Geboren in der fliegenden Stadt, ist Kellvian lange mit einem Leben konfrontiert, das sich manch einer Wünschen würde. Doch als er sich eines Tages entscheidet, sein behütetes Leben als Sohn des Kaisers hinter sich zu lassen , beginnt für ihn eine Reise, von deren Ausgang plötzlich das Schicksal des ganzen Kaiserreichs abhängen könnte. Nichts ahnend, das bereits eine Macht in den Schatten lauert, die nur auf ihre Gelegenheit gewartet hatte, bricht Kellvian auf in eine Welt, die am Rand eines Bürgerkriegs steht.
Bildquelle : Jochen Pippir / pixelio.de
Blau, blau und noch mehr blau. Seit nun beinahe zwei Wochen sah er nichts anderes. Die Küste tauchte ab und an aus dem Dunst auf, aber die meiste Zeit war die Windrufer alles, was sich von der endlosen Wasserfläche um sie herum abhob. Eigentlich, dachte Cyrus müsste das jeden irgendwann in den Wahnsinn treiben. Aber ihm gefiel es. Er stand am Bug des Schiffs und sah über die Wellen hinaus zu dem Punkt wo Himmel und Wasser ineinander überzugehen schienen.
Natürlich war das eine Illusion, das die Welt rund war hatten die Gelehrten schon vor einem Jahrhundert herausgefunden, auch wenn bisher jeder Versuch, die Sonnensee Richtung Westen oder Osten komplett zu überqueren gescheitert war. Nur wenige waren je von diesen Abenteuern zurückgekehrt um von einem Nebelverhangenen Kontinent weit Jenseits der verzeichneten Küsten zu berichten. Jenem Land zu dem sich vor Ewigkeiten angeblich die Zwerge zurückgezogen hatten. Aber wer wusste schon ob solche Geschichten nicht allesamt besser ins Reich der Sagen gehörten… Es war eigentlich gar nicht seine Art,
sich lange mit solchen Gedanken aufzuhalten, dachte er, aber die Ruhe auf dem Schiff ließ ihm viel Zeit zum Nachdenken. So wie es aussah würde es noch eine ganze Weile dauern, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten. Es war noch früher Morgen und einige aus Edens bunt zusammengewürfelter Crew schliefen noch an Deck. Andere hatten sich bereits daran gemacht, die notdürftig reparierten Lecks im Rumpf zu inspizieren. Zwar drang Wasser ein, aber noch war das nicht besorgniserregend. Sie sollten es eigentlich ohne Probleme bis nach Lasanta schaffen. Eden war in den letzten Tagen
zunehmend launischer geworden, wie es den Anschein hatte und auch wenn er sich lieber von ihr fern hielt, ein wenig Sorgte er sich doch um die Kapitänin der Windrufer. Besonders, nachdem Erik sich geweigert hatte, weiterhin Schmerzmittel auszugeben, jetzt wo ihre Wunden langsam zu Heilen begannen. Auch wenn sie wohl versuchte ihre schlechte Laune nicht an irgendjemanden auszulassen, der lautstarke Streit mit Flemming war gestern kaum jemanden entgangen. Ganz sicher war er sich nicht, aber heute Morgen hatte Eden noch müder als sonst gewirkt. Sie war meist die erste auf den Beinen und schlief erst, wenn allen
anderen schon längst die Augen zufielen. Die Gejarn stand in der Mitte des Schiffs und suchte nervös den Horizont ab, als fürchtete sie, dass sie wieder verfolgt werden könnten. Oder vielleicht versuchte sie auch nur sich abzulenken. Cyrus zog sich den Hut ins Gesicht um sich etwas vor der Sonne zu schützen, die trotz der frühen Stunde schon unbarmherzig vom Himmel brannte. ,,Morgen.“ Eden drehte sich nicht zu ihm um und erwiderte den Gruß auch nicht. Sie nickte lediglich kurz, als er an ihr vorbeiging und das Deck nach Flemming absuchte. Der Arzt saß auf den Treppen zum Unterdeck und las in einem Buch
