Fantasy & Horror
BERICHTE AUS SUN CITY - Dossier 9891-28 (Die Schwimmerin)

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"Chroniken einer Gegenwart, die nie sein würde."
Veröffentlicht am 18. April 2014, 38 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Eigentlich ist es so wie es ein Landsmann von mir treffend beschrieb: 'Mit den Riesen habe ich keine Probleme; nur die Windmühlen machen mir echt zu schaffen!'
Chroniken einer Gegenwart, die nie sein würde.

BERICHTE AUS SUN CITY - Dossier 9891-28 (Die Schwimmerin)

Dossier - 9891-28

CHRONIKEN EINER GEGENWART, DIE NIE SEIN WÜRDE.


DIE SCHWIMMERIN

Außer sich und den Tränen nahe eilte Jodi Christian Ashman durch die Flure der Dos Reinas High School.

Ihr war schwindlig. Und sie hatte fürchterlichen Durst. Aber das war im Moment zweitrangig. Kurz musste sie daran denken, wie lange sie gestern gesucht hatte, um ihr ärmelloses Diamond Shirt von Dirtee Hollywood für heute bereitzulegen. Mutter mochte es zwar nicht, doch sie

liebte es, weil die mystischen Zeichen sie besonders geheimnisvoll wirken ließen. Dafür hatte sie ihre geliebten Levi’s Fashion Skinny-Jeans schon seit Tagen für die heutige Verabredung bereitgestellt. Und jetzt … Nervös fingerte sie an ihrem weißen iPhone mit dem zersplitterten Display herum und aktualisierte erneut ihre Facebook-Seite. So sehr das kaputte Glas auch nervte, solange auf dem Mobiltelefon die Touch-Funktion und das LCD noch einwandfrei funktionierten, musste sie damit leben. Außer, ihre Schwester würde sich endlich dazu durchdringen, ein Neues

zu kaufen. Dann hätte sie wohl ihr Gebrauchtes haben dürfen. Aber das spielte im Augenblick keine Rolle. Nichts spielte mehr eine Rolle. Sie hielt inne und starrte unschlüssig einen der unzähligen, metallischen Trinkbrunnen an, die in den Gängen standen. Jodi nahm einen kräftigen Schluck daraus und wusch sich mit dem Wasser gründlich das Gesicht ab. Ihr Schwindel verschwand für einen Moment. Es interessierte sie nicht mehr, wie sie jetzt aussah – ob die Schminke richtig saß oder verwischt war. Gestern noch

hätte sie deswegen sofort ihren Taschenspiegel gezückt. Wie sich die Dinge von einem Tag auf den anderen ändern konnten. Ein weiteres Mal hypnotisierte sie ihr Mobiltelefon. Nichts hatte sich geändert, niemand hatte sich gemeldet oder etwas unternommen. Es war immer noch da … Sie stolperte über die eigenen Füße und musste sich an einem Fenstersims abstützen. Nach der letzten, schrecklichen Nacht hätte sie wirklich zu Hause bleiben sollen. Aber ihr Leben lag nun mal in Trümmer. Es war also irrelevant, wie

schlecht es ihr ging und ob sie den heutigen Tag überlebte. Sie war bereits in der Hölle angekommen. Zwar wusste sie, dass ihr jetziger, körperlicher Zustand sehr wahrscheinlich damit zusammenhing, dass sie gestern Abend ihre Medikamente vergessen hatte. Doch das war belanglos, ebenso wie ihre Träume und Sehnsüchte. Irgendwie verzerrt nahm sie seine Stimme wahr. Und je mehr diese sie entzückte und ihr Herz höherschlagen ließ, umso mehr verstärkte es den fürchterlichen Schmerz darin und ließ sie sich

schwach und hilflos fühlen. Sie bekam immer noch weiche Knie wegen diesem Idioten. Gleichzeitig wurde der Durst schmerzhaft und es fühlte sich an, als trockne sie aus. Sie war eigentlich daran gewohnt - dieses Gefühl war praktisch schon da gewesen, seit sie denken konnte. Aber noch nie so schlimm wie nach letzter Nacht. Das Unerträglichste von allem war jedoch sein Eintrag auf Facebook, der sie heute Morgen eiskalt erwischt hatte. Jodi atmete kräftig durch und schloss kurz die Augen, sammelte sich, bevor sie in den Seitengang einbog, der zu

