Geboren in der fliegenden Stadt, ist Kellvian lange mit einem Leben konfrontiert, das sich manch einer Wünschen würde. Doch als er sich eines Tages entscheidet, sein behütetes Leben als Sohn des Kaisers hinter sich zu lassen , beginnt für ihn eine Reise, von deren Ausgang plötzlich das Schicksal des ganzen Kaiserreichs abhängen könnte. Nichts ahnend, das bereits eine Macht in den Schatten lauert, die nur auf ihre Gelegenheit gewartet hatte, bricht Kellvian auf in eine Welt, die am Rand eines Bürgerkriegs
steht. Bildquelle : Jochen Pippir / pixelio.de
Sie hatten mittlerweile die Berge erreicht und Jiy hatte keine Ahnung, wie lange sie für ihren Weg brauchen würden. Anfangs waren sie einem nur leicht ansteigenden, gewundenen Pfad gefolgt, der jedoch sehr bald zu einem immer steileren Pass geworden war. Und nun lag statt einem Weg eine große Schräge vor ihnen. Übersäht mit großen und kleineren Gesteinsbrocken, die aussahen, als könnten sie jeden Augenblick in die Tiefe rutschen.
Einzelne rote Fahnen, die im kalten Wind
flatterten, markierten einen sicheren Weg über die Geröllhalde. Allerdings, wenn sie sich den Zustand der Flaggen ansah, war es eine Ewigkeit her, dass jemand diesen Pfad genutzt oder zumindest überprüft hatte. Zerrissene Stoffbahnen
Trümmer löste sich bei fast jedem Schritt unter ihren Füßen und segelten mit beunruhigender Lautlosigkeit Richtung Tal. Lediglich das leise Knirschen verriet, wenn sich wieder ein Stück Geröll löste… um unaufhaltsam in der Tiefe zu verschwinden. Nicht zu lange darüber nachdenken, sagte sie sich. Immer nur einen Fuß vor den anderen setzen. Zyle freilich schien diese Probleme nicht zu haben. Entweder war
der Mann einfach Selbstmörderisch veranlagt, oder er wusste aus irgendeinem Grund, wohin er treten musste, denn er bewegte sich so sicher auf dem Schutt, dass sie ihn einen Augenblick nur Beneiden konnte. Sie war für so etwas nicht gemacht. Durch die Äste von Bäumen zu klettern oder über einen Waldboden… Das war in Ordnung. Das hier nicht. Auf ihrer linken Seite ragten die Felswände unerbittlich und unerklimmbar in die Höhe. Und auf ihrer Linken fiel die Welt fast senkrecht ins Nichts ab. Jiy konnte die Seen dort unten schimmern sehen, die sie erst gestern passiert hatten.
Sie und der Gejarn Spitze der Gruppe
übernommen, während die beiden Menschen am Rand des Felds warteten. Sie konnte Kellvians besorgten Blick spüren, ohne sich umzudrehen. Es hatte ihm gar nicht gefallen, zurückzubleiben, aber Melchior war derjenige gewesen, der sich dafür ausgesprochen hatte. Mit seiner nach wie vor nicht völlig Verheilten Wunde konnte er nicht sicher klettern… und als Zyle dann auch noch Vorangegangen war… Sie würde sich nicht von ihm überbieten lassen.
Der schwere Rucksack brachte sie beinahe aus dem Gleichgewicht, als sie mit einigen waghalsigen Sprüngen zu dem anderen Gejarn aufschloss. Kurz drohte sie tatsächlich zu stürzen, als sich
ein Stein unter ihrem Fuß löste, dann hatte Zyle sie bei der Schulter gepackt und riss sie nach vorne.
,, Es ist ein langer Weg nach unten.“ , meinte er und ließ sie los, sobald er sicher war, das sie wieder fest stand.
,, Danke. Davon wollte ich mich ungern selbst überzeugen.“
,, Wir haben es gleich geschafft.“ Zyle deutete nach vorne. Vielleicht noch hundert Meter und das Trümmerfeld ging wieder in festen Stein über, in den irgendjemand eine Treppe geschlagen hatte. Der Stein war so verwittert und ausgetreten, das Jiy Probleme hatte, sich vorzustellen, wie alt dieser Weg sein musste. Oder wer schon alles hier
gewesen war… Solange sie nur einmal hier durch musste, konnte ihr das aber auch egal sein.