mit abgewetztem Einband, während Zachary wenige Schritte entfernt den blauen Edelstein betrachtete, den er an einer Kette um den Hals trug. Cyrus hatte sich mittlerweile an den jungen Zauberer gewöhnt. So schweigsam er manchmal war, auf seine Art schien er doch mehr mitzubekommen, als die meisten. Und er konnte überraschend scharfsinnig sein. ,,Ich mag es nicht.“ , meinte Zac an Erik gewandt. Erik sah auf ,,Was ?“ ,,Die Träne. Es fühlt sich einfach … böse an.“ , meinte der Junge nur. ,,Oder zumindest nicht richtig. Es ist schwer zu beschreiben.“
Der Arzt sah von seinem Buch auf. ,,So ? Warum glaubst du das?“ ,,Es gibt einem Macht, auch die Macht andere zu verletzen. Ich weiß das hört sich für euch seltsam an, aber die Vorstellung gefällt mir nicht.“ ,,Vielleicht solltest du über so etwas nachdenken, bevor du eine Stadt unter Wasser setzt.“ , sagte Cyrus, aber ohne es böse zu meinen. ,,Und ich hätte vorher darüber nachdenken zu müssen. „ , gab er trotzig zu. ,,Es gefällt mir nicht, dass ich Leute verletzen kann. Aber ihr scheint damit beide keine Probleme zu haben…“ Cyrus wusste nicht, was er darauf
erwidern sollte. Die Frage hatte sich ihm tatsächlich nie wirklich gestellt. Meist, weil einem in der vordersten Schlachtlinie ohnehin keine Zeit zum denken blieb. Es gab nur sein Leben oder das der anderen. Zum Glück nahm Erik dem Gejarn die Antwort ab. ,,Ach ja, das alte Problem. Weißt du ich kenne ein dutzend Gelehrte, die sich darüber Gedanken machen. Ist den töte immer falsch? Oder gibt es ausnahmen? Ich denke, die meisten davon haben keine Ahnung und bekommen schon Angst, wenn sie ein scharfes Fleischermesser in die Hand nehmen müssen.“ Wie um seine Worte zu unterstreichen zog der Arzt eine kurze
Klinge aus seinem Stiefle. Das Messer glänzte Silber in der Sonne und Cyrus erkannte die Waffe wieder, mit der Erik den Großmagier getötet hatte. ,,Eine Waffe, wie auch Magie ist in erster Linie ein Werkzeug wie ich es sehe. Cyrus, leiht mir doch mal eure Axt.“ Der Gejarn zögerte kurz. Er hatte sich mittlerweile wieder seine gewohnte Ausrüstung zugelegt, Axt, Kurzschwert und eine geladene Pistole. Auch wenn er nicht mit Ärger rechnete, Cyrus fühlte sich einfach wohler, wenn er nicht wehrlos war. Mit einem Ruck löste er die lichte Axt von dem Lederband an seinem Gürtel und reichte sie Flemming. Dieser stand von seinem Platz an der Treppe auf
und trat, gefolgt von Cyrus und Zachary auf das Deck hinaus. ,,Was ist eine Axt in erster Linie ?“ , fragte er nur um die Antwort selbst zu geben : ,,Ein Werkzeug. Ich kann damit Holz kleinschlagen, Türen aufbrechen oder auch und das ist der Punkt, mich damit verteidigen. Genau so wie mit Magie. Es liegt nichts Böses darin, allerdings ist es auch nicht unbedingt gut. Es kommt nur darauf an, wem ich diese Axt geben würde.“ ,,Gäbe es die Axt nicht, gäbe es auch kein Problem.“ , erwiderte Zachary skeptisch. Erik nickte. ,,Richtig. Sogar sehr richtig Und das hier ist das Problem. Viele
würden sich nicht nur Verteidigen… sondern angreifen, zuschlagen wenn sie es als die einfachste Lösung für ihre Probleme sehen. Aber das macht den Träger jedweder Waffe doch nicht böse. Auch wenn ich offen zugebe, das es wohl die Wahrscheinlichkeit für letzteres erhöht. “ ,,Ich wollte ihn töten.“ , gestand Zac. ,,Diesen Großmagier, versteht ihr das?“ ,,Aber das hast du am Ende nicht, oder ?“ Erik klang nun fast streng und tippte den Jungen mit dem Zeigefinger gegen die Brust. ,,Weil du immer die Wahl hast.“ ,,Und wenn ihr jemanden tötet…“ ,,Ich ?“ Cyrus zuckte mit den Schultern.