den Schülerspinden führte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Da stand er, der Mann ihrer Träume und ihrer schlaflosen Nächte, neben seinem besten Kumpel César, diesem aalglatten Waschlappen von einem Latino. Es schmerzte so unendlich, weil er immer noch zum Sterben schön aussah. „Christopher Bennett!“, begann sie laut. „Du …“ „Nicht in diesem Ton!“ Fauchte er sie unerwartet an und nahm ihr damit komplett den Wind aus den Segeln. Sein Begleiter drehte sich kichernd zu ihr herum. Das kam für Jodi völlig überraschend,

denn gestern Abend hatte er doch versöhnlich geklungen. Wie hatte er sich über Nacht so verändern können? Daran waren sicherlich seine Kumpels schuld ... oder hatte er ihr die ganze Zeit etwas vorgemacht? Sie war sprachlos. „Was hast du an den Worten ‚ES IST AUS‘ nicht verstanden?“, raunzte er sie an. „Ich …“ „Wieso läufst du mir nach?“ Jodi erkannte ihn nicht wieder. Das Feuer, das in ihr brannte, drohte sie währenddessen zu überwältigen, kribbelten ihre Beine heftig. Und als sie sich an ihr iPhone wie ein

Ertrinkender an einen Strohhalm klammerte, brach es aus ihr heraus. Sie schrie ihn an. „Wieso hast du das getan? Wieso?“ Sie holte Luft. „Meine Mutter bringt mich deswegen um … und in meiner Klasse …“ Es verschlug ihr die Sprache, als sie kurz gegen einen Schwindelanfall kämpfte, ehe sie sich wieder fangen konnte. Ihre Stimme klang nun trotzig. „Ich habe dich bei FB gemeldet!“ „War ja zu erwarten, dass jemand wie du mir in den Rücken fällt.“ Christopher schien nicht sehr beeindruckt. Wie ein Fisch schnappte Jodi jetzt

nach Luft, bevor sie ihn anbrüllte. „Lösche das verfluchte Foto!“ Doch Christopher Bennett - ein Riese von knapp zwei Metern Höhe und einer der aufsteigenden Stars des hiesigen Football-Teams - trat an seinem Kumpel vorbei und baute sich kopfschüttelnd vor ihr auf. „Was soll das, du blöde, hysterische Zicke? Jetzt befiehlst du mir noch?“ Wie ein gereizter Bär beugte er sich bedrohlich über das schwarzhaarige, zierliche Mädchen. „Wieso sollte ich plötzlich tun, was du verlangst?“ Er grinste sie maliziös an. „Du hast dich ja auch geweigert, nicht? Und mir eine verdammte Szene vor meinen Pumas -

meiner Mannschaft gemacht … ist dir nicht eingefallen, dass auch ich Gefühle habe?“ César sah währenddessen mit einem hämischen Grinsen auf sein altes Samsung Galaxy. „Hast du echt so kleine Titten?“ Jodi sah rot. Blind vor Wut schoss sie vor und schlug zu. Ihr ganzer bisher angestauter Frust entlud sich gegen den Latino. Doch Christopher fing ihre Hand noch im Flug ab. Rüde drehte er sie zu sich herum und starrte sie bedrohlich an. Sein Griff schmerzte, verkrampfte sich ihr der

Magen, und alles fühlte sich an, als würde sie fallen - in ein bodenloses, dunkles Loch. „Komm mir ja nicht mit dem Scheiß! Erst recht nicht bei meinem Bro!“, fauchte sie der Junge an. „Du weißt sehr genau, dass du selbst schuld dran bist. Im Wasser magst du ein Wunder sein und sportlich wohl eine der Besten der DR High … und ja, ich werde deine Küsse vermissen. Aber wenn jemand so herumzickt wie du, dann …“ Irgendwie wurde ihm erst jetzt bewusst, wie Jodi ihn mit geröteten Augen entsetzt anstarrte und dabei wie ein erbarmungswürdiges Häufchen Elend

