Krimis & Thriller
The secret of war

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"The secret of war"
Veröffentlicht am 11. April 2014, 290 Seiten
Kategorie Krimis & Thriller
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Über den Autor:

http://www.bookrix.de/-falling/ Ihr findet mich auch auf bookrix! Ich bin durch meine Freunde zum Schreiben gekommen. Was anfangs nur kurze Geschichten ohne tieferen Sinn waren, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer echten Leidenschaft. Ich liebe es beim Schreiben all meine Frust und meine Wut rauszulassen, Personen und Welten zu erschaffen, die ich selbst gerne verkörpern würde. LG, falling
The secret of war

The secret of war

Christine's Lied

Einst war Hoffnung Realität, einst war Liebe selbstverständlich, einst war Hass nur ein Gerücht. Doch im Strom der Zeit, im Laufe des Schicksals, war Hoffnung nur noch Verzweiflung, war Liebe nur noch eine Fessel, und Hass der Bestandteil des Lebens. Traurige Welt, lass ab von Leid un Schmerz, und lass uns zu dem werden, was wir wirklich sind.

Prolog

Ich saß schon seit gefühlten Stunden in diesen Raum. Der Ledersessel passte sich meinem muskulösen Körper perfekt an und gab mir ein Gefühl von Komfort und Entspannung. Und dieses Gefühl wäre auch zu mir durchgedrungen, würde kein Psychologin vor mir sitzen und mich erwartungsvoll ansehen. „Alyra, das ist schon unsere fünfte Sitzung. Irgendwann sollten sie etwas sagen“, warf diese ein. Sie hatte ihre besten Jahre schon hinter sich und ihre Haare wirkten durch das viele Färben fast schon künstlich. Immer wieder hatte

sie in unseren Sitzungen ihre Brille abgesetzt, sie zwischen ihren Fingern hin- und herjongliert und mich dabei interessiert angesehen. Ich kannte sie schon seit langer Zeit, auch schon vor diesem bestimmten Abschnitt in meinem Leben. Sie hatte mich oft unterstützt und ich hatte sehr wohl auch positive Erinnerungen an sie. Doch im Hier und Jetzt entsprach ich in keiner Weise mehr meinem vergangenem Ich. „Ich sehe keine Notwendigkeit darin mit ihnen darüber zu sprechen. Hier handelt es sich um ein Kriegsgeheimnis, Mrs Vole“, erklärte ich mit ruhiger Stimme. „Ich verstehe sehr wohl, Miss Dearing,

aber da sie vor diesen Geschehnissen an psychischer Labilität litten, könnte ihre jüngste Vergangenheit noch viel schlimmere Auswirkungen auf sie bewirkt haben, als sie annehmen.“ Ich zog nur eine Augenbraue hoch und betrachtete sie kritisch. Ich würde meinen Standpunkt nicht ändern, so oft sie auch auf mein schüchternes, schwaches Vergangenheits- Ich zu sprechen kam. „Ich werde ihnen alles nochmals erklären, jede wichtige Information aus ihrer Vergangenheit zu Wort bringen und möchte wissen, was sie heute dazu zu sagen haben. Ist das in Ordnung, Miss Dearing?“, fragte sie hartnäckig und da

ich diesmal nichts dagegen einzuwenden hatte, begann Mrs Vole. „Sie sind am 15.05 in Hamton geboren und ihre Mutter Christine Dearing ist dabei wegen Komplikationen gestorben. Sie sind mit ihrer Schwester, Jessica Dearing, und ihren Vater, Cornelius Dearing, aufgewachsen. Ihre Schwester Jessica zeigte schon früh Talent für instrumentale Musik und wurde deshalb auf eine Musikhochschule geschickt. Ihr Vater führt eine Produktionsfirma für Bahnschienen. Als sie mit 12 Jahren die erste Sitzung bei mir angetreten haben, machten sie einen sehr eingeschüchterten Eindruck und später stellten wir bei ihnen Minderwertigkeitskomplexe und

das Bedürfnis nach Zuwendung fest. Mit mehreren Therapien versuchten wir den Ursprung davon zu finden und ihnen es leichter zu machen mit diesen umzugehen. Als sie mit 17 Jahren auf dem Nachhause Weg mit ihrer Schwester waren, wurden sie“, „-Verzeihung, Doktor, aber das möchte ich wegen der Geheimhaltung nicht besprechen.“ Ich blickte sie resignierend an und fügte hinzu: „Ich wiederhole mich ungern, verstehen sie mich?“ Mrs Vole blickte mich verständnisvoll an: „Natürlich, ich entschuldige mich dafür.

Trotzdem möchte ich wissen, was sie fühlen, wenn ich ihnen ihren Lebenslauf vorlese.“ Als sie das sagte, blickte ich gerade aus der Fensterwand des Raumes. Die modern eingerichtete Praxis der Psychologin hatte mich anfangs noch beeindruckt, jetzt war sie aber nur noch nebensächlich für mich. Die Frage von Mrs Vole beanspruchte mein Gehirn und ich dachte nach, während ich aus dem Fenster sah. Das Apartment lag im 20. Stock und bot einen herrlichen Anblick auf die Skyline von Hamton. Von hier aus konnte ich den großen Park entdecken und die gigantischen Werbetafeln am Middle

Square. Das alles war nichts Besonderes für die Menschen, die hier lebten. Auch ich hatte mal zu ihnen gehört. Doch wenn ich jetzt meine Umgebung betrachtete, fühlte ich mich anders, als hätte ich eine magische Welt betreten zu der ich nie zuvor einen Zutritt gehabt hatte. Und dieses Gefühl war schön, denn ich wusste, dass mein Zuhause auf mich warten würde. Langsam wendete ich mich also der Psychologin zu und blickte in ihre ruhige Miene. Ich lächelte sanft, als ich antwortete: „Es ist, als würde ich das Leben einer anderen Person zu Ohren bekommen. Es

ist für mich nicht von Bedeutung, denn ich habe bereits ein Leben.“

Erwachen in der Hölle

Überfordert versuchte ich auf den Anzeigetafeln den richtigen Weg zu meiner U-Bahn zu finden, doch das gestaltete sich weitaus schwieriger als gedacht. Überall flackerten mir grelle Lichter entgegen, die mir in absurden Mengen Zahlen und Buchstabe entgegenschleuderten. In dem Moment in den ich geglaubt hatte endlich etwas erkennen zu können, schaltete die Anzeige auch schon wieder auf einen anderen Schriftzug und das Unterfangen musste von neuem begonnen werden. „Verspätung wegen Baustelle“, „Früheres Eintreffen“,

„Fahrt gestrichen wegen…“, hieß es immer wieder in leuchtend roten Schriften. Nach einer geschlagenen halben Stunde fand ich endlich das richtige Gleis und konnte in die nächste U-Bahn einsteigen. Die riesige Menschenmasse, die sich wie ein fließender Bach um mich wand, ließ jede Hoffnung auf einen Sitzplatz in Luft auflösen. Als ich mir mühevoll einen Weg durch die Menge verschafft hatte, stand für mich nur noch eine von Schweiß überzogene Haltestange zur Verfügung. Seufzend blickte ich bei der Fahrt aus dem Fenster. Natürlich war nichts Weiteres als das dunkle Schwarz

des Untergrund zu sehen, trotzdem beruhigte mich der Anblick. Viele würden mich bei diesem Gedanke schief ansehen und mich als irre bezeichnen, doch für mich waren es schon immer die einfachen, offensichtlichen Dinge im Leben, die mich zur Ruhe brachten und meinen Alltag in den Hintergrund rücken ließen. Ich vergaß dabei all diese Last, diesen Schmerz, der mich tagtäglich begleitete, konnte in eine meiner Traumwelten flüchten und mir zumindest für einen kurzen Moment das Gefühl von Geborgenheit vorgaukeln. Es war eine Frau, die die U-Bahn betrat und mich aus meinen Gedanken riss. Sie

schrie lauthals in ihr Handy, wirkte aber keineswegs verärgert. Redeten manche Leute immer so lebendig und intensiv? Ohne es zu wollen, musste ich mir die Lebensgeschichte der beleibten, dunkelhäutigen Dame mitanhören und war froh, als sie mitsamt ihren Lackstiefel und Pelzmantel an der nächsten Haltestelle ausstieg. Ich hätte dieses Erlebnis längst vergessen, hätte sie sich nicht noch kurz davor umgedreht und mir tief in die Augen gesehen haben. „ Du solltest dringend mal duschen gehen Mädchen, du stinkst und deine Haare sind furchtbar fettig!“, sagte sie und verschwand mit einem gackernden

Lachen die Bahn. Deprimiert sah ich ihr nach und hielt die Tränen zurück. Ich war es gewohnt von Menschen so angesprochen zu werden. In einer Welt, in der der Krieg allgegenwärtig war, hatte man nicht viel für schwache Personen übrig und machte es sich zur Aufgabe sie nieder zu ringen. Seit vor 100 Jahren die erste Schlacht begonnen, hatte man unsere Medizinversorgungen über alle Maße vernachlässigt. Man hegte kein Interesse mehr dafür, sich für behinderte oder hoffnungslose Fälle zu kümmern und überließ diese meist ihren Tod. In der Schule bombardierte man uns oft mit

Vorträgen, so dass viele für einen Eintritt in das Militär motiviert wurden. Noch heute konnte ich mich erinnern, wie mein einziger Freund mir verkündet hatte, dass er in den Krieg ziehen würde. Voller Stolz hatten ihn seine Eltern dabei unterstützt und ihren Bekannten von der „frohen Kunde“ erzählt. Zwei Monate später hatten sie die Todesurkunde erhalten. Deshalb hasste ich den Krieg von ganzem Herzen. Nach einigen Haltestelle und riesigen bunten Menschenmassen, die sich immer wieder von neuem in die Bahn drückten, ausstiegen und das Gefährt dabei

gefährlich ächzen und rattern ließen, war ich endlich am „Golathian Place“ angelangt. Wie schon der Name verriet, hieß die Privatschule nichts anderes als „Golathian High School“. „Golathian“ sei laut der inbrünstigen Erzählung meiner Schwester, ein berühmter Dichter aus dem vergangenen Jahrhundert gewesen. Ihre Augen hatten dabei so sehr gefunkelt und vor Stolz gestrahlt, dass die Lehrer sicherlich einen nicht weniger impulsiven Vortrag gebracht haben mussten. Ich hatte den Namen nie gehört, doch das war wiederum eine andere Baustelle. Die Schule war der Stolz der Stadt und

wurde deshalb oft mit Geldern unterstützt. Zum einem um ihr Grundstück noch eindrucksvoller zu gestalten und zum anderen um ihren Schülern eine gehobene Ausbildung zukommen lassen zu können. Ich hatte nur ein einziges Mal in mein Leben das Innere des Gebäudes betreten und konnte bestätigen, dass die Schule der gehobenen Klasse angehörte. Das symmetrisch angelegte Außenareal hatte im Zentrum einen alten restaurierten Springbrunnen und einen aus Marmor gepflasterten Eingangsweg. Die Schüler mit ihren teuren Uniformen, nahmen diesen Luxus so selbstverständlich hin, dass sie im Gegensatz zu mir

keineswegs fehl am Platz wirkten. Darum verzichtete ich gerne darauf direkt am Schulhof auf meine Schwester zu warten und stellte mich heute wie immer vor den kleinen Bücherladen am U-Bahnhof. Menschenmassen flossen an mir vorbei, völlig fixiert auf etwas anderes. Sie alle waren beschäftigt, zufrieden mit ihrer Situation. Keiner wirkte so verloren wie ich. Sie alle schienen diese eine Tatsache nicht wahrzunehmen, ihre Augen davor zu schließen, sie alle dachten der Alltag wäre etwas vollkommen Normales, wo er uns doch festhielt und in Handschellen legte.

Er bindet uns an Verpflichtungen und Arbeiten, die wir nicht einfach hinter uns lassen konnten und wenn wir uns dem doch widersetzten, dann würde das uns von der Natur auferlegte Gewissen solche Schuldgefühle zureden, dass wir daran zerbrechen würden. War sie nie verrückt, diese Welt? Sie nahm uns jede Freiheit und wir nahmen es nicht mal bewusst war? Ich erkannte meine Schwester sofort, als ich meinen Blick suchend durch die Menge hatte schweifen lassen. Ihr glänzendes blondes Haar umwarb ihr herzförmiges Gesicht und ließ sie deshalb so unglaublich schön wirken. Sie

hatte heute wieder einmal eine Menge Zeit im Bad verbracht und trug darum einige Schichten Schminke im Gesicht, was ihren Freund keineswegs zu stören schien; Er umschlang sie mit seinen Armen und verabschiedete sich mit einem besitzergreifenden Kuss. Meine Schwester sah ihn tadelnd an und beendete damit die Szene abrupt. Entschuldigend strich ihr der dunkelhaarige Schönling über die Wange und verabschiedete sich. Neidisch blickte ich zu ihr auf und senkte meinen Kopf wieder. Meine Schwester war eine völlig andere Person als ich. Zu ihr aufzusehen hatte mir noch nie mehr als Verzweiflung und Neid

gebracht, also ließ ich es nach Möglichkeit sein. Jessica drehte sich zu der Gruppe um und verabschiedete sich mit einem Lächeln. Mit High-Heels, die einen dumpfen Ton auf den Beton hinterließen, ging sie auf ihre kleine und unscheinbare Schwester zu. Niemand, der nicht Bescheid gewusst hätte, könnte auch nur erahnen, dass wir Zwei miteinander verwandt waren. Jessica und Alyra Dearing. Gerade als ich meine Schwester begrüßen wollte, registrierte ich, dass sie geradewegs an mir vorbeilief und ich mich nicht mal eines Blickes würdigte. Niedergeschlagen sah ich ihr hinterher.

Es war wie immer, was hatte ich anderes erwartet? Sie hasste mich und das würde sich nie ändern. Immerhin war es meine Schuld, dass Mutter gestorben war. Ich riss mich abrupt aus meinen Gedanken und versuchte Jess hinterher zu eilen, schaffte es dann nur noch im letzten Moment in die U-Bahn zu springen, bevor auch schon die Stimme auf die Türen hinwies, die sich kurz darauf schlossen. Ich suchte einen Platz neben Jess, die mich immer noch ignorierte. Die ganze Fahrt lang versuchte ich ein Wort zu sagen, ein Gespräch zu

beginnen, traute mich letztendlich jedoch nicht. Entweder würde sie mich nur weiterhin ignorieren oder mir einen genervten Blick zu werfen. Sie würde sicherlich auf jede erdenklich Weise reagieren, nur nicht auf die, die ich mir erhoffen würde. Kurz danach würde es geschehen. Unendlich viel Leid würde passieren und all diese alltäglichen Situationen im Nachhinein ins Lächerliche ziehen. Doch woher hätte ich auch nur ahnen können, was die Zukunft für mich bereithalten würde? Wir verließen die U-Bahn an der Haltestation in unserem Viertel.

Irgendetwas schien anders zu sein als sonst. Doch was? Es war ruhiger. Nirgendwo konnte ich heute spielende Kinder, Autogeräusche oder Stimmen hören. Die Gegend hier gehörte den neueren Teil der Stadt an und galt deshalb als familienfreundlich und nett. Mit einem unsicheren Blick in Richtung Jes versuchte ich heraus zu finden, ob diese Unruhe nur von meiner Seite aus kam. Als ich meine Schwester seelenruhig auf ihrem Handy tippen sah, hätte ich mir am liebsten selbst eine Schelle verpasst. Wieder nur eine meiner Paranoien?

Was war ich denn für ein Freak, der nicht ohne dabei von Verfolgungswahn getrieben zu werden nach Hause laufen konnte? Diese Gegend war die wahrscheinlich ungefährlichste in der ganzen Stadt. Die Verbrecher rate hier galt als niedrigste der gesamten Stadt. Allmählich konnten die Behauptungen meiner Mitschüler tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Also blieb ich still und ignorierte meine Intuition, das Verlangen einfach loszurennen. Hätte ich nur dieses eine Mal darauf gehört, die Gefahr wirklich ernst genommen, dann wäre so Vieles nicht

geschehen. Anfangs war diese Unruhe nur eine Warnung, irgendwann entwickelte es sich zu einem Schmerz. Ich verzog mein Gesicht, versuchte den Drang zu fliehen zu widerstehen und erntete durch meine merkwürdige Art nur einen genervten Blick seitens meiner Schwester. Sie seufzte, verkniff sich einen bissigen Kommentar und widmete sich dann wieder ihrem Handy. Gerade, als ich versuchen wollte mich zu entschuldigen, wahrscheinlich nur um der erstickende Stille nur für einen kurzen Moment zu entkommen, registrierte ich eine Bewegung in der Gasse hinter

ihr. Beruhig dich, verdammt noch mal, sagte ich mir selbst. Ich sagte es mir immer und immer wieder, doch mein Körper schien diesen Befehl einfach zu ignorieren. Nochmals eine Bewegung. Verdammt, Alyra, ermahnte ich mich nochmals. Und dann sah ich eine Gestalt, die auf uns zuschnellte. Ich wollte meinen Mund aufreißen, meine Schwester warnen und wegrennen. Alles gleichzeitig. Doch ich war wie gelähmt. Es war zu spät. Später hatte ich mir immer die Frage gestellt, was wäre wenn? Was wäre

wenn ich nur einmal auf mein Bauchgefühl gehört hätte? Wäre ich dann zu dem geworden, der ich heute bin? Was wäre, wenn … diese Wörter beschäftigten mich bereits mein ganzes Leben. Nur drei kleine Wörter und trotzdem hatten sie so eine starke Wirkung auf mich. Meine Schwester bemerkte kaum, wie ich stehengeblieben und kreidebleich geworden war. Sie lief einfach geradewegs weiter und wurde dabei von den starken Männerhänden aufgehalten. Ich hätte heute nicht mal mehr sagen können, welche Haarfarbe, oder Größe die Gestalten hatten. Einzig und allein

ihre riesigen Hände, die dunklen Silhouetten und ihre stechenden Augen waren mir im Gedächtnis geblieben. Als ich mich endlich wieder bewegen konnte, versuchte ich irgendetwas Hilfreiches zu machen: auf den Mann zu zusprinten, ihn zu überwältigen und einen meiner zahlreichen Griffe anzuwenden. Doch ich hatte keine Wahl mehr, als ich den harten Stoß in meinen Rücken spürte. Sofort schmeckte ich auf meiner Zunge Blut. Eine grobe Hand zwang mich in die Knie und drückte mir ein Tuch ins Gesicht, das mir Tränen in die Augen trieb. Es brannte wie die Hölle, doch die

einschläfernde Wirkung hinderte mich daran etwas zu unternehmen. Im Hier und Jetzt schienen die Gedanken bedeutungslos, unwichtig, fast schon überflüssig. Einzig die Gegenwart zählte. Und diese ließ nicht allzu viel Hoffnung offen. Ich spürte, wie mein Körper mir entglitt, mir nicht mehr Untertan war und ich wegen des stechenden Geruches Kopfschmerzen bekam. Es war tatsächlich befreiend, als mich endlich die Ohnmacht überkam und mich in das Land der Schwärze führte. Es war dunkel. Feuchte Luft beherrschte den Raum. Alles, was ich in diesem Moment zu sehen vermochte, war das

dichte und schwere Schwarz vor meinen Augen. War ich immer noch ohnmächtig? Nein, sicherlich nicht. Der unverkennbare Geruch von Blut und Schweiß lag in der Luft, aus irgendeiner Richtung zog ein übel riechender Uringestank her. Doch entscheidend in diesem Augenblick war das Keuchen, Stöhnen und Kreischen von Menschen. Ich wollte meine schweren Augenlider nicht öffnen, wollte mich nicht mit der Gefahr, die in unmittelbarer Umgebung auf mich warten würde, konfrontieren. Doch war es nicht sinnlos sich vor etwas zu verstecken, wenn man mittendrin

steckte? Das würde mir in den nächsten Momenten mehr als bewusst werden. Mir widerstrebte es den Schmerz, der durch alle Fasern meines Körpers verlief, anzunehmen und zu akzeptieren. Ich wollte es nicht spüren, es nicht wahrhaben. Vielleicht erhoffte ich mir dadurch der Situation zu entfliehen, wieder aufzuwachen, als wäre das alles nur ein schrecklicher Traum gewesen. Leider hätte ich genauso gut einen Blinden zum Sehen zwingen können. Das wäre genauso so sinnvoll, wie meine derzeitigen Hoffnungen. Kalter Schweiß floss von meinem Körper

hinab. An Stellen, die ich kaum noch spürte, brannte die salzige Flüssigkeit wie ätzende Säure. Ich konnte nicht anders als schmerzhaft aufzustöhnen. Bemüht verstummte ich und versuchte eine erneute Schmerzwelle zu überstehen. Doch diesmal entfuhr mir ein hoher, schriller Schrei. „Ruhe“, ertönte plötzlich eine gereizte Männerstimme, die dumpf und abgestumpft klang. Ohne meine Reaktion genauer zu bedenken schlugen meine Augenlider schlagartig auf und ich ballte meine Hände zu Fäusten. Im gleichen Moment spürte ich, wie eine Schorfwunde, die wahrscheinlich bei der Entführung entstanden war,

platzte, Ich suchte die Quelle der Männerstimme und entdeckte diese: Angelehnt am Gitter unserer Zelle. Zugleich wurde ich mir nun auch endlich meiner Umgebung bewusst; Der Boden bestand aus massivem unebenem Beton, der nicht gerade sorgfältig aufgegossen wurde. Überall gafften große Löcher mit scharfen, fast schon bissig wirkenden Rändern. Nur ein müder Sonnenstrahl konnte sich einen Weg durch den Raum erkämpfen und als ich mich umsah, entdeckte ich auch den Grund. Wir saßen in einer Zelle, eingesperrt in dicken Stahlstäben und lagen vermutlich unterhalb der Oberfläche. Nur ein kleines

Glasstück, welches den Namen Fenster nicht verdiente, prangte am obersten Stück einer bröckeligen Ziegelwand. In jeder Zelle saßen, soweit ich es im matten Licht erkennen konnte, 10 Personen, eingepfercht auf engstem Raum. Vermutlich hatte man mit uns mehr geplant, als uns zu vergewaltigen oder zu missbrauchen. Ich spürte, wie ich Angst bekam. Das wollte ich nicht, doch was sollte ich, eine kleines Mädchen, gegen solche Mächte ausrichten? Ich versuchte mich zu beruhigen, meinen Atem zu verlangsamen und blickte mich dann abermals um. Ich machte den Mann mit der schroffen

Stimme erneut aus und versuchte seine Umrisse genauer zu erkennen. Er lehnte sich in einer lässigen Haltung an unsere Zelle und schien sich gerade mit einem Messer zu beschäftigen, indem er es lustlos hin und her wirbelte. Neben seiner Gestalt konnte ich eine in Silber schimmernde Rüstung erkennen. Mir stockte im gleichen Augenblick der Atem. Meine Gefühle, meine Sinne, alles, das mich als menschlich zu erkennen gibt, schienen im genau diesen Moment wieder zu funktionieren. Ich wurde entführt, erklärte ich mir selbst, und dass dort ein Soldat des Widerstands vor meiner Zelle stand bedeutet, dass ich mich wahrscheinlich mitten im