Er hatte zwar ein wenig darüber Nachgedacht, aber seine eigene Antwort überraschte ihn. ,,Ich töte wenn ich muss, schätze ich. Ich habe vor einiger Zeit schon akzeptiert, das es nicht viel Sinn macht, sich lange mit dem was wäre wenn zu quälen. Was wäre, wenn ich damals nicht weggelaufen wäre? Was wäre wenn ich geblieben wäre und versucht hätte unseren Hof oder meinen Vater zu retten? Ich denke auf was es wirklich ankommt ist… aus dem Richtigen Grund zu handeln. Dann kann man seinen Frieden damit machen, egal wie es ausgeht.“ ,,Womit wir bei der Frage wären, was der richtige Grund ist und wieder bei null.“
,,kommentierte Flemming. ,,Aber das… muss wohl ohnehin jeder selbst rausfinden, wie ?“ Er lachte hell. ,,Also Zachary, nimm das alles weniger schwer. Zeit für melancholische Gedanken bleibt dir mehr als genug wenn du mal mein Alter erreichen solltest. Oder besser… versuch das nicht. Ich bereue es jeden Tag mehr.“ Der Junge nickte, ein breites Grinsen auf dem Gesicht. ,,Danke. Ich glaube das hilft wirklich.“ Kopfschüttelnd verschwand der junge Mann über Deck. ,,Nun Herr Wolf“ , sagte Erik, sobald Zachary ein gutes Stück entfernt war, ,,so gern ich glauben möchte, ihr seit hier weil ihr so gerne über Philosophie
diskutiert, so sicher bin ich mir, das das Gegenteil zutrifft.“ ,,Richtig. Es geht darum, was wir in Lasanta tun werden. Ihr werdet wohl die Garde-Kommandantur aufsuchen, oder? “ ,,Mir bleiben noch ein paar Jahre, bis diese alten Knochen ihren Geist aufgeben. In diesem Sinne, vermutlich ja.“ ,,Ich dachte darüber nach zu bleiben. Zumindest hat Eden mir einen Platz in der Crew angegeben.“ ,,Nun Freund, wenn ihr mich jetzt wirklich um einen Rat fragt, werde ich euch enttäuschen müssen. Das ist euer Leben, oder? Und ihr habt noch einiges mehr davon vor euch als ich.“ , sagte er.
Nur um murmelnd hinzuzufügen: ,,Allerdings hat die Idee doch einen gewissen Reiz. Ich war schon so ziemlich alles. Arzt, Gardist, Wissenschaftler und Aushilfe eines Bordell-Türstehers in Kalenchor. Aber das ist eine andere Geschichte. Warum nicht auch einmal freier… ähm Handelskaufmann.“ ,,Das heißt ihr denkt nach ebenfalls zu bleiben ? Ich hätte mir Gedacht, ihr würdet nach Hause wollen.“ ,,Nach Hause ? Wenn ich einmal so etwas wie eine wirkliche Heimat besessen habe, dann ist das so lange her, dass ich mich nicht mehr wirklich daran erinnern kann. Ich bin ein Weltenbummler Cyrus, der schon mehr vergessen hat, als die
meisten Menschen je lernen werden. Also ja… warum nicht. Das heißt wenn Eden mich nicht über Bord werfen lässt.“ ,,Was genau… gebt ihr ihr eigentlich ?“, wollte Cyrus wissen. ,,Das gleiche, was alle Verletzten von mir bekommen, die wir noch haben. Mohnextrakt, Hopfen… ich dachte mal an Katzenminze, aber das vertragen manche Gejarn nicht, wenn ihr versteht. Aber langsam gehen mir ohnehin die Vorräte aus.“ ,,Ach deshalb gebt ihr nichts mehr raus.“ ,,Das und weil das auf Dauer wirklich gefährlich wird. In geringen Dosis mag das ganze ja Schmerzen lindern, aber erhöht nur die Menge weit genug und…