wirkte. Er versuchte erneut einen beleidigten, aggressiven Ton anzuschlagen, doch er konnte das Zittern ihres Körpers so deutlich spüren, sah sie so verwundbar und hilflos aus, dass sie ihm unvermutet leidtat. Schließlich ließ er einfach nur los und fuhr herum. „Wenn du weiterhin die Beine nicht auseinanderbringst ... pass bloß auf, dass sie dir nicht zusammenwachsen!“ „D-das ist nicht fair …“ stammelte Jodi. Sie war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig, fühlte sich nur noch leer und ausgebrannt. Einzig der Durst war

allgegenwärtig. „Und nun hau ab und verschwinde aus meiner Sicht und meinem Leben!“, drohte Christopher. Wie eine zerbrochene Puppe stolperte das Mädchen bei diesen Worten zurück, verlor das Gleichgewicht und stürzte gegen die Spinde, musste sich daran festhalten. Beide Jungen sahen sich verunsichert an. César Barraza steckte das Handy in seine Baggy Pants. „Vielleicht hast du es übertrieben?“, fragte er leise. „Nein!“ Murmelte Christopher überzeugt, als er Jodi an den Schultern packte und so lange festhielt, bis sie

wieder sicher auf den Füßen stand. „Es sind diese Alpträume …“, stöhnte sie verloren. „Lass mich einfach in Ruhe!“, seufzte der Quarterback der Pumas de las Dos Reinas. „Dein dämliches Selfie werden die bornierten Sittenrichter von FB schon irgendwann mal runternehmen. Doch vielleicht lernst du so irgendetwas Wichtiges im Leben.“ Sie nickte stumm und blieb schwankend stehen. Jodi war hundeelend zumute. Es war ihr alles egal … Christopher ließ sie los, hob noch drohend den Zeigefinger und ging. Während sich die zwei Jungen

entfernten, sah das Mädchen ihnen nach, und versuchte verzweifelt wenigstens zu weinen. Aber ihre Augen schmerzten nur und fühlten sich komplett ausgetrocknet an. Sie spürte die eigenartige Austrocknung inzwischen auch auf der ganzen Haut, schenkte ihr jedoch keine Beachtung. Denn im Moment erfüllten sie bloß Hoffnungslosigkeit und eine unbegreifliche Angst. Was sollte sie jetzt ohne ihn tun? Wie weiterleben ... Dann überlagerte der Durst alles und schien sie von innen heraus aufzufressen. Wenn sie nur etwas zu trinken bekäme

… Sehnsüchtig sah sie zur Toilette hinüber und konnte spüren, wie es sie magisch dorthin zog. Sie hätte glatt eine Flasche in einem Zug austrinken können. Und seltsamerweise störte es sie auch nicht mehr, wenn es Leitungswasser wäre. Es wurde unerträglich. Für die Dauer eines Herzschlages war sie sich absolut bewusst, dass ihr Leben davon abhing. Es waren wirklich nur ein paar Schritte ... Irgendetwas passierte mit ihr. Dann blickte sie erneut zu Christopher, der sich gerade von César

verabschiedete. Sie würde nie über ihn hinwegkommen. Da war dieses einzigartige Glitzern in seinen Augen, dass ihr auch jetzt noch einen Schauer den Rücken hinab jagte. Wieso hatte er nicht auf sie gehört? Derart verschwand er für immer aus ihrem Leben? Hinterließ einen Scherbenhaufen und kam einfach so billig weg … um bald in den Armen einer anderen zu liegen? Etwas zerbrach. Sie entschied sich endgültig gegen jegliche innere Stimme. Instinktiv stürmte Jodi mit einer Geschwindigkeit vor, die ihr niemand zugetraut hätte, und war in wenigen

Sätzen bei ihm. Dabei war sie sich über eines absolut sicher. Ohne ihn wollte sie nicht weiterleben! Als Christopher Bennett sie wahrnahm, sprang sie ihn bereits an. Das Mädchen klammerte sich an ihm fest, zog sich voller Leidenschaft hoch und presste ihre Lippen an die des Jungen, ging buchstäblich in diesem einen Kuss auf. Kurz ließ er sie geschmeichelt gewähren, bis sich seine Augen in Panik weiteten … Zwei Männer eilten durch die Schulhausgänge der Dos Reinas High

