Auszug Nr 2 aus „Taraskische Rosen“.
Vom Vater verstoßen.
„Fertig, Dicke“, Mintzita schob die Kuh von sich weg. Schwerfällig erhob sie sich von dem niedrigen Hocker und brachte die Kanne mit der Milch in die Hütte zurück. Nun nahm sie sich das Opfergesteck vor, ein niedriges, dreibeiniges Holzgestell, an das sie orangefarbene Kürbisblüten eng nebeneinander auf die Holzstreben band und Bananen mit gelben Äpfeln dazwischen hängte. ‚Es gleicht einem hellen Stern, stellte sie fest und freute
sich darauf, morgen Abend mit der Mutter und ihren Geschwistern dieses leuchtende Totengestell auf den Friedhof zu tragen und dort auf die Seelen ihrer geliebten Verstorbenen zu warten, die zur Erde herabsteigen würden, um mit den Lebenden Zwiesprache zu halten.
Mintzita drängte ihre Träume beiseite. Sie durfte die Zeit nicht vertrödeln und begann unverzüglich mit den Vorbereitungen für die Abendsuppe. Wenig später hörte sie, wie das Tor knarrend geöffnet wurde. An den schleppenden Schritten erkannte sie den Vater. Wortlos betrat Juan Riviera die Hütte. Er warf den Schultersack in die
Ecke.
„Außer dir keiner da?“, knurrte er. Juan konnte es nicht leiden, wenn die Familie bei seiner Rückkehr nicht vollzählig versammelt war. Ärgerlich schaute er sich um. Mintzita gab sich emsig. Schon eine unbedachte Bewegung würde den Vater reizen. Sie hob die Arme, um die Stricke am Vorratsbord zu lockern.
„Halt! Halte die Arme hoch!“ Ungläubig starrte Juan auf Mintzitas Leib. Dick vorgewölbt offenbarte er, was geschehen war. Zorn stieg in Juan auf, breitete sich in ihm aus wie ein rasch wirkendes Gift. Die Wut steigerte sich zur Weißglut, sie beherrschte ihn und raubte ihm schließlich jede Kontrolle.
Mintzita konnte die Arme nicht länger halten, ließ sie mit einem Ruck fallen. Als sei dies der Startschuss, zog Juan den Gürtel aus der Hose und peitschte in blinder Wut auf den Körper der Tochter ein. Wieder und wieder traf er sie von den Schultern bis zu den Beinen, dass sie von einer Seite zur anderen taumelte.
„Raus, für immer raus!“, brüllte der Vater.
Mintzita schleppte sich in den Wald. Irgendwo ließ sie sich fallen, der Schmerz löste sich auf, sie schwebt der Finsternis entgegen, sie spürte nichts mehr.