Kurzgeschichte
Die Sicht der Dinge

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"Die Sicht der Dinge"
Veröffentlicht am 24. April 2014, 28 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Lieblingsautoren: Arthur Machen, Herbert George Wells, Howard Phillips Lovecraft, Stephen King, Dr. H.S.Glasscheib, Friedrich Nietzsche, Robert E. Howard
Die Sicht der Dinge

Die Sicht der Dinge

Die Sicht der dinge

"Ich glaube nicht an simple Gegensätze, an Schwarzweiß, an 'richtige' und 'falsche' Perspektiven. Es gibt ja unendlich viele gleichberechtigte Perspektiven der Realität." Luciano Berio Ich habe die Tabletten genommen. Zwei morgens und zwei abends. Wenn es besonders stark zu spüren war, eine zusätzlich zum Mittagessen. Aber mir geht es nicht besser! Das eitrige, stinkende Loch in meinem

Bauch wird immer größer und tut jeden Tag mehr weh. Wenn ich das Doktor Mehrson erzähle, nickt er nur und sagt ich soll meine Tabletten nehmen. Seit drei Jahren bin ich nun hier und mir geht es immer schlechter. “ Ein Experiment zur Modifikation des Sozialverhaltens spart Ihnen die zwölf Jahre Gefängnis, Herr Winter.” Ich höre die Worte meines unfähigen Anwalts jede Nacht. Jede Nacht muss ich mehre Male aufstehen und mein Bettlaken wechseln, weil die Wundflüssigkeit, das Blut und der stinkende Eiter den Verband durchnässen und das Bettzeug

versauen. “ Zwölf von achtzehn Häftlingen werden rehabilitiert, Herr Winter. Ich halte das für eine gute Alternative, eine großartige Chance für Sie.” Als ich die Zustimmung für diese Scheiße unterschrieb, habe ich das wirklich geglaubt. Vier Jahre “Modifikation” durch einen schwedischen Wunderdoktor aus Stockholm oder die “ Tussi ” für irgendeinen liebesbedürftigen Muskelberg im Knast sein. Da glaubt man gerne an solchen Psychologenscheiß. Aber ich denke ich weiß es

jetzt. Ich weiß weshalb Mehrson jeden einzeln behandelt und sich die Patienten, außer beim Mittagessen, nicht sehen dürfen. Ich hab’s von Ricardo gehört. Er ist zwar erst ein paar Wochen hier aber er hat das Stickoxydul - Gas nicht eingeatmet, hat nur so getan. Ricardo hat mir erzählt was die da treiben. Nachdem sie sicher waren das er schlief, kam Dr. Mehrson in den Behandlungsraum. “Aber etwas war anders an ihm.“, Ricardos Stimme wurde leiser, obwohl die Ärzte mehrere Meter entfernt waren und es ihnen so unmöglich war uns zu

verstehen. Er wendete seinen Blick von mir auf seinen Krautsalat und zerpflückte ihn mit seinem stumpfen Sicherheitsmesser. Nach einigen Sekunden der Stille, erzählte er unvermittelt weiter. Als hätte er einen inneren Kampf geführt ob er mir diese Geschichte weitererzählen soll. “Irgendetwas war anders am Doc, irgendetwas. Das klingt jetzt bestimmt irre aber seine Kopfform war anders, irgendwie breiter. Ich konnte es nicht so genau sehen, da ich die Augen nur einen kleinen Spalt geöffnet hatte. Als er sich über mich beugte und meinen

Augen ganz nahe war, so nahe das ich befürchtete er könnte mich blinzeln sehen, öffnete ich sie panisch.” Ungeduldig hielt ich meine Gabel fester in meiner kaltschweißigen Hand. “Und dann?”, wollte ich von Ricardo wissen. Jetzt lächelte er mich an und strich mit den Fingern seinen Oberlippenbart nach: “Tja und dann, nichts. Kann mich an nichts mehr erinnern. Is doch ne kranke Nummer, was?” Die Essenszeit wurde von der gesichtslosen Stimme die aus dem Lautsprecher drang für beendet erklärt. Ich hatte nicht viel gegessen.