Kriegsgebiet, im Niemandsland aufhalten musste. Für einen kurzen Moment schien ich nur noch das pulsieren meines Blutes, das Schlagen meines nervösen Herzens und das Pochen meiner Wunden zu spüren. „Gott“, flüsterte ich leise,“ heilige Scheiße!“ Mir war zwar nicht mal ansatzweise bewusst, was mich hier erwarten würde, doch aus der jetzigen Situation schloss ich nichts all zu Gutes. Dann schrie ich los. Es war unmöglich aufzuhören, denn jetzt wo ich erst mal damit begonnen hatte, spürte ich wie es mir Lebendigkeit einhauchte. Etwas, dass es hier nicht gab; im toten

und grausamen Niemandsland. Ein Schauder lief mir über den Rücken. Ich bemerkte am Rande meines Bewusstseins, wie man mich unsanft hochschleuderte und gegen das Gitter stieß. Dabei spürte ich, wie das rostige Metall auf eine offene Wunde an meinen Rücken drückte und der Schmerz unsanft durch mich hindurch fuhr. Schauderte ich? „Halt deine Fresse! Wie oft soll ich das noch sagen!“, brüllte er mich an. Ich sah ihn lediglich nur durch einen Schleier aus Schmerz und Blut an und somit war das Einzige, das ich tatsächlich registriertem, einen unverkennbarer Akzent. Den Akzent, den nur unsere

Feinde in silbernen Rüstungen beherrschten. Ich stellte mir verwirrt und benebelt von den tausenden Eindrücken Fragen wie: was für eine Augenfarbe hatte er? War er hell oder dunkeläugig? Wo hatte er wohl unsere Sprache gelernt? Völlig unpassende Neugier, unglaublicher Irrsinn. Ich konnte mir im Moment nicht ausmalen, weshalb ich Angst haben sollte, weshalb ich hier war. Einzig und allein das, was ich noch erkennen konnte, schien meine Aufmerksamkeit zu fokussieren. Mein Mundwerk versuchte Worte zu formen wie: „du hast aber schöne Augen“ oder „ich liebe dich“, zum Glück blieb ich dabei

aber nicht im Geringsten erfolgreich. Erneut schien irgendetwas Schmerzhaftes auf mich zu treffen und erneut holte mich die Schwärze ein. Als ich aufwachte steckte mein Körper geradewegs in einer soliden silbernen Rüstung. Neben der Tatsache, dass ich diese ganz sicher nicht tragen sollte, spürte ich tiefe Beulen in den Metall und Schnitte, die durch den ganzen Panzer hindurch verliefen. Diese Rüstung gehörte sicherlich einem toten Soldaten. Hatte. Sie wackelte bedrohlich und fand kaum halt an meiner mageren Figur. Abermals so mit Reizen überflutet, musterte ich

erst jetzt meine Umgebung; Ich war in einem feuchten Raum, der deutlich wärmer und dampfiger als der vorherige war. Natürlich, denn der fünfeckige Raum hatte neben den metallischen Wände keine Fenster, sondern nur eine graue Metalltür. Die Menschen im Raum und ich selbst saßen auf klapprigen Holzstühlen. Manche waren wie ich gefesselt, andere nicht. Warum wohl? Mein Verstand war immer noch benebelt und viele Erinnerungen waren mir abhandengekommen. Nur kurze, brutale Szenen erschienen bei dem Versuch mich zu erinnern und so ließ ich

es. Hatte man mich gefoltert? Hatte ich es verdrängt? Auf einmal war ich müde und wollte einfach nur schlafen und nie wieder aufwachen. Natürlich wurde ich gefoltert. Mein Körper stand unter einen ermattenden Schmerz und bestand aus Wunden, die sicherlich nicht nur durch die Entführung entstanden waren. Ich stieß zitternd die Luft aus und musterte die anderen Menschen. Ich bereute es auf der Stelle. Manche von ihnen waren nahezu unversehrt. Zu meiner Erleichterung größtenteils die kleineren Kinder. Doch andere hatten genauso viele Verletzungen wie ich, andere gar schlimmere. Viele weinten, andere blickten starr auf eine

Stelle am Boden oder der Wand. Manche versuchten ihre Geschwister oder Freunde zu trösten, ein leises und dennoch erschreckendes Gemurmel erfüllte den Raum. In diesem eingekesselten Raum wirkten wir fast wie das Mastvieh, welches auf den Tod wartete. Im Moment fiel mir kein Grund ein, inwiefern sich die Metapher von der jetzigen Situation unterscheiden könnte. Nur, dass wir keine Kühe waren. Ich fühlte mich auf einmal schlapp, die Hände verharrten, als sie beschlossen, dass die Handschellen zu fest saßen. Mein Atem war schwer, wieder holte mich der Schmerz ein. Sie hatten mich

nicht verarztet, stellte ich stumm fest, mir nur Schmerzmittel gegeben. Ich roch Blut, geronnenes Blut. Es war zu vergleichen mit einer wochenalten Leiche. Ich sah abermals einen dichten Nebel vor meinen Augen. Mir wurde schwindelig. Doch plötzlich riss eine Tür auf und ich versuchte meine Sinne zu ordnen. Ein Mann in glänzender silberner Rüstung betrat den Raum. Im Gegensatz zu uns Elend wirkte er nahezu wie Gott. Sein sauberes aschblondes Haar hob sich anormal von unseren verdreckten Körper ab, fast als hätte er die Sonne auf seinen Kopf platziert. Neben seiner Attraktivität besaß er auch

noch einen unglaublichen Berg von Muskeln, giftig grüne Augen und ein zähneweißes Lächeln. Ihm folgte ein weiterer Soldat, der eine Liste trug und mit einem grimmigen Blick durchaus eine Drohung seinerseits an uns vermelden ließ. Klar war jedoch, dass der Blonde der höher Positionierte war. Es war keine Sache des Wissens, es war dessen bloße Erscheinung, die die Frage beantwortete. „Meine schönen Mädchen, meine kühnen Jungs“, fing der Anführer an, seine Stimme hallte unwirklich kräftig an den Betonwänden des Raumes wieder. Alle blickten ruckartig auf, manche Augen waren jetzt schon mit Leere erfüllt.

„Ich kann euch mit stolz verkünden, dass ihr uns heute eine große Hilfe sein werdet!“ Er blickte in die Runde und ich erkannte urplötzlich hinter seiner strahlenden Fassade die zerstörte Persönlichkeit. Für einen Moment konnte ich es sehen … Grausamkeit, Tod, die Gier nach Schmerz. Dieser Mann war verdorben und ich hatte mich tatsächlich geradewegs in seiner Obhut wiedergefunden. „Wir haben euch zu diesen Vergnügen in die Rüstung unseres stolzen Reiches gekleidet. Ihr werdet die Ehre haben heute in das Schlachtfeld zu ziehen und

es euren ehemaligen Reichskollegen heimzuzahlen. Denn sind wir mal ehrlich, ihr habt doch alle sicherlich eine Wut auf einen eurer Mitmenschen?“ Hatte er das tatsächlich gerade gesagt? Kannte er uns etwas? Viele stöhnten, andere reagierten gar nicht. Ich zählte zu den Letzteren. Wir waren nichts als lebendige Fallen, nichts als lebendiges Werkzeug. Wir würden sterben, während wir unser eigenes Reich verraten. Und diese Grausamkeit erreichte nun den Abgrund dessen, was ich für möglich gehalten hatte. Vor kurzer Zeit waren meine einzigen Sorgen gewesen, wie ich mehr

Aufmerksamkeit und Zuwendung bekommen würde und meinen Vater beeindrucken könnte. Ich dachte, ich hätte das schlimmste Leben, das existierte. Doch dieses Erlebnis, die Situation ließ meinen Horizont deutlich weiter werden. Auf einmal fand ich mein Leben schön, als ein Geschenk Gottes. Die Hürden, die man mir in den Weg gestellt hatte, sie schienen unglaublich klein und lächerlich. Der Soldat mit der Liste riss mich aus meinem Tagtraum: „Auf diesen Listen stehen alle, die wir gefangen haben, das ungefähre Alter und das Aussehen, so dass wir wissen, wenn jemand geflohen

ist. Solltet ihr also auf dumme Gedanken kommen, dann werdet ihr keinen schönen Tod erleben“, seine Stimme war absolut emotionslos, kein einziges Gefühl spiegelte sich in ihr wieder. Sie war kalt, unglaublich kalt. Mich schauderte es. „Wir werden euch eine Waffe geben und eure Aufgabe ist es damit Chaos anzurichten“, warf erneut der Blonde ein, “ das dürfte euch nicht schwer fallen. Falls ihr Fragen habt, nennt mich Near.“ Für einen Moment antwortete ihn nur die Stille und die starren aufgerissenen Augen der Opfer. Gegen meine Vermutungen hob jedoch plötzlich ein rothaaariges Mädchen die Hand. Sie schien sehr jung, auch wenn

die Verletzungen sie älter wirken ließen. „Ja?“, sagte der Blonde, sein Lächeln war flackernd und erneut erkannte ich die entsetzliche Persönlichkeit dahinter. „Wo ist meine Schwester?“, fragte sie schüchtern. Alle blickten sie in diesen Moment an, alle, wirklich alle. Nur ich nicht. Ich hatte nicht einen Gedanken daran verschwendet, wo meine Schwester war. Doch selbst wenn, sagte eine Stimme in mir, du hättest dich nicht getraut wie dieses Mädchen mutig nach ihr zu fragen. Ein Schmerz, durchzog meinen Körper und ich spürte auf einmal Trauer. Mir war nicht bewusst, weshalb ich bis jetzt keine Gefühle wie solche empfunden

hatte. Sorgen, Trauer, die Erkenntnis überwältigte mich in einem Mal. Vielleicht hatte Jessica recht mit alldem was sie immer zu mir gesagt hatte. Dass ich mich nicht genügend um die Familie kümmern, niemanden nahe sein würde. Dass ich tatsächlich selbst schuld an meiner Situation war und es immer noch ändern könnte. Stimmte das wirklich? Ich versuchte eine Antwort zu finden, doch die Nears Stimme ertönte in den Raum mit einer solchen Intensität, dass ich nichts anderes als sie hören konnte: „Falls ihr mit jemanden entführt wurdet, der hier nicht sitzt, dann ist er tot.“ Es waren nur wenige Worte, doch sie

lösten einen Ansturm an Gefühlen in mir aus. Das Traurige daran war, dass ich keinen Moment diese unwirkliche Hoffnung empfand, sie lebend wiederfinden zu würden. Mein Entschluss stand unmenschlich schnell fest und meine folgenden Gedankengänge waren merkwürdig verdreht und entschlossen zugleich. Ich schweifte mit den Blick nur kurz umher und als ich Jessica nicht sehen konnte, blieb für mich keine andere Wahl mehr als die Wahrheit zu akzeptieren. Meine Schwester war tot und ich hatte davor nicht einen Gedanken an sie verschwendet. Keine Trauer, keine Schuldgefühle. Es war meine Schuld,

einzig und allein meine. Ich bin es kurz vor den Überfall gewesen, die bereits etwas geahnt hatte und zu feige war sich zu melden. Ich hatte wiedermal meine Gedanken daran verschwendet, dass ich, wenn ich etwas gesagt hätte, nur wieder als paranoid und Freak abgestempelt werden würde. Doch selbst wenn es so geschehen wäre, meine Schwester würde heute noch am Leben sein. Mein und ihr Alltag wäre wie immer. Wie würden in verschiedenen Schulen sitzen, sie könnte ihr perfektes Leben leben und ich würde mit den Streichen und Mobbing meiner Mitschüler zu leben lernen. Es wäre so viel weniger schlimm. Es wäre alles so, wie es hätte sein

müssen. Ich hörte die Stimmen der Männer, hörte ihre Anordnungen und spürte wie mein Körper ihnen ohne Widerrede folgte. Ich trottete den Jugendlichen hinterher, die im gleichen Trauermarsch mehrere Gänge durchquerten. Irgendwann erreichten wir einen großen sonnendurchfluteten Raum. Jetzt, da ich es sah, blendete mich das Licht… Ohne viele Mühe erkannte man, dass dieser Raum das Waffenlager sein musste. Überall standen meterhohe Regale an diese Waffen geheftet oder Kisten mit Magazinen reingestellt wurden. Das viele Licht gelang durch

das Glasdach hinein. Ansonsten war die Halle sehr unspektakulär. Keine Sicherheitssysteme, nur gefühlte tausende von Soldaten, die mit grimmiger Miene die Waffen bewachten. Wir mussten uns in eine Reihe stellen und nach und nach wurden unsere Fesseln gelöst. Man drückte mir ein riesiges Gewehr in die Hand, das mindestens zehn Kilo wiegen musste. Ich erinnerte mich an den Schützenverein, in denen die Luftgewehre gerade mal die Hälfte wogen. Wenn es hart auf hart kommen wird, was sicherlich so sein wird, dann würde ich tatsächlich mit dieser Waffe umzugehen lernen zu wissen. Auch wenn ich niemals den entscheidenden Schuss

abfeuern könnte. Das hatte ich mir jedenfalls schon immer geschworen. Als ich mich umblickte und draußen nur einen Blicke auf ein paar Wagen zu sehen bekomme, stellt ich mir die Frage, weshalb sie uns bereits schon in ihrem Lager die Waffen anvertraut hatten, wo wir doch jeden Moment wild um uns schießen könnten. Meine Frage beantwortete sich sowie ich es gedacht hatte: „Falls ihr auf die Idee kommen solltet gleich loszuballern, dann muss ich euch enttäuschen“, ertönte die eisige Stimme des Soldaten von vorhin, „ohne Munition dürfte es euch schwer fallen.“ Es sollte ein Witz sein, doch er selbst verzog keine Miene. Einige Soldaten

lachten belustigt darüber. Die Geisel wirkten dagegen noch verbitterter. Wir wurden hinausgeführt, viele waren mit den schweren Waffen überfordert und stolperten häufig. Ich hatte vieles erwartet, aber nicht das, was mich dort draußen erwartete. Das Gebiet war mit einem großen Drahtzaun umrundet, innerhalb stauten sich mindestens zehn große Transporter in diese Munition, Waffen oder Proviant verstaut wurde. Überall entdeckte man das Glitzern silberner Rüstungen, die auf Hochglanz poliert wurden. Der Boden war ausgetrocknet, nur widerspenstig spross hier und da etwas

Unkraut. Doch immer wieder musste ich auf sie schauen; die unendlich vielen Soldaten. Sie schienen es belustigend zu finden, wie wir als „wahre Kämpfer“ ihres Landes verkleidet unser eigenes Land verraten musste. Ich schluckte einen metallisch schmeckenden Kloß hinunter. Mir war kalt. Immer noch spürte ich den Schmerz, der mich bei jedem Schritt einholte, das Licht blendete, meine Augen brannten. Im Moment war es mir zuwider mich mir vorzustellen. Zerzaustes, fettiges Haar, das momentan der Farbe von Dreck ähneln musste, ein geschundener Körper, der sich dem Silber der Rüstung nicht

angleichen wollte. Ich fühlte mich hässlich und auch schäbig. Obwohl ich wusste, dass es in keiner Weise meine Schuld war, fühlte ich mich, als würde ich gleich mein Land verraten. Wäre Munition in der Waffe gewesen, so hätte ich den Lauf in diesem dunklen Moment auf mich gerichtet und abgedrückt. Doch das war nur eine leere Drohung gegenüber mir selbst, welche ich wahrscheinlich niemals hätte wahr werden lassen. Ich hasste meine Feigheit… Harte Stimmen ertönten und drängten uns in die Richtung mehrerer Transporter, diesmal in einer fremden Sprache. Ich wurde neben einem

zitternden Jungen gesetzt, der in sich versunken irgendwelche wirren Gebete aufsagte. Doch an Gott hoffte ich in diesem Moment nicht, nicht ausgerechnet jetzt könnte ich mein Leben in eine `wahrscheinlich` existierende Macht legen. Und doch fiel es mir in diesem Moment unendlich schwer. Mit einem lauten Knall wurde die Wagentür geschlossen und das Gefährt in Dunkelheit gehüllt. Nur vage konnte ich die Umrisse der Anderen wahrnehmen, was mir insgeheim Unwohlsein bereitet. Selbst, wenn es unwahrscheinlich war, dass mich einer der Gefangenen angreifen könnte, so war mein Körper schon auf höchste Gefahr eingestellt und

ließ jede Bewegung verräterisch wirken. Dabei kamen in mir Fragen auf: Könnte Jemand von ihnen durchdrehen und auf mich losgehen oder haben sie vielleicht einen Spion in unsere Truppen gesetzt, der uns kontrolliert? Das machte es einzig und allein nur noch schwerer für mich Ruhe zu bewahren und ich versuchte, bis wir an unserem Ziel ankamen, nur an Belangloses und Unbedeutendes zu denken. Doch nachdem ich Wetter und die Wahl meiner Lieblingsfarbe ausführlich gedanklich besprochen hatte, holten mich Erinnerungen zurück und der Gedanke an meine Schwester versetzte mir einen harten

Schmerz. Zuhause wäre mir ihr Fehlen sicher mehr aufgefallen und hätte sicherlich ein Gefühl von Leere in mir entstehen lassen, doch in dieser Unwirklichkeit, in dem Hier und Jetzt schien nichts mehr alltäglich, schien nichts mehr normal. Deshalb tat ich mir schwer Gefühle wie Trauer zu empfinden, nicht, wenn mein Verstand ihren Tod noch nicht aufgenommen hatte. Immer wieder wurden wir hochgeschleudert, wenn wir abermals zu schnell über ein Schlagloch oder einen Hügel fuhren, Steine hagelten gegen die metallische Wand des Transporters, es war kalt. Ich wollte versuchen

irgendetwas zu tun, etwas zu unternehmen. Vielleicht mit jemanden reden, um die drückende Stille zu durchschneiden. Doch was war zu erwarten, wenn eine Gruppe von normalen Menschen zu einem Schlachtfeld gebracht wurde? Insgeheim war jeden bewusst, dass dies unser Todesurteil bedeutete. Doch jeder schien diesen letzten Funken Hoffnung zu empfinden, der sich tief im Unterbewusstsein versteckte. Stummheit führte meist zu Verzweiflung, dachte ich und erinnerte mich an ein Buch, dass ich mal darüber gelesen hatte. Es war für mich momentan unmöglich genau die Eigenschaften hervorzubringen, die nicht

wirklich zu meinen Charakterzügen passten.. Ich war viel zu schüchtern, viel zu schwach. Niemals könnte ich diejenige sein, die das Steuer in die Hand übernimmt. Denn sonst würde alles im Chaos versinken, vielleicht sogar noch schlimmer werden, als es die Situation schon vermuten lässt. Also tat ich nichts außer dazusitzen, den Geräuschen der Fahrt zu lauschen und mich auf meinen Tod vorzubereiten. Und dann hielten wir plötzlich an.

Schreib mir was!

Sprung ins Verderben

Kaum standen wir, wurde auch schon die massive Metalltür des Transporters aufgerissen und die grellen Sonnenstrahlen bohrten sich in meine Augen und hinterließen einen stechenden Schmerz. Den anderen schien es genauso zu ergehen, da sie, wie ich, ihre Hände als provisorischen Blendschutz benutzten. „Raus“, hörte ich erneut eine eiskalte Stimme. Insgeheim sehnte ich mich nach etwas Vertrautem und Warmen. Schnell versuchte ich den Gedanken zu verdrängen und mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Ich musste, ob es

mir nun passte oder nicht, einen kühlen Kopf bewahren und nicht in Selbstmitleid versinken. Andererseits würde ich sicher sterben. Mir war zwar noch nicht bewusst, was genau uns bevorstand, jedoch hatte ich ein merkwürdiges Gefühl dabei. Ich war mir ziemlich sicher, dass uns am anderen Ende unsere Weges ein baldiger Tod erwarten würde. Unter dem Gewicht der Gefangenen gab der Boden des Wagens nach und ächzte laut. Mit einem ungeschickten Hüpfer, stieg ich aus. Etwas erleichtert wieder auf sicherem Boden zu stehen seufzte ich. Bis ich mir abermals bewusst wurde, dass ich den

Tod nur noch einen Schritt näher entgegen getreten war. Kalte, eisige Augen, dessen Farbe mich an Rost erinnerte, schweiften über den Haufen von Geisel. Ergrautes Haar, fiel in sein Gesicht und verdeckte nahezu gänzlich eine Narbe. Ich schauderte. Diese Narbe entsprang sicherlich keiner üblichen Verletzung. Für einen Moment glaubte ich ein Bild vor meinem inneren Augen zu sehen, in diesem ein Schwert auf ein wettgeerbtes Gesichts traf und ein Schwall Blut zu Boden floss. Erst die Anwesenheit von Near riss mich aus meiner Trance. Er stand plötzlich vor der erbärmlichen Meute in dumpfen

silbernen Rüstungen; uns. „Guten Tag, meine Schätzchen. Ich hoffe ihr seid alle wohlauf“, er klang unglaublich freundlich, so sehr, dass es beinahe schon wieder gehässig wirkte. „Nun gehen wir zu Teil zwei unseres grandiosen Plans. Zuerst werden wir euch eure Munition geben“, begann er und deutete auf mehrere Tische, die ein gutes Stück von unserem jetzigen Platz entfernt lagen. Die Gegend hier war karg. Mehr konnte ich dazu nicht sagen. Verdorrende Bäume, müdes Gebüsch, ein ungepflegter Kiesweg, der nahezu gänzlich aus Unkraut bestand. Die Gegend wirkte tot und das schien wahrscheinlich der Grund zu sein,

weshalb mir dieser Ort ein solches Unwohlsein bereitete. Neben den Tischen standen mehrere bewaffnete Soldaten, dessen Köpfe unter silbernen Helmen versteckt lagen. Doch ich konnte mir insgeheim ausmalen, was für einen Ausdruck ihre Augen gehabt hätte. Kalt … sie wären kalt. Erneut schweifte mein Blick auf Near, der sich mit grimmiger Miene mit einem Soldaten unterhielt. Near schien jedoch alles andere als erfreut zu sein. Und dann fiel seine Fassade vollends, nur für einen kurzen Moment, und doch war es der Entscheidendste. Ohne diesen Moment würde ich heute nicht mehr

leben. Nears Maske fiel und seine Gehässigkeit und Grausamkeit kam zu Tage. Ein Schwert wurde gezogen und ein Körper durchbohrt. Der Soldat fiel leblos zu Boden. Stille durchzog die Umgebung, wie ein drohender Schatten. Alle schienen erstarrt, alle konnten ihren Blick nicht von der Szene abwenden. Doch Near war der Erste, der wieder zu Wort kam, kaum nachdem er das Blut von seinen Schwert gewischt hatte: „Tod. Das ist es, was euch hier erwartet. Wenn ihr davon wegrennt, dann stirbt ihr. Denn vor dem Tod kann man sich nicht verstecken, meine

Lieben“, seine Stimme klang belustigt, sein Ton war gleich, als würde er mit einem Kleinkind reden. „Gut, dann ist das geklärt. Nimmt eure Munition und rennt gerade aus. Ihr werdet einen Abhang erreichen und ein kleines Tal am Grunde dessen entdecken. Dort werdet ihr das Lager finden. Rennt darauf zu und versucht möglichst lange zu leben“, erklärte er ruhig, als wäre es etwas belangloses und nichts lebensgefährliches oder völlig krankes. Er hatte es zwar nicht ausgesprochen, und doch schien jeden klar, dass, wenn man sich den Befehl verweigert, einen nichts anderes als der Tod erwarten. Ich wusste, dass es in der Natur des

