Geboren in der fliegenden Stadt, ist Kellvian lange mit einem Leben konfrontiert, das sich manch einer Wünschen würde. Doch als er sich eines Tages entscheidet, sein behütetes Leben als Sohn des Kaisers hinter sich zu lassen , beginnt für ihn eine Reise, von deren Ausgang plötzlich das Schicksal des ganzen Kaiserreichs abhängen könnte. Nichts ahnend, das bereits eine Macht in den Schatten lauert, die nur auf ihre Gelegenheit gewartet hatte, bricht Kellvian auf in eine Welt, die am Rand eines Bürgerkriegs steht.
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Melchior hatte es sich nicht nehmen lassen, Kellvian und Zyle zu begleiten. Auch wenn Kell sich noch nicht sicher war, ob er dem Mann ganz trauen konnte, er schien ganz in Ordnung. Nur seine düsteren Andeutungen waren ihm alles andere als geheuer. Melchior mochte sich einen Seher nennen, aber die Zukunft stand doch nicht fest. Zumindest glaubte er das nicht. Die Universitätsgebäude, zu denen sie wollten waren kaum zu Verfehlen. Auf einem Hügel über der restlichen Stadt
gelegen waren sie von fast jedem Punkt in Vara zu sehen. Auf dem Weg durch die belebten Straßen nutzte Kellvian auch gleich die Gelegenheit, ihre doch ziemlich zusammengeschmolzenen Vorräte und die Ausrüstung zu ergänzen. Endlich kam er dazu, das Pulver zu ersetzen, das er bei seiner Flucht aus der fliegenden Stadt verloren hatte. Er hoffte zwar weiterhin, die Waffe erst gar nicht einsetzen zu müssen, aber der Zwischenfall an der Erdwacht ließ ihm keine Ruhe. Zyle mochte sich mit nur einem Schwert bewaffnet sicher fühle, aber wenn sie noch einmal einem Gegner mit Feuerwaffen gegenüberstanden wäre er gerne in der Lage sich auch auf
Entfernung zu verteidigen. Der Gejarn aus Laos sah skeptisch zu ihm herüber, während er mit einem der zahlreichen Händler der Stadt sprach. Der Mann händigte ihm gegen einige Silbermünzen ein volles Pulverhorn und eine Hand voll Bleikugeln und Papierhülsen aus. ,,Was ?“ , fragte Melchior, als ihm der ungehaltene Blick Zyles auffiel. ,,Sagt nicht, ihr habt auch ein Problem mit Gewehren.“ ,,Es sind keine ehrlichen Waffen.“ , erwiderte er nur. ,,Genau wie Magie. Es erfordert keine Anstrengung jemanden damit zu töten. Kein Nachdenken und keine Fähigkeiten, solange die Waffe
geladen ist. Nur einen Idioten, der einen Abzug durchzieht.“ Sie machten sich langsam weiter auf dem Weg durch die Straßen. Kellvian wunderte sich wenig über den Betrieb auf den Gassen. Das war normal für die meisten Städte. Und doch schien sich das Treiben ein wenig von dem üblichen Aufruhr bestehend aus Bürgern, Bettlern, Ausrufern verschiedener Geschäfte und dem endlosen Strom von Reisenden und Warentransporten zu unterschieden. Er sah zu viele bunte Gewänder und bleiche Gestalten, die wohl nur selten an die Sonne kamen. Keine der Akademiker der Universität, sondern die von Dienern und Gehilfen umringten Adeligen Varas. Im
Gegensatz zu Markus hielten sich die meisten davon eher volksfern, wie Kellvian wusste. Ein weiterer Grund dafür, dass der Patrizier ziemlich frei agieren konnte. Solange die Tische dieser Leute gedeckt waren, ließen sie ihn schalten und walten, wie er wollte. Kaiser Konstantin verfolgte in der fliegenden Stadt eine ähnliche Strategie, auch wenn dort die Adeligen des Reichs nur einmal im Jahr alle zusammenkamen oder wenn der Kaiser einen Rat einberief. Er würde wohl noch herausfinden, was es hiermit auf sich hatte, dachte Kellvian, während sich die Häuserzeilen vor ihnen zu einem der vielen