Als ich zurück in meiner Zelle war, beschloss ich meine Gespräche mit ehemaligen, drogenabhängigen Dealern auf ein erträglicheres Maß zu beschränken. Ich wechselte meinen Verband und setzte mich erschöpft auf mein Bett. Gerade wollte ich mich hinlegen, da hörte ich den alten Otto Mesmer, der ungefähr zur gleichen Zeit wie ich hier eingeliefert wurde. Einer von Mehrsons Assistenten wollte ihn anscheinend zur Routineuntersuchung mitnehmen. Eigentlich nichts außergewöhnliches, doch Ottos Worte hingegen waren

es. Da Ottos Zelle ungefähr acht Meter den Gang runter lag, verstand ich nur bruchstückhaft das Erzählte. Er weigerte sich anscheinend mit dem Arzt zu gehen. Er schrie etwas davon das er wüsste wie es geht, er hätte beim Special Weapons and Tactics in Amerika doziert und unterrichtet wie man die Schlösser öffnet. Ich verstand in nur mühevoll, konnte mir aber denken was er meinte. Er spielte sicherlich auf die lächerlichen Zylinderschlösser der Zellen an. Man, selbst ich hätte die knacken

können. Der Arzt erwiderte ihm etwas. Aber so ruhig und leise, dass ich es nicht verstehen konnte. Dann war es ruhig und ich hörte weder den alten Otto Mesmer noch Mehrsons Assistenten.



Diese Nacht schlief ich sehr unruhig Ich träumte seltsame Dinge, von Doktor Mehrson, Ricardo und dem alten Otto. In meinem Traum stand Ricardo im fahlen Licht des Behandlungsraumes und sah mich mit leeren Augen, gleich einer Leiche, an. Er deutete auf eine unbeleuchtete Ecke

des Raumes. Als ich hinsah, schien sich etwas Unförmiges zu regen. Ich versuchte meinen Blick zu schärfen, nun sah es nicht nur so aus als würde es sich regen sondern als würde es kriechen, auf mich zu kriechen! Ich konnte mich nicht rühren, konnte nicht gehen! Plötzlich packte mich eine Hand und zog mich aus der Dunkelheit. Es war Otto Mesmer. Ich wollte auf ihn zu gehen aber da holte uns das kalte Dunkel wieder ein. Ich bekam Angst und dachte Otto wäre verschwunden. Doch etwas atmete vor mir. Ich streckte meine Hand nach vorn um es

zu ertasten. Ich mehrmals glitten meine Finger durch das dunkle Nichts. Als ich aufgab, lichtete sich die Dunkelheit ein wenig und ich sah Otto. Doch der perverse Anblick verschlug mir den Atem. Ottos Kopf der mit grobem Garn an einem matschigen, sich windenden Sammelsurium verschiedener Organe angenäht worden war. Diese Ding öffnete und schloss seinen Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen, so als würde es mir etwas sagen wollen. Hinter mir hörte ich das Quietschen der metallenen Tür des Behandlungsraumes. Als ich mich umdrehte sah ich Dr.

Mehrson eintreten und die Tür hinter sich schließen. Er kam näher und lächelte mich an.



