Kurzgeschichte
Verwischte Grenzen

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"Verwischte Grenzen"
Veröffentlicht am 09. April 2014, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Sandra Cunningham - Fotolia.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Leidenschaftlich sarkastische Hobbyphilosophin, mit Hang zur Selbstironie und ausgeprägter Verachtung für Smalltalk. Seltsam durchgeknallte, eloquente Metalhead, mit Potential zur Herausforderung und einem Talent für absurde Gespräche. Vielseitig interessierte, pferdeverrnarte, schlagfertige Möchtegernpsychologin, mit Faible für Fantasybücher und Horrorfilme. Selbstkritische Mutter- und Fremdsprachenliebhaberin mit Kommaschwäche, gnadenlos ...
Verwischte Grenzen

Verwischte Grenzen

Sie wusste nicht, wo sie war. Sie dachte, sie sei weit weg, in einem Traum der Vergangenheit. Sie erinnerte sich an die vergangenen Momente, die Momente, in denen sie glücklich war, jedenfalls war es das, was sie glaubte. Sie sah ihn dort, in dieser konfusen und irrealen Welt. Es handelte sich um einen dieser fesselnden Träume bei denen sie sicher war dort zu sein, ihn zu leben.

Er legte seine Hand auf ihre Schulter. Sie zuckte innerlich zusammen, bevor sie bemerkte, dass sie eine schwache Stimme hörte, eine Stimme, die... sang. Ja, es war das Radio. Sie lag in ihrem Bett mit seiner Hand auf der Schulter. Einen kurzen Augenblick lang erschien

ihr das irrealer als der Traum, in den sie gesunken war und aus dem man sie geweckt hatte. Aber wer hatte sie geweckt? Nein, das war nicht möglich, er war nicht da. Er konnte nicht da sein, an ihrer Seite, die Hand zärtlich auf ihre Schulter gelegt als wäre es die natürlichste Sache der Welt.

Sie blickte langsam hinter sich. Vage konnte sie eine Silhouette erkennen. Er war verschwommen, aber tatsächlich da. Und gestern? War er gestern auch da gewesen? Neben ihr liegend?

Sie drehte sich erneut um und sah nichts, sie blinzelte mit den Augen und ein Schatten erschien von weitem, als wäre er hinter einem leichten Nebel

verborgen. War das die Wirkung des Joints? Sie wusste gar nichts mehr. Trotz dieses Gefühls vollkommener Irrationalität fühlte sie sich wohl. Zu wohl.

Sie schloss die Augen um sich wieder diesem Zustand der Leichtigkeit hinzugeben, ob er da war oder nicht, war ihr im Grunde egal. Sie wünschte nur in ihren Erinnerungen zu reisen, bis sie unbewusst einschlafen würde.

"Weisst Du, trotz allem liebe ich Dich. Ich liebe Dich sehr." flüsterte er ihr zu.

Sie öffnete erneut die Augen. War sie bereits eingeschlafen gewesen? Seine Stimme war ihr so weit weg vorgekommen, sie hinterliess nur die

Erinnerung eines Echos. Er konnte nicht da sein, das war unmöglich. Sie sahen sich seit Monaten nicht mehr.

Sie begann sich zu fragen, welche dieser beiden Situationen der Traum war. Was war noch real? Und wenn es wahr war? Dies erschien ihr falsch, schlecht sogar. Ohne ersichtlichen Grund begann sie sich schuldig zu fühlen. Und gleichzeitig fühlte sie sich so gut...

Sie hatte es immer gemocht ihn zu fühlen. Seine Hände auf ihr zu fühlen, seinen Geruch zu riechen. Ihn zu hören, mit dieser Stimme, die sie dahin schmelzen liess.

"Ich liebe Dich auch. Ich glaube, das werde ich immer tun." antwortete sie.

Innerlich konnte sie ihn lächeln sehen.

Und wenn dies alles nur ein Traum war, was konnte ihr dann schon passieren? Hinzu kam, dass es stimmte, sie hatte ihn immer noch nicht vergessen. Sie überraschte sich in letzter Zeit oft dabei, wie sie intensiv an ihn dachte. Von ihm träumte. Von dem, was hätte sein können. Sie wusste, dass sie das nicht tun sollte, dass sie sich versprochen hatte, diese Seite umzublättern, nein, sie zu zerreissen. Aber dieses Gefühl, diese tiefe und aufrichtige Gefühl, das sie für ihn hegte, liess sich nicht kontrollieren. Sie schaffte es, es vorübergehend zur Seite zu legen, aber es kam letztendlich immer wieder an die Oberfläche, oft,

wenn sie am wenigsten damit rechnete. Manchmal stellte sie ihn sich vor. In allen möglichen Situationen. Sie erinnerte sich an die Zeit, als er noch da war. Als sie sich noch verstanden, als das Leben schöner, leichter war.

