Geboren in der fliegenden Stadt, ist Kellvian lange mit einem Leben konfrontiert, das sich manch einer Wünschen würde. Doch als er sich eines Tages entscheidet, sein behütetes Leben als Sohn des Kaisers hinter sich zu lassen , beginnt für ihn eine Reise, von deren Ausgang plötzlich das Schicksal des ganzen Kaiserreichs abhängen könnte. Nichts ahnend, das bereits eine Macht in den Schatten lauert, die nur auf ihre Gelegenheit gewartet hatte, bricht Kellvian auf in eine Welt, die am Rand
eines Bürgerkriegs steht.
Bildquelle : Jochen Pippir / pixelio.de
Kellvian stand auf und ging geduckt zum Eingang des Zelts. Waffen und Kleidung lagen in einer Ecke des schmalen Unterstands. Mehr beiläufig warf er sich ein zerschlissenes Hemd und seinen Umhang über. Er konnte schlicht nicht länger liegenbleiben und warten, dass die Sonne aufging oder ihn doch der Schlaf fand. Was auch immer früher eintreffen würde. Er wusste, dass die anderen merkten, wie es ihm ging. Und doch hatte er Probleme sich eine einfache Tatsache einzugestehen… Was sollte das nur werden, wenn er die
fliegende Stadt erreichte? Mochte sein, das der Sanguis-Orden ihn jagte, selbst das berührte ihn kaum mehr. Was würde er nur dafür geben, eine zweite Chance zu haben… Dieses Mal nicht zu lange zu zögern. Aber das war sein Problem, nichts mit dem er seine seltsam ungleichen Gefährten belasten musste. Der Geruch von Regen und nasser Walderde drang ihm in die Nase, als Kellvian nach draußen trat. Nichts rührte sich, nur das Laub raschelte unter seinen Füßen. Vorsichtig achtete er darauf, wohin er trat. Er wollte weder Melchior noch Zyle wecken, wenn er so spät draußen herumschlich. Aber er hielt es auch nicht länger allein unter den
Stoffbahnen aus. Die letzten fünf Nächte hatte er sich immer davongeschlichen, um Rhe zu finden. Entweder, er lief, bis er Müde wurde oder kehrte vor Sonnenaufgang zurück. Alles um die Stimmen in seinem Kopf und die düsteren Selbstvorwürfe zum Schweigen zu bringen… Kellvian trat leise an das ersterbende Feuer, das Zyle entfacht hatte und wärmte einen Augenblick seine Hände. Der Regen hatte die Luft merklich abgekühlt und der Atem stand ihm in kleinen Dampfwolken vorm Gesicht. Das war erst der Anfang, sollten sie noch weiter in Richtung Berge reisen. Hasparens Hochebenen konnten auch um
diese Jahreszeit schon kalt werden, aber wenn sie Richtung Norden wanderten, würde bald Schnee liegen. Dafür waren sie beim besten Willen nicht ausgerüstet, trotzdem schien Melchior sie immer weiter in diese Richtung zu lenken. Es lag Kellvian jedoch fern, deshalb etwas zu sagen. Der Seher wusste schon was er tat. Und selbst wenn nicht, so wusste er es immer noch besser als Kell. Er wendete sich vom Feuer ab und folgte einfach dem Rauschen des Wassers. Der Bach, dem sie bis hierher gefolgt waren, war in Folge der Regenfälle zu einem reißenden Strom angeschwollen, der längst über sein eigenes Ufer getreten war. Kellvian wischte ein paar
Spinnweben beiseite, während er sich durch den Wald in Richtung Bach kämpfte. Das steinige Flussbett schimmerte in einigen Strahlen silbrigen Mondlichts, die einen Weg zwischen den Zweigen der Bäume hindurch fanden. Einzelnen Wassertropfen fielen von den Blättern und trafen auf die aufgewühlte Oberfläche. Der Sturm, der sie dazu getrieben hatte in dem kleinen Wald Zuflucht zu suchen, war noch nicht all zu lang vorbei. Kellvian setzte sich ans Ufer und hob einen der flachen Kiesel auf, welche die Wasserfläche begrenzten. ,, Verdammt.“ , er flüsterte die Worte nur, doch in der ihn umgebenden Stille