School. Einer von ihnen war Officer Delgado Suarez der örtlichen New City Police - nur noch wenige Jahre von seiner Pensionierung entfernt und gegenwärtig ein wahres Nervenbündel. Der andere war ein braungebrannter, braunhaariger Mann unbestimmten Alters mit traurigen Augen. Er trug Jeans, eine schlichte, braune Jacke und gut sichtbar einen mattgrauen Ankh-Anhänger aus Titan um den Hals. Und er versuchte momentan, mit dem uniformierten Polizisten Schritt zu halten. „Wieso haben Sie uns gerufen?“ Delgado warf seinem Begleiter einen

gequälten Blick zu. „ADP Deputy Michel Aardvark, stimmt das? Nun, Sie werden es wissen, sobald Sie es sehen.“ „Nennen Sie mich doch bitte einfach nur Mich‘ oder Miguel.“ Gerade als er dem gestressten Polizisten ein beruhigendes Lächeln schenken wollte, fiel ihm eine hochgewachsene, junge Frau in einem Seitenflur auf. Sie sah aus, als hätte sie sich aus einer fernen Epoche hierher ins 21. Jahrhundert verirrt. Ihr klassisches, viktorianisches Kleid war ein seidener Traum in Schwarz, mit blutroten Akzenten - bei ihr handelte es sich wohl um ein Vorzeige-Exemplar der hiesigen Gothic-Szene. Und sie

trug ihr über die Taille reichendes, schneeweißes Haar offen. Als wäre ihr Seelenschmerz unerträglich, erfüllte die Art und Weise, wie diese Person barfüßig und mit gesenktem Kopf langsam vor sich hin schritt, den Beobachter mit qualvoller, unendlicher Trauer. Aber es schien sie niemand zu bemerken. Außer einem ... Michel fühlte bei ihrem Anblick einen brutalen, schmerzvollen Stich im Herzen. Er wandte sich mit einem schweren Seufzer ab, während die blasshäutige Frau am Ende des Flurs um die Ecke

verschwand. Er hasste solche Einsätze. Als er sich müde das Nasenbein rieb, versuchte Michel, so sachlich wie möglich zu klingen. „Es hat einen supranaturalen Todesfall gegeben.“ Meinte er trocken. Der Polizist zuckte zusammen. „Weshalb sonst hätten wir die ADP gerufen?“ Nach der nächsten Biegung trafen sie auf einen aufgebrachten Pulk Jugendlicher, der sich vor einer notdürftig angebrachten Polizei-Absperrung gesammelt hatte und von mehreren Uniformierten in Schach gehalten wurde. Der Lärm hier war

ohrenbetäubend. Viele von ihnen schienen tief erschüttert, andere verfluchten lauthals eine gewisse Yodie oder Jody und die meisten hielten ihre Mobiltelefone hoch. Ein wenig abseits davon standen einige Jungs - wahrscheinlich vom hiesigen Football-Team - völlig aufgelöst und starrten verloren ins Leere. Keiner von diesen sagte ein Wort. Vereinzelt saßen Mädchen am Boden herum und weinten. Dann erkannte Miguel einen schwarzhaarigen Hünen, der jeden Anwesenden um einen Kopf überragte und grüßte ihn erfreut. Vielleicht

wusste Teizô Tatopoulos, selbsternannter Beschützer der Dos Reinas High School, etwas über das Geschehene. Doch bevor er ihn fragen konnte, kam bereits ein kleiner, korpulenter Mann von der Polizei-Absperrung auf sie zu geeilt und zeigte sich bei ihrem Anblick sichtlich erleichtert. Office Delgado Suarez wies auf diesen. „Der Rektor hat uns sofort gerufen, doch …“ Mit einem sanften Lächeln nickte Michel Aardvark, wandte sich von Teizô ab und gingmit ausgestreckten Händen auf den Rektor zu. „Hola Rubén Henry Harrison, como va? Bin