Menschen lag, solange wie möglich überleben zu wollen, egal wie aussichtslos die Situation war. Ich war mir sicher, dass alle weitergehen würden. Zwar war es wahrscheinlich, dass wir sterben, aber abermals schien die Menge diese blinde Hoffnung getroffen zu haben. Mir selbst erging es in diesen Punkt auch nicht anders. Ich spürte kaum, wie meine Beine mich trugen und mir die schwere Munition in die Hand gedrückt wurde. Es herrschte weiterhin diese drückende Stille. „Die Stille vor dem Sturm“, hörte ich jemanden murmeln. Ja, das war es wohl. Die Stille vor dem Sturm. Langsam

setzte ich einen Fuß vor den anderen, alles verstummte, sah nichts außer dem Boden, tat nichts, außer gerade aus zu laufen. Da war der Gedanke, der sich einschleichen wollte, aber nicht konnte. Zu sehr wehrte sich meine Umwelt, mein Verstand. Da waren nur noch Ich und der Boden. Ich versuchte am Rande meines Bewusstseins die Munition in das Gewehr zu laden und scheiterte kläglich, wie auch viele andere. Am Rande meines Bewusstseins bemerkte ich meine zitternden Hände. Nochmals versuchten sie verzweifelt das Gewehr zu laden. Meine Finger rutschten erneut

ab und meine Arme waren zu kraftlos, um einen erneuten Versuch zu starten. Ich bemerkte erst, als ich ein Brennen spürte, dass sie bluteten. Abermals dieser Gedanke … ich würde sterben. Doch ich wollte es nicht hören, nichts schien diese Erkenntnis annehmen zu wollen. Nur noch Ich, der Boden … und vielleicht dieser Funke von blinder Hoffnung. Und dann hörte ich den ersten Schuss. Der Knall erreichte unglaublich schnell mein Gehör, der Schall schien hindurchzugleiten und etwas in mir zu

erwecken. Instinkt. „Renn“, sagte meine Stimme, „Renn!“ Doch ich konnte mich nicht bewegen. Ich war erstarrt. Mein Blick fiel auf den Horizont, Wolken wandelten sich, schienen zu einem dunklen Grau zu werden. Es wird regnen, sagte mir eine Stimme, eine, die genau so wenig wie ich, die Szene wahrhaben wollte. Für einen Moment schien es wirklich, als würde ich dem Augenblick entfliehen können, als wäre die Zeit stehe geblieben. Eine einfache Melodie erklang in meinen Kopf und ich begann sie zu summen. Es war ein altes Kinderlied aus einer Spieluhr, die meiner Mutter mal gehört hatte. Ich konnte mich

noch gut erinnern wie ich in unseren alten Landhaus den Dachboden durchstöberte und das dabei gefunden hatte. Immer wieder wiederholte ich es, froh darüber mich völlig aus der Situation rückzuziehen zu können. Doch dann wurde ich grob aus meinem Tagtraum gerissen, indem ich einen harten Tritt gegen meinen Panzer spürte. Ich verlor sofort das Gleichgewicht und stürzte den Abhang hinunter, der sich plötzlich vor mir befand. Seit wann hatte ich dort gestanden? War ich weitergelaufen ohne es zu bemerken? Ich fiel geradewegs auf mein Gesicht und spürte, wie sich Steine und Dreck in

meine Wangen und Augen bohrten. Glücklicherweise war mein Mund zu, sodass ich in den ersten Augenblicken keine Erde schmecken musste. Ich spürte wie sich mein Körper rasend schnell hinunterbewegte, dabei sich verdrehte und mir weitere Schmerzen bescherte. Lass es aufhören, war mein Gedanke und tatsächlich stoppte ich wenig später. Doch jetzt wo es vorbei war, überfluteten mich alle Wahrnehmungen. Mein Körper war überall aufgerissen. Teile der Rüstung hatten sich abgeschält und sich wie Dolche in mein Fleisch gebohrt. Der Boden auf den ich lag roch und schmeckte nach Blut und ich schien

auf warmen, toten Körpern zu liegen. Es war furchtbar laut. Überall ertönten Schüsse, ich hörte Schreie. Mein Blick schweifte nur kurz umher und schon lagen weitere zwanzig leblose Menschen auf am Grund des Hanges. Und wo war ich? Der Gedanke überraschte mich und ich schreckte auf. Ich musste sehr weit gefallen sein, da ich die Stelle an der nacheinander die anderen Geisel kamen fast schon außer Sichtweite war. Ich hatte tatsächlich überlebt, kam mir plötzlich der Gedanke. Überall lagen Leichen und ich lebte noch. Hatte mich wirklich die Rüstung geschützt? Ich versuchte mich zu bewegen und meinen Körper zu

untersuchen, aber es war zu mühsam und anstrengend, sodass ich mein Unterfangen sofort einstellte. Nochmals musterte ich meine Umgebung und stellte fest, dass das Lager nur wenige Meter entfernt lag. Sie hatten aus Holzpflöcken hohe Mauern erbaut und schossen durch kleine Fensteröffnungen hindurch. Sie hatten ebenfalls einen dicken Drahtzaun, der aber schon an manchen stehlen beschädigt war. Innerhalb konnte ich ein paar Hauszelte und Container entdecken. Soldaten in der vertrauten blauen Farbe bahnten sich einen Weg zu einem günstigen Stützpunkt. Für einen Moment dachte ich, dass es vorbei war, ich aufwachen

würde und wieder mein Leben leben könnte. Mir würde es nichts ausmachen gemobbt zu werden, mir wäre alles gleich, solange meine Schwester noch leben würde. Doch die Hoffnung war so unwirklich und undenkbar, dass ich sie schnell aufgab. Ich sackte zusammen. „Hey, du bist gar nicht tot“, ertönte plötzlich eine vorwurfsvolle Stimme, die in einem Mal meinen ganzen Körper zum Zerreißen anspannte. Ich hatte nicht mal bemerkt, dass hier blaue Soldaten umherliefen. Mein Herz pochte gegen meinen Brustkorb, ein Schauder lief über meinen Rücken. Jetzt war es aus, jetzt war alles vorbei. Ich warf einen letzten Blick auf die

männliche Gestalt, einen letzten Blick auf meinen Mörder. Er hatte kurzes dunkles Haar, ein Tattoo räkelte sich von seinem Hals auf bis zu seiner Wange, seine Mimik wirkten unglaublich ernst. Er war vielleicht Anfang zwanzig, also noch sehr jung für einen Soldaten. Doch nur ein Blick in seine dunkelbraunen Augen verriet mir, dass er innerlich umso vieles älter war. Unter anderem Umständen hätte ich ihn schön gefunden, mit seinen markanten Gesichtszügen und die für Soldaten üblich durchtrainierten Körper. Auf der dunkelblauen Rüstung prangten viele Abzeichen, die ihn vielleicht für Heldentaten auszeichneten. Doch das war

nun nicht mehr von Belang. „Ich werde sterben“, erklärte ich meinem Verstand, „und daran kann ich nichts mehr ändern.“ Irgendein Teil schrie, ich konnte die Worte kaum hören und doch wusste ich sofort, was sie bedeuteten. Sag ihn, wer du bist! Du wirst überleben! Selbst, wenn sich mir eine einmalige Möglichkeit darbot, vielleicht ein Tag länger zu leben, blieb ich stumm. „Ich werde sterben und das ist gut so“, sagte ich erneut, bemerkte aber zu spät, dass ich es laut ausgesprochen hatte. „Du willst sterben?“, ertönte plötzlich die Stimme des Kriegers, Verwirrung lag darin. Er sprach in meiner vertrauten

Reichssprache. Für einen Moment schien ich den Soldaten tatsächlich vergessen zu haben und das, obwohl er den entscheidendsten Schritt in meinen ganzen Leben übernehmen würde. Es wäre einfach zu sterben, alle dem zu entfliehen, was mich noch an Schmerz und Leid in dieser Welt erwartet hätte. Ich schloss die Augen. Ja, der Tod war die einfachste Möglichkeit. Die, die ein Feigling wählen würde und ich war ein Feigling. Doch, widersprach mir eine Stimme, wenn er dir dein Leben nehmen wird, dann solltest du immerhin seinen Namen wissen. „Wie heißt du?“, hörte ich mich automatisch fragen, als hätte ich einen

Befehl meines eigenen Verstandes befolgt, was indirekt auch stimmte. Viele hielten mich oft verrückt, weil ich viel mit mir selbst redete. Früher hatte ich es immer laut getan und dadurch nur spöttische Blicke von den Anderen geerntet. „Freak“, hatten sie immer geschrien, „Lyra ist ein Freak!“ „Ich bin Noel“, hörte ich die Stimme des Mannes. Für einen Moment irritierte es mich, dass er nur „Noel“ gesagt hatte, bis ich den Grund fand. Soldaten taten sich immer gut darin, zumindest dachten sie das, wenn sie ihren vollen Titel zur Schau stellten. Das hatte mir meine Schwester schon nach den ersten Tag an

der „Golathian“-High-School erzählen können. Für einen kurzen Moment spürte ich ihren Verlust, vor allem, wenn es um vergangene Tage wie diese ging … Abrupt beendete ich den Gedanken und versuchte meinen Verstand zu reinigen. Mit einem Mal schien ich endlich meine Gefühle zu verstehen. Ja, Soldaten galten als arrogant und eingebildet. Doch dieser hier, dieser dunkelhaarige Typ, erschien mir weder wie ein Feind, noch wie einer dieser Soldaten. Dann spürte ich plötzlich, wie mich Schwärze einnahm, etwas, dass ich versucht hatte zu verdrängen und jetzt vollends die Kontrolle übernahm.

Langsam verschwand der Soldat aus meinem Blickfeld, bis ich nur noch Finsternis sah. Und dann wurde ich bewusstlos. „Wie alt bist du denn jetzt? Schon 15 Jahre und du hattest immer noch keinen Freund. Vielleicht ist es schwerer einen Soldaten zu finden, wenn man auf einer staatlichen Schule ist, aber du bist oft genug außer Haus, um jemanden aus solchen Kreisen kennenzulernen!“, hörte ich die genervte Stimme meines Vaters, er legte seine Hand auf seine Stirn und seufzte laut, „Du enttäuschst mich, Lyra.“ Ich antwortete abermals nicht, blickte nur stumm zu Boden. Ich konnte

mit den Gefühlen meines Vaters nicht umgehen. Mein Verstand wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Heute war nur wieder einer dieser Tage an den Stellas Clique Anschlag auf mich geplant hatte. Ich werde mich kurz fassen: Danach war ich voll mit grünem Schleim und Hühnerfedern gewesen, die ganze Schule hatte mich ausgelacht. Stella hatte auf den Direktor solange eingeredet bis dieser der festen Überzeugung gewesen war, dass ich Stella den Streich spielen wollte. Mein Vater musste die Arbeit verlassen, um mich im Sekretariat abzuholen. Nach dem üblichen Gespräch, das wir nach solchen Vorfällen führten, hatte sich das Thema darauf versteift,

weshalb ich keinen Freund hatte. Ich spürte innerlich Wut, die in mir aufstieg, wenn ich an seine Vorwürfe dachte. „Ich bin halt nicht wie Jesse! Ich halte nicht viel von Soldaten!“, wollte ich schreien, doch wie gewöhnlich traute ich mich nicht gegen die stechenden Blicke meines Vaters zu duellieren. „Langsam habe ich das Gefühl, als würdest du dich nicht für Jungen interessieren! Sollen wir dich zum Psychologen schicken?“ , hörte ich meinen Vater weiterschreien. Das Jackett seines Anzuges wurde sorgfältig um eine Stuhllehne gelegt und seine Hände beschäftigten sich unaufhörlich mit seiner Brille. Ich zeigte weder eine Reaktion, noch machte ich Anstalten dies

jemals zu tun. Ich tat das, was ich immer machte, stumm und teilnahmslos dazusitzen. „Was soll aus dir werden? Deine Noten sind schlecht und du interessierst dich nur für Hobbys wie dieses dämliche Schießen und diese Kampfkurse! Du bist kein Soldat, auch wenn du anscheinend einer sein willst! Warum kriegst bei diesen verdammten Zeug deinen Mund auf und nicht, wenn es um wichtigere Dinge gehen?“, sein nicht endender Redefluss wollte nicht enden, mit jedem Wort stieg seine Wut, seine Hand zuckte verräterisch. „Dort akzeptiert man mich auch so, wie ich bin“, antwortete ich innerlich, aber tat es nicht laut. Ich sah zu Boden und

spürte, wie meine Augen wässrig wurden. „Antworte mir gefälligst!“, brüllte er mich an und dann spürte ich den Schmerz auf meiner Wange. Es war ein harter Schlag gewesen, unbändige Gefühle wie Verzweiflung und Zorn hatten in ihm gelegen. „Du kannst nicht mein Kind sein! Wegen dir ist auch Christine gestorben! Du bist verdammt noch mal an allem Schlechten in meinem und Stellas Leben schuld! Warum zerstörst du alles, was du anfasst!“ Ich wurde von gehetzten und nervösen Worten geweckt, warmes Licht schien

durch meine Lider und für einen Moment glaubte ich tatsächlich, dass ich tot wäre. Doch diese Illusion wurde zerstört, als ich meine Augen öffnete. Das Licht schien das einzige wirkliche im Raum zu sein. Ich lag in einem großen Pavillon, das aus einem lichtdurchlässigen Stoff bestand. Der Raum, den es darbot, war vollgestopft mit eng aufeinander aufgereihten Betten, die zu meinem Entsetzen alle belegt waren. Viele dieser Menschen waren verletzt, manche wirkten so, als stünden sie kurz vor dem Tod. Vielleicht taten sie das auch, dachte ich traurig. Überall hetzten Sanitäter in

der beruhigenden blauen Kluft von einer Liege zur nächsten und blickten im Laufe ihrer Behandlung nur noch besorgter drein, als sie es eh schon getan hatten. Ohne, dass ich es wirklich realisierte und reagieren konnte, schritt eine Pflegerin auf mich zu und packte mich am Arm. Sie legte mir stumm ein Blutdruckband an und begann dieses aufzupumpen. Viel zu spät setzte meine Reaktion ein und ich wollte ihr gewaltsam meine Gliedmaßen entziehen. Es wunderte mich, dass ich tatsächlich Erfolg dabei hatte. Die kurzhaarige Blonde blickte mich verwirrt, vielleicht auch etwas verärgert an und fragte, als sie sich gefasst hatte: „Wie geht es

ihnen?“ Mir entging die Wut in ihrer Stimme nicht und genau dies ließ mich noch skeptischer wirken. „Wer sind sie?“, zischte ich, mein Blick war voller Misstrauen. Bis jetzt hatte mir der Krieg nur Täuschung und Scharade vorgespielt, warum also sollte es sich geändert haben? „Mein Name ist Helena, ich bin ihre Pflegerin. Sie wurden Opfer eines gegnerischen Angriffes und werden nun in der nächst gelegenen Lagereinheit behandelt. Lassen sie sich bitte behandeln!“, erklärte sie ungeduldig, sie schien genervt. Nur ein Grund mehr ihr nicht zu trauen. Hielt sie mich für einen

Soldaten? Ein kleiner Teil meines Bewusstseins würde dies tatsächlich als Kompliment bezeichnen können. Momentan könnte jedoch alles der Fall sein; eine Täuschung, vielleicht mein eigener Verstand, der mir einen Streich spielte. Doch der Gedanke, dass dies wirklich Realität war, schien viel zu unwirklich. Ich war tot, der Mann, Noel hieß er, hatte mich getötet. Ich war mir zwar nicht sicher, aber aus der Situation heraus, war es nur logisch dies anzunehmen. Ich hatte mich ihn ausgeliefert, lag schutzlos auf den Boden und zu diesem Zeitpunkt bin ich sein Feind gewesen. Ich hatte mit dem Leben abgeschlossen,

hatte mich auf den Tod vorbereitet. Insgeheim wusste ich, dass meine Entscheidung in keiner Weise tapfer und edelmütig war, ich hätte so vieles unternehmen können und doch hatte ich mich einfach so leicht aufgegeben. Da wäre die Möglichkeit gewesen, ihm zu erzählen, wer wir waren, wer ich war und warum wir hier waren. Doch meine Feigheit hatte mich verstummen lassen. Vielleicht konnte mich deshalb niemand ausstehen. Ich war immer nur auf mich fixiert, nie auf Andere. Für mich zählte immer nur Ich, auch wenn ich es tatsächlich immer nur geleugnet hatte. Immer nur war ich im Sog von Selbstmitleid versunken und hatte

niemals auch nur den Gedanken daran verschwendet aufzusehen und meine Umwelt zu betrachten. Wer wusste, was ich wohl alles in meinem Leben verpasst hatte nur weil ich mir selbst immer im Weg gestanden hatte? Warum hatte ich mich nie mit meiner Schwester unterhalten, wenn sie irgendwelche Probleme hatte? Warum hatte ich nie versucht meinen Vater zu entlasten, obwohl er allein erziehend war und sehr viel arbeiten musste? Immerhin konnte ich es nicht von ihnen erwarten, wenn ich es selbst auch nie getan hatte. Warum also hatte ich bis jetzt nie den Gedanken an so einfache Fragen verschwendet? Denn jetzt war es zu

spät, keiner meiner Fragen könnte mehr beantwortet werden. Meine Schwester war tot und aus meiner jetzigen Situation würde ich sicherlich nicht entfliehen können. Aber … war diese Art von Einstellung nicht genau die, von welcher ich mich gerade verabschieden wollte? Ich musste einen Ausweg finden, vielleicht auch einmal etwas in meinem Leben riskieren. Doch war ich überhaupt stark genug dazu, würde ich Erfolg mit diesem Konzept haben? Die Stunden zogen sich hin, die Sonne ergab sich langsam der Dunkelheit und das Licht blendete nicht mehr. Weiterhin

verweigerte ich strikt eine Behandlung, bemüht schlau aus meiner Umwelt zu werden. Doch selbst nach langer Zeit der Beobachtung erschien mir alles sehr fraglich und ungewiss. Alles im Raum deutete darauf hin, dass wir tatsächlich in der Obhut des blauen Reiches waren, doch ein Gedanke in mir wollte der Schlussfolgerung nicht zustimmen. Ich wollte es nicht … das wird wohl der Grund meines Misstrauens sein. Und in den Tiefen meines Bewusstseins, wusste ich, dass ich erst nachgeben würde, wenn ich diesen jungen Soldaten sehen würde. Er hatte zwar keinerlei emotionale Bindung zu mir, dennoch spielte er momentan eine entscheidende

Rolle in meinem Verstand. Immer wieder rief ich mir diese schwachen verschwommenen Bilder hervor, die noch von ihn visualisieren konnte, wollte schlau aus seinen markanten Gesichtszügen werden, der angespannten und zugleich fremden Art. Was verband mich mit ihm? War es vielleicht nur deswegen, weil er mich eigentlich hätte töten sollen? Aber ich war nicht tot. Ich war sehr lebendig, auch wenn jede einzelne Zelle in mir schmerzte. Eine Stimme versuchte mich dazu zu bewegen endlich die Wunden behandeln zu lassen. Doch weiterhin ließ diese neue undefinierbare Sturheit es nicht

zu. „Sei misstrauisch!“, zischte diese mir zu und ich war zu perplex, um irgendeine Regung auf meinen wirren Verstand zu zeigen. Schon allein der Gedanke an einen Versuch wurde unterbrochen, als ein Soldat den Raum betrat. Er war wahrhaft ein Soldat unserer Landes. Es war nicht nur die Art, wie er mit Stolz seine blau schimmernde Rüstung trug, es war auch die Selbstsicherheit mit der uns leitete. Seine Erscheinung erinnerte mich dermaßen an einer dieser Comic-Figuren; er hatte dunkelblondes zerzaustes Haar, welches mit einem Stirnband auf dem Totenköpfe abgedruckt waren fixiert wurde. Er hatte

eine von Natur aus bräunliche Haut und in seinem Gesicht war neben einen fetten Grinsen mehrere Narben zu sehen. Er trug über seiner glänzenden Rüstung zwei Waffen- und Munitionsgürtel. Über seiner linken Schulter legte er lässig ein Gewehr ab, was bei Anderen sicherlich einen weitaus schwerfälligeren Eindruck gemacht hätte. Er hatte riesige zweckmäßige Stiefel an, die schon an der ein oder anderen Stellen Schrammen erlitten hatten. Kurz: Dieser Soldat wirkte unglaublich lässig und entspannt in seiner Einstellung. Niemals hätte ich mir diese Person in einer anderen Situation vorstellen können. Alles was er tat wirkte selbstverständlich und lässig.

Als er sich kurz in meine Richtung drehte, erkannte ich, dass er saphirblaue Augen hatte, die mit einem andauernden Hauch von Spott gefüllt waren. Ich wusste bis heute nicht warum, immerhin kannte ich ihn überhaupt nicht, aber ich mochte diesen Kerl auf Anhieb. Ich konnte nicht anders, als ebenfalls zu grinsen, viel zu ansteckend war seine neckende Ausstrahlung. „Hey, Leute“, warf er in die Runde. Selbst bei den leeren Augen, die sich ihm zuwendeten, verlor sich sein Lächeln nicht. „Ich bin der Leutnant hier, soll vom Boss ein Mädchen mitnehmen“, er warf einen scharfen Blick in die Runde, als würde er etwas suchen. Eine eingeschüchterte

Pflegerin, vermutlich die Leiterin des Zeltes, trat vor und fragte zögerlich: „Herr Leutnant, Sir, wie sieht das Mädchen aus, nach dem sie suchen?“ Der Soldat antwortete nicht sofort, alles was er tat, war seine Augen zusammen zu kneifen und plötzlich laut anfangen zu lachen. Er blickte sie seitlich an und wiederholte: „Herr Leutnant, Sir?“ Er riss seinen Mund soweit auf, dass man direkten Einblick in seinen Rachen bekam, lachte ungehalten los und hielt sich dabei den Bauch. Die Leiterin wirkte vollkommen irritiert, blickte ihr Gegenüber an, als wäre dieser vollkommen verrückt: „Wie bitte?“ Er wusch sich gespielt sentimental die