klangen sie trotzdem unangenehm laut. Mit einer Bewegung schleuderte er den Stein über den Fluss davon. Der Kiesel drehte sich in der Luft und versank im selben Moment, wo er das Wasser berührte unter den Fluten. Fast wäre der Stein am anderen Ufer aufgeschlagen… Aber eben nur fast. Eine weitere verpasste Chance, so klein sie war. Er wusste, er sollte sich nicht damit aufhalten, er sollte… einfach alles vergessen. Aber änderte diese Erkenntnis etwas? Nein. Er konnte schlicht nicht aus seiner Haut. Markus hatte schon jedes recht gehabt, ihn einen Wahnsinnigen zu nennen und noch mehr jetzt. Wäre er noch am
Leben… Kellvian folgte der Flugbahn mit den Augen, bis zu dem Moment wo der Stein unter der Wasseroberfläche verschwand. Eine Bewegung am anderen Ufer zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Zuerst dachte er, nur irgendein wildes Tier aufgeschreckt zu haben. Dann jedoch trat eine einzelne Gestalt ins Mondlicht. Kellvian glaubte zuerst, einen Geist zu sehen. Oder vielleicht einem Streich seiner übermüdeten Augen zum Opfer zu fallen. Vielleicht verlor er auch nur langsam endgültig den Verstand. Aber kaum zwei Schritte vom anderen Bachufer entfernt stand eine ihm nur zu vertraute Gestalt, die ihn aus grünen,
juwelenartigen Augen musterte. Sie trug simple Waldkleidung bestehen aus einer Weste und abgetragenen Hosen, fast wie bei ihrer ersten Begegnung. ,, Jiy ?“ Er stand auf und blinzelte mehrmals ungläubig. Aber die Gejarn blieb wo sie war. Knapp außerhalb seiner Reichweite, keine hundert Schritte entfernt… ,, Hallo Kellvian.“ Irgendetwas stimmte nicht. Ihre Stimme klang traurig und zitterte leicht. Aber im Augenblick kümmerte ihn nur, dass sie wieder da war. Warum… das war unwichtig, solange er dazu kam zu sprechen. Solange… ,, Wie bist du hierher… Egal, warte.
Warte nur bitte.“ , fast fürchtete Kellvian, sie könnte verschwinden, sobald er wegsah oder das sich das ganze doch als Illusion herausstellte. Ohne es selbst zu merken, begann er nach den kleinen Wellen in der Realität zu suchen, die auf einen Zauber hindeuten würden, aber er fand nichts. Reglos stand Jiy am anderen Flussufer. Kellvian suchte den Wasserlauf nach einem sicheren Überweg ab, allerdings konnte er schon aufgrund der Strömung den Grund nicht erkennen. Egal… das musste er riskieren. Wenn nicht jetzt dann nie. Jiy sah mit einem verwunderten und beinahe flehenden Gesichtsausdruck zu, wie er
einen Fuß ins Wasser setzte. Die Kälte drang sofort durch die Stiefel. ,, Was machst du Irrer denn ?“ ,, Ich bin dumm Jiy, das solltest du am besten wissen.“ , erwiderte er, während er mit den Füßen nach den Stellen tastete, an denen das Wasser flach blieb. Teilweise musste Kellvian auf unter dem Wasserstrom verborgene Steine treten um vorwärts zu kommen und die Strömung drohte ständig ihn von den Füßen zu holen. Jiy sah ihm kopfschüttelnd zu. ,,Ich… ich finde schon einen eigenen Weg rüber.“ ,,Nein, nein bleib genau wo du bist. Und wag es nicht mal wegzulaufen. Ich muss
dir unbedingt sagen…“ Ein Stein geriet unter Kellvians Stiefel in Bewegung. Er kam aus dem Gleichgewicht und stürzte mit den Armen rudernd ins Wasser. Der Wasserlauf war nicht Tief genug, das er wirklich in Gefahr war, aber die Strömung drohte ihn einen Moment mit sich zu reißen. Prustend schaffte er es schließlich wieder an die Oberfläche. ,, Das lief nicht wie geplant.“ , murmelte er mehr zu sich selbst, als das er mit Jiy sprach. Die Gejarn lachte einen kurzen Augenblick leise. Bevor sie sich zwang das Geräusch zu ersticken. Etwas Gutes hatte das ganze. Darum auf dem Weg über den Fluss nicht nass zu werden brauchte er sich jetzt keine