,, Warum helft ihr uns eigentlich?“ , wollte Jiy wissen, während sie ihren unsicheren Weg über die Felsen fortsetzten.
,,Ich weiß nicht… Am Anfang war Kell mehr Mittel zum zweck aber… Ich will ganz ehrlich sein ich schätze euch beide. Es ist ein wenig seltsam klar, aber in diesem Land ist alles für mich seltsam gewesen.“
,,Gewesen ?“
Zyle lachte hinter vorgehaltener Hand. ,,Ich fange an es hier zu mögen. Aber verratet das dem alten Seher bloß
nicht…“
Sie erreichte endlich das Ende des Felds und warteten, dass Melchior und Kellvian sich einen Weg durch die Steine suchten. Überraschend geschickt führte der Seher Kell durch das unsichere Terrain… bis sie endlich auch den sicheren Steinvorsprung erreichten. Und weiter der Treppe im Fels folgten.
Der Pfad führte in Serpentinen die Bergflanke hinab, bis sie auf Höhe eines breiten Felskammes gelangten. Geländer sicherten die Seiten des Wegs ab, jedoch war das Holz mit der Zeit so stark vermodert, das es unter der leichtesten Berührung zu Stab zu zerfallen drohte. Einen Sturz würde es sicherlich
verhindern, aber wenigstens hatten sie wieder sicheren Boden unter den Füßen.
,, Seht euch das an.“ , Kellvian war stehengeblieben und hatte den Rucksack abgesetzt. Er deutete auf etwas in der Ferne.
Auf der rechten Seite des Pfads fielen die Felsen sanft in ein Tal ab. Ein gangbarer Weg zog sich quer durch den kleinen Wald, der auf der Bergseite wuchs. Und weiter den Hang hinab wurde aus dem Weg sogar eine gepflasterte Straße, welche die nur spärlich bewachsene Talebene wie eine graue Linie in zwei Hälften teilte. Hin auf einen dunklen Steinbau, der sich im Schatten der Berge auf der anderen
Talseite erhob. Türme, Mauern und Kreuzgänge aus Granit erhoben sich in die Höhe, wirkten vor der Kulisse des Gebirges jedoch beinahe winzig. Einzelne Quarzeinschüsse in den aus dem Stein gebrochenen Bauten leuchteten in der Sonne auf, als hätte das Gebäude Augen, die jedem Reisenden aus der Entfernung zu blinkten. Über den Zinnen kreisten einzelne, große Schatten mit ledrigen Schwingen…
Jiy wurde bei dem Anblick unruhig. Sie hatte etwas Ähnliches erst vor wenigen Tagen gesehen… Jetzt, wie die Entfernung nicht mehr so groß war konnte sie auch erkennen, das sie sich bei der Größe dieser Wesen getäuscht
hatte. Jeder der Schatten war mindestens groß genug, um mit einem ausgewachsenen Schlachtross auf Augenhöhe zu sein.
,,Das ist der Sitz des Sanguis-Ordens.“ Melchior wirkte zum ersten Mal sichtlich nervös, während er zu den schwarzen Festungstürmen herübersah. Das ganze Gemäuer schien nicht richtig hierher zu gehören. Es war ein Relikt vergangener Zeiten, von Zeiten wo nur Stahl und Magie, nicht tödliches Pulver, das selbst die mächtigsten Festungswerke zu Staub zermahlen konnte, die Schlachtfelder beherrscht hatte. ,, Ich hatte nicht gedacht, das wir so nah daran vorbei
müssen…“
,, Sollten wir uns Sorgen machen ?“ , fragte Zyle
,, Ich glaube nicht. Vermutlich hattet ihr Recht Kell. Sie scheinen nicht darauf gefasst zu sein, dass jemand Wahnsinnig genug wäre, grade diesen Weg zu gehen. Aber lasst uns hier nicht zu lange bleiben. Kommt, beeilen wir uns.“ Der Seher setzte sich wieder in Bewegung. Langsam folgten ihm die anderen weiter über den Felsgrat.