erfreut, Sie erneut zu treffen!“ „Hola Miguel!“ Der Mann blickte verlegen. „Ich würde zwar auch gerne sagen, dass ich erfreut bin, Sie zu sehen … aber wieso geht’s mir immer schlecht, wenn ich Ihnen hier begegne?“ „Weil man die ADP immer dann ruft, wenn es schon zu spät ist?“ Rubén ergriff Miguels Arm und verabschiedete sich höflich bei Delgado Suarez, der sich erleichtert abwandte. Eiligst führte er ihn durch den Pulk Jugendlicher und an der Polizei-Absperrung vorbei. Der Lärmpegel nahm merklich ab. Ein lautes Gemurmel ging gleichzeitig

durch die Reihen und das Kürzel ADP war plötzlich in aller Munde. Angst und Ehrfurcht schienen danach in den Stimmen der Meisten mitzuschwingen, als weitere Mobiltelefone hochgehalten wurden. Michel hatte den Rektor schon mal gelassener und nicht so aufgebracht erlebt. Kurz musste er an dessen zwei erwachsene Töchter denken. Vielleicht schaffte er es, wieder einmal eingeladen zu werden. Verschwörerisch wandte sich ihm jetzt Direktor Rubén zu. „Miguel, kommen Sie nachher bitte auch in mein Büro? Wir haben immer noch nicht ihre Eltern informiert. Abgesehen davon,

dass wir mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit von Neuem einen Fall von Sexting an dieser Schule haben, bei dem man uns wohl erneut die Hölle heiß machen wird!“ Michel zog die Augenbraue hoch. „Ja, der Quarterback der Pumas, ihr Freund ... nun ... er hat ihr heute Morgen so den Laufpass gegeben!“ Der Rektor zuckte hilflos mit den Schultern. „Wissen Sie, ihre ältere Schwester ist hysterisch geworden, als sie es erfahren hat, und befindet sich momentan im Erste-Hilfe Zimmer. Und ich bräuchte irgendjemand, der … es ihnen, irgendwie … beibringt?“ Michel legte dem Mann beruhigend die

Hand auf die Schulter. „Keine Sorge, Amigo, sobald ich genaueres weiß, leite ich es an die Zentrale weiter. Denke, Daniel wird sich schon darum kümmern.“ „Daniel …“ murmelte der Rektor hierauf erleichtert. „Ja, ich denke, er kann es … er ist wirklich der Beste für solche Dinge.“ Sie erreichten inzwischen den Flur mit den Schulspinden, wo sich die meisten Polizisten aufhielten und gegenwärtig mit der Spurensicherung beschäftigt waren. Schlagartig wich die Nervosität, die spürbar in der Luft lag, einer gewissen Erleichterung, als sich alle zum

Neuankömmling herumdrehten, der seinen Marshallstern hochhob. Mehrere der anwesenden Polizisten begrüßten Michel mit Namen. Irgendwann dachte sich dieser dabei, irgendwann würde er gerne einmal zu einem Einsatz gerufen werden, bei dem es nicht um Mord und Totschlag ging. Kurz ließ er den Tatort auf sich einwirken. Am Ende des Flures war Anna Szasz - die ihm von einem opulenten Mahl beim Griechen und der darauffolgenden Nacht immer noch gut in Erinnerung war - gerade mit einem Zeugen am Sprechen. Mit einem verführerischen Lächeln winkte sie

ihm zu. Der eingeschüchterte Südamerikaner in Baggy Pants neben ihr wirkte dagegen völlig außer sich. Das würde wohl länger dauern. Einige Meter davor lag ein Toter im Gang, mit dem augenblicklich der hiesige Schularzt beschäftigt war - ein gewisser Leonard H. McCallister, falls er sich richtig erinnerte. Zwar war die Leiche zugedeckt. Aber es war eindeutig ein Mann. Wahrscheinlich ein Sportler. Michel wandte sich kurz zurück. Zumindest verstand er jetzt die Reaktion der Jungs. Wenn das ihr Quarterback war ... Vor der nahen Mädchentoilette stand