Lachtränen aus dem Augenwinkel und blickte die schüchterne Frau an. „Nenn mich bitte Jet. Ich halts ja schon kaum aus das Leutnants-Abzeichen tragen zu müssen. Also wo ist sie denn?“, er reckte seinen Hals erneut und blickte durch den großen Raum, den das Zelt darbot. Viele Menschen wirkten verwirrt und schweiften ebenfalls mit einem neugierigen Blick durch die Menge. „Er sagte, er hätte ihr verraten, dass er Noel heißt. Also raus mit dir!“, verkündete Jet, sein belustigter Ton blieb weiterhin bestehen. Und diese Worte rissen mich aus meiner Trance. Noel? War das nicht … Bilder blitzten vor meinem innerem Auge auf, abermals

konnte ich das unscharfe Bild des Dunkelhaarigen betrachten, fast hätte ich mich erneut in diese unergründlichen Augen verloren. So sehr wünschte ich mir, dass ich dessen Farbe hätte erkennen können. Irgendein Teil meines Körpers gab mir aber einen heftigen Ruck und schleuderte mich geradewegs in die Realität. „Reagiere!“, forderte die Stimme. Perplex zuckte ich zurück. Wenn Noel hier war, dann musste ich tatsächlich in Sicherheit sein, ich müsste unter dem Schutz der Armee des blauen Reiches stehen. Und bevor sich überhaupt meine gewöhnlichen Charakterzüge einschalten konnte, stand ich ruckartig auf und rief

viel zu laut, als es für mich üblich war: „Ich glaube, sie suchen mich!“ Der Blick des Leutnants fand mich sofort und ein Grinsen zierte sein Gesicht. Keinen Moment verging und er warf amüsiert ein: „Schicke Wunden. Nur dieses eklige Silber steht dir nicht.“ Erst jetzt registrierte ich, dass ich tatsächlich noch die Rüstung des feindlichen Reiches trug und unter den Blicken der anderen begann sich mein Verstand wieder einzuschalten. Ich verstummte binnen eines Wimpernschlags und blickte beschämt zu Boden. „Keine Angst, Mädchen, bevor du im Boden versinkst würde dich eh jemand

umbringen“, verkündete er beinahe beiläufig. Ich zuckte zurück, als er plötzlich direkt vor mir stand und mich am Arm packte: „Mal was von „helfen lassen“ gehört? Soll ganz nützlich sein.“ Ich wehrte mich reflexartig gegen seinen harten Griff, hatte aber nicht die geringste Chance gegen seinen Berg von Muskeln. Als ich jedoch nicht aufhörte mich zu Wehr zu setzen, seufzte Jet und warf mich kurzerhand über seine Schulter. „Sei doch nicht so misstrauisch, dich wird schon niemand umbringen“, ein genervter und zugleich spöttischer Ton lag darin. Ihn schien die ganze Szene hier zu amüsieren. Ihm störte das Leid und der Schmerz da

draußen in keiner Weise. Insgeheim wagte ich zu behaupten, dass er dies tatsächlich genoss. Aber immerhin war er nicht entführt und gefoltert worden. Er hatte diesen Weg freiwillig bestritten und das Leben eines seiner Familienmitglieder hatte sicherlich auch nicht daran glauben müssen. Er wurde vorbereitet, vorbereitet zu töten. Und bei diesem Gedankenverlauf erfüllte mich Wut von solcher Intensität, dass ich zum Kreischen anfing und wild um mich schlug. „Ruhig, Tiger“, witzelte der Soldat, schien aber sichtlich unbeeindruckt von meiner Aktion. „Lass mich runter!“, schrie ich und zuckte im gleichen Moment zurück. Es war

seltsam, wie ich reagierte, mich zu Wehr setzte. Das war nicht ich, das war jemand anderes. Ich, damit meinte ich Alyra Dearing, war weder mutig, noch selbstbewusst. Ich könnte mich nicht wehren, wenn mich ein Soldat mich festhalten würde. Und doch tat ich es gerade mit einer lauten und festen Stimme. Bin ich das wirklich? Bin ich diese Person? Dieses Mädchen, das mir unglaublich ähnlich scheint und doch so anders ist? Ich spürte kaum, dass wir uns bewegten, als wir schon wieder hielten und ich unsanft auf den Boden aufgesetzt wurde. Bevor ich meine Umgebung betrachten konnte, vernahm ich auch schon eine

gereizte Frauenstimme: „Und das ist sie? Dieses Mädchen soll uns gerettet haben?“ Ich kam nicht umhin die Abfälligkeit in ihren Worten zu bemerken, fragte mich, wer dies Person wohl sein mochte. Mühevoll versuchte ich mir meiner Umgebung bewusst zu werden und war etwas verwundert. Ich war in einem deutlich kleineren Zelt. Der Boden war mit einer Gummimatte bedeckt und der Stoff des Zeltes war deutlich dunkler, als die des Vorherigen. Neben ein paar Kisten und Tische, die reichlich gefüllt waren, standen vier Klappbetten im Raum. Doch meine Aufmerksamkeit wandte sich an die Gruppe, die sich direkt vor mir

aufgebaut hatte. Vor mir stand wahrhaftig eine wunderschöne Frau mit roten Haaren. Ihr Blick wirkte sehr misstrauisch und jede meiner Bewegungen schien für sie ein Dorn im Auge. Ihre Lippen kräuselten sich leicht, leise Flüche entflohen ihr. „Ja, das ist sie wohl“, ertönte eine fremde und zugleich vertraute Stimme. Kurz wurde mir klar, warum ich so empfand. Aus dem Schatten trat Noel. Er hatte seine Rüstung abgelegt und trug nur noch ein ärmelloses T-Shirt, über dieses er eine Lederjacke übergeworfen hatte. Dazu zierten seine muskulösen Beine eine marinegrüne Treakinghose. Ansonsten umschlang seine Taille ein riesiger

Waffengurt. Er sah noch besser aus, als ich ihn in Erinnerung gehabt hatte. Sofort schweifte mein Blick zu seinen Augen und ich verlor mich augenblicklich in das intensive Grün darin. Fast bildete ich mir ein, dass er mich anlächelte, die Illusion wurde jedoch durch seine schroffen Worte zerstört: „Zieht ihr diese verdammte Rüstung aus!“ Sofort kam jemand hergeeilt. Ich konnte kaum reagieren, als dieser auch schon begann meine Rüstung aufzuschneiden. Es war sehr schmerzhaft und mehrere Wunden wurden aufgerieben. Am Ende stand ich nur in Unterwäsche vor dem grimmigen Mienen der Soldaten. Meinen ganzen

Körper durchlöcherten kleinere Wunden, die aber zum Glück noch nicht entzündet waren. Und jetzt, da ich mich damit beschäftigte und meine Haut atmen konnte, spürte ich den höllischen Schmerz. Ich verzog mein Gesicht und verlor das Gleichgewicht. Niemand fing mich auf, als ich fiel. „Warum hat sie niemand behandelt?“, fragte Noel in einer unglaublich genervten Miene. Ich hörte am Rande meines Bewusstseins noch, wie sich die rothaarige Soldaten abfällig über mich äußerte, als ich auch schon fortgetragen wurde. Alles um mich schien in gereizter Stimmung. Ich hörte Stimmen brüllen, Fäuste schlagen. Wo war ich? War das wirkliche Realität und

keine Einbildung? Vielleicht war ich nur ins Koma gefallen und hatte einen furchtbaren langen Traum. Doch insgeheim wusste ich, dass es zu spät war, um meine Situation zu leugnen. Ich war im Kriegsgebiet, ich war dem Tod nahe und ich war dabei mich zu verändern.

Grobe Begrüßung

Mit einem dumpfen Geräusch landete das kleine Büchlein auf dem Marmortresen. Es war in einen unspektakulären grünen Lederumschlag eingebunden und wirkte in dem faden Licht des Sonnenuntergangs dunkel, fast schon langweilig. Verwirrt sah ich meine Schwester an, die meinen Blick mit ungewohnter Ernsthaftigkeit erwiderte. „Was ist das?“, fragte ich zögerlich. Vielleicht hätte ein Hauch von Ärger darin gelegen, wenn mir die Gefühle von Jessica nicht so fremd vorkommen würden. „Das ist von Mutter“, war ihre kurze Antwort, bevor sie sich auch

schon wieder umdrehte und elegant mit ihrem High-Heels den Raum verließ. Etwas irritiert blickte ich ihr hinterher und begriff erst einen Moment später die Bedeutung ihrer Worte. „Mutter hat das gehört?“, fragte ich mich innerlich und nahm das kleine Buch in die Hand. Ich wog es sanft ab, strich über dessen Ränder, war mir immer noch unsicher, was ich damit anstellen sollte. Dann fasste ich Mut und öffnete es. Ich hatte meine Mutter nie gekannt, sie starb während meiner Geburt. Nur mit Not konnte man mich mit einem Kaiserschnitt retten, während sie starb … Man schob mir oft die Schuld an ihrem Tod zu und obwohl ich wusste,

dass diese Zuweisung in keiner Weise ihre Berechtigung hatte, quälte ich mich innerlich. Es wirkte für mich nahezu verboten, als ich nun den Umschlag des Büchleins abnahm und die erste Seite aufschlug. Hatte ich verdient, das zu lesen? War ich wirklich berechtigt dazu? Es fühlte sich falsch und gleichzeitig richtig an. Ich schlug die erste Seite auf und erblickte eine fein säuberliche Schönschrift. Zentriert wurde dort ein lyrisch gehaltenes Gedicht geschrieben. Mehr war nicht zu entdecken. Der Rest blieb so schmucklos, wie ein weißes Papier eben war. Nochmals blickte ich zu dem Gedicht und fand die ersten beiden Wörter: „für Alyra“. Ich trug den

Namen, den mir meine Mutter gegeben hatte, dachte ich fröhlich, eine Freudenträne sammelte sich in meinen Augenwinkeln. Doch bevor ich mit den Gedanken abschweifen konnte, konzentrierte ich mich auf das Hier und Jetzt und begann laut zu lesen: „Meine Liebe Tochter. Noch vermagst du in mir zu sein. Geschützt und geborgen vor der Außenwelt. Doch ich weiß, dass Gefahren auf uns warten, auf mich, auf dich. Ich werde immer bei dir sein und dir in schweren Zeiten zur Seite stehen. Und vergiss nie, wer du bist, denn sonst verlierst du dich selbst. Ich liebe dich mein Engel und werde stets über dich wachen. Mit größter Liebe, Christine,

deine liebende Mutter.“ Meine Hände verkrampften sich und meine Augen wurden mit dem salzigen Wasser der Tränen gefüllt. In diesem Moment wünschte ich mir mehr als alles andere, dass sie bei mir war und ich ihr mein Herz ausschütten konnte. Fast schon sah ich die junge Frau lächelnd und mit wunderschönem blondem Haar. Ich hörte das musikalische Lachen, doch als ich versuchte nach ihr zu greifen, verschwand die Illusion. Alles, was mir blieb, war diese vollkommene Leere, die mein Herz zum Zerreißen anspannte. Irgendwann zwischen der vergangenen Szene und dem Jetzt, musste ich

bewusstlos geworden sein. Denn, als ich aufwachte, lag ich auf einem deutlich gemütlicheren Bett, als es im großen Pavillon der Fall gewesen war. Mein Körper schien zwar immer noch Erinnerungen an dem kürzlich vernommenen Schmerz wahrzunehmen, war aber weit weniger gereizter und angespannter, als zuvor. Ich seufzte leise vor Erleichterung. Wenigstens konnte ich diesen Teil weniger Aufmerksamkeit zuwenden, doch die unmittelbar kommende Konfrontation mit dem Soldaten Noel und dessen Anhänger, bereitete mir Magenschmerzen. Vielleicht musste ich einfach abhauen? Die Idee schien augenblicklich Gestalt

anzunehmen, verblasste jedoch, als eine Sanitäterin den Raum betrat. Sie hatte wie alle anderen diese hellblau, weiß-gestreifte Kleidung an. Anders als bei Vielen prangte aber ein großes Namensschild auf ihrer linken Seite. „Melinda“, stand dort in unverkennbarer sauberer Schrift. Sie lächelte mich freundlich an und sagte in einem höflichen Ton: „Fühlen sie sich besser?“ Ich blinzelte mehrmals, versuchte mich zu überzeugen, dass das hier kein Traum war. Es schien sehr wohl einer sein zu können: Der Raum war in sterilen Weiß gehalten und machte einen nahezu makellosen Eindruck. Medizinschränke füllten den Platz aus, Medikamente, Spritzen

und Verbandszeug wurden sorgfältig aufbewahrt. „Sie brauchen mich nicht zu siezen, ich bin kein Soldat“, sagte ich zögerlich, mit verschreckten Rehaugen. Ihre Frage hatte mich überrascht und ich konnte nicht anders, als diese aus Reflex zu umgehen. Insgeheim fragten wir unser Gegenüber immer nach seinem Befinden, obwohl es uns in keiner Weise interessierte. Doch war diese Aussage zu gleichzusetzen, wenn es von einer Krankenschwester kam? Zu verwirrt von meinem eigenen Verstand registrierte ich zu spät, dass die Frau etwas sagte. „Was?“, fragte ich aus Reflexe und wusste, dass ich dabei nicht sehr intelligent wirken konnte. Melinda

lächelte gutmütig und kleine Falten bildeten sich um ihren Mund und Augen. Erst jetzt wurde ich mir bewusst, dass mein Gegenüber schon etwas älter war. Sie hatte dunkles Haar, das die ein oder andere graues Strähne mit sich trug und eine gemütlich wirkende Figur. In einer Weise erinnerte sie mich an meine Großmutter, welche starb, als ich Fünf war. Mit ihr verbanden mich keine schlechten Erinnerungen. Ich konnte mich noch daran erinnern, wie sie immer Kekse gebacken hatte und das ganze Haus von diesem herrlichen Duft erfüllt wurde. Unbewusst musste ich lächeln. „Ich habe gesagt, dass jeden meiner Patienten der gleiche Respekt zu Teil

werden sollte. Ich sehe kein Unterschied darin, wenn vor mir ausnahmsweise kein Soldat sitzt“, antwortete sie ruhig und ich blickte sie abermals verständnislos an. „Achso“, stotterte ich und wendete meinen Blick ab. Ihre gehobene Sprache irritierte mich und das Wissen, dass sie gegenüber mir absolut friedlich gestimmt war, schien mein Verstand als unverständlich aufzufangen. Viel zu sehr hatte mich in vergangenen Tagen Schmerz, Leid und andauernde Angst vor dem Kommenden manipuliert und geleitet. Die Frau schien mein Unbehagen zu bemerken und setzte sich vorsichtig neben mich. Sie nahm meine Hand,

welche ich ihr sofort entzog. Für einen Moment schien sie traurig über meine Reaktion, beließ es jedoch dabei und blickte mir tief in die Augen: „Ich kann mir selbst nicht vorstellen, welche Qualen sie erlitten haben. Aber sie dürfen nicht aufgeben, sie müssen an sich glauben, denn sonst werden sie es nicht nach Hause schaffen“, erklärte sie mir in tiefer, fester Stimme. Bevor ich sie fragen konnte, was genau sie damit meinte, wurde eine Tür aufgerissen und eine Gruppe mit Noel als Anführer betrat den Raum. Er wirkte immer noch unglaublich selbstbewusst, vielleicht lag auch ein Hauch Arroganz in seinen Bewegungen,

doch seine grimmige Miene jagte mir Schauer über den Rücken. Seine zwei Anhänger waren abermals die Rothaarige, welche noch verärgerter, als ich sie schon erlebt hatte, dreinblickte und der immer noch grinsende Jet. „Schick siehst aus“, schleuderte dieser mir mit einer spöttischen Stimme entgegen. Diesmal reagierte ich nicht darauf, blickte der Gruppe nur müde entgegen. Für einen Moment schien sich Jets Lächeln tatsächlich zu verlieren, wurde aber so schnell es verschwunden war auch wieder gerichtet. Ich spürte wie sich Melinda auf Noel‘ resignierenden Blick von mir entfernte

und sich an irgendwelchen Medikamenten zu schaffen machte. „Schau mich an“, brummte Noel mit genervter Stimme. Ich reagierte nicht und spürte kurz danach einen Ruck, als mein Kinn unsanft nach oben gerückt wurde. Mein Gesicht war direkt auf ihn gerichtet und sein eisiger Blick machte mir innerlich zu schaffen. „Du musst ein paar Fragen beantworten“, verkündete er und wirkte ungeduldig. „Fangen wir am besten mit deiner Entführung an. Wir müssen wissen, ob man die Opfer in einem bestimmten Muster festgenommen hatte. Also, was ist genau passiert?“, begann er ohne Umschweife. In der Art und Weise, wie zielsicher er es tat,

begriff ich, dass er tatsächlich eine Antwort von mir zu bekommen glaubte. Und nur diese wenigen Worte rissen eine noch entzündende innerliche Wunde auf. Sofort vernahm ich grausame Bilder. Ein Schlag, ein zweiter … ein dritter, doch ich konnte nicht aufhören zu schreien, konnte es einfach nicht…Zu sehr brannte mein Körper, zu sehr glaubte ich den Tod nahe. Sofort begann ich zu zittern, mein Blick wurde glasig. Nein, ich konnte auf die Frage des Soldaten nicht antworten, auch wenn ich es tatsächlich wollen würde. „Antworte endlich, du gehst mir langsam auf die Nerven!“, hörte ich die Rothaarige

knurren. Sie schien noch etwas sagen zu wollen, wurde jedoch von Noel unterbrochen, als der ihr eine Hand entgegenstreckte. „Ruhe!“, forderte er und ich konnte ohne genau hinzusehen erkennen, dass die Soldatin zurück zuckte. „Tut mir Leid, Major Stark“, sagte sie in einem unterwürfigen Tonfall. „Aber sie hat recht, du solltest antworten, ansonsten werde ich zu etwas härteren Mitteln greifen müssen“, erklärte er genervt, wieder an mich gewandt. Seine Kälte hüllte mich abermals ein und ließ mich zittern. Anstatt meine Unterwerfung zu beschleunigen, verschlimmerten die

Worte die Situation, denn mein Körper war mir nun nicht mehr Herr. Er erstarrte und sendete mir scharfe Bilder … Blut, eine Klinge, Schmerz. Ich konnte mich nicht bewegen, meine Gliedmaßen gehorchten nicht mehr. Mein Atem ging nur noch stoßweise und mein Herz schlug viel zu schnell. Abermals kam mir der Soldat näher, ich konnte gereizte Stimmen vernehmen, sein Brüllen. Und dann spürte ich es, es war ein leichter Luftzug. Ich bereitete mich auf den Schmerz vor, immerhin war es das Einzige, was ich in dieser Verfassung unternehmen konnte. Doch der Schlag traf mich nicht, eine Gestalt hatte sich vor mir geschoben und

hielt nun den Arm des Majors fest. Jet. „Was zum Teufel soll das?“, zischte Noel wütend und entriss den blonden Soldaten seinen Arm. „Es bringt nichts sie zu schlagen“, antwortete Jet hart, er stand immer noch dicht vor mir. „So, wie sie aussieht, wurde sie ziemlich zugerichtet. Sie wird dir nichts sagen, solange sie’s nicht verarbeitet hat.“ Noel schnalzte missbilligend mit der Zunge und zischte einige Flüche: „Sie ist aber die einzige der Geisel, die in der Lage ist zu sprechen. Wenn sie in den nächsten Tagen nicht spricht, dann ist es zu spät. Alles, was sie an Informationen hat, muss mir umgehend gemeldet

werden. Ansonsten ist sie für mich vollkommen nutzlos und ich werde sie töten.“ In dem Krankenzimmer herrschte auf seine Worte Stille, niemand schien etwas darauf erwidern zu können. Selbst Jet schien sprachlos. Zu meiner Verwunderung, war es Melinda, die als erste das Wort ergriff: „Aber Majors, das können sie nicht-“, „-ich kann machen, was ich will. Ich habe hier das Kommando“, unterbrach er sie hart und zog augenblicklich ab, die Rothaarige mit ihm. Alles, was sie hinterließen war eine Wolke aus Wut und Zorn … Langsam begann ich zu verstehen, was mir Melinda mit ihren Worten versucht

hatte zu erklären. „Das wird schon“, sagte Jet, doch die leichte Amüsanz schien fehl am Platz. Er schien nicht zu wissen, was er sagen sollte und verließ ebenfalls den Raum. Melinda blickte mich mitleidig an, schritt auf mich zu und versuchte ihre Hand auf meine Schulter zu legen. Doch ich zuckte unter ihrer Berührung zurück und entzog mich dieser. „Gehen sie bitte“, sagte ich unglaublich leise. Es kam keine Reaktion und nach Minuten blickte ich auf, nur, um sie verschwinden zu sehen. „Jetzt bin ich alleine“, verkündete ich mir selbst, „und das ist gut

so.“ Tatsächlich blieb Melinda den restlichen Tag weg. Ich wusste eine ganze Weile nichts mit mir anzufangen. Mein Körper reagierte immer noch auf das Geschehene und zum ersten Mal hatte ich Zeit mir Gedanken über meine Situation zu machen. Es schienen nur wenige Bilder von der Entführung übrig geblieben zu sein. Man hatte mich mit Sicherheit misshandelt, ich konnte mich aber zum Glück nicht an die Einzelheiten erinnern. Abermals eine Szene, ein Messer, dass langsam über meinem Arm fuhr und dann plötzlich blonde glänzende Haare, Augen

in der Farbe von Gift. Ein schwerer Schauer durchfuhr meinen Rücken und meine zuvor geschlossenen Augen, rissen schlagartig auf. Ich hatte versucht zu schlafen und bereute es in genau diesen Augenblick. Abermals spürte ich, dass mein Körper auf die Erinnerung reagiert und heftig zitterte. Als ich hastig durch mein Haar fuhr, bemerkte ich, dass sie klitschnass waren. Ich schwitzte, erklärte mir mein Körper, ich schwitze. Plötzlich begann der Raum klein zu werden, die weißen Möbel schienen mich fast zu erdrücken, jede Nadel wirkte bedrohlich und jedes Medikament wie Gift. Gehetzt stand ich auf und sprintete

aus den Raum. Erst als ich wie eine Verrückte losrannte, bemerkte ich, wo ich war. Es war ein großes Lager, überall standen Waggons und Container. Viele Soldaten, die meisten ohne Rüstung, liefen herum und manche blickten mich verwirrt an. Ich musste auch gestört wirken, mit meinen nassen Haaren, irren Blick und den weißen Kleid, welches viele Verbände versteckte. Vermutlich griffen die Soldaten nur nicht ein, da sie erkannten, dass ich ein Opfer des Gegners gewesen war. Ich spürte mein Herz rasen, versuchte verzweifelt mich zu beruhigen, meine vorbeiziehenden Gedanken zu ordnen.