,, Jiy ? Alles in Ordnung ?“ Ihr Blick blieb weiter an dem halben dutzend Schatten hängen, die sich über der Ordensburg sammelten.
,, Ich glaube schon… Ich habe nur ein
ganz mieses Gefühl…“
Als es langsam dunkel zu werden begann, sollte sie schließlich erfahren, was es mit den Schatten auf sich gehabt hatte. Das erste, was Jiy auffiel, als sie einem weiteren in die Bergseite geschlagenen Pfad folgten, war der Geruch von Verwesung. Anfangs war es so schwach, das sie es kaum bemerkte und auch während sie sich einen Weg über einen breiten Felsvorsprung suchten, machte sie sich noch keine Sorgen. Der Tod gehörte auf seine Art zum Leben und wenn irgendwo ein Tier starb, war das zwar bedauerlich… aber nichts vor dem man sich fürchten musste. Und doch sah
sie sich angespannt nach allen Seiten um. Vielleicht war es das ferne Grollen, das sie manchmal hörte. Ein Gewitter hier oben wäre Lebensgefährlich…
Der Vorsprung, den sie überquerten wurde auf einer Seite von einem steilen Berghang markiert, während auf der anderen Seite ein kurzer Hang hinab in einen Wald aus Bäumen führte, die in den bizarrsten Formen wuchsen. Gewundene Stämme und in alle Richtungen verdrehte Äste boten einen seltsamen, wenn nicht leicht beklemmenden Anblick. Erst viele tausend Schritte weiter die Bergflanke hinab standen wieder normale Kiefer und Tannen, die auf die Entfernung das Land
wie ein grüner Teppich zu überziehen schienen. Blau zog sich das Band eines Flusses zwischen den Wäldern und Berggipfeln dahin.
,, Bin ich der einzige… der das riecht ?“ Zyle , der mittlerweile vorausging, war stehengeblieben, die eine Hand auf den Schwertgriff gelegt, während er mit der anderen den Knoten löste, welcher die Taschen hielt, die er trug.
Jiy sah auf. Einen Augenblick hatte sie vergessen, was sie so nervös hatte werden lassen. Dann jedoch erklang ein tiefes Grollen. Näher diesmal und erst hier wurde der Gejarn ihr Fehler klar. Das war kein heranziehendes Gewitter, das diese Geräusche
verursachte…
Der Kadaver einer Kuh stürzte von dem Berghang über ihnen und landete auf dem Vorsprung. Das Tier war definitiv schon länger Tod, so viel konnte sie erkenne, bevor sie eine Hand zurückriss und ein zweites Lebewesen von den Felsen herunterkam. Olivgrüne, fast schwarze Schuppen bedeckten den Körper der Kreatur. Das Wesen stand auf zwei krallenbewehrten Beinen, von denen es eine in den Tierkörper schlug und mit einer einzigen Bewegung das vermodernde Fleisch von den Knochen riss.
Die Flügel, die Jiy an die einer Fledermaus erinnerten, hatte das Monster
dabei an die Körperseiten gefaltet. Gelbliche Augen zuckten nervös hin und her, während die Echse ihre Beute verschlang. Ein langer , ebenfalls mit dunklen Schuppen bedeckter Schweif peitschte hinter ihr durch die Luft. Eine reihe aus rasiermesserscharfer Dornen glänzte gefährlich daran.
Sie alle waren mittlerweile so weit wie möglich von dem Monster an die Felswand zurückgewichen Jedoch schien sich dieses, was immer es war, nicht groß um sie zu scheren. Es nahm wohl mit der leichteren Beute, die die tote Kuh darstellte vorlieb. Noch… Jiy schluckte.
,, Was ist das für ein Ding ?“ , flüsterte
Zyle. Der Mann hatte die Klinge halb gezogen , wagte es aber genau so wenig wie die anderen, sich zu bewegen.
