Geboren in der fliegenden Stadt, ist Kellvian lange mit einem Leben konfrontiert, das sich manch einer Wünschen würde. Doch als er sich eines Tages entscheidet, sein behütetes Leben als Sohn des Kaisers hinter sich zu lassen , beginnt für ihn eine Reise, von deren Ausgang plötzlich das Schicksal des ganzen Kaiserreichs abhängen könnte. Nichts ahnend, das bereits eine Macht in den Schatten lauert, die nur auf ihre Gelegenheit gewartet hatte, bricht Kellvian auf in eine Welt, die am Rand
eines Bürgerkriegs steht.
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Kellvian sah angespannt zu der Gestalt Melchiors herüber, als er gefolgt von Zyle durch die Tür des Gasthauses trat. Es war zwar eines der Kleineren, wie er wusste, aber vermutlich hätte die Taverne die Aron ihnen damals gewiesen hatte dreimal in den Raum gepasst, der vor ihnen lag. Eine weite Fläche voller Stühle und Tische, die meisten davon besetzt, befand sich zu ihrer Rechten, wo auch der Mann saß, zu dem sie wollten. Aber nicht direkt. Kellvian würde nicht einfach auf ihn zugehen und guten Tag sagen, in der Hoffnung, er
würde sich nicht augenblicklich ein Messer zwischen die Rippen einfangen. Einige Türen führten der Beschilderung darüber zu mehreren Bädern, die neben der Universität das zweite Markenzeichen Varas bildeten. Aus ganz Canton kamen Gäste hierher, entweder einfach zur Entspannung oder in der Hoffnung auf Heilung irgendwelcher Gebrechen. Eine Treppe und ein Gang zu ihrer linken führten offenbar zu den Gästezimmern. Kellvian ignorierte Melchior erst einmal, der zum Glück nicht aufsah um zu sehen, wer die Taverne grade betreten hatte. Stattdessen ging er auf den Tresen zu, wo eine rothaarige Frau mittleren Alters grade damit beschäftigt war,
etwas in ein großes Notizbuch einzutragen. Als Kellvian näherkam, konnte er sehen, dass es sich um Zahlen handelte. Vermutlich Schulden. ,, Ja ?“ , fragte sie mürrisch. ,, Habt ihr drei freie Zimmer ?“ Er wollte das zuerst aus dem Weg haben, bevor er mit Melchior sprach. Dass der Mann ihnen schaden wollte, glaubte er nicht ganz, aber es war immerhin möglich. Und er könnte sich zurechtlegen, was er sagen wollte, dachte Kell. Zyle an seiner Seite ging allerdings kein Risiko ein. Er hatte den eine Hand an den Schwertgriff gelegt und sah immer wieder verstohlen zu der Gestalt des Fremden hinüber. Der seltsame Silberreif um seine Hand fing
dabei das Licht ein. ,, Sicher. Wenn ich die Farbe eurer Währung kenne. Rot oder Silber ?“ ,, Gold.“ Kellvian war nicht so dumm, mit einem Stück Kaisergold zu bezahlen. Das wäre man hier in Vara zwar eher gewohnt, als in einem kleinen Dorf, aber es würde trotzdem für Aufregung sorgen. Stattdessen legte er einige schimmernde Münzen von der Größe einer Fingerkuppe auf den Tresen. ,, Wie lange bleibt ihr ?“ Die Frau betrachtete das Gold einen Moment, als wollte sie sichergehen, dass es auch echt wäre. Eine Bewegung hinter ihm veranlasste Kellvian den Kopf zu drehen. Ein Schatten war plötzlich über ihn