Ich registrierte das hohe Gras, das unter den Waggons wuchs, der abgelaufene Boden wirkte zertreten und tot. Das Lager war so groß, dass man in meiner Position kein Ende und kein Anfang finden konnte und momentan wirkte es auf mich, wie eine unendlich weite Großstadt. Ich versuchte weiterhin Luft zu schnappen, doch auf einmal füllte sich meine Lunge nicht mehr damit. Verzweifelt rang ich danach und umklammerte meinen Hals mit meinen schweißnassen Händen. Es füllte sich an, als würde mich jemand erwürgen. Ich wollte um Hilfe schreien, aber nichts anderes als ein erstickter Laut entkam

mir. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meinen Rücken und in der weite hörte ich eine Stimme, die rief:“ Sie tickt aus!“ Ich wollte denjenigen sagen, dass das nicht stimme und ich nur etwas aufgebracht wäre, doch meine Stimme war immer noch erstickt und die Luft floss immer noch nicht in meine Lunge. Verzweifelte keuchte ich und mit einem Mal begann sich der Knoten in meinen Hals zu lösen und die Luft strömte in meine Lunge. Erleichtert nahm ich das Geschenk an und bemerkte erst jetzt, was um mich geschehen war. Mehrere Soldaten, davon alle Männer, hatten mich umkreist und

blickten mich teilweise besorgt und teilweise verwirrt an. „Alles in Ordnung?“, fragte ein Mann mit dunkelblond geschorenen Haar und noch sehr jungenhaften Gesichtszügen. Unruhig lächelte ich und spürte wie meine Lippen zuckten. „Ja“, sagte ich mit unsicherer Stimme und wusste zugleich, dass niemand mir das abkaufte. „Ich muss mich nur hier umsehen…“, warf ich ein und rannte so schnell ich konnte von der peinlichen Situation hinfort. Die Soldaten ließen ihr eher mehr wegen dessen Verwirrung Platz, als das es ihre tatsächliche Absicht gewesen wäre. Ich versteckte mich hinter einen

Container und vergewisserte mich, dass sie mir nicht gefolgt waren. Als die Luft rein war, atmete ich erleichtert aus. Ich war schon immer etwas schreckhaft gewesen, doch durch meine jüngste Vergangenheit hatte sich dieser Charakterzug deutlich verstärkt. Doch, was ich jetzt benötigte, war Ruhe. Ich musste, wie Jet es den eiskalten Soldaten Noel gesagt hatte, mich sammeln und das Geschehene verarbeiten. Auch, wenn das nicht möglich sein wird, dachte ich betrübt. Und nun war schon wieder sein Name in meinen Gedanken. Er hatte sich längst in mir verwoben und zog nun Kreise in meinen

Gedankengängen. Noel…ich wusste nicht, was ich von diesem Soldaten halten sollte. Er hatte mich damals nicht getötet, obwohl er keinerlei Gewissheit darüber hatte, dass ich nicht sein Gegner gewesen war. Das irritierte mich, da ich damit aufgewachsen war, dass Soldaten stolz auf jeden besiegten Feind waren und die Schuld an das verschwendete Leben mit Freuden auf ihren Schultern tragen würden. Doch nicht so er. Ich hatte ihn als eiskalten herzlosen Anführer erlebt und trotzdem glaubte sie nicht so ganz daran. Wäre er auch nur halb so herzlos, wie er vorgibt zu sein, so wäre ich nun nicht

mehr am Leben. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich weitergelaufen war und wunderte mich, als ich nun einen gewaltigen Schießplatz entdeckte. Erst jetzt registrierte ich ebenfalls, dass der Tag sich schon zum Ende neigte und sich die ersten rötlichen Strahlen ihre Wege durch die vielen Container suchten. Der Schießplatz war wie leer gefegt und erinnerte mich keineswegs an die meist überfüllten Schießplätze bei mir zuhause. Viele Waffen waren aufgestapelt, aber nur präparierte mit den üblichen Bleipatronen. Es wäre auch verwunderlich gewesen, wenn man schussbereite Waffen offen rumstehen

lassen würde. Vorsichtig versuchte ich mich den Platz zu nähern und staunte dabei über die große Distanz zwischen den Schießständen und dem Zielscheiben. Und zum ersten Mal seit gefühlt tausend Jahren vergaß ich für einen Moment meine Situation, die Schmerzen, den Verlust meiner Schwester. Der einzige Soldat an den Ständen schien mich nicht zu bemerken und so wagte ich es, mir eines der Gewehre zu nehmen und aufzuladen. Ehrlich gesagt war ich nie gut darin mir die Namen der vielen Waffen zu merken. Bei mir scheiterte es schon an den leichtesten Namen und so bezeichnete ich sie als Gewehr oder

Pistole. Viele im Verein lachten mich meist aus, wenn ich meist dümmliche Kommentare in ihre Gespräche, die sich zum Beispiel um die Schlagkraft verschiedener Waffen handelte, einwarf. Sofort hatte ich das Gewehr im Griff und zielte. Es war noch hell genug, um genügend zu erkennen und wollte gerade schießen, als ich merkte, dass ich zitterte. Und genau diese Geste holte mich in die Gegenwart zurück. Ich war nicht im Verein, ich war in einem Kriegslager im Niemandsland und ich war allein. Ich legte das Gewehr auf die Ablage und atmete zitternd aus. Nichts aus meinen normalen Leben schien hier wirklich zu

sein. Das Schießen, meine Schwester…und genau in diesen Gedankengang spürte ich das Knacken eines Astes hinter mir. Vielleicht lag es einfach daran, dass meine Nerven zum Zerreißen angespannt waren, ich immer noch kurz davor war durchzudrehen oder meine jahrelanges Selbstverteidigungstraining, aber als ich mich umdrehte und mit einer solchen Gewalt den Mann zu Boden rammte und einen komplizierten Griff anwandte, fiel es mir keineswegs schwer. „Was willst du?“, schrie ich und spürte auf einmal, eine unglaubliche Wut in mir. Am liebsten hätte ich die Gestalt unter mir zerdrückt, erwürgt oder erschlagen.

Irgendetwas, das meiner Wut im Moment angemessen war. Doch als die junge Stimme ertönte, verlor sich all meine Anspannung und ich konnte meinen Griff lockern:“ Ich wollte eigentlich nur fragen, warum eine Frau im weißen Kleid am Schießstand steht.“ Ich ließ ihn los und atmete ein und aus, bevor ich mich endlich beruhigte. Ich drehte allmählich durch und hatte keinerlei Selbstkontrolle mehr. „Tut mir Leid“, stotterte ich verdattert und schreckte zurück. Ich stand auf und entfernte mich ein paar Schritte von den jungen Soldaten. Er seufzte und rappelte sich dann ungeschickt auf. Jetzt, da sie sein Gesicht sah, wirkte er

noch jünger als zuvor. Mein Verstand schätzte in auf höchstens 18 Jahre und irgendetwas schien dies zu beunruhigen. Wer ging in diesem Alter schon in den Krieg, fragte ich mich geschockt. Bevor ich abermals wieder durchdrehte, fixierte ich den Jungen und registrierte ich die roten Haare und einen leichten Flaum an seinem Kinn. Er hatte Sommersprossen und grüne Augen. „Ich bin Riley“, sagte er freundlich und streckte mir die Hand aus. Ich starrte diese verwirrt an und er zog sie wieder zurück. „ist ja auch egal-“,“was machst du hier alleine? Wo sind die anderen Soldaten?“, unterbrach ich ihn und war überrascht über den Sprudel von Worten, der auf einmal aus

meinem Mund entsprang. Der Junge wirkte unbehaglich, er fuhr sich durch dein kurzes Haar und kratzte sich am Kopf. „Ich sollte eigentlich nicht hier sein“, fing er an und blickte sich verschwörerisch um, als hätte er Angst erwischt zu werden, „ich musste nur unbedingt schießen üben.“ Verwundert blickte ich ihn an und zum ersten Mal bemerkte ich, wie etwas in mir versuchte zu lachen. Doch wo auch immer dieses „etwas“ war, es kam nicht bis zur Oberfläche. Denn im Hier und Jetzt blickte eine kalt wirkende Frau, einen nervösen Soldaten an. Bisher hatte ich mich nie mit dem Wort Frau in Verbindung gebracht, doch momentan

wirkte ich unendlich alt und zugleich auch geistesgestört. Ich musste unbedingt versuchen mich zu sammeln und meinen Verstand unter Kontrolle zu bekommen. Und genau diese Begegnung mit diesem normalen Soldaten, war eine Möglichkeit für mich, wieder mein altes Ich zu finden, auch wenn dieses nicht unbedingt besser als das Jetzige sein musste. Fest und entschlossen, fast schon aus dem Nichts, ergriff ich nun die bereits zurückgezogene Hand von Riley und sagte mit fester Stimme:“ Ich bin Lyra, schön dich kennenzulernen.“

Gedanke an Vergangenem

Der Junge wirkte zuerst noch etwas verwundert, dann erwiderte er doch meinen Händedruck und lächelte. „Und was machst du hier, Lyra?“, fragte er mit freundlicher Neugier. Hätte er auch nur ansatzweise gewusst, wie tief mich diese Frage treffen würde, hätte er es gar nicht erst gesagt. Ich bemerkte erst verspätet, dass ich zu lange nicht reagierte und versuchte irgendeine Antwort zu finden:“ Ich bin kein Soldat, mich beruhigt das Schießen nur.“ Ich strengte mich gar nicht an zu vertuschen, dass ich seiner Frage gezielt ausgewichen war. Innerlich fürchtete ich

mich, dass er weiter nachbohren würde und verlor im gleichen Augenblick meine Entschlossenheit. „Achso“, sagte er und ich spürte, dass er meine Reaktion verstand und es dabei belassen wird. „Dann bist du bestimmt besser als ich im Schießen. Ich hasse es, aber man muss es als Soldat können“, sagte er und betonte dabei die Wörter „Soldat“, und „schießen“ mit auffälliger Abfälligkeit. Für einen Moment wollte ich nachbohren, verwarf die Idee dann, da er sicherlich genau so wenig auf seine Probleme angesprochen werden wollte, wie ich auf meine. „Du kannst es mir ja zeigen“, meinte er, als ich nichts sagte und blickte mich

erwartungsvoll an. Nach kurzen Zögern nickte ich abgehackt und folgte Riley zu einem der Schießstände. Ich hatte jedoch Bedenken, ob ich überhaupt eine Hilfe sein konnte, da mein Zittern nicht gerade zu einer guten Trefferquote beitrug. Doch der Junge schien ziemlich lernwillig und ihn schien es zu beunruhigen, dass er anscheinend hinterher hing, was diese Kampfkunst, das Schießen, betraf. Auf mich wirkte er kaum, wie ein geborener Soldat. Als ich seinen Gang beobachtete, wirkten seine Beine unbeholfen und sein schlaksiger Körper unbeweglich. Überhaupt schien er in keiner Weise die Selbstsicherheit und die Arroganz eines üblichen Soldaten

auszustrahlen. Bevor ich es aufhalten konnte, hörte ich mich plötzlich meine Frage stellen: „Du wirkst nicht, wie ein Soldat. Bist du freiwillig in der Armee?“ Als er länger nicht antwortete, schämte ich mich über meine Neugier und schwor mir demnächst leise zu sein. „Das hab ich schon öfters gehört“, sagte er plötzlich leise lächelnd, „mein Vater aber bat mich, als seinen einzigen Sohn darum und ich konnte ihn diesen Gefallen nicht ausschlagen. Es hat zwar nur für die 5 Legion gereicht, trotzdem war er sehr stolz auf mich, als ich in den Krieg zog.“ Als ich zu ihm hinüber sah, wirkte er in Gedanken versunken und die Waffe baumelte nun locker an seiner rechten

Hand. Zumindest, wenn es sich um Gewichte heben handelte, konnte Riley mithalten. Irgendwo freute ich mich über den kleinen Trost. Als ich hörte, wie er die 5 Legion erwähnte, fielen mir mehrere Informationen ein, die wir in der Schule darüber gelernt hatten. Der Krieg war gegenwärtig in unseren Unterricht und Soldaten wurden von uns geehrt und hoch angesehen. Ich hatte nie viel Interesse daran gefunden, war dennoch gezwungen die Geschichte unserer zwei verfeindeten Reiche zu lernen. Es hatte alles damit angefangen, dass sich ein Teil des Volkes, die sich für Stimmrecht und Demokratie einsetzten,

sich gegen die Regierung auflehnte. Zu dieser Zeit war das natürlich nur eine lächerliche Vorstellung für die meisten Menschen gewesen und so ernteten die meisten Protestanten nicht mehr als Spott und Missbilligung von den anderen. Doch sie gewannen in einen kurzem Zeitraum mehr an Anhängern, als man für möglich gehalten hatte. Die Welt war zu dieser Zeit größtenteils im Osten besiedelt und der „unbekannte“ Westen, wie man ihn in Volk nannte, barg Unmengen von Rohstoffen und Platz. Als die Protestanten trotz ihrer steigenden Zahl nichts gegen die Regierung ausrichten konnten, zogen diese enttäuscht ab und siedelten sich in den

westlichsten Siedlungen an, die zu dieser Zeit existierten. Als nun jeder, der sich als Protestant bezeichnete, zum Vogelfreien ernannt wurde, flüchtete der Widerstand nun in das Unbekannte des Westens und siedelte sich dort an. Als irgendwann jeglicher Kontakt zu den Dörfern abbrach, vermutete man, dass diese verhungert seien und kümmerte sich nicht weiter darum. Im Reich selber gab es immer noch Unruhen, diese nur mit Gewalt beendet werden konnten. Erst sehr viel später setzten sich dort die Demokratie und das heutige Rechtssystem durch. Im westlichen Reich erbaute sich

dagegen von Anfang an eine gerechte und friedliche Gesellschaft. Als diese mehr und mehr an Macht erlangte, fühlte sich der Osten bedroht und einer der ersten Kriege entstand. So wurde heute die Geschichte erzählt, auch wenn ich bezweifelte, dass alles exakt so abgelaufen war. In meiner eigenen Erzählung ließ ich mein Reich schon als „die Bösen“ dastehen, in der Schule wurde es so verdreht, dass wir als Helden und Retter unseres Volkes galten. Genau deshalb, weil ich diese Einstellung verabscheute, interessierte ich mich nicht für den Krieg. Schon als kleines Kind hielt ich mich von dem Thema getrost

fern. Auf meine Hobbies, Selbstverteidigung und Schießen war ich mehr aus Zufall gekommen. Zum Schießen kam ich, als ich einen Freizeitpark besuchte und mich am Schießstand versuchte. Ich war so begeistert davon, dass ich sofort den Verein beitreten wollte. Mein Vater hatte dies wahrscheinlich nur zugelassen, da er dachte, ich würde somit mein Interesse zum Krieg und den Soldaten ausdrücken. Spätestens, als ich mit 14 Jahren noch jeden Freitag den Verein besuchte, musste er bemerkt haben, dass er sich geirrt hatte. Den ersten Kurs zur Selbstverteidigung belegte ich, als es die Schule von mir verlangte.

Irgendwann stieg ich auf Aikido um und fand bis heute Spaß daran. Aber in der jetzigen Situation konnte ich mir nicht vorstellen, jemals wieder eines dieser Sportarten in meinen vertrauten Vereinen zu praktizieren. Ein Schuss riss mich aus meinen Gedanken und ich zuckte schlagartig zurück. Mit aufgerissenen Augen starrte ich zu Riley und dachte mir im selben Moment, dass dies sicherlich keine präparierte Waffe war, sondern ein waschechtes Gewehr. Der Schock saß immer noch tief in mir, als ich plötzlich Rileys erwartungsvollem Blick begegnete. Reiß dich zusammen, befahl mir eine

Stimme, du wirst dich an die Schüsse gewöhnen müssen. Ich versuchte so gut ich konnte zu gehorchen, auch wenn mein Körper sich immer noch glasklar an das Geschehene erinnern konnte und mich die erwartete Gefahr lähmte. „Und wie war der Schuss?“, fragte er neugierig, als würde er tatsächlich mit einem Schießmeister reden und Lob erwarten. „Ähm“, entkam es mir und ich versuchte Worte zu finden, die erklärten, dass ich nicht aufgepasst hatte. Doch mein Kopf war weiterhin verwirrt und konnte keine klaren Gedanken fassen. „So schlecht?“, seufzte Riley enttäuscht und deutete mein Schweigen falsch, „zeig du mal, bitte.“ Er drückte mir ohne

auf eine Antwort zu warten das Gewehr in die Hand und ich spürte, wie mich meine Beine automatisch zum Schießstand trugen. Ich tat nichts, doch mein Körper arbeitete. Er setzte den gewohnten Vorgang des Schießens fort und irgendwann hörte ich erneut einen lauten Schuss, der mich zurückzucken ließ. „Guter Schuss“, hörte ich eine Stimme. „Danke“, sagte meine automatische Stimme, bis ich abermals in die Gegenwart zurückgeschleudert wurde. Hastig legte ich das Gewehr ab und drehte mich um. Sofort pochte mein Herz schmerzhaft gegen meinen Brustkorb und ich blickte in die eisigen

Augen von Noel. Er hatte wieder keine Rüstung an, trug jedoch weitaus bequemere Kleidung: Eine schwarze Jogginghose mit passender Jacke. Trotz der „normalen“ Kleidung wirkte er abermals arrogant und mächtig. Mit einen scharfen Blick wandte er sich Riley zu: „Name!“, forderte er ihn genervt auf. Sofort ertönte eine schrille Antwort:“ Riley Fox, Sir. Legion Fünf.“ Ein unglaublich tiefer Seufzer entkam Noel und Wut flammte in seinen Augen:“ Was macht ein Fünfer am Schießstand der ersten Legion!?“ Er schrie so laut, dass meine Beine zu zittern begannen. Rileys‘ dagegen schlotterten. Er verlor seine stramme Haltung und versuchte,

den Tränen nahe, zu antworten: „Ähm, Sir…ich…“ Als er es aufgab, bemerkte ich plötzlich, wie ich etwas sagte: „Er ist hier zum Schießen üben.“ Ich bereute es im gleichen Moment, wie ich es gesagt hatte. Denn nun wandte sich Noel mir zu und ich spürte sofort seine Wut, die sich in ihm aufstaute und mit folgenden Worten löste: „Du, verdammte Göre, hast gar nichts zu sagen! Erst nicht reagieren, dann abhauen und nun einfach die Waffen des Schießstandes benutzen!“ Er schritt auf mich zu und ich sah abermals seine Hand zucken. Diesmal war es anders, diesmal hatte ich eine nette, normale Begegnung hinter mir und meine Erinnerung an mein altes

Leben war nun greifend nah. Und als sich nun Noels Hand in Bewegung setzte, packte mich eine solche Wut, wie ich sie noch nie in meinen Leben gespürt hatte und ich wendete einen schmerzhaften Griff an, den ich in Aikido gelernt hatte. Sein Arm verdrehte sich und er flog zu Boden und als ich plötzlich den bebenden Soldaten unter mir hatte, begriff ich erst, was ich getan hatte. Was auch immer für einen Rang Noel hatte, es war, so wie ihn die Leute behandelten, kein niedriger. Also tat ich das einzige für mich im Moment logische: Ich rannte. Ich spürte die Luft und sah die Lichter, die an mir vorbeirauschten. Ich hörte nur den dumpfen Klang meiner nackten

Füße, die den schlammigen Boden berührten. Was sollte ich denn anderes machen in dieser Situation? Ich wusste, dass es sinnlos war, ich wusste, dass er mich früher oder später fangen würde. Allein schon bei der Vorstellung, wie mich erneut Schläge und Schmerzen ergreifen würden, reagierte mein Körper mit Angst. Und genau diese Angst schob mich nochmals ein Stück vorwärts, bevor ich dann auch zusammenbrach und mich hinter einen Container versteckte. Als nach langer Zeit niemand kam, übermannte mich schlagartig Müdigkeit und ich konnte nicht anders, als meine Augen zu schließen. Kurz danach war ich

auch schon in das bisher eher unvertraute Land der Albträume gelangt. Der Tag begann wie jeder andere: Ich stand auf und aß ein Schüssel voll mit zuckersüßen Cornflakes. Die Küche war wie gewohnt leer. Mein Vater schlief meistens auswärts und da ich kein Interesse an seinen Privatleben hatte, fragte ich ihn nie danach. Meine Schwester frühstückte nicht, verbrachte die gewonnene Zeit aber gerne in ihrem Bad. Wir hatten zwar noch eine Hauspflegerin, eine 64 Jahre alte Latina, diese kam aber gewöhnlich nicht vor 9 Uhr. So zog ich meine Schuluniform an, eine einfach gehaltene Bluse und Rock

und machte mich mit meiner Schultasche auf den Weg zur U-Bahn. Die 10 minütige Fahrt verflog in Kürze und dann stand ich auch schon vor dem gigantischen Bauwerk, das den Namen Schule trug. Diese war staatlich und deshalb überfüllt und schmucklos. Sie erinnerte mich mehr an einen Betonblock, als an ein echtes Gebäude. Während ich neidisch mit ansah, wie sich meine Mitschüler begrüßten und dabei umarmten, durchquerte ich die Menschenmasse so schnell ich konnte. Ich hetzte in der Hoffnung niemanden begegnen zu würden, musste jedoch abermals den Füßen der „Bonzen“-Clique entgegentreten. Stella stand dort mit

einem merkwürdigen Lächeln und umspielte ihre Haare mit ihren Fingern. „Wir haben heute eine nette Überraschung für dich“, verkündete sie mit einer grässlichen gefälschten Freundlichkeit. Ein Schauder durchfuhr mich. Plötzlich packte sie mich und eine unglaubliche Stärke rammte mich gegen den Spind. Auf einmal war es nicht mehr die künstliche Blondine, die vor mir stand, sondern die giftgrünen Augen von Near. Seine weißen Zähen strahlten mich an und eine dunkle Aura umgab ihn. „Willkommen meine Lieben“, hörte ich ihn sagen und ich fand mich gefesselt auf einem Stuhl wieder. Ein Mann schritt auf mich zu und fuhr mir mit einem

Messer über die Haut. Er riss mir die silberne Rüstung, die ich zuvor noch nicht getragen hatte, vom Leib und begann sich gegen mich zu pressen. Schmerzen erfüllten mich, er zerrte an meiner Unterhose und er wollte gerade hineinstoßen, als sich die Szene abermals änderte. Ich stand in einem Pavillon, es war nachts. Nur eine große Säule hielt die Plane im Schacht, ansonsten war es leer. Ich trug ein weißes Kleid, meine braunen lockigen Haare wehten im Wind und mein Körper war bedeckt mit Verbänden. Auf einmal begannen diese sich mit Blut zu füllen und das Kleid erstrahlte kurz darauf ebenfalls in einem dunklen Rot. Der folgende Schmerz riss

mich von den Beinen und ich fiel zu Boden. Verschwommen nahm ich eine Gestalt wahr, die auf mich zukam. Laute, langsame Schritte. Dann bückte sich die Gestalt und ich erkannte das Gesicht von Noel. Er lächelte sanft. „Bald wird es vorbei sein“, sagte er unendlich liebevoll. Dann nahm er mich auf seinen Schoß und fuhr mir durchs Haar, bis die Finsternis mich verschluckte. Keuchend wachte ich auf, ich war schweißnass und mein ganzer Körper schmerzte. Eine Hand drückte mich sanft zurück und ich ließ es widerstandslos

geschehen. Langsam spürte ich, wie sich mein Puls senkte und ich mich allmählich beruhigte. Mir strich immer noch jemand durch das nasse Haar und deshalb vermutete ich, dass weiterhin mein Traum war. Erst nach einer Weile öffnete ich meine Augen und fand mich abermals hinter den Container wieder. Doch ich war nicht alleine. Noel war da und hielt mich, wie im Traum, auf seinen Schoß. Es war bereits dunkel und nur die schwachen Lampen, die an den Containern und Waggons angebracht waren, spendeten etwas Licht. Ich war momentan zu verwirrt, um mich über die Situation zu wundern und betrachtete den schönen Soldat derzeit.