,, Das ist ein Wyvern.“ , erklärte Melchior. ,, Ich habe zwar gehört, das die Dinger hier oben langsam zur Plage werden, aber ich dachte nicht, das sie sich so nah an Menschen heranwagen.“
,, Also… kein Drache ?“
,, Nein. Ich weiß nicht, wie es in Laos aussieht, aber die meisten Drachen wurden hier schon vor Jahrhunderten ausgelöscht. Deshalb gibt es ja jetzt so viele dieser Biester. Sie vermehren sich wie die Fliegen, obwohl ich gehört habe, das der Orden sie mittlerweile für Zielübungen
nutzt.“
,, Wo ist der Unterschied ?“ Kellvian hatte ebenfalls eine Hand an den Degengriff gelegt und sah beunruhigt zu der Kreatur herüber, die nach wie vor mit ihrer Mahlzeit beschäftigt war.
,, Der Unterschied besteht daran, das wenn das ein echter Drache wäre, wir keine Chance hätten. Die sind viel intelligenter´, manche sollen sogar der Sprache oder der Magie mächtig sein. Und sie sind vor allem größer. Glaubt mir ihr wollt keinem echten Drachen gegenüberstehen.“
, Und das Ding ist harmlos oder was?“ Zyle nickte in Richtung des Wyvern.
,, Aasfresser .
„
,,Äh Melchior… wir sind kein Aas trotzdem schaut mich das Vieh ziemlich böse an.“ , bemerkte Jiy.
,,Zumindest… meistens. Und dämlich noch dazu. Wenn wir vorsichtig sind, können wir uns vorbeischleichen.“
,, Ich möchte mich dem Ding überhaupt nicht nähern.“ , erklärte der Gejarn.
,, Nein, ich auch nicht… unbedingt.“ , meinte Jiy, schätzte aber trotzdem bereits die Entfernung ab. Der Wyvern war auf halbem Weg zwischen ihnen und dem Ende des Felsvorsprungs, von wo aus ein Pfad hinab in die Wälder führte.
,, Am besten wir gehen wieder, einer nach dem anderen.“ , schlug Kellvian
vor. ,, Und keine Sorge, wenn das Ding eine falsche Bewegung macht, sind wir sofort da.“
Zyle seufzte. ,, Wenn ich gefressen werde, möchte ich das ihr euch alle schuldig fühlt.“ , meinte er, bevor er die Klinge losließ und langsam aus dem Schutz der Felswand hervortrat. Das dunkelgrün geschuppte Ungeheuer hatte den Kuhkadaver mittlerweile in fetzen gerissen, die über den gesamten Vorsprung verteilt lagen. Die Kiefer des Wyvern zermalmten die Knochen des Tiers mit einem Übelkeit erregenden Geräusch.
Langsam schlich der Gejarn sich an die Echse heran, die keine wirkliche Notiz
von ihm zu nehmen schien. Offenbar hatte Melchior Recht. Das Ding war offenbar tatsächlich nur an leichter Beute interessiert. Wobei er sich momentan auch eher zur… leichten Beute zählte. Die Schuppen des Monsters waren so dicht, das er nicht wusste ob man s überhaupt mit einem Schwert verletzen konnte. Nur Zauberer konnte wohl so verrückt werden, so etwas als Tontauben zu benutzen.
Er war jetzt genau hinter dem Wyvern und hatte musste aufpassen, das ihn der Schweif der Kreatur nicht traf. Mit einem Schritt zur Seite wich Zyle einem der Dornen aus. Und im gleichen Moment knackte etwas unter seinem Fuß. Ein
Knochen… Verflucht er hatte einen Moment nicht aufgepasst. Sofort wirbelte die Kreatur herum. Der Gestank, der ihm entgegenschlug war Atemberaubend und er musste sich zur Seite werfen um dem Maul der Bestie auszuweichen. Messerscharfe Zähne schlugen Klackend aufeinander, als ihn das Monster knapp verfehlte. Der Gejarn rollte sich über die Schulter ab, kam wieder auf die Füße und zog das Schwert. Er riss die Klinge hoch und stieß dem Wyvern de Klinge in die Seite. Oder hatte das zumindest vor, den das Schwert glitt wirkungslos an den Schuppen der Echse ab.
,, Einfach großartig.“
,, Zyle ! Vorsicht.“
Die Warnung kam zu spät. Aus den Augenwinkeln sah er etwas auf sich zurasen, dann riss ihn eine Kralle des Monsters von den Füßen und schleuderte ihn durch die Luft. Er rutschte über die Felsen, direkt auf den Abgrund Richtung Wald zu… und schlitterte über die Kante.