gefallen. Melchior. Der Mann war von einem Moment auf den anderen bei ihnen gewesen. Hatte er sie doch bemerkt, als sie hereingekommen waren… Zyle an Kells Seite reagierte ebenfalls, allerdings sah er erst gar nicht nach, wer dort stand, sondern riss das Schwert hoch. Melchior seinerseits parierte den Schlag mit dem seltsamen Stab, den er immer zu tragen schien. Die Klinge schlug mit einem seltsamen, hohlen Klang auf das Holz auf. Wenn es denn Holz war. Zyles Hieb hätte selbst in einem Stahlpanzer mindestens eine ordentliche Beule geschlagen, aber an Melchiors improvisierter Waffe glitt die Klinge ab, ohne auch nur eine Kerbe zu
hinterlassen. ,,Vielleicht solltet ihr etwas runterkommen.“ Zyle stockte einen Moment, holte dann aber erneut nach Melchior aus, bevor Kellvian ihn daran hindern konnte. Diesmal machte der Mann keine Anstalten, sich zu wehren. Nur der Bernstein, der im Griff des Stabs eingelassen war, leuchtete kurz auf. Das Ding war ein Artefakt. Kellvian erkannte sofort, was das bedeutete und die kurze Veränderung in der Luft. Ein Schildzauber. ,, Zyle nicht.“ Die Warnung kam allerdings zu spät. Die Klinge des Laos schien plötzlich in der Luft festzuhängen. Im nächsten
Moment wurde er von einer unsichtbaren kraft rückwärts geschleudert und schlug hart auf dem Boden des Gasthauses auf. Das Breitschwert wurde ihm aus der Hand geschleudert. ,, Zu eurer Frage. Drei Tage, vielleicht zwei, je nachdem wie es läuft. Du macht vier Zimmer daraus.“ , sagte Melchior im Plauderton, so als hätte sich der Vorfall grade gar nicht ereignet. Die Besitzerin des Gasthauses sah ihn nur ungläubig an. Dann nickte sie langsam und notierte sich etwas in ihr Buch. Kellvian hatte das Schwert halb gezogen, ließ die Waffe aber wieder los, als sich Melchior nun ihm zuwandte. ,, Ich sehe,
ihr habt auch hierher gefunden.“ Hinter ihm rappelte sich Zyle wieder auf. ,, Verflucht das tat weh. Und deshalb verabscheuen meine Leute Magie.“ ,, Folgt ihr uns etwa ?“ , wollte Kellvian wissen, während Melchior den beiden Bedeutete ihm zu Folgen und sich wieder an seinem alten Platz am Fenster niederließ. Die rothaarige Wirtin sah ihnen einen Augenblick nach, dann schüttelte sie den Kopf und machte sich wieder daran, irgendwelche Zahlen in ihr Buch zu übertragen. ,, Wenn, dann sollte ich euch fragen, ob ihr mir folgt. Ich bin seit zwei Tagen hier mein Freund.“ , erwiderte er, während sich die drei
setzten. ,, Also… wer seit ihr ?“ , wollte Kellvian wissen. ,, Und erwartet ihr ernsthaft, das ich glaube es sei Zufall, das ihr hier seit ? Er hielt den Mann nicht mehr für eine Bedrohung, aber irgendetwas stimmte hier nicht. ,, Was meine Anwesenheit hier betrifft… macht daraus was ihr wollt. Alles was ihr Wissen müsst, Kellvian, ist, das ich nicht euer Feind bin. Ihr kennt meinen Namen bereits. Melchior. Manche nennen mich auch Melchior den Seher.“ ,, Und haben sie damit recht ?“ , fragte Kell. ,, Ihr wisst wie die Menschen sind. Die meisten könnten einen guten Trick nicht
von echter Magie unterscheiden. Es sei denn man stößt sie mit der Nase darauf.“ ,, Also seit ihr ein Zauberer.“ , stellte Zyle fest. Melchior schüttelte den Kopf. ,, Ich bin vieles und besitze einige… Begabungen. Die zur Magie zählt nicht dazu. Alles was ich habe ist das hier.“ Er stampfte mit dem Bernsteinzepter einmal auf den Boden. ,, Und diese Kleinigkeit.“ Melchior sah auf den Ring an seinem Finger. ,, Beide haben mir immer gute Dienste geleistet, aber ich glaube, diese Unterhaltung sollte sich weniger um mich drehen.“ ,, Ganz im Gegenteil Seher. Wenn Kellvian recht hat, dann seit ihr uns eine