Er wirkte gedankenverloren, sein Blick schien in das Unendliche zu gehen. Er schien sehr traurig. Erst als ich mich bewegte, registrierte er, dass ich wach war. Doch anstatt mich abzuweisen, lächelte er mich an und nun war ich mir sicher, dass das ein Traum war. „Tut mir Leid, dass ich dich angeschrien habe“, sagte er plötzlich. Es wirkte unwirklich in die Stille hinein. „Ich…“, wollte er fortfahren, doch zum ersten Mal schien er keine Worte zu finden. Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte und schwieg. Stunden vergingen und irgendwann fiel Noel in einen tiefen

Schlaf. Und da betrachtete ich ihn. Den schönen Soldaten, von den ich nicht wusste, was ich von ihn halten sollte. In einen Moment war unglaublich stürmisch und wutentbrannt, in anderen wirkte er plötzlich hilfsbereit und jetzt war er nicht mehr, als ein trauriger junger Mann. Auf den ersten Blick wirkte er entspannt und friedlich, auf den Zweiten sah man, wie sich in seinen Gesicht Schatten warfen und sein Mund zuckte. Er schien plötzlich unruhig, als würde er schlecht träumen oder ihn etwas quälen. Und für einen Moment konnte ich es sehen, dieses kurze Flackern, dieser kurze

Einblick in etwas völlig Unbekanntes. Es war Verletzlichkeit. Als ich noch klein war, war ich nie wie die anderen. Ich sang, während andere spielten. Ich träumte vor mich hin, während die anderen lernten. Ich weinte, wenn die anderen lachten, und lachte, wenn die anderen weinten. Mein Vater hatte immer versucht seine Augen zu verschließen und mich zu Dingen gezwungen, die die Gesellschaft schätzte. Ich beherrschte 10 verschiedene Tanzarten, konnte Fechten, spielte Klavier und Geige. All das tat ich nur, um akzeptiert zu werden und mir einen

Platz zu schaffen. Doch ich blieb bis heute erfolglos. Nirgendwo hatte ich jemanden, wie mich gefunden. Es fühlte sich manchmal so einsam an in einer Menge zu stehen und zu wissen, niemals dazu gehören zu können. Vielleicht also war diese Entführung mehr als das, was es zu sein schien. Vielleicht war es weniger eine Entführung, als eine Befreiung aus meinem eigens gebauten Gefängnis. Waren wir nicht alle unsere eigenen Sklaven? Warum taten wir jeden Tag dasselbe, selbst wenn wir es nicht wollten? Was waren wir nur für Geschöpfe, die sich selbst

zunichtemachten? Was war anders an diesen Ort? Am Niemandsland? Ich lag hier in den Armen eines Soldaten und es wirkte weder verboten noch gezwungen. Da war einfach die Tatsache, dass es geschah und mehr nicht. Keinerlei Verpflichtungen, kein Druck, nur das Hier und Jetzt. Es fühlte sich leicht wie eine Feder und zugleich auch unendlich schwer an. Das hier war Wirklichkeit! Nicht diese Illusion, die wir uns erschufen und Alltag nannten. Sonnenstrahlen weckten mich und ich spürte zugleich, dass ich nicht mehr an der vorherigen Stelle lag. Ich lag in

einem gemütlichen Bett und als ich meine Augen öffnete erkannte ich den Innenraum eines Waggons. Er wurde sehr schlicht gehalten: Eben das Bett in dem ich lag, eine Kiste mit Waffen und eine für Kleidung. Es wirkte sehr leer und erfüllte mich mit dem Gefühl der Einsamkeit. Wo war Noel? War das vielleicht alles nur ein Traum gewesen? Nein, ansonsten würde ich wieder im Medizinwaggon liegen. Unbeholfen richtete ich mich auf und versuchte den Schmerz, der mich dabei begleitete, zu ignorieren. Anscheinend waren meine Wunden schlimmer als ich es zuerst vermutet hatte. Vorsichtig berührte ich mit meinen nackten Füßen den Boden

und gewöhnte mich an den kalten Untergrund. Das Fenster war geöffnet, doch die Scheibe war zu milchig, als das man viel erkennen hätte können. Ich stand ungeschickt auf und musste mich sofort an der Wand abstützen, um nicht umzufallen. Es war unglaublich schwer in diesem Zustand zu stehen. Sofort begann ich zu schnauben und mir blieb fast die Luft weg. Geschlagen ließ ich mich wieder auf das Bett fallen und schlug mich dabei mit den Kopf an. Ein müder Seufzer entkam mir. Ich hatte keine Ahnung wie lange ich letztendlich dort lag, aber schlafen konnte ich trotz allem nicht. Irgendwann öffnete sich die Tür des Waggons und

erst im letzten Moment begann ich mich darauf vorzubereiten. Wer konnte das sein? Sofort zuckte ich zusammen, drängte mich in die Ecke und versuchte meinen Atem zu beruhigen. Doch es war zwecklos. Als die Tür aufging und ich beinahe einen halben Herzinfarkt hatte, blickten mich grüne Augen an. Mein Puls raste hoch und ich versuchte panisch zu fliehen. Ich wusste nicht vorher ich die Kraft plötzlich hatte, aber ich konnte auf einmal aufstehen und zum Fenster rennen. Es ließ sich in meiner Panik nicht öffnen. „Beruhig dich!“, ertönte Noels Stimme hart und er packte mich von hinten und drückte mich gegen die

Wand. Ich brauchte lange bis ich mich endlich beruhigte und ihn ansehen konnte. Er schien gerade geduscht zu haben. Seine Haare waren nass und er trug nicht mehr als eine Jogginghose. Alle anderen Mädchen der Welt hätten wahrscheinlich bei diesem Anblick gesabbert, ich dagegen blickte ihn weiterhin wie ein verschrecktes Reh an. „Was willst du von mir! Ich sag dir alles, alles! Nur schlag mich nicht!“, schrie ich panisch heraus und achtete dabei nicht genau auf das, was ich eigentlich sagte. Verwirrt blickte mich Noel an und ließ dann locker. Seine Wut schien sich tatsächlich in Luft aufgelöst zu haben.

Für einen Moment schien es, als wollte er sich entschuldigen, doch im Nachhinein kam wieder nichts. Dann seufzte er und blickte mich gequält an, als würde etwas Unangenehmes sagen wollen. „Du sagst alles?“, hakte er nach und seine Stimme war wieder hart und kalt. Meine Augen starrten ihn immer noch ängstlich an. Kaum merklich nickte ich. „Dann wirst du auch leben“, erklärte er. Als sein stechender Blick mich traf, war es, als würde ich wieder zuhause sein. Nein, das gestern musste ein Traum gewesen sein.

Zitternd saß ich auf einen Hocker in einem dunklen Container. Ich trug endlich wieder Hose und T-Shirt. Sogar Schuhe hatten sie mir gegeben. Am anderen Ende des Tisches, der vor mir stand, saß ein älterer Mann. Er hatte wie alle Soldaten kurz geschorenes Haar, das schon die ersten grauen Strähnen zeigte. Sein Gesicht war wettergeerbt und als er professionell lächelte, bildeten sich in seinem Gesicht überall falten. Er trug die blaue Reichsuniform, sie schien aber schmuckloser, als die von Noel. War Noel tatsächlich höher positioniert als

dieser Mann? „So“, fing der Mann an. „Mein Name ist Commander Liquid. Ich werde ihn heute ein paar Fragen stellen.“ Er öffnete einen Umschlag vor mir und zückte einen Stift. „Wann und wo wurden sie entführt und war noch jemand dabei?“ Ich versuchte mich daran zu erinnern, welches Datum der Tag hatte. Es war für mich einfach nicht mehr von Belang gewesen. Am liebsten würde ich die Befragung einfach umgehen und wieder nach Hause fliegen. Ich würde auch die Strafe für den Tod meiner Schwester auf mich nehmen. Ich wollte einfach nur hier weg. „18.06 glaub ich…“, sagte ich kaum hörbar. „Könnten sie das bitte

wiederholen?“, fragte der Mann freundlich. Ich stieß zitternd einen Luftschwall aus und wiederholte mit bebender Stimme: „Ich wurde am 18.06 entführt. Es war… in der Wohngegend Hamton in Georgia. Meine S…“, ich brach ab und war den Tränen nahe. Ich musste das durchziehen, wenn ich hier endlich wegkommen wollte. „Meine Schwester war dabei.“ Der Mann, ungerührt von meinen Gefühlen, schrieb etwas nieder und blickte dann wieder auf. „Wissen sie wo ihre Schwester jetzt ist und könnten sie mir ihren Namen verraten?“ Das versetzte mir einen Schlag in meine Bauchgegend. Mir war plötzlich speiübel.

Ich musste hier raus! Auf der Stelle! Doch anstatt etwas zu unternehmen, antwortete ich seltsam trocken: „Jessica Dearing. Sie ist tot.“ Der Mann musterte mich genau und fragte dann nach: „Denken sie das oder wissen sie es?“ Ich erinnerte mich zurück. Near hatte gesagt, dass sie tot wären. Doch konnte ich ihm überhaupt glauben? War sich vielleicht gar nicht tot? Sofort keimte Hoffnung in mir auf. Doch ich hatte sie später nicht mehr gesehen. Verzweifelt vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen und zuckte mit den Schulter: „Ich weiß es nicht.“ Ich sah den Commander zwar nicht, doch ich wusste, dass sicherlich

unzufrieden mit der Antwort war. Er besah sich jedoch eines besseren und beließ es dabei. „Was genau ist bei dieser Entführung passiert?“ Wieder reagierte ich seltsam ruhig darauf, entfernte meine Hände und blickte mein Gegenüber mit leeren Augen an. „Sie haben uns betäubt. Ich kann mich nicht wirklich erinnern.“ Der Soldat sah mich hart an und ein Schauder lief über meinen Rücken. Bitte schlag mich nicht, war mein einziger Gedanke und mein Körper begann zu zittern. „Das ist keine gute Aussage. Sie scheinen sich sehr wohl an etwas zu erinnern.“ Diese Worte waren wie Dolche und mich erfasste plötzlich eine Wut. Was dachte

er sich eigentlich? Er hatte das nicht durchmachen müssen. Er wurde nicht festgehalten und dazu gezwungen auszusagen. „Verdammt!“, zischte ich plötzlich und schlug mit unerwarteter Kraft auf die Tischplatte. „Es ist alles nur vage. Ich hab keine Ahnung, was genau passiert ist! Fest steht ich wurde gefoltert, unter Drogen gestellt, in eine verfickte unbequeme Rüstung gesteckt und von einen bescheuerten Strahlemann namens Near in meinen Tod geführt. Lassen sich mich verdammt noch mal in Ruhe!“, brüllte ich ihn zornig an und mein Körper bebte unter jeden meiner Worte. Der Soldat schien zu meinem Leidwesen völlig

unbeeindruckt…zumindest bis zu dem Wort „Near“. Er riss die Augen auf und richtete sich rasend schnell auf. „Near?“, hakte er erschrocken nach, „Near steckt hinter dieser Sache?“ Ich zuckte zusammen und verlor in einem Moment all meinen Zorn und bekam es abermals mit der Angst zu tun. Sein Blick war derart zornig auf mich gerichtet, dass ich meine ganze Kraft aufwenden musste um nicht in Tränen auszubrechen. Der Commander schnaubte verächtlich und ich war froh, dass er keine Antwort von mir erwartete. Ohne ein weiteres Wort hetzte er aus dem Raum und ließ mich alleine und verwirrt zurück. Lange Zeit geschah

nichts. Irgendwann viel mein Blick auf die Mappe vor mir. Der Soldat schien sie aus lauter Eile vergessen zu haben. Ganz vorsichtig und mit zum Zerreißen angespannten Nerven fingerte ich nach dem Dokument. Ich brauchte lange bis ich mich dazu überwand es zu öffnen. Das Erste, das mir entgegen sprang war mein Gesicht. Zumindest dachte ich das. Die Person auf dem Bild hatte die gleichen grauen Augen, die gleiche stuppelige Nase und die gleichen zerzausten, dunklen Haare wie ich. Doch ihr Gesicht war muskulös, hart und deutlicher definiert, ihr Blick war kalt. Wann hatte man dieses Bild gemacht? Ich hatte keine Ahnung, aber er musste

nach der Entführung entstanden sein. Das aber verstörende auf dem Bild war, dass ich viel älter als sonst wirkte. Ich schien kaum noch, wie es vor den Ereignissen der Fall gewesen war, dem Mittelmaß zu entsprechen. Ich sah tatsächlich aus wie eine Soldatin, sagte eine Stimme. Ich konnte ihr nicht widersprechen. Sah ich momentan auch so aus? So kalt und ausgezehrt? Bemüht mich von dem Bild los zu reißen, fand ich mehrere Informationen, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließen. Was zum Teufel? Alyra Dearing wurde am 18.06 in ihrer Heimatssiedlung Hamton zusammen mit

ihrer Schwester entführt. Uns wurde ein Bild von ihr geschickt, dass aus unbekannter Quelle stammt. Dabei war ein Bericht, der besagt, dass sich Jessica Dearing leider schwächer als ihre Schwester erwiesen hatte und bei der Ausbildung „gestorben“ wäre. Die Vermutung liegt nun nahe, dass mit den Opfern Versuche durchgeführt wurden. Die befragte Person zeigte sich jedoch unsicher und ängstlich und scheint keinerlei Erinnerungen mehr daran zu haben. Sie wurde am 30.08 von Major Noel Stark während eines Angriffs auf einen verbündeten Militärstützpunkt aufgefunden. Sie scheint trotz ihrer starken Wunden unnatürlich stark und

später heilten ihre Wunden zu schnell. Nun besteht die Gefahr, dass man in unsere Truppen einen Spion einbringen möchte, ohne dass es der Spion selbst davon weiß. Die Vorgehensweise ist nun die Person im Auge zu behalten und möglicherweise die Technologie, die bei ihr angewandt wurde, selber umzusetzen. Momentan konnte man nur eine Gen-Manipulation bei ihr feststellen und ihre Stärken wurden noch nicht getestet. Die Vermutung liegt also nahe, dass die Person ein missglückter Versuch bei der Forschung war und deshalb entsorgt werden sollte. Bei Letzterem würde das Urteil zugunsten der besagten Person

ausfallen. Für einen Moment setzte mein Herz aus, als ich das Geschriebene las. Auf den nächsten Seiten standen Versuche, die sie mit mir unternommen hatten. An all das konnte ich mich nicht mehr erinnern. Gen-Manipulation. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten? Warum besaß ich keine Erinnerungen mehr in Bezug auf all das? Fast drei Monate waren zwischen der Entführung und dem Auffinden vergangen. So lange Zeit, obwohl es mir nur wie wenige Tage vorgekommen war. Was war mit mir passiert? Hatten sie mich nun endgültig zu einem Freak gemacht? Ich versuchte mich zu

erinnern… Die Krankenschwester im Pavillon, der ich trotz meiner Verletzungen den Arm entreißen konnte. Hatte Jet nicht für einen kurzen Moment gestöhnt, als ich ihn auf den Rücken getrommelt hatte? Und tatsächlich, meine Wunden waren sehr tief, als ich umgekippt war und als ich irgendwann am nächsten oder selben Tag aufgewacht war, schien es mir viel besser zu gehen. „Oh mein Gott“, flüsterte ich, mein Herz pochte zu schnell. „Ich bin ein Freak“, stammelte ich zitternd. „Nein, nein, nein, nein…“ Ich stand hektisch auf und fegte die Dokumente vom Tisch. Ich legte verzweifelt meine Hände auf die Schläfen und schüttelte den Kopf.

„Nein, das kann unmöglich sein!“, schrie ich ohne zu bemerken wie laut. Als plötzlich jemand in den Waggon stürzte, überfiel mich so eine Wut, dass ich ohne die Person anzusehen, sie sofort gegen die Wand stieß. „Was zum…?“, fragte eine kindliche Stimme und ich entdeckte die roten Haare. Meine Augen rissen auf. Er hatte am Hinterkopf eine Platzwunde. Und zwar wegen mir! „Verdammt!“, zischte ich. „Was zum Teufel machst du hier, Riley?“, fuhr ich ihn an. Seine Augen blickten mich erschrocken an und er benötigte eine Weile, um sich zu sammeln. Ich merkte erst später, dass ich es war, die ihn angeschrien hatte.

Was zum Teufel war mit mir los? „Ich bin hier wegen…na ja wegen dir. Ich wollte dir da raushelfen…ich dachte sie…sie“, versuchte er zu erklären, stammelte am Ende nur noch Silben, so dass es mir schwer fiel ihn zu verstehen. Ich erwiderte nichts darauf. Ich seufzte einfach nur tief und ließ mich neben ihn nieder. Verdammt, was ging hier vor sich? Verzweifelt fuhr ich mit meinen Händen durch meine Haare. Es fühlte sich fremd an. Das alles hier. Ich war es nicht mal ansatzweise gewohnt irgendeine Verantwortung zu tragen und jetzt da ich anscheinend wie in einen dieser Comics mutiert war, hatte ich keinen Schimmer, was ich unternehmen

sollte. Alles war so verwirrend. Vor kurzem dachte ich noch an den Tod meiner Schwester, an mein Zuhause, an alles, nur nicht an so etwas. Ich wurde ausgebildet? Von wen? Wie? Warum hatte man mich genmanipuliert? Ich schien vielleicht etwas stärker zu sein, aber mein Verstand war genauso verwirrt und verängstigt wie zuvor. Wenn sie mich schon mit irgendetwas vergiften, wieso dann nicht mit etwas, dass einem die Gefühle nimmt? Verdammt wo waren meine Erinnerungen? Ich konnte nicht klar denken ohne etwas zu wissen. Hatte ich es vielleicht sogar gemocht? Sie sagten etwas davon, dass ich stärker als

meine Schwester gewesen sein soll. Aber wo immer auch diese Stärke bestand, ich konnte mir nicht vorstellen, wo ich bessere Leistungen als meine Schwester erzielen hätte können. Unruhig schüttelte ich den Kopf und fuhr nochmals durch mein schweißnasses Haar. Was zum Teufel geht hier vor sich? Warum konnte ich mich verdammt nochmal nicht erinnern? „Scheiße“, zischte ich wütend und boxte wütend mit meiner Faust gegen die Wand. Gab es vielleicht so etwas wie Genmanipulation auch bei uns? Immerhin pumpten sich viele mit Steroide auf, warum also nicht auch mit so etwas? Und selbst wenn das alles neu sein

sollte, warum testeten die Feinde es dann an uns aus? Waren sie sich schon darüber im Klaren, dass wir so und so sterben würden? Sie konnten doch nicht einfach eine Operation mit einem feindlichen Bürger beginnen. Doch wer wusste das schon … vielleicht spielte ich genau nach Near’s Pfeife. Niemals könnte ich diese grünen Augen unterschätzen, die alles gleichzeitig zu sehen schienen. Fest steht, ich kannte Near und das nicht nur von den Momenten an die ich mich erinnern konnte. „Was geschieht hier nur?“, fragte ich mich leise und würde alles in der Welt für eine Antwort geben.

Überraschender Angriff

Was würdest du machen, wenn dir etwas widerfahren würde, dass du selbst nicht verstehst? Wenn es dich zu einer Person machen würde, die etwas nicht Verständliches oder vollkommen Verrücktes ist? Zuerst würde dich diese Last niederringen und dann liegt es an dir, wie es weitergeht. Wirst du aufstehen oder liegenbleiben? Warum aufstehen, wenn man es sein ganzes Leben langen nie gemacht hat? Warum? Vielleicht um etwas zu ändern, sich zu ändern… Warum fiel mir diese Entscheidung

momentan so unendlich schwer? Ich kauerte an der Betonwand, das Gesicht in den Händen vergraben und ein überforderter Jugendlicher saß neben mir. Doch war es nicht sinnvoll etwas Neues zu wagen? Die Welt konnte doch so viele schöne Dinge bereithalten, auch wenn es mir bisher noch nie bewusst gewesen war. Vielleicht sollte ich einfach die Augen öffnen und den Moment akzeptieren. Dann könnte ich nach schöneren Augenblicken suchen und sie genießen, sie in mich aufnehmen und mich an ihnen festhalten. Ja, ist es nicht der ‚Halt‘, den wir brauchen, um zu überleben? Ein ungestümer Stoß, der die schwere

Tür von draußen öffnete, riss mich aus meinen Gedanken. Noel. Es war Noel, der dort stand und mich mit seinen undurchdringlichen Blick ansah. Wütend blickte er zwischen mir und den geöffneten Ordner auf den Tisch hin und her. „Du hast es gelesen?“, zischte er wütend. Seine zuvor noch ausdruckslose Miene bildete eine Zornesfalte zwischen seinen Augenbrauen. Ich nickte ohne jede weitere Reaktion auf seine harsche Art. Noel fuhr sich nervös durchs Haar und zischte mehrere Flüche. Es wunderte mich für einen Moment, weshalb er mich nicht anschrie oder sonst etwas für ihn

übliches unternahm, bis ich erkannte weshalb. Es lag an mir auszurasten und doch saß ich hier seelenruhig und betrachtete in aller Ruhe den schönen Soldaten, der mich immer wieder überraschte. Gab es da nicht dieses Sprichwort? Manchmal muss derjenige etwas Unternehmen von den man es an wenigsten erwartet? Und das war es, das mich dazu brachte aufzustehen und auf den dunkelhaarigen Soldaten zuzugehen. Meine Miene war weiterhin noch ruhig und nicht einschätzbar. Als Noel mich bemerkte, schien er unruhig zu werden, blieb jedoch an Ort und

Stelle. Ich schien ihn tatsächlich zu reizen. War ich wohlmöglich stärker, als ich vermutet hatte oder fürchtete er, dass ich zu dem Monster, welches in mir zu sein schien, geworden bin? Für einen Moment machte ich mir sogar selbst Angst, wie ich mit dieser inneren Ruhe die Gegenwart und die derzeitigen Tatsachen betrachten konnte. „Was machst du?“, zischte er mit geweiteten Augen und nahm eine abwehrende Haltung ein, die mich zwang stehen zu bleiben. Mein Blick musterte ihn langsam, wie er dort stand mit seinen erhobenen Fäusten. Irgendetwas regte sich in mir, als wäre

mir diese Situation sehr wohl bekannt und ich dazu in der Lage sie zu lösen. Binnen eines Augenblicks erschuf sich vor meinem inneren Auge eine kurze Szene, die mich mit ihren Eindrücken überwältigte. Ich stand mitten in einen von Blutgeruch durchzogenen Raum. Die verletzten keuchenden Schüler stellten sich zu einer perfekten Reihe hinter mich und starrten mich an. Dabei zeigte sich kein einziger Ausdruck in ihren Gesichtern. Ich schien sie einfach zu ignorieren und fokussierte meine Aufmerksamkeit auf den Mann vor mir. Er wirkte wie ein Soldat in mittlerem

Alter, seine Züge waren mit eiskalter Kühle durchzogen, sein Blick war hart und unnachgiebig. Über seinem Gesicht verlief eine tiefe gaffende Narbe, die sein linkes Auge miteinbezog. Sein Körper war von Muskeln durchzogen und viele Wunden zeigten die Lebensgeschichte des Mannes. Er trug eine dunkle schwere Hose und ein Brustharnisch aus einem gummiartigen Stoff. Doch das schien mein Verstand nicht zu interessieren. Es waren nur leere unwichtige Informationen. Umso mehr reagierte mein Körper auf die nächsten Worte des Mannes: „Töte mich!“ Ohne zu Zögern packte ich ein Schwert

aus meiner Scheide, rannte auf den Mann zu und bohrte es durch sein Herz. Blut spritzte aus der Wunde und besudelte meine Kleidung. Für einen Moment hoffte ich etwas zu spüren, doch ich konnte nichts finden. Das Mädchen in dieser Vision war vollkommen emotionslos…obwohl es ich zu sein schien. Keuchend löste ich mich von der Szene und spürte, wie ich heftig schwitzte. Meine Füße gaben nach und ich hielt mir keuchend die Kehle. Was zum Teufel war das? Bin das ich gewesen? Wer zur Hölle war diese

Person? Meine Augen rissen auf. Nein! Das konnte nicht ich gewesen sein! Niemals könnte ich eine Person ohne jeden Grund töten und nichts dabei fühlen. Mein Körper hatte in dieser Vision einzig und allein nur auf dieses Kommando gehört und interessierte sich nicht für die Auswirkungen bei der Ausführung dieses Befehls. Ich spürte plötzlich eine Hand auf meiner Schulter und blickte vorsichtig hoch. Enttäuschung übermannte mich, als ich nur Rileys Gesicht erblickte. Sein Gesicht verriet entsetzen und Ahnungslosigkeit. Wenn er nur wüsste,

was für ein Monster ich wäre, dann würde er mich nicht einfach berühren. „Ach, du meine Güte! Lyra, alles in Ordnung? Was ist passiert?“, seine Stimme fiel immer wieder zwischen Stottern und Kreischen hin und her und ich verstand kaum etwas. Bevor ich seine Hand abschütteln konnte, tat es mir Noel vor. Er packte Riley am Arm und stieß ihn von mir weg: „Fass ES nicht an!“ Ich rappelte mich müde auf und blickte geradewegs in die abweisenden Augen von Noel. Hatte er es gestern nicht auch schon gewusst? Weshalb war er jetzt wieder so abweisend wie zu Anfang? Vielleicht weil ich davon

wusste? „Was haben die mit mir gemacht?“, fragte ich ihn atemlos und blickte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Noel drehte mir seinen Rücken zu und ignorierte mich. Er sorgte dafür, dass Riley den Raum verließ, der immer noch verwirrt und völlig überfordert wirkte. Als selbst nach längerer Zeit keine Reaktion kam, überwältigte mich abermals eine Wut und ich bildete meine Hände zu Fäusten. Verdammt noch mal! Ich hatte ein Recht es zu erfahren! Immerhin hatte ich mich nicht freiwillig für ein Mutanten Projekt zur Verfügung gestellt! „Scheiße, Stark! Antworte mir gefälligst!