dafür ein weiterer Uniformierter mit fahlem Gesichtsausdruck. Er war der Nervöseste von allen. Vielleicht, weil eine Spur von Kleidungsstücken vom Toten aus bis zu ihm führte? Er konnte ein paar Turnschuhe ausmachen, Socken … Und eine teilweise zerfetzte Levi’s Fashion. Schwach war auch eine Art Schleimspur am Fußboden auszumachen, in der ein komplett zerstörtes Höschen lag. Noch während sich Michel fragend dem Rektor zuwandte, nahm er den flüchtigen Geruch von Meerwasser in

der Luft wahr, und ein eiskalter Schauer lief ihm den Rücken hinab. „Oh Gott!“ Murmelte er. „Ihr Name ist Jodi Christian Ashman“, erklärte Rubén. „Eines unserer größten Schwimmtalente. Es hieß, dass sie das Zeug zur Olympionikin hat ... gehabt hätte … ein unscheinbares und unauffälliges Ding. Bester Notendurchschnitt. Aber es scheint jetzt, als wäre sie …“ „NOI-süchtig gewesen?“ „Ja! Verdammtes Medikament.“ Rubén blieb einfach stehen, als er sichtlich nach Worten rang. Der Tod zweier seiner Schützlinge hatte ihn deutlich

mitgenommen. Michel ging währenddessen zielstrebig zur Mädchentoilette, die wohl jemand versucht hatte unter Wasser zu setzen. Denn vor der Tür hatte sich eine große Pfütze gesammelt. „Sie ist da drin?“ Meinte er zum Offizier vor der Tür. „W-wir haben nichts angerührt …“, stammelte dieser eingeschüchtert, „nur die Wasserhähne zugedreht!“ Michel nickte nur. Aus den Augenwinkeln sah er jetzt den Schularzt auf sich zukommen. Auch er wirkte aufgebracht. „Sie sind von der ADP? Hallo, ich bin Leonard Hasko McCallister, der

Schularzt. Nun… ich…“, er drehte sich zum toten Jungen herum, „das ist … war mal unsere hiesige Footballlegende, Christopher Bennett … ich … das ist irgendwie unglaublich.“ Er sah Michel Aardvark durchdringend an. „Es scheint ...“ Der Mann zögerte und versuchte vergebens, eine treffende Formulierung zu finden. Schließlich gab er auf. „Raten Sie mal, wie Christopher zu Tode gekommen ist,“ brachte der Schularzt nur stockend heraus, „für einen der ADP ist das vielleicht keine Überraschung.“ „Er ist ertrunken! Ohne dass die Kleidung oder der Körper Nass

wären.“ Antwortete Michel, als er die Tür öffnete und in die geflutete Mädchentoilette trat. „Wissen Sie, ich denke, dass diese Jodi Christian Ashman am Leben sein könnte, hätte sie sich nicht entschieden, ihn lieber mitzunehmen.“ Als sich die Tür vor dem konsternierten Schularzt schloss, der bloß stumm nickte, ging der Deputy nachdenklich zu dem toten Mädchen mit nacktem Unterkörper. „Solche wie sie können das, mit einem todbringenden Kuss, wenn man ihnen das Herz bricht.“ Sprach er dabei. Jodi klammerte sich immer noch verzweifelt an den Wasserhähnen des

Waschbeckens fest und hing mit einem Arm teilweise im überlaufenden Becken. Es war offensichtlich, dass sie verdurstet war. Vorsichtig nahm Michel das Mädchen herunter und bettete es sachte auf den trockenen Teil des Waschtisches. Dann hob er auch ihren beeindruckenden Fischschwanz darauf und schloss zärtlich die faszinierenden, weit aufgerissenen Augen der wunderschönen Meerjungfrau. „Ruhe sanft, mein Engel. Deine Alpträume sind endlich vorbei!“

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Lobezno
Eigentlich ist es so wie es ein Landsmann von mir treffend beschrieb:

'Mit den Riesen habe ich keine Probleme; nur die Windmühlen machen mir echt zu schaffen!'

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SecretForest Faszinierend und spannend. Wirklich gut geschrieben, bis ganz zum Ende bleibt offen, was passiert ist.
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Lobezno Hallo,
vielen herzlichen Dank für die Coins!
Und es freut mich ungemein, dass es gefallen hat.

LG
Lobezno
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