Kurzgeschichte
Tanzen

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"Das Supertalent. Klappt nicht immer!"
Veröffentlicht am 22. April 2014, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Rainer Güllich, Jahrgang 1954, lebt in Marburg/Hessen. Als begeisterter Leser schon ewig von dem Wunsch getrieben selbst zu schreiben, nahm er an einem Kurzkrimiwettbewerb teil, der im Rahmen des 1. Marburger Krimifestivals stattfand. Er kam auf einen der vorderen Plätze und sein Kurzkrimi ?Hass? wurde in der regionalen Presse veröffentlicht. Dadurch motiviert belegte er seinen ersten Schreibkurs in kreativem Schreiben. Weitere schlossen sich an ...
Das Supertalent. Klappt nicht immer!

Tanzen

Tanzen

Sie tanzte. Sie drehte sich im Kreis und ließ die Füße fliegen. Es war wie ein Rausch. So, wie sie es sich immer gedacht hatte. Freudentränen liefen ihr die Wangen herunter. Sie sah ihre Mutter, die am Rand der Bühne stand und die ein Strahlen auf dem Gesicht hatte.

„Marie! Wie schön du tanzen kannst!“

Dann verschwand das Gesicht ihrer Mutter in der Menge der Zuschauer.

Marie konzentrierte sich ganz auf ihr Tun. Sie fühlte sich, als würde sie schweben, als gäbe es für sie keine Erdenschwere.

Dann war ihr Tanz beendet. Sie hörte den brausenden Applaus der Zuschauer, ihre Jubelrufe und ein wohliger Schauer durchlief ihren Körper.

„Sie sind dran.“ Die Stimme war direkt vor ihr. Sie schaute auf. Einer der Bühnenhelfer stand vor ihr. Es war der Helle, Freundliche.

Sie erhob sich. Schwankte leicht. Schwindelte.

„Geht es Ihnen nicht gut?“ Der Helfer hatte Besorgnis in der Stimme.

Sie fasste sich. „Es geht schon. Danke.“

Er führte sie hinter die Bühne. Ein schwarzer Vorhang verstellte den Blick zu ihr. Sie konnte das Klatschen der

Zuschauer hören.

Bernd, der Junge mit der Tierpuppe, der als Bauchredner auftrat, kam von der Bühne auf sie zugelaufen. Er strahlte sie an. „Das war toll! Dir toi, toi, toi.“ Andeutungsweise spuckte er ihr links und rechts über die Schulter. “Du schaffst das!”

Sie hatte ihm von ihrem Lampenfieber erzählt. Und das sie lange gebraucht hatte, um sich für den Talentwettbewerb anzumelden. Nur der Ausdauer ihrer Mutter war es zu verdanken, dass sie nun kurz vor ihrem Auftritt stand.

Magensaft stieg heiß in ihrer Speiseröhre auf. Als er ihren Mund erreicht hatte, war daraus ein Brennen geworden, etwas

würgte sie. Sie schwankte wieder, dann übergab sie sich. Ihr Mageninhalt platschte ihr vor die Füße. Ekliger saurer Geruch stieg auf. Sie fing an zu weinen, stürzte auf die Knie, in das Erbrochene hinein. Aus ihrem Weinen wurde ein Schluchzen, ihre Schultern bebten.

Der Bühnenhelfer nahm sie sacht an den Schultern. „Kommen Sie. Ich führe Sie nach hinten. Macht doch nichts. Sie sind nicht die Erste, der das passiert.“

Sie erhob sich langsam, ließ sich bereitwillig in eine der Umkleidekabinen führen.

„Danke“, sagte sie zu ihrem Helfer. „Es geht jetzt wieder. Wirklich.“

Er ließ sie allein. Sie schaute in den

Spiegel. Es war Marie, die sie anschaute. Die Marie, die sie kannte. Ängstlich, unsicher. So war sie.

Marie atmete aus. Sie fühlte eine tiefe Erleichterung.