Wer hat mich in ein verficktes Monster verwandelt?“, brüllte ich ihn an, kurz davor ihn eine zu verpassen. Ich hatte zuvor noch nie Probleme mit Wutausbrüchen gehabt, doch jetzt schien es mich in Folge zu erfassen. Lag es wohlmöglich an meiner jüngsten Vergangenheit? Sicherlich. Es dauerte seine Zeit bis Noel endlich reagierte. Er seufzte und drehte sich endlich in meine Richtung. „Also gut. Nenn mich nur nie wieder bei Namen und sitz dich auf den Stuhl, damit du möglichst weit weg bist“, antwortet mit einen feindseligen Blick in meine Richtung. Ein Stich wollte mein Herz erfassen,

doch ich fing diesen zuvor ab und setzte mich ohne weiteren Kommentar auf den Stuhl. Ich war es seit Anbeginn meines Lebens gewohnt gedemütigt und schikaniert zu werden. Da machten mir seine wenigen Worte kaum noch etwas aus, zumal ich in jüngster Zeit durchaus Schlimmeres durchgemacht hatte und vielleicht in meinen Inneren zu einem emotionslosen Zombie mutierte war. Erwartungsvoll blickte ich Noel an, der halb im Dunklen verdeckt am anderen Ende des Raumes stand. Sein Gesicht war halbseitig mit einem Schatten überzogen und ließ ihn traurig wirken. Nochmals seufzte er lange und fing

endlich an: „Diese Experimente mit Genmanipulation liefen schon länger. Wir haben es einfach ignoriert, da wir nicht daran glaubten, dass unsere Feinde jemals Erfolge damit erzielen könnten. Als plötzlich bekannt wurde, dass sie als Versuchskaninchen junge Erwachsene aus unserem Reich verwendeten, waren wir gezwungen etwas zu unternehmen. Als wir das Lager erreichten, erlangten wir schnell die grausame Erkenntnis: Wir waren zu spät. Die Experimente hatten sich schon seit längerer Zeit drastisch verbessert und die Versuchskaninchen waren unglaublich stark. Meine ganze Einsatzgruppe starb dabei…“, ich konnte

fast spüren, wie sich in seinen Augen Tränen sammelten, als er es sagte,“ ich konnte als einziger fliehen und die schlimme Nachricht den General überbringen. Wir haben seitdem immer wieder versucht Informationen über diese Versuche zu erlangen, doch es stellt sich als sehr schwer heraus. Wie du uns gesagt hast, wird es von Near geleitet.“ Sein Blick erstarrte bei den Namen und seine Hände formten sich zu Fäusten. Gott, wer war dieser Near, dass sogar Noel vor ihn Angst hatte? „Und alles, was mit Near zu tun hat, ist unglaublich gefährlich. Aber jetzt zu dir. Wir wissen, dass es viele Forschungsprojekte wie dich gibt;

misslungene Experimente, die entsorgt werden müssen. Normalerweise lassen sie sie töten oder nehmen sie wie letztens als Opfer für einen Täuschangriff. Doch diesen misslungenen Experimenten werden nicht nur ihre Erinnerungen, sondern anscheinend auch ihre Kräfte genommen. Sie scheinen auf den Stand zu sein, auf dem sie vor der Entführung waren. Allesamt sind sie sehr schüchterne und verängstigte Persönlichkeiten. Wie du. Normalerweise hätten wir dich kurz ausgefragt und dann erledigt. Doch etwas ist bei dir anders. Zunächst einmal hast du einen Brief bekommen. Dort war neben deinem Bild, auch das Bild deiner

Schwester mitenthalten. Dort stand, dass du sie getötet hättest und eines der vielversprechendsten Experimente seist. Doch warum wirst du dann wie ein misslungenes Experiment entsorgt? Weshalb hast du deine Kräfte noch und kannst dich noch an wenige Szenen erinnern? Ich bin mir sogar sicher, dass du mit der Zeit dein Gedächtnis wieder erlangen wirst. Immerhin schien das eben auch eine Vision gewesen zu sein. Die Vermutung liegt nun Nahe, dass du in unsere Gruppen eingeschleust wurdest, um eine Mission zu erfüllen, von der du dich momentan noch nicht einmal bewusst bist. Wegen den Punkten, die dich von den anderen

misslungenen Experimenten unterscheiden, dachte Near wohl, dass wir dich behalten und vielleicht dein Wissen nutzen würden. Mit der Zeit wirst du deine Erinnerungen erlangen und deine Mission vollziehen. So lautet die erste und wahrscheinlichere Theorie. Die zweite Theorie: Du konntest dich Near‘ Macht entziehen und durch die Möglichkeit des misslungenen Experimentes fliehen. Und danach wolltest du uns Informationen liefern und hoffst noch lange genug bei Verstand zu bleiben, um uns möglichst viel verraten zu können. Das halte ich jedoch für sehr unrealistisch, da dein Charakter in keiner Weise zu so einer

Tat verweisen könnte. Immerhin habe ich einen Einblick in diesen haben können. Denkst du wirklich, dass dein Inneres stark genug wäre, um sich den Bann der Mutanten zu entziehen?“ Seine letzte Frage erfüllte mich mit mehr Wut und ich hatte das Verlangen seinen Kopf abzureißen. Entsetzt über meine Gedanken schüttelte ich den Kopf. Er hatte recht … Möglichkeit „zwei“ war unmöglich. Immerhin kannte ich mein früheres Ich und das wäre nie zu so etwas heldenhaften fähig gewesen. Doch fest stand, dass ich in jeden Fall meinen Verstand verlieren und zu den grausamen eiskalten Mutanten werden würde. Ein Schauder durchfuhr mich.

Jetzt da er es erklärt hatte, verschlimmerte sich meine Lage nur noch mehr. Verdammt?! Wer oder was war ich? Welche Theorie stimmte? Mir gefielen beide nicht. „Verdammt!“, schrie ich lauthals und schlug mit meiner Faust auf den Tisch ein. Tränen der Verzweiflung gelangten in meine Augen. Was zum Teufel sollte ich nun unternehmen? „Was soll ich verdammt nochmal tun?“, brüllte ich mehr an mich selbst gerichtet, als an Noel. Ich verschränkte verzweifelt die Arme hinter meinen Kopf und wollte am liebsten all meinen Frust hinaus schreien. Es sollte jeder meine Wut zu spüren bekommen, es hören! Was ist nur

passiert und warum konnte ich an den Scheißdreck nicht mehr erinnern!? Ich wollte mein Reich nicht verraten, aber ihnen auch keine Informationen vorenthalten. Ich hatte Angst davor, was passieren würde, wenn ich mich langsam aber sicher erinnern würde. Wäre es möglich, dass ich tatsächlich zu der Person mutieren würde, die ich in dieser Vision gewesen bin? Wäre ich auch so schrecklich und emotionslos? Das wäre doch nur anzunehmen… Oder vielleicht konnte ich es schaffen mich dagegen durchzusetzen? Diese Frage überraschte mich, da ich sie von mir nicht erwartet hatte. War das etwa Glaube an mich selbst?

Für diesen kurzen Moment war ich stolz auf mich und mein Körper konnte sich langsam beruhigen. Irgendwie musste es mir doch gelingen können, mich dagegen aufzulehnen und durch die wiedererlangten Erinnerungen meinem Reich weiterhelfen zu können. Ich drehte mich zu Noel um, der mich ausdruckslos mit verschränkten Armen anstarrte. Als er meinen Blick bemerkte, wendete er sich ab. War sein Hass gegen mich allein deswegen zu rechtfertigen, weil ich möglicherweise eine große Gefahr für ihn darstellte, er mich aber nicht verurteilen konnte? War es wegen der Einsatztruppe mit der er das Labor angegriffen hatte und die sterben

musste? „War jemand besonderes in der Einsatztruppe?“, fragte ich und blickte Noel intensiv an. Er reagierte nicht. Erst nach mehreren Augenblicken fluchte er, blickte mich hasserfüllt an und fauchte kurz bevor er donnernd den Raum verließ: „Als ob es dich einen Scheißdreck interessieren würde!“ Selbst Stunden danach schien niemand in den Raum zu kommen. Erst nach und nach spürte ich, wie meine lebenserhaltenden Bedürfnisse wie Hunger, Durst und Müdigkeit Besitz von mir ergriffen. Mein Mund war bereits

staubtrocken und mein Magen knurrte bedrohlich, einmal waren mir auch meine Augen zugefallen. Es war merkwürdig. Jetzt, da all meine Gedanken von der jüngsten Vergangenheit durchzogen gewesen waren, fühlte sich mein Kopf völlig leer an. Jeder tiefere Idee oder Eindruck verschwand binnen eines Augenblicks, als hätte mein Körper eine Schutzfunktion gegen alle von der Außenwelt stammenden Einflüsse gebaut. Irgendwann kam jemand in den Raum, stellte mir kurz ein Tablett auf den Tisch und verschwand genauso schnell, wie er gekommen war.

„Sie haben also entschieden, dass ich weiterleben soll“, dachte ich ohne dabei etwas fühlen zu können. Fast schon lustlos blickte ich das Essen an; Reis mit Gemüse, eine Suppe und eine große Flasche Wasser mit einem Glas. Obwohl ich schon seit Tagen nichts gegessen hatte und der Hunger sich stur durch meinen Magen bohrte, fiel es mir schwer die Nahrung aufzunehmen, denn da war immer noch diese Tatsache, dass ich möglicherweise ein Monster war. Momentan vielleicht nicht, aber eventuell in Zukunft, könnte ich mein eigenes Land verraten. Diese Sache stand zwischen mir und einem

reinen Gewissen. Danach dauerte es lange, bis ich die fade Pampe hinunter würgen und die ersten Schlucke des nach Kalk schmeckenden Wassers trinken konnte. Ich wollte mich gerade hinlegen, um möglichst schnell meinen Aufenthalt hier zu beenden zu können, als ich ein lautes Geräusch hörte. Brüllen, Schritte, das Entsichern von Waffen, nochmals Schritte, Schüsse. Alles lief in einer mir bekannten Reihenfolge ab, jedes Detail schien meinen Verstand keineswegs ungewiss. Hektisch rappelte ich mich auf, wollte gerade versuchen die Tür einzutreten, als mich abermals eine Erinnerung

einholte. Ich war Teil einer kleinen Soldatenformation. Wir alle standen aufgereiht vor einem Mann, den ausnahmslos jeder fürchtete; Near. Ich befand mich direkt vor ihm, in der ersten Reihe und blickte emotionslos und starr in seine giftgrünen Augen. Er hatte sein Engelshaar gekürzt und sein durchtrainierter Körper steckte in einer polierten glänzenden Rüstung; auf dem silbernen Metall, prangten mehrere eingeprägte Wappen und Abzeichen. Er ließ den Blick einmal über unsere Reihen schweifen, bevor er das Wort ergriff.

„Meine lieben Forschungsprojekte, ihr alle, die ihr hier jetzt steht, seid die „Elite“ unserer neuesten Projekte. Ihr hattet die größten Erfolgsquoten und die stärksten Kräfte, wenige von euch haben nun die Möglichkeit in eine unserer aktiven Einsatzgruppen für eine Mission ein Mitglied zu werden“, begann er mit beherrschter Stimme. Sie klang ruhiger, geregelter und strenger, als sonst. Er blickte manche der Soldaten direkt an und trat dann geradewegs vor mich. Seine grünen Augen bohrten sich in die meinen und als ich keinerlei Reaktion zeigte, hob sich sein rechter Mundwinkel an.

„Alyra Dearing, richtig?“, fragte er mich amüsiert. „Ja, Sir, das ist korrekt“, antwortete ich mit militärischer Intensität. „Du hast dich als unsere talentierteste Kämpferin erwiesen und wirst deshalb in unsere beste Truppe verfrachtet. Ich wünsche dir viel Erfolg“, erklärte er, seine Stimme war umschmeichelnd und gleichzeitig drohend. „Abtreten!“, fügte er scharf hinzu und ich bewegte mich mit einem Ruck vorwärts. Die metallische Halle, in der diese Einberufung stattgefunden hatte, ließ meine Schritte durch den Raum widerhallen und hüllte alles in eine stille

und angespannte Situation. Selbst als ich bereits die Tür geöffnet hatte, konnte ich noch die innere Nervosität meiner Mitstreiter spüren. Ein plötzlicher Schmerz an meinem Arm riss mich wieder in die Wirklichkeit und ich war mehr als dankbar dafür. Ich wollte momentan nicht herausfinden, was genau mich nach dieser Szene erwartet hätte. Müsste ich abermals den Anblick meines verdorbenen Ichs miterleben? Wie ich ohne mit der Wimper zu zucken einen Mensch nach den anderen tötete? „Raus da!“, schrie eine unbekannte Stimme und ich wollte die Person, die

mir vorhin die Tür gegen den Arm gerammt hatte, näher betrachten, doch als ich einen Schritt nach draußen tat, war diese bereits schon verschwunden. „Was zum …? Was ist hier los?“, fragte ich mich leise und verschaffte mir einen Überblick. Oh Gott. Nein! Alle Eindrücke holten mich gleichzeitig ein; die Kanonen am Horizont, die stinkende Rauchfahnen hinter sich herzogen, die qualmenden Waggons und Container, das hektische Treiben der Soldaten und die lauten Schreie von Frauen. Alles war in eine ohrenbetäubende Lautstärke eingehüllt, so dass ich mich kaum konzentrieren

konnte. Nervös suchte ich nach Anhaltspunkten; wohin ich gehen musste, was ich unternehmen konnte, einfach alles Menschen mögliche. Für einen Moment dachte ich darüber nach, vielleicht an der Front mitzuhelfen. Immerhin besaß ich ja mutierte Gene. Ein hysterisches Lachen entkam mir. Warum benahm ich mich so seltsam? Warum betrachtete ich meine derzeitige Lage so einfach und unkompliziert? Ich bemerkte momentan nicht mal, dass ich immer noch vollkommen unter Schock stand. Irgendwann gelang es mir endlich einer rennenden Meute zu folgen und alles um mich auszublenden. Alles;

die Schüsse, die Bomben, das Schreien, das Weinen. Ich wollte wieder all dem entfliehen, vor der Realität flüchten, einfach alles um mich vergessen und mich in eine meiner Traumwelten wünschen. In einer meiner Wunschwelten hatte ich meine Mutter noch. Ich hatte mir so lebhaft wie möglich ausgemalt, wie es wohl wäre, eine weibliche Bezugsperson zu haben. Hätte sie mir das Backen beigebracht und mit mir Klavier geübt? Hätte sie mit mir die Hausaufgaben gemacht und mir über meine Haar gestrichen, wenn ich wegen irgendetwas traurig gewesen wäre? In welcher Welt hätte mir wohl so etwas Schönes

passieren können? Wirklich, wie hatte ich auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwenden können? Ich spürte am Rande meines Bewusstseins, wie mich meine Beine weitertrugen und ich durch das Lager rannte, als würde es tatsächlich irgendwo Schutz für mich geben. Doch waren wir nicht mal realistisch, gab es irgendwo auf der Welt überhaupt einen Unterschlupf für einen mutierten Freak, wie mich? Diese Tatsache war übermächtig, wollte Besitz von mir ergreifen, doch es war nicht mein Verstand, der meinen Körper gerade steuerte; es war Panik, nackte

Panik. Und dann geschah das Unvermeidliche; ein ohrenbetäubender Knall ertönte geradewegs neben mir. Für einen Moment war es, als würde die Zeit stehen bleiben, als würde die Zeit nur ein einziges Mal für mich stoppen. Ich sah die grelle Kanone rechts von mir, auf ihrem silbernen Lack war das gegnerische Wappen eingraviert. In diesen kleinen Augenblick wirkte sie ungefährlich, berechenbar. Jeder wusste, was jetzt passieren würde. Diese scheinbar friedliche Metallhülse wird bei ihrem Aufprall eine gewaltige Menge an Energie freilassen und mit ihrer Druckwelle uns alle fortschleudern.

Wir würden schwere Verletzungen davon tragen, wenn wir nicht sogar tot wären. Alle würden sie versuchen sich zu schützen, auf den Boden zu legen und vielleicht ihre Liebsten mit ihren Körper abzuschirmen. Damit diese es überleben. Doch was würde dann die Beschütze tun, wenn ihr Held dabei selber sterben würde? Warum denkt der Held in diesen Moment nur in eine Richtung und nicht in mehrere? Die Beschützte würde den Rest ihres Lebens dieses Bild vor Augen haben, wie jemand das eigene Leben für dich opfert und man selbst nichts anders unternehmen kann, als dabei zu zusehen.

Warum verstanden die Helden das nicht? Warum waren sie so egoistisch und schenkten ihren Liebsten in den Moment in den sie sich für sie opfern, nicht mehr als Jahre voller Schuldgefühle und Albträume? Die Welt war leider nicht so einfach, wie man sie zu sehen glaubte. Manche sagten, es wäre nur eine Sache der Ansicht. Doch meiner Meinung nach lief es immer wieder auf dasselbe hinaus: Egal, was man auch glaubt unternehmen zu können, gegen die Macht des Schicksal kann man letztendlich auch nichts ausrichten. Deshalb blieb ich stehen, als ich die Bombe sah und ließ die Menschen an mir vorüberziehen. Ich sah ihnen nach. Sie

hatten bis zum letzten Augenblick die Hoffnung, dass sie es überleben könnten, obwohl die Situation vollkommen aussichtlos war. Da stand ich nun, blickte zur Bombe hoch und beobachtet fasziniert, wie sie auf den Boden aufprallte. Ich sah das grelle Licht, der frei werdenden Energie, spürte die Druckwelle, die sich erwartungsvoll aufbäumte, um uns zu vernichten und konnte sehen, wie sich all die Hoffnungen und Träume der Menschen um mich in Luft auflösten. War das Schicksal nicht grausam, wie es Leute in den Tod riss, ohne dass diese sich von dem Hier und Jetzt verabschieden konnte? Wie es seine

Tentakel ausfuhr und damit unser Leben und unsere Geschichte entschied? Ich konnte jeden Wimpernschlag spüren, ich spürte alles und gleichzeitig gar nichts. Ich konnte endlich meinen Leben ein Ende bereiten, konnte mein inneres Monster vernichten und mich endlich als derjenige preisgeben, der ich wirklich war; ein Feigling. Fasziniert betrachtete ich die Explosion, die 20 Meter in die Luft ragte und aus einem Farbmischung aus orange, rot und gelb bestand. War es nicht lächerlich, wie etwas so Schönes, so zerstörerisch sein konnte? Wahnsinn, nicht? Ich nahm kaum noch war, wie mich die

Druckwelle erfasste und mich mit sich zog, mich in mein Verderben begleitete und mich an einen anderen Ort brachte. Existierte so etwas, wie Hölle und Himmel? Ich hatte mir noch nie darüber Gedanken gemacht, auch wenn der Tod in letzter Zeit ein täglicher Begleiter von mir gewesen war. Wohin würde ich gelangen? In die Hölle oder in den Himmel? Ich hatte schreckliche Dinge getan, zumindest glaubte ich das, als man mich in dieses Monster verwandelt hatte. Doch würde Gott den Unterschied erkennen? Würde er erkennen, dass ich das nicht bewusst getan hatte? Oder vielleicht doch? Ich wusste selber nicht

mal, was mich zu den Taten getrieben hatte und kannte mich selbst nicht wirklich. Warum also sollte ich auf Vergebung hoffen? Von wem? Der Schmerz übermannte mich, alles um mich verschwamm und zurück blieb nur diese eine Frage: „Wer vergibt mir?“

Bitte um Vergebung

Müde blickte ich auf die gegenüberliegende Wand des kahlen Raumes. Ich hatte es schon wieder getan, schon wieder getötet und dabei nur dieses merkwürdige dumpfe Gefühl in meinen Herzen gespürt. Was wollte es mir damit sagen? Verzweifelt schüttelte ich den Kopf und stöhnte. Was nur war mit mir passiert? Ich saß auf meinem Bett mit silber-grauen Bettwäsche und schmucklosen Gestell, die Ellbogen auf den Oberschenkel abgestützt und die Hände in den Haaren vergraben. Seit Near mich aus meiner alten Welt befreit hatte, konnte ich endlich mein volles

Potential entfalten, mir meiner Stärke bewusst werden und nicht mehr als Schwächling in der Gesellschaft wahrgenommen werden. Er hatte mir alles gegeben, sogar eine unglaubliche Macht, dennoch spürte ich tief in mir immer wieder diese Hilferufe, als würde mein Körper in mir selbst ertrinken und müsste gerettet werden. Ich hatte in letzter Zeit immer öfters diese Anfälle in denen mich nutzlose Emotionen überwältigten und mich einschränkten. „Verdammt!“, zischte ich zornig, stand ruckartig auf und schlug mit voller Wucht gegen die Zimmerwand. Sofort gab das Holz nach und zersplitterte

durch meine Faust. Mit vor Wut bebendem Mund blickte ich das Loch an und schüttelte genervt den Kopf. „Warum zum Teufel lässt mich dieser Scheiß nicht einfach in Ruhe!“, brüllte ich und schlug abermals zu. Diesmal erweiterte ich das gaffende Loch um einen ganzen Meter. Erst durch ein zögerliches Klopfen wurde ich aus meiner Wutstarre gezogen. Mit einer ruckartigen Kopfbewegung zu Tür, brummte ich gereizt: “Was?“ Eine unzumutbare Zeit später, senkte sich endlich die Klinke und ein Junge meines Alters betrat den Raum. Seine Augen wirkten unglaublich groß und ich

konnte seinen Angstschweiß selbst in diesen Abstand riechen. „Was, verdammt nochmal?“, fuhr ich ihn erneut an und ließ ihn damit zurückschrecken. Er versuchte mutig einen Schritt nach vorne und verkündete stotternd: „Near hat nach dir gerufen, Solea!“ Meine Augen rissen auf, als ich den Namen „Near“ hörte und ich stieß den Schwächling wütend gegen die Wand. „Warum hast du das nicht gleich gesagt, du verfickter Bastard!“ Ohne den verängstigten Haufen Elend noch eines Blickes zu würdigen, stolzierte ich an ihm vorbei, geradewegs zu Nears Büro. Als ich durch die Gänge

hetzte, konnte ich im Hintergrund die übliche Reaktionen der anderen auf mich wahrnehmen: das Verbeugen und hektische Ausweichen, die angstvoll geflüsterten Worte meiner Mitstreiter. Schnell erreichte ich mein Ziel und blieb ehrfürchtig vor der Tür stehen und starrte diese lange an. Es war respektlos meinen Meister so lange warten zu lassen, darüber war ich mir durchaus bewusst, doch in diesen Zustand würde er mich sofort durchschauen und mir mit seinen giftgrünen Augen jedes einzelne Wort entlocken können. Gerade wollte ich endlich vortreten und an der Tür klopfen, als sich diese geradewegs vor mir öffnete. Natürlich

blickten mir sofort seine Augen entgegen. Sie schienen alles sofort zu identifizieren und analysieren, jedes einzelne Detail wahrzunehmen und seine Umwelt in Angst und Schrecken zu jagen. Doch ich schaffte es mich zusammen zu nehmen und meine emotionslose Miene aufzusetzen. Er lächelte mich strahlend an und irgendwo in mir schauderte es. „Komm doch rein, meine schöne Solea“, forderte er mich mit einer Engelsstimme auf und ich nickte mechanisch. Mit großen Schritten betrat ich den Raum und setzte mich wie immer auf den Stuhl vor seinem Pult. Allein schon sein Büro ließ an die