“AUFRUF AN ALLE PATIENTEN DER BLOCKS A BIS D BITTE BEREITEN SIE SICH AUF DIE WÖCHENTLICHE ROUTINE - UNTERSUCHUNG VOR.” Gott sei dank! Die Durchsage für die Routineuntersuchung riss mich aus diesem Alptraum. Meine Sachen waren durchgeschwitzt und meine Wunde hatte wieder

angefangen zu bluten. Durch den Schweiß der daran kam, brannte die sie wie Feuer. Ich richtete mich auf und versuchte wach zu werden, denn ich war heute der Erste. Zwei von Mehrsons Männern führten mich vom Patiententrakt in den Behandlungs- raum. “Legen Sie sich auf die Liege, Herr Winter. Sie wissen ja wie das läuft.”, erörterte einer der Ärzte, “Schön einatmen”, und drückte mir die Narkosemaske auf Nase und Mund. Erst spielte ich mit dem Gedanken das Gas einfach nicht einzuatmen um zu sehen was

Ricardo und vielleicht der alte Otto zu Gesicht bekamen. Doch bevor ich diesem Gedanken Taten folgen lassen konnte, hatte das ich da süßliche Gas schon eingeatmet und schlief ein. Als ich aufwachte juckte mein ganzer Körper und ich hatte stärkere Kopfschmerzen als nach mehreren Flaschen englischem Bieres. Ich lag wieder in meiner Zelle. Wie spät es wohl wahr? Weder im Patiententrakt noch im Behandlungsraum befanden sich irgendwelche Fenster nach

draußen. So war es denkbar schwer die Tageszeit zu bestimmen. “Schutzisolation vor äußeren Noxen.”, nannte das Dr. Mehrson. Ich denke, grausame Scheiße, traf es eher. Meine Kopfschmerzen besserten sich und ich versuchte aufzustehen. Also hing ich meine Beine aus dem Bett und richtet mich langsam auf. Ich tat die ersten Schritte unter dem begleitenden Gluckern meines Magens. “ Das war das letzte Mal, dass ich Krautsalat esse.”, dachte ich bei mir und stützte mich am Bettpfosten ab um die Bauchwunde nicht zu sehr zu

belasten. Doch als ich mich nach vorn beugte, spürte ich wie die angetrockneten Wundränder aufplatzten und ins gesunde Gewebe einrissen. Ein stechender Schmerz zog hoch bis in meine Schulter. Unter einem stöhnen ließ ich mich aufs Bett zurückfallen und wartete bis der Schmerz dumpfer wurde und schließlich dann nachließ. Verdammt! Noch vor zwei Wochen war die Wunde so groß wie ein

Zehncentstück. Plötzlich ertönte das vertraute Knacken des Lautsprechers über die Flure des Patiententraktes “AUFRUF AN ALLE PATIENTEN DER BLOCKS A BIS D. ES IST 12:05 UHR. BEGEBEN SIE SICH IN GEORDNETEN REIHEN ZUM SPEISESAAL.” Es war Essenszeit. Die einzige Möglichkeit sich wieder mit anderen Menschen zu unterhalten. Als sich die Zellentür automatisch

öffnete, trat ich hinaus und reihte mich in den Haufen armer Idioten ein die auch ihren Anwälten vertraut hatten, weil die ihnen eine “einmalige Chance” zugesichert hatten ihre Haftzeit zu verkürzen. Die Essensportionen waren, wie immer, zugeteilt und bereits auf den Tischen platziert. Jeder der Insassen hatte seinen Platz, vorgeschrieben von Mehrson. Ich setzte mich auf meinen. Doch als ich sah wer mir heute gegenüber saß bekam ich Schweißausbrüche und mein Herz begann zu

rasen. Es war Ronald Heller, ein Typ aus Zellblock C! Aber das war unmöglich! Das war Ricardos Platz. Mehrson änderte niemals Plätze, nie! Selbst wenn es zu Rangeleien zwischen den Gefangenen kam änderte er die Sitzordnung nicht. Als ich Heller fragte was mit Ricardo sei, sah er mich ängstlich an und begann zu zittern. Er stotterte nervös, dass Ricardo seine vier Jahre abgesessen hatte und wieder auf dem Weg nach Hause wäre. Ich ließ mir nichts anmerken, nickte ihm zustimmend zu und aß