Sorgen mehr zu machen, dachte Kell, während er sich ans andere Ufer zog. Schon seltsam. So oder so ähnlich hatte alles für ihn begonnen. Vor nun fast einem Monat. Durchnässt, an einem Flussufer. Langsam stand er auf. Kälte kroch ihm in die Glieder und schien ihn langsamer zu machen. Kellvian verdrängte das alles. Das einzige was ihn interessierte, war die Frau vor ihm. ,, Ich war ein absoluter Idiot.“ , meinte er tonlos. Angst und eine krude Mischung aus Gefühlen hatten Besitz von ihm ergriffen. Nicht vor ihrer Reaktion. Er hatte seine Chance gehabt. Aber Furcht davor, wieder zu versagen. Das es ihm so schwer fiel, sich eine simple
Tatsache einzugestehen… ,, Ich habe gelogen. Ich habe dich getäuscht. Aber…“ ,, Kell…“ Kellvian fasste ihre rechte Hand und fürchtete schon, Jiy würde sich ihm entziehen. Einfach wieder verschwinden… Niemanden interessierten seine viel zu spät kommenden Eingeständnisse. ,, Bitte, lass mich ausreden. Mir ist… nie vorher jemand wie du begegnet. Dich hat nie interessiert, wer ich sei könnte. Ich weiß das ändert nichts aber... Jiy..“ Diesmal konnte er nicht feige sein. Er durfte es schlicht nicht. Kellvian wusste es jetzt. Die Worte… vor allem anderen.
Er sah die Bewegung nur aus den Augenwinkeln. Eine Klinge blitzte im Mondlicht auf. Seltsam genug spürte er kaum Schmerz, als sich das Messer in seine linke Seite grub. Nur den plötzlichen warmen Blutstrom, der seine Kleidung durchtränkte und die Kälte des Flusses vertrieb. ,,Ich liebe dich.“ Er konnte den plötzlichen Schrecken in Jiys Augen sehen. Die Erkenntnis die viel zu spät kam. Das sie einen Fehler gemacht hatte… Klirrend schlug das blutbesudelte Messer auf dem Boden auf. Das alles schien Kellvian unwirklich fern. Seltsam… er war ausgezogen um eine Antwort zu finden, die vielleicht
nicht existierte… was hatte er stadtessen gefunden? Den Tod. Aber das war gut so. Alles war In Ordnung. Er verstand es. Er verstand sie… Und er verzieh es. Wenn er das nur noch Jiy sagen könnte. Kellvian spürte, wie seine Beine unter ihm nachgaben und er auf den kalten Boden zusammensank. Wasser überspülte ihn einen Moment, bis ihn jemand aus den Fluten zurückriss. Jiy beugte sich über ihn. Grüne Augen funkelten ihn an, während eine Hand seinen Kopf stützte. ,,Warum du Wahnsinniger ?“ Etwas Feuchtes traf seine Wange. Kein Regen… Tränen. ,, Brauchte ich denn einen Grund ?“ ,
murmelte er, nur noch halb bei Bewusstsein. ,,Auch wenn es zu spät ist, auch wenn du mich hassen musst… Ich darf diese Mal nicht Lügen. Ich kann nicht mehr Feige sein. Nicht jetzt.“ ,, Ich hasse dich nicht.“ Die Stimme war so weit weg, dass er sie kaum noch wahrnahm. ,, Das ist schön. Vielleicht hätte ich doch einfach… Es gab keine Soldaten. Nicht mal Verteidiger. Der Orden hatte uns falsche Informationen gegeben. Er ist mir praktisch ins Messer gelaufen Jiy.“ ,, Wer ?“ Sie klang verwirrt. Musste er erst alles erklären. Ihm fehlte allmählich die Kraft auch nur einen klaren Gedanken zu
fassen. ,, In Lore. Ich wollte es nicht, aber es war plötzlich da. Nicht mehr als ein Kind…. Ich hab noch versucht ihn zu heilen. Kannst du das verzeihen? Ich kann verstehen wenn nicht.“ ,, Ich…. „ Jemand schüttelte ihn an den Schultern. Er konnte die Berührung jetzt kaum spüren. ,,Kellvian ? Hörst du mich noch? Oh bitte bleib wach.“ Schritte näherten sich. Nur mit Mühe konnte Kellvian Zyle erkennen, wer aus der Dunkelheit trat. Direkt hinter ihm folgte Melchior. Der Seher blieb etwas unter den Bäumen zurück, als wage er nicht, sich zu nähern. Zyle hatte diese Probleme nicht. Der Gejarn hatte das