Besucher eine Drohung vermelden: Alles war in den machtvollen Farben silber und schwarz möbliert, der gigantische Schreibtisch war der Mittelpunkt des Raumes. Dahinter hingen Reihen von Medaillen und Auszeichnungen, ein Bild eines gigantischen Wolfes prangte auf der gegenüber liegenden Wand. „Setz dich“, forderte mich die Stimme dicht hinter mir auf und ich gehorchte. Sofort konnte ich das Leder des weichen Sessels spüren, dass sich um meinen Körper schmiegte und für einen Moment entspannte mich die Situation. Doch die Illusion wurde mit dem Ertönen von Nears Stimme zerstört. „Solea … hast du eine Ahnung, warum

ich dir diesen Namen gegeben habe?“, fragte er ruhig, neugierig und aufreizend. Wer, außer Near, konnte so viele Emotionen in nur einen einzigen Satz miteinbringen? Ohne den Blick von den Medaillen abzuwenden, antwortete ich mechanisch: „Solea war eine mutige und stolze Soldatin des Silbernen Reiches. Sie hatte sich als Mann verkleidet, um die Regel zu brechen, die besagt, dass nur Männer über 20 Jahren in den Krieg ziehen dürfen. Sie gilt deshalb als eine Art Symbol für die Emanzipation von Frauen.“ Während ich geredet hatte, musste sich Near von hinten genähert haben, denn

ich konnte plötzlich seinen heißen Atem auf meiner Haut spüren. Nur mit größter Mühe konnte ich meinen Körper eine Reaktion darauf ausreden. „Was hältst du von Solea?“, seine Stimme kitzelte mich am Ohr, er schmunzelte. Mein Gesicht verzog sich darauf. Mir war durchaus bewusst, dass er versuchte mir etwas zu verdeutlichen und deshalb eine seiner Taktiken anwendete. Wenn ich hier lebend wieder hinaus kommen wollte, musste ich an diesem kranken Spiel teilnehmen. „Verzeiht mir meine Ausdrucksweise, General, aber ich empfinde die Tat „Soleas“, als schwachsinnig und nicht

gut durchdacht.“ „Ach wirklich? Warum ist sie dann auf so viel Zustimmung in der Bevölkerung gestoßen?“ Ich spürte, wie sich mein Körper anspannte, Near aber weiterhin an Ort und Stelle blieb. Wie lange würde er mich noch bestrafen? „Anscheinend war zu dieser Zeit den Frauen jegliche Art von Gleichberechtigung willkommen, selbst wenn sie sich dazu in den sicheren Tod stürzen müssen.“ „Warum denkst du hat sie das getan?“ Er hörte immer noch nicht damit auf? Was wollte er von mir? Hatte ich diese

Frage nicht gerade schon beantwortet? „Wie gesagt, General, sie schien sich für die Rechte der Frauen einsetzen zu wollen.“ „Warum?“ „Sir, ich kann mich nicht in die Situation dieser Frau zu damaligen Zeit hineinversetzen, mir sind deshalb die Antworten auf viele Entscheidungsfragen nicht bekannt.“ „Beantworte die Frage, Solea!“, beharrte er und verdunkelte seine Stimme mit einem drohenden und gereizten Ton. „Vielleicht verlangte sie eine Art Wende in der Bevölkerung, sie beabsichtigte wohlmöglich den Ausbruch einer…“, ich brach ab, ich konnte es unmöglich

aussprechen. „Einer was?“, hakte Near nach und trat vor mich. Seine giftgrünen Augen starrten mich intensiv an und war sehr beunruhigend. Ich senkte den Kopf, wollte den Blick ausweichen und antwortete geschlagen: „Solea beabsichtigte eine Art Revolution.“ Seine Hand hob mein Kinn an und ich konnte das Grinsen in seinem Gesicht sehen. Er wusste genauso gut wie ich, dass er mir gerade meine Aufgabe zugeteilt hatte. „Es gibt einen Sinn, weshalb ich diese Forschung begonnen und ausgerechnet Menschen wie dich ausgewählt habe. Ihr

seid dazu berufen etwas zu ändern und du, Solea, du wirst der Kern des ganzen sein.“ Der Schmerz war das erste präsente nach der Erinnerungen, nach der Explosion, nach allem. Er schien einzig und allein der Wirklichkeit anzugehören, ein Teil von etwas zu sein, zu den ich gelangen wollte, aber nicht konnte. Ich lebte? Warum? Es war dunkel, wo immer ich mich auch befand. Ein nicht identifizierbarer Geruch lag in der Luft und ließ mich schummrig werden. Die Augen zu öffnen wagte ich nicht. Die Bombe war explodiert, versuchte ich

meine Gedanken zu ordnen, Menschenmassen hatten versucht zu fliehen, konnten aber nicht entkommen. Ach ja, und ich war möglicherweise ein Monster. Leblos. Grausam. Kalt. Mit einem Schlag spürte ich meinen Körper wieder und wurde mir des Schmerzes bewusst, der auf mir lag. Woher genau dieser kam, war unmöglich zu sagen. Hörte ich da Schreie? Nein, das war unlogisch, ich lag doch unter einem Schotterhaufen. Oder? Meine Augen rissen schlagartig auf und ich konnte meinen Körper bewegen. Die Masse, die auf mir lag, schien sich leicht

anheben zu lassen. Ich musste aufstehen, verdammt noch mal. Nochmal ein Schrei? Waren da Schritte? Alles war gedämpft durch den lauten Pfeifton in meinen Ohren. Erster Versuch, aufstehen. Es funktionierte nicht. Nochmal und ein weiterer Versuch. Wieder nicht. Ich wollte gerade aufgeben, da übermannte mich plötzlich eine Stärke, die mich dazu brachte aufzustehen. Ich wusste woher diese rührte. Aus meinem „fremden Ich“, aus dem Monster in mir. Ich schaffte es problemlos den Schmerz auszublenden und meine Umgebung zu mustern. Durch einen verschwommenen Schleier

erkannte ich schnelle, vage Szenen. Ein hohes Feuer im Hintergrund, schreiende hektische Soldaten, dessen Gliedmaßen neben ihnen lagen und vollkommen zerfetzt worden waren. Soldaten, die rannten und zusammenklappten, Tränen, Blut, Leid. Ich hielt meinen Kopf, drohte das Gleichgewicht zu verlieren. Das war zu viel für mich, doch ich musste durchhalten und bei Bewusstsein bleiben. „Nur, damit du weiterleben und töten kannst?“, fragte mich herausfordernd eine Stimme in mir. „Ja ...aber diesmal für die richtige Seite.“ Ich ignorierte die Schmerzen, die

schreckliche Szene um mich und den Geschmack von Blut im Mund. „Ich werde helfen, denn ich bin keine Marionette!“, zischte ich entschlossen und rannte los. Im Vorbeigehen schnappte ich mir ein Gewehr, sowie ein Messer und schnallte es an mich. Ich würde töten und mir war vollkommen egal, was für Konsequenzen das haben würde. Ich bin weder Alyra Dearing, noch Solea. Ich bin jemand dazwischen, jemand der sowohl Alyra, als auch die kaltblütige Solea war. Ich hatte die Menschlichkeit meines alten Ichs und die genmanipulierten Kräfte meines inneren

Monsters. „Nennt mich wie ihr wollt...“, brüllte ich laut und rannte Richtung Schlacht, Richtung Schüsse und Richtung meines neuen Ichs. Ich registrierte noch bevor ich etwas sehen konnte die Situation und nahm die Container als Versteck. Der ganze Himmel war von Hubschraubern und Jets benetzt, im Hintergrund konnte man ganze Massen von Soldaten auf das Lager zurennen sehen. Irgendwo vernahm ich auch das Brummen eines Automotors und wusste plötzlich, was zu tun war. Ich schlich geschickt durch die

Ansammlung von Wagons und Containern und suchte mir die Leiche eines Soldats. Als ich kurz danach eine fand, wusste ich nicht, ob ich glücklich oder verstimmt sein sollte. Trotz des Größenunterschiedes zog ich grobe Teile der Rüstung an und schlang außerdem provisorisch den Munitionsgürtel um meinen Körper. Ein paar Sekunden zu lange starrte ich noch auf die Leiche und schloss die Lider des Mannes. Er schien noch sehr jung gewesen und sein Körper musste von einen Kugelhagel zerfetzt worden sein. Wollte ich da wirklich rausgehen? Würde ich ebenso sterben? Irgendwo

inmitten des eigenen Lagers und nur von einen kleinen genmanipulierten Mädchen entdeckt? Ich spürte auf meiner Blut verkrusteten Haut eine Träne und blickte nochmals auf den Soldaten unter mir. „Ich werde dich rächen, selbst wenn es das einzige ist, was ich je in meinen Leben tun werde!“ Ich rannte nun, nahm immer noch die Metallbauten um mich als Deckung und suchte Komplizen. Fehlanzeige. Der ganze verdammte Ort war verbrannt und verlassen, überall lagen Leichen und der penetrante Geruch von Blut stieg mir in die Nase. Irgendwann bohrte sich die

schlecht sitzende Rüstung so sehr in meine Wunde, dass ich mich dazu genötigt fühlte eine Soldatin meiner Größe zu suchen und sie ebenfalls auszunehmen. Ich hasste mich ein kleines bisschen mehr dafür. Irgendwann wurden die Schüsse lauter und der Rauch dichter. Ich konnte Worte in fremder Sprache hören und entdeckte um die nächste Ecke das Schlachtfeld. Diesen Anblick würde ich wohl niemals vergessen können. Meine Muskeln erstarrten, meine Augen vergaßen das Blinzeln und ich begann zu zittern. Überall brannte es, tausende von

Soldaten bekämpften sich neben riesigen Haufen von Leichen. Granaten wurden auf die Kampfwagen geworfen und die darauf folgende Explosion riss mehrere dutzende Soldaten mit in den Tod. Die Angriffswelle kam vom Osten über den Berg, also der gleichen Stelle an der ich ein paar Tage zuvor auch in silberner Rüstung gerannt kam. Alles wirkte so unglaublich unkoordiniert und ungeplant, so dass man es nicht mal mehr als Überraschungsangriff bezeichnen konnte. Immerhin musste zumindest eine Seite den Angriff geplant haben. Oder irrte ich mich da? „Oh Gott sei Danke eine unverletzte

Soldatin!“, hörte ich eine erleichterte Stimme hinter mir Sie kam mir sehr bekannt vor. Ich drehte mich zu ihr um und blickte in ein wenig begeistertes Gesicht. „Alexis“, knurrte ich genervt. Sie sprang von den Container und blickte mich wütend an. Sie war in diesem Licht , mit den Feuer im Hintergrund und den roten Haar, einer Todesgöttin gleich. Ich wehrte mich nicht, als sie mich ungestüm gegen eine Metallwand rammte. „Wie zum Teufel bist du entkommen!“, zischte sie zornig, „du bist das Letzte, was wir gerade gebrauchen können und

was soll dieser Aufzug, wen hast du das geklaut?“ Ich reagierte kaum auf ihre Worte. Mit einer einzigen schnellen Handbewegung stieß ich sie zu Boden und blickte sie ausdruckslos an. In diesen Moment war ich mehr Solea, als jemals zuvor. Ich hätte gut damit leben können, sie einfach zu erschießen. „Vielleicht sollten wir unsere Rivalitäten beiseite lassen und zusammen kämpfen“, schlug ich vor, wartete aber nicht auf eine Antwort ab und rannte schnurstracks in das Schlachtfeld. Ich riss einer kleinen Soldaten die bereits geöffnete Granate aus der Hand und warf sie zielgenau auf eine

Ansammlung von Bombenwerfer in der Ferne. Das Mädchen blickte mich verstört an und riss ängstlich die Augen auf. Das war einer der letzten deutlichen Bilder, die ich von dieser Schlacht noch im Gedächtnis hatte. Ich schlug unzählbare Massen von Soldaten nieder, konnte im letzten Moment noch Bomben oder Granaten verhindern, versuchte den Sinn dieses Kampfes zu begreifen, versuchte verzweifelt jeden und alles zu retten und achtete dabei nicht darauf, was ich eigentlich gerade anstellte. Nein, Alyra, du tötest keine hunderte von Menschen. Nein dieser Soldat wurde

nicht von einer Granate in hunderte von Einzelteilen zerteilt. Ich versuchte mir soetwas immer und immer wieder einzureden, die grausamen Szenen zu ignorieren, doch im Endeffekt war es nutzlos. Ich hatte sie alle getötet, in der Hoffnung auf Vergebung. Sie versucht zu retten, und schützen. Doch es war sinnlos, sie alle starben vor meinen Augen. Ich konnte nicht auf Vergebung hoffen, wenn ich so etwas zu verantworten hatte. „Schau mal, Alyra. Schau doch her!“,

forderte mich Lars ungeduldig auf und ich hob grimmig den Kopf. „Was ist denn?“, fragte ich genervt. Ich hörte wie er schnell in die Küche rannte und mir ein verschlossenes Glas vor die Augen stellte. Da drin war ein schon ziemlich müde wirkender Schmetterling eingeschlossen. Entsetzt riss ich die Augen auf und schraubte den Deckel ab. Das Insekt besaß nicht einmal mehr genug Kraft sich zu befreien. „Lars, er hat gar keine Luft mehr bekommen! Du hast ihn fast umgebracht“, schrie ich ihn mit den Tränen in den Augen an. „Stimmt doch gar nicht“, behauptete

Lars beleidigt und setzte sich motzig neben mir. Er wirkte wirklich verletzt. „Es...“, versuchte ich anzufangen, doch seine Miene brachte mich zum Schweigen. „Ich hab mir so viel Mühe gegeben ihn zu fangen und du regst nur darüber auf! Du hast doch immer gesagt, dass du gern ein Schmetterling wärst, damit du einfach weg fliegen könntest. Ich kann dich zwar nicht in einen Schmetterling verwandeln, aber ich kann dir einen schenken.“ Missmutig blickte ich auf den sterbenden Schmetterling und wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. In gewisser Weise war ich ja wie das kleine

Geschöpf. Gefangen im Käfig, gefesselt vom Leid des Alltags und verdammt darin zu sterben. Ein letztes wildes Flattern und der schöne Schmetterling war tot. Ich starrte auf das dunkle Blau, der Flügel und prägte mir die Farbe ein. Später würde sie die Gleiche sein, wie die Farbe auf meiner Blut bespritzten Rüstung. Als ich wieder zu Bewusstsein kam, spürte ich das beruhigende Brummen eines Motors und die Wirkung einer hohen Dosis Schmerzmittel in meinen Körper. Warum träumte ich von Lars? Er war doch schon seit zwei Jahren im Krieg

gestorben, warum ausgerechnet jetzt? Trotz der Müdigkeit und meinen benebelten Sinnen, öffnete ich meine Augen und fand mich einen beleuchtenden Innenraum vor. Erst jetzt hörte ich das Atmen und Schnaufen anderer Menschen. „Na, Tiger, bist du auch endlich mal wach?, vernahm ich eine bekannte Stimme und spürte seltsamerweise Erleichterung. Jet! Gott sei Dank! Ich war nicht wieder in Near's Händen. Ich richtete mich lächelnd auf. „Hast ganz schon losgelegt im Schlachtfeld. Hab noch nie jemanden so schnell so viele Leute umbringen sehen.“ Jet war direkt vor mir und hatte trotz

der vielen Wunden nichts an seinem „Comic“ Charme verloren. Seine blonden Haare waren nach wie vor hochgestylt und das Haarband saß immer noch an Ort und Stelle. Er schien das hautenge Untergewand seiner Rüstung zu tragen und hatte an mehreren Stellen Verbände. Am anderen Ende des Raumes entdeckte ich Alexis, die alles andere als arrogant und zickig war. Sie hatte ihrer Arme um sich geschlungen und kauerte hin und her wippend vor sich hin. Ihr schien die Schlacht deutlich mehr auszumachen als Jet. „Was ist passiert? Wo sind wir? Und warum bin ich bei euch?“, fragte ich schließlich und wunderte mich, warum

es mir so schwer fiel meine Gedanke in Worte zu fassen. Jet belächelt meine lallende Aussprache und antwortete: „Der Angriff war von keiner Seite geplant. Der gegnerische Karavan schien urplötzlich auf uns losgeschickt worden zu sein. Es war gesinnungsloses Gemetzel. Es konnten sich nicht viele retten und die Gegner wurden angewiesen bis auf den letzten Mann zu kämpfen. Noel und wir versuchten möglichst viele zur Flucht zu verhelfen und Vorräte zu sammeln. Doch alles war zerbombt und explosiv. Alexis hat dich gefunden und konnte Noel überzeugen, dass du uns von Hilfe sein wirst. Haben

dich ja alle kämpfen gesehen. Bist zwar ein Risiko aber eine extrem gute Kämpferin. Wo hast du das gelernt?“ Es wunderte mich, wie detailliert und ausführlich er geantwortet hatte. Bis jetzt hielt ich Jet immer nur für einen Menschen, der nur redet um Sprüche zu klopfen und Eindruck zu schinden. Und Alexis? Ich konnte nicht glauben, dass ich ausgerechnet ihr mein Leben zu verdanken hatte und ehrlich gesagt wusste ich gar nichts mit der unbeglichenen Schuld anzufangen. Ich hatte immerhin nie in der Schuld von irgendjemanden gestanden. „Hab ein bisschen was vom Kämpfen schon vor all dem hier gewusst“,

antwortete ich ,“aber den größten Teil hab ich wohl von Near gelernt.“ „Du erinnerst dich wieder?“, ertönte plötzlich eine ziemlich scharfe Stimme aus dem Führerhaus. Noel. Ich erstarrte und setzte eine ausdruckslose Miene auf. „Nicht an alles, nur an einzelne Szenen“, antwortete ich wahrheitsgemäß und wartete nicht auf eine Reaktion ab. „Ich weiß, dass du jetzt befürchtest, ich würde wieder zu der Furie werden zu der mich Near gemacht hat, aber“ -“was aber?“, unterbrach mich Noel herrisch. Großer Gott, der Typ hatte überhaupt keine Geduld. „Aber“, fuhr ich betont fort,“ich hätte

sterben sollen, weil ich Near hintergangen habe.“ Auf einmal fielen alle Blicke verwundert auf mich und starrten mich entgeistert an. Ich hatte keine Ahnung, woher ich das plötzlich wusste, aber ich war mir sicher, dass es stimmte. „Wie schafft man es Near zu hintergehen? Er durchschaut doch jeden auf Anhieb“, warf plötzlich Alexis ein und ihre Stimme war ein Tick zu leise und brüchig als normalerweise. „Ich weiß es auch nicht genau … aber ich hab ihn hintergangen. Ich weiß, dass wenn ich Near über den Weg laufen werde, er mich bis zum Tode foltern und

quälen möchte. Er hat mir meine Erinnerungen genommen und mich als unsicheres Mädchen in ein Schlachtfeld geworfen. Ich hätte nicht mal die erste Schlacht überleben sollen, die zweite schon gar nicht!“ Der Wagen stoppte ruckartig und mit einen lauten Rumpeln kletterte Noel durch das Fahrerhaus und blickte mich hasserfüllt an. Doch das schien mir im ersten Moment egal zu sein. Ich sah in seine wunderbaren grünen Augen, blickte auf das enge Muskelshirt, das alles wichtige betonte und verlor mich in den Schnörkeln seines dunklen Tattoos. Ich wusste, was er mir vorwerfen würde

und wartete mit geschlossenen Augen auf seine Anschuldigung ab. „Du sagst Near wäre extrem sauer auf dich gewesen. Sagen wir mal so sehr, dass er einen ganzen Militärskaravan auf ein Lager schicken würde, nur weil du da drin lebst?“ Ich konnte meine Lider nicht öffnen und ihn mustern. Er würde noch mehr Hass in den Augen haben, als zuvor und ich wusste nicht, ob ich dem standhalten könnte. „Near ist unglaublich hasserfüllter Mensch. Das kann sehr schnell in Wut umschlagen. Ich würde also lügen, wenn ich deine Anschuldigung abstreite.“ Ich hörte wie jemand ins Führerhaus

stieg und den Motor anschaltete. Kurz darauf begann der Wagen sich fortzubewegen. Als ich meine Augen öffnete und Noel vor mir fand, überraschte es mich. Sein Blick war fest auf mich gerichtet, doch ich sah kein Hass mehr darin. Für einen kurzen Moment dachte ich daran, wie er mit mir im Arm geschlafen hatte und ich ihn dabei mustern konnte. Würde das jemals wieder so sein können? „Wir hätten sie nicht mitnehmen sollen, sie ist eine viel zu große Gefahr“, sagte er schließlich kopfschüttelnd. Alexis stand schlagartig auf: „Sie ist eine Gefahr, aber momentan

nicht für uns! Wenn deine Anschuldigung wirklich war sein sollte, dann haben wir jemand wirklich Mächtiges auf unserer Seite und sollten wir das nicht ausnutzen?“ „Sie hat vielleicht zehntausende von Soldaten auf dem Gewissen, Alex!“, brüllte er und das Gefährt ließ seine Worte widerhallen. „Wären die nicht so wieso gestorben? Sie wären dann eben in einen geplanten und gut organisierten Kampf gestorben. Was genau ändert das? Tot ist tot!“ Ich hatte keine Ahnung, weshalb Alexis, oder wie Noel sie genannt hatte, Alex, mich so sehr schützte. Im Grunde genommen war mir das egal, denn als ich

sah, wie Noels Hand vorschnellte, griff ich nach seinem Arm und zog ihn trotz der starken Schmerzmittel zu Boden. „Hört verdammt nochmal auf euch zu schlagen! Wir sind im Krieg ihr Idioten! Gewalt gibt es doch sowieso genug hier!“, ich schrie so laut, dass ich die beiden für einen Moment zum Erstarren brachte. Ich hatte keine Ahnung, woher ich plötzlich die Kraft und den Mut nahm, das alles zu tun, doch ich spürte den Stolz in meiner Brust, als ich die Wirkung sah. Alex begann zu weinen und hockte sich auf die an den Fahrzeugwand befestigte Bank, Noel atmete mehrmals tief durch und setzte sich ebenfalls. Er wirkte

unglaublich erschöpft, als er sich durchs Haar und anschließend über sein Gesicht fuhr. „Die Tigerin, hat Recht. Wir müssen lernen zusammen zu arbeiten“, entgegnete Jet aus dem Führerhaus und Noel blickte mit einer undefinierbaren Miene nach vorne. „Warum zum Teufel, sollten wir auf sie hören?“ „Zum einen, damit wir uns nicht gegenseitig zerfleischen und zum anderen, weil gerade alle restlichen Wagen überfallen werden.“ Stille … und dann ein Knall.

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Hörbuch

Über den Autor

fallingx3
http://www.bookrix.de/-falling/ Ihr findet mich auch auf bookrix!

Ich bin durch meine Freunde zum Schreiben gekommen. Was anfangs nur kurze Geschichten ohne tieferen Sinn waren, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer echten Leidenschaft. Ich liebe es beim Schreiben all meine Frust und meine Wut rauszulassen, Personen und Welten zu erschaffen, die ich selbst gerne verkörpern würde.

LG, falling

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cooki Ich habe dir für das Buch schon einmal einfavo gegeben, obwohl ich da noch nicht den Schluss kannte. Jetzt bin ich entlich dazu gekommen es fertig zu lesen. Es gefällt mir immer noch sehr gut und ich gebe dir dafür gerne die coins.
Schreibst du an einen weiteren Teil, würde mich interssiern wie die Geschichte weiter geht.
Liebe Grüße
Cooki
Vor langer Zeit - Antworten
Angel2014 Dieses Buch ist so schön, wie die aus der Büchhandlung. Du kannst echt gut schreiben und auch so eine gute Geschichte erfinden!
Vor langer Zeit - Antworten
fallingx3 Danke für deinen Kommentar. Freu mich sehr darüber :D
Vor langer Zeit - Antworten
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