen würde, da sie jetzt unzugänglich ist.

Gustav war im kleinen Rahmen wohl situiert. Er bewohnte eine Eigentumswohnung und hatte, wie gesagt, einen kleinen Mercedes, er hatte eine Rente und Mieteinnahmen, von denen er gut leben konnte. Er musste im Gegensatz zu mir nicht arbeiten. Er hätte das Leben in Muße genießen können, doch dazu war er nicht fähig, weil ihm das Über-Ich der Gesellschaft einredete, er müsse arbeiten, um ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft zu sein. Darum suchte er sich immer wieder einen Nebenjob in der Kundenwerbung über Telefon. Das machte er nicht, weil er das Geld brauchte, sondern nur um den

Spießerforderungen seines Über-Ich zu genügen. Zwar kümmerte sich Gustav um seine alte Mutter. Doch das genügte nicht dem Über-Ich.

  Ich sagte zu ihm, vielleicht sei seine Schuld, die Gott missfiel, dass er ein Spießer sein wolle. Gott ließe das biedere Spießertum bei ihm, Gustav, nicht zu. Gustav schien das zu beherzigen, nicht weil ich ihm das sagte, sondern wohl, weil Gott ihn darauf brachte. Obgleich sich ein gewinnträchtiger Job angeboten hatte, bewarb er sich ehrenamtlich zur Essensausteilung bei der Armenspeisung der Franziskaner im Münchner Lehel. Sie konnten ihn brauchen. Und so putzt

er zwei Mal in der Woche die Toiletten und teilt Essen aus. Auf die Frage, wie es ihm damit gehe, sagte Gustav, diese Arbeit erfülle ihn mit tiefer Freude.

  So kommt Gustav zu einer weiteren Gotteserfahrung über den Dienst an denen, denen es bei weitem schlechter geht als ihm. Er erlebt, ohne es zu wissen, göttliche Freude. Ich bestärke ihn auf seiner Nicht-Spießer-Laufbahn. Denn dem Spießertum genügt die unentgeltliche Arbeit nicht. Weil der Spießer sagt sich: Das kann ja jeder. Dem Spießer ist eine Arbeit so viel wert, soviel dafür bezahlt wird. Sich um seine alte Mutter kümmern und um die Benachteiligten, ohne Geld zu

bekommen, gilt vor dem Spießer nichts. Doch zuletzt lacht nicht der, der dem Spießer gefällt, sonder der, der Gott gefällt.


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raimundfellner
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EdwinEhrlich 
Ein Glück gibt es Menschen wie "Gustav Bürger" die die Welt hinter dem Mainstream leben und erfahren dürfen.
Einen lieben Gruss
Edwin Ehrlich
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