öffentlichen Plätze Varas weiteten. Eine breite Treppe führte durch Gärten und einen kleinen Hain Bäume hinauf zur Universität. Auf dem Platz selbst befand sich nur ein einziges Objek. Vara war die Heimatstadt von Kellvians Vorfahren, allen voran Simon Belfare, und das machte sich hier deutlich bemerkbar. In der Mitte erhob sich eine Statue von Simon Belfare. Kell fand nicht, dass die steinerne Gestalt auf ihrem Sockel wirklich Ähnlichkeit mit ihm hatte. Es wirkte ehr befremdlich. In kaiserlichen Ornat gekleidet starrte das Abbild nach Süden, in Richtung der Außengrenzen Cantons. Der Künstler hatte dem Stein
ein erstaunlich jung wirkendes Gesicht gegeben, in dem sich Stolz und Hochmut spiegelten. Das einzige, was Kellvian selbst ähnlich darin war, waren die Augen, die man mit grünblauen Edelsteinen nachgestellt hatte. ,,Wisst ihr, wie Simon Belfare an die Macht kam ?“ , fragte Melchior. ,,Wie könnte ich das nicht ? Er hat die meisten Fürsten, die Provinzen und auch die Gejarn-Clans unter seinem Banner vereint und die fliegende Stadt vom letzten Kaiser der Ordeal-Dynastie erobert.“ ,,Aye. Aber ist es nicht seltsam, wie es ihm gelingen konnte, woran Barbarenvölker und ganze Reiche vor
ihm gescheitert waren? Die Herrschaft der Marionettenkaiser , der darauf folgende Bürgerkrieg hatten die Ordeal-Dynastie zwar geschwächt, aber… das waren nach wie vor Mückenstiche gegen die Macht, über die sie Geboten.“ ,,Worauf wollt ihr hinaus?“ , fragte Zyle. Ihm war nicht wirklich nach einer Geschichtsstunde zumute, aber offenbar wollte der Seher genau darauf hinaus. ,,Worauf baut Canton einen Großteil seiner Macht ?“ , fragte Melchior. ,,Magie.“ , antwortete Kellvian ohne zu zögern. ,,Genau. Magie. Der eigentliche Fall begann für sie erst im dem Krieg der brennenden Himmel. Damals verloren die
Ordeal-Kaiser etwas sehr wichtiges. Die letzten der Tränen Falamirs, die sie hatten rette können. Damit waren ihnen die mächtigsten Artefakte genommen, über die sie verfügten. Und damit waren sie plötzlich auf andere Mittel angewiesen. Das erst, erlaubte einer simplen Magiergilde von vielen zum Sanguis-Orden aufzusteigen wie wir ihn heute kennen. Simons Machtbasis.“ Kellvian glaubte nicht, das er es ganz Verstand. ,,Was hat Simon Belfare mit dem Orden zu tun ?“ ,,Er war mal ihr Ordensoberster… Unter ihm ist der Sanguis-Orden erst geworden, was er heute ist.“ ,,Moment… Simon Belfare war ein
Magier?“ Eigentlich war es nicht wirklich überraschend. Irgendwoher musste das Blut des alten Volkes in seiner Familie ja kommen. Melchior nickte. ,,Auch wenn sie das heute lieber geheim halten. Offenbar hat er irgendetwas getan, das den Zauberern furchtbare Angst gemacht haben muss, das es fast keine Aufzeichnungen mehr darüber gibt. Sie haben alles zerstört. Das Ergebnis jedoch war der endgültige Fall der alten Dynastie und der Aufstieg des Hauses Belfare.“ , beendete Melchior seine Gesichte. ,,Seitdem hat der Sanguis-Orden praktisch ein Monopol auf Zauberei. Es gibt kaum noch unabhängige Magier.“ Der Seher ließ sich
auf der die Statue umlaufenden kleinen Mauer nieder. ,,Ihr wartet also hier auf jemanden ?“ , fragte er. ,,Eine Gejarn namens Jiy. Der Patrizier der Stadt hat vor ein paar Stunden einige Leute befreit und sie hofft wohl, das einige Bekannte darunter sind.“ , erklärte Zyle um hinzuzufügen : ,,Oder sie fürchtet es. Es kann auch nur euch einfallen, das ein anderes Lebewesen das Eigentum eines anderen sein könnte, oder ?“ ,,Der Kaiser versucht seit Jahren das einzudämmen aber… ich schätze hier könnt ihr die Schuld wirklich bei den Leuten selbst suchen.“ , meinte Melchior. ,,Sie sind es schlicht Gewohnt