Erklärung…“ ,, Schweigt still Herr Carmine.“ Melchior machte eine Geste mit der Ring-Hand. Wieder konnte Kellvian die kleine Erschütterung spüren, als der Zauber des Artefakts Form annahm. Zyle erstarrte wo er war. Nicht einmal seine Augen bewegten sich mehr, so als wäre die Gestalt des Gejarn schlicht von einem Moment auf den anderen zu Eis gefroren. Kellvian sprang auf, die Hand wieder am Schwertgriff. ,, Was habt ihr getan ?“ ,, Beruhigt euch…. Kellvian Belfare. Es geht ihm gut. Ich möchte nur nicht, das er unbedingt alles mitbekommt, was ich zu sagen habe.“ ,, Ihr wisst wer ich bin ?“ Langsam ließ
er sich wieder auf seinem Platz zurücksinken. Trotzdem fühlte Kellvian sich plötzlich unglaublich verwundbar. Der Seher hatte unter Beweis gestellt, das Zyle, geschweige denn er, kein Gegner für ihn war. Niemand in dem ganzen Gasthaus schien großartig von ihnen Notiz zu nehmen. ,, Ihr trampelt durch die Gegend, dass ich es erraten hätte, selbst wenn ich es nicht längst wüsste.“ , Melchior klang jetzt beinahe wütend. Aber warum ? Es ging ihn absolut nichts an, was er tat. ,, Aber eure Gefährten wissen es nicht, habe ich recht ?“ ,, Nein.“ ,, Warum nicht Kell
?“ ,, Seit ihr ein Agent meines Vaters ? Sucht ihr nach mir oder…“ ,, Kellvian… Ich bin niemand, nur ein alter Narr, der hofft ein paar Dinge richtigstellen zu können. Aber ich werde euch weder sagen, was ihr zu tun habt, noch was ich davon halte. Aber beantwortet meine Frage. Ihr könnt nicht mehr lange weitermachen wie bisher. Tatsächlich ist es möglich, dass eure Zeit grade in diesem Moment abläuft. Werdet ihr weiter verschweigen, wer ihr seid?“ ,, Welche Wahl habe ich den noch ?“ , erwiderte Kellvian heftig. Zum ersten Mal seit langem spürte er so etwas wie
echte Wut in sich aufsteigen. Was ging diesen Kerl an, was für Entscheidungen er traf? Gar nichts ! Und doch so kryptisch er sich äußerte, so recht schien er zu haben. ,, Wenn ihr so sprecht… keine. Ich fürchte nur, es wird euer tot sein.“ Wollte Melchior ihm jetzt etwa Angst machen? ,, Das nehme ich in Kauf.“ , antwortete er wieder ruhig wie eh und je. ,, Wie ihr wünscht. Und ihr müsst keine Angst haben, ich würde euch verraten.“ , sagte er versöhnlich. ,, Aber lasst mich euch eine Warnung mitgeben. Ihr habt einen Weg beschritten. Und von hier an… geht es nur noch bergab.“ Melchior
hob noch einmal die Ringhand . ,,…schuldig wer ihr eigentlich seid.“ , beendete Zyle seinen Satz, als wären inzwischen nicht mehrere Minuten vergangen. Offenbar hatte der Lore-Gejarn nichts mitbekommen. Kellvian sah zu Melchior. Der Kristall am Ring des Sehers war dunkel geworden. Also konnte er das Artefakt nicht ständig einsetzen. Das war beruhigend zu wissen. ,, Ich komme ursprünglich aus den Einöden im Norden. Noch hinter den Grenzen von de Immerson, von wo einst die ersten Menschen aufbrachen.“ Kellvian sah auf. ,, Ihr gehört also zu den Eisnomaden ?“ Viel bekannt war
über diese weit außerhalb der Zivilisation lebenden Menschen nicht bekannt. Einst waren aus ihren Reihen die ersten Kaiser und Könige hervorgegangen, aber heute galten ihre Stämme als fast ausgestorben. Und doch hieß es, unter ihnen fanden sich einige der letzten freien Zauberer und Wissen, das noch aus den Zeiten kurz nach dem Verschwinden des alten Volkes stammte. Vielleicht erklärte das ein wenig das seltsame Verhalten des Sehers. Dass er wusste wer er war beunruhigte Kellvian dabei noch am wenigsten. Gern hätte er die Worte des Mannes als Geschwätz eines Irren abgetan, aber Melchior schien ihnen nichts Böses zu wollen,