Schwert gezogen, als er am anderen Flussufer stehenblieb. ,, Was bei Laos habt ihr getan ?“ Kellvian zwang sich noch einmal zurück an die Oberfläche seines Bewusstseins. Auch wenn er alles verschwommen wahrnahm und sein Gesichtsfeld beständig kleiner zu werden schien… ,, Das ist nicht wichtig. Ihr werdet ihr nichts tun.“ ,, Na ratet mal, wer mich nicht daran hind…“ Der Gejarn erstarrte, als er bemerkte, wie sich Kellvians Augen langsam von grünblau zu blau verfärbten. ,, Das war keine bitte.“ Ein Luftstrom prellte, einem Gedanken Kellvians folgend, dem Mann die Klinge aus der
Hand. Dann wurde es dunkel um Kellvian. Der schwache Zauber hatte ihn alles an Kraft gekostet, das er noch besessen hatte. ,, Das war einfacher als ich dachte, Seher.“ Melchior würde sich nicht zu der Stimme umdrehen. Er wusste nur zu genau, wer dort war um seinen Erfolg zu begutachten. ,, Ein erbärmliches Trauerspiel, wenn ihr mich fragt.“ Der Schatten klang beinahe gelangweilt, während er die stumme Versammlung am Flussufer musterte. Niemand schien sich für sie zu interessieren oder das Zwiegespräch auch nur zu bemerken. ,, Das war es euch Wert ?“ fagte
Melchior nur tonlos. Zyle war die Klinge in der Hand vorgeprescht. Der Seher wusste, was folgen würde. Noch ein Toter… Im nächsten Moment jedoch flog das Schwert des Gejarn im hohen Bogen davon. Der Meister nahm den letzten Zauber Kellvians offenbar mit deutlichem Missfallen zur Kenntnis. ,, Wie Schade. Es sieht so aus, als würden zumindest eure beiden pelzigen Freunde am Leben bleiben. Zumindest vorübergehend.“ ,, Seit ihr jetzt endlich zu Frieden ?“ Melchior musste sich zwingen die Stumme leise zu halten. Am liebsten hätte er den Schatten neben sich
angebrüllt und vertrieben. Nur das war unmöglich… ,, Im Gegenteil. Ich habe grade erst angefangen. Und ihr werdet mir dabei nicht im Weg stehen Seher. Ihr müsst zugeben: Ich hatte von Anfang an recht mit meinen Vorhersagen.“ Mit diesen letzten Worten löste sich die Gestalt des Meisters auf. Alles was am Flussufer zurückblieb, war ein müder alternder Mann, ein betrübt dreinschauender Zyle… und eine leise weinende Gejarn, die den Körper einesKaisersohns im Arm hielt. Die ersten Sonnenstrahlen fanden ihren Weg zwischen den Bäumen hindurch, als der Seher langsam zu den anderen
trat. In den Zweigen über Melchior schreckte ein Vogel aus seinem Schlaf hoch. Er konnte nur einen kurzen Blick erhaschen, aber offenbar war es ein Adler gewesen. Seltsam, was ein solches Tier hier draußen zu suchen hatte… Melchior folgte dem Tier einen Moment mit seinem inneren Auge. Mit wenigen Flügelschlägen war der gewaltige Vogel auch schon weit über den Bäumen des kleinen Waldes, der ihnen als Unterschlug hatte dienen sollen. Endlos breiteten sich die Ebenen von Hasparen unter ihm aus, während das Wappentier des Kaiserreichs langsam nach Osten abdrehte. Und damit in
Richtung der bald in flammen stehenden Herzlande… Ohne ein Wort ließ Melchior sich neben Kellvian und Jiy nieder. Zyle blieb stumm am anderen Ufer stehen, die Hände kraftlos auf den Knauf seiner wiedererlangten Waffe gestützt. ,, Es ist vorbei…“ , meinte der Gejarn leise.
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