zwack sterben euch die Leute weg, weil sie einfach ersticken. Alles eine frage der Dosierung wie ihr seht.“ ,,Na wenn die Folgen derart schlechte Laune sind…“ ,,Keine Sorge, das wird wieder. In einer Woche spätestens ist sie über den Berg. Oder ich schwimme nach Lasanta, je nachdem was früher eintritt. Kalter Entzug ist nichts für jeden. Ich werde jedenfalls erstmal sehen, wie es den übrigen Verletzen geht. Die meisten sind mittlerweile wieder auf den Beinen aber manche hat der Magier erwischt. Magische Brandwunden… Zaubererfeuer kann sich wie flüssiges Pech verhalten und bleibt einfach an einem Ziel kleben
habt ihr das schon einmal gesehen?“ Cyrus schüttelte den Kopf. ,,Das sind grässliche Wunden kann ich euch sagen. Da bin sogar ich überfragt.“ Flemming verschwand unter Deck und ließ den Gejarn damit allein zurück. Verrückter alter Mann, dachte er, bevor er zurück an die Reling trat. Ein paar Wolken waren aufgezogen, aber das war wohl nichts, worum sie sich Sorgen machen müsste. Auch wenn es hieß, das Wetter könnte auf See schnell umschlagen. ,,Schön, das ihr euch mit Zachary unterhaltet. Es gibt Tage an denen bekommt man kein Wort aus ihm raus. Ich hoffe doch er macht keine
Probleme?“ Cyrus drehte den Kopf. Eden machte nach wie vor einen übermüdeten Eindruck, rang sich aber ein schwaches Lächeln ab. ,,Nein, sicher nicht. Ich mag den Kleinen sogar.“ , gab er zu. ,,Wie lange lebt ihr schon… so ?“ ,,Ihr meint auf einem Schiff ? Etwa zwei Jahre. Davor bin ich eine Ewigkeit durch alle Teile Cantons gereist. Oder besser geflohen. “ Sie seufzte. ,,Es sind Erinnerungen nicht mehr aber nicht alle davon sind gut. Aber das hier ist auf Dauer auch kein Platz für Zac wie mir immer klarer wird. Ich werde vor allem auch nicht ewig da sein…“ ,,Das klingt aber ziemlich
düster.“ ,,Es ist die Wahrheit. Aber es hat einen Dolchstoß gebraucht um mir das erst bewusst zu machen. Aber ihr habt sicher besseres zu tun, als euch meine Bedenken anzuhören, oder?“ ,,Das macht mir nichts aus. Wirklich.“ , sagte Cyrus und er meinte es auch so. ,,Unser Ziel im Augenblick ist Lasanta ?“ ,,Nach wie vor ja.“ ,,Das ist eine kaiserliche Stadt. Ich schätze ihr habt nicht vor, einfach in den Hafen zu segeln und das beste zu hoffen , oder ?“ Eden lachte. ,,Lasst euch überraschen. Ich verspreche nur, das dürfte interessant
werden. Vielleicht werden wir auch jemanden an Bord nehmen müssen.“ ,,So ?“ ,,Ich hoffe es aber nicht. Ihr werdet sehen, wenn wir dort sind. Werdet ihr dann eigentlich dort bleiben?“ ,,Ich habe wenig Interesse daran, mich wieder zurück an die Grenze schleppen zu lassen. Oder mir stundenlang fragen über die Vorfälle in Kalenchor stellen zu lassen. Also… Nein. Ich glaube ich bleibe. Zumindest eine Weile. Bis ich weiß wo ich hin will zumindest.“ ,, Ich hatte irgendwie darauf gehofft. Wir können jemand wie euch gebrauchen. Übrigens, ihr glaubt nicht, das ihr eurem Freund noch ein paar Schmerzmittel
abschwätzen könnt?“ Cyrus schüttelte den Kopf. Eine Woche hatte Erik gesagt? Das war wohl wirklich nur zu hoffen. Plötzlich begann Eden jedoch zu lachen. ,, Ihr solltet euer Gesicht sehen. Keine Sorge. Ich habe auch schon mit Flemming gesprochen. Ich hab das unter Kontrolle.“ ,, Hoffentlich…“ , erwiderte er nur. ,, Was nichts daran ändert, das ich einen Krug Rum brauche. Ihr seit dabei?“ Diesmal war es an ihm leise zu lachen. Diese Frau hatte definitiv mehr als ein Problem. Aber sie war definitiv in Ordnung. Irgendwann müsste er sich einmal ihre ganze Geschichte
anhören. Vielleicht war das der richtige Grund um zu bleiben.