egal was er persönlich von ihm hielt. Vielleicht hatten sie einfach auf dem falschen Fuß angefangen. Kryptische Drohungen hin oder her. Er wusste selber, auf wie dünnem Eis er sich bewegte. Das war nicht Melchiors Schuld, sondern ganz allein seine. ,, So nennt ihr aus Canton unser ganzes Volk ja. Ich persönlich bin ein Pyrtan, aber ich lebe seit mittlerweile zwei Jahrzehnen in den Herzlanden. Und ich versichere euch nochmal, es ist Zufall, dass ich hier bin. Auch wenn mir bisher kaum eine seltsamere Gruppe über den Weg gelaufen ist. Ihr seid aus Laos, oder?“ ,, Ich vermute, das ist nicht sonderlich
schwer zu erraten. Mein Name ist Zyle.“ ,, Und Kellvian kenne ich bereits. Nun, die Herren, was führt euch nach Vara, wenn ich Fragen darf?“ ,, Schulden.“ , erwiderte Zyle kurz angebunden. ,, Ich… suche etwas.“ Melchior nickte lediglich. ,,Es gibt wenige Orte, an denen man mehr erfahren kann als in Vara. Manche widmen ihr ganzes Leben nur dem Studium dessen, was die Universität bereits beiseitegelegt hat und fördern doch immer noch neues Zutage.“ ,, Ich fürchte, was ich suche ist weniger… akademischer Natur. Seelenfrieden lässt sich nicht in Büchern
finden.“ ,, Das mag sein.“ , gab Melchior zurück. ,, Und doch haben auch geschrieben Worte ihre Macht. Wie viele Schicksale können durch einen Brief in den richtigen Händen verändert werden… oder den falschen.“ ,, Ich bin mir sicher, guter Stahl verändert immer als Worte.“ , mischte sich Zyle ein. ,, Und das von jemanden aus Laos. Hat nicht euer großer Lehrer durch einige geschriebene Worte eine ganze Gesellschaft geformt?“ ,, Eine Gesellschaft, die ohne das Schwert nicht entstanden wäre, wie viele Worte Laos auch zu Papier gebracht
haben mag.“ ,, Was nicht unbedingt für sie spricht, wenn man es genau nimmt.“ Zyle schüttelte den Kopf. ,, Wollt ihr mir erklären, Canton wäre auf friedlichen Weg zu seiner jetzigen Größe gelangt Kell ?“ ,, Nein. Ganz sicher sogar nicht.“ ,, Und eure Magie hatte dabei ihren Anteil.“ Melchior schmunzelte. ,, Ich glaube was ihr nicht versteht Zyle, ist das Magie keine Moral besitzt. Wie jede Kraft entscheidet der Anwender, ob er sie für das gute oder das Böse einsetzt. Nur weil die Möglichkeit besteht, damit das falsche zu tun, gehört es nicht gleich
Verboten. Nehmt ein Schwert als Beispiel. Der Stahl selbst entscheidet nicht, ob nur diejenigen dadurch fallen, die es verdient haben oder grade die Unschuldigen.“ ,, Stahl aber, hat etwas ehrenhaftes. Jeder kann lernen damit umzugehen, tut er das nicht und kann sich nicht verteidigen, ist das sein Versäumnis. Magie hingegen steht nicht jedem offen. Entweder man hat eure Gabe oder nicht.“ ,, Und doch benutzt er nur genau die Kräfte, die er beherrschen kann, oder er stirbt. Das ist der Preis der Magie. Vielleicht verschiebe wir diese Diskussion besser.“ , schlug Melchior vor. ,, Sicher jemand könnte auch die
Lebensenergie anderer für Zauber nutzen, aber niemand wäre Verdreht genug, das zu versuchen. Glaubt mir.“