,in Belfare nicht so sehr wie in den nördlicheren Provinzen, wo Sklaven noch recht alltäglich sind.“ ,,Warum es nicht einfach verbieten ?“ , meinte der Gejarn hörbar ungehalten. ,,Es kann doch nicht so schwer sein, das Wort eures Kaisers ist so sehr Gesetz wie für uns das Wort Laos. ,,Glaubt ihr Wandel lässt sich immer Radikal vollziehen ? Ein Kaiser ist nur so stark, wie die Anzahl und entscheidender die Art der Leute, die hinter ihm steht.“ ,,Für euren Patrizier scheint es zu funktionieren.“ , gab er zu bedenken. ,,Markus ist… ein Sonderfall.“ , sagte Kelllvian. ,,Er hat sich den Respekt dieser Leute verdient und seinen Titel
nicht durch Erbschaft erhalten.“ ,,Dann , Kell, ist euer Patrizier weiser als eurer Herrscher. So wählen wir all unsere Oberen aus. Es ist völlig egal, ob derjenige als Bauer oder Sohn eines Archonten geboren wurde. Erweist er sich würdig, wird er belohnt, versagt er bestraft.“ ,,Mag sein.“ , gab er zu. ,,Ich.. bin mir nicht sicher, was ich tun würde, wäre ich an seiner Stelle oder der des Kaisers. Ich weiß ja nicht mal, ob ich das überhaupt wollen würde. Seid ihr eigentlich deshalb hier? Als Strafe ?“ ,,Man könnte es so sehen. Oder als Prüfung.“ Zyle schob den Stoff über seinem linken Arm etwas zurück, so dass
der Silberreif und die darin eingravierten unleserlichen Symbole sichtbar wurden. ,,Das ist mein Auftrag und meine Prüfung. Eine unsichtbare Kette, die ich erst loswerde, wenn ich… meinen Schuldner hier finde. Die Schuld des einen für die des anderen.“ ,,Und was habt ihr getan um so etwas zu verdienen, wenn ich fragen darf ?“ ,,Sagen wir doch einfach , ich war zur falschen Zeit am falschen Ort. Ich habe jemanden nicht beschützen können, dessen Leben zu hüten mir aufgetragen war. Eine Archontin. Das Ergebnis war, das mir ihr Tod zur Last gelegt wurde.“ ,,Also seit ihr unschuldig.“ , stellte Melchior fest. ,,Dann ist euer System
doch nicht so perfekt, wie ihr behauptet.“ ,,Nichts ist je perfekt.“ , konterte der Gejarn. ,,Wenigstens verkaufen wir keine Leben.“ Es war eine schwache Erwiderung und das wusste er, aber er würde sich von einem offenbar leicht verrückten Fremden keine Vorwürfe machen lassen. ,,Und was passiert bitte mit denen, die sich nicht als... nützlich für eure Gesellschaft erweisen?“ , hakte der Seher nach. ,, Die… Leben normalerweise nicht zu lange unter uns.“ , gab Zyle leise zu. Melchior nickte lediglich, wie zur Bestätigung. ,, Am Ende repräsentieren
Canton und Laos nur zwei Seiten des gleichen Dilemmas, meint ihr nicht ?“ Zyle erwiderte nichts. Kell tat er einen Moment fast Leid. Melchior schien beinahe präzise darauf Gesetzt zu haben. Auf der anderen Seite… Alles hatte seine Schattenseiten, das der Gejarn diese von einem anderen Vorgehalten bekam war vielleicht noch die einfachste Methode, diese zu entdecken. Kellvian hatte weitaus schlimmere Möglichkeit bereits kennengelernt. Die plötzlicher Erkenntnis, die einen erst Traf, wen es längst zu spät war, seine Fehler noch zu korrigieren… Eine Klinge ins Herz war endgültig. ,, Nehmt das nicht zu ernst.“ , meinte er