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Hörbuch

Über den Autor

Epilog
Rainer Güllich, Jahrgang 1954, lebt in Marburg/Hessen. Als begeisterter Leser schon ewig von dem Wunsch getrieben selbst zu schreiben, nahm er an einem Kurzkrimiwettbewerb teil, der im Rahmen des 1. Marburger Krimifestivals stattfand. Er kam auf einen der vorderen Plätze und sein Kurzkrimi ?Hass? wurde in der regionalen Presse veröffentlicht. Dadurch motiviert belegte er seinen ersten Schreibkurs in kreativem Schreiben. Weitere schlossen sich an und als Folge davon erschienen in kurzer Zeit seine beiden ersten Krimianthologien. Der Kriminalroman ?Unter Druck - Ein Marburg Krimi? folgte.

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Albatros99 Na, das ist ja eine interessante Geschichte und auch die Diskussion. Geschrieben wieder sehr gut. Und zum Thema: es ist so ein zweischneidiges Schwert mit den begabten Kindern und dem "Tritzen" oder auch "Fördern". Meine beiden jüngeren Töchter gehören dazu. Die Ältere habe ich manches Mal regelrecht gezwungen, Klavier zu üben. Ich wusste, sie kann es, und sie liebt die Musik, was ihr gar noch nicht so bewusst war. Später bekam sie dann sogar Förderunterricht vom Land Sachsen für Begabte. Obwohl sie nicht Musikerin wurde, dankt sie mir heute für diese "Quälereien, schreibt und komponiert uns als Eltern Lieder und singt sie für uns. Das Klavier ist ihre beständigste Liebe geblieben. Die Kleinste hatte einen größeren Dickkopf und das gleiche Talent. Doch ich habe den Druck, der nötig gewesen wäre, auch nicht mehr ausgehalten, war damals schon über 40. Heute ist sie traurig, dass sie nicht so spielen kann wie ihre Schwester und fragt: warum habt ihr mich denn nicht gezwungen? Das hättet ihr machen müssen. Manchmal wissen Mütter die Wünsche ihrer Kinder eben besser als diese selbst. Erziehung ist immer ein Gratwanderung, ob es richtig war, sieht man erst viel später. Liebe Grüße Christine
Vor langer Zeit - Antworten
Epilog Erziehung ist eine Gratwanderung. Wie wahr!
Liebe Grüße
Rainer
Vor langer Zeit - Antworten
Willy Ja- feingeist hat wohl den Finger drauf, aber wer will kann sich die Erzählung auch anders zurechtlegen. Es soll auch Mütter geben, die die Wünsche der Kinder fördern, ihnen Mut machen, wenn sie aufgeben wollen. Und es gibt eben die Mütter, von denen feingeist schreibt....
Ein weites Feld.......
Gern gelesen.
Sweder
Vor langer Zeit - Antworten
Epilog Hallo Sweder, vielen Dank für Lesen, Kommentar und fürs favorisieren. Da freu ich mich echt drüber ...
LG
Rainer
Vor langer Zeit - Antworten
FeinGeist tja, ihrer Mutter war es zu verdanken ...
Warum zum Teufel tanzt die Mutter nicht und quält ihre Tochter ...
Ach ja, weil die Tochter die Träume der Mutter erfüllen muss, da es bei ihr selbst zu nichts gereicht hatte - außer zum Kinderkriegen, stimmt ja ...
Vor langer Zeit - Antworten
Epilog Tja, aber Kinderkriegen und großziehen ist ja schließlich auch was, was man den Eltern nicht hoch genug anrechnen kann ...
Vor langer Zeit - Antworten
FeinGeist ich mecker ja nicht gegen Eltern generell, sondern gegen das Pack, das ihre Kinder missbraucht [emotionaler Missbrauch) , um ihre eigenen gescheiterten Träume von ihnen erfüllen zu lassen - siehe bei RTL & Co.

Aber ist schon recht, so darf man nicht denken . ist ja alles "rosig" auf dieser Welt ...
Vor langer Zeit - Antworten
Epilog Hallo FeinGeist, dass wir uns nicht missverstehen: Ich bin ganz Deiner Meinung. Sonst hätte ich diesen Text ja nicht geschrieben.
LG
Rainer
Vor langer Zeit - Antworten
FeinGeist schon OK, der Text ist sehr gut geschrieben (was hier selten ist) und bringt es präzise auf den Punkt, daher auch meine Reaktion darauf ... ging auch um Willy bei den letzten Kommentar - habe mich "verklickt" bei der Antwort, bin noch "zu neu" hier ...
Vor langer Zeit - Antworten
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