Kurzgeschichte
Jeder hat 2 Würfe

Jeder hat 2 Würfe

Graschena Gronikowska saß zusammen gekauert an der Wand ihres Einzimmerapartments. Es war doch noch so früh, sie hatte es ihren Eltern doch noch gar nicht gebeichtet, was sollte sie jetzt nur tun? Welche Optionen hatte sie noch? Ihre Eltern würden sie verstoßen, das Sozialgeld würde nicht reichen. Sie selber aß manchmal drei Tage nicht, weil sie kein Geld hatte und sich nicht traute, ihre Eltern wieder zu belästigen.
Aus ihrer Minianlage von Plus, kamen blechern die Reime von Cool Savas. Er sagte es ihr, die Welt war scheiße und sie war gefickt! Das blutige Bündel vor ihren blutigen Beinen bewegte sich. Es atmete. Zitterte. Sie hatte das Fenster aufgemacht, vielleicht würde es ja erfrieren und der Spuk hatte ein Ende.
Mohamed würde alles für sie tun, so sagte er, doch was konnte er machen? Er war doch selbst nur auf Asyl in Deutschland, bekam im Monat 120 Euro zum Leben. Was sollten sie nur tun. Sie würden zusammen ziehen, vielleicht heiraten und ihre Eltern würden durchdrehen.
„Du kannst alles machen!“ sagte ihr Vater, als er heraus bekam, dass sie mit Mohamed ging. „Aber schleppe uns keinen Moslem an! Die sind nicht wie wir. Du musst konvertieren und wir sehen dich und unseren Enkel nie mehr!“
„Das sind keine Christen!“ warf Mama ein. „Schau dir ihre Länder an, die versinken in Chaos und Blut.“
Mohamed war anders. Er war offen, wollte hier Leben. Er war im Iran gefoltert wurden, weil er eine andere Meinung hatte. Er liebte sie. Sie liebte ihn. Was sollten sie machen? Sie liebte ihre Eltern, sie würden sie verstoßen.
Das Baby weinte und zitterte. Mohamed, wo bist du? Warum trennt uns das Leben und die Welt. Bist du und ich verdammt zum scheitern? Dürfen wir nicht glücklich sein? Sie umfasste die Nabelschnur, zog sie hoch (Dabei schliff das Kind über den kalten Fliesenboden) und biss sie mit den Schneidezähnen durch. Sie rieb mit ihren Handflächen über ihre blutigen Schenkel und verteilte die braunrote Substanz.
„Oh Gott!“ schrie sie.
Sie rappelte sich auf, stieß mit dem dicken Zeh gegen das blutige Etwas am Boden und es begann zu schreien. Sie griff danach. Ihre Finger legten sich um den Hals des Säuglings, sie schaute es angewidert an. Hielt es in ihrer Hand, wie etwas Fremdes, etwas, was nicht von dieser Welt war und warf es aus dem offenen Fenster. Sie schmiss ihren Hass, ihre Armut und ihre Verzweiflung aus dem offenen Fenster. Und ihre Liebe!
Ihre Liebe zu Mohamed, ihre Liebe als Mutter, ihre Liebe für die Welt. Sie stürzte zum Fenster und sah nach unten. Zwölf Stockwerke unter sich sah sie den roten Fleck.
Was hab ich getan? Oh Gott! Bitte, was habe ich getan?
Sie machte einen Satz, war selbst in der Luft und stürzte. Sie sah den Boden auf sich zurasen, fühlte die Angst, den Schmerz. Jetzt gleich würde sie neben ihrer kleinen Tochter aufschlagen. Zerplatzen, wie das Kind.
Sie holte tief Luft. Das Zimmer war kalt. Es war gerade März und sie schmeckte den Kupfergeschmack des Blutes, der durchgebissenen Nabelschnur. Sie robbte zur Couch und zog die Wolldecke herunter. Sie wickelte das blutige Baby darin ein, legte es an ihre Brust und der kleine Schatz begann zusaugen.
Kurz darauf betrat Mohamed, die Wohnung.
„Schatz, iste Frühburt?“
Sie nickte mit einem Lächeln, sah wie ihr Freund zum Telefon taumelte und den Krankenwagen anrief. Graschena hörte das Schmatzen ihrer Tochter.Tränen füllten ihre Augen.
Jeder hat zwei Würfe!
Ein Märchen. In denen es immer gut ausgeht. Nur ein Märchen!