trotzdem. ,, Es gibt durchaus…“ Eine Bewegung auf der ansonsten verlassenen Treppe zur Universität zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Jiy sah elend aus. Das war eine Untertreibung dachte er. An dem Abend, wo sie ihm begegnet und verwundet zusammengebrochen war, hatte sie nicht schlechter ausgesehen. Die grünen Augen blickten gehetzt, aber gleichzeitig traurig, als hätten sie sich noch nicht zwischen Trauer und Angst entschieden. Und ein Arm ihrer Weste war Blutdurchtränkt. Ohne ein Wort trat die Gejarn zu ihnen. ,, Götter. Was ist mit dir passiert?“ Kellvians erster Impuls war, die mitgenommen wirkende Gestalt in den
Arm zu nehmen. Allein, Jiy schien im Moment so unnahbar, das er kaum glaubte, es mit der gleichen Person zu tun zu haben. Was war passiert? , fragte er sich in Gedanken erneut. ,, Ich habe gefunden, was ich gesucht habe.“ , erwiderte sie kalt. ,, Ihr seid verletzt…“ , bemerkte Zyle. Sie schüttelte den Kopf. ,, Das ist nicht mein Blut.“ ,, Es tut mir leid.“ ,, Was ?!“ Die Erwiderung war etwas zu laut, zu angespannt. Sie sah zwischen ihm und Zyle hin und her und schien dabei Melchior kaum zu registrieren. ,, Es tut mir…“ , setze er erneut an. ,, Was tut dir leid, Kellvian ? Du weißt
nicht einmal, was passiert ist.“ Langsam bekam die kalte Fassade die Jiy zur Schau trug doch risse. ,, Ich wünschte, wir wären nicht hierhergekommen.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um. ,, Ich… brauche einfach noch ein paar Minuten. “ Kellvian sah der Gejarn unschlüssig nach, während sie davon ging. Offenbar wusste sie selber nicht wohin, den sie verschwand nicht etwa auf dem Weg, den sie gekommen sein musste, sondern irgendwohin, weiter ins Zentrum von Vara. Irgendetwas war passiert und es schien so, als wäre Jiy nicht bereit, darüber zu reden. Er würde das respektieren, sagte er sich selbst. Auf
der anderen Seite nannte ihn eine Stimme einen verfluchten Feigling. Wovor rennst du wirklich weg ? ,, Jetzt folgt ihr schon.“ , sagte Melchior neben ihm leise, nur um der Stimme noch recht zu geben. Kellvian seufzte. Genau das wollte er ja. Der Seher versetzte ihm einen leichten Stoß. ,, Und wenn es nur isst, weil sie sich hier kein bisschen Auskennt.“ , fügte er augenzwinkernd hinzu. Konnte diesen Kerl denn gar nichts betrüben? Erst redete er Zyle in Grund und Boden und jetzt erlaubte er sich Scherze wo Jiy… Verflucht sollte der Seher sein. Für ihn schien das ganze hier mehr ein Spiel. ,, Ich bin gleich wieder da.“ Kellvian
würde sich beeilen müssen, wenn er die Gejarn noch einholen wollte, bevor sie irgendwo in den Straßen verschwand. Sie irgendwo in Vara wiederzufinden wäre alles andere als einfach. Und so gefasst sie gewirkt hatte: Er hatte Angst um sie. SO hatte er Jiy noch nicht erlebt. Aufgeregt, lachend, ängstlich, wütend all das kannte er von ihr. Aber das hier war schlimmer als Wut oder Furcht. Melchior ah ihm einen Augenblick nach, bevor er sich Zyle zuwendete. ,, Ich schätze.. wir warten einfach hier ?“, wollte dieser wissen. Melchior nickte. Auch der Gejarn würde seine Rolle spielen, dachte der Seher. Ab
jetzt lag kaum noch etwas in seinen Händen. Er hatte alle seine Karten bis auf eine Ausgespielt. Und die.. würde warten müssen. Er hoffte nur, dass es ausreichte. Wenn nicht würden erst Zyle und dann Kellvian sterben. Der eine durch Unverständnis ,der andere durch die Hand der einen Person, der er vertraute. Und wenn das geschah… dann führten alle Pfade der Zukunft direkt in die Dunkelheit. Auch wenn die Narren die glaubten die Fäden in der Hand zu halten einen Weg ins Licht suchten. Am Ende waren sie alle Marionetten. Sogar er.
Kapitel 37 Schuld für Schuld