War es das, was sie gerade tat? War all das, was sie in diesem Moment für real hielt nur eine Illusion? Sie wusste es nicht.

"Du bist nachdenklich heute Abend, denkst Du an mich? Fragst Du dich wieder, ob ich gestern auch hier war? Ob ich jetzt da bin? Hör auf damit zu versuchen, dir alles zu erklären, Du weisst genau, dass ich Dich immer heimsuchen werde." hörte sie seine

Stimme sagen.

Plötzlich bemerkte sie, dass sie Angst hatte. Er machte ihr Angst, die Erinnerung an ihn beängstigte sie. Sie wollte nicht, dass er da war, sie wusste nur zu gut, wozu er fähig war. Sie kannte das Ausmass des Einflusses, den er auf sie hatte. Sie hatte es erlebt. Sie begann sich zu fragen, ob sie verrückt wurde. Wurde man auf diese Weise verrückt? Wenn es einem nicht mehr gelang, das Wahre vom Falschen zu unterscheiden?

"Du hast recht." wollte sie ihm antworten. Aber sie schwieg. Dort war niemand, sie halluzinierte, er hatte nicht das Recht hier zu sein, das wusste sie,

sie fühlte es.

Unvermittelt küsste er sie. Ein Gefühl der Schuld stieg in ihr auf. Hatte sie ihn heute Abend herein gelassen, um einige Stunden in seiner Gesellschaft zu verbringen? Hatte sie all ihre Versuche ihn zu vergessen, geopfert für ein paar gestohlene Augenblicke? Sie fühlte sich nicht mehr Herrin ihrer selbst, diese Gefühle würden sie immer hereinlegen, sie würde niemals davon wegkommen, er war wie eine Droge für sie, er liess sie nach Belieben den Verstand verlieren, selbst in ihren Träumen.

Er nahm ihren Kopf zwischen seine Hände, drehte sie langsam zu ihm hin und küsste sie ein weiteres Mal. Dieses

Mal konnte sie sich nicht mehr zurückhalten, sie antwortete auf seinen Kuss. Wahr oder falsch, real oder irreal, gut oder schlecht, sie scherte sich nicht darum. Diesen Moment leben, ihn voll und ganz zu leben, als wenn kein morgen existieren würde, das war alles nach dem sie sich sehnte.

'Manche Dinge sind jede Sünde wert' sagte sie zu sich, bevor sie wieder eintauchte... 

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Hörbuch

Über den Autor

cumerache
Leidenschaftlich sarkastische Hobbyphilosophin, mit Hang zur Selbstironie und ausgeprägter Verachtung für Smalltalk. Seltsam durchgeknallte, eloquente Metalhead, mit Potential zur Herausforderung und einem Talent für absurde Gespräche. Vielseitig interessierte, pferdeverrnarte, schlagfertige Möchtegernpsychologin, mit Faible für Fantasybücher und Horrorfilme. Selbstkritische Mutter- und Fremdsprachenliebhaberin mit Kommaschwäche, gnadenlos ehrliche, tollpatschige, unkomplizierte Vollzeitchaotin mit einer tiefen Ader für Romantik. Rollenspiel- und Fabelwesenbegeisterte, optimistische Zockerin mit einem hochgradigen Sinn für Moral. Momentbedingt begnadete Quasselstrippe, loyaler Morgenmuffel. Nervtötend rechthaberische Klugscheisserin. Also im Grossen und Ganzen harmlos - oder so.

(Falls iiiiiirgendjemand 'ne Ahnung hat, wo sich der verfluchte neonfarbene Eisbär aufhält... ich suche ihn immer noch!)

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Gabriele Einfach phantastisch geschrieben!!
Liebe Grüße, Gabriele
Vor langer Zeit - Antworten
cumerache Oh, vielen Dank für dieses grosse Lob! Freut mich wirklich sehr!
Ganz, ganz liebe Grüsse zurück!
Vor langer Zeit - Antworten
Milan01 Es gefällt mir gut, wie du schreibst. Mag irgendwie deinen Stil.
Tolle Geschichte.
Nehm ich zu meinen Favo's.
Lg Milan
Vor langer Zeit - Antworten
cumerache Schön, das freut mich wirklich sehr! Ist immer toll, wenn man so positives Feedback bekommt.
Dickes Dankeschön!
Vor langer Zeit - Antworten
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