weiter. Ich wusste, dass es nicht stimmte, der Junge war erst seit zwei oder drei Wochen hier. Einer der Ärzte sah zu mir rüber und ich sah ihm direkt in die Augen. Sie hatten etwas Unheimliches, wie zwei kalte Glaskugeln. Sie wirkten so leblos. Er wendete seinen Blick ab, ging zu einem seiner Kollegen und fing an sich angeregt mit ihm zu unterhalten. Als ich meine Gabel weglegen wollte durchzogen krampfartige Schmerzschübe meinen ganzen Bauch. Ich schrie auf, stieß das Tablett vom Tisch und fiel nach hinten, wo ich mit

dem Hinterkopf hörbar auf dem Betonboden aufschlug. Zwei der Ärzte rannten zu mir und richteten mich wieder auf. Ihre Haut fühlte sich irgendwie kalt und wie eingesalbt an. Mir war übel und alles drehte sich. Sie trugen mich an den anderen Gefangenen vorbei, die würdigten mich nicht mal eines Blickes. Doch das verübelte ich ihnen nicht. Ich hätte wahrscheinlich das Gleiche getan. Nach einigen Minuten hatten wir unser Ziel erreicht, den Behandlungsraum. Ich legte mich auf die Liege und

versuchte die Augen geöffnet zu halten. Einer der Beiden beugte sich über mich und instruierte mich routiniert: “Wie immer schön tief einatmen.” Als er diesmal die Maske aufdrücken wollte, packte mich die Wut! Ich riss seinen Arm herum und biss hinein so fest ich nur konnte. Er schrie. Ich sprang von der Liege und schlug zwei oder dreimal mit voller Wucht in sein schmerzverzerrtes Gesicht. Dann fiel er regungslos zu Boden. Der Zweite stürmte nun zur Tür. Doch bevor er sie erreichen konnte,

schlug ich ihn solange dagegen bis er aufhörte zu schreien. Nun war ich wieder völlig wach und aller Schmerz war vergessen. Ich setzte mich auf die Liege zurück und überlegte. Was jetzt? Ich ging zur Tür, stieg über den regungslosen Assistenten, und öffnete sie. Doch er stand schon da. Doktor Mehrson, . . . ohne seine für die Öffentlichkeit bestimmte Maskerade. Ich habe meine Tabletten immer

genommen, immer genommen, verstehen Sie, Herr Kommissar?! Nur ein oder zwei Mal habe ich vergessen sie zu nehmen. Ich habe die Welt doch nur vor diesem Monster schützen wollen, deshalb habe ich sein hässliches Gesicht zu einem breiigen Klumpen geschlagen und selbst dann hat er mich noch verspottet! Es war zwar nur noch ein wimmerndes, matschiges Wimmern, aber ich habe es genau Verstanden! Er hat mich verspottet! “Das reicht jetzt, Winter!, schrie

Kommissar Harding den geisteskranken Serienkiller an. Harding kannte Winter. Er hatte ihn vor drei Jahren geschnappt als er sich nackt mit dem Oberschenkel- knochen eines von ihm getöteten Mannes vergnügte, den er zuvor erschlagen hatte. Harding fuhr sich aufgebracht durch die grauen Haare:” Erst töten Sie zwei Häftlinge, diesen Ricardo Hernandez und Otto Mesmer und dann verstümmeln Sie Dr. Mehrson und bringen zwei seiner Assistenten um, Sie krankes Schwein! Man hätte Sie schon

Einsperren müssen als Sie anfingen sich Löcher in den Bauch zu schneiden!” Als Edward Winter das Schloss seiner Handschellen, versteckt unter dem Tisch des Verhörraumes, geknackt hatte, musste er lächeln.


Er würde warten bis Harding nahe genug war

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PenthesiLea Einige Satz-, Leerzeichen und Rechtschreibfehler.
(Siehe z.B. S. 2: zwölf Jahre Gefängnis" + "mehre Male")
Hier muss man immer noch mal die hochgeladene Version überprüfen - es verschiebt sich gerne einiges, ich kenne das selbst auch gut :/
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